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1 Abbildung 1: Schema eines Siedewasserreaktors Legende 1: Reaktordruckbeh¨ alter 2: Brennelemente 3: Steuerst¨ abe 4: Umw¨ alzpumpen 5: Steuerstabantriebe 6: Frischdampf 7: Speisewasser 8: Hochdruckteil der Turbine 9: Niederdruckteil der Turbine 10: Generator 11: Erregermaschine 12: Kondensator 13: Flusswasser 14: Vorw¨ armanlage 15: Speisewasserpumpe 16: K¨ uhlwasserpumpe 17: Betonabschirmung 18: Leitung zum Stromnetz

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    Abbildung 1: Schema eines Siedewasserreaktors

    Legende1: Reaktordruckbehälter

    2: Brennelemente3: Steuerstäbe

    4: Umwälzpumpen5: Steuerstabantriebe

    6: Frischdampf7: Speisewasser

    8: Hochdruckteil der Turbine9: Niederdruckteil der Turbine

    10: Generator11: Erregermaschine

    12: Kondensator13: Flusswasser

    14: Vorwärmanlage15: Speisewasserpumpe16: Kühlwasserpumpe17: Betonabschirmung

    18: Leitung zum Stromnetz

  • Master-Projektarbeit 2006

    Reaktoroperateur-Schule

    Therese Challand

    5. September 2006

  • Inhaltsverzeichnis

    1 Einführung 21.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

    1.2.1 Atomphysik: Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1.1 Der Atomkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1.2 Spaltvorgang und Kettenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1.3 Spaltprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2.1.4 Spaltneutronen und Kettenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2.1.5 Spaltungsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.2.1.6 Brut- und Konversionsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

    1.2.2 Reaktorphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.2.2.1 Multiplikationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.2.2.2 Neutronenzyklus und Vier-Faktoren-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2.2.3 Reaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.2.2.4 Reaktorperiode eines Reaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.2.2.5 Überschuss- und Abschaltreaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171.2.2.6 Reaktivitätskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    1.2.2.6.1 Brennstofftemperatur - Koeffizient . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.2.2.6.2 Moderatortemperatur - Koeffizient . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.2.2.6.3 Dampfblasen - Koeffizient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    1.2.2.7 Spaltproduktvergiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.2.3 Neutronenflussdichteverteilung und Leistungsdichteverteilung im Reaktorkern . . . 22

    2 Übungsreaktor AGN-211-P 252.1 Für den Versuch relevante Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.2 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    2.2.1 Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.2.2 Thermischer Neutronenfluss im AGN-211-P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    3 Aufgabe 1: Steuerstabkalibrierung 283.1 Problemstellung Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.2 Theorie zur Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

    3.2.1 Einführung Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.2.2 Theoretische Berechnung der Steuerstabkennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.2.3 Methoden der Reaktivitätsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

    3.2.3.1 Zeitverhalten der Reaktorleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.2.3.2 Verfahren zur Steuerstabkalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

    3.3 Beschreibung der Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4 Messung der Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

    3.4.1 Vorbereitungen für das Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4.2 Experiment für die Operateure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

    3.5 Berechnungen Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513.5.1 Berechnung der Reaktivität des Feinregelstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513.5.2 Berechnung der Gesamtreaktivität, der Überschuss- und der Abschaltreaktivität . 54

    1

  • INHALTSVERZEICHNIS 2

    3.6 Fehlerrechnung Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.6.1 Probleme Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

    3.7 Kontrollfragen zur Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.8 Zusammenfassung Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

    4 Aufgabe 2: Einflussfunktion 594.1 Problemstellung Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594.2 Theorie zur Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

    4.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594.3 Beschreibung der Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594.4 Messung der Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

    4.4.1 Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604.4.2 Vorbereitungen für das Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604.4.3 Experiment für die Operateure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

    4.5 Berechnungen Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674.6 Fehlerrechnung Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

    4.6.1 Probleme Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684.7 Kontrollfragen Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694.8 Zusammenfassung Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

    5 Zeitplan 71

    6 Allgemeines 726.1 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786.3 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

  • Zusammenfassung

    In diesem Bericht geht es um zwei Versuche für die Reaktoroperateurschule. Im einen Versuch geht esum Steuerstabkalibrierung, im zweiten um Messung der Einflussfunktion verschiedener Materialien.

    Dies ist als Ganztagsprojekt für etwa acht Operateur-Schüler in zwei Gruppen zu gestalten. Gruppe1 und Gruppe 2 teilen sich die Arbeit an jeweils einem Versuch pro Halbtag. Auch soll Arbeit am PCgemacht werden, um dem für diesen Versuch eingetauschte Informatik - Tag Rechnung zu tragen.

    Ich beginne in diesem Bericht mit einem soliden Theorieexkurs, der folgendes enthält:

    • Atomphysik: Spontane und induzierte Kernspaltung, Spaltprodukte, Kettenreaktion, Zerfallskette

    • Reaktorphysik: Multiplikationsfaktor, Reaktivität, Überschuss- und Abschaltreaktivität, Neutro-nenflussdichte - Verteilung, Reaktivitäts - Koeffizienten

    • Beschreibung des Reaktors der Universität Basel am Physikalischen Institut: versuchsrelevante Bau-teile, Messung der Neutronenflussdichte - Verteilung, Messung der Reaktivitäten des Grob- und desFeinregelstabs

    • Stichwortregister mit lexikalen Erklärungen folgt zum Schluss des Berichts: Leichtwasserreaktoren,Resonanzabsorption, Moderation etc.

    Daraus erarbeite ich die Theorie und die Beschreibung zu den Versuchen. Dann mache ich die Mes-sungen am Reaktor und Fehlerauswertungen. Am Schluss formuliere ich noch eine Versuchsbeschreibungfür die Lehrer am PSI und eine für die Operateurstudenten.

  • Kapitel 1

    Einführung

    1.1 Motivation

    Meine Master - Projektarbeit ist eine Vorbereitung für einen Praktikumstag der Reaktoroperateure/Innen- Schule am Paul- Scherrer- Institut. Diese Studenten absolvieren dort eine zweijährige Schulung mitTheorie und Fahrschule.

    Wir möchten zwei Halbtage gestalten. Am Morgen soll ein Versuch zum Thema Steuerstabkalibrierungdurchgeführt werden, nachmittags einer zum Thema Einflussfunktion.

    Die Operateure lernen an diesem Tag was zu tun ist bei der Kalibrierung von Steuerstäben, die jaregelmässig gewechselt werden müssen, damit diese zuverlässig zur Regelung verwendet werden können.Sie könnten dies dann auch selbst ohne Hilfe von anderen vornehmen. Dies gibt ihnen ausserdem einenÜberblick über die Reaktivitäts- bzw. Leistungsänderung bei Stabpositionsänderung. Damit haben sieeinen besseren Einblick in die Tätigkeit des computergesteuerten Regelsystems des Reaktors.

    Des weiteren soll den Operateuren vermittelt werden, wie sich die Reaktivität bzw. Leistung inAbhängigkeit der Position der Probe beim Einfahren von Absorber, Moderator und Reflektor in dieSpaltzone oder beim Beladen des Kerns während des Betriebs ändert. Sie lernen diese reaktortechnischrelevanten Materialien besser kennen und einschätzen.

    Dadurch haben sie einen besseren Überblick über ihre Tätigkeit beim Stabwechsel, beim Fahren undbeim Beladen ihres Reaktors. Wir wollen schliesslich, dass sie vorher wissen, was nachher passiert.

    Auch arbeiten die Operateure mit Windows Excel, und zwar sollen sie mehrere Datenreihen einge-ben, diese miteinander multiplizieren und diese Werte gegeneinander auftragen. Somit kennen sie einigewichtige Funktionen dieses Programms.

