Landwirte gestalten Artenvielfalt · 2019-11-11 · ess 4 DLG-Mitteilungen | Sonderheft. Mit...

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Grundlagen | Beispiele | Rahmenbedingungen Landwirte gestalten Artenvielfalt Sonderausgabe In Kooperation mit

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Grundlagen | Beispiele | Rahmenbedingungen

Landwirte gestalten Artenvielfalt

Sonderausgabe

In Kooperation mit

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AUFTAKT

... oder doch umgekehrt Landwirt-schaft mit Biodiversität? Je nach Interes-senlage wird die Antwort unterschied-lich ausfallen. Aber klar ist: Das eine geht nicht ohne das andere. Die Welt muss ernährt werden, aber sie braucht auch biologische Vielfalt.

Leider versteifen sich Positionen im-mer noch einseitig auf der einen oder anderen Seite. Wenn ein Unkraut kein Unkraut mehr sein darf, sondern als »Ackerbegleitflora« bezeichnet wird, dann bekommt der Landwirt ein Prob-lem, weil es irgendwann nicht mehr bei den Worten bleibt, sondern Ansprüche gestellt werden. Wenn umgekehrt aus der Landwirtschaft heraus der starke Rückgang der Artenvielfalt nicht zur Kenntnis genommen oder gar bestritten wird, schießt sie sich selbst aus der gesellschaftlichen Diskussion. Das Thema »Biodiversität« ist nur gesamtge-sellschaftlich zu lösen – und Landwirte haben eine wichtige Funktion dabei.

Weil wir es mit knappen Gütern zu tun haben, geht es auch um Effizienz – bei der Bodenbewirtschaftung wie bei der Biodiversität. Das ist die eigentliche Botschaft dieses Sonderheftes der DLG-Mitteilungen. Es stützt sich zum Teil auf bereits erschienene Beiträge, hat aber auch Neues zu bieten. Weder Landwirt-schaft noch Biodiversität lassen sich »irgendwie irgendwo« betreiben. Es ist Aufgabe der Politik, für den nötigen Interessenausgleich einen tragfähigen Rahmen zu schaffen.

Biodiversität mit Landwirtschaft ...

Impressum»Landwirte gestalten Artenvielfalt« erscheint im September 2019 als Sonderheft der DLG-Mitteilungen.Redaktion: Thomas Preuße (verantwortlich)© 2019 Max-Eyth-Verlag, Frankfurt

INHALT4 Herangehensweise Erst das Ziel, dann die Maßnahme!6 Interview Zwei Seiten einer Medaille8 Agrarstruktur Bienen wollen Biodiversität10 Pflanzenschutzmittel »Die Pestizide sind schuld« ...14 Praxisbeispiel I Artenvielfalt plus hohe Intensität18 Praxisbeispiel II Auf dem Weg zur Biotopvernetzung21 Maßnahmen Was Landwirte tun können22 Blühstreifen Die Stiefkinder des Greening24 Feldraine Ein Netzwerk mit Potential26 EU-Agrarpolitik Aufgeschoben ist nicht aufgehoben30 Honorierung Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen!

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Thomas Preuße DLG-Mitteilungen

DLG-Mitteilungen | Sonderheft 3

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HERANGEHENSWEISE

Erst das Ziel, dann die Maßnahme!Unter Biodiversität versteht jeder etwas anderes. Das bietet viel Raum für Aktionismus, aber auch für

Untätigkeit. Ohne konkrete Schutzziele geht es nicht, meint Friedrich Dechet.

B iodiversität ist in aller Munde. Von einem dramatischen Rückgang der

Artenvielfalt in unserer Agrarlandschaft wird gesprochen und geschrieben. Dabei ist die Artenvielfalt nur ein Teil der Biodi-versität. Denn Biodiversität meint die Viel-falt aller lebenden Organismen, aller Le-bensräume und die Wechselbeziehung zwischen ihnen. Das schließt die Vielfalt der Gene, Arten und Ökosysteme mit ein. So ganz genau kann man sie nicht greifen und pauschal lässt sich nicht beschreiben, was getan werden kann, um sie zu för-dern. Diese Unübersichtlichkeit bietet ei-nerseits Raum für wenig koordinierten Ak-tionismus, andererseits für Untätigkeit. Um koordiniert vorzugehen, hilft es, Schutzziele zu formulieren.

Welche Art von Biodiversität wollen wir? Ein Schutzziel könnte die funktio-nelle Biodiversität auf den Ackerflächen sein. Für den Lebensraum Boden heißt das, die Organismen zu schützen und zu fördern, welche die Bodenfruchtbar-keit garantieren, d. h. Nährstoffe umset-zen, die Bodenstruktur aufbauen, den Streuabbau besorgen. Wenn das Zustan-dekommen schädlicher Stoffkonzent-rationen z. B. aus Pflanzenschutzmit-teln vermieden wird, ist dies garantiert. Die Einhaltung der Anwendungsbestim-mungen stellt sicher, dass keine schädli-chen Effekte zustande kommen. Denn für Pflanzenschutzmittel wird eine Risikoab-schätzung vorgenommen, die alle in der Agrarlandschaft vorkommenden Organis-men durch die Auswahl von Stellvertre-terorganismen abdeckt.

Als Stellvertreter werden empfindliche Arten ausgewählt. An ihnen werden die Risikobewertung und die Risikominde-rungsmaßnahmen ausgerichtet. Wenn

ein Pflanzenschutzmittel nach vielen Jah-ren der Forschung und Entwicklung die Zulassung bekommt, ist es von Behörden auf seine Unbedenklichkeit geprüft. Die Einhaltung der guten fachlichen Pra-xis in der Landwirtschaft garantiert außer-dem, dass auch aus anderen Aktivitäten, beispielsweise Düngung und Bodenbear-beitung, keine schädlichen Effekte her-rühren.

Auch die Förderung von Blütenbestäu-bern, z. B. durch Blühstreifen, verfolgt zu-nächst einmal ein funktionelles Schutz-ziel: die Blütenbestäubung, z. B im Raps. Natürlich werden daneben möglicherwei-se auch Arten geschützt und gefördert, die sonst in der Agrarlandschaft wenig Nah-rung finden würden.

Es kann auch ein Schutzziel sein, be-stimmte Arten zu fördern, beispielsweise Vögel der Agrarlandschaft: die Grauam-mer, den Neuntöter, die Lerche ... In der Mitte des letzten Jahrhunderts kamen diese sehr häufig vor – ein Grund dafür, dass sie als Indikatorarten für Biodiversität ausge-wählt wurden. Nun war aber die Landwirt-schaft Mitte des letzten Jahrhunderts in Deutschland eine andere als heute. Es wurde viel Sommergetreide angebaut, die Getreidebestände waren allgemein weni-ger dicht. Die Erträge waren entsprechend niedriger. Noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in den meisten Gebie-ten viele Hecken und Kleinstrukturen. Die-se Gegebenheiten man nicht mehr schaf-fen können. Was tun? Gibt es einen Ersatz?

In der offenen Feldflur finden Vögel weniger Lebensraum als vor 60 Jahren. Mit Lerchenfenstern oder »weiten Reihen« lässt sich dem teilweise entgegenwirken.

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Mit Lerchenfenstern versucht man, »Lichtungen« in den dichten Getreidebe-ständen und Brutmöglichkeiten zu schaf-fen. Man muss sehen, was solche Maß-nahmen wirklich bringen.

Eine vielversprechende Option ist auch die »weite Reihe«. Dabei schafft man auf einem Teil der Ackerfläche Verhältnisse wie in den früheren dünneren Getreide-beständen. Ein Vorteil ist, dass die Vogel-brut durch den Bestand trotzdem ge-schützt ist. Wenn es dann im selben Naturraum noch ausreichend Kleinstruk-turen wie Hecken gäbe, könnte mit dem »Imitat« eine gewisse Förderung gelin-gen. Ein Zustand wie vor 60 Jahren wird aber nicht erreichbar sein. Hier muss man zu sich selbst ehrlich sein und das Ziel realistisch formulieren.

Ist das Schutzziel die Förderung von Vö-geln, die ursprünglich in weiträumigen Wiesen- und Weidelandschaften vorka-men, so die Uferschnepfe oder der Brach-vogel, wird man mit der Schaffung von Kleinstrukturen genau das Gegenteil errei-chen. Diese Arten brauchen eine Weiträu-migkeit, die der Mensch gerne auch mal als öde oder ausgeräumt bezeichnet.

Lebensräume schaffen ... Was bedeutet dies alles nun für die ganz praktische För-derung der Biodiversität? In erster Linie kommt es darauf an, geeigneten Lebens-

raum für die Arten zur Verfügung zu stel-len, die man fördern möchte. Es ist ein al-tes, aber immer noch richtiges Dogma: Ohne Habitatschutz kein Artenschutz.

Für einen Naturraum, eine naturräumli-che Einheit, muss ein Schutzziel definiert werden, das zum Charakteristikum des Naturraums passt. Dann müssen geeigne-te Maßnahmen eingeleitet werden. Ein und dieselbe Maßnahme ist nicht geeignet für die vielen unterschiedlichen Naturräu-me. Auf den Ackerflächen ist das Spekt-rum der möglichen Aktionen zur Biodiver-sitätsförderung jedoch eher eingeschränkt. Über die genannten Maßnahmen hinaus wie Blühstreifen, Lerchenfenster, die weite Reihe oder Brachflächen gibt es wenig mehr.

... und schon vorhandene besser nut-zen. Aber außerhalb der Äcker, Weinber-ge oder Obstgärten gibt es in der Agrar-landschaft oder auch im Siedlungsbereich Flächen mit den unterschiedlichsten Cha-rakteristika, die zur Förderung der Biodi-versität und zur Vernetzung unterschied-licher Lebensräume geeignet sind. Oft sogar außerordentlich gut geeignet sind, da es sich um beispielsweise stark ver-nässte Stellen handelt. In Agrarflächen werden durch Dränierung solche Vernäs-sungen beseitigt und kommen deshalb sehr selten vor. In den feuchten Arealen

lassen sich jedoch besonders gut Lebens-räume schaffen, die für Amphibien gut geeignet sind. Andererseits gibt es natür-licherweise trockene, steinige Stellen oder angelegte Lesesteinhaufen. Hier fühlen sich die Wärme liebenden Reptili-en besonders wohl und finden Unter-schlupf. Amphibien und Reptilien sind für die Artenvielfalt so wichtig wie Schmetterlinge oder Bienen.

Eine gesellschaftliche Aufgabe. Diese Flächen, mittlerweile hat sich der Begriff »Eh da-Flächen« etabliert, weil sie sowie-so da sind, ob man sie nutzt oder nicht, sind recht häufig. Abhängig vom Gebiet machen sie 3 bis 8 % des Landschaftsrau-mes aus. Aber meist lässt man sie einfach nur liegen, eben ungenutzt. Sie schutz-zielgerecht aufzuwerten und zu pflegen, würde einen bedeutenden Beitrag zur Bio-diversität leisten. Diese Aufwertung kann, unterstützt von Experten, von Mitgliedern der betroffenen Gemeinde als gemein-schaftliche Aufgabe wahrgenommen wer-den. Durch solche Gemeinschaftsaktio-nen kann auch ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt werden, dass für Bio-diversität nicht nur Landwirte verantwort-lich sind.

Dr. Friedrich Dechet, Industrieverband Agrar, Frankfurt

Außerhalb der Äcker gibt es viele

Flächen, die für mehr Biodiversität

aufgewertet werden können.

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Zwei Seiten einer MedailleLandwirtschaft contra Biodiversität – oder doch Biodiversität mit Landwirtschaft? Im Gespräch mit

Volkmar Wolters wird deutlich, wo die bisherigen Defizite liegen und welche neuen Ansätze uns in

Zukunft weiterbringen könnten.

Eine niederländische Studie hat unlängst festgestellt, dass nur 2 % der Bienenarten für 80 % der Bestäubung verantwortlich sind. Herr Professor Wolters, warum brauchen wir eigentlich Artenvielfalt?

Wahrscheinlich kämen wir für die Ackerpflanzen wirklich mit sieben Bestäu-berarten aus. Aber schon für die Wild-pflanzen brauchen Sie kleine und große Bienen, lang- und kurzrüsselige. Zudem ist Artenvielfalt letztlich eine Versicherung gegen Umweltveränderungen. Unter dem Gesichtspunkt von Klimaverschiebungen zum Beispiel ist es wichtig, nicht nur drei Arten in der Reserve zu haben, die dann möglicherweise die Bestäubung überneh-men, sondern mehrere. Wir brauchen un-terschiedliche Arten, die Extreme überste-hen und auch zur Abdeckung der unterschiedlichen Blühzeiträume. Wir können nicht im Einzelfall vorhersagen, welche Arten wir dann wirklich brauchen, sollten als weise Menschen aber vorsichtig und vorsorgend sein.

Wie sieht es denn mit dieser Vorsorge in Deutschland aus?

Nicht besonders gut. Durch alle Medien gegangen ist ja die »Krefeld-Studie«, die für die letzten Jahre einen Rückgang der Insektenbiomasse von 75 % nachgewie-sen hat. Ihre Methodik ist vielleicht an-greifbar, aber der Trend ist auf jeden Fall unbezweifelbar. Dass die Daten in Natur-schutzgebieten erfasst wurden, verstärkt die Aussage, denn solche Refugien sind »Sensoren« auch für andere Gebiete. Wichtig finde ich vor allem, dass erstmals die Gesamtheit der Insekten erfasst wor-den ist und nicht nur die schönen und sel-tenen »Briefmarkenarten«. Denn Insekten sind doppelt so stark gefährdet wie die

Wirbeltiere. Es gibt auch Studien, die ei-nen Rückgang der Grünlandschmetterlin-ge belegen, der Vögel in der Agrarland-schaft oder der Ackerbegleitflora.

Eine dieser Studien zeigt, dass zwischen 1960 und 2010 die Ackerbegleitflora regi-onal um ein Drittel und auf konkreten Schlägen um zwei Drittel zurückgegan-gen ist. Und beim Vogelindikator, der als zusammenfassende Maßzahl für die Bio-diversität insgesamt gilt, stehen wir bei unter 60 % im Vergleich zu 1970. Aber ist es nicht blanker Unsinn, exklusiv bei der Biodiversität ein Zurück in die Zeit von vor 50 Jahren zu fordern?

