Laudatio auf Götz Werner
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P. Sl.
Laudatio auf Götz Werner
Anläßlich seiner Aufnahme in die Hall of Fame des manager magazins,
Kronberg im Taunus, 13. Juni 2012
M. D. u. H.,
wir alle wissen, üblicherweise haben Vergnügen und Ehre
verschiedene Termine. Wenn es um Ehrungen und schwerfällige
Zeremonien geht, schlägt sich das Vergnügen meist lieber in die
Büsche. Heute haben die beiden Empfindungen eine ihrer seltenen
Verabredungen. Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen zugleich, vor
diesem eminenten Kreis einige Worte zur Würdigung des großen
Unternehmers Götz Werner vortragen zu dürfen, den manche
Zeitgenossen in der Eile als einen Philanthropen etikettieren. Für
alle, die sich mit dem Werk und den Ideen des Laureatus vertraut
gemacht haben, liegt freilich auf der Hand, daß das Phänomen
Werner mit dem Wort „Philanthropie“ nur oberflächlich bezeichnet
ist. In Wahrheit ist Götz Werners Lebenswerk nicht nur ein Zeugnis
der Zuneigung zum Menschen, wie das Wort „Philanthrop“
nahelegt – es ist vielmehr die Verkörperung einer Vision, aus welcher
der Mensch selbst, als Subjekt und Gegenstand einer tiefreichenden
Zuneigung, in seinem Verhältnis zu sich selbst mitsamt seinem
sozialen Feld verändert hervorgeht.
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Doch bevor ich mich der Aufgabe zuwende, einige Worte des
Lobes und der Anerkennung für den Laureatus dieses Abends
vorzubringen, scheint es mir ratsam, eine Bemerkung über die
Schwierigkeit des Lobens im allgemeinen und im besonderen
vorauszuschicken. Was die allgemeinen Schwierigkeiten angeht, ist es
nützlich, auf den Altmeister Goethe zu hören, dem die geistreich-
gefährliche Beobachtung zugeschrieben wird: „Wen jemand lobt,
dem stellt er sich gleich“ – dieser Warnhinweis sollte jedem Laudator
heilsam in die Knochen fahren und ihn ermahnen, den gebotenen
Respektsabstand zu wahren. Hingegen richtet sich das russische
Sprichwort: „Lob ist des Menschen Untergang“ an den Empfänger
des Lobes und sollte wie eine Schutzimpfung zu seiner moralischen
Resistenz beitragen. Viel problematischer als die globale
Psychodynamik des Lobes, die hiermit angedeutet sei, sind freilich
die besonderen Erschwerungen, die spürbar werden, wenn man auf
deutschem Boden und in deutscher Sprache Gutes über einen
lebenden Zeitgenossen sagen soll. Ich verrate nichts Neues, wenn ich
feststelle, daß Deutsch, aus welchen sozialpsychologisch
verwickelten und medial verstärkten Gründen auch immer, eher eine
Anprangerungssprache geworden ist als eine Lobsprache. Man kann
auf Deutsch ganz ausgezeichnet daran Anstoß nehmen, daß ein
afghanischer Teppich im Wert eines größeren Abendessens
unverzollt ins Land gelangte, man kann sich auf Deutsch
wochenlang damit aufhalten, daß eine Ministerin ihren Dienstwagen
in geringem Umfang für private Fahrten nutzte, man kann auf
Deutsch mühelos öffentliche Karrieren vernichten und Politiker aus
den Ämtern pöbeln, indem man aus der Beanstandung kleiner
Ordnungswidrigkeiten große moralische Genugtuungen
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herausschlägt – weswegen hierzulande die Empörungswirtschaft in
einer Weise blüht, daß sie den Inquisitoren des Mittelalters die
Neidröte ins Gesicht triebe. Ungleich viel schwieriger ist es in
unseren Breiten, über Personen des öffentlichen Lebens coram
publico positiv zu reden. Es ist vielleicht kein Zufall, daß man eine
Lobrede bei uns eine Laudatio nennt – als wolle man zu verstehen
geben, wer loben will, soll Lateinisch reden, das Volk versteht ja
Positives ohnehin nicht.
