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INHALTSVERZEICHNIS

0 Tiere im Unterricht als ein multiperspektivischer Ansatz: Struktur und Basis inhärenter Problemstellungen der Arbeit ................................................................... 1

0.1 Themenrelevanz in Theorie, Lehrpraxis und schulischen Vorgaben .................. 4

1 Theoretische Grundlagen, Forschungsstand und Forschungsplan sowie methodisches Vorgehen ................................................................................................ 11

1.1 Theoretische Grundlagen: Konstruktivismuskritik und die Relevanz anderer Theoriegebäude - welche Theorien zum Lernen (mit Tieren) gibt es? ....... 11

1.1.1 Theoretische Perspektiven in pädagogisch-psychologischer Sicht des Lernens................15

1.1.2 Interessen- und Motivationsforschung, ihre Bezüge zu kognitivem Lernen sowie die

Berücksichtigung von Selbstbestimmungstheorie und Lernklimamodell .................................20

1.1.3 Medientheoretische Beiträge zum Lernen – sind Tiere ‚Medien‘?...................................26

1.1.4 Tiere als ‚Primärerfahrungen‘ – Überlegungen zu einem pädagogischen Konstrukt ......28

1.2 Forschungsstand zum Themengebiet Tiere im Unterricht .................................. 33

1.2.1 Forschungsstand außerhalb der Biologiedidaktik .............................................................33

1.2.2 Forschungsstand in der Biologiedidaktik .........................................................................35

1.3 Forschungsdesiderata und Forschungsplan .......................................................... 40

1.3.1 Forschungsdesiderata .......................................................................................................41

1.3.2 Forschungsplan ................................................................................................................46

1.3.3 Hypothesen (zu den empirischen Teilstudien) .................................................................47

1.4 Methodisches Vorgehen ........................................................................................... 51

1.4.1 Analysen ..........................................................................................................................52

1.4.2 Studien .............................................................................................................................54

1.4.3 Konzepte ...........................................................................................................................67

2 Rechtliche Rahmenbedingungen des unterrichtlichen Tiereinsatzes .................... 69

2.1 Grundsätzliches und Problemlage .......................................................................... 69 2.2 Schutz des Menschen: Tiere als Gefahrenquellen ................................................. 73

2.2.1 Tiergefahren durch Giftigkeit und/oder Bösartigkeit .......................................................74

2.2.2 IfSG: Tiere als potentielle Infektionsgefahrenquellen oder Vektoren in der Schule .........76

2.3 Schutz der Tiere: Das Tierschutzgesetz als Handlungsrahmen ......................... 77 2.4 Artenschutzrechtliche Regelungen ......................................................................... 80

2.4.1 Landesspezifisch gültige Vorschriften ..............................................................................80

2.4.2 Bundesweit gültige Vorschriften .....................................................................................81

3 Historische Entwicklungen des Tiereinsatzes ............................................................. 85

3.1 Zeitlicher Verlauf als Kurzüberblick ...................................................................... 86 3.2 Phasen mit besonderem Einfluss: Realpädagogik, Schulgarten-Bewegung und Reformpädagogik sowie die Etablierung (sub)tropischer Vivarien ........................ 94

4 Lernprozesse beim Einsatz von Tieren: Ergebnisse und Diskussion der Untersuchungen zur Effektivität ................................................................................. 97

4.1 Interessen, Einstellungen und motivationales Lernklima ................................... 98

4.1.1 Interessen und Einstellungen ..........................................................................................98

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4.1.2 Motivationales Lernklima ............................................................................................. 103

4.2 Wissen ....................................................................................................................... 105

4.2.1 Überblick des Wissenszuwachses .................................................................................. 105

4.2.2 Detailanalyse des Wissenszuwachses ............................................................................ 106

4.3 Gesamtdiskussion der Lernprozesse.................................................................... 109

4.3.1 Methodologische Diskussion und Einbettung in die Forschungslandschaft ................ 109

4.3.2 Zusammenfassende inhaltliche Diskussion und theoretische Reflexion ....................... 114

5 Personale Aspekte des Tiereinsatzes: Ergebnisse und Diskussion zu Einstellungen, Verwendung und Intention ............................................................ 123

5.1 Schülerperspektive: Einstellungen zu und Interesse an Tieren ....................... 123

5.1.1 Rahmendaten der Stichprobe und Kontextualisierung der Ergebnisse ......................... 124

5.1.2 Schülereinstellungen zu Tieren: Beliebtheit als bedeutsame Einstellungsdimension? . 125

5.1.3 Tierphänomene und Interesse: eine weitere Dimension der Betrachtung des Einsatzes

(bzw. der Integrationsoptionen) von Tieren im Unterricht ................................................... 129

5.2 Lehrerperspektive: Tiereinsatz, –haltung, Intentionen und Einstellungen .... 131

5.2.1 Rahmendaten der Stichprobe und Einsatzhäufigkeiten ................................................ 131

5.2.2 Einbeziehung in den Unterricht .................................................................................... 132

5.2.3 Einbeziehung außerschulischer Lernorte ...................................................................... 135

5.2.4 Intendierte Absichten und Einstellungen der Lehrkräfte .............................................. 136

5.3 Integration der personalen Aspekte ..................................................................... 140

6 Curriculare Innovationen: Einsatzkonzepte für die Praxis .................................... 145

6.1 Fakultativer Einsatz von Tieren ............................................................................ 146

6.1.1 Modellexperiment und Materialien zur osmotischen Regulationsfähigkeit ................. 147

6.1.2 Materialien zur Biologie und Ökologie von heimischen Amphibien ............................. 148

6.1.3 Induzierte Veränderungen von Zooplanktern am Beispiel Daphnia ssp. ..................... 150

6.1.4 Polymorphismus als Umweltanpassung: Variabilität von Cepaea ssp. ........................ 150

6.2 Obligater Einsatz von Tieren ................................................................................. 151

6.2.1 Konzepte zur Anwendung im Fach- oder Klassenraum ............................................... 153

6.2.2 Outdoor-Konzepte am Beispiel Amphibienexkursion ................................................... 156

7 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................................ 159

7.1 Zusammenfassung .................................................................................................. 159 7.2 Ausblick .................................................................................................................... 162

Literatur ................................................................................................................................ 165

Anhang I: Dissertationsrelevante Publikationen nach Kapitel ................................ 187

Anhang II: Liste der nachrichtlichen Publikationen .................................................. 189

Anhang III: Instrumente ................................................................................................... 191

IIIa: Fragebogen Kapitel 4 (Interventionsstudie) ...................................................... 191 IIIb: Fragebogen Kapitel 5.1 (Schülerfragebogen) .................................................... 203 IIIc: Fragebogen Kapitel 5.2 (Lehrerfragebogen incl. Korrespondenz) ................. 204

Anhang IV: Korrespondenznachweise .......................................................................... 211

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Struktur, Basis und Themenrelevanz

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0 Tiere im Unterricht als ein multiperspektivischer Ansatz: Struktur und Basis inhärenter Problemstellungen der Arbeit

Lebende Tiere – nachfolgend kurz Tiere – wurden und werden in vielfältigen Kon-

texten in der Schule eingesetzt. Die Dimensionen ihrer Einsatzgebiete und –mög-

lichkeiten lassen sich ohne raumgreifende Erläuterungen hier nur andeuten: „Sie rei-

chen von Morphologie, Tierpflege (Betreuung, Verantwortung) über Verhaltensbio-

logie bis hin zu physiologischen und genetischen Fragestellungen…“ (Klingenberg

2010c). Daher verwundert die Tatsache, dass zu diesem Themengebiet wenig aktuel-

le Forschungsarbeiten bzw. systematische Betrachtungen vorliegen (z.B. Gehlhaar

2008). Mit Ausnahme von einigen Unterrichtsmodellen aus den 1990er Jahren und

dem Verweis auf die Richtlinien zur Sicherheit im naturwissenschaftlichen Unter-

richt (GUV 2003), werden im Hinblick auf systematische Forschungen faktisch aus-

schließlich Arbeiten in o.g. Quelle referiert, die weit zurückliegen.

Neben diesem Aktualitätsdefizit, das insbesondere die fachdidaktische Forschung

betrifft, verdeutlicht eine detaillierte Betrachtung einschlägiger Literatur (Fachorga-

ne, Lehrwerke, …), dass ein multiperspektivischer Ansatz zum Themengebiet Tiere

gänzlich fehlt. Das Erfordernis einer solchen Betrachtung zeigt sich jedoch u.a. in feh-

lender bzw. wenig elaborierter theoretischer Basis, unzureichender oder nicht vor-

handener Wahrnehmung rechtlicher Rahmenbedingungen (Klingenberg 2009a) bis

hin zu Fehlkonzepten bzw. fehlerhaft tradierten Forschungsergebnissen (hierzu z.B.

Langfeldt 2001). Wesentliche Fragen beim unterrichtlichen Einsatz von Tieren, die in

den vorgelegten Arbeiten zur kumulativen Dissertation sowie in dieser Zusammen-

fassung behandelt wurden (bzw. werden), seien daher bereits an dieser Stelle stich-

punktartig umrissen:

- Wie und ggf. wo sind die theoretischen Hintergründe der Verwendung von

Tieren in der Schule zu verorten (z.B. lern-, medientheoretisch sowie in Bezug

auf spezifisch biologiedidaktische Konzepte)?

- Was wird beim Einsatz von Tieren intendiert?

- Welche Tiere dürfen unter Beachtung welcher Rechtsgebiete überhaupt in der

Schule eingesetzt werden?

- Was bewirkt der Einsatz von Tieren, insbesondere in Bezug auf Lernprozesse,

Behaltenseffekte und Einstellungsänderungen? (Die Tierpflege wird aus me-

thodischen Gründen hierbei nicht betrachtet).

Sowie unter Bezugnahme auf die übrigen Gebiete auch:

- Hat sich die Verwendung von Tieren verändert und was ist ggf. aus der Ana-

lyse der historischen Perspektive abzuleiten?

Es dürfte letztlich von Interesse sein, was aktuell bzw. zukünftig relevant ist:

- Welche curricularen Innovationen ergeben sich aus forschungsbasierten, aktu-

ellen Praxiskonzepten?

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Konstantin Klingenberg

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Bevor die Fragen in den nachfolgenden Abschnitten genauer beleuchtet werden,

führt dieses Kapitel in die kumulative Dissertation ein. Es veranschaulicht den inneren

Zusammenhang von Struktur (Kapitelabfolge) und Basis (Einzelpublikationen) der

gesamten Arbeit und der hiermit vorgelegten Zusammenfassung. In diesem Kapitel

erfolgt lediglich die formale Darstellung, um vorab einen Gesamtüberblick zu erhal-

ten. Das Aufzeigen der inhaltlichen Verbindungen wird in den weiteren Kapiteln

vorgenommen, die sich gemäß arabischer Zahlen in Abbildung 1 ergeben.

Die Struktur der Arbeit verdeutlicht Abbildung 1 durch ihre Teile, deren puzzelarti-

ge Form weiterhin veranschaulicht, dass die bearbeiteten Themen ineinandergreifen

bzw. sich z.T. sogar wechselseitig bedingen, um zu einem geschlossenen Ganzen zu

werden (welches jedoch ggf. auch noch Anknüpfungspunkte haben könnte). Rei-

hung und Anordnung folgen dabei der logischen Abfolge eines bezüglich der The-

matik erforderlichen Theorie-Praxis-Zyklus: Die Verwendung von lebenden Tieren

im Unterricht ist – wie in Abbildung 1 dargestellt und in der Arbeit zu zeigen sein

wird – von vielen Bedingungen abhängig, daher erfordert eine Untersuchung der

Thematik auch die hier gewählte multiperspektivische Vorgehensweise.

Abb. 1: Lebende Tiere im Unterricht: Thematische Gliederung und Kapitelabfolge

der Dissertation; es ist anzumerken, dass Kapitel auch über die dargestell-ten Verzahnungen ineinander greifen können.

Bereits hier seien schlaglichtartig Inhalte (und z.T. Methoden) der Kapitel skizziert:

Im Kapitel 1 werden die Grundlagen erarbeitet, die aus lern- und medientheoreti-

scher sowie pädagogisch-psychologischer Sicht bei dem Einsatz von Tieren im Un-

1 2

3

4

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Struktur, Basis und Themenrelevanz

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terricht bedeutsam sind. Weiterhin werden hier der Forschungsstand, Forschungs-

plan und das methodische Vorgehen dargelegt.

Kapitel 2 beschäftigt sich mit rechtlichen Aspekten, die bei der Arbeit mit Tieren re-

levant sind. Insbesondere Tier- und artenschutzrechtliche Fragen werden betrachtet.

Das Kapitel 3 verdeutlicht historische Entwicklungen des schulischen Tiereinsatzes

und stellt Bezüge zu bedeutsamen Bildungsbewegungen bzw. -epochen her.

Im Kapitel 4 stehen kognitive und emotionale Lernprozesse im Zentrum, die anhand

einer vergleichenden Interventionsstudie in der Sekundarstufe I untersucht werden.

Kapitel 5 stellt quantitativ erhobene personale Aspekte beim Tiereinsatz dar (v.a.

Einstellungen), die bei Lehrkräften und Grundschülern vorhanden sind.

Im Kapitel 6 schließlich sind curriculare Innovationen zusammen gefasst, die sich

aus den Teilbereichen der Arbeit ergeben.

Basis dieser kumulativen Dissertation sind ausgewählte Publikationen bzw. zur

Veröffentlichung eingereichte Manuskripte in Alleinautorenschaft des Verfassers. Sie

sind in chronologischer Folge in Tabelle 1 dargestellt, vollständige bibliographische

Angaben zu den Aufsätzen sind im Anhang I zu finden (kapitelweise zugeordnet).

Tab. 1: Übersicht der Dissertation zugrunde liegenden Publikationen, chronologisch nach Erscheinen incl. Publikationsorgan; Kapitelzuordnung vgl. Abb. 1.

Titel/Kurztitel Jahr Organ* Kap.