Wir können das Rad nicht 50 Jahre zu-rückdrehen. Nicht bei der gesellschaftli-chen Entwicklung, nicht beim Klimawan-del und auch nicht in der Landwirtschaft. Denn alles hat sich weiterentwickelt, und es müssen in der Welt immer mehr Men-schen ernährt werden. Wir brauchen heu-te beides: hohe Produktivität der Land-wirtschaft und gleichzeitig biologische Vielfalt. Das bedeutet: Wir können zwar die Vogelzahl von 1970 anstreben, aber nicht mit den Mitteln von 1970.

Wir beobachten in der Praxis oft eher ein Gegeneinander als ein Miteinander. Gibt es ein »natürliches« Konkurrenzverhält-nis zwischen intensiver Landwirtschaft und Biodiversität?

Es gibt bei manchen Menschen immer noch Tendenzen, die Landwirte zu Natur-gärtnern zu machen. Das ruft natürlich Vorbehalte unter den Landwirten hervor, die sich in erster Linie als Erzeuger agrari-scher Produkte sehen. Die Berufsethik der Landwirte haben wir Naturschützer oft sträflich vernachlässigt! Alle mir bekann-

ten Landwirte hängen ja stark an der Na-tur. Sie sind aufgeschlossen, wenn man ih-nen deutlich macht, welch wertvolle Vielfalt sie auf ihrem Betrieb bewirtschaf-ten. Man darf ihnen nur nicht mit praxis-fernen Forderungen kommen, sondern muss mit ihnen reden. Eine Schweizer Stu-die hat gezeigt, dass Landwirte der Biolo-gischen Vielfalt sehr viel offener gegen-überstehen, wenn sie wissen, dass es um »ihre Vielfalt« geht und nicht um die theo-retische Vielfalt irgendwelcher Verbände oder Wissenschaftler.

Das hört man als Landwirt gern ...Damit aber kein Missverständnis ent-

steht: Die Intensivierung der Landwirt-schaft ist eine der wesentlichen Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt. Die Ar-ten des Offenlandes sind viel stärker ge-fährdet als zum Beispiel die der Wälder. Die Fragmentierung und Vereinheitli-chung der Landschaft führt zu Lebens-raumverlust. Viele Tierarten haben zudem unterschiedliche Habitatansprüche für Nahrungsaufnahme, Eiablage oder Über-winterung.

Die Landwirtschaft ist also durchaus in der Pflicht. Es geht aber nicht um die Landwirtschaft an sich, sondern um die Art und Weise, wie sie betrieben wird. Wir müssen wieder mehr Lebensraum-vernetzung erreichen und kleinere ab-wechslungsreiche Strukturen. Dies mit Produktivität zu verbinden, ist die große Herausforderung. Aber die Landwirt-schaft ist natürlich nicht der einzige »Tä-ter«. Viel Biodiversitätsverlust geht zum Beispiel auf das Konto der Wegrandpfle-ge durch die Kommunen – insbesondere das gedankenlose Mulchen. Wenn die zum Beispiel nur eine Seite der Gräben

INTERVIEW

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mulchen würden, um sie offenzuhalten, oder die Blühzeitpunkte beachten wür-den, dann wäre schon viel gewonnen.

Würden Sie der Aussage zustimmen: Landwirtschaft muss effizient sein, Biodi-versität aber auch?

Optimierung statt Maximierung, ja. Und Regionalisierung. Wir müssen nicht über-all auch die letzte Mauerbiene finden. Wir brauchen von allen Arten überlebensfähi-ge Populationen, aber nicht generell die maximale Artenzahl. Das gilt aber genau-so für die Landwirtschaft. Auch sie sollte eine regionale Nutzungsvielfalt anstreben, da sind wir bei Fruchtfolgen oder sogar Mischkulturen. Regionale und/oder wenig genutzte Pflanzenarten und Tierrassen ge-hören ebenso dazu wie der Erhalt regiona-ler Landschaftselemente.

In der Landwirtschaft wissen wir ziemlich genau, was wo am besten wächst. Wissen wir auch, welche Biodiversitäts-Maßnah-men an welchem Standort den größten Erfolg versprechen?

Zugegeben, die ökologischen Bezie-hungen sind nicht so eindeutig wie der Ackerbau. Es braucht ein großflächiges Biodiversitäts-Monitoring, wie es vom Thünen-Institut jetzt gestartet wird, um erst einmal den aktuellen Zustand heraus-zufinden. Mit »Versuch und Irrtum« Arten-vielfalt fördern zu wollen, wäre zu teuer und vermutlich auch nicht zielführend. Gleichzeitig ist aber auch eine Erfolgskon-

trolle wichtig. Ihr Fehlen ist die große Schwäche der gegenwärtigen auf biologi-sche Vielfalt ausgerichteten Maßnahmen. Eine zur Förderung des Neuntöters ange-legte Hecke bekommt ja erst dann ihren Wert, wenn sie nicht einfach nur vorhan-den ist, sondern sich der Vogel auch tat-sächlich dort ansiedelt. Ansonsten wäre möglicherweise eine andere Maßnahme wesentlich sinnvoller.

Wie lassen sich unter diesem Vorzeichen produktive Landwirtschaft und Biodiver-sität verbinden?

Es gibt dazu mehrere mögliche Hand-lungsfelder. Grundsätzlich brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag. Wir wollen einerseits die Natur und eine ge-sunde Umwelt erhalten, andererseits das Einkommen der Landwirte sichern. Der wichtigste Ansatzpunkt dafür ist die EU-Agrarpolitik. Die Höhe des Agrarbudgets muss bleiben, dieses muss aber anders verteilt werden. Die pauschale Flächen-prämie sollte durch eine Prämie für öffent-liche Leistungen ersetzt werden, die der Markt nicht honoriert.

Auf diesem Weg ist die EU ja schon. Aber wenn das Einkommen aus der Produktion fehlt, werden happige Summen für Blüh-flächen und Randstreifen fällig.

Gemeinsam mit anderen denke ich da-bei an ein Prämiensystem, wie es ja ver-schiedentlich schon vorgeschlagen wur-de. Wichtig ist nicht nur der Ausgleich von

Verlusten, wie bisher in den Agrarumwelt-programmen, sondern ein echter finanzi-eller Anreiz für den Erhalt der biologi-schen Vielfalt. Mir ist klar, dass dann auch schon mal größere Beträge fällig werden können. Dafür braucht es ein durchdach-tes, einfaches und faires System, für das wir im Rahmen eines vom BfN geförder-ten Projekts gerade einen Vorschlag erar-beiten. Die Frage nach der Effizienz hatten Sie ja bereits gestellt.

Was könnten die Landwirte selbst tun?Ein zweites Handlungsfeld könnte sein,

Produktionskosten wenigstens teilweise durch die Förderung von Ökosystemleis-tungen zu reduzieren. Nichts anderes macht ein Landwirt, der statt des Pfluges den Regenwurm für sich arbeiten lässt. Aber auch der ökonomische Wert der bio-logischen Schädlingsbekämpfung und der natürlichen Nährstoffversorgung wird von Landwirten gern unterschätzt. Grundsätz-lich sollte man so wirtschaften, dass diese kostenlosen Leistungen der Natur nicht verhindert werden.

Ein drittes Handlungsfeld ist die Nut-zung und Entwicklung neuer Technologi-en. Ich will hier nicht von Robotik und Di-gitalisierung schwärmen, aber beides eröffnet ganz neue pflanzenbauliche Möglichkeiten, die auch der Artenvielfalt zugutekommen könnten. Eine ziemlich einfache Idee sind weiterhin Mischkultu-ren im Streifenanbau. Man könnte die Kul-turen aber auch anders auf der Fläche ver-teilen. Das ist – zugegeben – noch ein wenig Zukunftsmusik.

Sie sprechen von einem neuen Gesell-schaftsvertrag. Was könnte die Gesell-schaft – außer die Landwirte aus Steuer-geldern zu bezahlen – denn noch tun?

Es sind ja keine ganz geringen Summen, die da aus Steuergeldern zu den Landwir-ten fließen. Im Gegenzug versorgen diese die Bevölkerung mit Lebensmitteln, die so günstig sind wie nie. Und dann landet bei uns die Hälfte der Nahrungsmittel auf dem Müll. Das kann nicht sein. Nur weil ein Brot billig ist, ist es noch lange nicht wert-los, sondern eine wichtige Ressource, die die Produzenten mit großem persönli-chem Einsatz und hohem Sachverstand aus der Natur gewonnen haben. Wenn al-le Menschen auf der Welt so leben woll-ten, wie wir es gerade tun, bräuchten wir 3,5 Planeten!

Die Fragen stellte Thomas Preuße

Prof. Dr. Volkmar Wolters ist Biologe an der Universität Gießen und u. a. stellvertretender Vorsitzender des

Wiss. Beirates Biodiversität beim

BMEL.

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AGRARSTRUKTUR

Bienen wollen BiodiversitätBienen und Landwirtschaft: Dieses Verhältnis funktioniert nicht

problemlos. Bekommen die Honigbienen ihre Lebensräume vom

Imker gestellt, ging der von Wildbienen verloren, erläutert

Klaus Wallner.

Aus Sicht der blütenbesuchenden Insekten haben sich die landwirt-

schaflichen Flächen – also rund die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands – zu grü-nen Wüsten entwickelt. Effiziente Bewirt-schaftungsformen führen bei Getreide und Mais, Kartoffeln und Gemüse zu sterilen Flächen ohne jeglichen Besatz von blü-henden Nebenkräutern. Verschärft wird diese Situation durch die rasante Zunah-me der Betriebsgrößen. Eine schnell sin-kende Zahl von Landwirten bewirtschaftet immer größer werdende Felder. Die Diversität der angebauten Kulturen sinkt. Ackerrandstreifen und Wegränder ver-schwinden durch zunehmende Flächen-größen; Böschungen und Gräben wurden durch die Flurbereinigung in landwirt-schaftliche Nutzflächen verwandelt.

In der Grünlandbewirtschaftung setzt sich mehr und mehr die Silierung durch:

Innerhalb weniger Jahre wird damit die Artenvielfalt dieser Pflanzengesellschaften massiv reduziert. Für Bienen uninteressan-te Gräser werden gefördert, nektar- und pollenliefernde Kräuter dagegen ver-drängt. Die Abkehr von der Heubewirt-schaftung, die der Garant für artenreiche, lang blühende Blumenwiesen war, hat da-mit dramatische Konsequenzen.

Große, zusammenhängende Agrarflä-chen leisten keinen Beitrag zur Versor-gung von Wildbienen, Solitärbienen und Honigbienen. Lediglich die Honigbienen sind in der Lage, solche Flächen zu über-fliegen. Flugstrecken bis zu 6 km sind möglich und werden auch überwunden, wenn sich dort eine interessante Nektar- oder Pollenquelle nutzen lässt. Hummeln und andere Wildbienen haben einen deut-lich eingeschränkteren Aktionsradius –

teilweise von nur wenigen hundert Me-tern. Sie müssen innerhalb dieser nutzbaren Fläche aber nicht nur die gewünschten Pflanzen, sondern auch einen brauchba-ren Nistplatz finden. Honigbienen bekom-men ihre Wohnungen vom Imker gestellt, die anderen Bienenarten müssen geeigne-te Standorte finden. Die blütenlosen Pflan-zenbestände sind so groß, dass sie von den kleineren Bienenarten nicht mehr überflo-gen werden können.

All dieses führt zu einer Verdrängung von Bienenarten aus den Agrarlandschaf-ten. Nicht umsonst gilt etwa die Hälfte der bei uns heimischen Wildbienenarten als vom Aussterben bedroht. Ihre Rückzugs-gebiete sind heute Dörfer und Städte mit Kleingärten und Balkonpflanzen.

Der hohe Grad der Spezialisierung macht es besonders den Solitärbienen

Bienen brauchen Blüten, etwa in Randstreifen.

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Solche Flächen können kleinere Bienen nicht mehr überfliegen.

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schwer, in von Blütenarmut geprägten Re-gionen zu überleben. Sie fehlen dann spä-ter wieder als Bestäuber, sodass es auch für die von ihnen abhängigen Pflanzen schwierig wird. Gerade unter den Hum-meln und Solitärbienen finden wir sowohl Pflanzen- wie auch Nistplatzspezialisten. Diese in der Bevölkerung kaum bekann-ten Bienen nutzen z. T. die Blüten einer einzigen Pflanzenart und stellen dazu häufig noch besondere Bedingungen an den Nistplatz. Die Wildbiene des Jahres 2013, die zweifarbige Schneckenhausbie-ne, braucht z. B. die leeren Häuser der Schnirkelschnecken. Die Wildbiene 2015, die zweifarbige Zaunrüben-Sandbiene, ist komplett abhängig vom Vorhandensein der Zaunrübe. Die Glockenblumen- Scherenbienen leben in einer totalen Ab-hängigkeit von Glockenblumen und brau-chen dazu noch Bohrlöcher im Totholz. Beides in erreichbarer Nähe von nicht ein-mal zweihundert Metern.

Die Verdrängung von blühenden Pflan-zen im Grünland, aber auch im Streuobst-bereich führt natürlich auch zu einem Ein-griff in die Nahrungskette. Fliegende Insekten stehen auch auf dem Speiseplan von Vögeln, Reptilien, Ameisen und vie-len anderen. Jedes Bienenvolk verliert am Tag etwa 1 500 Bienen, die nicht im oder vor dem Bienenstock liegen, sondern sich in der Fläche verlieren und dort von ir-gendjemanden gefressen werden. Auch den Wildbienen geht es nicht besser. Die Artenvielfalt im Pflanzenbereich setzt sich also bis auf andere Ebenen fort. Wenn wir heute bestimmte Vogelarten vermissen, kann das durchaus mit verdrängten Blü-tenpflanzen und ihren Bestäubern zusam-menhängen.

Welche Rolle spielen die Pflanzen-schutzmittel? Enge Fruchtfolgen benöti-gen eine hohe Intensität des Pflanzen-schutzes. Ein Beispiel dafür ist der Raps, dessen Anbau aufgrund des zunehmen-den Krankheits- und Schädlingsdrucks immer schwieriger wird. Gerade diese Kultur ist aber eine der ganz wenigen wertvollen Bienenpflanzen, die auch aus großen Distanzen angeflogen wird. Dort kommt es dann zur Konfrontation mit Pflanzenschutzmitteln und zu messbaren Einträgen von Wirkstoff in die Bienenstö-cke. Es entsteht ein Spannungsfeld zwi-schen Landwirtschaft und Imkerei (das durchaus durch die neue Applikations-technik mit Droplegs gelöst werden könnte). Viele sehen darin das Hauptpro-blem für die Schwierigkeiten, in denen viele Bienenarten heute stecken und pro-jizieren das teilweise auf die Wirkstoff-gruppe der Neonicotinoide. Das Verbot

bestimmter Pflanzenschutzmittel wird aber das Problem, in dem alle Blütenbe-sucher heute stecken, nicht lösen kön-nen. Schön, wenn es so einfach wäre.

