Lebensqualität im Altersheim: Ein Widerspruch in sich? · 2011. 11. 18. · Zentrum für...
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Zentrum für Gerontologie, Hans Rudolf Schelling 1
Zentrum für Gerontologie
Lebensqualität im Altersheim: Ein Widerspruch in sich?
Hans Rudolf Schelling Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich Veranstaltungsreihe «Menschenrechte im Alter» Kompetenzzentrum Menschenrechte 15.11.2011
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Einleitung 1: Veränderungen der Alters- und Pflegeheime – Vom Armenhaus zum Alters- und Pflegeheim – Von autoritärer Fürsorge zu selbstbestimmtem Wohnen
– Von Heimeltern zum professionellen Care-Management
– Von «Insassen» zu BewohnerInnen (oder auch KundInnen, KlientInnen?)
Heutige Leitbegriffe: Professionalität, Dienstleistungsorientierung, Selbstbestimmung, Lebensqualität
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Einleitung 2: Lebensqualität Was macht Lebensqualität aus? • «Having»: Wohlstand, Lebensstandard • «Loving»: Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen • «Being»: Beteiligung am gesellschaftlichen Leben; ein aktives,
selbstbestimmtes Leben führen
Erik Allardt (1993)
Weiter Konsens:
Lebensqualität als ein «Konzept, das sowohl materielle wie auch immaterielle, objektive und subjektive, individuelle und kollektive Wohlfahrtskomponenten gleichzeitig umfasst und das ‚besser‘ gegenüber dem ‚mehr‘ betont».
Heinz-Herbert Noll (2000: 3)
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Grundmodell subjektiver Lebensqualität
Objektive Lebensbedingungen
technische
ökonomische
psychosoziale
soziokulturelle Bedingungen
Differenz bestimmt Lebensqualität (Je kleiner die Differenz, desto höher die Lebensqualität)
physische, psychische & kognitive Gesundheit, Leistungsfähigkeit etc.
Subjektiv wahrgenommene Lebensbedingungen «IST» (subjektiv)
Bedürfnisse, Ziele, Werte, Normen, Erwartungen bezüglich Lebensbedingungen «SOLL»
natürliche
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Lebensqualität im Altersheim
Fragebögen, N=1316 BewohnerInnen Aus: Kane et al. (2003)
Sinnvolle Aktivitäten
Sicherheit
Kompetenz
Privatheit
Autonomie Spiritualität
Würde
Freude
Soziale Beziehungen
Komfort
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Übersicht
• Wohnwünsche und Einstellungen zum Wohnen im Heim
• Zufriedenheit mit dem Leben im Alters- und Pflegeheim, Wohlbefinden, Lebensqualität
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Wohnwünsche und Einstellungen zum Wohnen im Altersheim
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(Höpflinger, Age Report 2009)
Ja Nur wenn es sein muss Nein k.A. /
w.n. In einer kleineren Wohnung 25% 34% 40% 1% In einem privaten Zimmer/Wohnungsteil 4% 15% 79% 2%
In einer speziellen Alterswohnung 21% 36% 41% 2% In einer Seniorenresidenz 21% 19% 58% 2%
In einer (Alters-) Wohngemeinschaft 10% 25% 64% 1%
In einer Hausgemeinschaft 10% 18% 71% 1% In einem Altersheim 16% 55% 28% 1% In einem Pflegeheim 7% 65% 27% 1% In einer Pflegewohnung 7% 48% 44% 1%
Vorstellbare Wohnmöglichkeiten für die Zukunft (Schweiz, Personen ab 60 Jahren, N=1013)
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Assoziationen zum «Altersheim»
Fokusgruppengespräche zur Bezeichnung «Altersheim» und alternativen Bezeichnungen (Seifert & Schelling, 2009)
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0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Kein Kontakt nach draussen
Wenig Freiheit
Häufig einsam
Nichts mehr selber entscheiden
Interessante Leute
Lebt zu eng aufeinander
Lieber nichts mit solchen Leuten
Eigenes Reich
Alter wird deutlich gemacht
Man muss nichts mehr tun
Teurer als zu Hause
Meinungen über das Leben im Heim
HeimbewohnerInnen: Richtig
FalschRichtig
Altersumfrage Kanton Schaffhausen 1998, privat Wohnende ab 60 Jahren, N=431; Heimumfrage Kanton Schaffhausen 1999, N=147 (nach Schelling, 1999; Ganz & Wehrle, 2000)
Meinungen über das Altersheim Kt. SH 1998/99, privat und im Heim Wohnende
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Umfrage bei Heimangemeldeten in der Stadt Zürich 2005: Fragestellungen
– Welche Motive und Überlegungen haben zum Anmelde-Entscheid geführt?