    Auch schliesst dieser Praktikumstag an den Tag im Mai an, da die dort gemessen axiale Neutronen-flussdichte des Übungsreaktor hier verwendet wird.

    1.2 Theorie

    1.2.1 Atomphysik: Kernspaltung

    1.2.1.1 Der Atomkern

    Abbildung 1.1 zeigt das Atom im Bohr’schen Modell mit den Elektronen auf verhältnismassig grossen,diskreten Schalen und den Nukleonen im kleinen Atomkern konzentriert.

    Zwischen benachbarten Nukleonen (= Protonen oder Neutronen) des Atomkerns wirken anziehendeKräfte. Der Kern hält zusammen, solange diese Kernkräfte grösser sind als die abstossenden Coulomb -Kräfte zwischen den positiv geladenen Protonen. Schwere Kerne enthalten viele Protonen und sind daherweniger stabil als leichte Kerne.

    1.2.1.2 Spaltvorgang und Kettenreaktion

    Sehr schwerer Kerne spalten sich ohne Anregung von aussen. Dies nennt man spontane Spaltung. DieHalbwertszeit für Spontanspaltung von 23892 U beträgt 8 · 1015 Jahre.

    2

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 3

    Abbildung 1.1: Atom im Bohr’schen Modell

    Wird einem schweren Kern von aussen Energie zugeführt, kann er sich so stark deformieren, dasser auseinander bricht. Diese Energiezufuhr erfolgt z.B. durch den Einfang eines zusätzlichen Neutrons.Infolge des Massendefekts ∆ wird dabei Bindungsenergie frei.

    Es gilt, dass die Masse des Kerns MKern kleiner der Masse der Summe seiner Konstituenten, denNukleonen, ist, also

    MKern < (N ·mn + Z ·mp) ,

    wobei N = A − Z und Z die Anzahl Neutronen bzw. Protonen im Kern sind. Z ist die Ordnungszahldes Elements und A die Massenzahl. Die Masse des Kerns berechnet sich wie folgt:

    MKern(Z,N) = Z ·mp + N ·mn −∆,

    wobei ∆ der sog. Massendefekt und ∆ · c2 = B(Z,N) die Bindungsenergie ist. Die Bindungsenergielässt sich recht genau mittels der Bethe - Weizsäcker - Massenformel berechnen, die das nun folgendeTröpfchenmodell berücksichtigt.

    Den Spaltvorgang erklärt man im sog. Tröpfchenmodells, in welchem der Atomkern mit einemFlüssigkeitstropfen vergleichbar ist und die Nukleonen mit den Molekülen des Tropfens:

    Der kugelähnliche Kern wird nach Aufnahme eines Neutrons in Schwingungen versetzt, was ihn läng-lich verformt. Ist die Anregungsenergie, die durch Bindung des zusätzlichen Neutrons zugeführt wurde,zu klein, kehrt der Kern wieder in den ursprünglichen Zustand zurück. Ist die Anregung gross genug,beginnt sich der länglich verformte Kern abzuteilen und spaltet sich dann rasch unter Aussendung vonNeutronen in zwei Stücke auf, analog zum Verhalten eines Wassertröpfchens. Abbildung 1.2zeigt diesenVorgang.

    Abbildung 1.2: Neutroneninduzierte Spaltung

    Für 23592 U ist diese Reaktion, Kernspaltung genannt, folgende:

    23592 U +

    thermisch︷︸︸︷10n →

    hochangeregt︷ ︸︸ ︷23692 U

    ∗ →

    β−,γ︷︸︸︷A1Z1

    X +

    β−,γ︷︸︸︷A2Z2

    Y +µ ·10 n + νe− +︷︸︸︷E

    Energie

    Für die Protonen- bzw. Nukleonenzahlen gelten folgende Erhaltungssätze:

    236 = A1 + A2 + ν

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 4

    und92 = Z1 + Z2

    Die durch Bindung des Neutrons zugeführte Energie wird vom hochangeregten Zwischenkern 23692 U∗

    kurzfristig gespeichert. Die Reaktion führt auf zwei Spaltprodukte X und Y , sog. Tochterkerne, sowie µSpaltneutronen. Es wird also bei der Kernspaltung ein schwerer Mutterkern in zwei mittelschwere zerlegt.

    µ ist durchschnittlich 2, 43 für 23592 U . µ ist etwas grösser für23994 Pu. Allgemein wächst µ, also die Anzahl

    der Spaltneutronen, mit steigender Energie des eingefangenen Neutrons.Anschliessend können die Tochterkerne ebenfalls zerfallen. Die Spaltprodukte sind wie der Zwischen-

    kern auch sehr neutronenreich und daher β−-aktiv. Dies gilt auch für die Zerfallsprodukte. Am Endeeiner solchen Zerfallskette werden stabile Nuklide erreicht.

    Beim β−-Zerfall wandet sich ein Neutron in ein Proton um unter Aussendung eines Elektrons undeines Elektron - Antineutrinos:

    n → p + e− + ν̄e− .

    Dabei entsteht eine Elektronenstrahlung, die auch zur Energiegewinnung genutzt werden kann.Ein Elektron - Antineutrino ν̄e− ist ein elektrisch neutrales Elementarteilchen mit einer sehr kleinen

    Masse. Es entsteht bei vielen Kernreaktionen wie z.B. beim β−-Zerfall. Die Neutrinoenergie geht dertechnischen Energiegewinnung im Reaktor verloren, da Neutrinos kaum mit Materie wechselwirken.

    Die zwei bis drei freigesetzten Neutronen können ihrerseits wieder neue Spaltungen und somit einesich selbst erhaltende Kettenreaktion auslösen. Eine Kettenreaktion in einem Reaktor ist eine Folgevon Kernspaltungen, welche jede von einem Neutron aus vorherigen Kernspaltungen ausgelöst wurde,vgl. Abbildung 1.3. Eine Kettenreaktion lässt sich nur dann aufrechterhalten, wenn genügend Neutronenfür weitere Kernspaltungen vorhanden sind.

    Abbildung 1.3 zeigt den Ablauf einer kontrollierten Kettenreaktion von einer Generation zur nächs-ten. Das Elternneutron löst eine Kernspaltung aus. Von den Neutronen der zweiten Generation verlassenzwei den Reaktor oder werden von anderen Kernen absorbiert. Ein einziges Neutron mit grosser Ge-schwindigkeit wird durch den Moderator auf geringe Geschwindigkeit abgebremst, sodass es eine weitereKernspaltung auslösen kann.

    Abbildung 1.3: Anfahren eines Reaktors

    Die kritischen Masse ist diejenige Anreicherung und Anordnung von Spaltstoff, unterhalb derersich keine Kettenreaktion aufrechterhalten lässt. Die kritische Masse ist für jeden Spaltstoff verschieden.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 5

    Bestimmte Anreicherung und Anordnung von Spaltstoff heisst vorgegebene Form, Grösse, Materialzu-sammensetzung und Umgebung. Kugelform hat die geringste Oberfläche verglichen mit ihrem Volumen,wodurch man weniger Oberflächenverluste hat. Durch Reflektion mit Wasser oder Graphit wird die kri-tische Masse kleiner.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 6

    1.2.1.3 Spaltprodukte

    Beim Zerfall des angeregten Zwischenkerns 23692 U∗ entstehen zwei Tochterkerne mit verschiedenen Mas-

    senzahlen. Die Massenzahlen der so entstehenden Spaltprodukte streuen über einen weiten Bereich. Essind etwa 200 verschiedene Spaltprodukte des 235U bekannt. Ihre Massenzahlen A liegen zwischen 70 und160. Trägt man die prozentuale Häufigkeit der entstehenden Spaltprodukte, die sog. Spaltausbeute, überder Massenzahl auf, so ergibt sich eine Verteilung wie in Abbildung 1.4 für 235U gezeigt:

    Abbildung 1.4: Häufigkeitsverteilung der Spaltprodukte von 23592 U

    Die Spaltausbeute des 23592 U erreicht Maximalwerte von ≈ 6 % bei Massenzahlen A um 95 und um135.

