Lebensraum Baumkrone: Schatzkiste der Biodiversität · Die moderne Biodiversitätsfor-schung hat...

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Die moderne Biodiversitätsfor- schung hat auf der Erde drei Le- bensräume als herausragende »weiße Flecken« auf der Karte der Artenvielfalt erkannt, in denen besonders viele Neuentdeckun- gen zu erwarten sind und deren Erforschung prioritär ist. Der Le- bensraum Boden mit einer Viel- zahl unbekannter Bakterien, Pilze sowie niederer Pflanzen und Tie- re. Eine ungeheure, noch nicht entdeckte Artenfülle wird auch im Lebensraum Tiefsee vermutet, der erst in jüngster Zeit mit neuen Techniken systematisch erforscht werden kann. Überraschen mag dagegen unser geringes Wissen über die Biodiversität der Baum- kronen tropischer, aber auch heimischer Wälder. In den Kro- nen tropischer Wälder wurden in den letzten Jahren weit mehr In- sektenarten für die Wissenschaft neu entdeckt als in jedem ande- ren Lebensraum der Erde. Wälder bedecken von Natur aus rund ein Drittel der Festländer der Erde. Flächenmäßig am be- deutendsten waren die tropisch- subtropischen Feuchtwälder mit ursprünglich rund 17 Millionen Quadratkilometern, gefolgt von den borealen Nadelwäldern des Nordens (rund 12 Mio. km 2 ). Die uns so vertrauten kühlgemäßigten Laubmischwälder haben einst rund sieben Millionen km 2 einge- nommen, wurden aber im Laufe der Menschheitgeschichte auf ei- nen Bruchteil dessen reduziert. Die Wälder der Erde werden von schätzungsweise 30 bis 50 Tau- send Baumarten aufgebaut, die in unterschiedlichen Artendichten (das heißt Artenzahlen pro Flä- che) in den heißen, gemäßigten und kalten Breiten auftreten. Die Baumartenvielfalt erhöht sich von den kalten zu den heißen Regio- nen: Boreale (den nördlichen Klimagebieten zugerechnete) Na- delwälder etwa in Schweden oder Sibirien werden meist nur von ein bis höchstens vier Baum- arten aufgebaut. Wälder der feuchten Tropen können dagegen bis zu 300 verschiedene Baumar- Lebensraum Baumkrone: Schatzkiste der Biodiversität Christoph Leuschner BIODIVERSITÄT Weltweite Vielfalt der Bäume Es ist ein Paradoxon der Naturwissenschaften, dass wir recht genau die Entfernung von der Erde zum Mond oder die Zahl der menschlichen Ge- ne beziffern können, aber nicht näherungsweise wissen, wie viele Arten von Lebewesen mit uns zusammen diesen Globus bevölkern. Die Schät- zungen der biologischen Systematiker reichen von 2,5 Millionen bis zu 100 Millionen Arten an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen; Zahlen zwischen 12,5 und 30 Millionen Arten kommen der Realität vermutlich am nächsten. Unser Planet ist also von einem Millionenheer von Orga- nismen bewohnt, die noch kein Wissenschaftler je zu Gesicht bekom- men hat und deren Funktion im Naturhaushalt völlig im Dunkeln liegt. Viele dieser Schöpfungen werden im Zuge der menschlichen Expansion von der Erdoberfläche verschwinden, als namenlose Arten ausgerottet sein, ohne dass von ihnen überhaupt ein Lebenszeichen vernommen wurde. Universität Göttingen 18

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Die moderne Biodiversitätsfor-schung hat auf der Erde drei Le-bensräume als herausragende»weiße Flecken« auf der Karte derArtenvielfalt erkannt, in denenbesonders viele Neuentdeckun-gen zu erwarten sind und derenErforschung prioritär ist. Der Le-bensraum Boden mit einer Viel-zahl unbekannter Bakterien, Pilzesowie niederer Pflanzen und Tie-re. Eine ungeheure, noch nichtentdeckte Artenfülle wird auchim Lebensraum Tiefsee vermutet,der erst in jüngster Zeit mit neuenTechniken systematisch erforschtwerden kann. Überraschen magdagegen unser geringes Wissenüber die Biodiversität der Baum-kronen tropischer, aber auchheimischer Wälder. In den Kro-nen tropischer Wälder wurden inden letzten Jahren weit mehr In-sektenarten für die Wissenschaftneu entdeckt als in jedem ande-ren Lebensraum der Erde.

Wälder bedecken von Naturaus rund ein Drittel der Festländerder Erde. Flächenmäßig am be-

deutendsten waren die tropisch-subtropischen Feuchtwälder mitursprünglich rund 17 MillionenQuadratkilometern, gefolgt vonden borealen Nadelwäldern desNordens (rund 12 Mio. km2). Dieuns so vertrauten kühlgemäßigtenLaubmischwälder haben einstrund sieben Millionen km2 einge-nommen, wurden aber im Laufeder Menschheitgeschichte auf ei-nen Bruchteil dessen reduziert.Die Wälder der Erde werden vonschätzungsweise 30 bis 50 Tau-send Baumarten aufgebaut, die inunterschiedlichen Artendichten(das heißt Artenzahlen pro Flä-che) in den heißen, gemäßigtenund kalten Breiten auftreten. DieBaumartenvielfalt erhöht sich vonden kalten zu den heißen Regio-nen: Boreale (den nördlichenKlimagebieten zugerechnete) Na-delwälder etwa in Schwedenoder Sibirien werden meist nurvon ein bis höchstens vier Baum-arten aufgebaut. Wälder derfeuchten Tropen können dagegenbis zu 300 verschiedene Baumar-

Lebensraum Baumkrone:Schatzkiste der Biodiversität

Christoph Leuschner

BIODIVERSITÄT

Weltweite Vielfalt der BäumeEs ist ein Paradoxon der Naturwissenschaften, dass wir recht genau dieEntfernung von der Erde zum Mond oder die Zahl der menschlichen Ge-ne beziffern können, aber nicht näherungsweise wissen, wie viele Artenvon Lebewesen mit uns zusammen diesen Globus bevölkern. Die Schät-zungen der biologischen Systematiker reichen von 2,5 Millionen bis zu100 Millionen Arten an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen; Zahlenzwischen 12,5 und 30 Millionen Arten kommen der Realität vermutlicham nächsten. Unser Planet ist also von einem Millionenheer von Orga-nismen bewohnt, die noch kein Wissenschaftler je zu Gesicht bekom-men hat und deren Funktion im Naturhaushalt völlig im Dunkeln liegt.Viele dieser Schöpfungen werden im Zuge der menschlichen Expansionvon der Erdoberfläche verschwinden, als namenlose Arten ausgerottetsein, ohne dass von ihnen überhaupt ein Lebenszeichen vernommenwurde.

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ten auf einem einzigen Hektar(100 x 100 m) beherbergen. Dasbedeutet, dass beinahe jederStamm im Wald zu einer anderenArt gehört und Individuen dersel-ben Art oft in großer Entfernungzueinander stehen. Unsere hei-mischen Laubwälder ähneln hin-sichtlich ihrer Artenvielfalt vielmehr den artenarmen nordischenNadelwäldern.

Eine Gegenüberstellung vonZahlenwerten der Biodiversitätaus Deutschland und Ecuadorsoll die grundsätzlichen Unter-schiede in der Struktur kühlgemä-ßigter und tropischer Wälder ver-deutlichen (Tabelle).

Obwohl von der Fläche herdeutlich kleiner als Deutschland,besitzt Ecuador rund sechzig malso viele Baumarten wie Deutsch-land. Ein deutscher Wald gilt be-reits als artenreich, wenn er nichtnur von einer Baumart (häufig derBuche) aufgebaut wird, sonderndrei bis vier Baumarten beher-bergt. Zu den artenreichsten Wäl-dern Mitteleuropas zählen Auen-wälder entlang der großen Flüsse,in denen wir unter anderemAhorne, Ulmen, Eschen, Eichenund Hainbuchen finden. Zu denSpitzenreitern im Hinblick aufBaumartenvielfalt in Mitteleuro-pa gehören Mischwälder im Na-

tionalpark Hainich in Westthürin-gen, einer der Forschungsregio-nen der Abteilung Ökologie undÖkosystemforschung der Univer-sität Göttingen, die – auch durchfrühere Nutzung bedingt – bis zu14 verschiedene Baumarten proHektar aufweisen.

Warum Tropenwälder in derRegel so viel artenreicher als un-sere heimischen Wälder sind, isteine zentrale Fragestellung derglobalen Biodiversitätsforschung.Man hofft, die natürlichen Vo-raussetzungen des Entstehens vonArtenvielfalt zu verstehen und da-mit die Effektivität von Schutzvor-haben zu steigern, mit denen die-

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BIODIVERSITÄT

Biodiversitätsvergleich Deutschland – Ecuador

Deutschland Ecuador

Landesfläche (km2) 350 000 280 000

Artenzahl Gefäßpflanzen 3 000 >16 500

Anzahl Baumarten 50 ca. 3000

Anzahl Orchideenarten 60 >2 200

Artenzahl pro 10 000 km2 500 - 1200 2000 - >5000

Gefäßpflanzen-Endemiten a ca. 20 >1000 (nur West-Ecuador)

Baumarten pro 1 Hektar (max.) 14 (z.B. Hainich) 300 (Oriente)

a - Pflanzen, die in einem nur sehr begrenzten Verbreitungsareal vorkommen

Abbildung: C. Leuschner

Abb. 1: Neu eingeführte Techniken zur Erforschung der Baumkronen

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ser Reichtum für kommende Ge-nerationen zumindest im Kern er-halten werden kann. WichtigeBestimmungsfaktoren für hoheBaumartenvielfalt sind zweifellosganzjährig hohe Temperaturenund Niederschläge, also Klimateohne eine eigentliche Ruhezeitder Vegetation in kalten odertrockenen Jahreszeiten. Entschei-denden Einfluss auf die Baumar-tenvielfalt dürfte aber auch dieLänge von störungsarmen Zeit-räumen in vergangenen Epochenhaben: Vergleicht man die Arten-zahlen an Gehölzen und Sträu-chern in Europa, im Osten vonNordamerika und in Ostasienmiteinander, erkennt man einDiversitätsgefälle von Ostasien(>650 Arten) über Nordamerika(>256 Arten) nach Europa (>172Arten), obwohl die Klimateeinander ähneln. Vegetationsge-schichtler erklären die mitteleu-ropäische Artenarmut vor allemmit den großflächigen Vereisun-gen des letzten Glazials und un-günstigen Wanderungsbedingun-gen für die von der Kälte betroffe-nen Baumarten. Die glazialenUmwelten waren für ein Über-dauern der Bäume in Nordameri-ka und vor allem in Ostasien un-gleich günstiger.

Die Baumkrone als Forschungsgegenstand der Göttinger WissenschaftlerDie Kronen der Bäume sind fürden Besucher eines Waldes einnicht erreichbarer Lebensraum.Die waldökologische Forschunghat in den letzten 20 Jahren denLebensraum Krone mit Hilfe vonneu eingeführten Techniken er-obert. Es wurden teilweise er-staunliche Erkenntnisse über die Biodiversität in Baumkronen und wichtige Einblicke in dieÖkophysiologie ausgewachsenerBäume ermöglicht. Mehrere die-ser Techniken werden auch inlaufenden Forschungsprojektender Abteilung Ökologie und Öko-systemforschung des Albrecht-von-Haller-Instituts für Pflanzen-

wissenschaften der UniversitätGöttingen in deutschen undtropischen Wäldern eingesetzt(Abb. 1). Gegenwärtig konzen-triert sich die Tropenwaldfor-schung der Göttinger Wissen-schaftler auf den südamerikani-schen Andenstaat Ecuador, wodrei Projekte durchgeführt wer-den. Weitere Vorhaben laufen inIndonesien und Costa Rica. Vorallem Doktorandinnen und Dok-toranden, aber auch Diploman-den sammeln über mehrere Mo-nate je nach Fragestellung desProjektes Daten über den Kohlen-stoffgewinn der Bäume, die Zu-wächse an Holz und Blättern unddie Neuproduktion von Wurzeln,um Aussagen über die Rolle tro-pischer Wälder im globalen Koh-lenstoffkreislauf zu erhalten. Ineinem anderen Projekt werdendie Artenzusammensetzung derWälder und die Struktur undPhysiologie der wichtigstenBaumarten erforscht. Auch derWasserumsatz in den nieder-schlagsreichen Bergwäldern derTropen ist Gegenstand der For-

schung, weil deren Abholzung zugroßen Problemen in der Wasser-versorgung der Bevölkerungführt. Bereits während der Feld-phase von rund eineinhalb Jahrenwerden die erhobenen Daten imGöttinger Institut einer Voraus-wertung unterzogen, wo an-schließend die Auswertungspha-se beginnt. Die Ergebnisse ausden Tropenwäldern werden inder Zusammenschau aller unse-rer laufenden Projekte mit Datenaus den heimischen Wäldern inBeziehung gesetzt. Im VergleichTropen – gemäßigte Zonen liegteine Besonderheit und Stärke desGöttinger Ansatzes der Baumkro-nenforschung.

Mit relativ geringem Aufwandlässt sich die alpine Seilkletter-technik von entsprechend ge-schulten Mitarbeitern in Baum-kronen anwenden (Abb. 2). Ver-gleichsweise problemlos ist auchdie Installation von 30 Meter ho-hen Baumleitern, mit denen wirunsere Arbeiten vor circa zwölfJahren begannen. Beide Technikenermöglichen das Erklettern der in-

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LEBEN UND RÄUME

Abb. 2. Der Ökologe Lars Köhlerbeim Ersteigen einer 35 Meter hohen tropischen Eiche in Costa RicaFotos: Abtl. Ökologie und Ökosystemforschung

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neren Kronenregionen, währenddie interessanten äußeren Kro-nenbereiche unerreichbar blei-ben. Aufwändig, aber vielseitignutzbar sind im Wald aufgebauteBaukräne und Gerüsttürme, dieden Zugang gerade zur oberstenSonnenkrone erlauben. Der wald-ökologischen Forschung in Göt-tingen stehen 40 bis 50 Meter ho-he Gerüsttürme zur Durchfüh-rung von mikroklimatologischen,zoologischen und baumphysiolo-gischen Forschungsarbeiten inBuchen- und Fichtenwäldern zurVerfügung, so im Hochsolling(zwei Türme), im Göttinger Waldund in der südlichen LüneburgerHeide. Im Solling wird darüberhinaus vom ForschungszentrumWaldökosysteme ein 40 Meterhoher Baukran für Kronenfor-schung in einem Fichtenwald ge-nutzt. Als ein sehr erfolgreichesInstrument des Kronenzugangshat sich ein kürzlich angeschaff-ter mobiler Hubsteiger erwiesen,der in verschiedene Wälder gezo-gen werden kann, dort beweglichist und mit seinem Korb eine ma-ximale Höhe von 30 Metern er-

reichen kann (Abb. 3). Dieses ge-meinsam von der Abteilung Öko-logie und Ökosystemforschungund der Zentralgärtnerei der Uni-versität betriebene Fahrzeugkommt gegenwärtig in der Kro-nenforschung im sehr artenrei-chen Mischwald des National-parkes Hainich (Thüringen) zumEinsatz. In tropischen Wäldern

werden von anderen Arbeitsgrup-pen – es gibt weltweit etwa 20Gruppen in der Baumkronenfor-schung – zwei Systeme des Kro-nenzugangs eingesetzt, die einegroße Mobilität in der Kroneermöglichen, aber aufwändigeTechniken und Betreuung erfor-dern: Das Gondelsystem COPAS,das den Wissenschaftler mit Bal-

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BIODIVERSITÄT

Abb. 3. Hubsteiger mit

30 Meter hoher Kanzelbeim Einsatz im

Nationalpark Hainich

»Biologische Diversität und Ökologie« –neue Studienangebote an der Universität Göttingen

(red.) Zum Wintersemester 2003/2004 sind an der Georg-August-Uni-versität Göttingen neue interdisziplinäre Studiengänge (Bachelor, Masterund Promotion) im Bereich »Biologische Diversität und Ökologie« ge-plant. An der Entwicklung dieser Studienangebote sind die Abteilungendes Göttinger Zentrums für Biodiversitätsforschung und Ökologie(GZBÖ) inhaltlich maßgeblich beteiligt.