– Was erwarten die Menschen vom Leben im Heim, was sind ihre Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen?
(Zwinggi & Schelling, 2005)
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0% 25% 50% 75% 100%
man bekommt Hilfe
kann machen, worauf man Lust hat
selber Kontakte mit Mitbewohnern bestimmen
viele Regeln
man hat sein eigenes Reich
viele interessante Leute kennen lernen
abhängig von der Gunst des Personals
es wird deutlich, dass man alt ist
verliert Kontakt zu Freunden ausserhalb
man hat keine Privatsphäre mehr
eher richtig eher falsch keine Ahnung
Stadt Zürich 2005, für ein Altersheim angemeldete Personen (N=477) (Zwinggi & Schelling, 2005)
Meinungen über das Altersheim (Angemeldete für ein Altersheim, Zürich, AHZ 2005)
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0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Bis ans Lebensende bleiben können
Sich ins Zimmer zurückziehen zu können
Privatsphäre wird respektiert
Selbstbestimmte Teilnahme an Aktivitäten
Angemessene Zimmergrösse
Eigene Möbel mitnehmen
Zimmereinrichtung selber bestimmen
Jederzeit Besuche empfangen können
Eigenes Badezimmer/ Dusche
Jederzeit Hilfe beanspruchen können
Unterstützung in der Selbständigkeit
Rücksicht auf Gewohnheiten
Menüs mitbestimmen
Selber etwas kochen
Haustier halten
sehr wichtig eher wichtig eher unwichtig unwichtig
Wohnen im Altersheim: Wichtige Aspekte
Stadt Zürich 2005, für ein Altersheim angemeldete Personen (N=477) (Zwinggi & Schelling, 2005)
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Wohnwünsche und Einstellungen: Zwischenfazit
– BewohnerInnen und für ein Heim Angemeldete haben positivere Meinungen zum Altersheim als privat Wohnende
– Ein wesentlicher Faktor für die Entscheidung zur Anmeldung in ein Altersheim sind Aspekte der Sicherheit:
– Hilfe in Notsituationen
– Möglichkeit, bis ans Ende im Altersheim bleiben zu können
– Selbstbestimmung spielt für Heimangemeldete eine grosse Rolle
– Heimangemeldete sind zuversichtlich, dass Aspekte, die ihnen beim Wohnen wichtig sind, im Heim gut realisiert werden können
Und wie beurteilen HeimbewohnerInnen das «wirkliche» Leben im Heim?
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Zufriedenheit mit dem Leben im Alters- und Pflegeheim, Wohlbefinden, Lebensqualität
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Wohnzufriedenheit 2008 (Schweiz) (Höpflinger, Age Report 2009)
Wohnzufriedenheit der zuhause lebenden Personen nach Altersgruppen
Personen in Alterseinrichtungen
60–64 Jahre
65–69 Jahre
70–74 Jahre
75–79 Jahre
80+ Jahre 80 Jahre und älter
Mittel-wert 8.6 8.7 8.6 8.9 8.7 9.1
N 232 229 200 145 207 235
Frage: «Wie zufrieden sind Sie heute – alles in allem – mit Ihrer Wohnsituation?» Mittelwert einer Skala von 1 bis 10 (je höher, desto zufriedener).
