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Land um den Ebersberger Forst Beiträge zur Geschichte und Kultur 15 (2012) Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V.

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  • Verlag Lutz Garnies, Haar / MünchenISBN 978-3-926163-78-3

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    Land um den Ebersberger Forst Beiträge zur Geschichte und Kultur

    15 (2012)Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V.

  • Land um den Ebersberger Forst

    Beiträge zur Geschichte und Kultur

    Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V.

    15 (2012)

  • Land um den Ebersberger Forst Beiträge zur Geschichte und Kultur

    Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V.

    15 (2012)

  • InhaltVorwort ..............................................................................................................6

    Aufsätze ..............................................................................................................8

    Anthony R. Rowley Dialekte in Bayern – Frauenneuharting ...................................................................8

    Gottfried Mayr Pliening im frühen Mittelalter ..............................................................................23

    Gottfried Mayr Die Auflösung der frühen Großgemarkungen – dargestellt an Beispielen aus Oberbayern ........................................................................................................34

    Gottfried Mayr Die Höhenkircher. Bemerkungen zu ihrer gesellschaftlichen Entwicklung ...............62

    Gerald Dobler Laserscan an den Wandmalereien der Kirche Sankt Leonhard in Haging ................82

    Markus Krammer Eine marmorne Botschaft aus dem Untergrund ....................................................90

    Brigitte Schliewen Die Steine sprechen. Zum aufgefundenen Steinrelief des Ebersberger Abtes Leonhard .........................102

    Rudolf Münch Wilderer im Ebersberger und Großhaager Forst sowie in der Umgebung ..............112

    Hans Obermair 125 Jahre Kulturverein Glonn ............................................................................118

    Hermann Eberle Wolfgang Koller (1904-1974) ...........................................................................128

    Antje M. Berberich Kunst und Glaube. Folge 2: Karlheinz Hoffmann (1925-2011) ............................141

    Peter Sickinger Die Tragödie bei Markt Schwaben. Der Flugzeugabsturz am 22. Mai 1962 ..........162

    Hinweise ..........................................................................................................186

    Neues heimatkundliches Schrifttum ...................................................................186 Wichtige Termine ..............................................................................................188

    Vereinschronik 2012 ........................................................................................189

    Mitarbeiter dieses Bandes ................................................................................195

    Umschlagvorderseite: Blick auf jenes Grabungsareal im Zentrum Ebersbergs, auf dem 2011 archäo-logische Untersuchungen vorgenommen und interessante Fundstücke zu Tage gefördert wurden. (Foto: Markus Krammer, Ebersberg)

    Umschlagrückseite: Spätgotische Glasscheibe mit dem Wappen des Ebersberger Abtes Leonhard I. in der Sankt-Koloman-Kirche in Kirchseeon-Dorf. (Foto: Markus Krammer, Ebersberg)

    Impressum

    Herausgeber: Historischer Verein für den Landkreis Ebersberg e.V. Tegernauer Straße 15, 83553 Frauenneuharting

    Redaktion: Bernhard Schäfer

    Copyright: © 2013 Historischer Verein für den Landkreis Ebersberg e.V.

    Druck: Medienhaus Biering GmbH

    Verlag, Grafik: Verlag Lutz Garnies, Hans-Stießberger-Straße 2b, 85540 Haar / München ISBN 978-3-926163-78-3

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Globalisierung schreitet unaufhaltsam voran und ihre Auswirkungen sind allent-halben spürbar. Eine Folge der Wirkmächtigkeit großer, vielfach unüberschaubarer Zu-sammenhänge ist, dass immer mehr Menschen wieder nach einer Verortung in kleinen Räumen suchen. Beschrieben wird diese Gegenbewegung unter anderem mit dem ar-tifiziellen Wort „Glokalisierung“. Dass diese kleinen Räume menschlicher Bezugnahme weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit als klar umrissene Einheiten be-griffen werden dürfen, wie wir sie von unserer politisch-verwaltungsorganisatorischen Gliederung in Gemeinde, Landkreis, Bezirk, … kennen, dies zeigen die ersten Beiträge zum diesjährigen Jahrbuch des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V.

    So berichtet der Münchner Sprachwissenschaftler Anthony R. Rowley in seinem Auf-taktaufsatz zum vorliegenden „Land um den Ebersberger Forst“, in dem er sich mit den Dialekten in Bayern beschäftigt und dabei speziell den Ebersberger Raum und noch konkreter die Frauenneuhartinger Gegend in den Fokus nimmt, dass sich bei genauer Betrachtung spezifische Dialekte von einzelnen Dorfgemeinschaften ausmachen lassen.

    Der Willinger Historiker Gottfried Mayr wiederum legt in seinem Beitrag über „Pli-ening im frühen Mittelalter“ dar, dass die Siedlungsgeschichte des Ortes und seiner Umgebung nur zu verstehen ist, wenn man das fragliche Gebiet als eine Großgemar-kung der Landnahmezeit begreift, die in den folgenden Jahrhunderten in einzelne, un-terscheidbare Teile zerfiel. Daneben arbeitet er heraus, dass Alemannen die Gründer der Großgemarkung Pliening waren.

    Das von der historischen Forschung bislang wenig beachtete, doch die Entwicklung von Siedlungsräumen erst verständlich machende Phänomen der frühen Großgemar-kungen veranschaulicht Gottfried Mayr anschließend in einer weiteren Abhandlung an Hand von mehreren Beispielen aus Oberbayern.

    In einem dritten Beitrag beschäftigt sich Gottfried Mayr schließlich mit der aus Kleinhöhenkirchen stammenden Familie der Höhenkircher, deren Mitglieder als ur-sprünglich Freie im Verlauf des Mittelalters in die Ministerialität eintraten, sich von dort aus wieder in den Adelstand emporarbeiteten, ehe sie in der Frühen Neuzeit einen erneuten gesellschaftlichen Abstieg hinnehmen mussten.

    Nach einem ersten Aufsatz über die Wandmalereien in der Kirche Sankt Leonhard in Haging, den der Wasserburger Kunsthistoriker Gerald Dobler zur Nummer 13 des Jahrbuches des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg e.V. beisteuerte und in dem er eine geplante Laserscan-Untersuchung der Fresken vorstellte, referiert der Fachmann jetzt in einer weiteren Darstellung zum Thema die inzwischen vorliegenden Untersuchungsergebnisse des erfolgreich verlaufenen Unternehmens.

    Mit vier aufschlussreichen Fragmenten einer Marmorplatte, die 2011 bei archäo-

    logischen Untersuchungen im Zentrum Ebersbergs zu Tage traten, beschäftigen sich gleich zwei Beiträge. Während es dem Ebersberger Kreisheimatpfleger Markus Krammer mit Hilfe eines erhalten gebliebenen Wappens gelingt, das nur bruchstück-haft auf uns gekommene Steinrelief als ein Auftragswerk des Abtes Leonhard I. aus den Anfangsjahren des 16. Jahrhunderts zu identifizieren, gelangt die Vaterstettener Kunsthistorikerin Brigitte Schliewen im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit den Fund-stücken zu der Überzeugung, dass der namhafte mutmaßliche Schöpfer des Werkes, Wolfgang Leb, in der Zeit der Entstehung der Platte in Ebersberg ansässig war.

    Über die Wilderei im Ebersberger und Großhaager Forst, die speziell in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um sich griff, informiert der Haager Geschichtsforscher Rudolf Münch. Im Rahmen seiner Darlegungen schildert er insbesondere das Schick-sal des „Edel-Wilderers“ Karrersepp aus Steinbach bei Sankt Wolfgang.

    Das 125-jährige Jubiläum des Kulturvereins Glonn e. V. nimmt der Glonner Hei-matkundler Hans Obermair zum Anlass, die Geschichte dieser als Verschönerungs-verein gegründeten Institution Revue passieren zu lassen, wobei sein Augenmerk nicht zuletzt den illustren Initiatoren der Vereinigung gilt.

    Einem weiteren namhaften Glonner gilt das Interesse des Ebersberger Lehrers Her-mann Eberle, der als Schwiegersohn des Schulmannes und Kunstfreundes Wolfgang Koller dieser weit über Glonn und Umgebung wirksamen Persönlichkeit eine intime Würdigung hinsichtlich ihrer Lebensleistung zukommen lässt.

    Im zweiten Teil ihrer Ausführungen zu den in der Heilig-Geist-Kirche in Ebersberg mit Werken vertretenen Künstlern widmet sich die Ebersberger Archivleiterin Antje M. Berberich dem wechselvollen, speziell von schicksalshaften Erfahrungen während des Dritten Reiches geprägten Lebens- und Schaffensweg des vielseitigen Kunstgestalters Karlheinz Hoffmann.

    Schließlich ruft noch der Zornedinger Geschichtsforscher Peter Sickinger unter dem Titel „Die Tragödie bei Markt Schwaben“ den Absturz eines US-amerikanischen Auf-klärungsflugzeuges vor nunmehr über fünfzig Jahren ins Gedächtnis, der damals für großes Aufsehen sorgte und noch heute Anlass zu so manchen Spekulationen gibt.

    Unter der Rubrik „Hinweise“ finden sich wieder eine Aufstellung neuen heimat-kundlichen Schrifttums sowie einige wichtige geschichtliche und kulturelleTermine des laufenden Jahres.

    Die „Vereinschronik“ gewährt einen Rückblick auf die Aktivitäten des Historischen Vereins im vergangenen Jahr und gibt neben einer Aufstellung der Zusammensetzung der Vorstandschaft eine Liste sämtlicher Mitglieder wieder.

    Allen Freunden der Geschichte und Kultur im Landkreis Ebersberg wünsche ich nun im Namen der gesamten Vorstandschaft anregende Stunden bei der Lektüre dieses neuen Bandes des „Landes um den Ebersberger Forst“.

    Bernhard Schäfer 1. Vorsitzender

    Vorwort

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    mit den Worten: „Mundart ist Hei-matliebe. In ihr drückt sich – wohl am unmittelbarsten – die Verbundenheit mit unserer Gemeinschaft und unserer Herkunft aus“. Dass man in Bayern immer wieder „Mundart“ und „Heimat“ in einem Atemzug nennt, überrascht sicher nicht. Kultur und Geschichte ei-ner Gegend spiegeln sich in der Spra-che dieser Gegend. Dialektforschung ist also unter anderem Heimatforschung, Dialektpflege integraler Bestandteil der Heimatpflege. Viele Bayern verstehen ihren Dialekt auch als sprachliches Aus-hängeschild ihrer Heimat und ihrer bay-erischen Identität. Die Dialekte sind außerdem eine Fundgrube für regionale Volkskunde, Sach- und Kulturgeschich-te. Die bairischen Wochentagsnamen Irta und Pfinzta für ‘Dienstag’ und ‘Don-nerstag’ etwa sind Zeugnisse für alte Kulturbeziehungen des Bayernstammes aus der Völker wanderungszeit zum Volk der Goten,6 von Grüß Gott wird von einigen meiner Fachkollegen angenom-men, der Gruß gehe zurück auf die irische Mission in Bayern.7 Die hohe Anzahl italienischer Lehnwörter in den Dialekten Bayerns und Österreichs – Gspusi, Zamperl, sekkieren, Stranzitzl und Spogat, dokumentiert die jahrhunderte-langen Beziehungen zu den südlichen Nachbarn über die Alpen hinweg. Als Studienobjekte sind die Dialekte fer-ner, da eigenständige Sprachformen, grundsätzlich von wissen schaftlichem Interesse; sie sind, wenn man so will, die „Reagenzgläser“, das „linguistische Laboratorium“ des Sprachforschers, in dem man etwa prüfen kann, wie eine

    Zum Auftakt sei das neue „Bayerische Wörterbuch“1 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zitiert, und zwar mit einem Beleg aus Galgweis bei Vilshofen in Niederbayern, der in der Ebersberger Gegend wohl auch nicht viel anders lau-ten würde: „Auf geht’s påckma’s!“ Im fol-genden Bericht möchte ich etwas über den Dialekt im Allgemeinen, über deut-sche Mundarten und deren Einteilung sowie insbesondere über die Mundarten in Bayern und im Ebersberger Landkreis erzählen.