Die Lachse kehren zurück (u. Leben zw. Fluss und Meer) 2006a/b UB 6

Mücken, Milben, Zecken 2007a SWZ 2 (6)

Nachts sind alle Kröten grau 2007b PdN-B 6

Amphibienexkursion 2007c PdN-B 6

Experimente mit Regenwürmern 2007d PdN-B 6

Beobachtungen an der Eurasische Zwergmaus 2007e PdN-B 6

Unterricht mit Tieren: Lehrereinstellungen 2007f GFD 5

Wehrhafte Wasserflöhe 2008a UB 6

Welche Tierphänomene interessieren Grundschüler 2008b BBLF 5

Wild lebende Tiere der geschützten Arten im Unterricht 2009a NuR 2

Die Bänder der Schnirkelschnecken 2009b UB 6

Lernklima fördern – Einstellungen ändern 2009c FdDB 4

Meaning Making with living Animals 2010a ESERA 1

Rechtliche Rahmenbedingungen bei Einsatz u. Haltung 2010b SchuR 2

Zwischen Beobachtung, Pflege und Experiment 2010c JHB 3

Biodiversität in der Schule 2011a BfN 4

Lebende Tiere in der Schule (Teil 1, 2 und 3*) *im Druck 2011b/c MNU 2

Primärerfahrung with Animals in contrast to videos eingereicht JBE 4 *UB = Unterricht Biologie, SZW = Sache-Wort-Zahl, PdN-B = Praxis der Naturwiss.-Biologie in d. Schule, GFD = Abstract-band GFD-Tagung, BBLF = Braunschw. Beiträge zur Lehrerbildung und Fachdidaktik, NuR = Natur und Recht, FDdB = Abstractband Fachdidaktik der Biologie, ESERA = Tagungsband 7. ESERA-Tagung, SchuR = SchulRecht, JHB = Jb. f. Hist. Bildungsforschung, BfN = Bundesamt f. Naturschutz, MNU = Der math. u. naturw. Unterricht, JBE = J. of Biol. Education

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Konstantin Klingenberg

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Auf diese Arbeiten wird im Text anhand der üblichen Zitatform (z.B. Klingenberg

2009a) Bezug genommen (vgl. Tab. 1). Weitere Publikationen zum Thema, die teils

unter Mitwirkung des Verfassers, teils in Alleinautorenschaft entstanden sind, wer-

den nachrichtlich in Anhang II dargestellt.

0.1 Themenrelevanz in Theorie, Lehrpraxis und schulischen Vorgaben

Folgt man einer großen Anzahl von Biologiedidaktikern bzw. Lehrern1, so mag eine

Erläuterung zur Relevanz des Themas ‚Lebende Tiere im Unterricht’ im Grunde ob-

solet erscheinen: Ihrer Ansicht nach bedarf es keiner gesonderten Begründung der

Themenrelevanz, da lebende Tiere zum Kerngebiet der Biologiedidaktik bzw. des

Biologieunterrichts2 zählen. So stellt bereits das Fach – respektive der seit ca. 100 Jah-

ren gebräuchliche Fachname ‚Biologie’ (s. Kap. 3; vgl. Klingenberg 2010c) – in wörtli-

cher Deutung (‚Bio’ = ‚Leben’ und ‚logos’ = ‚Lehre’) per se als ‚Lehre vom Leben’ eine

hinreichende Begründung dar. Inwiefern die ‚Lehre‘ sich jedoch im Rahmen einer

bzgl. der Biologiedidaktik davon abhebenden, primär Vermittlungscharakter einneh-

menden Metaebene, nicht oder nicht unbedingt zwingend auch Tieren zwecks Ziel-

erfüllung zu bedienen hat, ist durchaus umstritten (obgleich eine stringent bzw.

prinzipiell ablehnende Haltung niemand einzunehmen wagt). Die Biologie als Wis-

senschaft jedenfalls ist – zumindest in einer Vielzahl von Teildisziplinen – ohne die

unmittelbare Einbeziehung, Beobachtung usw. von Tieren undenkbar.

Sollen (oder müssen) Tiere im Rahmen des regulären Unterrichts ein Bestandteil

sein? Die Bildungsstandards treffen hierzu eine prinzipiell klare Aussage: „Der Bei-

trag des Faches Biologie zur Welterschließung liegt in der Auseinandersetzung mit

dem Lebendigen.“ (KMK 2004, 6; Hervorhebung im Original). Je nach Lesart, kann

allerdings der Schwerpunkt auf ‚Auseinandersetzung‘ oder ‚Lebendigen‘ gelegt

werden, mit dem entsprechenden Resultat, das ‚Lebendige‘ bzw. die ‚Auseinander-

setzung‘ zu betonen. Es erscheint jedoch wenig sinnvoll gedankliche Prozesse (Aus-

einandersetzung) strikt vom Gegenstand (dem Lebendigen) trennen zu wollen: Diese

wichtige Frage wird bei Überlegungen zu Lernprozessen sowie in weiteren Kapiteln

aufgegriffen, da sie einen erheblichen didaktischen Stellenwert besitzt. In Fortfüh-

rung der drei in der Kapitelüberschrift angesprochenen Bereiche soll hier zunächst

eine umfassendere Darstellung der Themenrelevanz erfolgen.

1 Die in dieser Arbeit verwendeten Begriffe wie Lehrer, Schüler usw. beinhalten grundsätzlich sowohl

die männliche als auch die weibliche Form, falls dies nicht auswertungsbedingt abweichend gekenn-zeichnet ist. 2 Sofern in dieser Arbeit der Begriff Biologieunterricht verwendet wird, ist damit auch der biologische

Anteil der entsprechenden Fächer in gemeinschaftlich unterrichteten Naturwissenschaften (S I / II) sowie in der Primarstufe gemeint (dort üblicherweise im Sach- bzw. Heimatunterricht integriert).

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Struktur, Basis und Themenrelevanz

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a) Zur Relevanz in der Theorie sei auf die vielfach normativen, vom Fachver-

ständnis ausgehenden Begründungsmuster in biologiedidaktischen Lehrbüchern, im

Handbuch der Biologiedidaktik sowie in diversen Publikationen verwiesen. Auch

wenn diese Ansätze i.e.S. nicht als Theorie zu werten sind, beinhalten sie wichtige

Aspekte, die sich auf folgende Punkte verdichten lassen:

Der Einsatz lebender Tiere ist von essentieller Bedeutung, da

über unmittelbare Realbegegnungen Primärerfahrungen3 gewonnen werden,

positive Einstellungen Lebewesen gegenüber gefördert werden,

in besonderer Weise die Lernmotivation gefördert wird,

die Schüler für biologische Fragestellungen interessiert werden,

ein Zusammenwirken von physischen und psychischen Komponenten er-

folgt (Beanspruchung mehrere Sinneskanäle beim Lernen), was für das Ler-

nen insgesamt förderlich sein kann

(z.B. Staeck 1980, 40; Bretschneider 1994a, b, Gehlhaar 2008), für eine ältere, in Tei-

len detaillierte Übersicht vgl. Kattmann (2003, 312ff.).

Dieser ‚Theoriebereich’ zählt Tiere zu den (Unterrichts)Medien und beinhaltet neben

dem o.g. normativen Sektor des Weiteren z.T. auch Erhebungen (zum Einsatz, zu Ein-

stellungen usw.) und Wirkungsforschung (zu Lernprozessen, Einstellungsänderungen;

Interesse etc.). Beide Bereiche sind unterschiedlich stark entwickelt (beide werden

ausführlich an anderer Stelle in den Kapiteln 1.1, 4 und 5 behandelt).

Der hier näher beleuchtete normative Sektor bedient sich teils empirisch fundierter,

teils aber auch wenig elaborierter Begründungsmuster. Hier überwiegen oft ‚naiv-

subjektive’ Theorien (basierend auf Einzelerlebnissen) oder fachfremde Theorien

(z.B. aus Bereichen der Tiefenpsychologie, Psychoanalyse: etwa bzgl. Konzepten im

Hinblick auf Zu-/Abneigung gegenüber Tieren). Es fällt auf, dass in Arbeiten einiger

Autoren Tiere – entgegen der o.g. Liste – als Problem bzw. ‚Lernhindernis’ angese-

hen werden (z.B. Schanz 1972, Gropengießer und Gropengießer 1985). Zu diesen

(Teil)Aussagen liegen jedoch meist erfahrungsbasierte und kaum empirische Be-

gründungen vor (vgl. Kap. 5). Abschließend ist anzumerken, dass trotz umfassender

Kompetenzdebatte Aspekte zur Arbeit mit Tieren im Unterricht bisher zwar in Ein-

zelkompetenzen mehr oder minder eindeutig formuliert worden sind (vgl. dazu un-

ten in den ‚schulischen Vorgaben‘), diese jedoch zumeist recht vage und teils auch

nicht in idealer Weise in der Lehrpraxis umzusetzen sind.

3 Der Begriff ‚Primärerfahrung’ ist ambivalent zu betrachten: Einerseits besitzt er – insbesondere im

Bereich der Biologiedidaktik – durchaus einen großen heuristischen Wert; er geht vermutlich auf Winkel (1970: ‚Grunderfahrung’) zurück und wird heute umfassend verwendet (z.B. Köhler 2004a, Gehlhaar 2008, Spägele 2008, Klingenberg 2008c, Klingenberg eingereicht). Andererseits scheint eine theoretische Fundierung bislang (noch) nicht in adäquater Weise erfolgt zu sein (Klingenberg 2009d).

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Konstantin Klingenberg

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b) Auch die Relevanz der Lehrpraxis kann als erheblich angesehen werden: So-

fern auf Seiten der Lehrkraft die Bereitschaft vorhanden ist, auch Tiere in die Unter-

richtsgestaltung einzubeziehen oder Unterricht basierend auf den Einsatz lebender

Tiere zu gestalten, gilt ein (empirisch nicht belegtes) ‚Faktum’: Unterricht mit leben-

den Tieren ist deutlich aufwändiger (z.B. Meyer et al. 2010). Dieser Umstand, der

trotz fehlender Nachweise vermutlich in den meisten Fällen zutreffen wird, beein-

flusst die Entscheidung zur Unterrichtsgestaltung und führt zu zwei Kernthemen:

Lehrkräfte haben ein berechtigtes Interesse zu wissen, inwiefern sich ein (ver-

gleichsweise) hoher Vorbereitungsaufwand konkret unterrichtlich auswirkt

(um nicht zu sagen ‚lohnt’: vgl. dazu Kap. 4 bzw. 5: z.B. Abbau von negativen

Einstellungen, Motivationssteigerung, positive Lerneffekte, …).

Biologiedidaktisch Forschende haben die genuine Verpflichtung, die Wirk-

samkeit des Einsatzes von lebenden Tieren entsprechend wissenschaftlich zu

beleuchten sowie die erforderlichen Rahmenbedingungen und die zu erwar-

tenden Resultate konkret zu benennen.

Hieran zeigt sich sowohl die Bedeutung einer engen Theorie-Praxis Verzahnung als

auch die der Beforschung (und Entwicklung) praxisrelevanter Unterrichtskonzepte (vgl.

Kap. 4 und 6). Pädagogisches Professionswissen von Biologielehrern bzgl. des Ein-

satzes lebender Tiere lässt sich verkürzt auf die Formel bringen: „Dem Umgang mit

Tieren in der Schule muss eine entsprechende theoretische und vor allem praktische

Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte vorausgehen.“ (Heimerich 1998, S. 51).

Problematisch kann allerdings eine Schlussfolgerung aus gleicher Arbeit sein: „Statt

aus Filmen und anderen Medien sollten die (zukünftigen) LehrerInnen möglichst

viele ethologische Tierexperimente aus eigenem direktem Umgang mit Tieren ken-

nen.“ (ebenda), da dieses Zitat vermuten lassen könnte, insbesondere Content Know-

ledge (CK) zu stärken – von Bedeutung ist selbstverständlich aber auch die Anwen-

dung in Unterrichtskontexten, also Pedagogical Content Knowledge (PCK).

Ein Blick in einige verbreitete biologiedidaktische Lehrwerke (z.B. Kattmann 2003,

Spörhase-Eichmann & Ruppert 2004, Gropengießer & Kattmann 2008, Staeck 2009)

verdeutlicht, dass eine unterrichtspraktische Erforschung zwar allgemein als sehr

bedeutsam angesehen wird, Ergebnisse der jüngeren Vergangenheit jedoch rar sind,

z.T. aber auch nicht wahrgenommen werden: Obwohl in einschlägigen Kapiteln die

unterrichtliche Bedeutung des Tiereinsatzes in o.g. Form unterstrichen wird, fehlen

Verweise auf konkrete, neuere experimentell-quantitative oder -qualitative Ansätze.

Fast ausschließlich werden Arbeiten aus den 1980 (max. 1990er) Jahren zitiert (für

eine Übersicht: Gehlhaar 2008). Es liegen inzwischen jüngere, auch deutschsprachige

Studien vor, die erheblich verbesserte theoretische und methodische Ansätze aufwei-

sen (Schrenk 2006, Klingenberg 2008c, Wilde & Bätz 2009). Weiterhin existieren Stu-

dien aus Pädagogik und Veterinärmedizin (Bull 2000, Krohn 2000, Nolte 2002) sowie

internationale Beiträge (Sherwood et al. 1989, Tamir & Shcurr 1997).

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Struktur, Basis und Themenrelevanz

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c) Die Relevanz in schulischen Vorgaben sollen zum Abschluss dieses Kapitels

bereits in genereller Form beleuchtet werden; in Kapitel 1 wird nochmals zu diesem

– wie zu den vorgenannten Bereichen – der Bezug herzustellen sein.

In Folge von lediglich mittelmäßigem Abschneiden deutscher Schüler in internatio-

nalen Vergleichsstudien (z.B. TIMSS, PISA) wurden schulische Vorgaben bzw. zu

erreichende Bildungsziele4,5 in jüngerer Vergangenheit von ‚input-’ (z.B. Rahmen-

richtlinien) auf ein als ‚output-gesteuert’ bezeichnetes Systems umgestellt (‚Stan-

dards’ in Bildungsstandards, curricularen Vorgaben etc.). In dieser Arbeit werden

neben dem länderübergreifenden Rahmen (Bildungsstandards für das Fach Biologie:

KMK 2004) beispielhaft die niedersächsischen Curricula (curriculare Vorgaben,

Kerncurricula) besprochen.

Bereits in der Einführung „Der Beitrag des Faches Biologie zur Bildung“ (KMK 2004,

6) heißt es in genereller Form (vgl. S. 4): „Der Beitrag des Faches Biologie zur Welter-

schließung liegt in der Auseinandersetzung mit dem Lebendigen.“ Hierunter sind –

in einer möglichen Lesart, s.o. – auch lebende Tiere zu fassen, die dadurch einen fes-

ten Platz im Rahmen des Biologieunterrichts haben. In der nachfolgend dargestellten

Tabelle zu den Kompetenzbereichen (Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommu-

nikation und Bewertung) ist bereits im Kompetenzbereich Fachwissen als erster Be-

griff „Lebewesen“ genannt, im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung sind u.a.