Für mehr Blüten in den Landschaften engagiert sich eine Vielzahl von Verbän-den und Organisationen. Öffentlichkeit und die Politik sind aufgerüttelt, der Weg in die richtige Richtung ist eingeschlagen. Für die Landwirte gibt es Förderprogram-me für Blühstreifen, Kommunen kümmern sich um bunte blühende Straßenränder. Dabei sollten bestimmte Bäume und Sträucher nicht vergessen werden, die ein riesiges Blütenangebot liefern können, oh-ne dass viel Platz benötigt wird – z. B. eine ausladende Winterlinde, eine Ross- oder Edelkastanie als Hofbaum.

Wo es die Dorf- und Baustrukturen her-geben, könnte man auch ganze Bauernhö-fe als Wildbienenbiotope einrichten. Dort gibt es bereits interessante Nistplatzange-bote: Sonnige, trockene Bodenflächen un-ter ausladenden Dächern für Bienenarten, die im Boden leben, Holzbalken und Mauern mit Rissen und einer Vielzahl an Schlupflöchern. Es fehlt dann nur das rich-tige Blütenangebot in erreichbarer Nähe. Das können die Blühstreifen werden und vielleicht die eine oder andere geeignete Zierpflanze im Bauerngarten und blühen-de Obstbäume und Beerensträucher rund um den Hof. Aus meiner Sicht wäre das ei-ne spannende Projektidee in einer Zeit, in der die Landwirtschaft um ihr Image kämpft.

Dr. Klaus Wallner,Universität Hohenheim,

Landesanstalt für Bienenkunde

Unterschiedliche Nutzungen einer Fläche sind eine gute Voraussetzung für Biodiversität. Doch wo findet man das noch?

Es geht nicht um HonigbienenDas zeitweise viel diskutierte Bienensterben hat wenig mit der

Honigbiene zu tun, obwohl das viele so verstehen. Viel wichtiger ist das Verschwinden der anderen Bienenarten aus den intensiv genutzten Agrarlandschaften.

Erstaunlich ist nämlich, dass die Honigbiene mit ihren durchorganisier-ten Insektenstaaten, die sich durch eine enorme Anpassungsfähigkeit, durch Arbeitsteilung und Vorratshaltung auszeichnen, als eine der ersten Bienenarten vermutlich schon Anfang des 19. Jahrhunderts ausgestorben wäre, also lange vor der Einschleppung der Varroamilbe Ende der 70er Jahre und vor der Erfindung moderner Insektizide. Honigbienen gibt es nur deshalb, weil sich Imker intensiv um diese Bienenart kümmern. So lange dies so ist, wird sie auch weiterhin überleben.

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PFLANZENSCHUTZMITTEL

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»Die Pestizide sind schuld« ...... das wird gern gesagt. Aber stimmt es so pauschal auch? Verbote

von Pflanzenschutzmitteln werden den Artenrückgang nicht

stoppen, zeigt Stefan Kühne.

D ie Verbindung von Artensterben und Pflanzenschutz ist aktuell ei-

nes der großen Themen in Medien und Gesellschaft. »Das große Entgiften« titelte im Mai 2018 die Wochenzeitung ZEIT und nennt gleich zu Beginn Glyphosat und In-sektizide. Auch für die Initiatoren des bay-erischen Bienen-Volksbegehrens ist der chemische Pflanzenschutz einer der Hauptverursacher des Artenrückganges: »Die systematische Anwendung von Her-biziden hat zum fast vollständigen Aus-sterben von Ackerwildkräutern geführt. Mit den Insektiziden werden Insekten be-kämpft. Selbstverständlich sind sie haupt-verantwortlich für den Rückgang von In-sekten«. Weite Teile der Öffentlichkeit haben ein eindeutiges Bild: Weniger In-sekten auf der Windschutzscheibe, immer weniger Vögel, da weniger Insekten we-gen der Monokulturen und der Agrargifte.

So eindeutig ist das nicht. Sichtet man die wissenschaftliche Literatur zum The-ma, so mischen sich in diese Schwarz-Weiß-Malerei doch viele Grautöne. Selbst in der vielfach zitierten »Krefeld-Studie«, die zwischen 1989 und 2016 in Natur-schutzgebieten überwiegend in Nord-rhein-Westfalen einen Rückgang der Bio-masse flugaktiver Insekten von bis zu 82 % fand, heißt es: »Der zunehmende Einsatz von Düngern und Pflanzenschutzmitteln sowie die ganzjährige Bewirtschaftung spielten vermutlich eine Rolle, klare wis-senschaftliche Belege für diese Annahme liegen aber nicht vor.«

Klar ist jedoch: Jede Form der agrari-schen Landnutzung (ob ökologisch oder konventionell) hat einen starken Einfluss auf die biologische Vielfalt. Effekte der Pflanzenschutzmittel werden von langfris-

tigen und jahresspezifischen Einflüssen begleitet und überlagert. Standortbedin-gungen spielen eine Rolle, also Klima und Witterung, die Landschaftsstruktur (Acker-Grünland-Verhältnis, Anteil Kleinstruktu-ren oder der Anteil der landwirtschaftli-chen Nutzfläche im Verhältnis zu Wald, Siedlungen und Infrastruktur) sowie die Geografie in Form von Bodenarten, Hang-neigung und -ausrichtung sowie Höhe. Ferner natürlich die landwirtschaftlichen Maßnahmen wie Fruchtfolge, Sortenwahl, Düngung, Pflanzenschutz, aber auch Bio-diversitätsmaßnahmen auf den Ackerflä-chen wie Blühstreifen und Lerchenfenster. Allerdings: Zu dieser Komplexität und den Wechselwirkungen gibt es relativ wenige wissenschaftliche Untersuchungen.

Biodiversität ist Schutzziel. Klar ist auch der starke rechtliche Rahmen (»un-vertretbare Auswirkungen von Pflanzen-schutzmitteln auf den Naturhaushalt«). Schutzziel der EU-Pflanzenschutzverord-nung von 2009 ist neben Mensch, Tier und Umwelt explizit auch die biologische Vielfalt. Unterscheiden lassen sich dabei zunächst Produktionsflächen (Zielflächen) und angrenzende Flächen (Saumstruktu-ren). Weiterhin gibt es direkte toxische Ef-fekte auf Nichtzielorganismen und indi-rekte Effekte. Letztere basieren auf zum Teil sehr komplexen Wirkgefügen, indem z. B. die Nahrungsgrundlagen von Nicht-zielorganismen reduziert und enge Bin-dungen an den Lebensraum (Habitat) ent-zogen werden. Was sagt die Wissenschaft zum Einfluss des Pflanzenschutzes auf In-sekten, »Ackerbegleitpflanzen«, Vögel oder Bodenorganismen? Im Julius Kühn-Institut wurde eine Vielzahl von Studien systematisch ausgewertet.

Die öffentliche Meinung schiebt den Rückgang der Artenvielfalt gern allein den Landwirten und speziell dem chemischen Pflanzenschutz zu. Dabei werden jedoch die vielen anderen Einflüsse meist ignoriert.

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Gesellschaft

Lebensstil

Flächenverbrauch

Subventionen

Lebensmittelpreise

Landwirtschaft

Fruchtfolge

Düngung

Pflanzenschutz

Biodiversitäts-Maßnahmen

Standort

Klima

Landschaftsstruktur

Geografie(Bodenart ...)

Einfluss aufBiodiversität

Quelle: IVA, verändert

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PFLANZENSCHUTZMITTEL

Arthropoden: Laufkäfer ... Zu den Arth-ropoden zählen Milben, Bienen, Marien-käfer, Schwebfliegen, Laufkäfer, Kurzflü-gelkäfer und Schmetterlinge. Unter ihnen sind viele Nützlinge und Bestäuber, die in der Krautschicht und auf dem Boden le-ben und häufig als Indikatoren für die Bio-diversität dienen. Anzumerken ist, dass in den an Feldern angrenzenden naturnahen Flächen (Saumstrukturen) auch Gruppen Beachtung finden, die nicht auf der Pro-duktionsfläche, sondern nur dort auftre-ten. Dazu zählen z. B. Heuschrecken.

Zu den direkten Wirkungen des Pflan-zenschutzes auf diese Gruppe gibt es zahlreiche Untersuchungen. Sie betreffen besonders häufig Spinnen- und Laufkäfer-gesellschaften. So ergaben zahlreiche Ver-gleiche höhere Laufkäferdiversitäten auf ökologisch bewirtschafteten Flächen. Aber auch auf konventionellen wurden hohe Laufkäferdichten und -diversitäten gefunden. Typisch sind 30 bis 40 Arten. Ei-ne Abgrenzung des Faktors Pflanzen-schutz war in diesen Studien allerdings nicht möglich. Andere Untersuchungen belegten negative Effekte von Insektiziden im Feld- und Obstbau auf die Vielfalt dort lebender Arthropodengesellschaften. Da-bei zeigte sich aber auch, dass diese auf-grund der Wiedererholungsprozesse am Ende oftmals begrenzt blieben.

... und Bienen. Besonders intensiv wur-de die Gesellschaft der Bestäuberinsekten beobachtet, wobei bisher selten deren Ar-tenvielfalt im Fokus der Betrachtungen lag. Obwohl negative Effekte von Insekti-ziden, vor allem aus der Gruppe der Neo-

nikotinoide, auf Honigbienen nachgewie-sen wurden, können derzeit noch keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen zu den direkten Auswirkungen des Pflanzen-schutzes auf die Diversität der Bestäuber-gesellschaft getroffen werden.

Auf angrenzenden Flächen können Ar-thropodengesellschaften vor allem durch die Abdrift von Insektiziden direkt beein-flusst werden. Diese Effekte finden meist in den ersten Metern vom Rand der Pro-duktionsfläche statt und hängen maßgeb-lich von der angebauten Kultur ab. So ist die Gefahr in Obstanlagen höher als ne-ben Getreidefeldern. Die Auswirkungen der Abdrift auf die biologische Vielfalt in Säumen wurden nur in wenigen Untersu-chungen beleuchtet, wobei sich diese Stu-dien auf Milben, Spinnen, Laufkäfer und Heuschrecken konzentrierten.

Indirekte Einflüsse können sich vor al-lem aus dem Verlust von Nahrungsquellen (Ackerbegleitpflanzen oder tierische Schad erreger) oder Lebensräumen erge-ben. Im Vergleich zu den direkten Einflüs-sen des Pflanzenschutzes wurden die indi-

rekten Einflüsse allerdings weitaus seltener untersucht, weshalb in vielen Fällen Be-wertungen mit großen Unsicherheiten verbunden sind. Dies gilt gleichermaßen für Produktionsflächen wie für angrenzen-de Flächen.

Ackerbegleitflora. Auf die biologische Vielfalt wirken Standorteigenschaften, Nährstoffangebot, Vorfrucht und Pflanzen-schutz ein. Einen direkten Einfluss haben natürlich die Herbizide und die mechani-sche Unkrautbekämpfung. Es macht die Diskussion nicht leichter, dass Ackerbe-gleitpflanzen ab einer bestimmten Dichte als Unkräuter gelten. Andererseits können sie einen bedeutenden Beitrag zur Biodi-versität der Agrarlandschaft leisten. Auch deshalb müssen wir uns wieder intensiver um neue (wirtschaftliche) Schadensschwel-len bemühen, die unnötige Spritzungen vermeiden helfen.

Auf welche Weise eine Unkrautbekämp-fung stattfindet, ist prinzipiell unerheblich: Verschiedene Studien konnten negative Einflüsse durch sowohl chemische als auch mechanische Verfahren nachweisen. Auf ökologisch bewirtschafteten Flächen wur-de dennoch eine höhere Artenvielfalt be-legt – das legt im Umkehrschluss einen ge-ringeren Bekämpfungserfolg nahe.

Vögel. Der nationale Biodiversitätsindi-kator »Artenvielfalt und Landschaftsquali-tät« bezieht sich auf zehn Indikatorvogel-arten. Auf dem Agrarland ist er nach wie vor weit vom Zielwert entfernt. Der Indi-kator bezieht sich auf einen angenomme-nen Zustand im Jahre 1975. Zahlreiche Er-hebungen zeigen, dass das Vorkommen bestimmter Vogelarten und somit auch die Diversität der Vögel sowohl auf den Acker-flächen (z. B. die Feldlerche) als auch in den angrenzenden Strukturen in den letz-ten Jahrzehnten abgenommen haben. Al-lerdings konnte der spezifische Effekt des Pflanzenschutzes dabei nur selten losge-

Effekte des Pflanzenschutzes wurden bisher nur selten losgelöst von anderen Einflüssen nachgewiesen. Prof. Dr. Stefan Kühne

Definierte Bandbreite der Biodiversität?

Artenzahl

Jahre Quelle: Wendt et al. 2010

In Untersuchungen wird meist die Situation auf unbehandelten oder »Low-input-Flächen« als Vergleichsbasis genutzt. Ferner werden histori-sche Daten mit unterschiedlichen Leitbildern der Biodiversität herangezo-gen, z. B. aus Studien der 1950er Jahre. Dies bedarf einer kritischen Auseinandersetzung mit dem methodischen Vorgehen. Ein interessanter Bewertungsansatz ist die Idee des »Korridors des guten ökologischen Zustands«. Dabei fungieren definierte Bandbreiten der Biodiversität, z. B. Artenzahlen und Maßzahlen zur »funktionalen Biodiversität« (Summen von unterschiedlich auftretenden, aber ähnlich wirkenden Nützlingsarten) als Wertmaßstab.

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löst von den weiteren Einflussgrößen nachgewiesen werden. Offenlandarten und Bodenbrüter sind von der Landnut-zung stärker abhängig als solche, deren Lebensraum in Hecken liegt.

Indirekte Auswirkungen des Pflanzen-schutzes auf Vögel und auch Säugetiere, Amphibien und Reptilien können über die Nahrungsketten verursacht werden, wenn Herbizide oder Insektizide Nahrungsquel-len (Samen, Arthropoden, kleine Säuge-tierarten) dezimieren.