    1.2.1.4 Spaltneutronen und Kettenreaktion

    Die Spaltprodukte haben hohen Neutronenüberschuss und befinden sich in einem hoch angeregten Zu-stand, der die Energie für weitere Neutronenemission liefert.

    Diese emittierten Spaltneutronen haben unterschiedliche Energien. Die Energieverteilung der Spalt-neutronen von 23592 U zeigt Abbildung 1.5:

    Dieses Spektrum entspricht einer Gauss-Verteilung:

    χ(E [MeV ]) = 0.77 ·√

    E · e−0,775·E

    Für 23592 U beträgt die Energie im Mittel 1, 5 MeV , was einer Geschwindigkeit von 1, 5·107 ms entspricht.Die Spaltneutronen sind im Mittel also sog. schnelle Neutronen.

    Schnelle Neutronen bremst, d.h. moderiert, man in thermischen Reaktoren durch Streureaktionensolange ab, bis ihre Energie so gross ist wie diejenige der umgebenden Atomkerne:

    E = kB · T = 1, 38 · 10−23J

    K· 300K = 4, 14 · 10−21J

    E =12mv2

    ⇒ v =√

    2Em

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 7

    Abbildung 1.5: Energieverteilung der Spaltneutronen von 23592 U

    =

    √2 · 4, 14 · 10−21J1, 67 · 10−27kg

    = 4′958′083, 83m

    s≈ 5 · 106 m

    s

    Diese langsamen Neutronen, thermische Neutronen genannt, lösen wieder neue Kernspaltungenaus.

    Über 99 % aller Spaltneutronen werden bei der Spaltung innerhalb von 10−4 s emittiert. Sie heissendaher prompte Neutronen. Der grösste Teil der sog. verzögerten Neutronen wird innerhalb einerMinute freigesetzt; sie entstammen einigen zerfallenden Spaltprodukten.

    Durch die verzögerten Neutronen laufen die Änderungen im Neutronenhaushalt verlangsamt ab. Dieverzögerten Neutronen erleichtern die Regelung des Reaktors. Der gesamte Neutronenhaushalt wird soeingestellt, dass die Kettenreaktion mit den prompten und den verzögerten Neutronen aufrecht erhaltenwird.

    Die mögliche Zahl von Kernspaltungen, die ein Neutron beim Durchlaufen eines bestimmten Wegesim Kernbrennstoff auslösen kann, ist konstant und hängt nur von der Beschaffenheit des Kernbrennstoffsab. Dies beschreibt man mittels eines experimentellen Wirkungsquerschnitts in

    [cm−2

    ]= [barn].

    Das Gesamtvolumen des Reaktorkerns ist bekannt, und die Energie, die bei jeder einzelnen Uranspal-tung frei wird, ist eine Naturkonstante. Aus der Neutronenflussdichte φ lässt sich also die Wärmeleistungdes Reaktors berechnen. Die Neutronenflussdichte φ gibt die Anzahl der freien Neutronen an, die eineFläche von 1 cm2 pro Sekunde durchsetzen in der Einheit

    [cm−2s−1

    ].

    Neutronen, die von anderen Kernen eingefangen werden, können keine Kernspaltung mehr auslösen.Wie 23892 U neigt z.B. auch leichter Wasserstoff

    11H zu starker Neutronenabsorption.

    In natürlichem Uran, nat92 U , gibt es nun zu viel absorbierendes23892 U und zu wenig spaltbares

    23592 U .

    Daher kann es in natU nicht zu einer Kettenreaktion kommen, d.h. natU hat kein Abbrand und kaumNeutronenemission, wohl aber Strahlung: γ, e− (β−) und α.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 8

    1.2.1.5 Spaltungsenergie

    Die Spaltungsenergie ist eine Folge des Massendefekts, da ein Teil der Masse in Energie umgewandeltwird.

    Aus Abbildung 1.6 entnimmt man, dass die Bindungsenergie pro Nukleon für schwere Kerne ungefähr7, 6 MeV beträgt. Für mittelschwere Kerne mit Massenzahlen von etwa 80 bis 150 ist sie etwa 8, 5 MeV .Somit beträgt die Differenz der Energie, die pro Nukleon bei der Spaltung frei wird, etwa 0, 9 MeV . Fürein 23592 U - Isotop ist somit

    235 · 0, 9MeV = 210MeV

    die gesamte bei der Kernspaltung freigesetzte Energie.

    Abbildung 1.6: Mittlere Bindungsenergie eines Nukleons im Kern gegen die Massenzahl

    175 MeV ist die kinetische Energie derjenigen Spaltprodukte, welche prompt frei gesetzt werden, wasetwa 82 % der Gesamtenergie von 210 MeV entspricht. Diese schnellen Spaltprodukte werden dann imBrennstoff abgebremst und wandeln ihre Bewegungsenergie in Wärmeenergie des Brennstoffs um.

    Folgende Anteile tragen noch zur Gesamtenergie bei, sind aber jeweils um mehr als einen Faktor 20kleiner ist als die Bewegungsenergie der Spaltprodukte:

    • Kinetische Energie der prompten Neutronen

    • Energie der prompten Gammastrahlung

    • Verzögert freigesetzte Energie der β−-Strahlung der Spaltprodukte

    • Verzögerte Energie der γ-Strahlung der Spaltprodukte

    • Nicht nutzbare Neutrinoenergie

    Schaltet man einen Reaktor ab, hört damit nur die Energiefreisetzung durch prompte Prozesse auf,nicht aber die Energiefreisetzung durch verzögerte Prozesse. Die von den Spaltprodukten ausgesandteStrahlung wird ebenfalls in Wärmeenergie umgewandelt.

    1.2.1.6 Brut- und Konversionsprozesse23592 U kann man mit Neutronen spalten,

    23892 U jedoch nicht. Es existieren also natürliche thermisch nicht

    spaltbare Nuklide 23892 U und23290 Th (Thorium), die man als Brutmaterial verwenden kann. Diese beiden

    Brutstoffe z.B. werden durch Neutroneneinfang und zwei anschliessende β−-Zerfälle in die thermischspaltbaren Nuklide 23994 Pu und

    23392 U umgewandelt. Brütbar nennt man Nuklide, die durch Neutronen-

    einfang direkt oder indirekt, d.h. über mehr als einen Strahlungsprozess, in thermisch spaltbare Nuklideumgewandelt werden können.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 9

    Abbildung 1.7: Nachwärme eines Reaktors nach verschiedener Betriebsdauer

    Ein Brutreaktor ist ein Reaktor, der mehr Spaltstoff, d.h. thermisch spaltbare Kerne, produziert alser verbraucht. Ob ein Reaktor brüten kann, hängt von der Neutronenbilanz ab. Diese muss so eingestelltwerden, dass für jedes im Spaltstoff eingefangene Neutron mindestens eines im Brutstoff absorbiert wird.Nach ca. 20 Jahren ist genügend Spaltstoff vorhanden, um damit weitere Reaktoren zu betreiben.