    Der Verfasser ist kein Bayer, son-dern Brite. Zur Erklärung sei angeführt, dass sich gerade in der Dialektfor-schung die Zusammenarbeit zwischen Alteinheimischen und ausländischen Fachleuten stets bestens bewährt hat – der englische Dialektatlas wurde von Deutsch-Schweizern angeregt, einer der renommiertesten Kenner der englischen Mundarten ist gegenwärtig Wolfgang Viereck, ein deutscher Professor an der Universität Bamberg, und für die Dia-lektlandschaften des Deutschen stammt eines der besten Übersichtswerke von Viktor Schirmunski, einem russischen Germanisten.2

    Dialektforschung als Heimatforschung

    Wozu nun die Beschäftigung mit dem Dialekt? Sollten wir nicht alle lieber einheitliches, standardisiertes Deutsch sprechen? Ob wir das sollten oder nicht: Tatsache ist, dass die allerwenigs-ten Deutschen so sprechen, ja es gibt Fachkollegen, die bezweifeln, dass es in unserem Alltag ein solches Deutsch überhaupt gibt. Dialekte dagegen, die gibt es, und man tut gut daran, sie ernst zu nehmen. Man denke an die Worte Goethes: „Jede Provinz liebt ihren Dia-lekt: denn er ist doch eigentlich das Ele-ment, in welchem die Seele ihren Atem schöpft“.3 Und der Sprachforscher Jo-hann Andreas Schmeller (1785-1852), Verfasser des ersten „Bayerischen Wör-terbuchs“ (erste Auflage 1827-1837)4, hat in seiner Schrift „Sprache der Bai-ern“ über den Dialekt gesagt, er sei „der vollständigste Lebensabdruck ei-nes Volkes“.5 Diese Wertschätzung der Volkssprache teilen noch heute maß-gebliche Kreise in Bayern: Vor etwa zehn Jahren eröffnete Bayerns dama-liger Finanzminister Erwin Huber den Bayerischen Mundarttag in Deggendorf

    Aufsätze

    Dialekte in Bayern – Frauenneuharting

    Anthony R. Rowley

    Sprache ohne Genitiv oder einfache Vergangenheit auskommen kann. Und manchmal kann man sich im Dialekt viel konziser ausdrücken als in der Schrift-sprache. Versuchen Sie etwa nur die kleinen bairischen Wörtchen „halt“ oder „fei“ prägnant in die Schriftsprache zu übersetzen. Es geht nicht! Dialekte sind keineswegs Sammelsurien von „falschen Fehlern“, von zufälligen Abweichungen gegenüber der Schriftsprache, sondern sie sind eigenständige Sprachformen mit eigener Geschichte und eigenen Regeln. Sie sind – anders als das Kunstgebilde der neuhochdeutschen Schriftsprache – organisch aus der germanischen Ur-sprache entstanden und nicht aus der Schriftsprache ableitbar. Sie sind die Sprachformen, die vor Ort von Vater zu Sohn und von der Mutter an die Toch-ter über die Generationen hinweg wei-tertradiert wurden. Die Schriftsprache dagegen wurde von oben eingeführt, sie beruht auf künstlichem Sprachaus-gleich und bewusster Sprachlenkung. Noch vor hundert Jahren war sie für die Bevölkerungsmehrheit wirklich nur in schriftlicher Form gebräuchlich – ge-sprochen hat man überall Dialekt. Ich muss mich auf wenige Beispiele für die Eigenständigkeit der Mundarten be-schränken. Der gerade erwähnte bairi-sche Name Pfinzta für ‘Donnerstag’ ist keine Verballhornung des schriftdeut-schen Wortes Donnerstag, sondern ein Wort mit eigener Geschichte und geht letztendlich auf griechisch pempte heméra ‘fünfter Tag’ zurück (das gleiche Wort wie neugriechisch pefti). Die bairischen Personalfürwörter es und enk für ‘ihr’

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    und ‘euch’ sind alte germanische Dual-formen. Gehalten haben sie sich in is-ländisch (þið ‘ihr’) und im Bairischen, in beiden Fällen heute nicht mehr als Dual, sondern als normale Mehrzahl. Eine Ab-leitung solcher Mundartwörter aus der neuhochdeutschen Schriftsprache wäre abwegig. Folge: Der Dialekt ist nicht aus der neuhochdeutschen Schriftsprache ableitbar. Vielmehr hat er zum Beispiel im Falle von es / enk etwas Uraltes bei-behalten, das in den anderen eng ver-wandten germanischen Sprachen wohl um das Jahr 800 schon in Vergessenheit geraten war.

    Tradition der Mundartforschung in Bayern

    Die Beschäftigung mit den Mundar-ten hat in Bayern eine lange Tradition. Die erste Sammlung von Dialektwörtern überhaupt – wohl europaweit – verfass-te der Regensburger Bürgermeister Jo-hann Ludwig Prasch im Jahre 1689, das „Glossarium Bavaricum“8. Und dann gibt es den Altmeister Schmeller, den ich eingangs zitiert habe. Schmeller gilt als Begründer der wissenschaftlichen Dialektforschung. Sohn eines ländli-chen Handwerkers aus der Nordober-pfalz, wuchs er in der Holledau auf. Er beherrschte also schon von klein auf zwei Ausprägungen des Bairischen, aber seine Liebe zu seiner Mutterspra-che entdeckte er wohl erst um 1815 nach langer Abwesenheit in Spanien und der Schweiz. Nachdem er in der Ferne ausgiebig Sprachstudien betrie-

    ben hatte, begegnete er seiner Mutter-sprache wieder daheim bei seinen Eltern und schrieb dazu ins Tagebuch: „Wahr-haftig, mit frommer Aufmerksamkeit lausch ich den seit einem Jahrtausend rein und eigenthümlich bewahrten Tö-nen dieser einfachen Hütten“.9

    Es gibt gegenwärtig im Freistaat zwei große Forschungsrichtungen im Bereich der Dialekte: In Dialektatlanten wollen Kollegen an den Landesuniversitäten die Geographie der Laute und Formen – auch von Wortschatz und Satzbau – der Mundarten im Freistaat untersuchen und darstellen. Ein sehr schönes Ergebnis dieses Projekts ist der „Kleine bayerische Sprachatlas“10. Und in zwei Projekten der Kommission für Mundartforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaf-ten wird der Wortschatz der bairischen und der fränkischen Dialekte erfasst und in Wörterbüchern gesammelt. In einem dieser Projekte – und zwar im bairischen – bin ich als Chefredaktor eingesetzt. Die Redaktion hat den Auftrag, den Wort-schatz der Dialekte in den altbayerischen Regierungsbezirken zu sammeln und in einem Wörterbuch zu publizieren. Unser neues „Bayerisches Wörterbuch“ steht in der Tradition Schmellers. Inzwischen gibt es für alle deutschen Sprachland-schaften solche Lexika. Begonnen hat die Publikation des neuen „Bayerischen Wörterbuchs“ im Jahre 199511; die bisher erschienenen 17 Hefte behandeln die Alphabetstrecke bis zur Mitte des Buch-stabens B – beim Stichwort Boxhamer (Name eines Volkstanzes), ein Kollege schreibt schon am Wortartikel bresthaft.

    Naturgemäß zielten unsere Befragungs-aktionen auf einen bäuerlichen Sprach-typus hin, der bis ins letzte Jahrhundert hinein auch in den Vororten der Städte üblich war. Gerade der bäuerliche Wort-schatz ist im Laufe der Nachkriegsjahre immer mehr zu einer Sondersprache ge-worden, die zudem noch durch die Me-chanisierung stark veraltet ist. So hat sich der Status des Dialekts – nicht nur in Bayern natürlich – seit Beginn des 20. Jahrhunderts stark gewandelt.

    Zum Sammeln und Überprüfen der Dialektwörter hat die Redaktion des „Bayerischen Wörterbuchs“ ein Netz von etwa 500 Korrespondenten, ehren-amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern in ganz Altbayern. Der Landkreis Ebersberg war insgesamt immer gut ver-treten – Frauenneuharting etwa durch Herrn Adalbert Förg, (Abb. 1) Stein-höring durch Herrn Georg Grandner, Ebersberg durch Architekt Strobl, Markt Schwaben durch Tierarzt Dr. Beck.

    Abb. 1: Fragebogen aus Frauenerharting (um 1930).

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    Übersicht über die Dialekte im deutschen Sprachraum

    Kommen wir nun zu einer Übersicht über die Dialekte im deutschen Sprach-raum insgesamt, um das Bairische dort zu verankern. Die Dialekte Altbayerns nennen die Fachleute „Bairisch“, und sie schreiben es mit -ai-. Seit nämlich Ludwig I. aus Begeisterung für alles Griechische das Y nach Bayern ein-führte, hat man die Möglichkeit zu unterscheiden zwischen bayerisch mit -y- und bairisch mit -i-. Die Schreibung mit -y- bezieht sich auf das geogra-phische und politische Gebilde des heutigen Freistaats, die Schreibung mit -i- für die Dialektforscher auf ei-nen bestimmten Dialekttyp, der au-ßer in Altbayern auch in Österreich und darüber hinaus gesprochen wird. Im Freistaat Bayern werden nicht nur bairische Dialekte gesprochen, son-dern auch schwäbisch-alemannische, ostfränkische und um Aschaffenburg sogar rheinfränkische Mundarten. Der Dialekttyp Bairisch wird dafür auch in Österreich, in Südtirol und (zumindest noch relikthaft) im Böhmerwald ge-sprochen. Von der Verbreitung und von der Sprecherzahl her ist das Bairische die erste unter den deutschen Mund-arten. Gesprochen wird sie wohl von etwa 5 Millionen Altbayern und 6 Milli-onen Österreichern, die Südtiroler und andere Minderheiten nicht mitgezählt.

    Die Mundarten des Freistaats, ob in Altbayern, Franken oder Baye-risch-Schwaben, gehören zur Gruppe

    der oberdeutschen Dialekte. Die deut-schen Mundarten werden insgesamt in drei große Gruppen eingeteilt: „Nieder-deutsch“, „Mitteldeutsch“ und „Ober-deutsch“. „Niederdeutsch“, oft hört man auch „Plattdeutsch“, wird im Nor-den Deutschlands gesprochen, „Mit-teldeutsch“ in der Mitte Deutschlands, und „Oberdeutsch“ im Süden Deutsch-lands, in der Schweiz, in Österreich und in Nachbargebieten wie Südtirol. Die entscheidenden Grundlagen für die Einteilung sind nicht Ländergrenzen, sondern sehr ohrenfällige Erscheinun-gen der Dialekte selber. Es handelt sich dabei um die in der Fachsprache so ge-nannte „zweite, deutsche Lautverschie-bung“. Durch diese Lautverschiebung unterscheiden sich die südlichen, ober-deutschen Dialekte vom Niederdeut-schen sowie von den nächsten Sprach-verwandten Niederländisch und Eng-lisch. Grob gesagt erscheinen dabei im Norden Deutschlands Verschlusslaute p, t, k, im Süden dagegen als Folge der Lautverschiebung die „Affrikaten“ pf-, ts-, kch-, oder Reibelaute -f-, -ß-, -ch-, je nach Stellung im Wort. Beispiele: Niederdeutsch ik wet nit, wat is dát? hochdeutsch ich weiß nicht, was ist das? Plattdeutsch Pann, twe, maken wie eng-lisch pan, two, make, hochdeutsch Pfan-ne, zwei, machen. Die mitteldeutschen Dialekte stehen auch sprachlich in der Mitte und gehen manchmal mit dem Norden, manchmal mit dem Süden. In Frankfurt am Main zum Beispiel trinkt man Wasser, wie im Süden, nicht Water, wie an der Waterkant. Viel lieber aber trinkt der Frankfurter ein Getränk

    namens Äpplwoi, das ist ‘Apfelwein’, und in Äppl steckt das Wort ‘Apfel’ drin, nur eben mit der reibelautlosen Aussprache des Nordens. Der Dialekt der Mainmetropole hat sowohl nörd-liche als auch südliche Lautverschie-bungsformen. Die Lautverschiebung ist auch im Volk als wichtiger sprachli-cher Unterschied fest verankert. Dass sie sogar überlebenswichtig sein kann, das beweist der tragische Ausgang des Märchens „Die Sieben Schwaben“ in der Fassung der Brüder Grimm.12 Als die Sieben Schwaben an die Mosel ka-men und einem Mann am anderen Ufer zuriefen, wie sie wohl hinüberkommen könnten, da verstand sie der Mann drüben nicht und rief auf sein Trierisch zurück: „Wat? Wat?“ Da meinte der Herr Schulz, er spräche nichts anderes als „wate, wate durchs Wasser!“, und hub an, weil er der vorderste war, bis nur noch sein Hut zu sehen war.

    Das Bairische des Ebersberger Land-kreises geht mit den oberdeutschen Di-alekten des deutschen Südens: Pfånna, zwoa, måcha und nicht Pan, twe, maken. Auch die Frauenneuhartinger sollten also, wie die Sieben Schwaben, an der Mosel vorsichtig sein. Das Ober-deutsche seinerseits wird in drei Grup-pen unterteilt: in das Ostfränkische im Norden, in das Schwäbisch-Alemanni-sche im Südwesten, und in das Bairi-sche im Osten. Wo hört das Bairische auf und fangen die Nachbardialek-te „Fränkisch“ und „Schwäbisch“ an? Und warum verläuft gerade hier die Grenze? Im Nordwesten Bayerns ist die

    Antwort auf diese Frage einigermaßen einfach. Bairisch sind im Norden die Dialekte im geschlossenen Gebiet mit den typisch „nordbairischen“ „gestürz-ten Diphthongen“ ej, ou in Wörtern wie Brejf ‘Brief ’ Kou ‘Kuh’. Dialekte mit langem -i- und -u- (Brief, Kuh) sind ostfränkisch. Und sehr ohrenfällig: Die Franken mögen keine harten Konso-nanten. Sie sprechen nicht påcka, son-dern baggn, nicht Bett, sondern Bedd, mit zwei weichen D. Als Abgrenzung zum Schwäbischen im Südwesten ver-wendet man verschiedene Wörter und Lautungen. Am Zuverlässigsten sind die bereits erwähnten persönlichen Fürwörter es und enk für ‘ihr’ und ‘euch’ und die Zeitwortendung -ts der zweiten Person in der Mehrzahl (es, ihr wissts ‘ihr wisst’).