Bodenorganismen. Dazu gehören vor allem Mikroorganismen (Bakterien, Algen, Pilze), Regenwürmer, Bodenmilben, Springschwänze, Larven von Arthropoden

(z. B. Fliegen und Laufkäfer), die wieder-um jeweils als eigene Organismengesell-schaft betrachtet werden können.

Grundsätzlich liegen viele Arbeiten zu direkten Einflüssen des Pflanzenschutzes auf Bodenorganismen vor. Allerdings be-trachtet die Mehrzahl nicht die Diversität, sondern hauptsächlich Dichte- oder Akti-vitätskennzahlen bestimmter Arten oder Artengruppen. Es gibt zahlreiche Belege, dass Bodenorganismen wie Milben, Collembolen und Regenwürmer negativ beeinflusst werden können. Die Erkennt-nisse betreffen sowohl einzelne Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen als auch mechani-sche Verfahren wie die wendende Boden-bearbeitung. Bei den gut untersuchten Re-genwürmern zeigte sich, dass diese auf erhöhte Kupfergehalte im Boden empfind-lich reagieren und bereits geringe Kupfer-belastungen im Boden zu einer Reduktion der funktionalen Vielfalt führen können.

Chemische oder mechanische Unkraut-bekämpfung kann auch indirekt die biolo-gische Vielfalt der Bodenorganismen ne-gativ beeinflussen, die in Abhängigkeit von Ackerbegleitpflanzengesellschaften oder deren Abbauprodukten leben.

Gewässerorganismen. Viele Studien be-legen, dass negative Einflüsse auf die bio-logische Vielfalt bei Wasserflöhen, Was-serlinsen, Köcherfliegenlarven, Algen und Fischen möglich, aber bei sachgerechtem Pflanzenschutz nicht pauschal zu erwar-ten sind. Die vorliegenden Erkenntnisse unterstreichen in jedem Fall die Wichtig-keit der Einhaltung bestehender Auflagen

wie die Einhaltung von Mindestabständen zu Gewässern und die Verwendung ab-driftmindernder Düsen.

Fazit. Sowohl in Deutschland als auch weltweit liegen umfangreiche Studien zu möglichen Einflüssen des Pflanzenschut-zes auf verschiedenste Organismengesell-schaften in der Agrarlandschaft vor. Dabei existieren zu einigen Organismengrup-pen, z. B. Laufkäfern und Ackerbegleit-pflanzen, erheblich mehr Erkenntnisse als zu anderen. Die Auswirkungen von Pflan-zenschutzmaßnahmen auf die Artenviel-falt als Ganzes wurden allerdings nur in wenigen Studien untersucht. Oft gab es dagegen Systemvergleiche, vor allem zwi-schen konventionellem bzw. integriertem und dem Ökolandbau. Letzterer zeigte in der Regel eine höhere Biodiversität.

Insgesamt ist es gerade bei den indirek-ten Effekten methodisch schwierig, einen Einfluss des Pflanzenschutzes auf die Bio-diversität losgelöst von anderen Faktoren (z. B. der Landschaftsstruktur) zu betrach-ten. Wirklich nachgewiesen wurde dieser nur selten. Nötig wären dazu langfristige Freilandstudien und Monitorings sowie methodische und statistische Verfahren.

Prof. Dr. Stefan Kühne, Julius Kühn-Institut, Kleinmachnow

Dieser Beitrag basiert im Wesentlichen auf dem »Bericht über Erkenntnisse wissenschaftli-

cher Untersuchungen über direkte und indirekte Effekte des Pflanzenschutzes auf die

Biodiversität in Agrarlandschaften« des JKI, Berichte aus dem Julius Kühn-Institut 189.

Oft im Schatten der Öffentlichkeit steht die Biodiversität im Boden.

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PRAXISBEISPIEL I

Artenvielfalt plus hohe IntensitätBiodiversität aufbauen und gleichzeitig intensiv arbeiten, das wird künftig die

hohe Schule der Landwirtschaft sein. Peter Kaim übt das auf seinem Milchviehbetrieb

schon einmal – unter den Augen der Berliner Ausflügler.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in sei-

nem Garten stand ...«. Vielen Menschen klingen diese Zeilen aus dem Gedicht von Theodor Fontane im Ohr. Entsprechend viele Besucher zieht das kleine Dorf Rib-beck etwa 50 km westlich von Berlin an, mit seinem Schloss und den fachmännisch renovierten Gebäuden im Ortskern. Klar, dass die Landwirtschaft in solch einem Ort besonders in der Öffentlichkeit steht. Und warum der Havellandhof mit seinem Ge-schäftsführer Peter Kaim auch deshalb ei-ner von bundesweit zehn Demonstrati-onsbetrieben des Projektes »F.R.A.N.Z« geworden ist.

F.R.A.N.Z bedeutet: »Für Ressourcen, Agrarwirtschaft und Naturschutz mit Zu-kunft«. Sein Ziel ist, auch auf intensiv ge-führten Betrieben eine möglichst große Ar-tenvielfalt zu erreichen. »Alle Maßnahmen, die dabei getestet werden, laufen momen-tan außerhalb der regulären Agrarumwelt-förderung«, erläutert Holger Pfeffer vom Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL), der zusammen mit Thorsten Mohr vom Landesbauernverband den Havel-landhof begleitet.

In diesem Projekt vertreten sind sowohl Ackerbau- als auch Grünlandbetriebe, die jeweils regionale Besonderheiten wi-derspiegeln sollen. Ziel ist es, die Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen, die sich als geeignet herausstellen, nach Abschluss ei-ner zehnjährigen Versuchsphase auf ande-

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Tue Gutes und rede darüber: Peter Kaim mit Journalisten auf einem Leindotterstreifen, der für Feldvögel inmitten eines Maisschlages angelegt ist.

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re Betriebe bundesweit übertragen zu können. Neben der Entwicklung auch wirtschaftlich überzeugender Konzepte geht es um die Identifizierung von Hemm-nissen im Agrar- und Umweltrecht, wel-che die Umsetzung von Naturschutzmaß-nahmen in den landwirtschaftlichen Betrieben verhindern. F.R.A.N.Z läuft als Verbundprojekt unter Federführung der Umweltstiftung Michael Otto gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband und anderen Instituten und Organisationen.

Der Betrieb. Der Havellandhof beschäf-tigt einschließlich seines Geschäftsführers Peter Kaim acht Mitarbeiter und zwei Auszubildende. Der Betrieb hat eine Flä-chenausstattung von 960 ha mit überwie-gend leichten Böden. Die 720 ha Ackerflä-chen verzeichnen durchschnittlich 35, die 240 ha Grünland durchschnittlich 33 Bo-denpunkte. In normalen Jahren kann Peter Kaim mit 502 mm Niederschlag rechnen. Aber was ist schon normal?

Seit über zehn Jahren wirtschaftet der Betrieb pfluglos. Sein Anbauspektrum

umfasst Mais, Wintergerste, Winterwei-zen, Winterroggen und Winterraps. Hin-zu kommt die Vermehrung von Deut-schem Weidelgras auf knapp 9 % der Ackerfläche.

Eine Besonderheit, die sich in einem touristisch attraktiven Ort wie Ribbeck anbietet, ist eine Blumenwiese von etwa 2,5 ha mit Sonnenblumen, Gladiolen und Tulpen zum Selbstschneiden. Je nach der Qualität der Böden arbeitet Peter Kaim mit

zwei unterschiedlichen Fruchtfolgen. Auf den Flächen mit über 30 Bodenpunkten stehen Raps, Mais, Gerste und Weizen, wobei nach dem Raps noch Futterroggen und nach der Gerste noch Landsberger Gemenge als Zwischenfrüchte zum Einsatz kommen. Auf den schlechteren Böden sät Peter Kaim Roggen, Mais, wie-der Roggen sowie Raps und bringt im Herbst beim Roggen noch eine Unter-saat von 6 kg/ha Rotschwingel mit aus.

Überall im Betrieb gibt es Ansatzpunkte für Biodiversität. Was im einen Jahr erfolgreich ist, muss es jedoch im nächsten nicht unbedingt sein.

Die Maßnahmen im F.R.A.N.Z.-Projekt• Blühstreifen in zwei Varianten (1a = überjährige strukturreiche Blüh-

streifen, 1b = mehrjährige Blühstreifen mit optionaler Biogasverwertung).• Extensivgetreide (Verzicht auf PSM).• Sommergetreide mit blühender Untersaat (Klee, Leindotter).• Blühendes Vorgewende (Leguminosen).• Feldvogelinseln.• Förderung der Feldlerchen: Fenster, kleine Erbsenfenster im Getreide,

Getreidestreifen oder Selbstbegrünung auf Maisflächen.• Maßnahmen im Grünland wie Altgrasstreifen, Extensivgrünland oder

kleinflächiger Abtrag von nährstoffreichem Oberboden.• Mais-Stangenbohnen-Gemenge.

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PRAXISBEISPIEL I

Eine weitere Untersaat erfolgt im Frühjahr in der Gerste mit 16 kg/ha.

Einen Teil der Gras- und Maissilage fres-sen die etwa 150 Milchkühe samt Nach-zucht. Stalldurchschnitt: knapp 9 000 kg. Ihnen steht eine Grasfläche direkt am Stall als Auslauf zur Verfügung. Hochtragende Färsen sind ebenfalls am Hof unterge-bracht; die Jungtiere weiden auf Hof-fer-nerem Grünland. Um auch den trocken-stehenden Kühen eine Auslauffläche bieten zu können, hat Peter Kaim einen Teil des Hofes vor dem Stall befestigen und mit einem Abfluss versehen lassen. »Im Sinne einer tiergerechteren Haltung lohnen sich die Kosten hierfür unbedingt!«

»Vom Regenwurm bis zum Wohnzim-mer hängt alles zusammen«, sagt der

Landwirt, als er die 380-KW-Biogasanla-ge vorstellt. Sie läuft in einem Zweitbe-trieb, wird mit Rindermist, Rinderjauche, Grassilage und Maissilage betrieben und versorgt 29 Häuser sowie das Schloss.

Und wie passt nun die Biodiversität in einen solchen doch sehr intensiven Be-trieb? Der Havellandhof setzt derzeit in ei-nem Projektgebiet von 700 ha auf 55 ha F.R.A.N.Z-Maßnahmen um. Sie sind über-wiegend in die Produktion integriert. In der Erprobung sind derzeit die auf mindestens 12 m anzulegenden Blühstreifen ohne und mit Nutzung in der Biogasanlage. Peter Kaim testet außerdem Altgrasstreifen. Hier bleibt ein Teil der ansonsten intensiv ge-nutzten Fläche stehen und bietet Tieren De-ckung. Außerdem können in den trockenen Stängeln Insekten überwintern. Für die Maßnahme »Extensivgetreide« wird mit re-duzierter Aussaatmenge bestellt. Der da-durch lichte Getreidebestand und ein Ver-zicht auf Dünger und Pflanzenschutzmittel

fördern Ackerwildkräuter als Nahrungs-quelle für Insekten, bieten Amphibien Schutz sowie Feldvögeln Futter und Brut-plätze. Vorgewende mit bunt blühenden Einsaaten dienen der Biodiversität und schützen Nachbarbiotope.

Eine im Jahr 2017 als einjährige Bra-che angelegte Feldvogelinsel hat bereits im selben Jahr zum Bruterfolg bei Kiebit-zen geführt. Leider konnte dieser Erfolg im folgenden Jahr mit der Brache an einer anderen Stelle nicht wiederholt werden. Als weitere Maßnahme erprobt der Havellandhof Mais-Stangenbohnen-Ge-menge in einem Verhältnis von 50 : 50. Die blühenden Bohnen bieten Nahrung für bestäubende Insekten und ein Brutha-bitat für Vögel. Der Vorteil im Anbau ist die Bindung von Stickstoff im Boden durch die Leguminosen. Und nach der Ernte hat Peter Kaim gleich eine Eiweiß-komponente mit im Futter. Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: »Das

Ein Streifen Leindotter-Erbsen-Gemenge sowie das Vorgewende mit einem Gemenge aus Hafer und Blühpflanzen bringen Abwechslung in die sonst vom Mais dominierte Struktur.

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ist richtig teuer. Für vier Pflanzen Stan-genbohnen pro m2 muss man mit 200 €/ha Kosten kalkulieren.«

Apropos Kosten: Während das zehnjäh-rige Projekt läuft, bekommt Peter Kaim für seinen Einsatz eine Vergütung für eine Ar-beitszeit von zehn Stunden im Monat. Mithilfe der Betriebsbetreuer sind außer-dem die F.R.A.N.Z-Maßnahmen mit den Anforderungen der Agrarumweltförderung in Einklang gebracht worden. Da nicht al-le Maßnahmen als Ökologische Vorrang-flächen im Greening oder als Agrarum-weltmaßnahme anerkannt werden (z. B. auch das teure Mais-Stangenbohnen-Ge-menge), ist eine zusätzliche Finanzierung aus Projektmitteln erforderlich.

Wie es finanziell nach dem Projektende mit den Umweltmaßnahmen weitergeht,

ist ungeklärt. Peter Kaim meint, dass sich von den verschiedenen Möglichkeiten vielleicht zwei oder drei in jedem Betrieb realis-tisch werden etablieren können. Einzelbetrieblich müssten dabei allerdings Ökonomie und Ökolo-gie stimmen.

Die derzeitige Agrarumweltpolitik beur-teilen Peter Kaim und sein Berater Holger Pfeffer nicht gerade gnädig. Umweltaufla-gen wie absolute Umbruchverbote oder der Zwang, eine Fläche jährlich mulchen zu müssen, auch wenn es landwirtschaft-lich nicht notwendig ist, seien praxisfern, meint Kaim. Holger Pfeffer sieht auch ein Problem darin, dass es für Umweltmaß-nahmen bisher nur Ausgleichszahlungen gebe, aber keine Anreize, freiwillig etwas zu tun: »Es ist klar, dass mit Biodiversität kein großer Gewinn zu machen ist. Aber selbst moderate Umweltmaßnahmen sind in Brandenburg sehr positiv zu beurteilen, weil sie sich durch die großen Betriebe in der Fläche auswirken«, sagt er. Daher sei es so wichtig, dass Betriebe sich mögliche Maßnahmen passend zu ihren Produkti-onsbedingungen auswählen können.

Die »politische« Idee von F.R.A.N.Z ist, nach einigen Jahren erfolgreich erprobte Maßnahmen schnellstmöglich in Förder-programmen zu etablieren. So wird Brandenburg ab 2020 eine Förderrichtli-nie »Blühflächen und Ackerrandstreifen« anbieten, die sich an die F.R.A.N.Z- Maßnahmen anlehnt.