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Zufriedenheit der BewohnerInnen in Altersheimen der Stadt Zürich (Mittelwerte, AHZ 2003–2009)
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AHZ-Befragungsstudie 2010: Leben im Altersheim: Erwartungen und Erfahrungen Schriftliche Befragung der BewohnerInnen der Altersheime der Stadt Zürich (AHZ):
– Wurden die Erwartungen an das Leben im Altersheim erfüllt? – Wie beurteilt man heute den damaligen Entscheid zum Heimeintritt anhand
der bisher gemachten Erfahrungen? – Wie ist das Wohlbefinden, die Lebensqualität im Altersheim?
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Motive für das Altersheim
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Allgemeine Meinungen über Altersheime
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Beurteilung der damaligen Entscheidung für AH
Beurteilung der Entscheidung für das Heim
Prozente genau richtig 73.3 %
eher richtig 22.4 %
eher falsch 3.6 %
ganz falsch 0.7 %
100 % (N = 588)
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Wohlfühlen und Zufriedenheit mit Angeboten
Wohlfühlen im Altersheim Prozente sehr wohl 45.9 %
wohl 50.3 %
eher nicht wohl 3.2 %
gar nicht wohl 0.5 %
100 % (N = 590)
Zufriedenheit mit Angeboten und Dienstleistungen Prozente sehr zufrieden 42.0 %
zufrieden 55.4 %
eher nicht zufrieden 2.6 %
gar nicht zufrieden 0.0 %
100 % (N = 588)
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Bilanzierende Bewertung der Wohnform AH
Sehen Sie die Wohnform „Altersheim“ eher positiver oder negativer, seit Sie selber in einem Altersheim wohnen?
Prozente (N = 577)
Viel positiver 29.6 % Etwas positiver 29.3 % Weder noch, gleich geblieben 32.8 % Etwas negativer 7.8 % Viel negativer 0.5 %
Realität: Die Mehrzahl hatte bereits vor dem Heimeintritt ein positives Bild des Altersheims
Tagesanzeiger, 9.3.2011: «Nur knapp 60 Prozent der Bewohner haben vom Altersheim ein positiveres Bild, seit sie dort eingezogen sind.»
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Wichtigkeit von Wohnmerkmalen und Vergleich Privatwohnung / Altersheim nachfolgende Tabelle
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Zusammenfassung AHZ-Befragungsstudie 2010: Leben im Altersheim: Erwartungen und Erfahrungen
– Eine überwiegende Mehrheit beurteilt die damalige Entscheidung für den Eintritt in ein städtisches Altersheim als „genau richtig“ und würde dies auch einer befreundeten Person empfehlen.
– Dominante Eintrittsgründe: – Umzug ins Altersheim, solange man noch selber entscheiden kann – Nicht später zum Eintritt ins Pflegeheim gezwungen sein – Nicht den Angehörigen zur Last fallen wollen – Absichern für den Fall, dass man später mehr Hilfe braucht
– Fast alle fühlen sich heute im Heim „wohl“ oder „sehr wohl“ und sind mit den Dienstleistungen und Angeboten des Heims „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“
– Mehr als die Hälfte sieht die Wohnform „Altersheim“ heute positiver als vor dem Eintritt, nur sehr wenige sehen sie negativer
– Die Merkmale der Wohnung und des Umfelds im Altersheim werden von den meisten als mindestens gleich gut, bezüglich Sicherheit im Notfall, Arbeitsaufwand und Rollstuhlgängigkeit sogar als deutlich besser beurteilt als im privaten Haushalt.
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Lebensqualität im Altersheim: Fazit
– Die allgemeine Wohnzufriedenheit sowie die Zufriedenheit mit den Dienstleistungen und Angeboten ist bei HeimbewohnerInnen in der Regel hoch bis sehr hoch.
– Zumindest AltersheimbewohnerInnen, die den Umzug ins Heim freiwillig vollzogen hatten, halten den Entscheid grossmehrheitlich für richtig.
Wohn- und Pflegeinrichtungen für alte Menschen sind bezüglich der «ermöglichten» Lebensqualität besser als ihr Ruf, sie lassen sich aber (noch) weiter verbessern!