Kurzum, m. D. u. H., was ich im folgenden sagen möchte, begreift
man am besten, wenn man sich vorstellt, es sei aus einer
anerkennungsfroheren Sprache – warum nicht aus dem
Französischen – ins Deutsche übersetzt worden? Der erste Satz einer
eine angemessenen Rede über Götz Werner, daran kann es keinen
Zweifel geben, bestünde unvermeidlich in einem Ausruf, der halben
Weges zwischen einem Kompliment und einem Statement stünde,
und dieser lautet: „Was für ein Mann!“
Den Kennern der europäischen Kulturgeschichte dürfte klar sein,
daß das Original dieses Satzes tatsächlich aus dem Französischen
stammt. Es genügt, das Buch der europäischen
Revolutionsgeschichte an der markanten Stelle aufzuschlagen, und
wir stoßen auf eine Szene, die sich am 2. Oktober des Jahres 1808 zu
Erfurt abgespielt hat: Zu diesem Zeitpunkt hatte Napoleon
Bonaparte, seit vier Jahren Kaiser der Franzosen und Herr des
Kontinents, die Fürstenwelt Europas zu einem Kongreß in Erfurt
einbestellt. Unter den Gästen des Treffens – es war der Sache nach
ein vormittägliches Arbeitsfrühstück von halb zeremoniellem
Charakter, zu dem neben dem unvermeidlichen Talleyrand ein
Dutzend Personen, darunter eine Reihe von kommandierenden
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Offizieren der französischen Armee, einbestellt waren – befand sich
auch der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang Goethe, damals
59jährig, dem es, nach allem, was wir wissen, nicht unwillkommen
war, dem zwanzig Jahren jüngeren Beherrscher Europas vorgestellt
zu werden. Es ist zehn Uhr morgens, Napoleon tritt auf den Dichter
zu, indem er den Militärs und Diplomaten den Rücken
vorübergehend kehrt und eröffnet das Gespräch mit den erwähnten
Worten: „Voilà un homme!“ – nach einer anderen Überlieferung:
„Vous êtes un homme!“ – was sinngemäß hieße, „Sie sind ein ganzer
Mann“. Ein kluger Kommentator der Szene hat die Ansicht
geäußert, Napoleon habe mit dieser Aussage eher auf Goethes
Virilität gezielt als auf seine humanen Qualitäten – dafür spreche die
Tatsache, daß er die Frage nach Goethe Alter folgen ließ, worauf
dieser antwortete, er sei im sechzigsten Lebensjahr. Der Kaiser
quittiert dies mit der Feststellung: „Sie haben sich gut gehalten.“
Lieber, verehrter Götz Werner, man muß nicht Napoleon sein, man
muß nicht die Schlacht von Jena gewonnen und Preußen zu Boden
geworfen haben, wenn man die Wendung „Voilà un homme!“ in
bezug auf Ihre Person wiederholt. Im Gegenteil, indem ich diesen
Ausruf, der zugleich einen Gruß und ein Resümee darstellt, an Sie
richte, verstehe ich auch die Originalszene besser. Napoleon stand
am Morgen von Erfurt nicht vor der Alternative, ob er mehr
Goethes Humanität oder eher seine virilen Kräfte anerkennend
ansprechen sollte. Er sah sich vielmehr einer Persönlichkeit
gegenüber, die durch die Ganzheit ihres Lebens Eindruck machte,
über alle literarischen Erfolge und diplomatischen Würden hinaus.
Voilà un homme! Ein solcher Ausruf drängt sich auf, wenn man
einem Mann, begegnet, von dem man spürt, daß er in seinem Leben
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etwas erlangt hat, was eine seltenste Qualität bedeutet – ich will sie
versuchsweise nennen: die Vollständigkeit des Lebens. „Was für ein
Mann!“ – dergleichen sagt man in den wenigen Augenblicken, in
denen man erahnt, wie es zugeht, wenn ein Mensch aus seinem
Leben ein unternehmerisches, ein moralisches, ein sozialpolitisches
Gesamtwerk gemacht hat.
Hier ist nicht der Ort, m. D. u. H., um Götz Werners Vita vor
ihnen auszubreiten, auch erübrigt es sich, an dieser Stelle die
inspirierenden sozialreformerischen Ideen des Laureatus zu
referieren – sie haben ja während des vergangenen Jahrzehnts durch
die gesamte Republik die Runde gemacht und haben zahllosen
Menschen, die nahe daran waren, in ihren Routinen zu resignieren,
unerwartete Momente des Nachdenkens und Neudenkens gewährt.