Das sechssemestrige Bachelor-Studium »Biologische Diversität undÖkologie« bietet ein fächerübergreifendes Grundstudium in Biologie,verbunden mit der Ausbildung in sechs zentralen Feldern der Biodiver-sitätsforschung. Schwerpunkte liegen dabei auf modernen Methoden dersystematischen und ökologischen Forschung und der Vermittlung guterKenntnisse der mitteleuropäischen Flora, Fauna und Vegetation. Nacheiner viersemestrigen Ausbildung folgt eine Schwerpunktsetzung in denFächern Pflanzen- und Tiersystematik, Pflanzen- und Tierökologie, Ve-getationskunde sowie Naturschutz/Agrarökologie. Neben Intensivprak-tika, Spezialvorlesungen und so genannten »Biodiversitätskursen« ge-hört ein Berufspraktikum in den Semesterferien zur Ausbildung. NachAblegen der Prüfungsleistungen wird das Bachelor-Studium mit einer ei-genständigen Arbeit abgeschlossen. Als Studienabschluss wird ein Ba-chelor of Science (B.Sc.) verliehen.

Im Master-Studium werden ein Hauptfach und mindestens zweiNebenfächer studiert. Mögliche Hauptfächer sind Pflanzensystematikund Phykologie, Tiersystematik und Evolution, Pflanzenökologie, Vege-tationskunde sowie Tierökologie. Als Nebenfächer kann eine Auswahlunter den genannten Fächern sowie aus einer breiten Palette weitererDisziplinen, von Biogeochemie über Naturschutz und Umweltge-schichte bis zu Umweltrecht, getroffen werden. In jedem dieser Fächerkann die Masterarbeit angefertigt werden. Als Studienabschluss wird einMaster of Science (M.Sc.) verliehen.

Für Studierende mit einem erfolgreichen Abschluss des Master-Stu-dienganges besteht die Möglichkeit zur Promotion. Dazu wird eine (eng-lischsprachige) Forschungsarbeit und die Teilnahme an mindestens dreiFachseminaren in englischer Sprache verlangt. Ausgezeichnete Ma-sterarbeiten können in die Promotion einfließen, sodass besonders qua-lifizierte Studierende das Studium bis zur Promotion in sieben Jahren ab-schließen können. Als Abschluss wird der Titel eines Dr. rer. nat. oder ei-nes Ph.D. verliehen.

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lontechnik entlang von Führungs-seilen in der Krone bewegt, unddas Canopy raft, ein kombiniertesVehikel aus Ballon und Schlauch-boot, welches auf der Kronen-oberfläche in 40 oder 50 MetenHöhe landet.

Strukturelle Vielfalt von BaumkronenBirke, Kiefer, Traubeneiche, Hain-buche, Winterlinde und Buchesind Baumarten, die wichtigemitteleuropäische Waldgesell-schaften prägen. Obwohl dieMehrheit dieser Arten forstwirt-schaftlich von erheblicher Bedeu-tung ist, wissen wir über die Strukturund Funktionen der Baumkronenausgewachsener Bäume erstwenig. Das liegt daran, dass dernutzende Forstwirt lediglich am Stammholz interessiert ist undüberdies die Baumernte im Win-ter stattfindet, wenn die Krone in-aktiv ist. Wichtige Funktionen ei-nes Waldökosystems, darunterKohlenstoffbindung, Wasserum-satz und Strahlungsdurchlass,werden entscheidend vom Auf-bau der Krone und der Anord-nung der Blattelemente bestimmt.Marc Hagemeier hat im Rahmenseiner Doktorarbeit (FunktionaleKronenarchitektur mitteleuropäi-scher Baumarten, 2002) insge-samt 24 ausgewachsene Indivi-duen der genannten sechs Baum-arten mit der alpinen Seilkletter-technik bis in eine Höhe von 30Metern erstiegen und erstmalswichtige morphologische undphysiologische Eigenschaften derKronen im Vertikalprofil verglei-chend untersucht. Diese For-schungsarbeiten fanden in relativnaturnahen Wäldern der weite-ren Göttinger Umgebung statt.Die sechs Baumarten unterschei-den sich zunächst auffallend inder vertikalen Erstreckung ihrerKrone: Birke, Kiefer und Lindekonzentrieren ihre Blattmasse imobersten Drittel der Baumkrone,während Eiche, Hainbuche undBuche eine tiefreichende Schat-tenkrone ausbilden (Abb. 4).

Funktionale Vielfalt von BaumkronenDie Kronendimensionen beein-flussen nicht nur die Raumerobe-rung durch benachbarte Bäumeim Wald, sondern sind auch für den Strahlungsdurchlass zumWaldboden bedeutsam. AlleBaumarten richten ihre Blätter inder obersten Sonnenkrone deut-lich steiler gegenüber der Hori-zontalen aus als in der tieferenKrone. Hierdurch lässt sich die Absorption der Strahlung in derKrone maximieren. Eine Beson-derheit von Hainbuche, Lindeund Buche ist aber die fast hori-zontale Blattstellung in der unte-ren Schattenkrone (Blattwinkel < 20°), wodurch eine besonderseffektive Schattenerzeugung amWaldboden ermöglicht wird. Einewichtige Konsequenz der un-terschiedlichen Kronenstruktur,Blattstellung und auch Gesamt-blattfläche der sechs Baumartenist der gravierende Unterschied inder Strahlungsdurchlässigkeit derBaumkronen dieser Arten. Nie-drige Werte um ein Prozent derFreilandstrahlung bei Hainbuche,Linde und Buche deuten auf hoheKonkurrenzstärke dieser Artenhin, während Eiche, Kiefer undBirke acht bis 15 Prozent durch-lassen und damit eine geringeDurchsetzungskraft gegenüberKonkurrenten im Mischwald zei-

gen. Die dreidimensionale funk-tionale Analyse der Baumkroneerlaubt Schlüsse sowohl auf dieRegulation von Stoffflüssen zwi-schen Baum und Atmosphäre alsauch ein Verständnis walddyna-mischer Prozesse im Mischwald.

Baumkronen als Lebensraum für Tiere und PflanzenWesentliche Impulse zur Erfor-schung der Biodiversität in Baum-kronen gingen von den bahnbre-chenden Ergebnissen des ameri-kanischen Entomologen TerryErwin aus, der die Kronen tropi-scher Bäume mit Insektiziden be-sprühte und auf diesem destrukti-ven Wege zum ersten Mal zu an-nähernd vollständigen Artenlistender die Krone bewohnenden In-sekten kam. Die Kronen einzel-ner tropischer Regenwaldbäumebeherbergen danach Hundertevon Insektenarten; viele dieserSpezies wurden nur auf wenigenoder gar einer einzigen Baumartgefunden. Angesichts der hohenBaumartenvielfalt in feuchttropi-schen Wäldern musste gefolgertwerden, dass mehrere Millionenvon Insektenarten in diesem Le-bensraum bisher unentdeckt vor-kommen

Tropische Baumkronen sindnicht nur Schatzkammern der In-sektenvielfalt, sondern beherber-gen auch viele nicht-baumförmi-

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LEBEN UND RÄUME

Abb. 4. Kronendimensionenund räumliche Verteilung der Blattfläche von sechsheimischen Baum-arten, ermittelt mit derSeilklettertechnik Abb.: M. Hagemeier

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ge Pflanzen, die als Aufsitzer-pflanzen (Epiphyten) die Stämmeund Äste besiedeln, ja selbst aufden Blättern der Bäume als kurz-lebige Epiphylle wachsen. In ei-nem von der DFG gefördertenGemeinschaftsvorhaben der Ab-teilungen Ökologie und Ökosy-stemforschung sowie Systemati-sche Botanik im Albrecht-von-Haller-Institut wurde die Moos-vielfalt in Bergregenwäldern Co-sta Ricas erforscht. Die bis zu 35Meter hohen tropischen Eichenwurden von Lars Köhler und Ingo

Holz mittels Seilklettertechniknach Moosen auf Stamm undBaumrinde abgesucht (Abb. 5).Ingo Holz konnte in einem einzi-gen Bestand rund 100 verschie-dene Moosarten identifizieren,die viele Stammoberflächen indichten Polstern besiedeln. DieAbholzung dieser Naturwälderführt zu Sekundärwäldern, dienur geringe Moosbiomassen auf-weisen. Lars Köhler hat in seinerDoktorarbeit (Die Bedeutung derEpiphyten im ökosystemarenWasser- und Nährstoffkreislauf

verschiedener Altersstadien einesBergregenwaldes in Costa Rica,2002) untersucht, ob dieser Ver-lust an Moosreichtum und insbe-sondere an Moosbiomasse zu ei-ner Veränderung des Wasser-kreislaufes im Bergwald führt,weil Moose wie ein Schwammabtropfendes Wasser aufsaugen.Seine Ergebnisse zeigen, dass dieRodung von Naturwald und dasspätere Aufwachsen von Sekun-därwald deutliche Veränderun-gen in der Hydrologie der Berg-waldregion nach sich ziehen, diefür Wassergewinnung, Erosionund Hochwasserschutz bedeut-sam sind. Diese Veränderungenwerden aber, so die Forschungs-ergebnisse, weniger durch denhydrologischen Einfluss der Moo-se bedingt, sondern sind Folge ei-ner andersartigen Kronen- undBestandesstruktur der Bäume imSekundärwald.

Die Erforschung der Struktur undFunktion der Baumkronen, ihreRolle im ökosystemaren Stoffkreis-lauf und deren Bedeutung als Le-bensraum für zahlreiche, z.T. bisherunbekannte Tier- und Pflanzenartenhat sich in den letzten Jahren zu ei-

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BIODIVERSITÄT

Abb. 5. Einige Ergebnisse

der Kronenforschungim tropischen

Bergregenwald von Costa Rica Abb.: L. Köhler

up to 30 m in height. Researchinterests focus on the architectureof tree canopies, intercations bet-ween neighbouring tree cano-pies, and the exchange of energy,carbon, water and nutrients bet-ween canopy and environment.Examples of recent studies in-clude a study on tree species in-teractions in species-rich broad-leaved forests in the National ParkHainich in Thuringia. A recentlypurchased mobile elevator van isused to reach the sun canopies at30 m height to investigate direct(mechanical) and indirect inter-actions through mutual shadingbetween neighbouring ash, limeand hornbeam trees. The resultsallow predictions on future forestdevelopment in mixed forests. Ina project funded by the DFG, thewater turnover in trees rich or

poor in epiphytes (plants thatgrow on stems and twigs in treecanopies) has been studied inmontane rain forests of CostaRica. Canopy access has beengained by the rope climbing tech-nique. In the context of SFB 552(Stability of Rain Forest Marginsin Indonesia), the functional di-versity of tree canopies has beenstudied in natural and secondaryforests in Central Sulawesi usingbamboo towers of 20 m in height.In its long-term research strategy,the Department of Plant Ecologyattempts to identify similaritiesand dissimilarities in tree canopyfunction in various tropical (OldWorld and New World Tropics)and temperate forests and to re-late canopy architecture to fluxesof energy and matter.

Investigations on the ecolo-gy of forest canopies are a

recent focus of ecological rese-arch in temperate and tropical fo-rests. Tree canopies are amongthe least studied environments onEarth because access was difficultuntil recently. In the past 20 years,a number of new access techni-ques had been developed thatfacilitate studies on biodiversityand ecology in canopies. The De-partment of Plant Ecology, Al-brecht-von-Haller-Institute forPlant Sciences, University of Göt-tingen, is involved in various pro-jects on canopy research in Ger-many, Costa Rica, Ecuador andIndonesia. Prof. Dr. Leuschner’sgroup uses scaffolding towers,mobile elevator vans, tree laddersand the rope climbing techniqueto gain access to mature trees of

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LEBEN UND RÄUME

(red.) Anfang 2001 wurde an derGeorg-August-Universität Göttin-gen das Göttinger Zentrum fürBiodiversitätsforschung und Öko-logie (GZBÖ) gegründet, an demdie Fakultäten Biologie, Agrarwis-senschaften, Forstwissenschaftenund Waldökologie, Geowissen-schaften und Geografie sowie dasDeutsche Primatenzentrum unddas Institut für Fachdidaktik derPhilosophischen Fakultät beteiligtsind. In den 17 Forschergruppendes Zentrums stehen die Erfor-schung der Biodiversität und de-ren Funktion im Ökosystem sowieMöglichkeiten einer nachhaltigenNutzung dieser Vielfalt mit moder-nen Methoden im Mittelpunkt derArbeit. Dabei lautet die zentraleForschungshypothese, dass Arten-diversität die Voraussetzung fürdas Funktionieren von Ökosyste-men ist.

Das GZBÖ ist in nationale undinternationale Forschungsvorha-

ben eingebunden. Eine wichtigeRolle spielt dabei der durch die Deutsche Forschungsgemein-schaft (DFG) geförderte Sonderfor-schungsbereich (SFB) 552 »Stabi-lität von Randzonen tropischer Re-genwälder in Indonesien«. Eineebenfalls von der DFG geförderteForschergruppe befasst sich mitder Biodiversität in den tropischenBergregenwäldern Ecuadors. VomBundesministerium für Bildungund Forschung (BMBF) werden imRahmen der VerbundvorhabenBIOLOG und BIOTEAM Untersu-chungen zum Thema »Biodiver-sität und global change« und»Partnerschaftliche Nutzung derBiodiversität« gefördert. Die Ein-richtung einer DFG-Forschergrup-pe mit dem Schwerpunkt »Geo-biologie von Organo- und Biofil-men« ist in Planung.

Das Zentrum verfügt über her-vorragende Arbeitsbedingungen,die nicht zuletzt in der naturwis-

senschaftlichen Forschungstradi-tion der Georg-August-Universitätbegründet sind: Mit dem Herba-rium, der Algensammlung unddem Geowissenschaftlichen Mu-seum stehen bedeutende Samm-lungen für Lehre und Forschungzur Verfügung. Der BotanischeGarten mit einer systematischenund einer ökologisch-experimen-tellen Abteilung, ein molekularbio-logisches Zentrallabor sowie meh-rere Gerüsttürme und Hubsteigerfür die Forschung in Baumkronenkönnen genutzt werden. Durch dieBeteiligung am DFG-Graduierten-kolleg »Wertschätzung und Erhal-tung der Biodiversität« ist das Zen-trum an der Ausbildung exzellen-ter Studierender beteiligt. VomWintersemester 2003/2004 an sindzudem neue Bachelor- und Master-Studiengänge »Biologische Diver-sität und Ökologie« geplant. Spre-cher des GZBÖ ist Prof. Dr.Christoph Leuschner.

Das Göttinger Zentrum für Biodiversitätsforschung und Ökologie (GZBÖ)

nem Schwerpunktthema in der Bio-diversitätsforschung entwickelt. Ak-tuelle Ergebnisse aus unseren For-schungsprojekten belegen, wieBaumkronen den Umsatz vonStrahlung, Wasser und Nährstoffenim Ökosystem Wald steuern und ei-nen vielfältigen Lebensraum für Tie-re und andere Pflanzen schaffen: Solassen bei heimischen BaumartenKronenform, Blattstellung undStrahlungshaushalt im Kronenbe-reich Schlüsse auf die Durchset-zungsfähigkeit einer Baumart ge-genüber konkurrierenden Bäumenzu. Laufende Forschungsarbeitenunserer Arbeitsgruppe in den Kro-nen von Mischwäldern lassen er-kennen, dass sich verschiedeneBaumarten auch in der Empfind-lichkeit gegenüber Beschädigungdurch Ast- und Zweigbruch unter-scheiden, so dass Nachbarbäumedurch eine mechanische Interak-

tion in Wechselwirkung treten kön-nen. Physiologische Untersuchun-gen in den Baumkronen der Berg-wälder von Sulawesi (Indonesien)haben die funktionale Vielfalt derBäume eines tropischen Waldesaufgezeigt. In den Bergregenwäl-dern Costa Ricas ließ sich der großeEinfluss der Struktur der Baumkroneauf den Wasserkreislauf des gesam-

ten Ökosystems zeigen. Weiterelaufende Projekte im NationalparkHainich, in den Berg- und Tiefland-wäldern Ecuadors sowie im Lore-Lindu-Nationalpark in Sulawesi las-sen weitere Ergebnisse erwarten,mit denen Bedeutung und Funktiondes Lebensraumes Baumkrone zu-nehmend entschlüsselt werdenkönnen. �

Prof. Dr. Christoph Leuschner, Jahrgang 1956, stu-dierte Biologie und Geographie in Freiburg und Göt-tingen, wo er 1986 promoviert wurde und sich 1994im Fach Botanik habilitierte. Von 1996 bis 2000 warer Professor für Ökologie an der Universität Kasselund wurde 2000 auf eine Professur für Pflanzenöko-

logie an das Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaftender Universität Göttingen berufen. In seiner Forschung beschäftigtsich der Direktor des Neuen Botanischen Gartens mit der Ökologievon Bäumen und tropischen Baumgrenzen, der Walddynamik unddem biologischen Naturschutz.