Und dann wäre da noch »der Verbrau-cher«. Was die Leute schön finden, nutzt nicht unbedingt der Landwirtschaft. So steht Peter Kaim im touristischen Ribbeck vielleicht noch mehr als andere Landwirte vor dem Konflikt zwischen dem Produkti-onswert seiner Umweltmaßnahmen und dem ästhetischen Wert. Denn eine brach-liegende Vogelinsel im Feld sieht eher un-gepflegt als attraktiv aus.

Schön dagegen hört und sieht es sich an, wenn es in dem auf fünf Jahre ange-legten und mit verschiedenen Wildblu-men eingesäten Blühstreifen auf 1,7 ha nur so schwirrt und summt und brummt vor lauter Schmetterlingen, Wildbienen und Käfern.

Annegret Münscher

Ohne professionelle Unterstützung läuft »Biodiversität« nicht.

Am Ende darf man auch dies nicht vergessen: Die

wirtschaftliche Basis des Havellandhofes

sind 150 Milchkühe.

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PRAXISBEISPIEL II

Auf dem Weg zur BiotopvernetzungProjekte auf einzelnen Betrieben gibt es mittlerweile viele. Aber was 30 Landwirte in der Südpfalz mit

tatkräftiger Unterstützung ihres Umfeldes auf die Beine stellen, ist einzigartig: ein flächendeckendes

Biodiversitäts-Netzwerk.

Es gibt ja diesen hässlichen alten Spruch: Wenn man drei Bauern zu-

sammenbringen wolle, müsse man zwei von ihnen totschlagen. Aber gleich 20 oder 30 Bauern? Und dann auch noch beim Thema Biodiversität, bei dem die meisten sofort an Flächen- und Ertragsver-lust denken und an überschäumende Bü-rokratie?

In allen Bundesländern gibt es mittler-weile Vorzeigebetriebe, in denen ein Mit-einander von intensiver landwirtschaftli-cher Nutzung in Verbindung mit Rücksicht auf die biologische Vielfalt exerziert wird. Aber Biodiversität lebt nicht nur von lo-benswerten Aktivitäten im Einzelbetrieb. Sie braucht Strukturen, verlangt Vernet-zung. Das ist nur auf der Ebene der Ge-markung oder sogar darüber hinaus zu schaffen. Sie verlangt Überzeugungskraft, Durchhaltevermögen und natürlich die richtigen Partner. Und ganz am Anfang den richtigen Impuls.

Ein Landwirt ist die treibende Kraft. Als Vizepräsident des Bauern- und Winzerver-bandes Rheinland-Pfalz Süd arbeitet Rein-hold Hörner in einem Biodiversitäts-Exper-tenkreis mit, den die BASF ins Leben gerufen hat. »Darin war ich zwei Jahre lang der einzige Landwirt!« So viel schon mal zur Verteilung der Gewichte in der Diskus-sion über Artenvielfalt. Hörner bewirtschaf-tet in Hochstadt bei Landau einen Betrieb mit 25 ha Wein- und 100 ha Ackerbau. Nicht nur dieses Nebeneinander erzeugt bereits eine gewisse Abwechslung, sondern auch das Relief: Lößhügel sind durchzogen von schmalen Bachtälern, die von Gehölz-streifen begleitet werden. Die Ackerschläge sind vergleichsweise klein. Auch das Klima spielt eine Rolle: mediterranes, atlantisches und kontinentales treffen sich hier. So kom-men drei Mistelarten bundesweit nur in der Südpfalz vor. Und es sind – zum Beispiel in den Lößabbruchkanten – ungewöhnlich viele und auch seltene Wildbienenarten zu

finden. 123 waren es 2017, zwei- bis drei-mal so viele wie in anderen Monitoringge-bieten.

Menschen verändern die Landschaft. Für Hörner ist dennoch klar: »Mit der Ab-schaffung des Viehs in unserer Region ist sehr viel Biodiversität verloren gegangen.« Damals war Festmistwirtschaft die Regel. Viel Biodiversität hat auch die Flurbereini-gung in den siebziger Jahren gekostet, zum Beispiel die Einebnung kleiner Wein-bauterrassen. Deren Lößkanten sind ein Eldorado für Wildbienen und Spinnen. In der gleichen Zeit verschwanden mit den Obstbäumen auch die Vögel.

Man muss es einmal klar und auch vie-len Naturschützern sagen: Der Verlust von Biodiversität ist primär die Folge eines jahrzehntelangen Verlustes an Lebensräu-men. Diese Habitate stehen in Konkurrenz zu landwirtschaftlichen Flächen, auf de-nen ökonomische Regeln gelten, aber auch zu Baugebieten, Straßen oder Nah-erholung. Biodiversität ist also keine ur-sächliche und ausschließliche Aufgabe der Landwirtschaft, denn jeder einzelne Mensch trägt zu ihrem Verlust bei. Die Biodiversitäts-Diskussion auf die landwirt-schaftlichen Flächen zu konzentrieren, wie das oft geschieht, führt nicht zum Ziel. Nichts gegen Präzisionslandwirtschaft, mechanische Unkrautbekämpfung oder weitere Fruchtfolgen. Aber Artenvielfalt braucht doch vor allem Flächen von hoher biologischer Qualität.

Zurückdrehen lässt sich die Entwick-lung vieler Jahrzehnte nicht mehr. Doch Nichtstun ist auch keine Option. So ent-stand vor vier Jahren – am Rande einer Bauernversammlung – die Idee, sämtliche

Vier »Macher« des Projektes (von links): Markus Röser (BASF), Reinhold Hörner (Landwirt), Matthias Kitt (Biologe), Andreas Schumacher (BASF)

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ungleichförmigen Ecken zunächst einmal zu erfassen, um sie dann als Brachflächen im Greening anzumelden. Für Agrarum-weltmaßnahmen kommen diese Flächen nicht infrage, weil sie meist nicht den ge-forderten Zuschnitt haben, sondern oft spitzwinklig zulaufen. Persönliche Bezie-hungen erleichterten den Kontakt zum Naturschutzverband Südpfalz (NVS) und dessen Stiftung. Das Land Rheinland-Pfalz wurde mit Ministerium, Dienstleistungs-zentren und Forschungsinstitution (RLP-Agroscience) ins Boot geholt – das ermög-licht die Aufnahme der Flächen und ihre Berücksichtigung im elektronischen Flä-chenantrag. Der Bauernverband ist dabei, die BASF, der Maschinenring, die lokale Genossenschaft und die VR-Bank. Seit Ap-ril 2016 gibt es somit als Referenzprojekt die »Verdichtungsregion Biodiversität« in der Südpfalz.

Ein- und mehrjährige Blühflächen. Von Beginn an waren 20 Landwirte in 10 Ge-markungen dabei. Die Aktivitäten umfass-ten zunächst die »Klassiker«: Blühflächen und -streifen auf unproduktiven Flächen oder solchen mit ungünstigem Zuschnitt,

Aussaat einjähriger Mischungen im Früh-jahr und (vorzugsweise) mehrjähriger im Herbst. Sie werden aus Spenden finan-ziert. Die Mechanisierung war zu klären, denn von Beginn an wurden diese Flächen mit guter Bodenvorbereitung und pneu-matischem Saataufsatz überbetrieblich durch den Maschinenring bestellt. Die Maschine ist eine »Spende« der Genos-senschaft. Seit dem Sommer 2019 ersetzt ein ebenfalls aus Spenden angeschafftes Doppelmessermähwerk den Mulcher, der sich als nachteilig für Hummeln herausge-stellt hat. Damit kann man früher und hö-her schneiden. Von Beginn an läuft ein be-gleitendes Monitoring auf Laufkäfer und Spinnen, Wildbienen, Vögel und Boden-organismen, das die BASF finanziert. Es bestätigt – im Vergleich auch mit anderen Standorten in Deutschland – eine hohe Biodiversitäts-Leistung an diesem Stand-ort. Man muss die Blühflächen schon mit etwas Aufwand und Fingerspitzengefühl anlegen. Stehen sie zu sehr im Schatten

oder auf vernässten Ecken, so besteht vor allem im ersten Jahr die Gefahr, dass das Unkraut alles überwächst. Die Zusam-mensetzung der Mischung ist für den Er-folg wichtig – es kommt nicht wie beim Greening darauf an, dass „irgendetwas“ auf der Fläche steht. Hier werden auf öko-logischen Vorrangflächen viele Fehler ge-macht, wissen Reinhold Hörner und seine Mitstreiter.

Solche Aktivitäten bleiben nicht unbe-merkt. Bald fragten Landwirte von sich aus, ob sie sich dem Projekt anschließen könnten. Heute sind 30 Landwirte an dem Projekt beteiligt; 200 Parzellen auf 100 ha Land sind aktuell mit Blühmischungen bestellt. Für Reinhold Hörner sind drei Punkte ganz wichtig: »Die Projektpartner arbeiten gut zusammen. Unabhängige Ex-

Blühstreifen und Bienenhotel – die ideale Kombination.

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Lößkanten bieten beste Bedingungen für Wildbienen. Fo

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PRAXISBEISPIEL II

perten bewerten die Ergebnisse. Und ge-meinsam lernen Landwirte und Natur-schützer mit- und voneinander.«

Die zweite Stufe: sinnvolle Vernetzung. Mittlerweile hat das Projekt eine zweite Stufe erreicht. Der mehr oder weniger zu-fälligen Auswahl von »Eh-da«-Flächen folgt jetzt die Überlegung, diese sinnvoll zu ver-netzen. »Es bringt ja nichts, wegen irgend-welcher politischer Anforderungen irgend-wo 5 % Fläche herauszuziehen, um sie im Jahr darauf wieder zu bewirtschaften«, er-läutert der für den NVS tätige Biologe Mat-thias Kitt. Vernetzung ist das A und O für mehr Biodiversität, braucht aber einen Plan. So wird derzeit eine Datenbank auf-gebaut, um das Greening in diesem Sinne steuern zu können. Manchmal sind dann nur kleine Dinge nötig wie die Rekonstruk-tion von Graswegen oder auch einmal eine Furche quer über den Acker. Nicht nur über die »Strecke« lässt sich so ein Biotopver-bund realisieren, sondern z. B. auch durch die Anlage von Wildbienenhügeln alle paar Hundert Meter. Diese Tiere überwinden die heutigen Schlaggrößen oft nur noch müh-sam oder gar nicht mehr. Oder man unter-nimmt den Versuch, die vorhandenen Kopf-weiden zu erfassen und zu vernetzen. Ein Ziel ist auch, Ausgleichsflächen sinnvoll in den Biotopverbund zu integrieren. Die Kommunen wollen davon überzeugt wer-den, nicht immer mit dem großen Mulcher

zu arbeiten. Und auch gegenüber Landwir-ten finden die Naturschützer manchmal kritische Worte: Wenn die mal in Ruhe lie-ßen, was ihnen nicht gehört, sei schon viel gewonnen. Es gebe so viele schöne Säume, deren Wert durch Bewirtschaftung oft sehr gemindert werde.

Ein paar Herausforderungen gibt es auch. Klar wird auch in diesem Projekt: Man kann die Landwirte mit dem Thema »Biodiversität« nicht allein lassen. Es ist ein Anschub, aber keine Lösung, dass ein Unternehmen aus seinem Kommunikati-onsetat die Hauptlast der Koordination und Finanzierung trägt. Neue Finanzie-rungsmöglichkeiten für weitere Monito-rings werden aktuell erschlossen. Eine staatliche Beratung gibt es in Rheinland-

Pfalz nur für den Vertragsnaturschutz, und auch in den Berufs- und Fachschulen kommt das Thema (weil die Lehrpläne vor Jahrzehnten aufgestellt wurden) nur am Rande vor.

Eine ganz andere Herausforderung wie-derum ist die auch in der Südpfalz spürba-re Flächenknappheit. Sie wird drastisch verschärft, indem Gemüsebaubetriebe aus der Nordpfalz dort neue Flächen suchen. Intensiver Gemüsebau ist wohl das Ge-genteil von biologischer Vielfalt. Der Pachtanteil in dieser Region erreicht zwei Drittel – da muss ein Verpächter schon ei-ne große Liebe zu Heimat und Landschaft mitbringen, um Angeboten von 1000 €/ha zu widerstehen.

Thomas Preuße

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Das Projektgebiet mit den 2016 angelegten Biodiversitätsflächen.

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Der Gemüsebau breitet sich in der Südpfalz weiter aus. Damit wird es noch schwerer, Flächen für die Biodiversität freizumachen.

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Was können Landwirte konkret tun?

Maßnahmen Standort Kultur KlimaAckerbauliche

VorteileAckerbauliche

NachteileFaktor öVF

LerchenfensterKeine besonderen Standortansprüche

Insbesondere in Getreidekulturen sinnvoll, ausge-nommen Wintergerste

Keine besonde-ren Klima- ansprüche

Keine Behinderung der Feldarbeit

Fenster muss bei Bodenbearbei-tung ausgespart werden

Hecken

∙ Bevorzugt Süd- oder Westseiten von Wegen, Gräben und Bachläufen

∙ Ackerränder

Pflanzhecke: 1 Pflanze pro Meter, einheimi-sche Sträucher, Rest über Selbstansiedlung von Wildarten

sonnigSelten Pflegemaß-nahmen durchzufüh-ren

Kann Arbeiten auf dem Acker erschweren

2,0

Ackerbrachen

∙ schwer zu bewirtschaf-tende Teilflächen (z. B. Zwickelflächen, Buchten)

∙ ungünstig gelegene Ackerschläge

∙ nährstoffarm ∙ Sandböden ∙ ertragsschwach ∙ flachgründige Kuppen

selbstbegrünend, einjährige Saatmischungen, überjährige oder mehrjährige Ansaatmischung

sonnenreiche, trockene, sich schnell erwärmende Böden

Lässt sich relativ einfach wieder in zu bewirtschaftende Fläche umbrechen, ohne negative Auswirkungen auf Folgekultur

Unkräuter können sich u. U. auf angrenzender Kultur ausbrei-ten

1,0

Pufferstreifen an Gewässern

Entlang von Gewässern

Mehrjährige Mischungen mit Gräser- und Kräuteranteilen; bevorzugt Mischungen mit heimischen Wildarten

nicht relevantErosionspufferstrei-fen zu Gewässern

1,5

Blühstreifen/ Blühflächen

∙ Bevorzugt besonnte Flächen – Grenzertrags-standorte sind günstig

∙ Flächen ohne größere Vorkommen von Problemarten wie Quecke oder Disteln

∙ Keine stark vernässten Flächen

∙ einjährig, überjährig: Mischung aus Kulturarten wie Sonnenblume

∙ mehrjährig auf Kulturarten sollte großteils verzichtet werden, Verwendung gebietseigener Wildpflanzen- mischungen

Sonnenexpo-niert, wenig Schatten durch angrenzenden, dichten Wald

Anlage auf ungünstigen Flächenabschnitten (Spitze eines Feldes) vereinfachen Bearbeitung auf dem Rest des Schlages

Samen können u. U. in die angrenzende Kultur überwan-dern

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MASSNAHMEN

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BLÜHSTREIFEN

Die Stiefkinder des GreeningBlüh- und Randstreifen sind unter Landwirten unbeliebt.