„beobachten, vergleichen und experimentieren“ aufgeführt (s. Tab. 2).

4 Sowohl singulär als auch in Komposita ist der Begriff ‚Bildung‘ in der in den naturwissenschaftlichen

Bildungsstandards gebräuchlichen Konnotation nicht unproblematisch. Neben grundsätzlichen Vor-würfen („Schule ist keine Bildungs-, sondern eine Lehranstalt“; Oelkers 2002), gehen die Kritikpunkte zum Bildungsbegriff noch tiefer; sie betreffen u.a. die in den Bildungsstandards üblichen Einsatz-/Bedeutungsfelder, die der Tradition dieses genuin deutschen Begriffs im Allgemeinen sowie der differenzierten, aus anderen Epochen stammenden Wahrnehmung (Humboldt’sche Bildungsideale) im Besonderen entgegen stehen. Weiterhin wird kritisiert, dass entgegen den Empfehlungen die Bil-dungsstandards keine Mindeststandards, sondern Regelstandards formulieren. 5 Auch der Hinweis, die Kompetenzbereiche (als Schlüssel zur Überprüfung) würden mehr als ledig-

lich Fachwissen erheben (d.h. also Bildung anhand von Kompetenzen ‚messen‘) erweist sich als wenig hilfreich bzw. überzeugend, denn: Das ‚Messen‘ von Kompetenzen, resp. ihrer Performance, ist offen-bar schwieriger als ursprünglich angenommen. Schecker und Parchmann (2006, 46) kritisieren hierzu bezogen auf die bekannte Weinertsche Definition (Weinert 2001) (‚vor und nach dem Komma‘): „Ein Grund liegt sicherlich in der schwierigen Frage, wie man mit vertretbarem Aufwand Motivation und Handlungsbereitschaft in quantitativen Studien mit großen Probandengruppen in bestimmten An-forderungssituationen zusammen mit den erforderlichen kognitiven Komponenten standardisiert erfasst. Solche Tests werden zudem nicht in realen Anforderungssituationen durchgeführt, sondern in fikti-ven Situationen. […] Für empirische Studien sollte daher genau ausgewiesen werden, welche Aspekte der Weinertschen Definition erfasst werden sollen und können.“ (Hervorhebung: KK). Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sogar das PISA-Konsortium (2007) nur noch vom ‚Poten-tial‘ spricht (ebenda, 37). Ob die Verwendung dieses Begriffs u.a. in den – bislang kaum gelösten – o.g. Messschwierigkeiten liegen mag, ist hier nicht zu klären. Theoretische Fragen zur Handlungsbereit-schaft behandelt Kap. 1.1.2, sie findet in einer Teilstudie (Kap. 4) ausdrückliche Berücksichtigung.

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Konstantin Klingenberg

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Tab. 2: Die Kompetenzbereiche des Faches Biologie (Quelle: KMK 2004, 7).

Kompetenzbereiche des Faches Biologie

Fachwissen Lebewesen, biologische Phänomene, Begriffe, Prinzipien,

Fakten kennen und den Basiskonzepten zuordnen

Erkenntnisgewinnung Beobachten, Vergleichen, Experimentieren, Modelle nutzen

und Arbeitstechniken anwenden

Kommunikation Informationen sach- und fachbezogen erschließen und aus-

tauschen

Bewertung Biologische Sachverhalte in verschiedenen Kontexten er-

kennen und bewerten

In den weiteren Spezifikationen der Kompetenzbereiche (bzgl. Fachwissen auch im

Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Basiskonzepte System, Struktur und Funk-

tion, Entwicklung) gibt es eine Fülle von Anknüpfungspunkten für den Einsatz le-

bender Tiere im Biologieunterricht, obgleich eine konkrete Handlungsanweisung aus

dieser Art von Vorgabe nicht zu erwarten ist. Auszugsweise seien jedoch folgende

Einzelkompetenzen hier angeführt

(Die Schülerinnen und Schüler…)

F 2.6: …beschreiben und erklären die Angepasstheit ausgewählter Organis-men an die Umwelt,

E 2: … beschreiben und vergleichen Anatomie und Morphologie von Orga-nismen,

E 4: …ermitteln mithilfe geeigneter Bestimmungsliteratur im Ökosystem häufig vorkommende Arten,

K 5: … stellen biologische Systeme, z. B. Organismen, sachgerecht, situati-onsgerecht und adressatengerecht dar,

B 4: …beschreiben […] die Haltung von Heim- und Nutztieren.

Wie anhand der Formulierung ersichtlich, können Kompetenzen mittels unmittelba-

rer Anschauung (Tiere) erreicht werden, sie könn(t)en ggf. auch auf anderem Weg

erarbeitet werden; dabei können Einzelkompetenzen unterschiedlich gut mittels Tie-

ren verwirklicht werden: E 4 etwa erscheint ein durchaus problematisches Beispiel

für den Einsatz von Tieren zu sein, da zumindest das Bestimmen (im eigentlichen,

dichotomen Sinn) oft nicht gut an lebenden Tieren erfolgen kann (dass dies bei Vorga-

be bestimmter Rahmenbedingungen möglich ist, wird später in den Kapiteln 1.4.2

und 4 kurz dargelegt).

Bevor eine weitere Betrachtung der Kompetenzen sowie curricularer Vorgaben die-

ses Kapitel abschließt, sei in diesem Zusammenhang exemplarisch der Bereich ‚Wis-

senschaftliches Arbeiten‘ herausgegriffen, den Mayer (2002) in seinem Aufsatz ‚Bio-

logieunterricht nach PISA - Standards, Qualitätsentwicklung und Evaluation des Bio-

logieunterrichts‘ behandelt hat. Er benennt darin als „…Basis für die fachspezifischen

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Struktur, Basis und Themenrelevanz

9

Arbeits- und Denkformen…“ biologische Schulversuche, mit drei Charakteristika,

deren erstes „…Experimente mit lebenden Organismen (Pflanzen, Tiere […]).“ ist

(ebenda, S. 88). Auch die weiteren Bereiche enthalten wichtige Aspekte, die auf die

Arbeit mit lebenden Tieren hindeuten.

Als wesentlicher Unterschied kann dabei extrahiert werden, dass Mayer (2002) zu-

mindest grob beschreibt, wie in Bezug auf Planung, Gestaltung, Durchführung und

Evaluation von Lehr-Lernformen Gestaltungsmerkmale des Biologieunterrichts aus-

sehen könnten (bzw. sollten), die o.g. Beispiele aus den KMK-Vorgaben jedoch ledig-

lich Kompetenzen verdeutlichen, die beim Erreichen des Mittleren Schulabschlusses

(Klasse 10) bei den Schülern vorhanden sein sollen. So sind in den Bildungsstandards

Aufgabenbeispiele zu finden, die konkret die Verwendung von Tieren nahe legen

(Bsp. 1 „Das versiegelte Aquarium“, Bsp. 10 „Gegliederte Vielfalt“), darüber hinaus

gehende Angaben, zumal zu Kompetenzstufenmodellen oder gar ihrer prozessualen

Implementation, sind indes nicht verfügbar, denn: Zum Zeitpunkt der Veröffentli-

chung der Bildungsstandards haben noch keine Kompetenzstufenmodelle vorgele-

gen, es wurden in Anlehnung an die „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der

Abiturprüfung (EPA)“ Anforderungsbereiche konzipiert; aber auch diese unterstrei-

chen die Themenrelevanz.

Bezüglich konkreter(er) Schulvorgaben für Konzeption von Teilen der Arbeit (z.B.

Kap. 4) waren u.a. die Curricularen Vorgaben in Niedersachsen (Niedersächsisches

Kultusministerium 2004a, b) für die Jahrgangsstufen 5/6 von Bedeutung; diese lösten

die ehemals geltenden Rahmenrichtlinien der bis dahin existierenden Orientierungs-

stufe ab. Aktuell gelten die Kerncurricula für die Sek. I (Niedersächsisches Kultus-

ministerium 2007a, b, c) (Nds. MK). Die folgenden themenrelevanten Belegstellen

lassen sich aus einschlägigen Vorgaben extrahieren, wobei die Gesamtschulvorgaben

auf Grund ihrer – derzeit noch – marginalen Stellung in Niedersachsen nicht explizit

berücksichtigt werden:

Kerncurriculum für die Grundschule

Schuljahrgänge 1-4, (Nds. MK 2006, 12 und 23):

„Die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung muss auch gegenüber anderen

Lebewesen entwickelt werden. Mit dem Erwerb grundlegender Artenkenntnisse

werden die Bedürfnisse ausgewählter Tiere und Pflanzen aus der Umgebung in den

Blick genommen.“ […]

S. 23: […] „Die Schülerinnen und Schüler können typische Tiere und Pflanzen ihrer

Umgebung benennen und beschreiben.

[Die Schülerinnen und Schüler können ihr] …Wissen um Lebensbedingungen von

ausgewählten Tieren […] als Grundlage für angemessene Haltung und Pflege nut-

zen. […], [Überprüfung o.g. Kompetenz durch] „Tiere und Pflanzen sammeln, ord-

nen und benennen, Kurz- und Langzeitbeobachtung durchführen (Protokolle).“

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Konstantin Klingenberg

10

Kerncurriculum für die Hauptschule

Naturwissenschaften, Teilbereich Biologie (Nds. MK 2007a, 74):

„Die Schülerinnen und Schüler (…) beobachten und beschreiben Lebewesen und Le-

bensvorgänge.“

Kerncurriculum für die Realschule

Naturwissenschaften, Teilbereich Biologie (Nds. MK 2007b, 73 und 74):

„Die Schülerinnen und Schüler (…) beobachten nach ausgewählten Kriterien.

S. 74: […] vergleichen Lebewesen mit Abbildungen.“

Kerncurriculum für das Gymnasium

Naturwissenschaften, Teilbereich Biologie (Nds. MK 2007c, 96):

„Die Schülerinnen und Schüler (...)

EG 1.1.1 beschreiben unmittelbar erfahrbare Phänomene auf der Basis sorgfältiger

Beobachtung auf der Ebene von Organismen und Organen (Struktur der Mund-

werkzeuge von Insekten). […]

FW 7.3.2 erläutern, dass Merkmale von Organismen zu ihrer spezifischen Lebens-

weise passen (Augenstellungen).“

Es ist auch bei weit gefasster, eher medienorientierter Interpretation (s.u., Kap. 1.1.3)

dieser curricularen Vorgaben im Ergebnis kaum ein Fazit zu erreichen, das den Tier-

einsatz im Unterricht vollständig ignoriert oder ablehnt (vgl. dazu auch ein Zitat von

Lock & Alderman 1996: Kap. 5.3). In Kombination mit fachdidaktischen Anforderun-

gen (Mayer 2002) belegen diese Quellen, dass eine fachlich angemessene Durchfüh-

rung des Biologie- bzw. Sachunterrichts zumindest phasenweise mit dem Einsatz

lebender Tiere verbunden werden sollte, resp. verbunden werden müsste.

Über die amtlichen Bereiche hinausgehend wird mit dem Umgang von Tieren im

Biologieunterricht v.a.in Verbindung gebracht, dass dies ein Bildungsbeitrag des Fa-

ches ist, der überfachliche Bereiche einschließt: Es geht daher nicht nur um Wissens-

erwerb (i.S.d. kognitiven Bestandteile von Kompetenzen), sondern um affektive As-

pekte. Zu nennen wären z.B. Fragen nach der Wirkung des Einsatzes von Tieren auf

die Einstellungen der Schüler (s. Kap. 1.1.2, Kap. 4). Ob die existierenden Bewer-

tungskompetenzen dies jedoch insgesamt gut abbilden, ist durchaus zu hinterfragen.

Subsummiert lässt sich formulieren: Die Arbeit mit Tieren trägt im Sinne eines ratio-

nalen, aber auch vom Tierschutzgedanken geprägten Bildes zur Bildung des Men-

schen insgesamt bei, egal ob aus ästhetischer Sicht, Schutz-, oder Nutzintentionen

oder aus Interesse usw. Die Kompetenzbereiche stellen dabei nur das Kategoriensys-

tem, welches der Unterricht mit ‚Leben‘ füllen muss.

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Personale Aspekte

123

5 Personale Aspekte des Tiereinsatzes: Ergebnisse und Dis-kussion zu Einstellungen, Verwendung und Intention

Personale Aspekte des schulischen Tiereinsatzes betreffen die Analyse von Schüler-

und Lehrerperspektive. Es kommt beiden Perspektiven eine große Bedeutung zu,

denn für erfolgreichen Unterricht ist es notwendig, dass beide Seiten über den ‚Sach-

gegenstand’ (d.h. die Tiere) sinnstiftend kommunizieren und im Sinne einer aus der

Lehrersicht intendierten Wissens- resp. ‚Kompetenz‘zunahme sowie positiver Ein-

stellungsänderung interagieren.

Da die jeweiligen Seiten zumeist unterschiedliche Ausprägung bezüglich Vorwissen,

Einstellungen, Interessen usw. besitzen, werden sie getrennt besprochen: Zunächst

werden wesentliche Ergebnisse einer Querschnittserhebung von Einstellungen zu

Tierphänomenen zum Ende der Grundschulzeit vorgestellt und diskutiert (Kap. 5.1),

in der zweiten Studie wird die Sicht der Lehrkräfte wiedergegeben und diskutiert

(Kap. 5.2). Abschließend erfolgt in Kapitel 5.3 eine kurze Synthese.