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Taxonomie und BiogeographieDie taxonomische Kenntnis tropi-scher Moose ist nach wie vor eherunzureichend. Für die Laubmoo-se der amerikanischen Tropensind in jüngerer Zeit verschiede-ne Bestimmungswerke verfügbargeworden, an denen die Univer-sität Göttingen mit ihrer For-schung beteiligt war. Dagegenfehlten bisher zusammenfassen-de Darstellungen der neotropi-schen Lebermoose. Vor kurzemkonnte unter Mitarbeit der Göt-tinger Wissenschaftler in Koope-ration mit amerikanischen Kolle-gen das erste Handbuch über alle120 Familien und etwa 600 Gat-tungen der tropisch-amerikani-schen Laub-, Leber- und Horn-moose veröffentlich werden. Da-rüber hinaus können wir einzweites Ergebnis einer internatio-nalen Forschungskooperation desBotanischen Gartens von Rio deJaneiro und der Universität Göt-tingen demnächst in Buchformpräsentieren: eine erste zu-sammenfassende Darstellung derLebermoosflora Brasiliens.

Für die Herausgabe derartigerFlorenwerke fehlen allerdingsnoch taxonomische Bearbeitun-gen einiger der größten undschwierigsten Lebermoosgrup-pen. Es sind dies die Familien Le-jeuneaceae und Plagiochilaceae.Um diese Lücke zu schließen,wurden in der Abteilung Systema-tische Botanik umfangreiche For-schungsprojekte initiiert. Für dieartenreiche Familie Lejeuneaceaekonnte bereits eine Teilbear-beitung in Flora Neotropica pu-bliziert werden. Zur Zeit sind ta-xonomische Bearbeitungen derGattungen Prionolejeunea (durchAnna Luiza Ilkiu-Borges) und Le-jeunea (durch M. Elena Reiner-Drehwald) in Vorbereitung. Fürdie große Gattung Lejeunea wird

nach einer systematischen Erfas-sung mit etwa 100 Arten im tropi-schen Amerika gerechnet, ob-wohl fast zehnmal so viele Artenaus der Region in der Literatur an-gegeben wurden.

Damit ist ein Problem tropi-scher Moosforschung benannt:viele Artnamen tauchen in der Li-teratur auf, die sich als Dopplun-gen erweisen. Die Anzahl dieserSynonyme dürfte die Zahl dernoch unbeschriebenen Arten sogarübersteigen. Gründe dafür sind,dass viele Arten in der Vergan-genheit anhand von Einzelprobenund ohne Berücksichtigung einergewissen innerartlichen Variabi-lität beschrieben wurden. Auchdie Abgrenzung von den übrigenzerstreut in der Literatur beschrie-

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LEBEN UND RÄUME

Die immergrünen Regenwälder der Tropen bedecken nur etwa fünf Prozent der gesamten Erdoberfläche. Trotz-dem beherbergen sie vermutlich mehr als die Hälfte aller gegenwärtig lebenden Tier- und Pflanzenarten der Er-de. Viele dieser Arten sind durch die rapide Zerstörung der Tropenwälder durch den Menschen akut bedroht.Nach vorsichtigen Schätzungen sterben durch Rodung jährlich mindestens 0,2 bis 0,3 Prozent der Regen-waldarten aus, viele davon unerkannt oder unerforscht (Wilson 1992). Die Besorgnis um den Artenschwundeinerseits und die noch sehr lückenhaften Kenntnisse der biologischen Vielfalt tropischer Regenwälder ande-rerseits sind wichtige Gründe für eine intensive Forschungstätigkeit. Die Entschlüsselung der botanischen Viel-falt tropischer Regenwälder ist ein Arbeitsschwerpunkt der Abteilung Systematische Botanik des Albrecht-von-Haller-Instituts für Pflanzenwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Das besondere Interes-se gilt den so genannten Kryptogamen, das sind Moose, Farne und Flechten. In den letzten Jahren haben wirin den Ländern Costa Rica, Ecuador, Brasilien und Bolivien sowie in Indonesien Feldforschung betrieben. Nach-folgend wird am Beispiel der Moosflora und Moosvegetation des tropischen Amerikas ein Ausschnitt unsererForschungsaktivitäten vorgestellt.

Moose treten in tropischen Regenwäldern sehr artenreich auf und siedeln in vielen unterschiedlichen Nischen,etwa auf Stammbasen, Stämmen, Ästen, Zweigen, lebenden Blättern, Büschen, Totholz und, besonders in Berg-wäldern, auch auf dem Waldboden. Durch ihre besonderen physiologischen Eigenschaften reagieren diese Pflan-zen sehr empfindlich auf Umweltveränderungen und besitzen eine besondere Eignung als Bioindikatoren. Hin-sichtlich ihrer Organisationsstufe vermitteln Moose zwischen den Algen und den Farnpflanzen und werden tra-ditionell in Laub-, Leber- und Hornmoose gegliedert. Molekulare Analysen bestätigen diese Gliederung nicht undrücken die kleine Gruppe der Hornmoose weit ab von den übrigen Moosen, die mit etwa 14.000 Arten die zweit-größte Gruppe der Landpflanzen darstellt. Die Göttinger Forschungsprojekte beziehen sich auf die Taxonomie,das heißt auf die einwandfreie Identifikation und Einordnung in das biologische System, und die Biogeographieder Arten, besonders der Lebermoose. Unser Interesse gilt auch der räumlichen Verbreitung der Artenvielfalt unduntersucht die Auswirkungen von Waldzerstörung und Landnutzung auf die Diversität der Moose.

Generalisten überlebenMoosflora und Moosvegetation im

tropischen Regenwald

Stephan Robbert Gradstein, Jochen Heinrichs

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benen Arten blieb meistens un-klar. Bei neuen systematischenBearbeitungen nimmt die Ge-samtzahl der akzeptierten Arten

daher in der Regel nicht zu, son-dern wird reduziert.

Die Moosfamilie der Plagio-chilaceae ist in der Flora des tro-pischen Amerikas mit über 500Artnamen vertreten, die sichüberwiegend auf die Gattung Pla-giochila beziehen. Da mancheArten unter mehr als 20 verschie-

denen Namen beschrieben wor-den sind, ist von einer deutlichgeringeren Zahl tatsächlich vor-handener Arten auszugehen. Für

die Darstellung der Familie inFlora Neotropica wird mit immer-hin etwa 120 Arten gerechnet.Plagiochilen sind schwer zuzu-ordnen: einerseits sind sie arm ancharakteristischen Merkmalen,andererseits tauchen sie in un-zähligen Phänotypen auf. Hierhelfen moderne Techniken wei-

ter: Die Arbeit mit dem Lichtmi-kroskop wird durch rasterelektro-nenmikroskopische, inhaltsstoff-chemische und molekulare Un-tersuchungen ergänzt.

So war lange unklar, was unterdem 1847 aus Venezuela be-schriebenen Moos Plagiochilamoritziana Hampe zu verstehenwar. Einen ersten Hinweis gab dieBeobachtung eines auffälligenPfefferminzgeruchs an Frischma-terial aus Ecuador, der bislanghauptsächlich von der neotropi-schen Plagiochila rutilans Lin-denb. bekannt geworden war undauf das Auftreten leicht flüchtigerDuftstoffe zurückgeführt werdenkann. Die großen Übereinstim-mungen in Morphologie, Chemieund ITS-Sequenzen der ribo-somalen Kern-DNA erlaubtenschliesslich die Reduktion von P. moritziana zu einer Varietätvon P. rutilans.

Kürzlich konnte über denNachweis von bei Lebermoo-sen selten auftretendem Oberflä-chenwachs die Zugehörigkeit dervon den Britischen Inseln undFrankreich bekannten Art Plagio-chila atlantica F. Rose zum Ver-wandtschaftskreis um die neotro-pische Plagiochila aerea Tayloraufgeklärt werden. Mittlerweilewird Plagiochila atlantica als Syn-onym zu der lateinamerikani-schen Plagiochila heterophyllaLehm. geführt und bestätigt den

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BIODIVERSITÄT

Moospolster auf Bäumen im einem

tropischen BergwaldFoto: G. Miehe

The threatened biologicaldiversity of the tropical rain

forest is the principal researchsubject of the Department of Sys-tematic Botany of the University ofGöttingen. Our main focus is onbryophytes (mosses, liverworts),ferns and lichens of the rain forestsof tropical America and Indonesia.This paper presents some results ofour bryological investigations.Mosses and liverworts are verycommon in tropical rain forestswhere they inhabit many differentmicrohabitats, particularly epi-

phytic ones. Many species are re-stricted to the high canopy of theforest and are therefore littleknown. Because of their physiolo-gical nature, they are organismsvery sensitive to ecological disturb-ances and are excellent indicatorsof environmental conditions. Ourinvestigations have shown that dif-ferent rain forest types have very dif-ferent patterns of bryophyte diversi-ty, which may be explained byclimatic factors, especially humi-dity. Human disturbance of therain forests leads to a considerable

loss of diversity, especially ofshade epiphytes living in theundergrowth of the forest. Thesechanges are currently being inve-stigated along successional gra-dients. Our taxonomic investiga-tions using morphological, chemi-cal and molecular methods haverevealed the lack of proper under-standing of the taxonomic charac-ters, evolution and geographicalranges of tropical bryophyte spe-cies and demonstrate the need forincreased efforts in thisfield.

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Befund, dass enge Beziehungenzwischen den Plagiochila-Florendes atlantischen Europas und destropischen Amerikas bestehen.Die zunächst lokal auf die FloraNeotropica zugeschnittenen Er-hebungen liefern also eine Viel-zahl von Daten, die ständig zuneuen Ansichten hinsichtlichBiogeographie und Verwandt-schaftsbeziehungen innerhalbder größten Gattung der Leber-moose, Plagiochila, führen. Wei-terhin zeigen die Befunde, dassinnovative Methoden zu bemer-kenswerten neuen Erkenntnissenin der Taxonomie tropischerMoose führen können.

ArtenreichtumArtenreichtum ist der meistver-wendete Parameter in der Biodi-versitätsforschung. Moose sindzur Bestimmung des Artenreich-tums tropischer Regenwäldersehr geeignete Organismen, daihre Artendichte gewöhnlich sehrhoch ist. Auf vier bis fünf Bäumenin einer Waldfläche wachsen be-reits etwa 75 Prozent der gesam-ten im Gebiet nachweisbarenMoosarten. Trotzdem ist unsereKenntnis des Artenreichtums vonMoosen in tropischen Regenwäl-dern bestenfalls fragmentarisch.Ein Hauptgrund dürfte in derschwierigen Zugänglichkeit desoberen Stamm- und des Kronen-bereichs der Regenwaldbäumeliegen. Doch gerade hier, hochoben in den Baumkronen, siedelnaufgrund der guten Lichtverhält-nisse mehr Arten als im Unter-holz. Unsere Untersuchungen inCosta Rica, Guyana, Kolumbien,Ecuador und Bolivien haben ge-zeigt, dass Tieflandregenwälderzwischen 40 und 120 Arten proHektar und Bergwälder zwischen75 und 150 Arten aufweisen. Diehöchsten Artenzahlen wurden inden hochmontanen Nebelwäl-dern, oberhalb 2000 Metern, ge-funden, wo sechs Hektar Waldüber 200 Moosarten aufwiesen.Auch in den Tropen ist Nebel einwichtiger Faktor für Wachstum

und Entwicklung epiphytischerMoose, wobei Pflanzen als epi-phytisch bezeichnet werden, dieauf anderen Pflanzen wachsen,sich aber selbstständig ernähren.Insgesamt haben wir eine klareTendenz zu höheren Artenzahlenmit zunehmender Meereshöheund Feuchtigkeit beobachtet.

EntwaldungRegenwälder bedeckten einstgroße Flächen des tropischen

Amerikas. In vielen Gebieten sinddiese Wälder mittlerweile durchAbholzung in Plantagen undFarmland umgewandelt oderdurch Sekundärwälder, Gebü-sche oder Savannen ersetzt wor-den. Der menschliche Einflussauf die Moosdiversität der Regen-wälder ist noch wenig untersucht.Der führende Regenwaldforscher

Paul Richards (1996) hat zwei Ty-pen von Epiphyten unterschie-den, die »Schattenepiphyten« desWaldunterholzes und die »Son-nenepiphyten«, die vor allem inden Baumkronen hoher Bäumewachsen. Eine dritte Gruppe vonArten, die so genannten »Genera-listen«, haben weite ökologischeNischen und kommen sowohl imKronenraum als auch im Unter-holz vor. Die Untersuchung die-ser Spezialisten und Generalisten

ist aus mehreren Gründen vonInteresse. Einerseits scheint überdiese Kategorien die komplexeVerteilung der Arten im Waldsinnvoll beschrieben werden zukönnen. Andererseits, so lauteteeine unserer Arbeitshypothesen,sollten Generalisten und Speziali-sten unterschiedlich empfindlichauf Entwaldung reagieren. Schat-

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LEBEN UND RÄUME

Ein Vertreter der Leber-moosgattung Plagio-chila, ein Forschungs-objekt der Abteilung Systematische BotanikFoto: J.-P. Frahm

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BIODIVERSITÄT

Literatur

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Wilson, E. O. (1992): The diversity of life.London (Penguin Books).

Prof. Dr. Stephan Robbert Gradstein, Jahrgang 1943,studierte Biologie an der Universität Utrecht. Nachseiner Promotion 1975 übernahm er dort eine Do-zentur. Auslandsaufenthalte führten ihn an die ameri-kanischen Universitäten Cincinnati, Colorado undMichigan sowie nach Japan. 1995 wurde Prof. Grad-

stein an die Georg-August-Universität Göttingen auf den Lehrstuhlfür Botanik berufen und Direktor des Botanischen Gartens sowie desHerbars. Für seine Forschungen im Bereich der Pflanzensystematikwurde ihm 1994 der August-Pyramus de Candolle Preis der »Socié-té Physique et d’Histoire Naturelle« zu Genf verliehen.

Dr. Jochen Heinrichs, Jahrgang 1969, studierte Biolo-gie an den Universitäten Düsseldorf (Diplom) undGöttingen (Promotion). Seit 2001 ist Dr. Heinrichs alsKustos des Herbariums der Georg-August-UniversitätGöttingen tätig. Dr. Heinrichs ist Mitglied des »Com-mittee for Bryophyta, IAPT«.

tenepiphyten sind empfindlichgegen Austrocknung und solltendaher zuerst verschwinden, wenndas Kronendach gelichtet wird.Dagegen dürften Sonnenepiphy-ten und Generalisten an trocke-nere Mikrohabitate angepasstsein und bessere Überlebens-chancen haben.