Wie motiviert man die Praxis, sich trotz des komplizierten

Antragsverfahrens dafür zu interessieren? Erfahrungen in

Nordrhein-Westfalen erläutert Elisabeth Verhaag.

Seit 2015 müssen Landwirte 5 % ihrer Ackerflächen als ökologische Vor-

rangfläche (öVF) vorhalten, wenn sie die volle Flächenprämie erhalten möchten. Das Gerangel um deren Ausgestaltung war bekanntlicherweise sehr groß. Mit der Ausgestaltung haben sich die Landwirte zwar weitgehend arrangiert, aber an Kom-pliziertheit sind die Regelungen kaum zu übertreffen. Die Feinheiten mussten im-mer wieder infrage gestellt und dann neu kommuniziert werden. Das machte eine zielgerichtete Umsetzung sehr schwierig.

In Nordrhein-Westfalen sind 2019 knapp 11 000 ha landwirtschaftliche Nutzflächen als Streifen und Brachen in der freien Feldflur zu finden. Dies ent-spricht einem Anteil an den öVF von über 1,2 % der Ackerfläche. Insbesondere die Brachen mit 8 000 ha und damit fast 1 % der öVF spielen dabei eine wesentliche Rolle. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren nahezu identisch geblieben.

Da stellt sich die Frage: Warum haben sich diese Zahlen nicht nach oben entwi-ckelt? Die Antwort ist schnell gefunden. Wer schon mal einen Flächenantrag ge-stellt hat, weiß, wie kompliziert gerade die Angaben von streifenförmigen Flächen sind. Hinzu kommt, dass die Landwirte seit zwei Jahren aufgefordert sind, die La-ge und Größe eines Streifens quadratme-tergenau einzuzeichnen. Es bedarf schon einer sehr ruhigen Hand, dies exakt zu ge-währleisten. Damit steigt die Fehleranfäl-

ligkeit und damit das Anlastungsrisiko des Antrages enorm. Es ist deshalb nachvoll-ziehbar, dass die in der Beantragung einfa-cher umsetzbare Maßnahmen, wie der Anbau von Zwischenfrüchten, mehr An-hänger findet.

Diese Problematik wurde auch in der Auswertung des Konsultationsverfahrens der EU Anfang 2016 deutlich. Nahezu 80 % der Beteiligten stuften die Umset-zung der gesamten Greeningerfordernisse und damit insbesondere der öVF als »schwer« bzw. »sehr schwer« umsetzbar ein. Es gilt also nicht, die Landwirte an den Pranger zu stellen, sondern Regelungen zu schaffen, die es ihnen möglich ma-

chen, Maßnahmen auch in die Praxis um-zusetzen.

Und wenn man die AUM berücksich-tigt? Um jedoch eine Aussage zu treffen, in welchem Umfang Streifen und Brachen insgesamt vorzufinden sind, müssen die beantragten Flächen der Agrarumwelt-maßnahmen mit berücksichtigt werden. Die beiden wesentlichen Maßnahmen, der Blüh- und Schonstreifen sowie der Uferrandstreifen, sind in NRW 2019 in ei-nem Umfang von knapp 10 000 ha bean-tragt und umgesetzt worden. Wenn diese Agrarumweltmaßnahmen zeitgleich als öVF deklariert werden, müssen sie aus der Gesamtbilanz herausgerechnet werden. Insgesamt sind in NRW jedoch nur 15 % der Blühstreifen gleichzeitig als öVF bean-tragt worden. Bei den Uferrandstreifen liegt der Anteil bei nur 7 %. Rechnet man den Vertragsnaturschutz hinzu, ergibt sich damit für NRW eine Größenordnung von Streifen und Brachen von ca. 22.000 ha, was 2,1 % der gesamten Ackerfläche ent-spricht.

Reicht das aus? Vonseiten des Natur-schutzes wird dies sicherlich schnell mit »nein« beantwortet. Da dort bereits bei der Ausgestaltung der öVF Mindestforde-rungen von 10 % der Ackerfläche disku-tiert wurden, sind wir davon weit entfernt. Auch der Landwirtschaft dürfte aber klar sein, dass ein Mehr an Streifen und Bra-chen notwendig ist, insbesondere für die

Oft bringt eine Kombination von Maßnahmen den besten Erfolg.

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Tiere der offenen Feldflur. Angesichts der Hürden und Hemmnisse im Bereich der Verwaltungspraxis ist dies ohne Hilfe aber kaum umzusetzen. Auch dies wird aus dem Konsultierungsverfahren der EU deut-lich. Verbesserungsbedarf besteht dem-nach auch bei der Information über die Greeningverpflichtungen bzw. bei der da-zugehörigen Aus- und Fortbildung.

Einzelbetriebliche Beratung. Auf der Grundlage bereits abgeschlossener Projekte der Biodiversitätsbera-tung hat die Landwirtschafts-kammer NRW den Beratungs-ansatz zu Natur- und Arten- schutzmaßnahmen in den letz-ten beiden Jahren weiterentwi-ckelt. In der einzelbetriebli-chen Biodiversitätsberatung wird zunächst, nach Zustim-mung des Landwirtes, der Flächenantrag im Büro ausgedruckt und im Hinblick auf Lage und Größe der Flächen be-trachtet. Eventuell vorhandene Schutz-gebiete oder Rote-Liste-Arten sind zu berücksichtigen. Um konkrete Maßnah-men geht es zu diesem frühen Zeitpunkt jedoch noch nicht.

Wesentlicher Baustein der Beratung im Hinblick auf konkrete Maßnahmen ist der

anschließende Betriebsbesuch, der auch eine Feld- und Hofbegehung beinhaltet. Hierbei geht es auch darum, das Thema Naturschutz und Landwirtschaft intensiv mit den Praktikern zu diskutieren. Ein wei-terer Gesichtspunkt bei der Auswahl der Maßnahmen ist die persönliche Einstel-lung des Betriebsleiters und die Integrier-barkeit der Maßnahme im Betrieb. Nur Maßnahmen, die mit Überzeugung und Freude umgesetzt werden, sind langfristig in der Feldflur zu finden.

Um dem Betrieb die Umsetzung der besprochenen Maßnahmen zu erleich-tern, sieht die Beratung zusätzlich eine umfangreiche Nachbereitung am Schreibtisch vor. So erhalten die Land-wirte im Anschluss an den Betriebsbe-such eine Auflistung der ausgewählten Maßnahmen und zusätzlich Informatio-nen zu den öVF, zu Fördermaßnahmen im Rahmen der Agrarumweltmaßnah-

men oder des Vertragsnaturschutzes und allgemeine Informationen zur Umset-zung. Außerdem wird die Nachbereitung dazu genutzt, die möglichen Maßnah-men in die Schlagskizzen des Betriebes einzuzeichnen. So kann der Betriebslei-ter direkt Lage und Größe sowie die An-rechenbarkeit als ökologische Vorrang-fläche erkennen. Als zusätzliche Leistung kann der Landwirt diese Skizze direkt in seinen Antrag integrieren, ohne selber Hand anlegen zu müssen. Bereits ein Pi-lotprojekt erreichte auf diese Weise eine Verdoppelung der Anlage von Streifen im Rahmen der öVF gegenüber dem Lan-desdurchschnitt.

Fazit. Der Anteil an Biodiversitätsmaß-nahmen lässt sich durch eine Beratung er-höhen. Zusätzlich lassen sich dadurch auch einige Hemmnisse im Bereich der Beantragung und Umsetzung von Biodi-versitätsmaßnahmen abbauen. Aber eine grundlegende Voraussetzung für die Ak-zeptanz dieser Maßnahmen sind Vereinfa-chungen bei der Beantragung. Alle Betei-ligten sollten sich darum bemühen, den Regelungsdschungel zu vereinfachen.

Elisabeth Verhaag, LWK Nordrhein-Westfalen, Köln

Das Greening wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich umgesetzt. Generell gilt aber: Blüh- und Randstreifen sind durchweg eher unpopulär.

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Wenn die Bürokratie bleibt, wird das nichts

mit mehr Biodiversität.

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FELDRAINE

Ein Netzwerk mit PotentialFeldraine gelten gern als Brutstätte für Schaderreger. Meist zu

Unrecht, sagt Bernd Augustin. Man sollte sie eher als Baustein

eines Biotopverbundes betrachten und später mähen.

Der zunehmende Artenschwund hat vielfältige Ursachen. Dennoch

werden in erster Linie konventionelle Ackerbauverfahren und vor allem der Pflanzenschutz in diesem Zusammenhang diskutiert. Forderungen nach einem Biodi-versitäts-Ausgleich für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln stehen im Raum, und dies nicht mehr nur bei Gly-phosatmitteln, sondern auch bei weiteren Herbiziden und Insektiziden. Da hilft kaum der Hinweis, dass alle pflanzenbau-lichen Verfahren zum Ziel haben, er-wünschte Kulturpflanzen zu fördern und unerwünschte Arten zurückzudrängen, um Ertrag und Qualität zu verbessern und Schäden durch toxische Inhaltsstoffe (Pilz-gifte, Giftpflanzen) zu vermeiden. Ein Rückgang der Artenvielfalt ist daher auf der Produktionsfläche unvermeidbar.

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass alle pflanzenbaulichen Maßnahmen ei-nen dauerhaften Effekt auf die Biodiversi-

tät haben. Umbruch und Düngung kön-nen beispielsweise größere Auswirkungen haben als ein gezielter Einsatz von Pflan-zenschutzmitteln. Spezielle Förderpro-gramme und Vertragsnaturschutz können einen positiven Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt auf der Produktionsfläche leisten.

Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten, dem Artenschwund entgegenzuwirken: zum Beispiel die Feldraine. Die landwirt-schaftlichen Nutzflächen grenzen an Nichtkulturland unterschiedlichster Art. Das können Gewässer sein, Wald, He-cken, offenes Gelände oder auch Wirt-schaftswege. Den unmittelbaren Kontakt-bereich bilden die Feldraine.

Um die Einwanderung von Schädlingen und Krankheiten zu verhindern und eine maschinengerechte Bewirtschaftung zu erleichtern, werden diese regelmäßig ge-pflegt. Darüber hinaus werden Feldrainen

aufgrund ihrer vernetzten Struktur auch wichtige Funktionen für den Naturschutz beigemessen.

Viel Gestaltungsfreiheit bei der Pflege. Innerhalb der landwirtschaftlichen Nutz-flächen gelten die bekannten rechtlichen Rahmenbedingungen des Pflanzenschutz-gesetzes und der Förderrichtlinien. Der Ackerrain ist im Sinne des Pflanzenschutz-gesetzes Nichtkulturland, das weder mit Pflanzenschutzmitteln behandelt noch ge-düngt werden darf. Im Rahmen der Land-wirtschaftsklausel des Bundesnaturschutz-gesetzes kann eine Bewirtschaftung im Rahmen der guten landwirtschaftlichen Praxis erfolgen, und es wird ein Ver-schlechterungsverbot für Natura 2000- Gebiete gefordert. Allerdings wird auch auf wichtige Funktionen der Grenzflächen für den Naturschutz hingewiesen, die zu erhalten und zu fördern sind und be-stimmte Maßnahmen ausschließen (z. B. das Abbrennen). Wegen Cross Compli-ance dürfen Feldraine über 2 m Breite nicht beseitigt werden.

Bei Hecken und Bäumen sollen Pflege-maßnahmen eine ausreichende und si-chere Handhabung von Maschinen und Geräten ermöglichen. Kreuzungsberei-

Feldraine sind Kontaktflächen zu unterschiedlichen Elementen der Landschaft (m* ist der länderspezifische Mindestabstand zu Gewässern bei der Anwendung von PSM).

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che von Wirtschaftswegen müssen ein-sehbar sein. Bei der Aufwuchsregulierung krautiger Pflanzen besteht dagegen ein größerer Gestaltungsspielraum. Insbe-sondere die Feldhygiene wird im Zusam-menhang mit der Feldrainpflege überbe-wertet. Angesichts der aktuellen Diskussionen stellt sich die Frage nach Optimierungsbedarf.

Feldraine – eine Herberge für Schad- erreger? Dass die Gefahren aus der Fel-drainvegetation manchmal zu bedrohlich gesehen werden, zeigt ein Blick auf das Schaderregerpotential: • Mikroorganismen (Viren, Bakterien, Phytoplasmen) benötigen zum Transport in die Bestände Blattläuse oder Zikaden. Diese sind sehr mobil, legen größere Stre-cken zurück und sind daher mit der Feld-rainpflege kaum zu beeinflussen.• Pilzkrankheiten sind meist sehr art- oder sogar sortenspezifisch. Daher über-leben z. B. keine relevanten Mehltau- oder Rostpilze auf Wildpflanzen. Teilweise überwintern sie auf Pflanzen-rückständen. Einzige Ausnahme ist der Mutterkornpilz, der sich auch auf Wild-gräsern vermehrt. Seine Sporen werden allerdings auch vom Wind oder von In-

sekten übertragen, können daher auch größere Distanzen überwinden. Daher hat die Feldrainpflege keinen größeren Schutzeffekt für die Kulturbestände.• Tierische Schaderreger (Blattläuse, Zika-den, Falter, Käfer, Mäuse) sind in der Regel sehr mobil. Daher bleibt auch bei ihnen die Feldrandpflege ohne Effekt. Selbst die weniger mobilen Arten (z. B. Getreidelauf-käfer, Schnecken) werden durch Mulchen eher noch gefördert.• Mehrjährige Schadpflanzen (Acker-kratzdistel, Winde, Quecke) wandern über Wurzelausläufer in Kulturflächen ein. Dieses Wurzelwachstum wird durch intensives Mulchen der Feldraine eher noch gefördert. Die Gefahr der Einwande-rung windbürtiger Arten mit flugfähigen Samen wird meist erheblich überschätzt. Das zeigen langjährige Untersuchungen zum Ausbreitungsverhalten der Acker-kratzdistel in konventionell bewirtschaf-tete Ackerflächen. • Lediglich einige kritische Arten von einjährigen Samenunkräutern sind durch rechtzeitige Pflegemaßnahmen davon abzuhalten, in die Kulturflächen einzu-wandern. Beispiele dafür sind Trespen- und Raukearten. Eine Extensivierung von Pflegemaßnahmen auf Feldrainen mit

entsprechender Bestandszusammenset-zung müsste gegebenenfalls durch Feld-randbehandlungen ausgeglichen wer-den.