    Warum befindet sich die Dialekt-grenze zum Ostfränkischen und zum Schwäbischen dort, wo sie ist? Das hat wenig mit Volksstämmen aus der Völkerwanderungszeit zu tun. Die heu-tige Grenze geht im Großen und Gan-zen auf die Territorialgrenze des alten Herzogtums Bayern etwa im 10. Jahr-hundert zurück. Dies ist überhaupt ty-pisch – unsere heutigen Dialektgrenzen gehen oft auf Territorialgrenzen des Mittelalters zurück.

    Bairische Mundarten

    Jetzt wollen wir uns ein bisschen nä-her mit dem Bairischen beschäftigen. Es gibt Lautungen und Wörter, die

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    Eine Papiertüte (Abb. 3) nennt man um Amberg und Weiden Guckern, in Regens-burg und dem Norden Niederbayerns Rogel, im Umkreis von München – und in Ebersberg – Stranitzel, im Erdinger Landkreis und um Landshut Staritzn, um Nürnberg Scharmitzel, und in Friedberg am Lech gar Gstådl.17 Für ein bestimmtes Nutztier sagt man im größten Teil Alt-bayerns Roß, in der West-Oberpfalz wie in Augsburg und Nürnberg Gaul, und in der Nord-Oberpfalz Pfa, also Pferd.18

    Trotz aller Vielfalt allerdings lassen sich doch einigermaßen klar abgrenzba-re Dialekträume ausmachen, die in sich relativ einheitlich sind. Innerhalb des Bairischen kann man anhand lautlicher Kriterien drei Unterdialekte unterschei-den: das Südbairische, das Mittelbai-rische und das Nordbairische – jeweils mit Übergangszonen an den Nahtstel-len. Das alpine Südbairisch wird haupt-sächlich in Tirol und Kärnten gespro-chen und berührt nur knapp den südli-chen Rand des Freistaats. Auffälligstes Lautmerkmal ist das stark geriebene Kch- in Kchua, Kchåtz. Außerdem heißt der ‘Schnee’ hier Schnea, nicht wie in der Oberpfalz Schnäi oder im Mittelbairi-schen Schnää. Im Nordbairischen – grob gesagt in der Oberpfalz und in Rand-gebieten der Nachbarbezirke – spricht man die charakteristischen „gestürzten Zwielaute“ in Bräif (‘Brief’), Kou (‘Kuh’) für mittelbairisch Briaf, Kua; und auch in anderen Wörtern wie Schouf (‘Schaf’), Schnäi hat der Norden mehr Zwielaute als der Süden. Die Niederbayern halten darum die Aussprache ou für das Aus-

    die Sprecher eines bairischen Dialekts sofort verraten, bairische Schibbo-leths sozusagen.13 Welche sind denn die bairischen Schibboleths? Nun: Wer etwa hoas sagt für ‘heiß’ oder Stoa für ‘Stein’, ist schon sehr verdächtig. Ver-räterisch sind ferner insbesondere die „dumpfe“, o-artige Aussprache aller Laute, die im Schriftdeutschen mit -a- geschrieben werden (håcka ‘hacken’, song ‘sagen’, schlåffa ‘schlafen’) sowie das Vorkommen eines sehr „hellen“, palatalen a-Lautes in einem Wort wie Kaas ‘Käse’, spat ‘spät’. Dann gibt es

    Das Bairische ist kein in sich einheit-liches Gebilde. Jeder Bayer kann bestä-tigen, dass eigentlich jedes Dorf sei-nen eigenen Dialekt hat; der Fachmann könnte vielleicht an den Feinheiten erkennen, ob der Dialektsprecher aus Ampermoching oder Feldmoching, aus Frauenneuharting, aus Jakobneuharting oder Erharting herstammt. Die genaue Herkunft eines Mundartsprechers merkt man an Unterschieden in Wortschatz und Aussprache. Ein paar Beispiele15:

    Ein junges weibliches Wesen (Abb. 2) heißt in großen Teilen Oberbayerns Di-andl, in großen Teilen Niederbayerns Deandl, in der Oberpfalz Moidl, am We-strand Oberbayerns Mäla, und im Un-teren Bayerischen Wald sogar Mäsch.16

    Abb. 2: „Mädchen“ (nach dem „Deutschen Wortatlas“).Abb. 3: „Tüte“ (in einer Karte der Kommission für Mundartforschung).

    die sogenannten „bairischen Kennwör-ter“14, Dialektwörter, die nur in den bairischen Mundarten Bayerns und Ös-terreichs vorkommen und die für die-se absolut charakteristisch sind, etwa aper ‘schneefrei’, bussn ‘küssen’, es ‘ihr’, enk ‘euch’, Ertag, Irtag (Irta) ‘Dienstag’, Fürtuch (Fiada) ‘Schürze’, kemmen (kem-ma) ‘kommen’, kentn ‘zünden’, Kirch-tag (Kirta) ‘Kirchweihfest’, Kranewitt, Krofet und ähnlich ‘Wacholder’, Lacka ‘Pfütze’, Pfinztag (Pfinzta) ‘Donnerstag’, Pfoad ‘Hemd’, tenk ‘links, linkisch’ und anderes.

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    eindeutig im Bereich des Mittelbairi-schen orten.

    Innerhalb des Bairischen liegt der gan-ze Landkreis Ebersberg auch sprachlich gesehen im weiteren Einflussbereich der Landeshauptstadt. „Münchner“ Wort-verbreitungsräume, an denen der Land-kreis Anteil hat, sind etwa für die „Kröte“ – nicht Krot, Hetsch, Heppin, Broatling, wie sonst in Bayern, sondern Protz.20 (Abb. 5)

    Der „Deutsche Wortatlas“ enthält eine ganze Reihe weiterer solcher Fälle, etwa für das ‘Mutterschwein’ Lous, für die Himbeere Moiber (mit M-), für den Fassbinder Schaffler, und anderes mehr.21 Manchmal geht München zusammen mit dem S-Bahn-Bereich mit der Schrift-sprache. Rundherum sagt man für ‘ver-gangenes Jahr’ in der Mundart fert, in München aber nur vorigs Jåhr.22 In München selbst sagt man Dienstag und Donnerstag, im Umland Irta und Pfinz-ta, in München Löwenzahn, im Umland Milchdistel, Kühblume oder ähnlich.23

    Wenn es Ost-West-Gegensätze im Großraum München gibt, dann geht Frauenneuharting eindeutig mit dem Os-ten. Die ‘Heuschrecke’ etwa heißt Heu-schneider mit dem Osten, nicht Heuhupfer wie im Westen.24 Die Taufpatin heißt die Godl oder die God, nicht die Dodl wie im Westen Oberbayerns,25 die Krähe Krooch und nicht Råpp wie im Westen, ein klei-nes Kind tut foama und nicht trensn.26

    sprachemerkmal des Oberpfälzers schlechthin. Sie fragen daher spöttisch, wie man denn den Oberpfälzer zum Bellen bringen könne – man erzähle ihm: „heit gibt’s a Freibier“, und er wird fragen: wou, wou?

    Zwischen Alpen und Donau, ja an der Donau entlang bis nach Wien, werden schließlich mittelbairische Mundarten gesprochen. Das Charakteristische an den mittelbairischen Mundarten ist die sogenannte l-Vokalisierung19 (Abb. 4): Ein L nach einem Selbstlaut und manchmal auch im Schwachton wird zu einem i. Hoit, da is a Spoit. Vitriolöl. Nicht Löffl, sondern Leffi. Das betrifft eindeutig den Dialekt von Frauenneu-harting. Der Münchner behauptet von sich, er habe vui zvui Gfui (‘viel zu viel Gefühl’), in Niederbayern heißt es eher, er habe väi zväi Gfäi, und der Wiener hat vü zvü Gfüh. Wir wissen also nun, wie es sich mit den bairischen Dialekten verhält. Frauenneuharting lässt sich

    Abb. 5: „Kröte“ (nach dem „Deutschen Wortatlas“).

    Abb. 4: Vokalisierung von L (nach dem „Lexikon der germanistischen Linguistik“).

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    Man sagt für hinauf, hinunter und so weiter auffi, owi, nicht etwa nauf, no, wie im Westen von Oberbayern.27

    Es gibt sogar ein paar Wortschatzge-meinsamkeiten, die nach Niederbayern weisen. Scheuern für ‘hageln’ wäre so ein Fall.28 Manchmal weist ein altes Ebersberger Dialektwort in den Süden, in den Sprachraum der Alpen. Der Sech-ter anstatt Gejtn für den ‘Melkeimer’ wäre so ein Wort.29 Ein weiteres Bei-spiel: Man sagt im alten Dialekt für ‘uns’ ins, wie im Oberland.

    Hie oder da gibt es sogar Ebersber-ger Sonderwörter. Dazu gehört etwa für ‘wiederkäuen’ die Spielform ide-rocha, und nicht etwa hidrucka wie in Wasserburg, irdrucka wie um Mühldorf oder sogar eikuin wie im Münchner Umland.30 Der Ebersberger Raum al-lein nennt die Heidelbeere Aubeer – in München sagt man Taubeer, in Erding und Mühldorf Eiglbeer.31 (Abb. 6) Im „Sprachatlas von Oberbayern“ findet man ein paar weitere Ebersberger Son-derwörter, etwa Grüst für den ‘Bo-den über der Tenne’ und Rauhwid für ‘Reisigbündel’.32 Solche kleinräumigen Wortverbreitungen sind hier in der Mit-te Bayerns allerdings die Ausnahme. Der Ebersberger Landkreis ist insge-samt eine relativ einheitliche Dialekt-landschaft ohne viele Reliktformen und ohne starke Untergliederung.

    Was wäre noch typisch für den bai-rischen Dialekt? Zu nennen wären zum Beispiel die Lehnwörter aus dem Fran-

    zösischen, einst der Sprache des ein-heimischen Adels am Hof. Denken Sie an Voltaires Bemerkung über seinen Besuch am Hofe Friedrichs von Preußen – alles sprach Französisch, er konnte sein Deutsch gerade noch an den Pfer-deknechten ausprobieren. Das war in München seinerzeit nicht anders. Auf diese Weise gelangten viele französische Wörter aus der Sprache der besseren Leute als sogenanntes „gesunkenes Kul-turgut“ in die Mundarten. Es waren nicht Napoleons Soldaten, die diese Wörter nach Bayern brachten, wie man oft hört, sondern sie stammen aus der à-la-Mode-Epoche. Der bereits erwähn-te Wörterbuch-Macher Schmeller, der diese Wörter kannte, aber nicht für genuin bairisch hielt, nimmt sie 1827 in sein Bayerisches Wörterbuch nicht auf. Heutzutage gelten solche französischen Wörter wie Parasoi, Potschamperl oder Trottoir als urbairisch, obwohl sie kei-neswegs aufs Bairische beschränkt sind, sondern in vielen deutschen Dialekten erscheinen – auch ein Zeichen dafür, dass sie einst gemeindeutsche Geltung hatten, aber später aus der Schriftspra-che verdrängt wurden. Inzwischen hat das entlehnte Wort sein fremdes An-gesicht verloren und hört sich sehr bai-risch an. Aus dem pôt de chambre ist ein Potschamperl geworden. Diese Einpas-sungsfähigkeit haben die Oberbayern im Übrigen bis heute nicht verloren. Ein Student aus dem Landkreis München entschuldigte sich beim Verfasser für die späte Abgabe einer Arbeit damit, sein Nebenverdienst entwickle sich immer mehr zu einem Fuitäimtschopp.

    Abb. 6: „Heidelbeere“ (nach dem „Bayerischen Wörterbuch“, Bd. 2).

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    Grammatik des Bairischen

    Bis jetzt war von Aussprache und Wortschatz die Rede. Als Sprachwis-senschaftler vom Dienst darf ich Ihnen jetzt ein bisschen Grammatik nicht er-sparen. Ich wähle nur einige wenige Besonderheiten aus: Verkleinerung, die Verwendung der grammatischen Fälle, Ausdruck der Vergangenheit, und Rich-tung und Ort.