Die Hypothese wurde von unsin den letzten Jahren in WestEcuador und im Alto Beni (Boli-vien) überprüft, wo Reliktfrag-mente primären submontanenRegenwaldes an ein Mosaik auslandwirtschaftlich genutzte Flä-chen und Brachen angrenzen. Eskonnte bestätigt werden, dass dieDiversität der Moose in den tropi-schen Plantagen und Brachenviel geringer war und dass nurwenige Schattenepiphyten dieEntwaldung überlebten. Weiter-

hin konnte dokumentiert werden,dass Generalisten sich erfolgrei-cher in Sekundärvegetation an-siedeln als Spezialisten. Hierauskann gefolgert werden, dass dieso genannte Nischenweite, ge-messen als die Länge der vertika-len Verteilung der Arten in Bäu-men, ein brauchbarer Parameterist, um die Empfindlichkeit derMoose auf Habitatveränderungenin den Tropen abzuschätzen.Gegenwärtig erforschen Arbeits-gruppen der Abteilung Systemati-sche Botanik im Rahmen von Projekten der Deutschen For-schungsgemeinschaft in Costa Ri-ca, Ecuador und Indonesien dasAusmaß und die Qualität der Ver-änderungen der Biodiversität auf-grund menschlicher Aktivitätenweiter. �

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Welche dramatischen Auswir-kungen die Rodung des tropi-schen Regenwaldes in Zentralsu-lawesi auf die Wasserversorgungder ländlichen Bevölkerung hat,untersuchen Wissenschaftler desGeographischen Instituts und desInstituts für Rurale Entwicklungder Georg-August-UniversitätGöttingen zusammen mit indone-sischen Kollegen im Rahmen desSonderforschungsbereichs 552»Stabilität von Randzonen tropi-scher Regenwälder in Indone-sien«. Die interdisziplinäre Zu-sammenarbeit zwischen Natur-und Gesellschaftswissenschaft-lern ist dabei ein wesentlicher Be-standteil des Sonderforschungs-bereiches (SFB).

Schutz des tropischen Regen-waldes – Eine globale und lokaleHerausforderungDie Bedeutung der tropischenRegenwälder für den Klimaschutzund den Erhalt der biologischenVielfalt für zukünftige Generatio-nen ist eine globale Herausforde-rung und internationale Aufgabe.Trotz staatenübergreifender Be-mühungen, die auch 2002 aufdem Weltgipfel für nachhaltigeEntwicklung in Johannesburg er-neut bekräftig wurden, hat derVerlust der tropischen Regenwäl-der in den letzten Jahren weiterzugenommen. Die Wissenschaft-ler des SFB 552 wollen einen Bei-trag zum Schutz des Regenwal-des leisten, indem sie die Bedin-gungen und Prozesse untersu-chen, die zu einer Stabilisierungder Randzonen tropischer Regen-wälder beitragen. In diesem Bei-trag wollen wir anhand einer aus-gewählten Fragestellung aufzei-gen, wie Landschaftsökologenund Sozialökonomen in dem SFBinterdisziplinär zusammenarbei-ten, um die Auswirkung vonWaldrodung auf die Wasserverfüg-barkeit ländlicher Haushalte zuerforschen. Für die lokale Bevöl-kerung, die in den Waldrandzo-nen lebt, ist die Bedeutung undFunktion des Regenwaldes für

den Wasserhaushalt von großerBedeutung. Wie unsere Untersu-chungen zeigen, kann fortschrei-tende Waldrodung zu einererheblichen Verschlechterung derWasserqualität und zu Wasser-knappheit für die Anwohner füh-ren. Die Erforschung und Quan-tifizierung dieses Zusammen-

hangs, die eine interdisziplinäreZusammenarbeit zwischen Land-schaftsökologen und Sozialöko-nomen erfordert, liefert wichtigeArgumente für den Schutz des Re-genwaldes durch die lokale Be-völkerung.

Nopu – ein Dorf am Rand destropischen Regenwaldes

Das Dorf Nopu, in dem wirdiese Untersuchungen durchge-führt haben, liegt im Palolo-Talam Rand des Lore-Lindu-Natio-nalparks. Sein Wassereinzugsge-biet hat ein Ausmaß von dreiQuadratkilometern und reichtvon 600 m bis in 1.400 m Höhe.

Das Dorf Nopu wurde 1968 ge-gründet, als sich der erste Haus-halt dort ansiedelte; 1972 kamein zweiter Haushalt hinzu.Durch mehrere Einwanderungs-wellen ist die Zahl der Haushaltemittlerweile auf 208 gestiegen.Bevölkerungswachstum durch Zu-wanderung, insbesondere durch

Bevölkerungsgruppen aus demSüden Sulawesis, ist ein typischesPhänomen in unserer Untersu-chungsregion.

Seit etwa zehn Jahren wird amHangfuß des Wassereinzugsge-bietes von Nopu Kakao angebaut.An den Hängen wird bis zu einerHöhe von 950 m zunehmendWald gerodet, um Brandrodungs-feldbau zu betreiben und Grund-nahrungsmittel, beispielsweiseMais, anzubauen. In den darüberliegenden Gebieten ist der Natur-wald noch weitgehend ungestört.Dieses Landnutzungsmuster isttypisch für unsere Untersu-chungsregion. Im Gegensatz zu

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LEBEN UND RÄUME

Wenn im Regenwald dasWasser knapp wird...

Auswirkung der Rodung des tropischen Regenwaldes auf die Wasserversorgung der ländlichen Bevölkerung

in Zentralsulawesi, Indonesien

Regina Birner, Gerhard Gerold und Manfred Zeller

Gerodeter TropenwaldFotos: R. Birner

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den vielen anderen Dörfern imGebiet hat Nopu jedoch keineFlächen für den bewässertenReisanbau. Neben der Verfügbar-keit von landwirtschaftlichenNutzflächen ist eine gesicherteWasserversorgung eine wichtigeVoraussetzung für die Besiedlungder Region. Die Bewohner vonNopu benutzen ein traditionellesWasserversorgungssystem, dasauf Schwerkraft beruht. Oberhalbdes Dorfes wird der Fluss durcheinen kleinen Damm aufgestautund das Wasser wird über einfa-che, aus Bambus gefertigte Lei-tungen zu den Häusern transpor-tiert.

Hydrologische UntersuchungenDie Mitarbeiter der AbteilungLandschaftsökologie des Geogra-phischen Instituts und ihre indo-nesischen Kollegen haben imWassereinzugsgebiet von Nopudrei Pegelmess-Stationen aufge-baut, die seit 2001 kontinuierlichden Abfluss und die Wasserquali-tätsparameter pH, Leitfähigkeit,Temperatur, Sauerstoffgehalt undTrübe messen. Ferner wurdenzwei Klimastationen und vierautomatische Niederschlagsmes-ser installiert, um die klimati-schen Bedingungen wie Strah-lung, Temperatur, Luftfeuchte,Wind und das Niederschlagsge-

schehen mit kurzzeitig hohen tro-pischen Niederschlagsintensitä-ten zu messen. Für eine gesicher-te Wasserversorgung der Dörfersind zwei Niederschlags-Abfluss-zustände von großer Wichtigkeit:– Menge, Zeitdauer und Wieder-kehrintervall geringer Abfluss-mengen (Trockenwetterabfluss)– Menge, Andauer und Wieder-kehrintervall von Hochfluten mithoher Belastung durch Schlamm(Sedimentbelastung) und Gefahrder Zerstörung der Wasserversor-gungsinfrastruktur.

In der Nähe des Äquators sinddie Niederschläge in der Regel hochund über das ganze Jahr verteilt.Im Untersuchungsraum wurden2001/2002 circa 2.700 Millime-ter (mm) Jahresniederschlag ge-messen. Im Mittel regnet es alle1,5 Tage; es treten jedoch Regen-pausen von zehn Tagen wie auchausgesprochene Starkregen über40 mm pro Tag auf. Damit wirdeine Niederschlagssumme von1.435 mm in 25 Tagen erreicht!Der Abfluss im Gewässer reagiertsehr schnell auf die Nieder-schlagsverhältnisse, so dass inniederschlagsfreien Tagen die Ab-flussmengen schnell auf unter0,05 m3/s abfallen und bei hohenNiederschlägen das Zehnfache(0,5 bis 0,6 m3/s) an Abfluss auf-tritt.

Die Analyse der Nieder-schlags- und Abflussbedingungenführt in den Inneren Tropen (Zen-tralsulawesi) zu folgenden un-günstigen Wasserversorgungsbe-dingungen:1. Für ein Fünftel der Messperio-de wurden mehr als 15 mmNiederschlag pro Tag gemessen,was zu hoher Sedimentführungund damit schlecht nutzbaremWasser für die Haushalte führt(zusätzliche Filterung notwen-dig).2. Während der Hochflutenkommt es zu kurzzeitigen Spit-zenabflüssen mit 6 m3/s, die dieeinfachen Wasserableitungssyste-me verstopfen, erodieren undschädigen, so dass von der Dorf-

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BIODIVERSITÄT

Der Palu-Fluss ist für dieWasserversorgung vonessenzieller Bedeutung

Hydrologische Unter-suchung mit

Pegelmess-Station

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gemeinschaft aufwändige Repa-raturen zu leisten sind.

Mit der fortschreitenden Ent-waldung kann eine zunehmendeAbflussschwankung mit Erhöhungder Hochflutspitzen und vermehr-tem Sedimenttransport wie auchVerringerung der Trockenwetter-abflussmengen gerechnet wer-den. Ein Vergleich des bewalde-ten Teileinzugsgebietes (Wehr 3)mit dem jung gerodeten Waldein-zugsgebiet (Wehr 2) bei einemStarkregenereignis im April 2002zeigt über die Trübung eine Ver-vierfachung der Gewässerbela-stung. Im Rahmen des Projekteswerden Simulationen des Abflus-ses und der Sedimentbelastung

durchgeführt, um die langfristigeEntwicklung und damit Konse-quenzen für die Wassernutzungder Bevölkerung bei weiterge-hender Regenwaldrodung ab-schätzen zu können.

Sozioökonomische Untersu-chungen zur WasserversorgungZusammen mit ihren indonesi-schen Kollegen haben die Mitar-beiter des Instituts für Rurale Ent-wicklung die Wahrnehmung derlokalen Bevölkerung bezüglichder Wasserverfügbarkeit undWasserqualität untersucht undden Wasserverbrauch in Nopu er-mittelt. Um zu erfassen, wie dieBewohner von Nopu ihre Was-

serversorgung einschätzen, wur-de im Mai 2002 eine Forschungs-methode angewandt, die sich aufdie aktive Beteiligung der Bevöl-kerung stützt und daher als Parti-cipatory Rural Appraisal (PRA)bezeichnet wird. Dazu wurde ei-ne eintägige Dorfversammlungdurchgeführt, an der 36 Dorfbe-wohner teilnahmen, die verschie-dene Alters- und Wohlstands-gruppen repräsentieren. Sie be-werteten gemeinsam auf einerSkala von eins bis fünf, wie sieNiederschläge, Wasserverfügbar-keit und Wasserqualität im Jahres-verlauf einschätzen. Die Ergeb-nisse zeigen, dass die Wasserver-fügbarkeit in den Monaten Mai

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LEBEN UND RÄUME

Interdisziplinär und international seit über 40 Jahren: Das Tropenzentrum der Universität Göttingen

(red.) Seit seiner Gründung 1963verbindet das Forschungs- undStudienzentrum der Agrar- undForstwissenschaften der Tropenund Subtropen der Georg-Au-gust-Universität – kurz Tropen-zentrum – die Kompetenzen inden Fakultäten Agrarwissenschaf-ten sowie Forstwissenschaftenund Waldökologie. Die wissen-schaftliche Arbeit konzentriertsich auf Fragen einer nachhalti-gen Landnutzung in den Tropenund Subtropen und auf die Erfor-schung von Wechselwirkungenzwischen den Bedürfnissen derBewohner und dem Erhalt natür-licher Ressourcen. Mitglieder desTropenzentrums suchen bei-spielsweise nach Lösungen für ei-ne Umwelt schonende Tierhal-tung, nachhaltige Boden- undLandnutzung, den Zugang zuWasserressourcen oder nach Al-ternativen zur Brandrodung undAbholzung tropischer Wälder.

Ein Fokus der Zentrumsarbeitliegt auf der Aus- und Weiter-bildung: Seit circa 25 Jahren er-halten ausländische Studierendeaus tropischen und subtropischenLändern als angehende Agrar-und Forstwissenschaftler eine aufdie Bedürfnisse ihrer Länder undKlimazonen abgestimmte Uni-versitätsausbildung in Göttingen.Dazu wurden die internationalenStudiengänge Tropical and Inter-national Agriculture und Tropicaland International Forestry sowieInternational Agribusiness mitden Abschlüssen Master of Scien-ce (M.Sc) entwickelt. Für den wis-senschaftlichen Nachwuchs gibtes die Möglichkeit, einen Doktor-grad (Ph.D.) im InternationalPh.D.-Program for AgriculturalScience zu erwerben. Gegenwär-tig werden rund 350 ausländi-sche Studierende am Tropenzen-trum betreut. Seit 2001 exportiertdas Tropenzentrum Unterrichts-

einheiten an ausländische Part-neruniversitäten in Asien undSüdamerika im Rahmen des vomDeutschen Akademischen Aus-tauschdienst (DAAD) gefördertenProjekts EXPOMAT (Export vonModulen der Agrarwissenschaf-ten in den Tropen). Die so in denHeimatländern erworbenen Lei-stungsnachweise werden auf derBasis des European Credit Trans-fer Systems international aner-kannt.

Mit den umfangreichen inter-nationalen Aktivitäten und her-vorragenden Beziehungen zuzahlreichen ausländischen Part-neruniversitäten wollen die Mit-glieder des Zentrums einen Bei-trag zur Vernetzung und zumAustausch von Fach- und Füh-rungskräften in Wissenschaft, Ent-wicklungszusammenarbeit, Wirt-schaft und Politik im Kontext derAgrar, Forst- und Umweltwissen-schaften leisten.

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und Juni als Problem empfundenwird. Die Wasserqualität wirdhingegen in den Monaten Märzbis Mai als nicht zufriedenstel-lend angesehen, wobei insbeson-dere die durch Erosion verursach-te Wasserverschmutzung Proble-me bereitet.

Im Rahmen der Dorfversamm-lung wurde geprüft, inwieweit dielokale Bevölkerung einen Zu-sammenhang zwischen Wald-rodung und Wasserversorgungsieht. Auf die Frage nach denFunktionen des Waldes wiesen

die Teilnehmer insbesondere aufdie Versorgung mit Brenn- undBauholz, die Lieferung von Rat-tan für den Verkauf und die Mög-lichkeit der Umwandlung inlandwirtschaftliche Nutzfläche

hin. Lediglich ein Teilnehmer er-wähnte die Funktion des Waldesfür Erosionsschutz und die Was-serversorgung. Untersuchungenim Rahmen des SFB-Projektes,die von Mitarbeiterinnen des In-stituts für Rurale Entwicklung inanderen Dörfern in der Untersu-chungsregion durchgeführt wur-den, zeigen allerdings, dass dasWissen über die Funktionen desWaldes auf den Wasserhaushaltin solchen Dörfern wesentlichhöher ist, in denen lokale Um-weltorganisationen im BereichUmweltbildung aktiv sind.

Um den Wasserverbrauch inNopu abzuschätzen, wurde in ei-ner Stichprobe von sechs Haus-halten über einen Zeitraum vonfünf Tagen gemessen, wie vielWasser täglich verbraucht wird.Die Haushalte wurden nach ih-rem Wohlstand in drei Gruppeneingeteilt. Um den Wasserver-brauch messen zu können, ent-nahmen die Haushaltsmitgliedersämtliches Wasser fünf Tage langausschließlich aus ihrem »man-di«, einem in Indonesien fürHaushaltszwecke üblicherweiseverwendeten Wassertank. Ausder Zahl der nötigen Tankfüllun-gen konnte dann die Wassermen-ge berechnet werden. Danachliegt der durchschnittliche tägli-che Wasserverbrauch bei circa

190 Litern je Haushaltsmitglied,wobei in den wohlhabenderenHaushalten fast doppelt sovielWasser je Haushaltsmitglied ver-braucht wird als in den ärmerenHaushalten.