5.1 Schülerperspektive: Einstellungen zu und Interesse an Tieren

Für Lehrkräfte ist es von besonderer Bedeutung, verbreitete Schülervorstellungen

und -einstellungen zu kennen um im Unterrichtsgeschehen mit diesen professionell

umzugehen. Dies gilt für Einstellungen zu bzw. Interesse an Tieren gleichermaßen,

auch wenn das Interesse an lebenden Tieren grundsätzlich als groß angesehen wer-

den kann (Prokop et al. 2007). Diese empirisch belegte Tatsache lässt sich im Hinblick

auf verschiedene Tiere, Tiergruppen (z.B. Krohn 2000, Nolte 20002) oder Tierphäno-

mene (Klingenberg 2008b) spezifizieren. Im Kontext der Betrachtung von Schüler-

perspektiven gilt es zunächst aber sich zu vergegenwärtigen, in welchen der vielfäl-

tigen Schwerpunkte der Mensch-Tier-Beziehung diese Teilstudie der Dissertation

anzusiedeln ist: Neben den bereits in Kap. 1.2.2 erwähnten Studien in der Biologiedi-

daktik gibt es diverse spezifische Forschungsansätze (für eine neuere Übersicht:

Gebhard 2009) bis hin zu global angelegten Theorie-Synthesen (Kellert & Wilson

1993: biophilia hypothesis). Forschungsansätze, die im Schwerpunkt psychologisch

ausgerichtet sind, unerwünschtes bzw. ‚pathologisches‘ Verhalten behandeln (z.B.

Ascione 2005), werden hier nicht diskutiert, da sie für den schulischen Einsatz kaum

relevant sind.

Von größerem Interesse sind Einstellungserhebungen (z.B. Kellert 1985, Bjerke et al.

1998), speziell solche, die Einstellungen (und Interessen) von Schülern erfassen, wel-

che ggf. für den Unterricht nutzbar bzw. von Bedeutung sind – etwa wenn sich aus

ihnen Probleme (Lernhindernisse) oder auch Positiva (Schülerinteresse) ergeben

könn(t)en. Die systematische Beforschung dieser Thematik hat noch keine ausge-

prägte Tradition, das Forschungsgebiet ist insgesamt heterogen-unscharf und um-

fasst Arbeiten aus Psychologie, Veterinärmedizin und Biologiedidaktik (s. Kap. 1.2).

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Konstantin Klingenberg

124

5.1.1 Rahmendaten der Stichprobe und Kontextualisierung der Ergebnisse

Die Befragung wurde gemäß theoretischer Überlegungen (vgl. Kap. 1.4.2 c) am Ende

der Grundschulzeit in der Altersgruppe der 8-10jährigen, d.h. in den Jahrgängen 3

und 4 durchgeführt (N=42, ♀=54,7%) (Klingenberg 2008b). Vergleichbare Studien im

Bereich der (deutschsprachigen) biologiedidaktischen Literatur sind rar (Kap. 1.2.2

sowie Übersicht zu Studien bei Gebhard 2009, 129ff.), aktuelle sind nicht verfügbar.

Eine Einordnung und Kontextualisierung kann allerdings anhand von Arbeiten aus

der Veterinärmedizin sowie internationaler Literatur erfolgen (Tab. 17). Dabei ist zu

berücksichtigen, dass – wie u.a. bei Gebhard (2009) ersichtlich – Erhebungen mit un-

terschiedlichen methodologischen Ansätzen zu gänzlich verschiedenen Ergebnissen

führen können.

Tab. 17: Übersicht jüngerer Studien zum Bereich ‚Schülereinstellungen/-interessen‘ und Tiere (FB=Fragebogen).

Autor/en

und Jahr

Krohn 2000

(Dissertation)

Nolte 2002

(Dissertation)

Prokop & Tun-

nicliffe 2008

Klingenberg

2008b

Stichprobe 49; Klasse 3/4 67; Klasse 5/6 196; 10-16 Jahre 42; Klasse 3/4

Design FB, k.A. (freie

Nennung?)

FB, Tierliste

(geschlossen)

FB, Itemliste (ge-

schlossen)

FB, halboffen (mit

Begründung)

Zielsetzung Beliebtheit von

Tieren

u.a. Lieblings-

/Hasstiere

Ekeltiere (Spinne,

Fledermaus)

Tierphänomene,

Einstellungen

Zentrale

Ergebnisse

(bzgl. hier

behandelter

Inhalte)

Liste beliebter

Tiere (Tab. 19);

Kind-Tier-Be-

ziehung (bzgl.

Tierschutz) in

Schulbüchern

unterrepräsentiert

Hund, Katze,

Pferd sind

Lieblingstiere;

Spinne, Ratte

u. Fliege gel-

ten als ‚Hass-

tiere‘

Einstellungs-

dimensionen

(ecoscientistic,

negativistic, na-

turalistic) in An-

lehnung an Kel-

lert (1985)

Exotische Phänom.

(Farbw. v. Chamä-

leon) und Meer-

schw‘chen, Mäuse,

Fische sind beliebt;

aber: insges. ambi-

valente Aussagen

Bereits bei dieser Gegenüberstellung ist ersichtlich, dass eine direkte Vergleichbar-

keit der Ergebnisse aber nur bedingt möglich ist, da sowohl Zielsetzungen und Al-

tersgruppen als auch Instrumente variieren. Die Daten aus Krohn (2000) und Nolte

(2002) sind auf Grund der bearbeiteten Altersgruppe und Zielsetzung deutlich besser

geeignet als die von Prokop und Tunnicliffe (2008) (Tab. 17). Insofern werden insbe-

sondere diese Ergebnisse vertiefter diskutiert. Zu berücksichtigen sind in der späte-

ren Diskussion aber auch Aspekte der Erhebung, z.B. ob eine Befragung offen oder

mittels semantischen Differentials durchgeführt wurde (vgl. Kap. 1.4.2 b und Po-

resky & Hendrix 1988).

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Personale Aspekte

125

5.1.2 Schülereinstellungen zu Tieren: Beliebtheit als bedeutsame Einstellungsdimension?

Die Einstellungen von Schülern zu Tieren werden bei Krohn (2000) und Nolte (2002)

im Rahmen von spezifischen Fragestellungen erfasst (Krohn 2000: Beliebtheit, Frage-

bogen und Methodik nach Rüdiger 1956; Nolte 2002: Lieblings-/Hasstiere). Bezüg-

lich der Vergleichbarkeit der verwendeten Begrifflichkeiten ist voranzustellen, dass

es durchaus nuancierte Unterschiede zwischen ‚Beliebtheit‘ (Krohn 2000), ‚Lieblings-

/Hasstieren‘ (Nolte 2002) und einer Einteilung ‚niedlich - eklig‘ (Klingenberg 2008b)

gibt. Dennoch ist es naheliegend, diese Skalen in eine engere Beziehung zueinander

zu setzen, zumal insbesondere diese bipolare Einteilung (‚Kuscheltiere‘-‚Ekeltiere‘)

sehr prominent in der Biologiedidaktik diskutiert wird.

Eine häufig zitierte Aussage in diesem Zusammenhang ist, dass ‚Kuscheltiere’ emo-

tionale Zuwendung und ‚Ekeltiere’ emotionale Sperren auslösen, die zu einer er-

schwerten Informationsaufnahme führen (z.B. Gropengießer & Gropengießer 1985).

Unabhängig von einem grundsätzlichen Definitionsproblem (Was ist ein Kuschel-

tier? Was ein Ekeltier?), welches später genauer betrachtet wird, soll zunächst ein

Blick auf die Datenbasis dieser Aussage gerichtet werden: Die bei Gropengießer und

Gropengießer (1985) getroffenen Aussagen basieren nicht auf Erfassung und/oder

Auswertung eigener empirischer Daten, sondern auf den Aussagen von Schanz

(1972).

Bei Analyse dieser Quelle kommen allerdings Zweifel an der Stringenz und Zuläs-

sigkeit dieser Schlüsse auf: Sie ergeben sich bei Betrachtung der Studie insbesondere

dann, wenn die Methodik beleuchtet wird (s. Schanz 1972, 46-47) und die ‚sympathi-

schen’ Tiernennungen (ebenda, 55-56) nicht berücksichtigt werden. Klerner (1997a)

betont in diesem Kontext: „Schanz (1972) stellte in seinen Untersuchungen fest, daß

es fast kein Tier gibt, gegenüber dem einzelne Kinder keine Abneigung, d.h. insbe-

sondere Ekel und Furcht empfinden können“. Es liegen zudem heterogene Begrün-

dungen der Kinder vor (Schanz, 81 ff.), die Gropengießer und Gropengießer (1985)

nicht entsprechend berücksichtigten. Diese heterogenen Begründungen scheinen

keinesfalls ein Artefakt der damaligen Studie zu sein, wie sich anhand der hier be-

handelten aktuellen Studie belegen lässt (s. Klingenberg 2008b; Tab. 18 vs. Tab. 19).

Tab. 18: Rangliste vorgegebener Tiere [Zustimmung in %], geordnet nach ‚niedlich‘ (N=42); in Klammern Prozentanteil der Schülerinnen (aus Klingenberg 2008b).

Ich finde… niedlich spannend langweilig eklig

Meerschweinchen… 86 (58) 0 (-) 12 (20) 2 (100)

Mäuse… 52 (55) 17 (57) 7 (33) 24 (60)

Fische… 19 (25) 43 (61) 38 (63) 0 (-)

Spinnen… 12 (40) 31 (15) 7 (100) 50 (76)

Regenwürmer… 12 (60) 19 (38) 31 (38) 38 (75)

Schnecken… 7 (67) 29 (50) 26 (55) 38 (56)

Hornissen… 2 (0) 26 (18) 21 (33) 50 (86)

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Konstantin Klingenberg

126

Obgleich Gebhard (2009) nach Auswertung einiger Einstellungsstudien unter Kin-

dern und Jugendlichen konstatiert, dass „…die Beziehung zu Vögeln, Fischen, Am-

phibien, Reptilien oder gar Insekten weitaus distanzierter [ist]“, bleibt in Anbetracht

der hier diskutierten empirischen Erhebungen dennoch fraglich, inwiefern über-

haupt durchgängig Tiere als ‚Kuscheltiere‘ oder ‚Ekeltiere‘ zu bezeichnen sind (vgl.

Rangfolgen der Tab. 18 und 19 im Vergleich). Zu beachten ist auch, dass eine ‚Dis-

tanz‘ nicht zwingend mit der Bipolarität ‚Kuschel-/Ekeltier‘ gleichzusetzen ist.

Abgesehen davon stellt sich jedoch die Frage, inwiefern der Aspekt ‚Kuscheltier-

Ekeltier‘ in der Schule überhaupt eine Bedeutung besitzt. Gebhard (2009, 141ff.) spezi-

fiziert selbst zu Beginn des relevanten Kapitels (‚Welche Tiere werden von Kindern

besonders geschätzt?‘), dass es in den meisten Studien und so auch in seiner Synopse

vor allem um Beziehungswünsche zu Tieren geht. Dies ist jedoch in den weitaus meis-

ten Fällen der Tierhaltung in der Schule und des Tiereinsatzes im Unterricht nicht in

dieser Weise gegeben: Der Aufbau einer Beziehung zu Tieren (i.S.v. spielen, kuscheln

usw.) ist mit den üblicherweise in Schulen gehaltenen bzw. (temporär) im Unterricht

eingesetzten Arten (vgl. Kap. 5.2) im Sinne der von Gebhard (2009) dargelegten Wei-

se gar nicht möglich – und dies ist auch nicht als Aufgabe der Schule bzw. des Unter-

richts anzusehen (vgl. KMK 2004). Selbst in der Primarstufe kann dies allenfalls ein

randständiger Aspekt sein. Eine – oft diskutierte – ‚Ersatzfunktion‘ der schulischen

Tierhaltung, zumindest was größere (dann i.d.R. Säuge)Tiere betrifft, geht auch

gänzlich an der Realität vorbei, wie Daten von Bull (2000) belegen (vgl. Kap. 5.2,

Abb. 24): Schulen, in denen Pferde, Katzen oder Hunde gehalten werden, bilden die

absolute Ausnahme, in lediglich 28 (von 873 kontaktierten) Schulen gibt es Kaninchen

bzw. Meerschweinchen.37 Auch wenn Schüler gefragt werden, welche Tiere sie gern

im Unterricht behandeln würden (i.S.v. real anwesenden Tieren), sind die Nennun-

gen sehr vielfältig, aber zumeist vollkommen unrealistisch (Keller 2004, mdl.).

Insofern stellt sich die Frage, inwiefern im Rahmen von Einstellungserhebungen

überhaupt konsistente Muster erhalten werden können. Wie aus den Tab. 18 und 19

abzulesen ist, rangieren im Bereich der ersten bzw. letzten Plätze (d.h. sehr beliebt vs.

sehr unbeliebt) diverse, recht verschiedene Tierarten. Aus mehreren Erwägungen

sind solche Ergebnisse durchaus nicht ungewöhnlich: Obwohl die Kinder dieser Al-

tersgruppe zwar eine recht genaue Vorstellung von Tieren besitzen (vgl. Gebhard

2009), sind die Kontexte und damit die Assoziationen, Konnotationen usw. mit de-

nen sie diese in Verbindung bringen so unterschiedlich, dass eine erhebliche Band-

37 Hieraus ist nicht zu folgern, dass etwa die Pflege (Betreuung) von Tieren in der Schule, sei es tem-

porär oder auch dauerhaft (z.B. im Rahmen eines Schulvivariums) nicht als bedeutungsvolle Tätigkeit angesehen wird, jedoch kann dies qualitativ nicht mit o.g. Beziehungswünschen gleichgesetzt werden.

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Personale Aspekte

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breite an Beurteilungen zu erwarten ist (vgl. Klingenberg 2008b: Einzelbegründungen

zu Meerschweinchen, Mäusen: dort Tab. 4, S. 68). Dies betrifft sowohl identisch wir-

kende Tiere bzw. Tiergruppen, z.B. ‚Meerschweinchen‘, ‚Mäuse‘ als auch Tiergrup-

pen (-arten), die nicht unmittelbar vergleichbar sind. Hierzu zählen z.B. Fische, da

eine direkte Assoziation mit einem definierten Tierbild in diesen Fällen weitaus weni-

ger sicher möglich ist (allein auf Grund der morphologischen Vielfalt dieser Gruppe).

Tab. 19: Rangliste der beliebtesten Tiere (freie Nennung; N=49; aus Krohn 2000).