    Brutreaktoren benötigen keinen Moderator, denn durch die hohe Spaltstoffdichte, also höhere Ein-fangwahrscheinlichkeit, genügen die schnellen, prompten Neutronen zur weiteren Spaltungen und zumErbrüten von Spaltstoffen aus. Das zur Kühlung verwendete Natrium wird weder radioaktiv noch hat eseinen moderierenden Effekt.

    Wird weniger Spaltstoff erzeugt als verbraucht, wie z.B. beim SWR, spricht man von Konversion undfolglich von Konversionsreaktoren.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 10

    1.2.2 Reaktorphysik

    1.2.2.1 Multiplikationsfaktor

    Bei der neutroneninduzierten Spaltung des Uranisotops 23592 U kann sich eine Kettenreaktion aufrecht er-halten, da hier durchschnittlich zwei bis drei Spaltneutronen freigesetzt werden. Nicht jedes Spaltneutronlöst wieder eine Spaltung aus, da einige Neutronen durch Absorption (= Einfang) verloren gehen und an-dere aus dem Reaktor entweichen. Um eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion zu bekommen, muss vonden zwei bis drei Spaltneutronen mindestens eins von einem Uranatom unter Spaltbedingungen wiedereingefangen werden.

    Der Multiplikationsfaktor k macht Aussage über die Aufrechterhaltung einer Kettenreaktion. DerMultiplikationsfaktor k gibt das Verhältnis der Anzahl Neutronen n2 einer Generation 2, dieaus Kernspaltung einer vorangegangenen Generation 1 entstehen, zu der Anzahl Neutronenn1 der vorangegangenen Generation 1 an:

    k =n2n1

    ,

    Der Multiplikationsfaktor k ist eine einheitenlose Vergleichszahl.Sind nun die beiden Generationen gleich gross, also k = 1, so erhält sich die Kettenreaktion von

    selbst aufrecht. Ist k > 1, nimmt die Zahl der Neutronen zu. Soll die Leistung eines Reaktors erhöhtwerden, muss der Multiplikationsfaktor k vorübergehend auf einen grösseren Wert als 1 gebracht werden.Wenn k < 1, nimmt die Zahl der Neutronen ab, bis der Quellpegel erreicht ist. Es kann sich dann keineKettenreaktion von selbst aufrechterhalten.

    Der Quellpegel eines Reaktors sind diejenigen Neutronen, die von der Quelle ausgesandt werden, dieman zum Starten der Kettenreaktion braucht.

    Der Multiplikationsfaktor k einer multiplizierenden Anordnung (= Reaktor) kann sich ändern durch:

    • Eingriffe des Betriebspersonals:Wird z.B. Brennstoff zugeladen, vergrössert sich k; und umgekehrt.

    • Eingriffe der Reaktorregelung:Wird z.B. ein absorbierende Medium eingebracht, verkleinert sich k; und umgekehrt.

    • Physikalische Effekte:Z.B. die Reaktortemperatur hat einen Einfluss auf k.

    Es muss durch die sog. Reaktivitätsbilanz nachgewiesen werden, dass der Reaktor jederzeit sicherbetrieben und abgeschaltet werden kann. Die Reaktivitätsbilanz ist die Gegenüberstellung der reakti-vitätssteigernden und der reaktivitätsmindernden Effekte.

    Dabei werden berücksichtigt:

    • Reaktivitätsäquivalent der Änderung der Brennstofftemperatur

    • Reaktivitätsäquivalent der Änderung der Moderatortemperatur

    • Reaktivitätsäquivalent der Änderung der Kühlmitteltemperatur

    • Reaktivitätsäquivalent der Änderung der Druckänderung

    • Reaktivitätsäquivalent für das Auftreten von Blasen im Kühlmittel

    • Reaktivitätsäquivalent für das Auftreten von Blasen im Moderator

    ’Äquivalent’ bedeutet in dem hier verwendeten Sinne, dass zwei Dinge anhand der betrachteten Merk-male nicht voneinander zu unterschieden sind. Das heisst, es ist uninteressant, wie die Reaktivität durchz.B. Temperaturänderung wird, sondern durch welche Faktoren die Temperatur zu- bzw. abnimmt.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 11

    1.2.2.2 Neutronenzyklus und Vier-Faktoren-Formel

    Um den Multiplikationsfaktor k zu bestimmen, betrachtet man den Verlauf einer Neutronengenerationvon ihrer Entstehung an. Als Beispiel habe die erste Generation n1 = 100 Neutronen.

    Die Ereignisse in einem Neutronenzyklus sind nun folgende:

    • Schnelle Spaltneutronen aus der ersten Neutronengeneration rufen sog. schnelle Spaltungen her-vor. Die Wahrscheinlichkeit für eine schnelle Spaltung ist jedoch meist geringer als für thermischeSpaltung wegen des Wirkungsquerschnitts, ausser im Resonanzbereich. Somit gilt: n1 · � = 120Neutronen.

    Der Schnellspaltfaktor � ist ein Mass für die durch schnelle Spaltung hervorgerufene Neutronenver-mehrung, hauptsächlich beim 23892 U .

    • Einige solche schnellen Neutronen gehen durch Entweichen (= Leckage) verloren: n1 · � · Ps = 119Neutronen.

    • Die meisten der schnellen Spaltneutronen gelangen in das Gebiet des Resonanzeinfangs, wo einTeil der schnellen Neutronen eingefangen wird: n1 · � · Ps · p = 83 Neutronen.Die Bremsnutzung p ist ein Mass für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron während der Mode-ration nicht durch Absorption, v.a. durch Resonanzabsorption in 23892 U , verlorengeht.

    • Der restliche Teil der schnellen Spaltneutronen wird auf thermische Energien abgebremst, sog.Moderation.

    • Einige der thermischen Neutronen gehen durch Entweichen verloren: n1 ·�·Ps ·p·Pth = 82 Neutronen.

    • Die restlichen thermischen Neutronen werden absorbiert: n1 · � · Ps · p · Pth · f = 66 Neutronen.Die Neutronenausbeute pro Absorption η ist die Zahl der Spaltneutronen, die pro absorbiertesthermisches Neutron im Kernbrennstoff frei werden. Auch nicht spaltbare Komponenten des Kernsfangen thermische Neutronen ein. Aber nicht jeder Einfang im Spaltstoff führt zur Spaltung.

    • Wenn die thermischen Neutronen im Spaltstoff absorbiert werden, dann verursachen sie zum gröss-ten Teil neue Spaltungen: n1 · � · Ps · p · Pth · f · η = 112 Neutronen.Die thermische Nutzung f bezeichnet den Teil der thermischen Neutronen, welcher im Kernbrenn-stoff und und nicht im sonstigen Material absorbiert wird.

    Somit hat im Beispiel die zweite Neutronengeneration n2 = 112 Neutronen.Der sog. unendliche Multiplikationsfaktor k∞ beschreibt den Lauf einer Neutronengeneration zur

    nächsten für einen unendlich grossen Reaktor. Dies nennt man die Vier-Faktoren-Formel:

    k∞ = η · � · p · f

    Der effektive Multiplikationsfaktor keff beschreibt einen endlich grossen Reaktor, indem er dieNeutronenleckverluste berücksichtigt. Dies nennt man auch manchmal Fünf-Faktoren-Formel:

    keff = k∞ · Ps · Ps,

    wobei Ps und Pth die Anteile schneller (s) und thermischer (th) Neutronen bezeichnen, der nicht nachaussen entweichen. Diese beiden Faktoren stellen den ’Fünften Faktor’ dar. Diese Leckverluste lassen sichdurch Reflektoren um den Reaktorkern reduzieren, womit die kritische Masse verringert und die Zahl derNeutronen am Kernrand erhöht wird. Der effektive Multiplikationsfaktor keff ist abhängig von vorge-geben konstruktiven Gegebenheiten, z.B. Abmessung oder Materialzusammensetzung des Reaktorkerns,und von den betrieblichen Zuständen.