Zusätzlich zu dem Participato-ry Rural Appraisal und der Mes-sung des Wasserverbrauchs wur-de Nopu auch in eine größereHaushaltsbefragung einbezogen,die vom Institut für Rurale Ent-wicklung in einer repräsentativenStichprobe von 300 Haushaltenin zwölf Dörfern im Untersu-chungsgebiet durchgeführt wur-de. Auf Basis dieser Erhebungwerden die sozioökonomischenBestimmungsgründe der Bäuerin-nen und Bauern in Bezug auf ihreLandnutzung mit Hilfe von so ge-nannten ökonometrischen Mo-dellen und mathematischen Pro-grammierungsmodellen unter-sucht. Um die dazu notwendigenDaten zu Einkommen und Land-nutzung zu erheben, wurden dieHaushalte zwischen 2000 und2001 von einem ausgebildetenTeam von zwölf Interviewern an-hand eines standardisierten Fra-gebogens befragt. Diese Untersu-chung zeigte unter anderem, dasslandwirtschaftliche Erwerbszwei-ge der Pflanzen- und Tierproduk-tion sowie Lohnarbeit im land-wirtschaftlichen Sektor die we-

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BIODIVERSITÄT

Für die Ernährung derlokalen Bevölkerung

spielt der Maisanbaueine wichtige Rolle –

auf Kosten des Regenwaldes

Bewässerter Reisanbau in der

Waldrandzone

In spite of international eff-orts, the conservation of tro-

pical rainforests has remained aglobal challenge. The interdis-ciplinary research program »Sta-bility of Rainforest Margins inIndonesia« (STORMA) aims tocontribute to the internationaltask of rainforest conservation byanalyzing the processes and con-ditions under which rainforestmargin areas can be stabilized. Ateam of scienists take the area ofthe Lore Lindu National Park inCentral Sulawesi, Indonesia, asan example. In this contribution,we show how hydrologists andsocio-economists work together

in STORMA in order to analyzethe impact of watershed deforest-ation on water availability andquality in the village Nopu. Acombination of methods hasbeen applied, including a partici-patory rural appraisal, a house-hold survey, hydrological fieldmethods and modeling. The re-sults show that deforestation hasalready led to water shortagesand serious water quality pro-blems in Nopu. These findingsare communicated to local orga-nizations with the aim of raisingawareness among the local com-munities concerning theneed for forest protection.

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LEBEN UND RÄUME

Dr. Regina Birner ist seit 1997 wissenschaftlicheAssistentin am Institut für Rurale Entwicklung. DieAgrarwissenschaftlerin wurde an der UniversitätGöttingen im Fach Sozialökonomik der ruralen Ent-wicklung promoviert und arbeitet derzeit an einerHabilitation zur ökonomischen Analyse partizipati-

ver Ansätze im Ressourcenmanagement. Dazu führt sie Fallstudienin Indonesien, Thailand, Vietnam und Guatemala durch.

Prof. Dr. Gerhard Gerold ist seit 1991 Leiter der Ab-teilung Landschaftsökologie im Geographischen In-stitut der Fakultät für Geowissenschaften und Geo-graphie an der Universität Göttingen. Die For-schungsschwerpunkte des Geographen sind land-schaftsökologische Analysen und Bewertungen, Res-

sourcenanalyse und -schutz in den Tropen und Subtropen sowieWasser- und Stoffumsatz in tropischen Waldökosystemen. Dazuführt er seit über 20 Jahren Projekte in tropischen Entwicklungslän-dern durch.

Prof. Dr. Manfred Zeller ist seit 1999 Direktor des In-stitutes für Rurale Entwicklung an der Fakultät fürAgrarwissenschaften der Universität Göttingen. Inder Forschung des Agrarwissenschaftlers stehen inter-nationale Schlüsselprobleme der landwirtschaft-lichen und ländlichen Entwicklung im Vordergrund:

Armutsbekämpfung, Ernährungs- und soziale Sicherung und dienachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen in Entwicklungs-ländern. Prof. Zeller ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates desBundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung.

sentlichen Einkommensquellensind. Fast zwei Drittel (63 Pro-zent) der Haushalte leben in ab-soluter Armut, zieht man die fürZentralsulawesi geltende Ar-mutslinie als Kriterium heran. Inder landwirtschaftlichen Produk-tion ist der Einsatz von Dünge-mitteln und verbessertem Saatgutkaum verbreitet, so dass geringeHektarerträge erzielt werden undeine Steigerung des Einkommensim wesentlichen über die Aus-weitung der Anbaufläche erfolgt.Die Rodung von Primärwald zurUmwandlung in landwirtschaftli-che Nutzfläche hat in den letztenJahren erheblich zugenommen.Dies unterstreicht die Problema-tik einer drohenden Wasser-knappheit in den Waldrandzo-nen unseres Untersuchungsge-bietes.

Wann wird das Wasser knapp? Die Ergebnisse der hydrologischenund der sozioökonomischen Un-tersuchungen werden in gemein-samen Szenarien verknüpft wer-den, um die Auswirkungen derfortschreitenden Waldrodung ab-schätzen und Aussagen über diezukünftige Wasserverfügbarkeitund Wasserqualität machen zukönnen. Aus den sozioökonomi-schen Daten lässt sich abschät-zen, wie sich der Wasserver-brauch bei steigender Bevölke-rung in Abhängigkeit vom Wohl-standsniveu in Zukunft entwickelnwird. In einem Szenario, in demdie Bevölkerung in der gleichenRate weiter wachsen würde, er-gibt sich beispielsweise ein An-stieg des Wasserverbrauchs inNopu jährlich von ca. 1.600 Ku-bikmeter. Zur Formulierung derSzenarien zur Bevölkerungsent-wicklung und Waldrodung kön-nen auch weitere erhobene so-zio-ökonomische Erkenntnisseüber das Verhalten landwirtschaft-licher Betriebshaushalte einflie-ßen. Mit Hilfe der hydrologi-schen Modelle kann dann er-mittelt werden, wie sich bei fort-schreitender Waldrodung die be-

reits jetzt auftretenden Problemebezüglich Wasserversorgung undWasserqualität entwickeln wer-den. Für die lokale Bevölkerungist insbesondere von Bedeutung,ab wann die Wasserversorgungmit dem herkömmlichen Wasser-versorgungssystem nicht mehrgedeckt werden kann. Die Ergeb-nisse der Szenarienmodellierungwerden wir den lokalen Umwelt-organisationen in unserer Unter-

suchungsregion zur Verfügungstellen, damit sie diese Erkennt-nisse im Rahmen ihrer Umweltbil-dungsprogramme verwendenkönnen. Wenn das Interesse derlokalen Bevölkerung an einer ge-sicherten Wasserversorgung zumSchutz des Regenwaldes beiträgt,können damit auch weitere Ziele,wie etwa die Erhaltung der biolo-gischen Vielfalt im Regenwald,besser erreicht werden. �

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Als am 22. September 2000 derPräsident der Deutschen For-schungsgemeinschaft, Prof. Dr.Ernst-Ludwig Winnacker, dasphysikalisch-chemische Labor ander indonesischen Universität Ta-dulako in der Stadt Palu eröffnete,gab er den offiziellen Startschusszu einem besonders ehrgeizigenForschungsvorhaben der Univer-sität Göttingen. Nach vierjährigerVorbereitungszeit begann derSonderforschungsbereich (SFB)552 »Stabilität von Randzonentropischer Regenwälder in Indo-nesien« mit der Arbeit. Wissen-schaftler der Georg-August-Uni-versität Göttingen, unterstütztvon Kollegen der Universität Kas-sel, hatten ein Projekt vorbereitet,das sich mit Landnutzung unddem Schutz tropischer Regenwäl-der beschäftigt und jene komple-xen sozioökonomischen undökologischen Probleme bearbei-tet, welche die nachhaltige Nut-zung natürlicher Ressourcen be-drohen.

Weltweit wird die Bedrohungund Vernichtung des Tropenwal-des mit Besorgnis betrachtet, sei-

ne Erforschung daher von vielennationalen und internationalenOrganisationen unterstützt. Wasist so besonders an dem GöttingerSFB, dass er von der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG)für die ersten drei Jahre seinerLaufzeit mit mehr als 3,7 Millio-nen Euro gefördert wird?

Um die komplexe Problematikder bedrohten Regenwälder zuerfassen, ist ein ganzheitlicherAnsatz erforderlich, wie er bis-lang von keinem anderen For-schungsvorhaben vergleichbarkonsequent verfolgt wurde. Diebeteiligten Wissenschaftler sindüberzeugt, dass nur über die Ana-lyse der Einflussfaktoren undWechselbeziehungen zwischender sozialen und ökonomischenDynamik, den ökologischen Pro-zessen und den Landnutzungssys-temen geeignete Erkenntnisse füreine nachhaltige Nutzung durchdie dörfliche Bevölkerung erar-beitet werden können. Da derWaldrand die sensible Zone desÖkosystems Regenwald darstellt,wurde dieses Gebiet in denMittelpunkt der Untersuchungen

gestellt. Forschungsleitend ist dieHypothese, dass die Stabilität derWaldrandzone von der Stabilitätder verschiedenen Landnutzungs-systeme abhängt. Art und Inten-sität der Ressourcennutzung amWaldrand beeinflussen das Öko-system Wald maßgeblich. Die er-warteten Ergebnisse aus der ausge-wählten Untersuchungsregion In-donesiens werden von erheblicherBedeutung für entwicklungsorien-tierte Organisationen sein, die inanderen Waldrandgebieten derTropen arbeiten.

Als Forschungsgebiet wurdeder Lore-Lindu-Nationalpark mitden angrenzenden Regionen aufder indonesischen Insel Sulawesinahe der Stadt Palu ausgewählt.Der SFB besteht aus 13 Teilpro-jekten, die in vier Projektberei-chen organisiert sind. Im Bereich»Soziale und ökonomische Dy-namik« wird die kulturgeographi-sche Entwicklung der Region so-wie die soziale Sicherheit derMenschen und ihre Situation inden ländlichen Haushalten unter-sucht. Im Projektbereich »Was-ser- und Nährstoffumsatz« wirdder menschliche Einfluss auf dieWasser- und Nährstoffdynamik inder Waldrandzone erfasst. Wiesich das Artenspektrum, die Po-pulationen von Pflanzen und Tie-ren sowie deren Interaktionen imÖkosystem bei Eingriffen durchLandnutzung entwickeln, wird imProjektbereich »Biodiversität« er-forscht. Der vierte Bereich »Land-nutzungssysteme« erfasst jeneLandnutzungsformen, die maß-geblich auf die untersuchtenWaldrandzonen einwirken unddiese dauerhaft verändern. In ei-nem fünften Bereich werden Ser-vice- und Infrastrukturleistungenwie Laborarbeiten, bioklimati-sche Messungen und das Geoin-formationssystem für die Wissen-schaftler bereitgestellt.

BIODIVERSITÄT

Universität Göttingen38

SFB 552: Stabilität von Randzonen tropischerRegenwälder in Indonesien

Im Regenwaldgebietdes Lore-Lindu-

Nationalparks leben unterschiedliche

ethnische Gruppen

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Ein wissenschaftlich so ambitio-niertes und organisatorisch sokompliziertes Projekt kann nur er-folgreich sein, wenn im Gastlandund in der Untersuchungsregiondie Institutionen und Personenumfassend informiert und inte-griert werden. Die indonesischenPartneruniversitäten in Bogor undPalu sind als Kooperationspartnerfest eingebunden. Die UniversitätBogor auf der Insel Java, zu derdie Universität Göttingen seitzehn Jahren erfolgreiche For-schungsbeziehungen unterhält,gilt im gesamten südostasiati-schen Raum als Exzellenzzentrumfür den agrar- und forstwissen-schaftlichen Bereich. Die regiona-le Universität Tadulako in Palu,deren Förderung zentrales Anlie-gen der indonesischen Regierungist, ist der »Junior-Partner« im SFB.

Der SFB 552 wird im Tropen-zentrum der Universität Göttin-gen, das über langjährige Erfah-rung auf dem Gebiet der interna-tionalen Kooperation verfügt undenge Beziehungen zu Indonesienaufgebaut hat, koordiniert. In Bo-gor und in Palu wurden lokaleZentralen eingerichtet, die dieWissenschaftler vor Ort betreuenund administrative und logisti-sche Aufgaben übernehmen.

Das Projekt stellt sich der be-sonders großen Herausforderunghinsichtlich der Interdisziplina-rität und auch im Hinblick auf dieinternationale und interkulturelleZusammenarbeit und Nach-wuchsförderung. Alle Teilprojek-te werden in enger Kooperationzwischen deutschen und indone-sischen Wissenschaftlern durch-geführt. Bei der Konzeption derEinzelprojekte waren die Partnerder Universität Bogor maßgeblichbeteiligt, die auch die indonesi-schen Doktoranden betreuen. Je-des Teilprojekt wird auf indonesi-scher Seite durch Wissenschaftlerder Universität Bogor und Nach-wuchswissenschaftler der Uni-versität Tadulako ergänzt. Bei ei-

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LEBEN UND RÄUME

ner möglichen maximalen Förde-rung des SFB könnten innerhalbvon zwölf Jahren rund 120 deut-sche und indonesische Doktoran-den ausgebildet werden. LokaleBehörden sowie verschiedene re-gionale Institutionen werden re-gelmäßig über den Fortgang derwissenschaftlichen Arbeiten in-formiert und eingebunden. Be-sonders wichtig ist jedoch dasVerhältnis zur lokalen Bevölke-rung. Ohne ihre Mitarbeit undAkzeptanz könnte das Projektnicht gelingen.

Bereits nach zwei Jahren lie-gen wichtige Teilergebnisse desSFB 552 vor: Fraglos hat der Na-turwald die größte Bedeutung fürdie Erhaltung der Biodiversität,aber auch Sekundärwälder undAgroforstsysteme sind für vieleArten wichtig und sollten deshalbbei der Naturschutzplanung vontropischen Landschaften berück-sichtigt werden. Analysen zeigen,dass die Entwaldung des Tief-lands um den Nationalpark zu ei-nem extremen Schwund an Habi-tat für mehr als die Hälfte der dortlebenden Vogelarten geführt hat.Selbst wenn keine weitere Ent-waldung innerhalb der Parkgren-zen stattfände, sind 25 Prozentder im Tiefland lebenden Vogel-arten gefährdet. Viele Vogelartenund auch Primaten werden in ho-her Anzahl in Sekundärwäldern

und schonend bewirtschaftetenWaldrandbereichen gefunden,doch leider spielen solche Nut-zungssysteme flächenmäßig (noch)keine Rolle. Die flächenmä-ßig bedeutsamen Landnutzungenwie Kakao- und Kaffeeanbaubesitzen dagegen keinen Wert fürdie Erhaltung der regionalen Bio-diversität. Ergebnisse der Sozial-wissenschaftler zeigen außer-dem, dass die Benutzung des Na-tionalparks durch Fallenstellerei,Jagd und Sammeln von Eigelegenzu einem äußerst bedenklichenRückgang der großen Wildtiereführte.

Wie die erfolgreich begonne-nen Forschungsarbeiten weiter-geführt werden können, hängtvon der Begutachtung durch dieDFG im April 2003 ab. Prof. Dr.Gerhard Gerold, Sprecher desSFB, ist zuversichtlich: »Wir ha-ben bereits viele wichtige Er-kenntnisse gewonnen und sinddamit dem Ziel der Stabilisierungdieses einmaligen Ökosystemsauf Sulawesi ein großes Stück nä-her gekommen«. Paul Winkler

Dr. Paul Winkler arbeitete von 1997bis 2000 als wissenschaftlicher Koor-dinator des SFB 552 »Stabilität vonRandzonen tropischer Regenwälderin Indonesien« und ist jetzt als For-schungsreferent in der Abteilung For-schung der Universität Göttingen tätig.