    Die Verkleinerung ist ein häufiges Mit-tel, das Bayern verwenden, um eine meist positive Einstellung zu einem Hauptwort zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist „Verkleinerung“ eigentlich die falsche Bezeichnung. Ob man im Wirts-haus eine Måß oder ein Masserl bestellt: Die Biermenge ist die gleiche, anders ist nur die Einstellung dazu. Über alle Dialekte in Bayern hinweg findet man vier verschiedene Wege, Wörter zu ver-kleinern. Im einzelnen Ortsdialekt al-lerdings wird eine Auswahl aus den insgesamt gegebenen Möglichkeiten ge-troffen, nicht alle Verkleinerungsformen kommen überall vor. Aber die Grund-regeln lauten: (1) je länger die Ver-kleinerungsendung, umso kleiner oder niedlicher das Bezeichnete. A bisserl ist weniger als a bissl. Und (2) je weni-ger das Grundwort abgewandelt wird, umso niedlicher: a Koobverl hat ein süßes kleines Kind, a Kepfi (mit Veränderung des Wortstammes aus Koobv) kann ein ausgewachsener Lausbua haben.33

    Das Prinzip Verkleinerung gilt im Bairi-schen nicht nur für Hauptwörter; machln (‘basteln’) ist eine niedliche Art, etwas

    man sich vorstellen, dass der Dialekt also leichter zu lernen ist als die viel kompliziertere Schriftsprache. Und zum Teil stimmt das schon. Aber er hat auch seine Tücken. Die möchte ich kurz am Beispiel der Ortsbestimmungen veran-schaulichen. Hier ein Gedicht von Josef Berlinger in der Mundart des Bayeri-schen Waldes:34

    Zeasd bin e owena int ummeeant virevoan affeom hintrehint einedrin oneom aussedraussd oweund int wieda affa.Wos moisdwäi mäid daß i äitz bin!

    Josef Berlinger

    Der Wanderer in Berlingers Mundart-gedicht hat sich seinen Raum gewisser-maßen selbst, mit Worten gliedernd, erschaffen. Die Richtungsadverbien, die kleinen Wörter owe, imme, vire, affe, zeichnen eine Landkarte der Wande-rung. Die Endung -e in affe und so weiter zeigt an, dass die Bewegung vom Spre-cher weg geht: affe etwa bedeutet ‘hin-auf’. In der allerletzten Zeile kommt der Wanderer zum Ausgangspunkt zurück, da erscheint eine andere Endung: affa, ‘herauf’. Das Bairische hat diesen Trick gewissermaßen zur höchsten Vollen-

    dung weiterentwickelt. Der Bayer weiß schon sprachlich gleich, ob er geht oder steht sowie genau wo, und ebenso wo es hingeht. In der Kürze der Zeit kann ich nur eine Besonderheit ansprechen.

    Die Perspektivenwahl, die Entschei-dung für hin oder her, ist obligatorisch; und sie fördert zuweilen tiefschürfende Einsichten an den Tag. Bei Speisen etwa sagt man: oweschlingen, oweschlucka. Des Bier is mer grad so owegrunna, heißt es ja. Wie kann „in mich hinein“ ein Sonder-fall von hin – von „von mir weg“ sein? Weil die Augen der Mittelpunkt des erlebenden Ich sind, wie Elvira Glaser gemeint hat.35 Warum heißt es in der Regel, jemand sei die Stiang owigfoin, auch wenn man unten steht und er auf einen zu fiel? Weil man sich quasi mitfühlend in den Stürzenden hinein-versetzt, wodurch der Ausgangspunkt seines Sturzes ausschlaggebend für die Wortwahl wird. Das Fernrohr heißt ja im Volksmund auch scherzhaft Zua-weziager „Zuhinzieher“, obwohl es im konkreten Einzelfall das Betrachtete zu mir HER zieht. Das nur zur Veranschau-lichung, dass das Bairische – wie jede Sprache – nicht immer so einfach ist.

    Der Dialekt von Frauenneuharting ist also ein typischer Vertreter der mittel-bairischen Mundarten, wie sie im Frei-staat gesprochen werden. Neben vielen allgemein mittelbairischen Wörtern und Lautungen hat er ein paar Besonderhei-ten, die den Sprecher sofort als Frauen-neuhartinger auszeichnen. Lange möge der Dialekt noch weiterleben!

    zu machen, schnaiwerln tuats, wenn es nur leicht schneit. Auwehala! schreit der Regensburger, wenn es nicht gar so arg wehtut, aber schon ein bisschen.

    Soviel zur Verkleinerung; jetzt zu den vier Fällen. Hier muss gleich festgehal-ten werden, dass es im Dialekt höchs-tens drei Fälle sind. Den Genitiv kann man gleich vergessen. Der Altbayer kennt so etwas nicht. Der Genitiv steht im Schriftdeutschen vor allem als Anzei-ger für Besitzverhältnisse im weitesten Sinne, das wird possessiver Genitiv ge-nannt, und fürs Bairische gilt schon lan-ge der Spruch, dass der Dativ dem Geni-tiv sein Tod war. Das Bairische hat den possessiven Dativ: nicht Pappas Auto, sondern am Pappa sei Auto, nicht Marias Wohnung sondern der Mari ihre Wohnung. Eine weitere Besonderheit finden wir im bekannten Münchner Spruch: Eahm schaug o! (auch Titel eines Buchs von Sigi Sommer). Warum sagt man eahm schaug o! ? – ich schaue doch ihn an, nicht ihm. Aber im Bairischen macht man da bei männlichen Substantiven keinen Unterschied zwischen den und dem, ihn und ihm. Dativ und Akkusativ sind zusammengefallen.

    Auch sonst gerät man in der Gram-matik schnell ins Aufzählen dessen, was der Dialekt nicht hat. In der Mehrzahl-beugung fehlt die besondere Dativen-dung: mit die Leut, nicht mit den Leuten. Beim Tätigkeitswort fehlt die einfache Vergangenheit. Nicht: ich kam, ich sah, ich siegte, sondern i bin kemma, håb’s gsehng und håb gsiegt. Alles in allem könnte

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    Anmerkungen1 Bayerisches Wörterbuch, hg. von der Kommission für

    Mundartforschung, Bd. 1 ff., München 1995 ff., hier Bd. 1, Sp. 689, Wortartikel „auf“.

    2 Schirmunski, Viktor M.: Deutsche Mundartkunde. 2. Aufl,. hrsg. und kommentiert von Larissa Naiditsch, Frankfurt am Main 2010.

    3 Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit (1811-1833), Kapitel 6 (in der Reclam-Ausgabe, Ditzingen 1993, S. 269).

    4 Schmeller, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch, 2., von Georg Karl Frommann bearb. Aufl., Bde. 1-2, München 1872-1877.

    5 Zitiert nach der Edition von Rockinger, Ludwig: An der Wiege der bayerischen Mundart-Grammatik und des baye-rischen Wörterbuches, neu hg. von Robert Hinderling, Aalen 1985, S. 75.

    6 Siehe Kranzmayer, Eberhard: Die Namen der Wochentage in den Mundarten von Bayern und Österreich, Wien – München 1929.

    7 Siehe Bammesberger, Alfred: Von Glocken und Grüßen und Glaubensboten aus Irland, in: Sammer, Marianne (Hg.): Leitmotive. Festschrift für Dietz-Rüdiger Moser, Kallmünz 1999, S. 161-175.

    8 Prasch, Johann Ludwig: Glossarium Bavaricum, in seiner Dissertatio altera. De Origine Germanica Latinae Linguae [...], Regensburg 1689, S. 16-26.

    9 Ruf, Paul (Hg.): Johann Andreas Schmeller. Tagebücher 1801-1852, Bde. 1-3, München 1954-1957, hier Bd. 1, S. 232.

    10 König, Werner / Renn, Manfred: Kleiner bayerischer Sprachatlas, 3. Aufl., München 2009.

    11 Bayerisches Wörterbuch (wie Anm. 1).12 Nach: Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die

    Brüder Grimm. In der Edition der Insel Verlages, Marburg an der Lahn 1974, Bd. 2, S. 276-280, hier S. 279-280.

    13 Im alttestamentarischen Buch der Richter, Kapitel 12, wird erzählt, wie die vom Kriegsglück verwöhnten Gileaditer an einer Jordanfurt die besiegten Ephraimiten von ihren eigenen Soldaten unterscheiden konnten. Da musste jeder einzelne, der durchs Wasser kam, das Wort für ‘Fluss’ aussprechen (hebr. Schibboleth); im Dialekt der Ephraimiten wurde das Wort Sibboleth ausgesprochen (die hätten auf deutsch wahrscheinlich von s-pitzen S-teinen ges-prochen). Diese Sprachprüfung kostete 42.000 Ephraimiten das Leben, und seit der Zeit benutzt man das Wort Schibboleth für verräte-rische Spracheigenschaften einer bestimmten Landschaft.

    14 Siehe Kranzmayer, Eberhard: Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte, Wien 1960.

    15 Die Karten des Deutschen Wortatlasses (Mitzka, Walther / u. a. (Hg.): Deutscher Wortatlas, Bde. 1-21, Gießen 1951-87),

    die hier als Grundlage dienen, stammen aus den 1930er Jahren. Seit es die S-Bahn gibt, mag sich das eine oder andere Ausbreitungsbild etwas geändert haben.

    16 Siehe Deutscher Wortatlas (wie Anm. 15), Bd 4, Karte 16.17 Materialien der Kommission für Mundartforschung,

    München.18 Siehe Wrede, Ferdinand / u. a. (Hg.): Deutscher Sprachatlas,

    Marburg an der Lahn 1927-56, Karte 8.19 Siehe Althaus, Hans Peter / u.a. (Hg.): Lexikon der germa-

    nistischen Linguistik, 3. Aufl., Tübingen 1997, S. 490.20 Siehe Mitzka (wie Anm. 15), Bd. 4, Karte 13.21 Siehe ebenda, Bd. 17, Karte 3, Bd. 10, Karte 5, Bd. 9, Karte

    1.22 Siehe ebenda, Bd. 16, Karte 7.23 Siehe Sprachatlas von Oberbayern, Bde. 1-6, Heidelberg

    2008-2012, hier Bd. 5, Karte 127.24 Siehe Mitzka (wie Anm. 15), Bd. 4, Karte 9.25 Siehe ebenda, Karte 20.26 Siehe Sprachatlas von Oberbayern (wie Anm. 23), Bd. 5,

    Karte 55, Bd. 6, Karte 49.27 Siehe Hinderling, Robert: Die Richtungsadverbien im

    Bairischen und Alemannischen, in: Rowley, Anthony (Hg.): Sprachliche Orientierung, Bd. 1, Bayreuth 1980, S. 249-296, hier vor allem S. 251.

    28 Material der Kommission für Mundartforschung und Mitzka (wie Anm. 15), Bd. 5, Karte 3.

    29 Siehe Sprachatlas von Oberbayern (wie Anm. 23), Bd. 5, Karte 27.

    30 Mitzka (wie Anm. 15), Bd. 11, Karte 14.31 Bayerisches Wörterbuch (wie Anm. 1), Bd. 2, Sp. 65-66.32 Siehe Sprachatlas von Oberbayern (wie Anm. 23), Bd. 5,

    Karten 8 u. 77.33 Siehe Rowley, Anthony: Diminution und Natürlichkeit. Zu

    den Verkleinerungsformen in den Dialekten Nordostbayerns, in: Weiss, Andreas (Hg.): Dialekte im Wandel. Referate der 4. Tagung zur bayerisch-österreichischen Dialektologie, Göppingen 1992, S. 202-208.

    34 Aus Eichenseer, Adolf (Hg.): Zammglaabt. Oberpfälzer Mundartdichtung heute, Regensburg 1977, S. 148.

    35 Siehe Glaser, Elvira: Probleme der Sprecherperspektive bairischer Richtungsadverbien, in: Weiss, Andreas (Hg.): Dialekte im Wandel, Göppingen 1992, S. 209-225.

    AbbildungsnachweisProf. Dr. Anthony R. Rowley, München: Abb. 1-6.

    Plienings urkundliche Ersterwähnung

    Im Januar 813 tritt Pliening in das Licht der Geschichte, in einer Urkunde, die in den Freisinger Traditionen, einer Sammlung von Urkunden des Bistums Freising, erhalten ist. Theodor Bitterauf, in dessen Ausgabe der Freisinger Tradi-tionen diese Urkunde als Nummer 305 gedruckt ist, gibt als Tag den 19. Januar an.2 Der lateinische Urkundentext sagt: „in idus ian[uarii]“, an den Januariden. Die Iden bezeichnen die Monatsmitte und sind in manchen Monaten am 15., an anderen am 13. des Monats. Der Januar gehört zu den Monaten, in denen die Iden auf den 13. fallen. Dem Herausgeber ist also ein Fehler unterlau-fen. Die Gemeinde Pliening hat sich mit Recht nicht von der falschen Datierung beirren lassen und ihre Gedenkfeier auf den richtigen Tag, den 13. Januar 2013, angesetzt. Das Jahr 813 ergibt sich aus der Angabe: im 13. Jahr des ruhmvolls-ten erhabenen Kaisers Karl. Karl der Große wurde Weihnachten 800 zum Kaiser gekrönt.