Fazit: Aus phytosanitärer Sicht kann die Feldrainpflege häufig extensiver gestaltet werden. Ausgenommen sind Feldsäume mit samenbürtigen Pflanzenarten, die im Rahmen der kulturüblichen Unkrautbe-kämpfung nicht oder schlecht erfasst wer-den oder in Folgekulturen Probleme be-reiten können. Ansonsten kann der Vegetation mehr Raum gegeben werden. Leitlinien wären eine späte Mahd oder ein einmaliger Mulchgang, nach Mög-lichkeit erst nach der Blüte mit begrenz-ter Arbeitsbreite. Auch absetzige Arbeits-verfahren schaffen Rückzugs- bzw. Fluchträume für Tiere. Das ist mit Sicher-heit förderlich für Arten, die auf diese Ve-getation angewiesen sind (z. B. Insekten und Wildpflanzensamen für Rebhühner). Natürlich widerspricht ein solcher »Wild-wuchs« dem Ordnungssinn. Aber er wäre ein positiver und für die Öffentlichkeit sichtbarer Beitrag zur Förderung/Erhal-tung der Artenvielfalt.

Dr. Bernd Augustin, DLR Bad Kreuznach

Wie es sein soll, was dabei schiefgehen könnte und was zur Zeit im Bedarfsfall noch möglich ist: Links ein ökologisch wertvoller Feldsaum, rechts oben die Einwanderung von Trespen und unten ein mit Glyphosat behandelter Feldrand.

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EU-AGRARPOLITIK

Die neue Freiheitder EU-Länder

4Vorher festgelegte

Indikatoren zeigen, ob die Ziele

wirklich erreicht worden sind.

1Die EU setzt

Basisregeln und ein Maßnahmenpaket

fest.

2Die EU-Länder entscheiden

selbst, mit welchenMaßnahmen die

EU-Ziele am effektivsten erreicht werden.

3Jedes Land

entwickelt einen Strategischen Plan, der von der EU genehmigt

werden muss.

Aufgeschoben ist nicht aufgehobenTrotz aller aktuellen Verzögerungen und Querelen stimmt die Mehrzahl der

EU-Länder der neuen Agrarpolitik der alten Kommission zu. Sie gibt ihnen mehr

Freiheit, zum Beispiel Flächenprämien in den Umweltbereich zu verschieben.

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So viel Unübersichtlichkeit war sel-ten in der EU. Im EU-Parlament feh-

len nach der Wahl die klaren Mehrheiten, und auch das Gezerre um die Kommissi-onspräsidentin hat gezeigt, dass Europa-politik eher schwieriger wird als einfacher. Wer blickt da noch durch? Auch vor die-sem Hintergrund ist die EU-Agrarpolitik für viele Landwirte im Moment weit weg.

Dabei laufen in den EU-Ländern bereits die Vorbereitungen zur Umsetzung der von der »alten« Kommission bereits 2018 gemachten Vorschläge. Dass sie außer-halb der engeren agrarpolitischen Kreise keine besonders hohe Wellen schlagen, hat zwei wichtige Gründe:• Erstens: Es wird frühestens Ende 2019 ein Agrarbudget für die Jahre nach 2020 geben. Deshalb lässt sich über vieles re-den, nur nicht über konkrete Zahlen. In der Vergangenheit wurde immer erst das Budget beschlossen und dann über die Ausgestaltung der Agrarpolitik diskutiert – zunächst im Kreis der EU-Agrarminister, dann mit dem Parlament. • Zweitens: So unkonkret wie diesmal wa-ren Kommissionsvorschläge noch nie zu-vor. Agrarkommissar Phil Hogan hat es ge-schickt verstanden, sie unverbindlich und teilweise mehrdeutig zu formulieren und zu verpacken, um die Angriffsflächen möglichst klein und die Möglichkeiten zum Nachsteuern möglichst groß zu hal-ten. Er setzt eindeutig auf Konsens statt auf Polarisierung. Gleichzeitig bedeuten seine Vorschläge eine stille Revolution. Sie fin-det nicht inhaltlich statt, sondern formal. Fürchterlich schwerfällige Begriffe wie »Neues Umsetzungsmodell«, »erweiterte Konditionalität« oder »Eco-Schemes« ver-ändern zwar zunächst nur den Rahmen der Agrarpolitik. Aber in diesen Rahmen passen grüne Bilder sehr gut, wenn man daran Gefallen hat.

Zwei Treiber der Reform: Liberalisie-rung im Zwielicht ... Hogans Vorgehens-weise lässt sich mit zwei »Treibern« erklä-ren. Erstens fehlt diesmal die große »Erzählung«, die eine Richtung vorgeben könnte. Vor 25 Jahren führten die Agrar-überschüsse in Verbindung mit liberalen Regeln des Welthandels zur Abkehr von den produktbezogenen Subventionen und hin zu den Flächenprämien. Ganz zum Ende ist dieser Prozess bis heute nicht ge-kommen, im Gegenteil: Noch gibt es in fast allen EU-Ländern gekoppelte Prämi-en. Bis zu 15 % der Prämiensumme kön-nen dafür reserviert werden, und das soll

sich nach den Vorstellungen Brüssels auch nicht ändern.

2013 wurde versucht, der Kritik an den voraussetzungslosen Prämien mit dem Greening zu begegnen. Es war von Beginn an zum Scheitern verurteilt, weil Agrarmi-nister und EU-Parlament viele der »Zäh-ne«, die das Greening zu einem wirksa-men Instrument der Umweltpolitik hätten machen können, schon im Vorfeld gezo-gen hatten. Den Landwirten war es recht, aber ihre Position in der Gesellschaft hat es nicht verbessert. Das Grundproblem der Agrarpolitik (wer viel hat, bekommt viel) lösen aber auch die neuen Vorschlä-ge nicht. Denn die Zwei-Säulen-Struktur bleibt im Prinzip erhalten.

... und das Brexit-Trauma. Auch an der Agrarpolitik zerren die Fliehkräfte einer tatsächlichen oder auch nur rhetorisch vorgenommenen Desintegration Europas. Das Brexit-Trauma schwebt über allem und vor allem über Brüssel: Bloß nichts tun, was den »Separatismus« noch weiter befeuert! Sicherlich spielte diese Befürch-tung eine große Rolle bei Hogans Idee, den EU-Ländern mehr Entscheidungs-spielraum (»Subsidiarität«) zu geben.

Ebenso wichtig ist aber wohl die Erkennt-nis, dass sich auseinanderdriftende Inter-essen nicht mehr allein durch zentrale Brüsseler Vorgaben steuern lassen. Offizi-ell beharrt die Kommission nach wie vor auf einem einheitlichen europäischen Landwirtschaftsmodell.

Alles klar? Es ist nicht einfach, sich in diesem Nebel zurechtzufinden. Auch Fachleute zucken mit den Schultern, weil sie oft nicht verstehen, was die Kommissi-on wirklich meint und will. Vielleicht hel-fen aber einige »Leitplanken« in Form von immer wieder vorkommenden Begriffen dabei, nicht ganz vom Weg abzukommen.

Neues Umsetzungsmodell: Jeder macht, was er will?

Wenn irgendetwas »Revolution« war in Hogans Vorschlägen, dann dies. Anders als bisher möchte die Kommission nicht mehr detailliert Maßnahmen vorgeben, die eher weniger als mehr gute Ergebnisse liefern und mit viel zentraler Bürokratie und penibler Überwachung verbunden sind. Regeln und »compliance« (also die Beachtung dieser Regeln und ihre Über-prüfung) sollen ersetzt werden durch ein System, das den einzelnen EU-Ländern mehr Freiheit gibt, vorher definierte ge-meinsame Ziele umzusetzen.

Die Kommission wird also zum Beispiel übergeordnete Klima- oder Umweltziele vorgeben. Jedes Land entscheidet für sich, mit welchen Maßnahmen diese Ziele un-ter den lokalen Bedingungen am besten umzusetzen sind. Es formuliert »Strategi-sche Pläne«, die in Brüssel geprüft und ge-nehmigt werden. Jährlich sollen die EU-Länder melden, welche Fortschritte sie bei der Zielerreichung gemacht haben. Mess-größen dafür sind vorher definierte Ergeb-nisindikatoren, die nach den Brüsseler Vorstellungen EU-weit gelten. Werden sie

erfüllt, soll es eine kleine Belohnung in Form von bis zu 5 % mehr Geld fürs Agrar-budget geben. Umgekehrt will die Kom-mission auch Zahlungen kürzen können, wenn Ziele nicht erreicht werden. Die EU-Länder müssen ein Beratungssystem nach-weisen, das alle in ihren Strategischen Plä-nen genannten Maßnahmen abdeckt.

Klingt einfach und logisch, oder? Ist es aber nicht. Für die EU-Länder bedeuten diese Strategischen Pläne eine massive Herausforderung. Kein Wunder, dass die Kommission beim Stichwort »Bürokra- tie-Abbau« überwiegend Skepsis erntet. Denn was ist damit konkret und formal

»Unser Vorschlag ist ehrgeizig, smart, modern und nachhaltig.«Phil Hogan, EU-Agrarkommissar bis Ende Oktober 2019

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EU-AGRARPOLITIK

verbunden? Eine Analyse der Stärken und Schwächen der eigenen Landwirtschaft, die Konsultation von Interessengruppen, der Plan selbst, dessen vorläufige Über-prüfung durch die Kommission, Nachar-beit und endgültige Abgabe.

Nicht ganz unwichtig ist auch eine psy-chologische Dimension: Länderbehörden, deren Hauptaufgabe bisher das Abarbei-ten Brüsseler Vorschriften war, immer in Sorge vor Anlastungen oder unzureichen-der Ausschöpfung von Geldern, sollen nun Agrarpolitik aktiv gestalten. Interes-sengruppen, die bislang gern »nein« ge-sagt haben, sollen zusammen mit den Re-gierungen konstruktiv arbeiten.

Ein ambitionierter Zeitplan. Die EU-Länder sollen ihre Strategischen Pläne be-reits bis zum 1. Januar 2020 eingereicht haben. Dieses ehrgeizige Datum ist kaum zu halten – die Formulierung der Strategi-schen Pläne verspricht, wie gesagt, ziem-lich kompliziert zu werden, ganz zu schweigen von der Umsetzung. In Deutschland soll die für den Herbst 2019 angekündigte Ackerbaustrategie auch eine Grundlage des Strategischen Planes wer-den. Die Ackerbaustrategie wird stark auf die Umwelt fokussieren, und in Verbin-dung mit den EU-Zahlungen könnte somit durchaus mehr Druck auf die Landwirt-schaft entstehen.

Erweiterte Konditionalität: Bye, bye, Greening?

Alle Direktzahlungen sowie die flä-chen- und tierbezogenen Zahlungen der zweiten Säule sollen noch stärker an die Einhaltung von Umwelt- und Klimavor-schriften gebunden werden. Das neue System ersetzt Cross Compliance und Greening. Es übernimmt etliche Vorschrif-

ten und setzt ein paar neue Akzente. So sollen Biobauern und kleine Betriebe nicht wie bisher automatisch von den Re-geln befreit sein. Nicht mehr von »Diversi-fizierung« ist die Rede, sondern von »Fruchtfolge«, was den Wechsel von der Betriebs- auf die Schlagebene verlagert.

Ihren Anteil ökologischer Vorrangflä-chen sollen die EU-Länder selbst festle-gen können. Es dürfen keine Produktions-flächen mehr sein, womit auch die Gewichtungsfaktoren fallen. Die Verwen-dung von Pflanzenschutzmitteln ist auf solchen Flächen nicht von vornherein aus-geschlossen, was viel zur Akzeptanz bei-

tragen könnte, kann doch einer nachhalti-gen Verunkrautung vorgebeugt werden. Ob es eine Erleichterung oder eine Ver-schärfung bei den Umweltauflagen geben wird, hängt somit mehr als bisher von der nationalen Ausgestaltung ab. Brüssel ver-spricht, seine »Schäfchen« streng im Blick zu behalten, um Wettbewerbsverzerrun-gen bzw. einem »Wettlauf um die nied-rigsten Standards« vorzubeugen.

Eco-Schemes: Finanzielle Anreize möglich

Landwirten soll über sogenannte »Eco-Schemes« die Möglichkeit eröffnet wer-den, freiwillige Mehrleistungen für Um-welt und Klima zu erbringen. Da entsteht sofort die Frage: Ist dies nicht Aufgabe der zweiten Säule? Im Prinzip ja, aber ... Zum einen müssen Zahlungen der zweiten Säu-le in der Regel kofinanziert werden, was deren Möglichkeiten in ärmeren (Bundes-)ländern einschränkt. Und zum anderen – das ist sehr wichtig – sind diese Zahlungen nach den WTO-Regeln bisher nur als Aus-gleich von Mehrkosten und Mindererträ-

gen möglich. Mit den neuen Ökoregelun-gen sollen dagegen künftig auch finanzielle Anreize für Landwirte möglich sein, sich mehr um Umwelt, Klima und anderes zu kümmern. Was sie damit kon-kret meint und wie sich die Ökoregelun-gen inhaltlich von der zweiten Säule ab-heben, lässt die Kommission weitgehend offen. Sie nennt ein paar Beispiele wie Winterbegrünung, integrierten Pflanzen-schutz oder Verminderung des Antibioti-ka-Einsatzes. Tiergerechte Haltungsverfah-ren können offenbar nicht gefördert werden, aber möglicherweise kommen unter dem Stichwort »Klima« Abluftreini-ger oder Gülletechnik infrage?