    Ein sog. Reflektor ist eine Materialschicht unmittelbar um die Spaltzone eines Kernreaktors. Der Re-flektor streut Neutronen in die Spaltzone zurück, die sonst entweichen würden. Die reflektierten Neutronenkönnen wiederum Spaltungen auslösen und so die Neutronenbilanz des Reaktors verbessern.Hierfür wirdGraphit verwendet.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 12

    1.2.2.3 Reaktivität

    Beim Reaktorbetrieb können verschiedene Umstände bewirken, dass der Reaktor den kritischen Zustandverlässt. Dadurch ändert sich die Neutronenflussdichte. Als Mass für die Abweichung vom kritischenZustand wurde die Reaktivität ρ eingeführt:

    ρ =keff − 1

    keff

    Die Reaktivität wird in % angegeben und ist die Änderung der Leistung bezogen auf die vorher ge-fahrene Leistung. Reaktivität und Multiplikationsfaktor beschreiben mit verschieden Zahlen den gleichenZustand eines Reaktors.

    Die Reaktivität bzw. der Multiplikationsfaktor ändert sich mit dem Betriebszustand und ist abhängigvon:

    • Konzentration des Spaltmaterials

    • Konzentration der Spaltprodukte (Vergiftungseffekt)

    • Konzentration von abbrennbaren Neutronenabsorbern

    • Dichte und Temperatur des Moderators

    • Temperatur des Brennstoffs

    • Stellung der Steuerstäbe

    • Borkonzentration im Kühlmittel

    • Dampfbalsengehalt

    ρ < 0 ⇔ keff < 1: Der Reaktor ist unterkritisch. Die Neutronenproduktion ist kleiner als der Neutronenverlust, d.h.die Kettenreaktion bricht ab, da sich die Zahl der Kernspaltungen von Generation zu Generationverringert. Der Multiplikationsfaktor wird zum Abschalten des Reaktors auf keff < 1 abgesenkt,vgl. Abbildung 1.8.

    ρ = 0 ⇔ keff = 1: Der Reaktor ist kritisch. Durch Kernspaltung werden ebenso viele Neutronen erzeugt wie durchAbsorption im Brennstoff und im Strukturmaterial und durch Ausfluss aus dem Reaktor verloren-gehen. Für einen gleichmässigen Betrieb des Kraftwerks ist dies wichtig. Der kritische Zustand istder normale Betriebszustand eines Reaktors. Die Zahl der Neutronen vermehrt sich dann also voneiner Generation zur nächsten um den Multiplikationsfaktor keff = 1, 0000.

    ρ > 0 ⇔ keff > 1: Der Reaktor ist überkritisch. Die Neutronenproduktion übersteigt den Neutronenverlust. DieZahl der gleichzeitig ablaufenden Kettenreaktionen wird vermehrt. Um den Reaktor in Gang zusetzen, muss die Zahl der Neutronen von einer Generation zur nächsten langsam anwachsen. DerMultiplikationsfaktor keff muss also über 1 liegen.

    Wird aus einem stationären Betriebszustand, also bei ρ = 0, die Reaktivität erhöht, d.h. ρ > 0, sowird der Reaktor überkritisch und die Leistung steigt an. Geht die Reaktivität während eines solchenLeistungsanstiegs durch Einfahren der Steuerstäbe oder durch dem Reaktor inhärente Eigenschaftenwieder zurück auf den Wert ρ = 0, so bleibt die Leistung des Reaktors beim momentan vorhandenenWert.

    Über 99 % aller Spaltneutronen werden bei der Spaltung innerhalb von 10−4 s emittiert. Diese nenntman prompte Neutronen. Keine mechanische Regelung kann so schnell reagieren und eine schnell an-steigende Kettenreaktion verhindern. Nur 0, 75 % der Neutronen werden um einige Sekunden verzögertabgegeben. Somit ist β, der Anteil der verzögerten Neutronen an der Gesamtzahl der Spaltneutronen,gleich 0, 0075.

    Verzögerten Neutronen dämpfen den Anstieg des Neutronenflusses. Dies ist nicht mehr der Fall, wennρ ≥ β. Der Zustand ρ = β heisst prompt kritisch, der Zustand ρ > β prompt überkritisch. DieseZustände werden allein mit prompten Spaltneutronen erreicht.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 13

    Abbildung 1.8: Abschalten eines Reaktors

    Die Steuerung eines Reaktors wird durch die verzögerten Neutronen realisiert. Der Multiplikations-faktor keff muss immer unter 1 + β sein, bzw. 0 < ρ < β. Deshalb hält man bei 0, 75 % verzögertenNeutronen den Multiplikationsfaktor keff unterhalb von 1, 0075. Dann reichen die prompten Neutronenalleine nicht aus, um keff = 1 zu machen. Es sind noch verzögerte Neutronen nötig, um die Kritika-lität des Reaktors durch weiteren Neutronenzuwachs zu erreichen. Somit wirkt sich eine Verstärkung derKettenreaktion nur verzögert aus, was den Reaktor überhaupt steuerbar macht, da genügend Zeit zumNachstellen der Regelstäbe bleibt.

    Der Anstieg der Neutronenflussdichte bei verschieden grosser Reaktivitätszufuhr zeigt Abbildung 1.9.Zur Überwachung der Kernspaltung im Reaktor ermitteln Mess - Sonden Informationen und zeigen sie

    auf der Warte an. Diese Daten werden auch vom Reaktorschutzsystem verarbeitet. Das Reaktorschutzsys-tem überwacht die Messgrössen und steuert die Sicherheitssysteme. Notfalls bewirkt das Reaktorschutz-system eine Schnellabschaltung des Reaktors. Dabei wird beim DWR die elektromagnetische Aufhängungder Steuerstäbe abgeschaltet, die Erdanziehung zieht die Stäbe in ≈ 1, 5 s in den Kern des Reaktors unddie Kettenreaktion kommt zum Stillstand.

    Steuerstäbe werden aus Materialien gefertigt, die einen grossen Absorptionsquerschnitt für thermischeNeutronen haben. Er wird auch Absorberstab genannt. Die gebräuchlichsten Materialien für Steuerstäbesind z.B. nat48 Cd (Cadmium) oder

    115 B (Bor). Für den praktischen Einsatz im Reaktor sind auch die

    mechanischen und chemischen Eigenschaften dieser Stoffe von Bedeutung, sowie ihre Empfindlichkeitgegenüber Strahlung. Auch sind hier wirtschaftliche Aspekte von Bedeutung. Ein Steuerstab ist meisteine stab- oder plattenförmige Anordnung

    Die Zahl der Kernspaltungen kann man nicht direkt messen. Es lässt sich aber an verschiedenenStellen im Reaktor die Neutronenflussdichte φ messen, d.h. wie viele Neutronen pro Zeiteinheit durcheine bestimmte Fläche gehen. Selbst bei abgeschaltetem Reaktor gibt es Neutronen, die z.B. aus demspontanen Zerfall von 23892 U entstehen. Im Ruhezustand beträgt φ etwa 1 · 10−7 Neutronen pro m−2 · s−1.Dieser Wert ist proportional zur Wärmeleistung des Reaktors: Je mehr Kernspaltungen stattfinden, destogrösser ist die erzeugte Energie. Bei voller Reaktorleistung steigt φ um 16 Zehnerpotenzen auf 109. KeinMessgerät kann 16 Grössenordnungen zuverlässig messen, daher gibt es drei Typen von Mess - Sonden,nämlich für den Anfahrbereich, für mittlere und für volle Leistung.