    An diesem 13. Januar 813 fand nach dem Bericht der Urkunde die Weihe

    Pliening im frühen Mittelalter∗

    Gottfried Mayr

    einer Kirche durch den Freisinger Bi-schof Hitto statt, allerdings lag die Kirche nicht „in“, sondern „bei Pliening“ („iuxta Pleoningas“), wie die Urkunde sagt. Wir erhalten auch Nachrichten zur Vorgeschichte der Weihe. Ein Pries-ter mit dem Namen Cundhart erwarb ein Grundstück bei Pliening und baute dort mit Erlaubnis des Bischofs eine Kirche, das heißt in Absprache mit dem Bischof, auf den er wegen der Weihe angewiesen war. Möglicherweise hatte er noch mit Bischof Atto verhandelt, mit Hittos Vorgänger, denn Hitto war erst seit etwa einem Jahr im Amt. Als die Kirche fertiggestellt war, lud Cundhart Bischof Hitto ein, die Kirche zu wei-hen. Bei der Weihe übergab Cundhart seine Kirche an den Bischof mit dem, was er in Pliening erworben hatte, also mit der Besitzausstattung der Kirche, allerdings unter der Bedingung, dass er bis zu seinem Lebensende Herr dieser Kirche blieb. Nach Cundharts Überga-be kam einer seiner Neffen mit Namen Liuthram herbei und übergab ebenfalls Besitz an Bischof Hitto. Im Gegensatz zu seinem Onkel handelte es sich bei ihm um Erbbesitz, seinen Anteil am Erbe, der ihm nach der Teilung mit seinen Brüdern zugefallen war. Cundhart und Liuthram

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    der Erbanteil ihres Bruders, bei dem als Geistlichem keine Erben zu erwarten wa-ren, mit der Kirche letztlich an Freising kommen würde – sie wollten ihn wohl selber haben.

    Nicht ohne Grund ließ Bischof Hitto seinen Schreiber ausdrücklich festhalten, dass die Teilung rechtmäßig erfolgt war, die Brüder also keinen Anspruch auf Liuthrams Besitz erheben konnten. Auch die Kirche von Landsham kommt nicht in Frage, obwohl Landsham offensicht-lich in der Gemarkung Pliening angelegt wurde und um 800 sicher „bei Pliening“ lag; denn die Landshamer Kirche wurde zur Zeit des Bischofs Nitker gegründet,7 der von 1039 bis 1053 im Amt war. Die Kirche der Ausbausiedlung Landsham, und nicht die Kirche der Ursiedlung Plie-ning, wurde zum Mittelpunkt einer gro-ßen Pfarrei. Das Verzeichnis der Pfarrkir-chen mit ihren Filialen, also die Matrikel, von 1315 nennt sieben Kirchen, die zur Pfarrkirche Landsham gehörten: Moos-pliening, Kirchpliening, Schwaben, Neu-farn, Ottersberg, Parsdorf und Grub; die Sunderdorfer- Matrikel von 1524 nennt wieder sieben Kirchen, die zu Lands-ham gehörten: Schwaben, Neufarn, Parsdorf, Grub, Ottersberg und Heilig Kreuz in Kirchpliening; dazu kommt jetzt die Marienkirche von Gelting, während Moospliening nicht erwähnt ist.8 In der Matrikel von 1740 ist Schwaben der Pfarrsitz und Landsham Filialkirche ne-ben Gelting, Grub, Parsdorf, Neufarn und Ottersberg; ein Kirchpliening gibt es nicht mehr, nur noch Pliening.9 Die Zahl der Kirchen ist aber immer noch die

    Liuthram ihren Besitz zu „Perke“ überga-ben, hieß der zweite Zeuge Haholf, der dritte Reginpald. Diese beiden Männer waren aber auch mit dabei, als Hahmunt seine Kirche in Berg mit ihrer Besitzaus-stattung an Freising gab.5 „Perke“ muss eine beachtliche Siedlung mit mehreren Grundherrn gewesen sein: Cundhart er-warb dort Besitz, Liuthram teilte dort Besitz mit den Brüdern und Hahmunt baute dort eine Kirche und konnte sie mit Grundbesitz ausstatten. Von der Größenordnung her dürfte also am ehes-ten Berg am Laim mit dem „Perke“ von 812/813 zu identifizieren sein.

    Die Großgemarkung Pliening und ihre Orte

    Wir kommen zurück zur Kirche des

    Cundhart, die bei Pliening erbaut wur-de. Dass es sich nicht um einen Vor-gängerbau der heutigen Plieninger Hei-lig-Kreuz-Kirche handelte, steht fest. Walter Sage konnte 1978 hier eine Kirche nachweisen, die allenfalls ins 10. oder eher ins 11. Jahrhundert zu datieren war, dabei aber eine ältere Vorgängerin ausschließen.6 Warum stellten Liuthrams Brüder dem Priester Cundhart, der ja auch ihr Onkel war, keinen Grundbesitz im heutigen Pliening zur Verfügung, das offensichtlich damals schon das Zent-rum der Gemarkung war. Warum musste er zur Kirchengründung ein Grundstück in der Nähe kaufen. Man kann vermu-ten, dass die Brüder an einer Kirche deswegen nicht interessiert waren, weil sie mit Recht davon ausgingen, dass

    nicht um Personen gehandelt haben, die nichts miteinander zu tun hatten: mit Sicherheit waren Suuidhart, seine Mutter Kerlind und der Neffe Atto mit Cundhart und Liuthram verwandt. Bemerkenswert ist, dass es sich bei der Entgegennahme der zwei Schenkungen am 23. April 812 um die erste bekannte Amtshandlung Bischof Hittos handelte. Hitto trat dabei mit einem großen Gefolge an Geistlich-keit auf, mit einer Schar von Mönchen und Priestern, Diakonen und Klerikern, von denen sechzehn mit Namen genannt sind, darüber hinaus waren zahllose an-dere anwesend, wie die Urkunde sagt. Es handelte sich ohne Zweifel um den Ausdruck einer besonderen Wertschät-zung für die Grundherrensippe von An-zing, Berg und Pliening, die ihrerseits die erste Sippe war, die Bischof Hitto mit Schenkungen bedachte. Man kann auch überlegen, warum Cundhart und Liut-hram die Kirche, die der Versorgung des Diakons dienen sollte, nicht in Berg am Laim bauten, wo sie genauso begütert waren wie in Pliening. Der Grund war sicher, dass in Berg bereits eine Kirche geplant war. Am 20. Januar 813 – also genau eine Woche nach der Weihe der Kirche bei Pliening – weihte Hitto die nächste Kirche, und zwar eben in Berg. Dort hatte ein Hahmunt mit Erlaubnis Bischof Attos eine Kirche errichtet; aber Bischof Atto kam nicht mehr dazu, die Kirche zu weihen. Er starb vorher und so kam Hitto zur Kirchweihe. Es sind Zeu-gen, die es als sicher erscheinen lassen, dass das Berg des Cundhart und Liut-hram jenes Berg war, in dem Hahmunt seine Kirche errichtete: als Cundhart und

    traten bereits ein Dreivierteljahr vorher, am 23. April 812, gemeinsam auf: sie übergaben Besitz in einem Ort „Berg“, bei dem es sich wohl um Berg am Laim handelt.3 Wir haben die gleichen Besitz-verhältnisse wie in Pliening. Cundhart übergab erworbenen Besitz, Liuthram Erbbesitz, wieder seinen Anteil nach der Teilung mit den Brüdern. Die Urkunde von 812 enthält eine Angabe, die die Plieninger Urkunde nicht enthält: näm-lich dass Liuthram ebenfalls Geistlicher war, und zwar Diakon. Die Schenkung in jenem „Perke“ wurde im Dom zu Freising vorgenommen, auch wenn es die Ur-kunde nicht sagt. Es ist aber sicher, weil am gleichen Tag eine weitere Schenkung vorgenommen wurde: ein Diakon mit dem Namen Suuidhart übergab Erbbe-sitz in Anzing, den er von seiner Mutter Kerlind erhalten hatte.4 Auch hier war ein Neffe im Spiel; er hieß Atto. Er sollte den Anzinger Besitz nach Suuidharts Tod zu Lehen bekommen. Suuidharts Urkunde sagt ausdrücklich, dass die fei-erliche Besitzübergabe in der Kirche der heiligen Maria in Freising stattfand. Für die Anzing betreffende Schenkung traten ausnahmslos die gleichen Zeugen auf wie für Cundhart und Liuthram mit ihrer Schenkung zu Berg. Also waren auch der Priester Cundhart und der Diakon Liu-thram am 23. April 812 in Freising und konnten dort ihre Pläne mit dem Bischof abstimmen. Offensichtlich war die neue Kirche in Pliening für den Diakon ge-dacht. Wenn eine Gruppe von Männern nach Freising kam, um Zeugenhilfe für zwei verschiedene Schenkungen zu leis-ten, dann kann es sich bei den Schenkern

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    Frage, wo sich die große Zahl der adeli-gen Teilnehmer, die „multitudo nobilium hominum“, versammelte – sicher nicht im Haus oder auf dem Grundstück eines privaten Grundherrn, der sich kaum sei-ne Wiesen hätte zertreten lassen. Solche Versammlungen fanden auf öffentlichem Boden statt, auf fiskalischem Boden, auf einem Gelände, das der königlichen Güterverwaltung unterstand. Die Ver-sammlung von 815 lässt den Schluss zu, dass es in Pliening Königsgut gab. Wir kommen zurück zur Schenkung des Pries-ters Cundhart; sie erfolgte an den Iden des Januars 813. Die Iden waren der von der Lex Baiuwariorum vorgeschriebene Termin für die Gerichtstage; Cundhart setzte seinen Festtag mit der Kirchweihe auf den Tag des öffentlichen Gerichts an. Noch um 1150 erscheint Pliening als Ort eines „placitum“, eines Gerichtstages.21

    Leider können wir zur Familie der Geistlichen Cundhart und Liuthram kei-ne näheren Aussagen machen; es wäre anders, wenn die Urkunden die Namen der Brüder des Liuthram nennen würden.

    Der Plieninger Raum in der Zeit des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter

    Die Erstnennung von 813 bedeutet natürlich nicht, dass damit die Besied-lung einsetzt; diese ist in allen Kultur-epochen seit der Jungsteinzeit nachweis-bar. Von besonderer Bedeutung sind zwei kleine Gräberfelder mit insgesamt 13 Körpergräbern, die 2006 in Lands-

    würdige Bischof Hitto und der ehrwürdi-ge Graf Ellanpert in die Großgemarkung Pliening kamen und dort eine große Zahl adeliger Menschen versammelt war, kam der erlauchte Mann Folcrat persönlich dorthin und übergab in die Reliquien-kapsel beziehungsweise in die Hände des Bischofs sein Eigengut in Glonnbercha (LK Dachau) mit Ausnahme von 15 Äckern für das Heil seiner Seele an das Haus der heiligen Gottesmutter Maria in der Burg Freising“. „Großgemarkung Pliening“ ist die Übersetzung für „pagus Pleoninga“ im lateinischen Urkunden-text. „Pagus“ kann Gau bedeuten, aber eben auch ohne weiteren rechtlichen Sinn eine Großgemarkung bezeichnen. Der „erlauchte Mann Folcrat“ ist Über-setzung für „illuster vir Folcrat“. „Vir illuster“ ist der höchste Rangtitel dieser Zeit: „viri illustres“ waren die karolingi-schen Könige; Tassilo nannte sich „dux Baiuwariorum vir illuster“, „der erlauchte Herzog der Bayern“. Ein „vir illuster“ war ein Angehöriger der obersten Ge-sellschaftsschicht. Warum dieser Mann gerade nach Pliening kam, wissen wir nicht; auf jeden Fall wurde dort eine gro-ße Versammlung mit Bischof und Graf abgehalten. Diese Versammlung war ein öffentlicher Gerichtstag, ein Thing, ein „mallum publicum“. Dies geht eindeutig daraus hervor, dass an der Spitze der Zeugenreihe der Richter Rumolt steht, der – wie bei vielen anderen Rechtsge-schäften – als Amtsperson anwesend war. Graf und Richter hatten nach dem Gesetzbuch der Bayern, der Lex Baiu-wariorum, gemeinsam die Gerichtsver-sammlung zu leiten. Nun stellt man die

    es nach der Lage am Moos, dem jet-zigen Landshamer Moos, das schon im 14. Jahrhundert als „Nanshaimer Mos“ begegnet.19 Dass das Moos von Moospliening zum Landshamer Moos wurde, spricht für die schon geäußerte Annahme, dass Landsham in der Groß-gemarkung Pliening angelegt wurde, ebenso wie auch der Schmalzmaier, nach dem Amtlichen Ortsverzeichnis von 1978 eine Einöde. Kirchpliening wurde zu einem Teil des heutigen Gel-ting; der Name ist bestimmt von der Kirche, die schon existierte, als Moos-pliening seine Kirche bekam. Die Kirche des Cundhart, die am 13. Januar 813 geweiht wurde, ist der Erstbau der Ma-rienkirche von Gelting. Schon die Ur-kunde von 813 bringt zum Ausdruck, dass diese Kirche nicht in dem als Kern empfundenen Teil der Großgemarkung Pliening erbaut wurde, sondern „bei Pliening“. Das ursprüngliche Gelting, der nördliche Ortsteil, behielt als Un-tergelting ein gewisses Sonderbewusst-sein. Die bemerkenswerte Entwicklung, dass die Großgemarkung Pliening zer-fiel und ein Teil davon mit „Gelting“ einen eigenen Ortsnamen erhielt, war der Anlass zu einer eigenen Unter-suchung, in der Parallelen zur Ent-wicklung Pliening – Gelting aufgezeigt werden. Diese Untersuchung ist im Anschluss an den vorliegenden Beitrag zu Pliening abgedruckt.