Das Merkwort „Vollständigkeit des Lebens“ kann sich auch ohne
ausführliche Erzählung mit Inhalt füllen. Naturgemäß ist hier
zunächst an die bewundernswerten Berufserfolge Götz Werners zu
erinnern. Binnen weniger Jahrzehnte hat er – mit einem einzigen
Ladengeschäft beginnend – ein Imperium der Nützlichkeit
geschaffen hat, aufgebaut auf den unentbehrlichen Artikeln des
alltäglichen Lebens, die man von alters her in Drogerien erwirbt.
Allerdings hat Götz Werner seine Branche mehr als üblich beim
Wort genommen, wahrscheinlich weil er irgendwann eingesehen
hatte, daß Drogerien ohne echte Drogen ein Widerspruch in sich
wären. Folglich entwickelte er in seinem Ideenlabor spezielle
langkettige Moleküle, in denen unerhörte Verbindungen zwischen
Chemie und Humanität zutage traten. Soviel ich weiß, hat Werner
für diese highmachenden Substanzen nie ein Patent beantragt, im
Gegenteil, er hat seine beflügelnden Ideen auf einer open source-
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Plattform entwickelt und sie von Anfang zur allgemeinen
Nachahmung freigegeben.
In nahezu logischer Reihenfolge erwuchsen aus Werners
Drogenlabor eine Reihe von begeisternden Synthesen – man könnte
in ihnen gleichsam eine deutsche Deklination des angelsächsischen
Philanthropismus erkennen, freilich mit dem Unterschied, daß die
Wernersche Philanthropie kein Sekundärphänomen darstellt, das mit
schönen nachträglichen Gesten eine unschöne Primärwirklichkeit
verdeckt – vielmehr ist sie eine Art von Primärphilanthropie, die
nicht bloß kompensierend wirkt, sondern die Verhältnisse von der
Basis ausgehend verändert. Dazu gehören Vorschläge zu einer
human zentrierten Unternehmenskultur, zu einem erweiterten
Eigentumsrecht, zu einer neuen Stiftungsidee, zu einer
revolutionären Revision des Steuerwesens – einem Punkt, in dem ich
mich dem Laureatus besonders nahe fühle – und last but not least
gehört hierzu die inzwischen fast schon klassisch zu nennende Idee
eines bedingungslosen Grundeinkommens, mit dessen Hilfe die
moderne Gesellschaft das ancien régime des Mangels und der
künstlich erzeugten Knappheiten hinter sich lassen sollte.
Kurzum, wer im Blick auf diesen Mann „voilà un homme!“ sagt
und dabei das Motiv von der Vollständigkeit des Lebens im Auge
hat, wird heute vor allem an diesen Unternehmer denken, der im
Hauptberuf ein Begeisterer ist – einen Mann, der nicht an die
Trägheit glaubt, sondern an die Antigravitation, den Auftrieb, den
Zug von oben. Diesen beschreiben die profanen Sachverständigen
als Aufschwung und geben ihn in statistischen Kurven wider, meist
ohne zu ahnen, daß sie damit das Beste schon übersehen haben. In
philosophischer Perspektive würde man Götz Werner wohl als einen
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Vertreter des Realidealismus einordnen – so nennt man die
Strömung, deren Anhänger sich zu der Ansicht bekennen, daß einer
Idee eben so viel Wahrheit zukommt, wie sie an Verwirklichung
hervorruft. Dies ließe sich ohne Zweifel auch an Götz Werners
Familienleben illustrieren: Bei ihm hat sich das tätige Nachdenken
über die Idee der Fortpflanzung in sieben Kindern materialisiert –
was beweist, daß sich das Prinzip der Unternehmenskette in seinem
Fall auch in der Form der biologischen Filiale verwirklicht.