    Um eine Neutronenproduktion zu starten, muss man vor Beginn Neutronen im Reaktor haben. Zumsicheren Anfahren muss die Unterkritikalität des Reaktors bekannt sein. Damit verhindert man, dass er

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 14

    Abbildung 1.9: Anstieg der Neutronenflussdichte bei Reaktivitätsänderungen

    durch ein zu schnelles Ziehen der Steuerstäbe beim Anfahren ungewollt überkritisch wird.Man könnte den Reaktor nun mit den aus der Spontanspaltung stammenden Neutronen anfahren.

    Dies birgt jedoch die Gefahr von prompter Überkritikalität, da bei diesem blinden Anfahren die Neutro-nenflussdichte anfangs schlecht messbar ist. Ausserdem erzeugt der unterkritische Reaktor nicht genügendNeutronen. Daher setzt man zum Anfahren des Reaktors Primär - Neutronenquellen ein. Diese Quellensind über den Kern verteilt eingesetzt, so dass auch nach einem längeren Stillstand der Anlage ein An-fahren des Reaktors aus dem abgeschalteten Zustand mit einer sicheren Neutronenflussanzeige möglichist.

    In einem unterkritischen Kern werden die Neutronen, die aus einer eingebauten Neutronenquelle stam-men, durch weitere Spaltung vermehrt, sog. Neutronenmultiplikation. Ein emittiertes Quellneutron setztkeff Neutronen frei, diese wiederum k2eff Neutronen, etc. Solange keff < 1 strebt die Neutronenzahl dernachfolgenden Generation einem endlichen Grenzwert zu:

    ∞∑n=1

    kneff =1

    1− keff

    Damit:n∞ = n0 ·

    11− keff

    .

    Jedes Quellneutron wird also um den Faktor 11−keff vermehrt. Man spricht von unterkritischer Neu-tronenmultiplikation, da keff < 1. Entfernt man aus der unterkritischen Anordnung die Quelle, geht dieNeutronenzahl wieder auf Null.

    Die Neutronenquellen sind in oder zwischen den Brennelementen angeordnet. In Leistungsreaktorenbestehen sie aus Antimon (121/12351 Sb) und Beryllium (

    94Be) in einer Stahlhülle, wobei in der Mitte eine

    Californium -Kapsel (25298 Cf) sitzt, die sog. Primärquelle. Aus spontaner Spaltung des25298 Cf entstehen

    Neutronen zum ersten Anfahren. In den ersten Betriebsmonaten wird nat51 Sb durch Neutroneneinfangaktiviert, wodurch das radioaktive Isotop 12451 Sb entsteht. Diese wandelt sich durch β

    −-Zerfall in 12452 Te(Tellur) um, welches seine Überschussenergie in Form von Gammastrahlung abgibt. Diese γ’s lösen imBe eine Kettenreaktion unter Aussendung eines Neutrons aus. Dies stellt dann die Sekundärquelle dar.

    Abbildung 1.10 zeigt in Abhängigkeit des Multiplikationsfaktor den zeitlichen Verlauf der Neutronen-flussdichte, die durch unterkritische Neutronenmultiplikation erzeugt wird:

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 15

    Abbildung 1.10: Zeitlicher Verlauf der Neutronenflussdichte

    Man sieht in Abbildung 1.10, dass bei gegebener Quellstärke und gegebenem Multiplikationsfaktorsich der Gleichgewichtszustand umso später einstellt, je geringer die Abweichung vom kritischen Zustandist. Dabei stellt sich das Gleichgewicht bei einer immer höheren Neutronenflussdichte ein.

    Wenn nun durch Massnahmen, die keff vergrössern, erreicht wird, dass keff ≥ 1, so stellt sich keinendlicher Grenzwert mehr ein. Die Neutronenzahl steigt permanent an, vgl. Abbildung 1.10.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 16

    1.2.2.4 Reaktorperiode eines Reaktors

    Für den Reaktoroperateur, Reaktorfahrer genannt, sind Reaktorperiode und relative Flussänderung wich-tige Grössen. Diese muss er beim Anfahren und bei Leistungsänderungen kontrollieren.

    Die stabile Reaktorperiode TS in [s] ist diejenige Zeit, in der sich die Neutronenfluss um den Faktore = 2, 71 ändert. Diese Periodendauer ist positiv bei steigendem, negativ bei sinkendem und unendlichbei konstantem Neutronenfluss.

    Beim gleichmässigen Betrieb ist die Reaktorperiode unendlich, d.h. es dauert unendlich lange, bis sichder Neutronenfluss verdoppeln würde. Typische Werte beim Anfahren des Reaktors liegen zwischen 40und 70 s für eine Verdoppelung des Neutronenflusses φ.

    Wenn die Reaktorperiode zu kleine positive Werte annimmt, der Neutronenfluss also zu schnell steigt,führt das Schutzsystem eine Schnellabschaltung durch.

    Beim Abschalten ist die Reaktorperiode negativ.Die relative Flussänderung ist ein Mass für die Geschwindigkeit, mit der sich der Neutronenfluss

    ändert. Sie ist der Kehrwert der Reaktorperiode in[% · s−1

    ]. Bei einer konstanten relativen Flussänderung

    von 4 % · s−1 vermehrt sich jede Neutronengeneration pro Sekunde um 4 % gegenüber der vorherigenGeneration.

    Beim Anfahren eines Reaktors wird Reaktivität zugeführt durch Ausfahren von Steuerstäben beimSWR oder durch Entzug von Borsäure beim DWR, vgl. Abbildung 1.11.

    Nach jeder Reaktivitätszugabe muss man abwarten, bis die Neutronenflussdichte ihren neuen Grenz-wert erreicht hat, bevor man weitere Reaktivität zuführen darf. So wird ein ungewollt schneller Anstiegder Neutronenflussdichte vermieden. Je näher man dem kritischen Zustand kommt, desto länger dauertes, bis sich die Neutronenflussdichte auf einen höheren Wert stabilisiert hat. Die unterkritische Multipli-kation der Quellneutronen verbessert sich, d.h. der Neutronenfluss-Quellpegel erhöht sich. Der Reaktorist noch unterkritisch.

    Nach einer Reaktivitätszufuhr tritt zunächst der sog. prompte Sprung der Neutronenflussdichte auf.Dann geht der Anstieg der Neutronenflussdichte verlangsamt weiter, vgl. Abbildung 1.11. Dieser steileAnfangsverlauf stammt von den prompten Neutronen, die bei einer Reaktivitätszufuhr zunächst eineschnelle Leistungsänderung bewirken. Da der Reaktor jedoch nicht prompt kritisch ist, kann sich die-ser Verlauf nicht fortsetzen: Die Leistung steigt danach unter dem Einfluss der verzögerten Neutronenlangsamer als vorher an.

    Beim Anfahren wird der kritische Zustand dann erreicht, wenn die Neutronenflussdichte stetig an-steigt, ohne einen erkennbaren Grenzwert anzustreben. Dann bleibt auch die Reaktorperiode ohne wei-tere Reaktivitätszufuhr konstant auf einem endlichen Wert, vgl. Abbildung 1.11. Dies wird mit einerNeutronenquelle realisiert. Im weiteren Verlauf wird nun vom Reaktorfahrer eine positive Periode von 60bis 100 s gehalten. Dann ist der Reaktor leicht überkritisch.

    Im Gegensatz zum Anfahrvorgang wird beim stationären Betrieb der kritische Zustand gehalten, wenndie Neutronenflussdichte konstant und die Reaktorperiode unendlich ist.