Tier sehr gern

gern gleich-gültig

nicht gern

Beliebtheits-quotient

Platz

1. Eichhörnchen 38 7 4 0 83 1

2. Hund 34 12 3 0 80 2

3. Kaninchen 33 12 3 1 76 3

4. Hase 32 12 3 2 72 4

5. Meerschweinchen 29 15 4 1 71 5

6. Fische 31 12 4 2 70 6

7. Wellensittich 28 14 7 0 70 6

8. Reh 30 11 6 2 67 7

9. Pinguin 29 13 3 4 63 8

10. Affe 26 15 5 3 61 9

11. Katze 29 10 6 4 60 10

12. Schmetterling 26 13 7 3 59 11

13. Elefant 24 13 7 5 51 12

14. Storch 19 18 9 3 50 13

15. Löwe 24 14 4 7 48 14

16. Giraffe 19 12 12 6 48 14

17. Spatz 17 18 12 2 48 14

18. Maus 20 15 10 4 47 15

19. Bär 23 13 7 6 47 15

20. Igel 18 15 11 5 41 17

21. Schwan 20 11 13 5 41 17

22. Fuchs 16 18 10 5 40 18

23. Pfau 18 17 7 7 39 19

24. Maulwurf 23 8 9 9 36 20

25. Pferd 17 20 3 9 36 20

26. Ente 17 13 13 6 35 21

27. Schlange 23 6 7 13 26 22

28. Schaf 12 16 10 11 18 23

29. Kamel 11 14 15 9 18 23

30. Schnecke 9 14 15 11 10 24

31. Esel 11 11 14 13 7 25

32. Regenwurm 14 10 8 17 4 26

33. Ziege 7 12 15 15 -2 27

34. Kuh 6 14 14 15 -4 28

35. Hühner 8 8 17 16 -8 29

36. Ratte 10 11 6 22 -13 30

37. Spinne 11 9 5 24 -17 31

38. Schwein 4 11 13 21 -23 32

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Konstantin Klingenberg

128

Der Biologieunterricht sollte bzw. darf aber im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht

bei prävalenten Einstellungen (Assoziationen, Erfahrungen etc.) der Schüler stehen

bleiben, sondern muss sie aktiv darin unterstützen auf Basis weitgehend wertneutra-

ler, fachwissenschaftlicher Handlungsrahmen ihr Bild von Lebensformen ganz all-

gemein – sowie im Speziellen von Tieren – weiterzuentwickeln, da Schüler kaum

kohärente Begründungsmuster für ihre Einstellungen besitzen (s.o.). Dies ist nicht als

‚bevormundende‘ Einstellung zu verstehen und auch keine „…gefährliche Haltung,

die animistisch-anthropomorphe Interpretation von […] Tieren […] als eine infantile,

eigentlich zu überwindende Sicht abzuqualifizieren.“ (Gebhard 2000, 21). Denn: Ein

fachlich korrekter Biologieunterricht kann kaum den Anspruch erfüllen „…die

Spannung […] rational-naturwissenschaftliche[r]…“ und animistisch-anthropomor-

pher Sicht ‚auszuhalten‘ (ebenda), sondern er muss Erklärungen liefern.

Dies betrifft auch Einstellungen zu Tieren, z.B. der bei Schanz (1972) am häufigsten

genannten ‚Ekeltiergruppe’ Schlangen. Dabei ist mit Tab. 19, in der div. ‚Felltiere‘

noch hinter Schlangen rangieren, sowie anhand der Arbeiten von Hallmen (1997,

2004) oder Retzlaff-Fürst und Horn (2000) zu belegen, dass dies eine verkürzte Sicht

ist. Es zeigt sich, dass die schlichte Gegenüberstellung ‚beliebt-unbeliebt‘, ‚niedlich-

eklig‘ usw. nicht zwingend zielführend ist und letztlich in verschiedenen Studien

bzw. Schülerpopulationen zu divergenten Ergebnissen führen kann. Bedeutsam für

die unterrichtliche Praxis dürfte vielmehr der Unterschied zwischen den Einstellun-

gen der Schüler zu den Tieren (z.B. in o.g. Ambivalenz) und dem Interesse an Tieren

(oder Tierphänomenen) sein. Retzlaff-Fürst (2008) belegt etwa, dass bei primär nicht

interessanten bzw. abstoßend wirkenden Arten (Schnecken, Asseln etc.) durch spezi-

fische Zugangsformen (Detailansichten) bei Schülern ein erheblich stärkeres Interes-

se, eine erleichterte Kontaktaufnahme sowie schließlich auch eine Einstellungsände-

rung bewirkt werden kann. Es sei daran erinnert, dass bereits Bauhardt (1990) einen

vergleichbaren Effekt bei sog. ‚Ekeltieren‘ nachweisen konnte (Spinne, Regenwurm).

Bei Wasserwirbellosen ist dies im Rahmen eines parallelisierten Designs (lebende

Wirbellose gegenüber Filmen) ebenfalls belegt (Klingenberg 2011a, vgl. Kap. 4).

Sofern der Abbau von Abneigung und speziell Ekel – aus ganz unterschiedlichen

Gründen – und die Etablierung eines weitgehend rationalen Tierbildes als wichtiges

Ziel im Biologieunterricht angesehen wird (vgl. dazu auch Gropengießer & Gropen-

gießer 1985), ist zu bedenken, dass dies v.a. ein kulturell basiertes Phänomen ist (z.B.

Löwenberg 2000, 49). Weiterhin kann vermutet werden, dass selbst Tiere die aus per-

sönlichen Erfahrungen oder Enkulturation negativ konnotiert sind, ein grundsätzli-

ches Empathieempfinden auslösen: Nolte (2002) fragte beispielsweise Schüler, inwie-

fern sie auf eine (hypothetische) Anwendung von Gewalt bei Hunden (als einem

‚Kuscheltier‘) und Schlangen (als einem ‚Ekeltier‘) reagieren würden: Hunde lösten

bei 76% der Schüler Mitleid aus, bei Schlangen waren es immerhin noch 39% der

Schüler, die Mitleid äußerten. Interessanterweise unterschied sich der Anteil der

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Personale Aspekte

129

Schüler, die antworteten „es kommt darauf an“ in ähnlichem Verhältnis (16% bei

Hunden, 37 % bei Schlangen; vgl. Nolte 2002, 85ff). Hieraus ist abzuleiten, dass Schü-

ler sehr wohl differenzieren (‚es kommt darauf an‘) und das ein körperlicher Über-

griff auf Schlangen in diesem Fall als ‚berechtigter‘ angesehen wird (ggf. resultierend

aus einem höheren Angstempfinden).

Zusammenfassend lassen sich persönliche Erfahrungen, kulturelle ‚Prägung‘ und

Assoziationen als wichtige Elemente für Einstellungen gegenüber Tieren identifizie-

ren. ‚Beliebtsheitsreihungen‘ sind als Orientierung für unterrichtliches Handeln

kaum aussagekräftig, dies zeigt sich nicht zuletzt im Vergleich von Rangplätzen der

Tabellen bzgl. Fischen oder Mäusen (Tab. 18 bzw. 19: Platz 2 vs. Platz 18). Eine einfa-

che Formel ‚Kuscheltiere sind niedlich - niedlich ist gleich beliebt‘ (s. o.) ist hieraus

nicht abzuleiten. Weiterhin ist aus der Tab. 18 ablesbar, dass die Beliebtheit in Bezug

auf ‚Interessantheit‘ (Skala: ‚spannend-langweilig‘) keine unmittelbar erkennbare

Auswirkung hat. Es ist im Gegenteil sogar so, dass ‚gefährliche‘ Tiere (oder solche

die dafür gehalten werden) als ‚spannender‘ angesehen werden (s. Tab. 18: Spinnen,

Hornissen). Auch wenn die Verortung auf der Skala ‚spannend-langweilig‘ sicher

kein direkter Indikator für Interesse ist, gibt er darüber Aufschluss, inwieweit nicht

nur die ‚Pflege-Komponente‘ (vgl. Kap. 3), sondern auch die Bereiche der Tierbe-

obachtung oder die der manipulativen Auseinandersetzung (Experimente) eine Rolle

spielen. Dieses wurde ebenfalls im Kontext der vorliegenden Studie untersucht

(Klingenberg 2008b) und soll zum Abschluss des Kap. 5.1 kurz beleuchtet werden.

5.1.3 Tierphänomene und Interesse: eine weitere Dimension der Betrachtung des Einsatzes (bzw. der Integrationsoptionen) von Tieren im Unterricht

Phänomenologische Betrachtungen haben bislang in Kontext des Tiereinsatzes kaum

eine Rolle gespielt; sie wurden allerdings in einer Arbeit von Goller (2002) in Bezug

auf Umweltkontexte näher untersucht. In Anlehnung an die dort vorgenommene

Kategorisierung von Phänomenen bzw. Kontexten wurde in der o.g. Stichprobe eine

Befragung hierzu vorgenommen (vgl. Tab. 20).

Tab. 20: Tierphänomen-Items: Gemittelte Angaben aller Schüler in [%] (N = 42) (aus Klingenberg 2008b).

Itemliste: „Würdest du gerne wissen, warum...“ Ja Egal Nein

...Chamäleons ihre Farbe verändern können? 79 7 14

...Krokodile drei Augenlider haben? 67 21 12

...alle Clownfische als Männchen geboren werden? 64 17 19

...Frösche beim Schlucken ihrer Nahrung die Augen zu machen müssen? 64 17 19

...manche Spinnen ihr Männchen nach der Paarung auffressen? 62 17 21

...Regenwürmer manchmal überleben, obwohl ihr Hinterende abgetrennt wurde? 50 19 31

...Kühe sieben Mägen haben? 50 24 26

...manche Marienkäfer mehr Punkte auf dem Rücken haben als andere? 38 31 31

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Konstantin Klingenberg

130

Während die Übersicht in Tab. 20 einen vergleichsweise homogenen Eindruck ver-

mittelt, ergeben sich bzgl. geschlechts- und altersspezifischer Analyse Unterschiede

(Klingenberg 2008b, 65):

„Bei genauerer Betrachtung im Hinblick auf Klassenstufe und Geschlecht zeigen sich teils deutliche Unterschiede. So finden beispielsweise in Klasse 3a ca. 70% der Mädchen das Phä-nomen „Schwarze Witwe“ interessant (gleichauf mit „Krokodil“ und „Frosch“) […]. Deutli-che Geschlechtsunterschiede zeigen sich bei den Phänomenen „Schwarze Witwe“ (Kl. 3a anteilig mehr Mädchen als Jungen, Kl. 4a vice versa) sowie beim „Kuhmagen“ (Kl. 3a antei-lig mehr Jungen als Mädchen, Kl. 4a vice versa) (vgl. Abb. 1 und 2). Der größte Unterschied zwischen den Geschlechtern ist jedoch beim Phänomen „Regenwurm“ […] festzustellen.

Diese Detailbefunde eröffnen damit vielfältige Interpretationsoptionen. Obgleich das

exotische Phänomen des Farbwechsels von Chamäleons recht deutlich favorisiert

wurde (Tab. 20: 79%), dürfte fraglich sein, inwiefern Schülern bekannt ist, dass dieser

Farbwechsel relativ engen Beschränkungen unterliegt (vgl. Drees 2005). Insbesondere

im Zusammenhang mit der prominenten Darstellung in visuellen Medien (Internet,

Fernsehen, Printmedien), nehmen Schüler an, die Tiere könnten quasi ‚unbegrenzt‘

ihre Farbe ändern (was nicht möglich ist). Auch Steinebach (2004, 42) berichtet: „Si-

cher ist die bloße Anwesenheit eines Chamäleons […] lohnenswert. […] Das primäre

Schülerinteresse gilt dem Farbwechsel.“ Die Exotik als Attraktion ist hier klar der

wesentliche Faktor. Die nächsten Ränge in der Tab. 20 (zwei bis fünf) liegen mit einer

Zustimmung von 67% bis 62% eng beieinander. In Anbetracht der erheblichen

Gruppenunterschiede ist zu bedenken, dass sogar Phänomene mit einer Zustim-

mung von durchschnittlich 50% und darunter (Tab. 20: Regenwurm) in Teilgruppen

von ca. 90% der Schüler als interessant angesehen werden können (s. Zitat oben).

Implikationen für das unterrichtliche Handeln bzw. das Behandeln von spezifischen

Tieren oder Tierphänomenen lassen sich in konkreter Weise hieraus kaum bzw. nur

schwer ziehen. Es ist weiterhin zu bedenken, dass die faktischen Gegebenheiten in

den Schulen (räumlich, finanziell, personell usw.) keine beliebige Anzahl ‚spektaku-

lärer‘ Tiere zulassen. Ob und inwiefern spezifische – ggf. besonders ‚interessierende‘ –

Phänomene (bzw. Tiere allgemein) letztlich überhaupt konkrete positive Auswir-

kungen auf intendierten Lernerfolg und Einstellungen üben, ist nach bisherigem

Stand der Forschung nur unzureichend zu beurteilen. Es dürfte in Anbetracht der

Befunde des Kap. 4 auch nur ein Aspekt von vielen sein. Eine weitergehende Sondie-

rung dieses nach wie vor wenig systematisch beforschten Feldes incl. besonderem

Focus auf die Begründungen von Einstellungen scheint daher notwendig, um diese

Lücken der zumeist offen gehaltenen ‚Erhebungen‘ zu schließen.

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Personale Aspekte

131

5.2 Lehrerperspektive: Tiereinsatz, –haltung, Intentionen und Einstellungen

Diesem Abschnitt ist voranzustellen, dass die vorliegende Studie sich im Hinblick

auf die Schwerpunksetzung von bisherigen deutschsprachigen Untersuchungen

grundsätzlich unterscheidet: Diese richteten den Focus i.d.R. auf eine Erhebung und

nur sekundär auf den Einsatz verschiedener Tiere, resp. Organismen (z.B. Dumpert

1976a/b, Meffert 1980, Grümme 2007). Es sind somit Tierhaltungen in Schulen, nicht

aber die Perspektive der Lehrer oder Einsatzziele erfasst worden (vgl. für England:

Lock & Alderman 1996). Um diese Lücke zu schließen, beschäftigt sich die vorlie-

gende Studie über Erfassung und Beschreibung hinausgehend mit der Perspektive

der Lehrkräfte, etwa in Bezug auf intendierte Ergebnisse ihrer Unterrichtshandlungen

mit Tieren; die Daten können Hinweise darüber liefern, was Lehrer mit dem Einsatz

von Tieren beabsichtigten. Diese Fragen sowie die nach der Wirksamkeit und dem

Nutzen der Lehrerbildung in Bezug auf den Tiereinsatz werden zukünftig angesichts

der Professionalisierungsdebatte in der Lehrerbildung Bedeutung gewinnen.38

5.2.1 Rahmendaten der Stichprobe und Einsatzhäufigkeiten

Der Rücklauf der Lehrerstudie liegt mit 60% (N=47; 38,3% ♂) im üblichen Rahmen

(vgl. Lock & Alderman 1996: 66%, Lock 1996: 40%, Grümme 2007: 52%). Die Alters-

struktur der Stichprobe entspricht weitgehend der Realpopulation (vgl. Tab. 21; Nie-

dersächsisches Kultusministerium 2010, 50), der Rücklauf nach Schulformen zeigt

eine leichte Überrepräsentanz der Haupt- und Realschulen (Grundschulen=8,4%,

Haupt-/Realschulen=53,2%, Gymnasien=38,4%).