    Wir kommen zur zweiten urkundlichen Nennung von Pliening, wieder aus den Freisinger Traditionen.20 Hier heißt es zum 24. September 815: „Als der ehr-

    gleiche. Die Matrikeln legen zunächst nahe, dass Moospliening zu Gelting wurde und Kirchpliening zu Pliening. Es lässt sich aber zeigen, dass die Angabe von 1524 falsch ist und dass die Kirche von Kirchpliening zur Geltinger Kirche wurde. Die Benennungen „Moosplie-ning“ und „Kirchpliening“ wurden von der Bevölkerung nicht beliebig verwen-det, sondern genau unterschieden, wie zum Beispiel 1390, als Chunrat Smid von Kirchpliening zwei Huben zu Moospliening verkaufte.10 1303 ver-lieh das Domkapitel Freising Albrecht dem Nans hamer (= von Landsham) eine Hofstatt zu Kirchpliening.11 Es han-delte sich dabei um den Zehetmay-rhof in Gelting – in Pliening besaß das Domkapitel nur eine Sölde.12 1393 verkaufte Ulrich der Nannsheimer Sitz und Sedel mit Zubehör zu Moospli-ening;13 nach einigen Zwischenbesitzern kaufte der Abt von Rott 1404 diesen Besitz;14 Rott war der größte Grundherr in Pliening, hatte aber in Gelting kei-nen Besitz.15 Das Kloster Beyharting be-saß in Plie ning die Wiedenbauerhube; am 11. Dezember 1775 war bei einer Über gabeverhandlung die Rede vom Wimbauernhof zu Moosplie ning.16 Im späteren 18. Jahrhundert wurde nicht nur die Bezeichnung Moospliening noch verwendet, sondern auch Kirchpliening. 1778 vergab die Reichsgrafschaft Haag den lehenbaren Schmalzmaierhof zu Kirchpliening;17 dieser Hof gehörte zur Hauptmannschaft Gelting.18

    Es gibt keinen Zweifel: Moospliening ist das heutige Pliening; benannt ist

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    Wie kam es nun zum Ersatz des römi-schen Ortsnamenbildes durch ein ger-manisches? Die römische Staatsmacht wurde in der Endphase des Römerreiches immer schwächer. Die Hauptstadt selber war nicht mehr sicher: 410 konnten die Westgoten Rom einnehmen und plün-dern, 476 wurde der letzte weströmische Kaiser Romulus Augustulus von einem Germanenfürsten, dem Skiren Odoa-kar, abgesetzt. Odoakar wollte indes nicht den römischen Staat als solchen beseitigen; für ihn lebte vielmehr die römische Staatlichkeit weiter. Das gilt noch verstärkt für seinen Nachfolger, den Ostgotenkönig Theoderich. Auch er beanspruchte das Recht auf Herr-schaft im Voralpenland im Rahmen rö-mischer Staatlichkeit. Seine Verwaltung sprach weiter von den Provinzen Rätien und Norikum, sie nannte die dortige Bevölkerung weiterhin Provinziale, das heißt Provinzbevölkerung, und er hatte in Augsburg noch einen Statthalter. Wenn Theoderich auch spätantike Herrschafts-tradition weiterführen wollte, so vollzog sich doch im Voralpenland in Bezug auf die Bevölkerung jene tiefgreifende Veränderung, die sich in den Ortsnamen zeigt. Die Römer waren, wie schon fest-gestellt, aus dem flachen Land weitge-hend verschwunden, aber das Land war kultiviert und von einem guten Straßen-system durchzogen. Es war attraktiv und blieb nicht menschenleer. Zwar gab es nicht die Einwanderung eines geschlos-senen, fest gefügten Stammes, wohl aber kam es zum Einsickern germanischer Gruppen. Während die Landnahme ei-nes Großstammes mit eigener Identität

    nicht romanische Ortsnamen prägen das Ortsnamenbild im Voralpenland bis heu-te. Sie sind Zeugnisse eines tiefgreifenden Wandels, vergleichbar dem Wandel vom keltischen zum römischen Erscheinungs-bild. Die germanischen Ortsnamen sind nicht nur Zeugnisse für eine umfassen-de germanische Landnahme, sondern auch für den Landesausbau. Cornelia Baumann stellt in ihrem Band „Altland-kreis Erding“ des Historischen Ortsna-menbuches von Bayern mit Recht fest: „Die älteste Ortsnamengruppe stellen die Ortsnamen mit -ing-Suffix dar, bei denen der zugrunde liegende Perso-nenname eine sehr alte Form aufweist, oder in der schriftlichen Überlieferung überhaupt nicht mehr aufscheint. Das -ing-Suffix mit seiner ursprünglichen Be-deutung ‚bei den Leuten des …‘ stellte primär keine geographische Festlegung dar, sondern weist vielmehr auf die Zu-gehörigkeit zu einem Personenverband hin“.27 Mit der Sesshaftwerdung eines Personenverbandes wurde der Name des Verbandes geradezu zwangsläufig zum Namen einer Ansiedlung. Ein schö-nes Beispiel für die Entwicklung des Namens eines Personenverbandes zu einem Siedlungsnamen ist „Feringa“. 750 bezeichnet „Feringa“ einen Per-sonenverband, eine „genealogia“, die mit der „genealogia“ der Fagana einer Schenkung zu Erching zustimmt;28 807 ist anlässlich eines Gerichtstages von der „Siedlung, die Feringa [=Föhring] heißt“, die Rede.29 Die Fagana gehörten zu den fünf in der Lex Baiuwariorum be-sonders herausgehobenen Genealogien, die Feringa nicht.

    lungen sollte dem Sicherheitsbedürfnis dienen. Bezeichnenderweise wissen wir den römischen Namen der Siedlung von Landsham nicht: er ist mit den dama-ligen Bewohnern verschwunden. Karl Puchners Ortsnamenbuch für den Land-kreis Ebersberg behandelt 434 Namen, von denen er die Flussnamen Attel und Glonn für vorrömisch hält. Flussnamen belegen aber keine Siedlungskontinuität, auch die Ortsnamen Attel im Land-kreis Rosenheim und Glonn im Landkreis Ebersberg sind keine Zeugnisse dafür, dass die nach den Flussnamen benann-ten Siedlungen aus der Römerzeit über-lebt hätten. „Etwaige Römerspuren in Ortsnamen“ findet Puchner24 in (Ober-, Unter-)Laufing, das wohl auf einen ro-manischen Lupus zurückgehe,25 und in Sensau, das vielleicht zu einem keltischen Senatus, Sinatus gehöre.26 Aber: Laufing und Sensau sind Mischnamen, das heißt Verbindungen von romanischen Perso-nennamen mit germanischen Suffixen, sind also erst im Mittelalter gebildete Ortsnamen wie zum Beispiel auch Ir-schenberg, der Berg eines Ursus, oder Maxlrain, der Rain eines Maximin, bei Bad Aibling. Sie zeigen, dass es im früh-mittelalterlichen Bayern Romanen gab, die keineswegs entrechtet oder verarmt waren, sondern zur Schicht der den Sied-lungsausbau tragenden Grundherrn ge-hörten. Siedlungsnamen, die Kontinuität in die Römerzeit belegen, sind sie nicht. Echte romanische Namen wie Pfunzen bei Rosenheim, Laus im Landkreis Rosen-heim oder Valley im Landkreis Miesbach sind im Flachland große Ausnahmen. Ortsnamen germanischer Herkunft und

    ham geborgen und wissenschaftlich do-kumentiert wurden; sie stammen aus dem 4./5. Jahrhundert und belegen eine spätrömische Ansiedlung in der Nähe, denn auch damals wurden die Gräber so angelegt, dass sie für die Menschen leicht zu besuchen waren. Diese Sied-lung wurde aber noch nicht gefunden.22 Zeitlich schließt sich ein merowinger-zeitlicher Friedhof in Pliening an, der von etwa 500 bis 700 belegt wurde.23 Auf ihn werden wir noch zurückkom-men. Er schließt sich nur zeitlich an, denn die beiden Gräberfelder trennt eine geschichtliche Umwälzung, die von grundlegender Bedeutung war.

    Nach der Eroberung des Voralpen-landes 15 vor Christus durch die Römer wurde das eroberte Gebiet in den Provin-zen Norikum östlich und Rätien westlich des Inns organisiert. Das Land bekam ein neues, römisches Gesicht. Mit der Ruhe, der Sicherheit und dem Wohlstand Rä-tiens ging es aber seit dem dritten Jahr-hundert bergab, wenn es auch zwischen den verschiedenen Einfällen und Plünde-rungszügen germanischer Gruppen im-mer wieder Phasen der Konsolidierung gab, die aber die kontinuierliche Ab-wärtsentwicklung nicht wirklich stoppen konnten. Seuchen und die allgemeinen Wirtschaftsprobleme des spätantiken Staates verschärften die Lage. Die Folge war ein starker Bevölkerungsrückgang, der besonders das flache Land betraf. Spätantike Siedlungen wie in Landsham waren hier selten, wesentlich häufiger waren sie im Gebirge, das Schutz bot. Auch die Anlage befestigter Höhensied-

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    den alemannischen Trägern dieses Na-mens in Verbindung zu bringen ist. Das Argument dafür, dass die Übereinstim-mung von Plieningen und Pliening kein Zufall ist, liegt in Plienings östlichem Nachbarort Schwaben. Zunächst muss man darauf hinweisen, dass in früh-mittelalterlichen Quellen Schwaben und Alemannen gleichgesetzt werden.34 Karl Puchner erwägt im Ortsnamenbuch als Deutung entweder „Siedlung bei den Schwaben, also bei den Angehörigen des Schwabenstammes“ oder, was er für wahrscheinlicher hält, „bei den Leuten namens Schwab“.35 Von seiner Lage her gehört Schwaben zu den frühmittelalter-lichen Altsiedlungen. Dass in dieser Zeit so viele Leute mit dem Namen Schwab zusammen auftraten, dass sie der Sied-lung den Namen hätten aufdrücken kön-nen, erscheint ganz unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich ist auch, dass ein Herr mit dem Namen Schwab = „Suapo“ der Siedlung den Namen gab; der Ortsna-me müsste dann Schwabing = „Suapin-ga“ heißen. Damit kann der Ortsname Schwaben als Zeugnis für frühen aleman-nischen Zuzug angesehen werden. Aller-dings müssen wir die von einem Pleon geführte Ansiedlung in Pliening weit vor der von Jänichen angenommenen Wirk-samkeit der Pleonungen im Neckargau ansetzen, in der Zeit des Theoderich, des Einsickerns germanischer Gruppen in die formal immer noch existierende römi-sche Provinz Rätien. Dies passt genau zusammen mit dem schon erwähnten Reihengräberfeld in Pliening, das 1972 untersucht wurde. Erfasst wurden 153 Gräber. Die Belegung setzt um 500 nach

    Bayern außer Verwendung gekommen, nicht aber in Alemannien. Dort spielt er, ebenso wie die Ableitungen Pleonunc und Pleonswind, eine wichtige Rolle. Südlich von Cannstatt, einem alemanni-schen Kernort, wo 746 ein letzter schwä-bischer Aufstand von den karolingischen Hausmeiern hart bestraft wurde, an einem Ende des Neckargaus, gibt es den Ort Plieningen, von der Entstehung seines Namens her absolut gleich mit Pliening, und am anderen Ende einen „pagus Pleonungotal“. Hans Jänichen, der den frühmittelalterlichen Neckargau untersucht hat, stellte fest, dass „der ganze Neckargau durch ein Band von Pleon-Namen umgürtet ist“.32 Die Träger der Pleon-Namen gehörten gesellschaft-lich zur obersten Schicht. Nach Jänichen kommen Pleon-Namen „nie in Leibeige-nenlisten vor, obwohl bei den meisten anderen deutschen Personennamen kein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Namen der Freien und denen der Unfreien besteht. Soweit die Namens-träger sich näher fassen lassen, gehören sie herzoglichen oder gräflichen Fami-lien an, oder sie haben großen Besitz und zählen deshalb zu den führenden Geschlechtern. Auch ein Bischof Pleon gehört aller Wahrscheinlichkeit nach zur karolingischen Reichsaristokratie“.33 Jä-nichen glaubt, dass das Geschlecht der Pleonungen zwischen 650 und 750 den Neckargau beherrschte. Nun ist die Fra-ge, ob es Zufall ist, dass in Oberbayern eine Siedlung existiert, deren Name mit dem vor allem in Schwaben vorkom-menden Exklusivnamen Pleon gebildet ist, oder ob der Pleon von Pliening mit

    über ausnehmend große Gemarkungen verfügten. Die großen Gemarkungen zei-gen, dass die Ansiedler, als sie ankamen, noch aus dem Vollen schöpfen konnten und keine Rücksicht auf fremde An-sprüche nehmen mussten. Bei Neuching war die Gemarkung so groß, dass sie in Ober- und Nieder-Neuching zerfallen konnte, Ding in Ober- und Nieder-Ding, Pliening in Moos- und Kirch-Pliening; in der Großgemarkung Öxing entstand Grafing, das sich zu einem eigenen Sied-lungskomplex entwickelte.31 Die Besitz-nahme der großen Gemarkungen war bedingt durch die Wanderwirtschaft der frühen Siedler. Sie bewirtschafteten einen Teil des Territoriums, das sie sich ange-eignet hatten, intensiv, bis die Böden er-schöpft und die Pfosten der Holzhäuser verfault waren; dann konnte man in der eigenen Gemarkung weiterziehen und in einem anderen Teil weiterwirtschaften. Der Bau von Kirchen, die man als heilige Stätten nicht einfach verlegen konnte, und die Durchsetzung der Dreifelder-wirtschaft führten zur Verfestigung der Siedlungen, die dann konstant bis heute am selben Platz blieben.