    Streng gesehen befindet sich ein Reaktor, der bei konstanter Leistung betrieben wird und eine ein-gebaute Neutronenquelle enthält, im unterkritischen Zustand. Der Einfluss der Quellneutronen ist abervernachlässigbar klein bei hohen Neutronenflussdichten.

    Um den Reaktor kontrolliert betreiben zu können, muss vermieden werden, dass ρ >> 0. Die Neutro-nendichte muss zeitlich konstant gehalten werden, also:

    keff =N2N1

    =φn+1φn

    ≈ 1.

    Es gilt:φn+1 = keff · φn.

    Daraus folgt:∆φ = (keff − 1) · φn.

    Für die zeitliche Änderung der Neutronenflussdichte gilt dann:

    ∆φ∆t

    =(keff − 1) · φ

    t0

    dt=

    (keff − 1) · φt0

    τ

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 17

    Abbildung 1.11: Anfahrvorgang eines Reaktors

    mit der Lösungφ(t) = φ0 · et/τ ,

    wobeiτ =

    t0keff − 1

    und t0 die Lebensdauer einer Generation ist.

    1.2.2.5 Überschuss- und Abschaltreaktivität

    Um einen Reaktor für längere Zeit zu betreiben, muss er eine Reaktivitätsreserve haben. Diese Reservewird Überschussreaktivität genannt. Sie ist der positive Wert der Reaktivität, der beim kritischen Re-aktor mit betriebsüblichen Mitteln, also mit den vorgesehenen Mitteln während des vorschriftsmässigenBetriebs, kompensiert wird. Die Überschussreaktivität ist ein grösserer Reaktivitätswert als zum Errei-chen der Kritikalität eines Reaktors erforderlich ist. Die Überschussreaktivität vermindert sich währenddes Betriebes durch Temperatureinflüsse, Vergiftung durch Spaltprodukte und Abbrand des Spaltstoffs.

    Eine Überschussreaktivität wird bei der Beladung eines Reaktors mit Brennelementen vorgesehen, umden Reaktivitätsverlust durch Abbrand und durch die Ansammlung von Spaltproduktgiften während desBetriebs ausgleichen zu können. Die beim frisch beladenen Reaktor bestehende Überschussreaktivität wirddurch die Stellung der Trimm - und Regelstäbe beim SWR oder den Zusatz von Bor zum Primärkühlmittelbeim DWR ausgeglichen. Die höchste Überschussreaktivität, welche kompensiert werden muss, hat somitder neu beladene, kalte, also der Kern ohne induzierte Kettenreaktion, und unvergiftete Reaktorkern.

    Zur Kompensation der Überschussreaktivität in Leichtwasserreaktoren gibt es folgende Möglichkeiten:

    • Ein abbrennbares Reaktorgift, z.B. nat64 Gd (Gadolinium) oder10,115 B (Bor), ist ein in den Reak-

    tor eingebauter Neutronenabsorber, der durch seinen allmählichen Abbrand den Reaktivitätsver-lust ausgleicht. Im Laufe des Betriebs nimmt der Gehalt der Brennstäbe an spaltbarem 23592 U ab,während der Gehalt an Spaltprodukten steigt. Dadurch steigt die Absorption von Neutronen. Zurlängerfristigen Regelung des Neutronenflusses wird dem Kühlwasser deshalb anfangs viel absorbie-rende Borsäure, ungefähr 0, 15 % des Wassers, hinzugefügt. Je länger der Reaktor in Betrieb ist,desto weiter wird die Konzentration der Borsäure vermindert, bis hinunter zu 0, 001 %.

    • Durch Änderung der Borkonzentration im Kühlmittel beeinflusst man die Reaktivität. Beim DWRwird im Normalbetrieb eine Borierung des Kühlmittels zur Bindung der Reaktivität angewendet.Dies ist ungeeignet für SWR, da sich Bor, welches aktiviert sein kann, in der Turbine und imDampfkreislauf, also im Primärkreislauf, ablagert. Bei der Beherrschung von Störfällen in Leicht-wasserreaktoren ist eine Borierung jedoch eine weitere Möglichkeit.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 18

    • Steuerstäbe binden die Überschussreaktivität, die von den anderen beiden Methoden nicht gebundenwurde. Die Bindung hängt von der Einfahrtiefe der Steuerstäbe in den Reaktorkern ab. Mit denStäben kann die Reaktivität langsam oder schnell, insbesondere bei Störfällen, beeinflusst werden.

    Leichtwasserreaktoren haben bei Beginn eines jeden Betriebszyklus, d.h. Abbrandzyklus der neuenBrennstäbe, eine Überschussreaktivität. Es ist daher nicht nötig, während des Betriebes verbrauchteBrennelemente zu ersetzen. Einmal jährlich wird der Reaktor ausser Betrieb gesetzt, die Elemente werdenausgeladen, umplatziert und gegebenenfalls ersetzt. In dieser Zeit werden auch Installationsarbeiten ander Anlage selbst durchgeführt.

    Abgebrannte Brennelemente haben eine hohe spezifische Aktivität in[

    Bqs

    ]und damit einen hohe

    Wärmeproduktion. Daher lagert man Brennelemente zunächst in einem Wasserbecken im Kernkraftwerk.Wasser nimmt die Nachzerfallswärme auf und schirmt die Strahlung fast vollständig ab. Nach einem Jahrgehen so die Aktivität und damit die Wärmeproduktion auf etwa 0, 1 % der Anfangswerte zurück. Diespezifischen Wärmeleistung und die spezifischen Aktivität von bestrahltem Brennstoff (Spaltprodukte,Aktiniden (Brennstoff), Brennelementhüllen) klingen ungefähr exponentiell ab.

    Ein Reaktor muss bei jedem Betriebszustand sicher abgeschaltet werden können: Dazu muss ihm mitbetrieblichen Mitteln eine negative Reaktivität zugeführt werden können.

    Unter Abschaltreaktivität versteht man die negative Reaktivität des Reaktors, der durch Abschaltungmit betriebsüblichen Mitteln in den unterkritischen Zustand gebracht wurde: Beim Abschalten des Re-aktors ändert sich die Reaktivität negativ. Der Betrag dieser Abschaltreaktivität soll ausreichend grosssei zur Sicherheit gegen ungewolltes Kritischwerden des Reaktors, d.h. man kann dem Reaktor viel mehrReaktivität entziehen als zum Abschalten nötig.

    Die Abschaltreaktivität hängt auch vom Zustand des Reaktors nach der Abschaltung ab, z.B. Einflussvon Temperatureffekten und Vergiftungseffekte. Sie hängt i.A. von der Betriebsweise des Reaktors undder Dauer des abgeschalteten Zustand ab und ist stets negativ.

    Das reaktivitätsbindende Schnellabschaltsystem muss durch rasche Unterbrechung der Kettenre-aktion in der Lage sein, den Reaktor aus jeder Stellung der Steuerstäbe heraus und gegen jeden Betriebs-druck hinreichend schnell unterkritisch und leistungslos zu machen und zu halten. Leistungslos heisst,dass die Spaltleistung im Vergleich zur Nachwärmeleistung vernachlässigbar klein ist. Damit wird dieEnergiefreisetzung im Reaktorkern im wesentlichen auf die Energiefreisetzung durch Zerfall der Spaltpro-dukte reduziert. Damit sollen alle Reaktivitätsstörungen beherrscht werden, die zu schnell sind, um vonder Regelung aufgefangen zu werden.