Tab. 21: Stichprobe und Altersstruktur der Lehrerpopulation (N=47; 38,3 % ♂).

Altersklasse < 29 30-39 40-49 50-59 > 60

Häufigkeit 2 10 14 13 8

In Summe setzen ca. 21% der Ant-

wortenden gar nicht bzw. sehr sel-

ten (=einmal alle 2-3 Jahre) Tiere im

Unterricht ein (Abb. 23). Knapp

28% der Lehrer verwenden Tiere

‚regelmäßig‘ (d.h. 3-4mal pro Jahr).

Abb. 23: Häufigkeiten des Tierein-satzes (N=47) (Klingenberg 2007f).

38 Daher sind Vertiefungen bzw. Ausweitungen von Studien bedeutsamer, die mit längerfristiger Wir-

kungsforschung verknüpft werden, d.h. bei denen eine Begleitung von Studierenden vom Studium bis in die Berufspraxis erfolgt (vgl. auch Forderungen von Heimerich 1998, s. Zitat in Kap. 0.1, S. 6).

[%] 0 10 20 30

regelmäßig

gelegentlich

selten

sehr selten

gar nicht

[%]

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Konstantin Klingenberg

132

Es wurden im Fragebogen bewusst faktisch zählbare Angaben pro Antwortoption

vorgegeben, da es anderenfalls subjektiv bleibt, was unter den Kategorien zu verste-

hen ist (‚selten‘=höchstens 1-mal pro Schuljahr: 17%; ‚gelegentlich‘=2-3mal pro Schul-

jahr: 34%). Trotz der vergleichsweise hohen Einsatzquote von ca. 62% (Summe der

Kategorien ‚regelmäßig‘ und ‚gelegentlich‘) erscheint es durchaus problematisch,

dass mehr als ein Fünftel der Biologielehrkräfte gar nicht bzw. lediglich sehr selten,

d.h. lediglich alle 2-3 Jahre, Tiere im Unterricht einsetzen (Abb. 23, vgl. Klingenberg

2007f). Die Einsatzhäufigkeiten werden nicht von Teilzeittätigkeit (Cramers-V=0,253;

p=0,590) oder Alter (Kendalls-τc=-0,057; p=0,955) beeinflusst. Zu bedenken ist insge-

samt, dass ggf. eine leichte Überschätzung des Tiereinsatzes vorliegt (s. Kap. 1.4.2 c).

5.2.2 Einbeziehung in den Unterricht

Um einen detaillierteren Einblick in das Unterrichtsgeschehen zu erhalten, wurde in

der Frage 4 per Mehrfachauswahl erhoben, welche Tiere bzw. Tiergruppen im Unter-

richt eingesetzt werden. Es ist dabei bedeutsam, sich den Unterschied zwischen Tier-

einsatz und Tierhaltung zu vergegenwärtigen: Der hier verwendete Fragebogen (An-

hang IIIc) zielte auf den unterrichtlichen Einsatz, d.h. die Verwendung von lebenden

Tieren (vgl. Titel: ‚Lebende Tiere im Unterricht – eine Umfrage zur aktuellen Verwen-

dung‘ Hervorhebung: KK). Dieser Begriff wurde mit Bedacht gewählt, da ein wesent-

licher Unterschied darin besteht, ob in der Schule Tiere lediglich gehalten werden

(z.B. in der Pausenhalle), oder ob Tiere auch unterrichtlich verwendet werden, so dass

diese Tierhaltung dann einen didaktisch höher einzuschätzenden Stellenwert besitzt.

Zwecks Vergleichbarkeit der vorliegenden Studie mit vorhandenen Daten wurden

Fragebogenteile, die den Tiereinsatz erfassen (Fragen 4.1 und 4.2) bezüglich der ver-

wendeten Tiergruppen kategorisiert und in eine Rangfolge gebracht (Tab. 22). Die

Einordnung der Tiere in die Gruppen (s. Tab. 22: Laubstreu u.ä., Einzeller, Fische,

usw.) ergibt sich sowohl auf Basis logistischer Erfordernisse (Tierbetreuung und -

beschaffung, …) als auch z.T. auf Basis der Einsatzzwecke.

Tab. 22: Tiere bzw. Tiergruppen, nach Einsatzhäufigkeit in % [N=47].

Tier/Tiergruppe Beispiele (abnehmend nach Nennungsanzahl) %

Laubstreutiere u.ä. Ringelwürmer, Schnecken, Asseln, Spinnen (Mehlkäfer) 70,2

Einzeller -keine Beispielarten genannt- 57,4

Kleinsäuger (u.a. trop.) Mäuse, Mongol. Wüstenrennmäuse, Katze, Kaninchen 44,6

(trop.) Fische Goldfische, Buntbarsche, Maulbrüter 40,4

Süßwasserwirbellose Eintagsfliegen, Wasserläufer, Rückenschw., Mücken 36,1

trop. Wirbeltiere Bartagamen, Schlangen, Axolotl, Frösche 36,1

trop. Wirbellose Stabheuschrecken, Gespenstschrecken, Wandelnd. Blatt 27,6

Hunde -keine Beispielarten genannt- 10,6

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Personale Aspekte

133

Konkret bedeutet dies: Beschaffung (und ggf. Haltung/Hälterung) von Laubstreutie-

ren ist vergleichsweise einfach, so dass in diese Gruppe, die Regenwürmer, Asseln,

Schnecken etc. umfasst, auch Mehlkäfer(larven) integriert wurden. Alle Tiere dieser

Kategorie erfordern einen eher geringen Betreuungsaufwand.

Hingegen ist der Einsatz von Kleinsäugern – und die i.d.R. damit verbundene Hal-

tung der Tiere – mit einem entsprechend höherem logistischen Aufwand verbunden;

auch die Einsatzziele sind dabei üblicherweise andere, z.B. ethologische Themen-

schwerpunkte. Es ist zu beachten, dass einige Beispiele (Tab. 22) nicht bzw. nur sehr

selten zur schulischen Tierhaltung zu zählen sind (z.B. Katze, Hund).

Der Tab. 22 ist zu entnehmen, dass der Einsatz von Laubstreutieren mit Abstand

überwiegt (70,2%). Erst nach den einzelligen Tieren (57,4%), bei denen es sich nach

handschriftlichen Ergänzungen einiger Lehrkräfte zumeist um Organismen aus

Heuaufgüssen handelt, und Kleinsäugern (44,6%) folgen Fische (40,4%). Anhand die-

ser Daten ist im Vergleich zu anderen Quellen unmittelbar ersichtlich, dass ein we-

sentlicher Unterschied darin zu sehen ist, ob Tierhaltung oder Tiereinsatz im Zentrum

der Untersuchung stand. Vielfach wurde auf diese bedeutsame Unterscheidung nicht

bzw. nur am Rand eingegangen (z.B. Dumpert 1976, Bull 2000, Grümme 2007).

Grümme (2007) führt zu diesem Punkt z.B. aus: „An 75 (48,1%) von 156 Realschulen

[nur diese wurden befragt, KK] werden Tiere gehalten oder gepflegt.“ Bull (2000)

kommt in einer Vollerhe-

bung in Berlin zu dem

Ergebnis, dass lediglich

22%, d.h. „…194 von 873

Schulen Tiere halten.“ (S.

56) (Abb. 24). Häufige Ein-

satzformen von Tieren

(Laubstreu-, Gewässerun-

tersuchungen) fehlen aber.

Abb. 24: Welche Tiere werden an Berliner Schu-len gehalten? (aus Bull 2000, 57)

Ältere Erhebungen von Dumpert (1976a/b) sowie Meffert (1980) geben Werte von

49-65% (resp. bezogen auf Organismen’haltung‘ insgesamt: Tiere und Pflanzen) sowie

33-58% an (jeweils Prozentualangaben für alle Schulformen). Diese Daten zeigen,

dass vergleichsweise große Unterschiede vorliegen, die auch in Erfassungsspezifika

(z.B. dem Fragebogen selbst) begründet sein können. Aus den genannten Gründen

erscheint aber die schlichte Erfassung (Zählung) von Tierhaltungen nicht besonders

aussagekräftig, da auf diese Weise nicht ermittelt wird, ob überhaupt bzw. in wie

Kühe

Esel

Pferde Ziegen

Katzen

Schweine

Schafe

Bienen

Hunde

Insekten Geflügel

Vögel

Kan. Meers.

Mäuse

Fische

and. Nager

Reptilien

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Konstantin Klingenberg

134

weit ein Bezug zum unterrichtlichen Handeln besteht und welche Ziele von den Leh-

rern verfolgt werden. Bei Bull (2000) werden diese Punkte im Rahmen qualitativer

Daten aus Einzelinterviews berücksichtigt (vgl. Kap. 5.2.4).

Es zeigt sich des Weiteren, dass in Bezug auf die Zahlen der gehaltenen Tiere bzw.

Tierarten bereits zwischen den älteren Studien erhebliche Unterschiede auftreten,

Fische aber zumeist die häufigste Gruppe der Tierhaltung stellen. Bei Grümme (2007)

sind es 68 der 75 Realschulen, d.h. ca. 91% der Schulen mit Tierhaltung und betrifft

insbesondere tropische Süßwasserfische. Bei Bull (2000) stellen Fische ebenfalls die

häufigste Gruppe in der Tierhaltung der (Abb. 24; 154 von 194 Schulen=79%).

Es ist weiterhin zu erkennen, dass eine Vollerhebung (Bull 2000) teils andere Daten

ergibt als stichprobenartige Erfassungen, da durch die Einbeziehung nicht antworten-

der Schulen ein Rückgang der relativen Anteile der Schulen mit Tierhaltung folgt (die

sonst im Anteil eben dieser enthalten sind). Dieses Problem dürfte jedoch kaum lös-

bar sein, es sei denn es würden Anstrengungen unternommen, zur Thematik groß-

flächig Vollerhebungen durchzuführen (was aktuell unwahrscheinlich ist; eine zu-

nehmende Überwachung/Reglementierung der Tierhaltung könnte dies aber forcie-

ren). Auch wenn die Daten von Bull (2000) auf Grund gewisser Besonderheiten in

Bezug auf Berlin (als Stadt’bundesland‘) zeigen, ist die Situation in Berlin angesichts

einer v.a. weitläufigen, nicht großstadttypischen Nutzung (mit Grünflächen, LSG,

NSG) weitaus eher Situationen in Flächenländern entsprechend als in anderen Groß-

städten. Ein typisch landes- und studienspezifischer Aspekt ergibt sich jedoch im

Hinblick auf die Häufigkeit der Tierhaltung an den Schulformen: Bei Bull (Vollerhe-

bung in Berlin) liegen Gesamtschulen mit ca. 41% Tierhaltung an der Spitze.39

Im Kontext Tiereinsatz/-haltung soll abschließend der Frage nachgegangen werden,

inwiefern eine Tierhaltung den Einsatz von Tieren beeinflusst, da zu diesem Aspekt

bislang lediglich Vermutungen bzw. nur wenige qualitative Daten vorliegen (vgl.

Bull 2000, s. Kap. 5.3). Daher wurde ebenfalls erfragt, ob ein ‚Schulvivarium‘, ‚Schul-

zoo‘, Vivariums-AG‘ o.ä. existiert, was in 25,5% der Fälle zutraf. Diese Aktivitäten

waren weder vom Alter und Geschlecht noch – durchaus überraschend – von einer

Teilzeitbeschäftigung abhängig (Phi=0,176; p=0,242). Überwiegend sind diese Aktivi-

täten an Gymnasien lokalisiert (Cramers-V=0,448; χ²=9,447, df=2; p=0,009), wobei

einschränkend anzumerken ist, dass in der Stichprobe Gesamtschulen fehlen (s. Fn

39). Es wurde weiterhin untersucht, inwiefern sich die Tierhaltung in dieser Form

(Vivarium etc.) auf den Einsatz spezifischen Tiergruppen auswirkt (s. Tab. 22). Bzgl.

der Gruppen ‚Einzeller‘, ‚Laubstreuorganismen‘, ‚Süßwasserwirbellose‘, ‚Kleinsäu-

39 Da Gesamtschulen in Niedersachsen unterrepräsentiert sind bzw. oft in der Fläche fehlen, wurden

punktuelle Nachforschungen speziell für diese Schulform angestellt. Dabei zeigt sich, dass an Gesamt-schulen vergleichsweise häufig Tierhaltung vorliegt bzw. Tiere im Unterricht eingesetzt werden.

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Personale Aspekte

135

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

regelmäßig/häufig gelegentlich/selten nie/sehr selten

Ökosysteme

Schule/Park

Zoo/Zooschule

Forstamt

Tierheim

Reg. Umweltbildg.

NABU / BUND

ger‘ und ‚Hunde‘ sind keine statistisch signifikanten Auswirkungen erkennbar, ob-

gleich bei ‚Kleinsäugern‘ ein Trend sichtbar ist (Phi=0,233, p=0,110). Hingegen wird

der Einsatz tropischer Wirbelloser (Phi=0,511, χ²=12,254; p=0,000) und Wirbeltiere

(Phi=0,473; χ²=10,524, p=0,001) sowie tropischer Fische (Phi=0,313, χ²=4,607; p=0,03)

von Schulvivarien, einer Vivariums-AG o.ä. stark positiv beeinflusst.

Diese Ergebnisse unterstreichen die in Kap. 3 dargelegten Zusammenhänge von

Tiereinsatz und der Bedeutung tropischer Arten: Obwohl im Gesamtbild (Tab. 22)

der Einsatz tropischer Arten nicht dominiert, ist festzustellen, dass wesentliche Ein-

satzgruppen – z.B. Fische und insbesondere tropische Wirbeltiere – selten außerhalb

von entsprechenden Vivarien-Aktivitäten im Unterrichtsgeschehen anzutreffen sind.