Maisanbau am Randedes Regenwaldes in Sulawese

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Biodiversität und Agrarland-schaft – ein Widerspruch?Biodiversität wird zumeist inÖkosystemen untersucht, dienicht oder nur wenig durchmenschliche Aktivitäten geprägtsind. Doch die Biodiversitätsfor-schung muss sich mit der Tatsa-che auseinandersetzen, dass esweltweit nur wenige Flecken Na-tur ohne Merkmale menschlicherEingriffe gibt. In unseren gemä-ßigten Breiten und in den Tropen– um damit die beiden Untersu-chungsregionen zu benennen,die im Folgenden aufeinander be-zogen werden – sind mehr alsneunzig Prozent der Fläche alsKulturlandschaft anzusprechen.Welchen Stellenwert haben dieLandnutzungsflächen in unsererKulturlandschaft für den Schutzder Artenvielfalt und für die Bio-diversitätsforschung? Diese Frageist mit dem Hinweis zu beant-worten, dass in Deutschland nuretwa zwei Prozent der Fläche un-ter Naturschutz steht, über acht-zig Prozent wird von Land- undForstwirtschaft bestimmt. Inso-fern ist der größte Teil der Arten,auch der gefährdeten Arten, nurdurch entsprechendes Manage-ment der Kulturlandschaft zu er-halten. Auch die meisten Natur-schutzflächen erfordern ein Nut-zungskonzept mit Pflegeplänen,die der Erhaltung von Offenland-biotopen, wie zum Beispiel Ma-gerrasen und Heiden, dienen.Die wichtige Kulturaufgabe, einStück Natur in seiner historischenBesonderheit zu erhalten, bedarf

professionellen Managements,bei dem der Land- und Forstwirt-schaft eine besondere Rolle zu-kommt. Damit ist, als ein Ergebnisunserer Forschung hier und inÜbersee, in Mitteleuropa die Be-deutung der traditionellen Land-nutzung für den Naturschutz vielstärker akzeptiert als in unseremzweiten Untersuchungsgebiet,Indonesien. In den Tropen wirdagrarische oder forstliche Nut-zung mit Zerstörung gleichge-setzt. Die meisten Regenwaldge-biete liegen bereits fleckenhaft in einer großräumig genutztenLandschaft, und die Organismensolcher Restwälder stehen mit dersie umgebenden Kulturlandschaftin Wechselwirkung. Dabei wirdder Beitrag von tropischen Agro-forstsystemen für den Artenschutz

meist übersehen, und Vorhersa-gen über die Folgen der Zerstö-rung natürlicher Wälder (Primär-wälder) leiden unter dem gerin-gen Wissen über den Habitat-Wert der danach entstehendenÖkosysteme. Zum Beispiel be-herbergen die über hundert ver-schiedenen Arten von Schatten-bäumen in traditionellen Kaffee-plantagen in Costa Rica ähnlichviele Insektenarten in ihrem Kro-nenraum wie Primärwälder.Nicht die Landnutzung an sich,sondern der Übergang von tradi-tionellen Polykulturen mit Schat-tenbäumen zu einer Plantagen-nutzung mit unbeschattetenKaffeemonokulturen bringt diegrößten Verluste an Artenvielfaltmit sich. Mit einem zweitenAspekt der hier vorgestellten Fall-

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LEBEN UND RÄUME

Die Rolle einer vielfältig gegliederten Kulturlandschaft für den Erhalt der Artenvielfalt und damit verbundenenwichtigen ökologischen Funktionen erforschen Wissenschaftler des Fachgebiets Agrarökologie der Georg-Au-gust-Universität Göttingen in Mitteleuropa und vergleichend in den Tropen Indonesiens. Was geschieht, wennintensive Landnutzung den Lebensraum der natürlichen Feinde von Schädlingen zerstört? Wie sehr schädigt,wenn der Räuber fehlt, der Rapsglanzkäfer den Raps, mit welcher Geschwindigkeit vermehren sich dann dieGetreideblattläuse oder überwuchert die Ackerkratzdistel das Getreide auf den Feldern? Doch nicht nur Räu-ber als Gegenspieler von Schädlingen, sondern auch Bienen als Bestäuber in indonesischen Kaffeeplantagenkönnen ihre nützliche Funktion nur dann erfüllen, wenn die umgebende Landschaft artenreiche Lebensge-meinschaften aufweist. Damit ist Ökonomie nicht zwangsläufig der Gegenspieler der Ökologie, so ein Ergeb-nis der Göttinger Wissenschaftler. Professionelles Management ist zum Erhalt von Artenvielfalt gefragt, und dasbeginnt gelegentlich mit dem Zählen von Schmetterlingen...

Wenn der Räuber seinenFeind verliert

Pflanze-Insekt-Interaktionen und Biodiversitätin der Agrarlandschaft

Teja Tscharntke, Christof Bürger, Sabine Eber,Doreen Gabriel, Hella Grabe, Martin Grönmeier,

Andrea Holzschuh, Susanne Jahn,Alexandra-Maria Klein, Stefan Klipfel, Stephanie Kluth,

Jochen Krauss, Andreas Kruess, Katrin Lehmann,Katja Poveda, Indra Roschewitz, Susanne Schiele,

Martin Schmidt, Christian Schulze, Ingolf Steffan-Dewenter, Friedrich Sundmacher, Carsten Thies, Dorthe Veddeler, Catrin Westphal

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beispiele verfolgt die GöttingerArbeitsgruppe einen in der Biodi-versitätsforschung innovativenAnsatz: Untersucht wird die Ver-knüpfung von lokalen und regio-nalen Merkmalen für ein Ökosys-tem. Unsere These lautet, dassnicht nur die Eigenschaften desFeldes (lokale Situation) für dieLebensgemeinschaft wichtig sind,sondern auch die Interaktionenmit der Umgebung (regionale Si-tuation), wobei strukturreiche,komplexe Landschaften die größ-te Biodiversität erwarten lassen.

Rückgang von Biodiversität undökologischen FunktionenVerluste bei der Artenvielfalt ge-hen mit dem Verschwinden von

Tieren und Pflanzen einher, dieAufgaben in einem Ökosysteminne haben: Wenn Räuber, Para-sitoide, Zersetzer oder Bestäuberausfallen, dann können darunterauch wichtige ökologische Funk-tionen in einem Ökosystem lei-den, namentlich die Kontrollevon Pflanzenfressern, der Streu-abbau und die Mineralisierungoder der Fruchtansatz von Kultur-und Wildpflanzen. Im Folgendenwerden wir an einigen Fallbei-spielen aus unserer Arbeitsgruppedie Bedeutung anthropogenerLandnutzung für den Artenreich-tum von Pflanze-Insekt-Lebens-gemeinschaften und für biotischeInteraktionen thematisieren. DieWechselwirkungen zwischen Or-

ganismen und ihrer belebten oderunbelebten Umwelt (das sind dieökologischen Funktionen) stehenim Mittelpunkt unserer Betrach-tungen und Versuche. Dabei gehtes zum einen um die Diversitätvon Räubern sowie Parasitoidenund ihre Bedeutung für die Kon-trolle von pflanzenfressenden In-sekten, zum anderen um dieBestäubung von Blütenpflanzendurch soziale und solitäre Bie-nen. Wir geben Beispiele vonunseren Arbeiten, die in der Regel im Rahmen von Promo-tionsvorhaben in den vergange-nen drei Jahren durchgeführtwurden, aus KulturlandschaftenMitteleuropas und den TropenIndonesiens.

Biodiversität in AgrarökosystemenWir haben das Vorkommen unddie Artenvielfalt von Tagschmet-terlingen in Mitteleuropa undIndonesien untersucht, da siegern als Indikatoren für die Qua-lität des Lebensraums und für dieBiodiversität aller Arten in einemLebensraum genommen werden.Bei einer Analyse der Tagschmet-terlings-Lebensgemeinschaften aufKalkmagerrasen in der Umge-bung von Göttingen zeigte sich,dass der Artenreichtum mit zu-

Universität Göttingen42

BIODIVERSITÄT

Parantica cleona, ein Tagfalter

mit Schwerpunktin tropischen

SekundärwäldernFotos und Abbildungen:

Fachgebiet Agrarökologie

Polyomatus coridon (Silbergrüner Bläuling),

ein Spezialist auf Kalkmagerrasen

in Südniedersachsen

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nehmender Größe ihres Lebens-raums stark ansteigt. Die Kalkma-gerrasen-Spezialisten waren oftnur auf den großen Flächen an-zutreffen, wohingegen die weni-ger spezialisierten Arten auch vonder umliegenden Landschaft be-einflusst wurden. Kalkmagerra-sen sind extensiv genutzte, frühervor allem durch Schafhaltung ge-prägte Landnutzungsflächen, dieheutzutage nur noch für den Na-turschutz interessant sind – undvon der Landwirtschaft gepflegtwerden müssen. Im Rahmen desSonderforschungsbereichs 552»Stabilität von Randzonen tropi-scher Regenwälder in Indone-sien« haben wir auch in den Tro-pen – auf Sulawesi (Indonesien) –Tagschmetterlinge untersucht.Die natürlichen Regenwälder be-herbergen wie erwartet die größ-te Artenfülle, aber auch Sekun-därwälder sichern einer großenZahl der endemischen (nur aufSulawesi vorkommenden) Artendas Überleben. Wir fanden, dassSekundärwälder (wie sie nachdem Einschlag von Primärwäl-dern entstehen) und Agroforstsys-teme sogar rund die Hälfte allerArten aufweisen.

Die Struktur der Landschaft inihrem typischen Wechsel von ge-nutzten und ungenutzten Flächenhat auch Bedeutung für Pflanzen– in unserem Fall Ackerkratzdi-steln und Ackerwildkräuter – undderen natürliche Antagonisten,das heißt für pflanzenfressendeInsekten, wie das folgende Bei-spiel aus der Umgebung Göttin-gens zeigt. Unsere These: Flä-chen des Öko-Landbaus (lokalerEffekt) in einer strukturreichenLandschaft (regionaler Effekt)müssten die größte Biodiversitätaufweisen. Ein landwirtschaftlichinteressanter Befund ist, dass derBefall von Getreidefeldern mitdem gefürchteten Unkraut derAckerkratzdistel relativ eng mitder Anzahl an Stilllegungsflächen(mit ihren hohen Distelpopulatio-nen) im näheren Umkreis in Ver-bindung steht. Ebenso ist die

Häufigkeit der natürlichen Anta-gonisten dieses gefürchteten Un-krauts, der Pathogene und pflan-zenfressenden Insekten, sowohlvon lokalen wie regionalen Fak-toren beeinflusst. Ein ähnlichesBild ergibt sich für die Vielfalt vonAckerwildkräutern. Sie ist nichtnur von der (lokalen) Bewirt-schaftung auf dem Acker abhän-gig, sondern wird auch stark vonder Struktur der umliegendenLandschaft bestimmt. Denn aufjährlich gepflügten Äckern müs-sen sich jedes Jahr die Lebens-gemeinschaften neu bilden, sodass die Zusammensetzung derLebensgemeinschaft stark von derBesiedlungswahrscheinlichkeit, dasheißt von der Verfügbarkeit an

Populationen in der umliegendenLandschaft, abhängt.

Biodiversität und biologischeSchädlingskontrolleWelche Bedeutung haben dievielen Arten von natürlichenGegenspielern für die Kontrollevon Schadinsekten? Ist es wirk-lich wichtig, die vielen Spinnen,Käfer, Schwebfliegen und Schlupf-wespen zu erhalten? Diesen Fra-gen sind wir mit Versuchen undBeobachtungen bei Getreide-blattläusen und Rapsglanzkäferneinerseits und dem Schädlingsbe-fall von Kakaobäumen in den Tro-pen andererseits nachgegangen.

Wir legten Versuche an, umdie Vermehrung der Getreide-

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LEBEN UND RÄUME

Insekten an der Ackerkratzdistel. Zu denendophagen (inner-halb des Pflanzenge-webes lebenden)Insekten zählenGallbildner (Urophoracardui), Stengelminierer(Apion carduorum) undBlattminierer (Melano-gromyza aeneoventris),zu den ektophagen(außen an der Pflanzelebende) blattfressen-de Käfer (Cassidarubiginosa), saftsau-gende Wanzen (Tingis ampliata) undsaftsaugende Blatt-läuse (Uroleucon cirsii)

Zu den natürlichen Gegenspielern der Getreideblattläusegehören Parasitoide(Schlupfwespen; Hyme-noptera parasitica),räuberische Marienkä-fer, Schwebfliegen undFlorfliegen, welche dieBlattläuse an der Pflan-ze attackieren, sowiedie Käfer und Spinnen,die überwiegend amBoden jagen bzw.Netze bauen

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blattläuse zu erfassen, wenn sichihre Populationen ungehindert,ohne den Zugriff von Räubernund Schlupfwespen, entwickeln.Auf einem Hektar Getreide kön-nen Laufkäfer, Kurzflügelkäferund Spinnen immerhin mit je-weils einigen hunderttausend In-dividuen vorkommen, so dass Ef-fekte unserer Untersuchungen zuerwarten waren. Dazu wurdendie befallenen Pflanzen abge-deckt und dann, je nach Untersu-chungsabschnitt, gruppenweiseden natürlichen Feinden der Zu-gang ermöglicht. Tatsächlich warder Zuwachs an Getreideblattläu-sen zwischen der Blüte und derMilchreife sehr viel größer, wenndie auf dem Boden lebendenSpinnen und Käfer ausgeschlos-sen wurden. Ein dramatischerZuwachs war zu beobachten,wenn zusätzlich ein Ausschlussder oberirdischen Gegenspieler(Schlupfwespen, Schwebfliegen,Florfliegen, Marienkäfer) erfolgte.Insbesondere die Schlupfwespen(Parasitoide aus der Familie derBlattlauswespen) erwiesen sichals sehr schlagkräftig bei der Ver-nichtung der Blattläuse. Bei ihnenkonnte sogar gezeigt werden,dass die von ihnen verursachteBlattlaussterblichkeit (weil Blatt-läuse von spezialisierten Blattlaus-parasiten befallen werden) mit

dem Strukturreichtum der Agrar-landschaft zunahm. Die Bedeu-tung der Landschaftsstruktur fürden biologischen Pflanzenschutzzeigte sich auch beim Raps unddem Schädling Rapsglanzkäfer:In »ausgeräumten«, das heißt von vielfältigen Strukturelemen-ten wie Hecken und Brachen be-freiten Landschaften, waren dieSchäden durch den Rapsglanzkä-fer sehr viel größer als in struk-turreichen, komplexen Land-schaften. Das lag an den Parasi-toiden, die in den strukturreichenLandschaften zahlreicher vor-kommen und dem Rapsglanzkä-fer als natürlichem Feind zu Leiberücken. Der traditionelle Blickauf die Verbesserung der lokalenBedingungen für die natürlichenGegenspieler auf dem Acker istallerdings auch wichtig. In denTropen ergab sich prinzipiell das-selbe Bild: So konnten bei Un-tersuchungen in indonesischenAgroforstsystemen, in denenKakaobäume wachsen, großeUnterschiede in der relativen Be-deutung der natürlichen Gegen-spieler von Kakao fressenden In-sekten festgestellt werden, die mitdem lokalen Management derKulturflächen verbunden waren.Wurde die Fläche intensiv ge-nutzt, was mit einer verringertenBiodiversität der Schattenbäumeund reduzierter Beschattung ein-herging, nahm das Räuber-Beute-Verhältnis bei den Insekten imKakao-Kronenraum ab. Die Ka-kaoschädlinge verloren ihre na-türlichen Gegner und sollten sichso ungehindert vermehren kön-nen. Entsprechend sollten bei tra-ditioneller, diversifizierter Land-nutzung, bei der Kakaobäumeunter einer Vielfalt von Schatten-bäumen stehen, geringere Schäd-lingsprobleme zu erwarten sein.