    In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnete „ad Pleoningas“ also einen Personenverband, bei den Leuten des Pleon, nach der Landnahme auch die von diesem Verband in Besitz genom-mene Großgemarkung, in Pliening und auch anderswo ausgedrückt mit dem Wort „pagus“. In Pliening haben wir aber eine Ausnahme gegenüber Neuching und Ding: der Personenname Pleon war in der Mitte des 8. Jahrhunderts nur in

    den immer noch erhobenen Anspruch, im Rahmen römischer Staatlichkeit Herr-schaft über eine Provinz auszuüben, in Frage gestellt hätte, hatte Theoderich keinen Grund, die Landnahme einzel-ner Gruppen und Personenverbände zu unterbinden, solange sich diese in sein Herrschaftssystem einfügten.

    Pliening als alemannische Gründung

    Der Ortsname Pliening, der „bei den Leuten eines Pleon“ bedeutet,30 führt in die Landnahmezeit zurück, gehört er doch zu denen, bei denen der zu-grunde liegende Personenname eine sehr alte Form aufweist. Ein Blick in das Namenregister der um 750 einsetzen-den Freisinger Traditionen, die das mit Abstand umfangreichste Namenmateri-al aus dem frühmittelalterlichen Bayern bieten, zeigt, dass hier der Name Pleon nicht vorkommt.

    Wenn wir uns in der Nachbarschaft nach ähnlich alten Ortsnamen umschau-en, dann können wir auf Neuching und Ding verweisen: bei beiden Ortsnamen ist der zugrunde liegende Personenna-me aus dem Ortsnamen erschlossen und kommt in der frühmittelalterlichen schriftlichen Überlieferung des bayeri-schen Raumes nicht mehr vor. Was diese Orte mit den ältesten Namen weiter untereinander verbindet, ist die Lage auf guten, altbesiedelten Böden, die kaum Rodung erforderten, und eine gute Ver-kehrsanbindung, vor allem aber, dass sie

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    Traditionen. Der Inn als bisherige Grenze kümmerte sie nicht, sie machten den Lech zur Grenze zwischen dem Zustän-digkeitsbereich, dem Dukat, östlich des Lechs, das Baiuwaria genannt wurde, und dem Dukat westlich des Lechs, das sie als alemannisches oder schwäbisches Herzogtum einrichteten. Wer östlich des Lechs siedelte, gehörte zu dem vom Her-zog geführten Verband der Bajuwaren, das galt auch für die Alemannen östlich des Lechs, die es sicher nicht nur in Plie-ning und in Markt Schwaben gab. Der Lech war eine herrschaftlich-politische Grenze, die aber dazu führte, dass sich im Dukat östlich des Lechs ein Stammes-gefühl entwickelte, ein Wir-Bewusstsein, das dazu führte, dass Sondertraditionen verschwanden. So erklärt sich, dass in Bayern die ursprünglich alemannische Pleon-Tradition verschwindet – es gibt in den schriftlichen Quellen keine Pleon- Namen mehr –, in Alemannien selber aber die Pleon-Gruppe von der Mitte des 7. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts eine beachtliche Machtposition einnehmen konnte. Für Pliening bedeuteten die an-geführten Stufen der Entwicklung, dass die Ansiedlung der „Leute des Pleon“ und das germanische Reihengräberfeld nicht zur versunkenen Vorgeschichte ge-hören, wie das spätrömische Gräberfeld von Landsham, sondern dass sie Teil der Geschichte des heutigen Pliening sind. Seit der Bildung des Großstammes der Bajuwaren, die von der Landnah-me germanischer Gruppen sachlich und zeitlich zu trennen ist, ist die Geschichte Plienings eingebettet in die Geschichte Bayerns.

    Christus ein, also in der Zeit Theode-richs. Ein Grab wies auffallend wertvolle Beigaben auf, darunter eine Waffenkom-bination mit Wurfaxt und Lanze und eine Gürtelschnalle mit Email-Einlegearbei-ten: hier war eine führende Persönlichkeit bestattet. Abgeschnitten von den Pleo-nen und Pleonungen im alemannischen Kernbereich verlor sich in Bayern die Ple-on-Identität, das Wissen um die Zugehö-rigkeit zu den Pleonen; der Name Pleon starb hier aus. Der Ortsname Pliening gehört zu den Zeugnissen für den ersten Vorgang, der in der römischen Provinz Rätien die Entwicklung zum frühmittelal-terlichen Bayern bewirkte: die Ersetzung der romanisierten Provinzialenbevölke-rung durch germanische Gruppen; hier konkret durch alemannischen Zuzug.36

    Der zweite grundlegende Vorgang für den Schritt von der Spätantike zum bayerischen Frühmittelalter war die Ein-setzung eines germanischen Herzogs in einem germanisch bestimmten Herzog-tum durch die fränkisch-merowingische Königsmacht. Der umfassende neue po-litische Rahmen führte zur Umformung der verschiedenen germanischen Grup-pen und der verbliebenen Romanen von Provinzialen zum neuen Großstamm der Bajuwaren. Die Ostgoten hatten, be-drängt von Byzanz und von der mächti-gen Konkurrenz der Franken, ihre Schutz-herrschaft über Rätien und Norikum auf-geben müssen. Die Franken traten ihre Nachfolge an. Sie sahen ihre Herrschaft nicht mehr im Rahmen spätantiker Staatlichkeit und nahmen mit ihrem Her-zog keine Rücksichten auf spätrömische

    Anmerkungen* Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Festvortrag,

    den der Verfasser bei der Auftaktveranstaltung des Jubiläumsprogrammes zur 1200-Jahr-Feier Plienings am 12. Januar 2013 gehalten hat.

    1 Siehe Bitterauf, Theodor (Hg.): Die Traditionen des Hochstifts Freising, Bd. 1: 744-926, (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, NF 4), München 1905, S. 263-264, Nr. 305.

    2 Siehe Bitterauf (wie Anm. 1), S. 261, Nr. 301.3 Siehe ebenda, S. 259-260, Nr. 300.4 Siehe ebenda, S. 264-265, Nr. 306.5 Siehe Sage, Walter: Die Vor- und Frühgeschichte, in:

    Der Landkreis Ebersberg. Raum und Geschichte, hg. v. d. Kreissparkasse Ebersberg, Stuttgart 1982, S. 64-101, S. 90.

    6 Siehe Bitterauf, Theodor (Hg.): Die Traditionen des Hochstifts Freising, Bd. 2: 926-1283, (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, NF 5), München 1905, S. 456, Nr. 1612a.

    7 Siehe Deutinger, Martin von (Hg.): Die älteren Matri keln des Bisthums Freysing, 3 Bde., München 1849/50, Bd. 3, S. 212, 275-276.

    8 Siehe ebenda, Bd. 2, S. 518.9 Siehe Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA),

    Kurbaiern 31273.10 Siehe BayHStA, GU Schwaben 3 (jetzt Hochstift

    Freising).11 Siehe Mayr, Gottfried: Ebersberg – Gericht Schwaben,

    (Historischer Atlas von Bayern Altbayern I/48), München 1989, 252-253.

    12 Siehe Geiß, Ernest (Bearb.): Urkunden zur Geschichte des Klosters Rott, in: Oberbayerisches Archiv 13 (1852), S. 174-224, S. 208.

    13 Siehe Monumenta Boica, ed. Academia Scientiarum Boica, Bd. 2, München 1764, S. 56.

    14 Siehe Mayr (wie Anm. 11), S. 252-253.15 Siehe Kneißl, Willi: Der Priester Cundhart übergibt

    eine Kirche bei Pliening und sein Neffe Liuthram sei-nen Besitz 13. Januar 813, in: 1200 Jahre Pliening, hg. v. d. Gemeinde Pliening, Pliening 2013, S. 19-64, S. 62.

    16 Siehe BayHStA, GU Schwaben 451.17 Siehe Mayr (wie Anm. 11), S. 252.18 Siehe Puchner, Karl: Landkreis Ebersberg, (Historisches

    Ortsnamenbuch von Bayern, Oberbayern 1), München 1951, S. 51, Nr. 218a.

    19 Siehe Bitterauf (wie Anm. 1), S. 296-297, Nr. 347a.20 Siehe Uhl, Bodo (Bearb.): Die Traditionen des Klosters

    Weihenstephan, (Quellen und Erörterungen zur baye-rischen Geschichte 27/1), München 1972, S. 189.

    21 Siehe Kneißl, Willi: Eine kleine Landshamer Dorfgeschichte, in: 1200 Jahre Pliening, hg. v. d. Gemeinde Pliening, Pliening 2013, S. 101-130, S. 103-105.

    22 Siehe Sage (wie Anm. 5), S. 85; Kneißl (wie Anm. 15), S. 28.

    23 Siehe Puchner (wie Anm. 18), S. 23), S. IX.24 Siehe ebenda, S. 51-52, Nr. 221.25 Siehe ebenda, S. 85, Nr. 356.26 Baumann, Cornelia: Altlandkreis Erding, (Historisches

    Ortsnamenbuch von Bayern, Oberbayern 3), München 1989, S. 13*.

    27 Siehe Bitterauf (wie Anm. 1), S. 30-31, Nr. 5.28 Siehe ebenda, S. 226-227, Nr. 251a u. b.29 Siehe Kaufmann; Henning: Ergänzungsband zu

    Ernst Förstemann, Altdeutsche Personennamen, München 1968, S. 63: „[…] Deshalb liegt den Belegen mit Bleon-, Blion eindeutig ein PN-Stamm Bleun zugrunde, der – da sich für ihn im Germanischen keine Anknüpfung finden lässt – vermutlich ein Sekundärstamm ist, kontrahiert aus einem Stamm *B l e u w- mit westfränkischer n-Erweiterung […]. Bleuw gehört zu asächs. [=altsächsisch] b l e u w a n, ahd. b l i u w a n ‚schlagen‘. […] Die Träger des PN B l e o n – gehörten zur merowingischen Reichsaristokratie.“

    30 Um 1100 wird Besitz an das Kloster Ebersberg gegeben in „Ehsingon“, „Ehsingin“, „Essingin“, „in loco, qui dici-tur Gravingen“ (= in Öxing, am Ort, der Grafing ge-nannt wird). Siehe Puchner (wie Anm. 18), S. 67, Nr. 282.

    31 Jänichen, Hans: Der Neckargau und die Pleonungen, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 17 (1958) S. 219-240; wiederabgedruckt in: Müller, Wolfgang (Hg.): Zur Geschichte der Alemannen, (Wege der Forschung 100), Darmstadt 1975; S. 288 ff., S. 292.

    32 Siehe ebenda, S. 305-306.33 Siehe Geuenich, Dieter: Ein junges Volk macht Ge-

    schichte. Herkunft und „Landnahme“ der Alamannen, in: Die Alamannen, hg. v. Archäologischen Landes-museum Baden-Württemberg, Stuttgart 1997, S. 74.

    34 Puchner (wie Anm. 18), S. 81-82, Nr. 349.35 Sage hob 1982 den alemannischen Anteil im Bei ga-

    ben gut des Plieninger Reihengräberfeldes hervor. Er denkt an eine alemannische Gründung um 500, zu einer Zeit, in der sich starker westlicher Einfluss auch in Altenerding abzuzeichnen beginne. Siehe Sage (wie Anm. 5), S. 85.