5.2.3 Einbeziehung außerschulischer Lernorte

Sofern außerhalb des Klassenraumes Tiere im Unterricht eingebunden sind, über-

wiegen eindeutig die Einsatzsituationen ‚Ökosysteme‘ sowie ‚Schulgelände/Park‘

(Abb. 25). Bzgl. der Frequenz gibt es von der Kategorie ‚regelmäßig/häufig‘ zu ‚gele-

gentlich/selten‘ eine annähernd gleichsinnige Verdopplung (von ca. 22% bzw. 17%

auf 45% bzw. 33%). Obgleich vereinzelt ‚Zoos/Zooschulen‘ (4%) und ‚Regionale

Umweltbildungszentren‘ (7%) regelmäßig genutzt werden, geben die meisten Lehr-

kräfte an, diese Einrichtungen nie bzw. nur sehr selten für diese Thematik zu nutzen.

Auffällig ist ebenfalls, dass Angebote von Naturschutzorganisationen (NABU,

BUND) vergleichsweise wenig im Kontext Tiereinsatz eingebunden werden (s. Abb.

25: 42% der Lehrkräfte geben dies an). Zu erwarten war hingegen, dass Tierheim-

und Forstamtsbesuche eher seltene Ereignisse im Schulalltag sind.

Abb. 25: Außerschulische Einsatzkontexte von Tieren geordnet nach Einsatzhäu-

figkeit in %; zur Standardisierung der Prozentangaben liegt als rechneri-sche Bezugsgröße immer die Gesamtstichprobe zugrunde (N=47).

[%]

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Konstantin Klingenberg

136

Bei der Betrachtung der Ergebnisse zu außerschulischen Einsatzsituationen ist zu

bedenken, dass die Itemformulierung und der Fragekontext eindeutig auf die The-

matik Tiereinsatz ausgerichtet waren (Anhang IIIc), grundsätzlich aber auch die prin-

zipielle Nutzung der Einrichtungen in die Angaben der Lehrkräfte mit eingeflossen

sein könnte, unabhängig davon, ob und wie eine dort behandelte Thematik sich fak-

tisch mit lebenden Tieren befasst (z.B. ob etwa bei einem Forstamtsbesuch schwer-

punktmäßig botanische oder forstwirtschaftliche Themen behandelt wurden). Eine

vertiefte Diskussion dieser Aspekte ist aktuell jedoch kaum möglich, da zu diesem

Teilgebiet bislang nur vereinzelt Daten vorliegen (z.B. Bull 2000: zu Stadtteilbauern-

höfen). Sofern Daten der Einrichtungen vorliegen (Besucherzahlern o.ä.), sind diese

für eine wissenschaftliche Auswertung kaum verwertbar, da Erfassungsstandards

variieren bzw. unklar sind. Auch Schulbiologiezentren (z.B. in Hannover) führen

nach Kenntnis des Verfassers nur Statistiken über die Ausleihpraxis, d.h. über die

Tiere, die dann per Definition gerade nicht in außerschulischer Einsatzsituation (d.h.

außerhalb des Klassenraumes) im Unterricht verwendet werden.

5.2.4 Intendierte Absichten und Einstellungen der Lehrkräfte

a) Itemdarstellung und grundsätzliche Ergebniskenndaten

Für den hier vorgestellten Untersuchungsteil standen bislang keinerlei Instrumente

zur Verfügung, daher stellen alle Items Neuentwicklungen dar. Sie wurden als Ex-

trakt einschlägiger Publikationen (u.a. Lock & Alderman 1996) formuliert und auf

Basis von Expertenratings ausgewählt sowie stichprobenartig evaluiert.40

Lehrkräfte messen der Wirkung von Tieren grundsätzlich eine hohe Bedeutung in

Bezug auf wesentliche Ziele des Biologie- und Sachunterrichts bei, wie etwa dem

Erlernen von Wertschätzung gegenüber Lebewesen, der Verantwortungsübernahme

sowie der Vermittlung eines rationalen Tierbildes (s. Abb. 26; Items siehe Tab. 23;

vgl. Klingenberg 2007f). Gleichfalls ist so zu werten, dass das Item ‚Schüler gehen mit

Tieren nicht angemessen um‘ eher abgelehnt wird (2,98); diese Antwort ist in Ver-

bindung mit den Items ‚Wertschätzung‘ und ‚Verantwortlichkeit‘ so zu interpretie-

ren, dass der ggf. noch nicht angemessene Umgang mit Tieren, im Rahmen der unter-

richtlichen Aktivitäten durch die intendierten Unterrichtsziele und –prozesse aufge-

baut wird. Dies ist von großer Bedeutung, da keineswegs erwartet werden kann,

dass Schüler eine solche Haltung a priori besitzen.

40 Die Konstruktion des Fragebogens (vgl. auch Kap. 1.4.2 c) basiert bezüglich des Layouts und der

sozio-demographischen Basisdaten auf einem validierten Instrument von Hartig et al. (2005); weiter-hin wurden die in der Biologiedidaktik vorliegenden Studien im Hinblick auf Itemsets zu Verwen-dung von Tieren als Referenz genutzt (u.a. Dumpert 1976a/b, Meffert 1980).

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Personale Aspekte

137

Abb. 26: Antworten der Lehrkräfte zu den Einstellungsitems ansteigend nach Mit-telwert (N=47); vierstufige Likert-Skala: 1=stimme voll und ganz zu, 2=stimme eher zu, 3=stimme eher nicht zu, 4=stimme überhaupt nicht zu. Schraffuren bzw. Weißungen deuten eine Wertetendenz zum jeweiligen Quartil an. Vollständige Itemformulierung siehe Tab. 23 u. Anhang IIIc.

Auch der Ekelabbau (vgl. Schanz 1972) sowie die Erhöhung der Außenwirkung (z.B.

durch schulische Angebote bzw. Aktivitäten, etwa einer AG) werden als wichtige

Ziele angesehen. Die Aussage ,lebende Tiere in der Schule sind unhygienisch‘ wird

eindeutig abgelehnt (Abb. 26; Tab. 23: 3,43) (vgl. dazu auch: Kap. 2.2.2).

Tab. 23: Formulierung der Items ansteigend nach Mittelwert (vgl. Abb. 26).

Itemformulierung Wert

1 Schüler erlernen durch lebende Tiere Wertschätzung gegenüber Lebewesen 1,42

2 Schüler fühlen sich für Tiere verantwortlich 1,78

3 Eine Erziehungsaufgabe d. Schule liegt i.d. Vermittlung eines rationalen Tierbildes 1,85

4 Durch Umgang mit "Ekel"-Tieren (Schlangen, Wirbellose) bauen Schüler Ekel ab 1,93

5 Lebende Tiere erhöhen die Außenwirkung der Schule 1,96

6 Wirbellose aus Zoohandlungen sind leichter zu beschaffen als Heimische 2,34

7 Die Betreuung eines Terrariums in der Schule ist zu aufwendig 2,51

8 Der Unterricht mit lebenden Tieren ist oft nicht kalkulierbar 2,52

9 „Kuscheltiere“ (Hamster, Kaninchen, ...) verstellen den Blick auf Sachverhalte 2,66

10 Schüler gehen mit Tieren nicht angemessen um 2,98

11 Versuche mit Tieren klappen meist nicht 3,02

12 Kleinere Wirbellose eignen sich für Schüler nicht 3,11

13 Aquarientiere sind zumeist langweilig 3,16

14 Lebende Tiere in der Schule sind unhygienisch 3,43

1

1,5

2

2,5

3

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4

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Median

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Konstantin Klingenberg

138

Lehrkräfte stehen dem Tiereinsatz im Rahmen von Versuchen positiv gegenüber, wie

das ablehnende Meinungsbild zum Item ‚Versuche klappen nicht‘ belegt (Abb. 26;

Tab. 23: 3,02). Auch die Verwendung von kleineren Wirbellosen oder ‚Aquarientie-

ren‘ allgemein (Fischen etc.) wird eher positiv gesehen. Der mittlere Wert zum Item

‚Unterricht mit lebenden Tieren ist oft nicht kalkulierbar‘ (2,53: Tab. 23), belegt aller-

dings eine ambivalente Einschätzung, inwiefern die Planungen und Erwartungen an

den Unterricht erfüllt werden können.

Die Beschaffung von (exotischen) Wirbellosen bzw. der Fang heimischer Wirbelloser

wird ebenfalls mit einem mittleren Rangplatz bewertet. Hier liegt keine Präferenz

der Lehrkräfte vor, sie sehen weder für die eine noch für die andere Möglichkeit der

Beschaffung deutliche Vor- oder Nachteile.

b) Faktorenanalytische Auswertungen

Das Verfahren der Faktorenanalyse lässt sich prinzipiell in die explorative sowie die

konfirmatorische Vorgehensweise unterteilen (Bortz & Döring 2006). Oft sind jedoch

bei der explorativen Faktorenanalyse bereits (Vor)Annahmen vorhanden, die dazu

dienen, die Itemzahlen nicht unnötig zu erhöhen. Auch in diesem Fall wurde diese

Vorgehensweise gewählt. Dabei ist zu bedenken, dass das Verfahren der Beschrei-

bung nicht explizit zu erhebender Variablen (=Faktoren) – gleichzeitig jedoch der

Dimensionsreduktion bzw. Bündelung von Variablen – dient (Backhaus et al. 2011).

Bortz und Döring (2006) betonen weiterhin: „Neben dieser pragmatischen Funktion

hat die Faktorenanalyse einen hohen heuristischen Wert, der darin besteht, für die

faktoriellen Variablenbündel inhaltlich sinnvolle Interpretationen zu finden.“ (S. 378,

Hervorhebung: KK). Diese inhaltlich sinnvolle Interpretation bedarf anschließend

weiterer Studien, die diese bestätigen oder ggf. auch widerlegen. Hieran wird deut-

lich, dass es im Rahmen einer Untersuchung nicht möglich sein kann, eine vollständige

Erfassung aller Faktoren vorzunehmen, insbesondere dann nicht, wenn die Erhe-

bung von Einstellung nur einen Bestandteil der Untersuchung darstellt (vgl. vorhe-

gende Kapitel).

Methodologisch werden an die Interpretation und die grundsätzliche Zulässigkeit

einer Faktorenanalyse gewisse Anwendungsvoraussetzungen geknüpft (vgl. bereits

Kap. 4.1.1 c). Backhaus et al. (2011, 330ff.) nennen metrische Daten, hohe Korrelation

der Ausgangsvariablen sowie ein N:p-Verhältnis (Fallzahl:Variablen) von mindes-

tens ca. 3,0 (sowie Beurteilung der KMO-Werte, vgl. Kap. 4.1.1 sowie unten). Im vor-

liegenden Fall liegt die ursprüngliche Anzahl der Variablen für die Einstellungserhe-

bung bei 14 (s. Tab. 23), jedoch wurden für die vorgestellte faktorenanalytische Lö-

sung vier Items selektiert, sodass sich eine N:p-Ratio von 4,7 ergibt (auch bei 14 Items

wäre eine zulässige N:p-Ratio von 3,36 erreicht).

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Personale Aspekte

139

Ursprünglich wurden vier Faktoren vermutet, deren Abbildung anhand des Instru-

ments geplant war (‚generelle Ablehnung‘, ‚ungünstige Aufwand-Nutzen Relation‘,

‚unflexibler Unterricht‘, ‚Steigerung der Wertschätzung‘). Es konnten im Rahmen

dieser Untersuchung nur zwei Faktoren nachgewiesen werden, die bzgl. der sprach-

lichen Fassung leicht modifiziert wurden (‚Steigerung positiv-rationaler Einstellun-

gen‘ sowie ‚(un)günstige Nutzen-Aufwand-Relation‘). Insgesamt ist eine gute Inter-

pretierbarkeit der Lösung erreicht (Abb. 27 a und b); dies schließt jedoch nicht aus,

die weiteren vermuteten Faktoren (‚Ablehnung‘ und ‚unflexibler Unterricht‘) bzw.

noch andere ermitteln zu können.

Die inhaltlich gut interpretierbare Zwei-Faktorenlösung liefert gute statistische

Kenndaten (KMO>0.71, p<0,000; Varianzaufklärung>53%). Auch die Ladungsvertei-

lung und die Faktorenladungen der rotierten Komponentenmatrix sowie die ge-

klumpte und achsenorientierte Darstellung im Komponentendiagramm belegen die

Eignung der Daten (Abb. 27b): Die extrahierten Faktoren ‚günstige Nutzen-Aufwand

Relation beim Tiereinsatz‘ und ‚Steigerung positiv-rationaler Einstellungen gegen-

über Tieren durch Tiereinsatz‘ sind bereits optisch als klar getrennte Variablengrup-

pen zu erkennen. Die deselektierten Items 4, 6, 8, 9 (s. Tab. 23) mussten auf Grund

nicht eindeutiger Ergebnisse und geringer Ladungszahlen ausgeschlossen werden,

da im Zuge der Faktorenanalyse festgelegt wird, ab welchem Ladungswert eine Be-

rücksichtigung stattfindet (i.d.R. >0,4 bzw. 0,5; hier wurde >0,45 gewählt).

Abb. 27a und b: Itemliste für die Komponente (=Faktor) 1: 12, 7, 10, 5*, 13, 14, 11;

Itemliste für den Faktor 2: 1, 2, 3; (Itemformulierungen s. Tab. 23); Rotierte Komponentenmatrix (Komponente=Faktor) und Komponentendiagramm im rotierten Raum. Weitere Erläuterungen s. Text; *=recodiertes Item.

Rotierte Komponentenmatrixa

,812

,743

,699

,662

,613

,586

,559

,762

,748

,649

Kl wirbel unge

Terrarium auf

SuS angem

AußenReCod

Aquat ier langw

Unhygienisch

Versuch nix

Wertschätzung

SuS v erantw

Schule erzieh

1 2

Komponente

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanaly se.

Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung.

Die Rotat ion is t in 3 I terationen konvergiert.a.

Komponente 1

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Konstantin Klingenberg

140

Im Rahmen der faktorenanalytischen Auswertung sind dem Anwender eine Vielzahl

von Freiräumen gegeben (Backhaus et al. 2011; Bortz & Döring 2006). Eine ‚good-

ness-of-fit‘ Überprüfung sollte daher – wie oben erwähnt – an einer weiteren Stich-

probe stattfinden. Dieses wird jedoch wegen mangelnder zeitlicher und personeller

Ressourcen selten umgesetzt, Replikationsstudien sind folglich rar (vgl. Kap. 4.3.2).