Die große Herausforderung wird sein, Zweite Säule und Ökoregelungen so zu verzahnen, dass ein maximales Ergebnis für Umwelt und Klima bei möglichst we-nig Bürokratie für Landwirte und (Bun-des-)länder herauskommt.

Noch viele Fragen offen. Nach den Vor-stellungen der Kommission soll jedes EU-Land verpflichtend »Eco-Schemes« anbie-ten müssen. Das sehen einige EU-Länder aber ganz anders. Über einen Mindest- oder Höchstumfang bzw. -anteil von Flä-chen wird nichts gesagt. Welchen Umfang solche Ökoregelungen bekommen, hängt auch davon ab, wie hoch die Latte bei den Grundanforderungen (Konditionalität) ge-legt wird. Das Geld dafür soll den Direkt-zahlungen abgezwackt werden. Dafür besteht aber vielleicht die Chance, Zah-lungen besser zu begründen und Leistun-gen besser zu honorieren.

Fazit. Wirklich neu in der künftigen Ag-rarpolitik werden drei Dinge sein. Erstens eine größere Flexibilität der EU-Länder bei der Umsetzung von Zielen, die von der EU vorgegeben sind (»Neues Umsetzungsmo-dell«). Zweitens die noch stärkere Bin-dung der Prämien an bestimmte Voraus-setzungen (»Erweiterte Konditionalität«). Und drittens eine neue Kategorie von Um-weltmaßnahmen in der ersten Säule (»Eco-Schemes«). Wegen der Brexit- bedingten Verspätung des mittelfristigen Finanzrahmens für 2021 bis 2027, der Wahlen zum EU-Parlament und der gro-ßen Anforderungen an die Umsetzung ist zu erwarten, dass sich die EU-Agrarminis-ter frühestens 2020 einigen – wenn im zweiten Halbjahr, dann unter deutscher Ratspräsidentschaft.

Thomas Preuße

Landwirtschaft, Umwelt und Natur sollen sich besser vertragen. Diesem Ziel will die EU mit einem ganz neuen Politikansatz entgegenkommen. Fo

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•••

Budget. Hängt völlig in der Luft. Nach dem Brexit entgehen der EU 12 bis 14 Mrd. € jährlich, gleichzeitig plant sie 10 Mrd. € schwere neue Ausgaben in den Bereichen Migration, Grenz-schutz und Terrorismus. Die Kommission erwar-tet, dass die EU-Länder etwas mehr in den gemeinsamen Topf einzahlen, und will in diesem Fall das Agrarbudget nominal um 5 % vermin-dern. Die zweite Säule soll deutlich mehr »blu-ten« als die erste. Brüssel schlägt aber vor, dass künftig bis zu 30 % der Gelder aus der ersten in die zweite Säule umgeschichtet werden können (bisher 15 %, in Deutschland aktuell 4,5 %).

Zeitplan. Verrückt. Die Briten sind noch nichtmal raus. Die Verabschiedung des mittelfristigen Finanzrahmens und damit auch des Agrarbud-gets wurde auf den Herbst 2019 verschoben. Das EU-Par-lament sortiert sich gerade

neu, und ab November 2019 amtiert auch eine neue EU-Kommission. Bisher wurden nur inhaltlich Positionen ausgetauscht, aber keine Kompromisslinien gesucht. Das neue System wird unter diesen Voraussetzungen frü-hestens 2022 greifen können.

Renationalisierung. Die Furcht davor verur-sacht vor allem das vorgesehene neue Umsetzungs-modell. Um neun große EU-Ziele zu erreichen, sollen die EU-Länder über Strategische Pläne, die die Kommission absegnet, selbst die Wege dorthin wählen können. Am Ende soll das über Indikatoren bewertete Ergebnis zählen. Dies ist die eigentliche »Revolution« in den EU-Vorschlägen. Die Kommissi-on will intensiv überprüfen und überwachen, um keine Wettbewerbsverzerrungen bzw. einen »Wett-lauf um die niedrigsten Standards« hervorzurufen.

Bürokratie. Die Kommission spricht von weniger Bürokratie, die EU-Länder (und in Deutschland auch die Bundesländer) graust es vor den formalen Anforderungen der Strategi-schen Pläne. Im Moment bemühen sich Bund und Länder noch um die Interpretation der Kommissionsvor-schläge, legen aber gleichzeitig schon die Grundsteine für die Strategischen Pläne.

Obergrenze/Degression. In der Vergangenheit ein beliebtes Mittel, um Deutschland anderswo Zugeständnisse abzuhandeln. Auch diesmal stehen eine Degression ab 60 000 €/Betrieb und eine Kappung ab 100 000 € auf dem Pro-gramm. Enthalten ist aber auf jeden Fall eine Arbeitskräfte-Korrektur. Deutschland strebt eine nicht für alle verbindliche EU-Länder Regelung an, notfalls sollen die gekürzten Mittel wenigstens in der Region bleiben.

Konvergenz. Vor allem die osteuropäischen Länder verlangen schon lange eine Angleichung der Prämien. Die Kommission will die Hälfte der Lücke bis zu 90 % des EU-Durchschnitts schlie-ßen – bisher war es ein Drittel.

Kopplung. Ist bis zu 13 %

der Prämien plus 2 % für

Eiweißpflanzen erlaubt. In

Teilen (Zuckerrüben!) ein

Ärgernis für Deutschland,

das als einziges EU-Land

ganz ohne dieses Instrument

auskommt. Es ist jedoch

nicht zu erwarten, dass

künftig weniger gekoppelt

werden darf.

Greening/Cross Compliance. Wird beides durch eine »erweiterte Konditionalität« ersetzt, die auch für Bio- und Kleinbetriebe gelten soll. Einen festen Prozentsatz für ökologi-sche Vorrangflächen wird es nicht mehr geben. Wie »scharf« dieses Instrument ist, wird die konkrete Ausgestaltung zeigen.

Zusätzliche Anreize. Gelder der zweiten Säule dürfen aus WTO-Grün-den nur Nachteile ausgleichen, nicht zusätzlich Anreize setzen. Das will die Kommission mit neuen »Eco-Schemes« in der ersten Säule ändern. Was diese konkret von der zweiten Säule unter-scheidet oder wo ggf. sinnvolle Ergän-zungen möglich sind, ist offen.

Die neue Agrarpolitik in Schlagworten

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HONORIERUNG

Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen!Wie könnten die vorgesehenen Eco-Schemes der ersten Säule konkret umgesetzt werden?

Ein vielfach diskutierter und vor allem schon erprobter Vorschlag ist der eines Punktesystems

für Gemeinwohlleistungen. Was steckt dahinter?

In Diskussionen über die künftige Ag-rarpolitik ist öfter die Formel »öffentli-

ches Geld für öffentliche Leistungen« zu vernehmen. Denn was kommt nach dem Greening? Agrarkommissar Phil Hogan sprach etwas nebulös von Zielen, die es statt der heute geförderten Maßnahmen zu erreichen gelte. Die Maßnahmen dafür dürfe jedes EU-Land selbst wählen.

Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man nicht von Lappland bis Sizilien ein-heitliche Vorgaben machen kann. Aber bisher funktionierte die EU-Agrarpolitik stark nach einer Gemeinschaftslogik, in der die Spielräume für die einzelnen Mit-gliedstaaten und Regionen eher enger als weiter waren. Aus den Bauernverbänden waren schon früh Vorbehalte gegenüber einer zu weiten nationalen oder regiona-len Öffnung zu hören – damit werde der Wettbewerb verzerrt. Es ist nach den Er-fahrungen mit der letzten Agrarrunde 2013 also nicht ausgemacht, dass die EU-Kommission damit durchkommt. Die un-

terschiedlichen Interessen der Agrarmi-nister und die neuen Unsicherheiten im EU-Parlament könnten allzu hochfliegen-de Pläne leicht zunichtemachen. Unvor-stellbar erscheint aber, dass es überhaupt keine Anschlussregelung für die derzeit 30 % Greeninganteil an den Prämien der ersten Säule geben wird. Und damit ent-steht die Frage: Nach welchen Kriterien wird das Geld verteilt? Wie hoch die Summe auch immer sein mag. Einige Wissenschaftler sowie Agrar- und Um-weltverbände machen sich schon seit ge-raumer Zeit Gedanken, wie das Prinzip »öffentliches Geld für öffentliche Leistun-gen« konkret aussehen könnte.

Der Deutsche Verband für Landschafts-pflege (DVL) hatte bereits 2016 ein Punk-teschema vorgestellt, das sich auf die ein-zelbetrieblichen Leistungen für die Biodiversität sowie Klima- und Wasser-schutz beschränkt – und damit auf Para-meter, die unmittelbar mit der Flächennut-

zung zu tun haben. Anfang 2019 ist es der künftigen »Prämienarchitektur« angepasst worden. Konkrete Anwendungserfahrun-gen gibt es aus Schleswig-Holstein; eine Ausweitung der Kriterien auf ganz Deutschland ist in Arbeit.

Das DVL-Modell definiert Kriterien, die einzeln mit Punkten bewertet und nach der Summe der Punkte honoriert weden. Dabei spielen Schlaggröße, Kulturarten-vielfalt oder Nährstoffbilanzen eine Rolle. Daneben finden sich Maßnahmen, die heute noch Grundelemente der Agrar-umweltmaßnahmen auf Acker und Grün-land darstellen, z. B. Verzicht auf Mineral-düngung, Blühstreifen oder späte Mahd. Die meisten Kriterien lassen sich mit dem Sammelantrag bepunkten oder leiten sich aus aktuellen Vorgaben der zweiten Säule ab.

Bei der Überprüfung in der Praxis zeigte sich (nicht ganz überraschend), dass viel-fältig strukturierte Betriebe mit einer flä-chenbezogenen Tierhaltung mehr Punkte erzielen konnten als etwa reine Ackerbau- oder spezialisierte Milchviehbetriebe. In-teressant war allerdings, dass die unter-suchten Ökobetriebe nicht durchweg besser waren als die konventionellen, weil auch sie durchaus Schwächen bei den Strukturelementen oder der Nährstoffbi-lanz haben können.

Das Punktesystem der Arbeitsgemein-schaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) er-scheint prinzipiell wie ein Ableger des DVL-Vorschlages mit einem deutlichen Fo-kus auf die »bäuerlichen« Betriebe und deshalb anderen Kriterien. Neu im agrar-politischen System sind solche für die Tier-wirtschaft: mehr Platz, Einstreu, Außen-klimabereich, Weidehaltung, Tierbesatz/ha

Über konkrete Kriterien einer künftigen Öko-Entlohnung kann man sich endlos streiten. Verdient z. B. das Hacken eine eigene flächenbezogene Förderung?

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30 DLG-Mitteilungen | Sonderheft

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und gentechnikfreie Fütterung. In der Au-ßenwirtschaft sollen (geringe) Schlaggrö-ßen, Fruchtfolgevielfalt, Leguminosen, Ver-zicht auf Glyphosat, der Anteil an Landschaftselementen, naturbedingte Standortnachteile, ausgeglichene Nähr-stoffbilanzen sowie der Anteil von Grün-land bzw. extensivem Grünland honoriert werden.

Der »Wissenschaftliche Beirat für Bio-diversität und Genetische Ressourcen« beim BMEL hatte sich Anfang 2018 Ge-denken darüber gemacht, wie sich eine Ökologisierungskomponente in das Sys-tem der Direktzahlungen einfügen ließe. Die EU-Länder sollen sich verpflichten, ein wissenschaftlich basiertes System da-zu bereitzustellen. Drei Möglichkeiten stellt er heraus: • Entlohnung von Basismaßnahmen. Fruchtfolgen, Randstreifen, Bewirtschaf-tungsmaßnahmen usw. werden in einer Liste aufgeführt und je nach Aufwand regi-onal bepunktet. Um überhaupt Geld zu bekommen, muss der Landwirt eine Min-

destpunktzahl vorweisen. Das wäre eine »klar definierte Hono-rarordnung mit gedeckeltem Budget«. Anreize gäbe es nur, wenn zusätzliche Mittel ober-halb der Mindestpunktzahl be-reitstünden. Dieses Modell passt

gut ins neue Politikschema der EU. • DVL-Modell mit oder ohne Übergangs-mechanismus. Sein Charme ist, dass die Betriebe Anreize bekämen. Der Nachteil wäre, dass ein Landwirt zu Beginn nicht weiß, wie viel Geld er bekommt, hängt das doch auch von den Ökoleistungen der anderen Landwirte ab – es entstünde ein Quasi-Markt.

Auch die DLG arbeitet an einem neu-en System von Indikatoren, das die Ent-lohnung öffentlicher Leistungen im Rah-men der GAP ermöglichen soll. Das geschieht – hier wird es im Hinblick auf »politische Anschlussfähigkeit« interes-sant – zusammen mit Institutionen und Verbänden des ökologischen Landbaues. Die bisherige Nachhaltigkeitsbewertung der DLG ist zu breit, um sie flächende-ckend umsetzen zu können. Denn dort werden nicht nur einzelne Umweltleis-tungen erfasst, sondern Indikatoren quer durch den gesamten Betrieb. Sie reichen von der Nährstoff- und Energiebilanz über die Pflanzenschutz-Intensität bis hin

zu ökonomischen Nachhaltigkeitsfakto-ren wie der Eigenkapitalbildung und so-zialen Kriterien wie den Mitarbeiterge-hältern.

Fazit. »Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen« könnte künftig die Vorausset-zung für zumindest einen Teil der EU-Prä-mien sein. Diese Leistungen müssen mess-bar sein. Dies lässt sich über eine aufwendige Betriebszertifizierung, wie es sie schon gibt, kaum lösen.

Einfacher und für die Masse der Betriebe anwendbarer erscheinen Punktesysteme, die bestimmte konkrete Anforderungen honorieren. Der Rahmen dafür wird wohl erst ab 2020 diskutiert werden: Welchen Prämienanteil könnte diese Honorierung betreffen? Fallen erste und zweite Säule damit zusammen? Soll der gesamte Betrieb bedacht werden oder nur bestimmte, über die gesetzlichen Anforderungen hinausge-hende Leistungen?

Wie hoch der »Preis« für die Punkte überhaupt ist, hängt vom künftigen Budget der Agrarpolitik ab. Bei aller Begeisterung für die Honorierung gesellschaftlicher Leistungen der Landwirtschaft: Bevor ein Blühstreifen den Rübenacker ablöst, muss er dem Landwirt schon eine Menge gut ho-norierter Punkte bieten.

Thomas Preuße

Das Greening ist gescheitert. Aber was kommt danach?

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