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    „Rota“, der als „villa“, „locus“, „vicus“ und „pagus“ erscheint. Allein schon die vielen dort genannten Grundherren zeigen, dass es sich um einen stattli-chen, ausgedehnten Siedlungskomplex gehandelt haben muss. Bitterauf be-stimmte „Rota“ mit Rott am Inn. Deut-lich zeichnet sich eine Marienkirche ab, die zum ersten Mal 769 erscheint, als ein Wurmhart sie mit dem dritten Teil seines Besitzes in „villa ipsa“, in Rott, beschenkt.9 Als Geistlicher wirkte ein Priester Dominicus an dieser Kirche. Wurmhart war zwar schon verheiratet, auf einen Sohn musste er noch hoffen. Für den Fall, dass er einen solchen be-kommen sollte, wurden besondere Re-gelungen getroffen. Auffällig ist, dass in Wurmharts Urkunde keine Rede von der Freisinger Domkirche und vom Freisin-ger Bischof ist. Sie wurde auch nicht von einem Freisinger Schreiber geschrieben, sondern vom dortigen Priester Domini-cus, der wenig geübt in der Ausstellung einer Urkunde war. Seine Urkunde lässt als einzige in den Freisinger Traditio-nen Formularreste erkennen, so in der Überschrift „cessio vel donatio ad loca sancta“ und in „ad ecclesiam illam ad Rota“. Das Formular, das Dominicus verwendete, stammte sicher nicht aus Freising. Die gesamte Form der Urkunde kam nach Alexandra Kanoldt aus dem Westen.10 Nach der Nennung der drei Zeugen Atti, Adalcoz und Odalmunt hebt Dominicus in einer in Freising nicht üblichen Weise einen weiteren Zeugen besonders hervor: „Ego Isanhart pres-biter servus servorum dei in nomine dei“. Der Priester Isanhart muss ein

    und Unter-Paare und solche mit Vorder- und Hinter-, Groß- und Klein-, Außer- und Inner-. Manchmal schiebt sich ein Mitter- / Mitten-Ort ein.

    Aufkirchen und Landsham zeigen, dass Großgemarkungen nicht nur in die ge-nannten Ortspaare zerfielen, sondern dass auch Ausbausiedlungen mit eige-nen Namen darin Platz fanden. Solche große Gemarkungen finden wir nicht nur bei den -ing-Orten, sondern auch, wie noch gezeigt wird, bei Orten, die ihrem Namen und ihrer Lage nach nicht in die Zeit der Landnahme durch germanische Gruppen gehören, die von der Einrich-tung des bajuwarischen Dukates und der davon initiierten Zusammenfassung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen als Bajuwaren zeitlich und sachlich sorgfäl-tig zu unterscheiden ist. Das Besondere an Pliening ist, dass der Teil der Groß-gemarkung, der Kirchpliening genannt wurde, den Namen „Pliening“ verliert und zu Gelting wird. Im Folgenden sollen Beispiele von Teilen ursprünglicher Groß-gemarkungen vornehmlich aus den Frei-singer Traditionen vorgeführt werden, die den alten Namen verlieren und heute mit eigenen Ortsnamen erscheinen. Es wird sich zeigen, dass die Entwicklung in Pliening kein Einzelfall war.

    Rott am Inn (LK Rosenheim) – Feldkirchen

    In den Freisinger Traditionen gibt es eine ganze Reihe von untereinander verbundenen Nennungen eines Ortes

    Großgemarkungen Neuching und Ding

    Im oben abgedruckten Beitrag „Plie-ning im frühen Mittelalter“ wurde die Auflösung der frühmittelalterlichen Groß gemarkung Pliening („pagus Ple-oninga“) und das Zerfallen in die Teile Moospliening, Kirchpliening und offen-sichtlich auch Landsham angesprochen. Als Parallelen zu diesem Zerfallen wur-den die Großgemarkungen Neuching und Ding angesprochen. Im anfangs ein-heitlichen Neuching werden seit dem 14. Jahrhundert Ober- und Niederneuching unterschieden, zwei stattliche Dörfer mit je eigener Kirche, die etwa zwei Kilometer auseinander liegen, und mit (in der Mitte des 18. Jahrhunderts) 48 beziehungswei-se 34 Anwesen.1 Die nach einem Niwi-cho, dessen Name aus dem Ortsnamen erschlossen ist,2 benannte Gemarkung war so umfangreich, dass sich dort auch ein Fiskalkomplex etablieren konnte, der so bedeutend war, dass in Neuching 771 eine Synode für das ganze Herzogtum Tassilos abgehalten werden konnte. Auch der „locus“ Ding ist nach einem Herrn benannt, dessen Name erschlossen ist, von einem Deo, germanisch *Thewa.3 Auch hier war die von den neuen Siedlern

    beanspruchte Gemarkung so groß, dass sie nicht nur den seit dem 13. Jahrhun-dert unterschiedenen Dörfern Ober- und Niederding mit je eigener Kirche und mit 64 beziehungsweise 37 Anwesen Raum bot,4 sondern auch dem Ausbauort Auf-kirchen.5 Die Kirchen von Ober- und Niederding liegen fast zwei Kilometer auseinander; sie gehörten bis 1923 zur Pfarrei Aufkirchen.6 Auch das nördlich von Oberding gelegene Schwaig dürfte im „locus“ Ding gegründet worden sein, gehörte es doch bis 1923 ebenfalls zur Pfarrei Aufkirchen.7 750 hielt sich Herzog Tassilo im Hof Ding („in villa qui dici-tur Deoinga“) auf und nahm dort eine Schenkung von Grundbesitz zu Erching an Freising vor, bei der er als Vertreter der Feringa-Genealogie handelte.8 Es gab also einen Fiskalhof in Ding, der in einem „locus“ angelegt wurde, der ursprünglich Besitz eines germanischen Herrn und seines Personenverbandes war. Auch für Pliening wurde im oben abgedruckten Aufsatz Fiskalgut erschlossen. Neuching und Ding sind Beispiele für alte Großge-markungen, die in die Ortsnamenpaare Ober- und Nieder- zerfielen. Solche kor-respondierenden Ober- und Nieder-Orte sind überaus häufig im bajuwarischen Siedlungsraum. Daneben gibt es Ober-

    Die Auflösung der frühen Großgemarkungen – dargestellt an Beispielen aus Oberbayern

    Gottfried Mayr

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    Stephanus. Identität ist ausgeschlossen, da sonst 779 der Sohn vor dem Vater die Zeugenreihe eröffnen würde. Es liegt nahe, an eine Generationenfolge Offo, Stephanus, Offo zu denken. Aus Cart-heris Rotter Zeugenreihe sollen noch ein Rihhart, den wir als Grundherrn in Steinhart finden werden, und ein Arbeo angeführt werden – liegt doch südwest-lich von Rott die Siedlung Arbing, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts 13 Anwesen aufwies.20

    Steinhart (LK Rosenheim) – Pfaffing

    Der zur Rotter Gruppe gehörende Priester Isanhart, vom Schreiber Domi-nicus in Wurmharts Urkunde als „servus servorum dei“ herausgehoben, muss eine sehr angesehene Persönlichkeit ge-wesen sein. Als ein Rihhart seinen Besitz zu Steinhart an die dortige Pankrati-uskirche übertrug, schrieb der Priester Fater die Urkunde, gebeten vom Priester Isanhart und vom Laien Rihhart.21 Isan-hart und Rihhart waren demnach eng verwandt, wahrscheinlich Brüder. Isan-hart war irgendwie Mittradent. Rihhart dürfte noch in jüngerem Alter gewesen sein, denn er wartete (wie Wurmhart) auf einen Sohn („si filius mihi ortus fuerit“); für einen solchen waren einige Sonderbestimmungen vorgesehen. Wie bei Wurmharts erster Schenkung von 769 ist auch in Rihharts Urkunde kei-ne Rede von der Freisinger Domkirche oder vom Freisinger Bischof. Auch der Schreiber Fater kam nicht aus Freising;

    lag „in pago in loco nuncupante Rota“. Der Name Offos, des Sohnes des

    Stephanus, führt zurück zu jenem eine Generation vorher lebenden Offo, dem Zeugen für Cundhart und Lantfrid 773.16 Offo war auch Spitzenzeuge für eine wei-tere Rott am Inn betreffende Schenkung. 779 übergab ein Cartheri eine von ihm dort erbaute Kirche, die Bischof Arbeo geweiht hatte, an Freising.17 Dass die Kirche und ihre Besitzausstattung in Rott am Inn lagen, sagt der Urkundentext nicht; es ist aus der Überschrift „Traditio Kartheri de Rota“ zu erschließen.18 Cart-heris Kirche kann nicht mit der Marien-kirche am Rottufer identisch sein, auf die Arbeo zunächst keinen Zugriff hatte.

    Helmuth Stahleder sah richtig, dass in Rott am Inn zwei verschiedene Kirchen zu unterscheiden sind.19 Die Marien-kirche am Ufer der Rott, die nördlich von Rott in den Inn mündet (Rott liegt wesentlich näher an der Rott als am Inn), bestimmte er überzeugend mit der Marienkirche von Feldkirchen bei Rott, die Lage der zweiten Kirche in „Rota“ müsse seiner Meinung nach offen blei-ben. Sie gehört aber in den heutigen Ort Rott am Inn, die bedeutendste Siedlung in der Großgemarkung „Rota“. Es er-scheint als ausgeschlossen, dass gerade das heutige Rott selber im Frühmittel-alter keine Kirche gehabt haben soll. Diese Kirche war wohl die Vorgängerin der Klosterkirche zu Rott, die nach der Säkularisation zur Pfarrkirche wurde. Cartheris Zeugenreihe beginnt mit Offo und Stephanus, natürlich Vorfahren des erwähnten Offo, des Sohnes eines

    Es klingt wie eine Herausforderung Ar-beos, wenn nur dem Priester der Mari-enkirche die Verfügungsgewalt über die Schenkung zugesprochen wird: „volo, ut pastor ipsius ecclesiae potestatem habeat ab illo die pro hoc facere quic-quid voluerit, id est tenendi dominandi commutandi suisque successoribus re-linquendi“. Kanoldt bemerkte nicht nur, dass Bitterauf zu Unrecht die einheitliche Urkunde Cundharts und Lantfrids in a und b getrennt hat, sondern auch, dass diese wie Wurmharts erste Urkunde nicht in Freising entstand, sondern in ihrer gesamten Form aus dem Westen kam.13 Den nicht genannten Schreiber darf man daher in Dominicus sehen. Gegen die Praxis der Freisinger Schreiber bezeugen die beiden Tradenten ihre eige-ne Schenkung, neben ihnen leistete nur ein Offo Zeugenhilfe.

    Um 808 tauschte ein Offo, Sohn eines Stephanus, mit dem Freisinger Erzpries-ter Ellanod, der als Vertreter Bischof Attos nach Rott gekommen war, Besitz: Offo gab an die Marienkirche, die wie-der als am Rottufer gelegen bezeichnet wird, seinen Besitz zu Rott, den er gegen seine Brüder als Anteil bekommen hatte und erhielt dafür zwei Güter zu Ho-henthann.14 Begründet wurde der Tausch damit, dass er von beiden Seiten als vorteilhaft angesehen worden sei („quod utrisque partibus utilior videbatur“). Der Priester Zeizo, der auch an der Spitze der Zeugenreihe steht, gehörte in den Verwandtschaftskreis der Rotter Grund-herrn, wie sein Besitz am Fluss Rott zeigt, den er 815 an Freising gab.15 Zeizos Besitz

    enger Verwandter des Rotter Grundherrn Wurmhart gewesen sein. 771 erweiterte Wurmhart, noch immer ohne Nachkom-men („et si soboles non genuissem“), seine Schenkung an die von ihm schon 769 bedachte Marienkirche, deren Lage jetzt genauer bestimmt wird: „am Ufer des Flusses Rott gelegen“ („Rotae flumi-nis sitae ripae“).11 Zwischen den beiden Schenkungen war eine wichtige Verände-rung eingetreten: Bischof Arbeo von Frei-sing hatte das Recht, bei der Rotter Kir-che mitzubestimmen, durchsetzen kön-nen. Wurmhart übergab seinen Besitz in Isen in Anwesenheit des Bischofs „in die Verfügungsgewalt der vorerwähnten Kirche und darüber hinaus des Bischofs und der von ihm eingesetzten Diener [= Geistlichen]“. Bezeichnenderweise wurde jetzt die Urkunde vom Freisinger Schrei-ber Alpolt geschrieben.

    Wir werden sehen, dass der Verwandt-schaftskreis um Wurmhart enge Verbin-dungen zu Tassilo hatte; so verwundert es nicht, dass Tassilo in Wurmharts Ur-kunde geradezu eine königsgleiche Stel-lung zugeschrieben wird: „regnante in-lustrissimo virorum Tassilone duce anno XXIII. regni eius“.

    Wurmharts Verwandtschaft verweiger-te sich zunächst