5.3 Integration der personalen Aspekte

Die wesentlichsten personalen Aspekte, d.h. die Sicht und Erwartungen der Schüler

sowie die der Lehrer auf den Tiereinsatz, sollen hier in einer kurzen Zusammenschau

integriert werden. Auch für diese beiden Studien ist anzumerken, dass die Aussagen

streng genommen auf die untersuchten Populationen begrenzt sind. Eine Verallge-

meinerbarkeit wird v.a. anhand der Stichprobengröße beurteilt, wobei in Studien

vielfach unterschiedliche Maßstäbe und Zielsetzungen vorhanden waren und somit

auch unterschiedlich große Populationen untersucht worden sind (s. Kap. 5.1: Tab.

17). Es stellt sich daher nicht ausschließlich die Frage wie groß die Stichprobe in abso-

luten Zahlen ist – auch im Vergleich zu anderen Studien –, sondern inwiefern an-

hand der Stichprobe bzgl. der Fragestellung annährend repräsentative Ergebnisse aus

der Grundgesamtheit ermittelt werden können. Zur Unterstützung und Kontextuali-

sierungen dieser Befunde werden die bereits in Teilkapiteln herangezogen Studien

verwendet.

Die von den Schülern an den Tiereinsatz geknüpften Erwartungen erscheinen zu-

nächst kaum den konkret eingesetzten Tierarten und Einsatzsituationen zu entspre-

chen: Weder die am häufigsten gehaltenen Tiergruppen (Fische und Mäuse bzw.

Kleinsäuger) noch die am häufigsten eingesetzten Tiere (Laubstreuorganismen, Ein-

zeller, Kleinsäuger) dürften als ‚spektakuläre‘ Tiere bzw. Tiergruppen gelten, die

Schüler besonders gern im Unterricht behandeln würden (Kap. 5.1). Auch Frei-

textantworten der Interventionsstudie (Kap. 4) können so interpretiert werden, dass

Schüler größere Tiere u.a. mit ‚besonderen‘ Eigenschaften (=Phänomenen) bevorzugt

im Unterrichtseinsatz sehen würden.

Allerdings widerspricht dies keineswegs der erfahrungsbasierten Sach- und empi-

risch belegten Datenlage, dass unabhängig von Tiergröße und Eigenschaften eine

erhöhte Interessensorientierung und Beschäftigung mit Tieren stattfindet (Schrenk

2006, Schröder et al. 2009, Meyer et al. 2010, Klingenberg 2011a). Inwiefern dieser

Umstand (auch) biologisch-psychologische Ursachen hat oder haben könnte (Kellert

& Wilson 1993: biophilia hypothesis), kann hier nicht erörtert werden. Im regulären

Unterrichtsgeschehen dürfte dieser Aspekt nur eine untergeordnete Bedeutung be-

sitzen, denn weitgehend unabhängig von grundsätzlichen Schülereinstellungen zu

Tieren (s. Kap. 5.1) wird in der schulischen Realität der Tiereinsatz gegenüber ande-

ren Unterrichtssettings empirisch belegt aus Schülersicht besser bewertet (s. Kap. 4).

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Personale Aspekte

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Daher sind Daten aus Grümme (2007) möglicherweise kritisch zu betrachten, die die

‚Motive‘ der Lehrkräfte für eine Tierhaltung wiedergeben; folgende Aspekte werden

genannt: Tierhaltung aus unterrichtlichen Motiven 55,5%, davon wiederum 45%

ethologische Aspekte/Beobachtungsaufgaben, 38% Anschauung sowie weitere

Gründe (Motivation, biologische Arbeitsweisen: 17%); Summa: 100%. Andere Grün-

de lagen somit nicht vor oder wurden nicht erhoben. Unklar erscheint der nahezu

hälftige Anteil (44,5%), in denen Tierhaltung offenbar nicht auf unterrichtlichen Mo-

tiven basiert. Zu erklären wäre dies entweder durch die alleinige ‚Schautierhaltung‘

oder durch die Höherbewertung möglicher übergeordneter Ziele (vgl. Faktorenana-

lyse: Items 1 bis 3 in Tab. 23: Wertschätzung, Verantwortlichkeit etc.). Die Wirksam-

keitsüberprüfung entsprechender didaktischer Interventionen mit und ohne Tiere in

Bezug auf diese übergeordneten Fragen ist jedoch nach Kenntnis des Autors bislang

nicht konkret erfolgt; vor dem Hintergrund der vorliegenden Einstellungsdaten kann

jedoch vermutet werden, dass Einstellungsänderungen (der Schüler) an unterrichtli-

ches Handeln (der Lehrer) sowie unmittelbare Arbeit mit Tieren (s. Kap 4) gebunden

ist.

Das wichtigste Ziel der Lehrkräfte beim schulischen Tiereinsatz betrifft neben dem

Erwerb fachspezifischer Kompetenzen ethische Fragen: Durch den Tiereinsatz im

Unterricht sollen Schüler Wertschätzung aber auch ein rationales, d.h. fachlich an-

gemessen Bild von bzw. gegenüber Tieren entwickeln. Dieser zunehmend Bedeu-

tung erlangende Wirkkomplex, der vermutlich auf direktem Tierkontakt und Empa-

thieentwicklung basiert (Daly & Suggs 2010: ‚human‘ education and animals), ist in

biologiedidaktischen Studien bisher nicht explizit untersucht worden, obwohl schon

Schmitt (1913) hierzu klare Vorstellungen äußerte (s. Kap. 3, S. 92, Abb. 15b). Es ist zu

vermuten, dass nach der rechtlichen Aufwertung von Tieren (Kap. 2: Art. 20a GG)

auch eine Diskussion um mögliche und nötige Einsatzsituationen (dazu auch: Kap. 2,

S. 72) zukünftig einen wichtigen Beitrag zur Präzisierung des Rahmens und der Ziele

des biologiedidaktischen Tiereinsatzes leisten wird (vgl. Diskussion an Universitäten

über den Sinn schädigender Experimente in einschlägigen Studiengängen).

Bereits aus der Untersuchung von Lock und Alderman (1996) ist anhand der hohen

Zustimmung zu Beobachtungsaufgaben bzw. nicht schädigenden Experimenten die

o.g. Tendenz ablesbar. Dissektionen werden von 23% stark bzw. 48% der Lehrkräfte

sogar sehr stark abgelehnt (ebenda, 114-115; zur Erläuterung: dies ist bzgl. Organen

aus Schlachthöfen etc. nicht der Fall). Lehrkräfte stehen schädigenden Eingriffen und

Experimenten mehrheitlich deutlich ablehnend gegenüber, was auch anhand der in

dieser Studie ermittelten Ziele festzustellen ist. In diesem Punkt zeigen die Perspek-

tiven der Lehrer und Schüler eine sehr große Übereinstimmung, wie die faktorenana-

lytischen Ergebnisse des Kap. 4.1.1 c belegen.

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Konstantin Klingenberg

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Eine große Diskrepanz hingegen ist bei dem Schülerwunsch bzgl. der Arbeit mit le-

benden Tieren im Unterricht (83% Zustimmung: vgl. Prokop et al. 2007) und der un-

terrichtlichen Realität festzustellen: Je nach zu Grunde liegender Untersuchung set-

zen ca. 20 bis 50% der Lehrkräfte keine Tiere im Unterricht ein (Klingenberg 2007f,

Lock & Alderman 1996), wobei die schulische Tierhaltung den Einsatz statistisch sig-

nifikant nur in Bezug auf tropische Wirbellose, Wirbeltiere und Fische positiv beein-

flusst (s. Kap. 5.2.2). Mit Verweis auf curriculare Vorgaben konstatierten daher schon

Lock und Alderman (1996) zu dieser Situation (in England): „It remains a mystery to

us how any work-scheme devised to meet this aspect of the programme of study [die

curricularen Vorgaben, KK] can avoid the use of living animals.” (S. 113).

Es ist bis dato nicht kausal ermittelt worden, warum einige Lehrkräfte keine Tiere im

Unterricht einsetzen. Im Bereich der möglichen Gründe wie CK, PCK, rechtliche Un-

sicherheiten, Klassenstufe, Zeit u.a.m., scheinen erstgenannte Gründe – also Fachwis-

sen und das ‚fachdidaktische Vermittlungswissen‘ – eine wichtige Rolle zu spielen:

Nach Lock und Alderman (1996) liegt eine stark negative Beziehung zu fachfremd

unterrichtenden Biologielehrern vor, die unabhängig von der unterrichteten Klassen-

stufe ist. Dieses lässt sich anhand der vorliegenden Daten bestätigen, da das Erstfach

,Biologie‘ mit der Einsatzhäufigkeit von Tieren signifikant korreliert (Kendalls-

τc=0,383; p=0,000); sofern lediglich das Zweitfach betrachtet wird, ist dies nicht fest-

zustellen (Kendalls-τb=-0,096; p=0,480).

Neben denen durch Studien- und Unterrichtsfach bedingten Ursachen können auch

personale Einstellungsaspekte bei Lehrkräften bedeutsam sein: Tomazic (2011) unter-

suchte Erst- und Abschlusssemester des Studienfaches Biologie (soweit ersichtlich

Lehramt) im Hinblick auf verschiedene Einstellungen zu Tieren. Die Tiere wurden

dazu in fünf Gruppen gegliedert (Pets, Fierce, ‚Sting‘, ‚Unusual pets‘ und Dis-

gusting). Der Einfluss des Studiums wirkte sich insgesamt positiv aus, wobei eine

hochsignifikant positive Einstellungsänderung gegenüber Tieren der Gruppe ‚Dis-

gusting‘ festgestellt wurde (p=<0,001); in dieser Gruppe waren u.a. Amphibien, Rep-

tilien, div. Wirbellose wie Spinnen, Schnecken zusammengefasst. Sehr bedeutsam

sind nach Tomazic (2011, 37) direkte Erfahrungen mit den Tieren im Studium:

„Reported direct experience with individual animal species influences student attitude ratings. Stu-dents with direct experiences of animals generally report better attitude than their counterparts.”

Diese Befunde deuten darauf hin, dass die bereits in Kap. 0.1 zitierte Forderung

Heimerichs (1998) zum Umgang mit Tieren in der Schule, der „…eine entsprechende

theoretische und vor allem praktische Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte vorange-

hen.“ [muss], nicht nur unmittelbar die Einsatzfähigkeiten (d.h. CK und PCK) beein-

flussen, sondern insbesondere auch Einstellungen zukünftiger Biologielehrer zum

Tiereinsatz. Dabei erzielt besonders die Arbeit mit jenen Tiere eine große Wirkung,

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Personale Aspekte

143

mit denen höchstwahrscheinlich weder in der Schule, noch im Lebensumfeld (als

Haustiere usw.) häufig Kontakt bestanden hat (s. Beispielarten der Gruppe ‚Dis-

gusting‘). Unterrichtspraktisch bedeutsam ist dabei, dass die Mehrzahl dieser Tiere

problemlos zu beschaffen ist und sie meist keine (Dauer)Haltung in der Schule erfor-

dern.

Insgesamt zeigen auch internationale, bis dato kaum beachtete Quellen (Curricula,

Positionspapiere usw.), dass davon auszugehen ist, dass Lehrkräfte Tiere im Unter-

richt einsetzen. In dem von der nordamerikanischen ‚National Science Teachers

Association‘ (NSTA 2005) herausgegebenen Positionspapier ‚Responsible Use of Live

Animals and Dissection in the Science Classroom‘ heißt es im Abschnitt ‚Including

Live Animals in the Classroom‘ unter anderem (ebenda, 1):

“NSTA recommends that teachers • Educate themselves about the safe and responsible use of animals in the classroom. […]. • Become knowledgeable about the acquisition and care of animals appropriate to the species under study […]. • Follow local, state, and national laws, policies, and regulations when live organisms, particularly native species, are included in the classroom. • Integrate live animals into the science program based on sound curriculum and pedagogical deci-sions. […].”

Trotz der Einschränkung, dass diese Empfehlungen bzw. Forderungen sich insbe-

sondere an die Lehrer der K-12 Klassen richten (vergleichbar mit der Sek. II), fehlt in

der hiesigen fachdidaktischen Landschaft ein vergleichbares Positionspapier (vgl.

fachdidaktische Verortung des Themas in Kap. 0.1 a). Positionspapiere können für

die Lehrkräfte hilfreiche Dienste im Hinblick auf grundsätzliche Fragen leisten (vgl.

Klingenberg 2011b, im Druck: z.B. das Positionspapier ‚Tiere im Klassenraum‘:

Schweizer Tierschutz STS 2003). Konkrete Hilfen für die Unterrichtspraxis geben sie

den Lehrkräften i.d.R. jedoch nicht an die Hand (vgl. Zitate oben aus NSTA 2005). Es

bleibt offen, wie die Lehrkräfte sich ‚unterrichten‘ sollen, wo sie Informationen zu Ge-

setzen etc. erhalten können, welche Tiere im Rahmen welcher Vorgaben und Einsatz-

kontexte in Frage kommen. Auch die Verweise der NSTA (2005) auf das entspre-

chende Curriculum sind unspezifisch und ohne Angabe genauer Anknüpfungspunk-

te. Insofern kann das Papier zwar als prinzipiell positiver Impuls für einen Tierein-

satz gelten, es ist jedoch keine zufriedenstellende Lösung für die tägliche Praxis.

Im Hinblick auf den konkreten Einsatz von Tieren im Unterricht sind die erforderli-

chen Kompetenzen besonders während des Studiums (I. Phase), aber auch während

des Vorbereitungsdienstes (II. Phase) sowie während der Berufspraxis (III. Phase;

z.B. in Fortbildungen) zu erwerben. In jeder Phase sollte dies möglichst durch zeit-

gemäße, erprobte und theoriegeleitete Praxiskonzepte geschehen.

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Konstantin Klingenberg

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Verschiedene Foren für diese Beiträge finden sich in Sammelwerken, Büchern sowie

in den einschlägigen fachdidaktischen Periodika (vgl. Kap. 0.1, Tab. 1: SWZ, UB,

PdN-BioS, MNU). Konsequenterweise befasst sich das inhaltliche Abschlusskapitel

dieser Arbeit daher mit einer Reihe ausgewählter curricularer Innovationen, die u.a.

diverse fachliche und rechtliche Neuerungen enthalten und in den letzten Jahren in

einschlägigen Fachorganen erschienen sind (Kap. 0.1, Tab. 1).