Biodiversität von Blüten bestäuben-den Bienen und der FruchtansatzNeben der natürlichen Schäd-lingsbekämpfung fördern diversstrukturierte Kulturlandschaftenauch die Bestäubung und den

Fruchtansatz, wie unsere Unter-suchungen zum Wildbienenbe-stand zeigen. Wildbienen werdenin der Agrarlandschaft immer sel-tener, und die Imkerei als ehemalswichtiger Erwerbszweig der Land-wirtschaft geht zurück, da sie öko-nomisch uninteressant gewordenist. In der Folge ist die Bestäubungvon Wild- und Kulturpflanzennicht mehr selbstverständlich. Daviele Pflanzenarten auf Bestäu-bung durch Insekten angewiesensind, ist deren Bestand gefährdet.Um diese Hypothese zu testen,wurde von uns folgende Versuchs-anordnung gewählt: In der Agrar-landschaft um Göttingen wurdenInseln aus eingetopften Pflanzenangelegt, die bis zu 1.000 Metervom nächsten Kalkmagerrasen alsBiodiversitäts-Reservoir entferntwaren. Als Topfpflanzen fungier-ten Ackersenf und Ölrettich, zweiauf Fremdbestäubung durch In-sekten angewiesene und annuelle(auf die jährliche Reproduktiondurch Samen angewiesene) Arten.Wie erwartet, nahmen mit derräumlichen Isolation der Pflanzender Blütenbesuch durch Bienenwie auch der Samenansatz ab. DerVerlust an Bienenbesuchen gingalso mit einem signifikanten Re-produktionsverlust einher. So re-duzierte sich bei einer Distanz vonnur 250 Metern zum nächsten Ma-gerrasen die Samenzahl beim Öl-rettich um die Hälfte. Da über 80Prozent aller Kulturpflanzen undüber 90 Prozent aller Wildpflan-zen auf Fremdbestäubung ange-wiesen sind, stellt der zunehmen-de Verlust von Wildbienen undanderen Bestäubern eine großeGefahr für die Zukunft der Ökosy-steme dar.

Die Bedeutung der Artenviel-falt von Bienen für den Fruchtan-satz wichtiger Kulturpflanzenwird durch Untersuchungen inindonesischen Kaffee-Anbauge-bieten bestätigt. Zum einen konn-te experimentell (durch den Aus-schluss von Blütenbesuchern mitGaze-Beuteln) nachgewiesenwerden, dass nicht nur der

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BIODIVERSITÄT

Bestäubung undFruchtansatz beim

Kaffee. Honigbienen(Apis sp.), stachellose

Bienen (Trigona sp.) undsolitären Biene (hier

Callomegachile sp.,Colletes sp. und Mega-

chile sp.) als drei verschiedene Bestäu-bergilden am Kaffee

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Fruchtansatz des selbst-sterilenTieflandkaffees, sondern auch derFruchtansatz des ohne Bestäu-bung auskommenden (selbst-fer-tilen) Hochlandkaffees durch Be-stäuber erhöht wird. In einemVergleich verschieden strukturier-ter Kaffeeplantagen konnte einZusammenhang zwischen der Ar-tenvielfalt der Bienen, nicht aberihrer Häufigkeit, und dem Frucht-ansatz des Hochlandkaffees fest-gestellt werden. Eine Erklärunghierfür sind die in Ausschlussver-suchen, bei denen wir nur einzel-ne Bienenarten zu den Kaffeeblü-ten zuließen, nachgewiesenenUnterschiede in der Bestäubungs-effizienz: Die sozialen Honigbie-nen und stachellosen Bienen wa-ren zwar sehr häufig in den Agro-forstsystemen, die selteneren So-litärbienen erwiesen sich aber alsdie besseren Bestäuber, so dassnur der Artenreichtum mit demBestäubungserfolg in Verbindungzu bringen war. Da die Häufigkeitund die Artenzahl der Bienen mitder Distanz zum Naturwaldrandabnahm und mit der Lichtinten-sität zunahm, gibt es gute Ansatz-punkte für ein Management derBestäuber an Kaffee, einer in denTropen wichtigen Kulturpflanze.

Schlussfolgerungen und AusblickDie hier vorgestellten Ergebnissemachen deutlich, dass mit demweltweiten Rückgang an Biodi-versität auch ein Verlust wichtigerökologischer Funktionen verbun-den ist. Dazu gehören die biolo-gische Kontrolle von pflanzen-fressenden Insekten durch ihrenatürlichen Gegenspieler und dieBestäubung von Pflanzen. Dieshat Auswirkungen auf die Strukturvon Nahrungsnetzen in naturna-hen Ökosystemen und auf öko-nomisch relevante Prozesse wiedie natürliche Kontrolle von Ge-treideblattläusen und Rapsglanz-käfern oder den Fruchtansatzbeim Kaffee. Eine Herausforde-rung für die Zukunft ist es, nichtnur die lokalen Ursachen für die

Struktur von Lebensgemeinschaf-ten zu analysieren, sondern auchdie umliegende Landschaft fürdie Erklärung von Biodiversitätund Nahrungsnetz-Interaktionenheranzuziehen. Dabei zeigtesich, dass Landnutzungsflächendurchaus – in Landschaften rundum Göttingen wie auch in denTropen – biodiversitätserhaltendwirken, sofern sie eine abwechs-lungsreiche Struktur haben undes ein entsprechend kenntnisrei-

ches Management der Flächengibt. Diesen Zielen gilt auch dieweitere Arbeit unserer Gruppe. �

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LEBEN UND RÄUME

Eine ostasiatischeHonigbiene (Apis dorsata) beim Besuch einer Kaffeeblüte

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The world-wide decline inbiodiversity is related to a

corresponding decline in ecologi-cal functions such as plant-insectinteractions. We present evidencefor the biological control of

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BIODIVERSITÄT

Prof. Dr. Teja Tscharntke, Jahrgang 1952, studierteBiologie und Soziologie an den Universitäten Mar-burg und Gießen und schloss beide Studiengänge mitdem Diplom ab. 1986 wurde er im Fachbereich Bio-logie an der Universität Hamburg promoviert, wo erzuvor am Zoologischen Museum und Zoologischen

Institut als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. 1985 wechselteProf. Tscharntke an die Universität Karlsruhe und habilitierte sichdort 1992 im Fach Zoologie. 1993 wurde er an die Universität Göt-tingen auf den Lehrstuhl für Ökologie der Agrarlandschaften beru-fen und wurde Direktor des Fachgebiets Agrarökologie. Prof.Tscharntke ist Chefherausgeber von Basic and Applied Ecology undMitglied der Herausgebergremien von Oecologia und Journal ofApplied Ecology.

plant-feeding insects by their na-tural enemies and the pollinationof plants by solitary and socialbees. This loss in biodiversity af-fects the structure of food webs innear-natural ecosystems and also

economically important ecologi-cal processes such as the naturalcontrol of cereal aphids and rapepollen beetles or the pollinationand fruit set of coffee. Both the lo-cal improvement of land use insidethe crop fields and the regionalmanagement of the surroundinglandscape contribute significant-ly to a better functioning of theseinteractions. Landscape com-plexity has turned out to be agood predictor of species-richcommunities and strong inter-actions. Damage to oilseed rapedecreased in complex landscapesand coffee yield increased whenthe fields were situated near rainforest margins. The relative im-portance of local and regionalmanagement for biodiversity andecological functions will also bethe main focus of our groupin the near future.

(red.) Das Zentrum für Natur-schutz (ZfN) wurde 1995 an derGeorg-August-Universität Göttin-gen als gemeinsame wissenschaft-liche Einrichtung der BiologischenFakultät und der Fakultäten fürGeowissenschaften und Geogra-phie, Forstwissenschaften undWaldökologie sowie Agrarwissen-schaften gegründet. Das ZfN be-schäftigt sich mit dem Aufdecken,Abschätzen, Vermeiden und Mini-mieren von Risiken, die von Men-schen für Pflanzen, Tiere und de-ren Lebensräume ausgehen. For-schungen zur Populationsbiologieausgewählter Arten nehmen dar-auf Bezug.

Das ZfN koordiniert das vomAkademischen Austauschdienst(DAAD) geförderte »InternationaleQualitätsnetz für ConservationBiology« (IQN), in dem zehn wis-senschaftliche Institutionen aus

neun Ländern zusammengeschlos-sen sind. Weitere internationaleNaturschutzprojekte in den Berei-chen Biodiversität und Naturschut-zinventuren sind unter anderem:Ein Biomonitoring-Programm überWirbeltiere in den afrikanischenLändern Elfenbeinküste und Kame-run und die Urwaldforschung desZentrums. Dabei stehen Vergleich-sanalysen zu naturnahen Ökosy-stemen im Mittelpunkt, wobei Ein-griffsfolgen und Artengemeinschaf-ten studiert und Managementsyste-me vorgeschlagen werden. Dazuwird im Norden der Mongolei eineeigene Forschungsstation betrie-ben. Das ZfN arbeitet im Sonder-forschungsbereich 552 in Indone-sien und im Graduiertenkolleg GK642 Wertschätzung und Erhaltungder Biodiversität in Deutschlandund Guatemala mit. Außerdem be-schäftigen sich Wissenschaftler des

Zentrums mit dem Thema Erfolgs-kontrollen im Naturschutz. ImRahmen einer Politikfeldanalysewird die Zweckmäßigkeit von Na-turschutzinstrumenten wie RoteListen oder die Tätigkeit von nichtstaatlichen Institutionen, so ge-nannten NGOs, untersucht.

Einen weiteren Schwerpunktder Zentrumsarbeit bildet die Leh-re, wobei das Studienfach »Natur-schutz« im Rahmen der Aus-bildungsgänge in den FächernBiologie, Forstwissenschaften,Geographie, Agrarwissenschaftenund Sozialwissenschaften vertre-ten ist. Derzeit engagieren sich 30Professoren der Universität in derNaturschutzausbildung und bie-ten entsprechende Kurse und Vor-lesungen an. Geleitet wird das ZfNvon Direktor Prof. Dr. MichaelMühlenberg, der in Göttingen ander Biologischen Fakultät lehrt.

Zentrum für Naturschutz (ZfN)

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LEBEN UND RÄUME

Im Focus der modernen Wald-ökosystemforschung steht der gesamte Wald mit seinen vielfäl-tigen Wechselbeziehungen zwi-schen Standort, Klima, Flora undFauna sowie menschlichen Ein-flüssen. Wälder stellen besonderskomplexe Ökosysteme dar, miteinem hohen Grad an Vernetzungund zahlreichen Arten. Unter-sucht werden die Strukturen undFunktionen von Ökosystemen.Strukturelle Größen sind bei-spielsweise die Artenzahlen vonLebensgemeinschaften oder dieIndividuenzahlen von Populatio-nen, funktionale Größen die Auf-nahme und Abgabe von Nährstof-fen oder die Bindung und Weiter-gabe von Energie.

Lange Zeit wurde der BegriffDiversität synonym zum Aus-druck Artenvielfalt verwendet.Heute hebt Biodiversität nicht nurauf die bloße Zahl der vorkom-menden Pflanzen- und Tierartenab, sondern berücksichtigt auchdie Vielfalt in der genetischenAusstattung der Organismen unddie Mannigfaltigkeit der Öko-systeme in der Landschaft. Arten-sterben, Lebensraumveränderungund -zerstörung vermindern dieDiversität, beeinflussen die Ver-teilung und Populationsdichteder Arten und führen so zu arten-ärmeren Gesellschaften. Nichtzuletzt aufgrund der globalenVeränderungen steht der BegriffBiodiversität im Zentrum aktuel-ler Umweltdiskussionen.

Mitteleuropa wäre ohne denMenschen ein fast geschlossenesWaldland. Der Mensch hat abernicht nur den Wald vernichtet,um Äcker und Wiesen zu bewirt-schaften, sondern auch der Waldselbst ist durch den Menschenseit Jahrtausenden durch Holz-nutzung und Waldweide direkt,durch Einträge von Schadstoffenund durch Entnahme von Grund-

wasser indirekt verändert wor-den. Trotzdem stellen Wälder im-mer noch die naturnahsten Le-bensräume unter allen Flächen-nutzungsformen dar und erfüllenvielfältige Funktionen.

Bei der UN-Umweltkonferenzin Rio de Janeiro (1992) und dereuropäischen Forstministerkonfe-

renz in Helsinki (1993) standennicht nur der Schutz und dienachhaltige Nutzung von Wäl-dern im Mittelpunkt der Forst-und Umweltpolitik, sondern eswurde erstmalig auch die Erhal-tung der biologischen Vielfalt alsein vorrangiges Ziel der Forstwirt-schaft benannt. Damit wurde die

In »naturnahen« Wäldern herrscht bunte Artenvielfalt, in Wirtschaftswäldern Ödnis und Artenschwund – ist daswirklich so? Die Wissenschaftler des Forschungszentrums Waldökosysteme untersuchen in einer Fallstudie dieDiversität von Lebensgemeinschaften in Wäldern des Sollings und kommen zu überraschenden Ergebnissen.

Vielfalt oder EinfaltZur Diversität der Pflanzen- und Tierwelt im Solling

Verena Sohns

Buchenbestand im SollingFoto: Forschungs-zentrum Waldöko-systeme (FZW)

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Universität Göttingen48

BIODIVERSITÄT

Lebensraumfunktion des Waldeszu einem zentralen Anliegen derForstpolitik und die Erforschungder Biodiversität in Wäldern zueiner wissenschaftlichen Heraus-forderung.

Im Verbundprojekt »Indikato-ren und Strategien für eine nach-haltige und funktionale Waldnut-zung – Fallstudie WaldlandschaftSolling«, das vom Bundesministe-rium für Bildung und Forschunggefördert wird, versuchen Wissen-schaftler des ForschungszentrumsWaldökosysteme (FZW), mehr Lichtin die Zusammenhänge zwischender Biodiversität und den Ökosy-stemfunktionen zu bringen. Vonbesonderem Interesse ist die Fra-ge, wie sich die Diversität verän-dert, wenn Wälder sich selbstüberlassen oder in andereWaldformen überführt werden.Das langfristige Ziel vieler Forst-verwaltungen und Forstbetriebe ist

der Umbau nicht standortgemä-ßer reiner Nadelwaldbestände,die sich in der Vergangenheit häu-fig als sehr anfällig gegenüber Stö-rungen wie zum Beispiel Wind-wurf, Insektenkalamitäten oderSchadstoffen erwiesen haben, innaturnahe, laubbaumreiche undmöglicherweise stabilere Misch-wälder. Das Wissen über diebiologischen Abläufe in Mischbe-ständen aus Laub- und Nadelbäu-men hält sich bislang jedoch inGrenzen. Für die Zukunft ist es da-her eine wichtige Forschungsauf-gabe, für den notwendigen Wald-umbau Indikatoren abzuleiten,aus denen sich der aktuelle Zu-stand und die Entwicklung derWälder ablesen und bewerten las-sen. Auf die Lebensraumfunktionbezogen verfolgt der Waldumbaudas Ziel, die biotische Diversitätgenetisch sowie auf Arten- undLebensraumniveau zu sichern

oder zu verbessern. Damit wirdbeabsichtigt, eine höhere Stabilitätder Waldökosysteme (ökologischwie ökonomisch) zu erreichen. Istaber die Artendiversität ein geeig-neter Indikator, um Kriterien für ei-ne nachhaltige Waldnutzung zufinden?

Prof. Dr. Wolfgang Schmidtund der Biologe Martin Weckes-ser vom Institut für Waldbau derFakultät für Forstwissenschaftenund Waldökologie der Georg-Au-gust-Universität Göttingen habenin den Jahren 1999 und 2000 dieBodenvegetation von Buchen-Fichten-Mischwäldern im Sollingmit entsprechenden Reinbestän-den verglichen, um den Umbauvon Reinbeständen in Mischbe-stände aus vegetationsökologi-scher Sicht beurteilen zu können.Welche Gräser und Kräuter, Farneund Moose auf dem Waldbodenwachsen, hängt von vielen Fakto-ren ab. Dazu gehören der Bodenmit seinem Wasser- und Nährstoff-angebot, das Licht, welches durchdie Baumkronen gelangt, aberauch Rehe und Hirsche, die man-che Pflanzenarten bevorzugt fres-sen und damit die Konkurrenz-verhältnisse stark beeinflussen.Nicht zuletzt ist es auch derMensch, der mit der Auswahl derWaldbäume und der Bewirtschaf-tungsform des Waldbestandes dieZusammensetzung der Pflanzen-arten im Wald mit bestimmt.Farn- und Blütenpflanzen sowiedie Moose eignen sich aufgrundihrer hohen Artenzahl, ihrer spe-zifischen Standortansprüche undihrer leichten Erfassung beson-ders gut, um aktuelle Zuständeund ablaufende Veränderungenin mitteleuropäischen Wäldernaufzuzeigen. Die Erfassung allerPflanzenarten mit ihren Mengen-anteilen geschah zunächst aufeinheitlichen Grundflächen von100 m2 Größe, die Übergängevon Rein- zu Mischbeständen ab-bilden.