M. D. u. H., ich kann mich in diesen flüchtigen Versuch einer
Lobrede nicht dem Ende nähern, ohne auf eine Frage einzugehen,
die sich bei der Begegnung mit einem Menschen aufdrängt, der so
große Erfolge hatte und im Erfolg und über den Erfolg hinaus
menschliche Größe zeigt. Worin besteht das psychologische
Geheimnis einer solchen Existenz? Wo müssen wir suchen, wenn
wir an die motivationalen Quellen eines ideenbewegten
Unternehmenslebens rühren wollen? Hier läge es nahe, daran zu
erinnern, daß Götz Werner sich seit langem zur anthroposophischen
Tradition und deren realidealistischen Ethik bekennt. Aber ich
möchte hier nicht von Rudolf Steiner sprechen – ich begnüge mich
mit der Bemerkung, daß ein gutteil von dessen Ideen auf
untergründige Weise heute noch lebendig sind – weil ja die Biowelle
unserer Tage nichts anderes bedeutet als ein anonym gewordenes
zweites Leben der Anthroposophie. Ich möchte auch nicht das
übliche Spiel der Einflußforschung treiben und nebeneinander in den
Schriften von Steiner und Benediktus Hardrop und Götz Werner
blättern, um den Bahnen zeitgenössischer Ideenwanderungen
nachzugehen. Vielmehr möchte ich meine Überlegungen mit einer
kleinen namenspsychologischen Spekulation abschließen – indem ich
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frage, was für Folgen hat es für einen Mann, wenn ihm das
standesamtliche Schicksal die Verbindung der Namenselemente
Götz und Werner zufallen ließ. Ich wage keine Vermutungen über
die Motive eines Elternpaars anzustellen, das das Bedürfnis
verspürte, einen neuen Erdenbürger im Jahr 1943 mit dem kernigen
Rufnamen Götz auszustatten. Mir scheint jedenfalls, die energische
Einsilbigkeit dieses Namens muß auf seinen Träger wie eine
Schutzimpfung gewirkt haben, gleichsam ein altfränkisches Amulett,
in Jagsthausen verfertigt, doch landesweit wirksam. Aber das
eigentliche Namensproblem, falls man es so nennen darf, ergibt sich
erst mit Rücksicht auf den Familiennamen „Werner“, der auf ein
etwas unklares althochdeutsches Wort zurückgeht – es könnte
einerseits mit dem Wort „Herr“, andererseits mit den Verben
„warnen“ oder „bewahren“ zu tun haben. Ich meine nun beobachtet
zu haben, daß bei manchen Männern eine psychische
Sonderentwicklung einsetzt, wenn sie einen Familiennamen tragen,
der zugleich als Vorname dient. Dies scheint dazu zu führen, daß sie
sich nicht in ihrem Nachnamen einmauern und zur Ruhe setzen
können wie andere Leute, die Ackermann oder Schnarrenberger oder
Popovic heißen. Wenn du Werner heißt, bleibt dein Nenn-Name
gleichsam auch als Rufname virulent – mit der Konsequenz, daß sich
die Identitätskapsel um den Träger des Familiennamens nicht ganz
schließt. Wer bei beiden Namen gerufen werden kann, entwickelt,
wie es scheint, eine etwas komplexe, offenere, verwundbarere
psychische Struktur, ganz so, als sei es aufgrund einer Besonderheit
im System der seelischen Schaltungen nicht möglich, innerlich der
Hörer abzuhängen, wenn man von außen nicht erreicht werden will.
Mir scheint, Götz Werner ist einer von den Menschen, die mit einem
hohen Maß, vielleicht sogar einem Übermaß an Erreichbarkeit
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ausgestattet sind – vielleicht ist dies zumindest der Anfang einer
Erklärung dafür, daß bei einem Menschen seiner Art die
unternehmerische Konzentration in so bemerkenswerter Weise
durch die Weite des Mitgefühls für die Bedürfnisse der Anderen
ausbalanciert sein kann.
M. D. u H., ich komme zum Schluß. Winston Churchill wird der
Ausspruch zugeschrieben: Durch das, was wir täglich tun, verdienen
wir uns einen Lebensunterhalt – a living. Ein Leben – a life – wird
daraus erst durch das, was wir zu geben haben. Götz Werner ist
unter den Heutigen einer der Zeugen für die Wahrheit dieser
Beobachtung. Er ist ein Zeuge für die Macht des Wohlwollens – und
mehr noch ein Botschafter, der für die Wirksamkeit authentischer
praktischer Intelligenz eintritt. In evolutionärer Sicht ist Klugheit
eine Antwort auf die Riskantheit des Lebens – seit es höhere
menschliche Kulturen gibt, dreht sich alles um die Frage, wie wir
Klugheit übertragbar machen können. Die Antwort ist wohl:
Intelligenz wird geweckt durch den ungeschützten Verkehr mit der
Intelligenz kluger Anderer. Hoffen wir, daß wir den Ideen von Götz
Werner hinreichend nahe kommen, um von den Viren der Werner–
Welt zu unserem eigen Vorteil angesteckt zu werden.