Bislang ging man bei der Be-wertung von Mischbeständen da-von aus, dass sie grundsätzlich

Fichtenbestand im SollingFoto: FZW

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LEBEN UND RÄUME

einen höheren Struktur- und Ar-tenreichtum aufweisen als Rein-bestände. Ein Vergleich der Ar-tenvielfalt und der Artenzusam-mensetzung der Bodenvegetationzeigte jedoch, dass in den natur-fernen Fichtenwäldern des Sol-ling sogar höhere Artenzahlen zufinden sind als unter Mischbe-ständen oder in den reinen, na-turnahen Buchenwäldern. Insbe-sondere in Altbeständen nehmendie Gesamtartenzahlen mit stei-gendem Fichtenanteil deutlichzu. Die Mischbestände aus Bu-che und Fichte besitzen eine hö-here floristische Verwandtschaftzu den Fichten-Reinbeständen alszu den Buchenwäldern. Aller-dings werden die hohen Arten-zahlen in den fichtenreichen Be-ständen nicht durch das Auftretenvon Pflanzenarten erzeugt, diegerade vom Naturschutz als be-sonders wertvoll eingestuft wer-den, da sie selten oder stark ge-fährdet sind. Vielmehr handelt es

sich häufig um Nichtwaldartenwie zum Beispiel die Brennesseloder den Löwenzahn, die auf-grund der starken Störung der Na-delwälder im Zuge ihrer Bewirt-schaftung hier zahlreich zu fin-den sind. Hinzu kommen – wennauch in geringerem Maße – typi-sche Nadelwaldarten wie der Sie-benstern, die mit dem Anbau derim Solling gebietsfremden Fichteden Weg in die nadelholzreichenWälder gefunden haben. Auf je-den Fall zeigen die Ergebnissedeutlich, dass mit dem Umbauder großflächigen Fichtenreinbe-stände des Solling in Mischwäl-der oder in reine Buchenwälderein Verlust an Artendiversität inder Bodenvegetation einherge-hen dürfte. Allerdings ist bisherkeine Art der Buchenwälderdurch den Anbau von Fichtenverschwunden - wenn es auch er-hebliche Veränderungen in denPopulations- und Vegetations-strukturen gab.

Neben der Baumartenzusam-mensetzung hat die Bewirtschaf-tung einen großen Einfluss auf die Diversität. Seit 1972 gibt es in Niedersachsen Naturwälder –Waldflächen, die aus der Nut-zung genommen worden sind. Zudiesen »Urwäldern von morgen«gehören im Solling unter ande-rem die Naturwälder »LimkerStrang« und »Dreyberg«. Verglei-che zwischen diesen Buchen-Na-turwäldern mit benachbarten Bu-chen-Wirtschaftswäldern zeigen,dass die Diversität der Gefäß-pflanzen in Wäldern mit Holz-nutzung höher ist als in den un-bewirtschafteten. Dafür sind inerster Linie ein erhöhtes Lichtan-gebot und Bodenstörungen ver-antwortlich, so dass auch hierPflanzenarten des Offenlandesauftreten, ohne dass gleichzeitigtypische Waldarten verschwin-den. Fehlende Nutzung begün-stigt ferner die konkurrenzstarkeRot-Buche (Fagus sylvatica), die

(red.) Seit Mitte der 80er Jahre wur-den in Deutschland Forschungsar-beiten im Ökosystem Wald voran-getrieben. Die damals gehäuft auf-tretenden Waldschäden hatten beiWissenschaftlern, Politikern undin der Bevölkerung große Besorg-nis ausgelöst. Im Januar 1984 ent-stand das »ForschungszentrumWaldökosysteme – Waldsterben«als gemeinsame wissenschaftli-che Einrichtung der Forstwissen-schaften, Biologie und Geowis-senschaften an der Georg-August-Universität. Mit Förderung des da-maligen Bundesministeriums fürBildung, Wissenschaft, Forschungund Technologie (BMBF) und desLandes Niedersachsen wurde es1989 zum ForschungszentrumWaldökosysteme (FZW) ausge-

baut, wobei die Umbenennungdarauf hinweist, dass die Arbeitenweit über den Bereich der »neuar-tigen Waldschäden« hinausgehen.Das FZW initiiert und koordiniertinterdisziplinäre Waldforschungund verwaltet die dazu gehören-den Projekte. Die Forschungsakti-vitäten sind auf mehrere etablierteInstitutionen verteilt: Insgesamtsind im FZW 15 Institute der Uni-versität Göttingen und mehrereexterne Institutionen vertreten,wie zum Beispiel die Niedersäch-sische Forstliche Versuchsanstalt.Direktor des Forschungszentrumsist der Göttinger Forstwissen-schaftler Prof. Dr. Friedrich Beese.

Im Mittelpunkt der aktuellenForschung des FZW stehen dieökosystemaren Grundlagen für

Technik-Folgeabschätzungen, ein-schließlich Klimaänderung, beiWaldökosystemen. Damit sollenProzess- und Prognosemodelle fürdie Zustandsentwicklung, zur Ab-schätzung von Entwicklungslinienund für konkrete Hilfestellungenzur Bewirtschaftung der Wäldererstellt werden. Handlungsemp-fehlungen für das forstliche Ma-nagement und Risikoabschätzun-gen als Grundlage für politischesHandeln sind dafür Beispiele.Kooperationen bestehen mit denvier anderen deutschen Zentrender Ökosystemforschung in Bay-reuth, Halle/Leipzig, Kiel undMünchen. Darüber hinaus ist dasForschungszentrum Waldökosys-teme in zahlreiche internationaleProjekte eingebunden.

Forschungsnetzwerk für den Wald – Forschungszentrum Waldökosysteme (FZW)

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Universität Göttingen50

BIODIVERSITÄT

als schattentolerante Baumartauch die Verjüngung dominiert.So stellen viele Naturschützerheute mit Erstaunen fest, dassehemals baumartenreiche Mi-schwälder aus Eichen, Hainbu-chen, Linden, Eschen, Ahorn usw.in ihrem Artenreichtum deutlichabnehmen, wenn sie unter Total-schutz gestellt werden. Nur fürArten, die auf alte und tote Bäu-

me angewiesen sind, wie höhlen-brütende Vögel oder holzbewoh-nende Pilze oder Käfer, bedeutetdas »Nichtstun im Wald« auch ei-ne Zunahme an Arten.

Einen erheblichen Einfluss aufdie pflanzliche Artenvielfalt inWirtschaftswäldern haben Wald-wege. Von breit angelegten Stra-ßen bis hin zu einem engmaschi-gen Rückegassennetz mit unbefe-stigten Maschinenwegen findetman heute ein unterschiedlichausgebautes und unterschiedlichintensiv genutztes Erschließungs-system in unseren Wäldern. Esdient der Forstwirtschaft nicht nurzum Erreichen von Arbeitsorten,dem Bringen von Arbeitsmitteln,der Lagerung und dem Abtrans-port des Holzes, sondern auchder Erholung von Waldbesu-chern. Als »Übergangsräume«sind Wege und Wegränder –ebenso wie Waldränder – we-

sentlich artenreicher als die sieumgebenden flächenhaft ausge-bildeten Waldbereiche. Auchhier sind es die mit dem Wegebauund der Wegenutzung verbunde-nen Störungen, die dafür sorgen,dass sich neben den typischenWaldarten zahlreiche anderePflanzen des Offenlandes etablie-ren. Sie sind im geschlossenenWald in der Regel nur selten oder

gar nicht anzutreffen, werdenaber durch die Bodenverwun-dung und die veränderten Be-leuchtungsverhältnisse entlangder Waldwege und Rückegassengefördert. Die im Wald eingesetz-ten Fahrzeuge sorgen im übrigenmit dafür, dass sich mit jederHolzabfuhr Pflanzenarten raschüber große Entfernungen aus-breiten. In zwei Waldgebieten Niedersachsens, dem GöttingerWald und im Solling, wurden dieRückegassen als streifenförmigeStörungszonen vergleichend zumangrenzenden Bestand vegeta-tionskundlich erforscht. Bei Un-tersuchungen über die Samen, diemit anhaftender Erde an Rückefahr-zeugen transportiert wurden, fandDiplom-Forstwirtin Luise Ebrechtvor allem weitverbreitete Nicht-waldarten. Darunter befand sichauch das Kleinblütige Springkraut(Impatiens parviflora), eine Pflan-

ze aus Asien, die mit ihrenSchleuderfrüchten vor allem vonWaldrändern und Waldwegen herviele Wälder flächendeckend er-obern konnte.

Wirtschaftswälder sind somitaus vielfältigen Gründen sehr ar-tenreich, meist artenreicher alsUrwälder oder Naturwaldreser-vate. Diesem Gewinn an Pflan-zenarten steht jedoch ein Verlustan Naturnähe, an Natürlichkeitder Wälder gegenüber. Eine Be-wertung über die Artenzahlen al-lein bietet daher ein einseitigesund nicht besonders aussagekräf-tiges Bild. Erst wenn man die Ar-ten auch qualitativ betrachtet undReferenzflächen heranzieht, isteine Bewertung der Artenvielfaltsinnvoll. Hierzu gehört auch dieFrage, ob artenreiche Wälderwirklich stabiler sind oder andereÖkosystemfunktionen aufweisenals artenarme. Pflanzen in Wäl-dern bilden nicht nur die Grund-lage für die Stoffproduktion, son-dern sind auch die Nahrungs-grundlage der im Wald lebendenTiere und Mikroorganismen.

Prof. Dr. Matthias Schaefer, In-stitut für Zoologie und Anthropo-logie, untersucht im Verbundpro-jekt »Fallstudie – WaldlandschaftSolling« zusammen mit den Bio-logen Axel Rothländer und Alex-ander Sührig die Diversität derBodenfauna. Ziel ist es, die Le-bensräume und Lebensgemein-schaften in Mischwäldern mitReinbeständen zu vergleichen.Von Interesse sind die für dieUnterschiede verantwortlichenFaktoren des Bestandestyps unddie Indikatoreigenschaft der »re-präsentativen Taxa« für die ge-samte Lebensgemeinschaft. Ba-sierend auf diesen Ergebnissensoll der Einfluss des Bestandes-typs auf die Biodiversität model-liert und die Möglichkeit von Vor-hersagen des Zusammenhangeszwischen Bestandestyp und Di-versität für eine größere Regiongeprüft werden. Zentrale Hypo-these ist, dass der Bestandestyp(Reinbestand oder Mischbestand)

Bodenkundliche Exkursion

Foto: Marc Oliver Schulz

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LEBEN UND RÄUME

Biodiversity represents notonly species diversity but

also genetic diversity and diversi-ty of ecosystems. Forest develop-ment needs indicators to evaluatethe conditions of forest stands.The results found understorey flo-ra and vegetation to be suitableindicators of site conditions, habi-tat quality, forest dynamics andhuman impact on forest ecosys-tems. Forest sustainability cannot

Einfluss auf die Artendiversität derFauna und die Struktur von Popu-lationen hat.

Die Diversität der Fauna istenorm; in einem Wald können2.000 und mehr Tierarten vor-kommen. Im Göttinger Waldwurden 1.918 Arten gezählt. DieTierpopulationen gehören derMakro-, Meso- oder Mikrofaunaan, wobei sich Pflanzenfresser(Phytophage), Streufresser (Sapro-phage), Fresser von Pilzen undBakterien (Mikrophytophage) so-wie Räuber und Parasiten (Zoo-phage) unterscheiden lassen. Diemeisten Arten leben im Bodenund konzentrieren sich auf dieStreuschicht und die oberflächen-nahen Bodenschichten. Da esaufgrund dieser Vielfalt sehrschwierig ist, komplette Inventu-ren zu erstellen, gibt es wohlweltweit keinen Wald, dessenTierwelt vollständig bekannt ist.

Die Habitatdiversität hat einengroßen Einfluss auf die Artendi-versität der Fauna. Waldwegeund Waldränder mit ihren an-dersartigen Bedingungen sindauch hier von großer Bedeutung.Eine besonders große Rolle spieltin naturnäheren Wäldern das Tot-holz. Holzbewohnende Käfersind besonders artenreich (über1.000 Spezies), von denen derGroßteil an Totholz gebunden ist.

Mit Hilfe von Bodenproben,Bodenfallenfängen und Fängenmit Photoeklektoren wurden dieverschiedenen Arten erfasst undihre Siedlungsdichten bestimmt.Ein Schwerpunkt der Untersu-chungen liegt auf Spinnen undKäfern, es wurden aber auch vie-le weitere Gruppen der Glieder-füßer (Arthropoden) studiert. Beider Auswertung ergab sich, dassdie Artenzahlen der Tiergruppenmiteinander positiv korreliertsind. Dies eröffnet die Möglich-keit, die Diversität der gesamtenMakrofauna mit Hilfe wenigerGruppen zu indizieren.

Die zoologischen Untersu-chungen zeigten zum Beispiel,dass die Artenzahlen von Weber-

knechten, Spinnen, Laufkäfernund Kurzflügelkäfern in den Fich-tenbeständen am höchsten sindund in Richtung Mischbeständeund Buchenwälder abnehmen.Die Struktur der Bestände – vorallem die horizontale Strukturie-rung des Lebensraums, bedingtdurch den Lichtgenuss am Boden,der damit einhergehenden Be-deckung durch die Krautschicht,aber auch durch die Mächtigkeitder organischen Auflage, derLaubstreu – haben einen signifi-kanten Einfluss auf die Artenzah-len und die Populationsdichten(Abundanzen) der untersuchtenTierarten.

Fichtenbestände sind im Sol-ling nicht als naturnah anzuse-hen, obwohl durch sie die floristi-sche und faunistische Diversitätder Waldlandschaft insgesamt an-steigt. Hier stellt sich das Problemder Bewertung – sind naturnahe,aber artenärmere Gemeinschaf-ten per se wertvoller als gestörte,aber artenreichere Gemeinschaf-ten? Ist Diversität ein Wert ansich? Jedenfalls kann man gegen

Dr. Verena Sohns, Jahrgang 1970, studierte Forstwis-senschaften an der Universität Göttingen, wo sie2002 am Institut für Forstpolitik und Naturschutz pro-moviert wurde. Seit Beginn des Jahres ist sie als wis-senschaftliche Mitarbeiterin des ForschungszentrumsWaldökosysteme tätig, wo die Forstwissenschaftlerin

mit Zusatzqualifikation PR-Referentin die Öffentlichkeitsarbeit desZentrums koordiniert.

Dank an Prof. Dr. Wolfgang Schmidt, Insti-tut für Waldbau, und Prof. Dr. MatthiasSchaefer, Institut für Zoologie und Anthro-pologie, sowie an den Direktor des For-schungszentrums Waldökosysteme, Prof.Dr. Friedrich Beese, für fachliche Unter-stützung und Beratung.

be sufficiently indicated by thenumber of species alone. An addi-tional (ecological or nature con-servational) evaluation is necessa-ry. In general, an increase in spe-cies diversity is related to a de-crease in naturalness. With regardto fauna, it is in particular thestructural heterogeneity of forestsand the presence of deadwoodwhich create the conditionsfor high species diversity.

Fichtenreinbestände viele Argu-mente anführen – die stärkere Bo-denversauerung und das höhereWindwurfrisiko, um nur einige zunennen - die Artenvielfalt der Flo-ra und Fauna gehört jedenfallsnicht dazu.

Eine nachhaltige Waldnutzungist durch ein Forstmanagementgeprägt, das sich durch vorsichti-ge Erntemaßnahmen, Schaffungvon räumlich heterogenen Be-ständen mit einer mehrschichti-gen Vegetation und verschiede-nen Altersstadien, Belassen vonTotholz und einer Ausbildungund Pflege von Waldinnen- undaußenrändern auszeichnet. Einehohe Diversität von Flora undFauna ist keine Vorbedingung füreine nachhaltige Nutzung vonWäldern, aber auf engste mit ihrgekoppelt. �