    Das Schnellabschaltsystem besteht aus neutronenabsorbierenden Steuerelementen, die eine hohe ne-gative Reaktivität haben und die zur Abschaltung des Reaktors schnell in den Kern eingebracht werdenkönnen. Beim DWR fallen die Steuerstäbe von oben unter Ausnutzung der Schwerkraft in den Reaktor,beim SWR werden sie hydraulisch von unten eingeschoben.

    Dabei muss der Reaktor auch dann sicher abgeschaltet werden können, wenn der wirksamste Steuer-stab ausfällt, also nicht in den Kern eingebracht werden kann. Umgekehrt darf ein abgeschalteter Reaktorder kalt und 13554 Xe-frei (Xenon) ist, mit voll eingefahrenen Steuerstäben nicht kritisch werden, wenn einerder Steuerstäbe z.B. zur Inspektion ausgefahren wird.

    Um Störfälle verursacht durch den Ausfall des Schnellabschaltsystems abzudecken, muss eine diver-sitäre Einrichtung zur Abschaltung des Reaktors vorhanden sein, sog. Notabschaltung. Diese mussallein in der Lage sein, den Reaktor aus allen Zuständen des bestimmungsgemässen Betriebs heraus,die keine schnellen Reaktivitätsänderungen erfordern, unterkritisch und leistungslos zu machen, auch beieiner für die Reaktivitätsbilanz ungünstigen Kerntemperatur.

    Bei wassergekühlten Reaktoren besteht die Notabschaltung z.B. aus einem Boreinspeisesystem, dasborsäurehaltiges Wasser in das Reaktorsystem gegen den herrschenden Druck einspeisen kann und somitebenfalls zur Unterbrechung der Kettenreaktion führt.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 19

    1.2.2.6 Reaktivitätskoeffizienten

    Ein Reaktivitäts - Koeffizient bezeichnet die Änderung der Reaktivität ρ bezogen auf die Änderungeiner Prozessvariable, wie z.B. Temperatur, Dichte oder Druck. Ändert sich die Reaktivität z.B. mit derTemperatur, spricht man vom Temperatur - Koeffizienten der Reaktivität.

    Reaktivitäts - Koeffizienten sind massgebend für die inhärente Sicherheit eines Reaktors. Bei einemReaktor werden negative Reaktivitäts - Koeffizienten angestrebt, damit ein ungewollter Anstieg der Neu-tronenflussdichte selbsttätig begrenzt wird.

    Reaktivität - Koeffizienten können prompt, d.h. unverzögert, oder verzögert wirken. Prompt heissendiejenigen Koeffizienten, die mit der Erwärmung des Brennstoffs zusammenhängen. Verzögert nennt mandie Koeffizienten, die durch Erwärmung des Moderators zustande kommen.

    1.2.2.6.1 Brennstofftemperatur - Koeffizient Der Brennstofftemperatur - Koeffizient, dersog. Doppler - Koeffizient, gibt die Abhängigkeit der Reaktivität von der Brennstofftemperatur an.Dieser ist stets negativ, da bei zunehmender Brennstofftemperatur immer mehr Neutronen durch Reso-nanzeinfang im 23892 U verloren gehen, bevor sie eine Spaltung auslösen können, vgl. Abschnitt zum Thema’Brüten’. Der Doppler - Koeffizient ist prompt wirksam. Jede Leistungsänderung bewirkt unmittelbareine Temperaturänderung des Brennstoffs.

    Bei Temperaturen um 0 K sind die Atome in Ruhe. Mit steigender Temperatur nehmen ihre ther-mischen Bewegungen zu. Dann bewegen sie sich beim Durchgang eines Neutrons teils gegen, teils inRichtung des Neutrons. Daher nennt man diesen Koeffizienten auch Doppler - Koeffizienten ähnlich zumDopplereffekt der Akustik. Die Relativgeschwindigkeit zwischen Neutron und Atom streut statistischum die absolute Geschwindigkeit des Neutrons, und zwar je stärker, je höher die Brennstofftempera-tur ist. Diese thermisch bedingten Schwankungen führen zu einer Verbreiterung der Resonanzlinie beimResonanzeinfang. Diese Resonanzverbreiterung verringert die Selbstabschirmung in den äusseren Schich-ten eines Brennstabs, was zu einer Erhöhung der Absorptionswirkung der darunter liegenden Schichtenführt. Dies erhöht somit die gesamte Neutroneneinfangrate. Wichtig hierfür ist, dass man schwer odernicht spaltbare Nuklide im Kernbrennstoff hat, wie z.B 23892 U oder

    24094 Pu (Plutonium), da dieser durch

    die Relativbewegung von Atomen und Neutronen bewirkt wird.

    1.2.2.6.2 Moderatortemperatur - Koeffizient Der Moderatortemperatur - Koeffizient be-schreibt die Abhängigkeit der Reaktivität von der Moderatortemperatur. Im Gegensatz zum promptenDoppler - Koeffizienten tritt der Einfluss des Moderatortemperatur - Koeffizienten auf die Reaktivitätnach einer Leistungsänderung verzögert auf. Zwar ändert die Temperatur im Brennstoff die Neutronen-flussdichte sofort, jedoch dauert die Wärmeübertragung von Brennstoff auf Moderator eine gewisse Zeit.

    1.2.2.6.3 Dampfblasen - Koeffizient Neben diesen beiden Temperaturkoeffizienten ist z.B. fürdie Leichtwasserreaktoren der Dampfblasen - Koeffizient wichtig. Er beschreibt die Änderung derReaktivität bzw. der Wärmeleistung mit dem Dampfblasengehalt. Der Dampfblasengehalt bezeichnetdie Bildung von Dampfblasen in Kühlmittel oder Moderator und ist vom Kühlmitteldruck und vomKühlmitteldurchsatz abhängig.

    Im Betrieb wird der Reaktorkern gekühlt, wobei man einen Teil der abgeführten Wärme zur Stromer-zeugung nutzt. Als Kühlmittel dient meist unter Druck stehendes Wasser, flüssiges Metall oder Gas.Sobald die Kerntemperatur weit genug ansteigt, beginnt das flüssige Kühlmittel zu kochen, wodurchKühlmittel - Gasblasen, also Hohlräume im Kühlmittel, entstehen. Diese Änderung wird durch den sog.Kühlmitteldurchsatz beschrieben. Beim normalen Betriebszustand eines Siedewasserreaktors befindensich Hohlräume im Kühlmittel. Auch Kühlmittelverlust kann zur Bildung von Hohlräumen führen.

    Die Gasblasen zeigen aufgrund ihrer um den Faktor 10−3 geringeren Dichte viel weniger Wirkung alsder flüssige Absorber oder Moderator. In einer Gasblase sind auch weniger Moleküle pro Volumenein-heit vorhanden. Steigt die Anzahl der Dampfblasen im Kühlmittel, bedeutet dies also eine Verringerungder Wirkung des Moderators und des Absorbers. Es werden jetzt zwar weniger Neutronen absorbiert,aber auch viel weniger abgebremst. Die Reaktivität sinkt und die Kettenreaktion kommt bei komplet-tem Kühlmittelverlust, falls vorher keine Kernschmelze eintritt, zum Erliegen. Dadurch ändert sich dieNeutronenbilanz im Kern und die Leistung des Reaktors.Diese Änderung ist direkt proportional zumDampfblasen - Koeffizienten.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 20

    Ein negativer Dampfblasen - Koeffizient bedeutet, dass sich die Reaktorleistung verringert, wennsich in Kühlwasser oder Moderator Hohlräume bilden.

    Wenn bei Störfällen im Reaktor eine Druckabsenkung erfolgt, ist der negativ Dampfblasen - Koeffi-zient reaktivitätsmindernd. Die Reaktivität erhöht sich bei negativem Dampfblasen - Koeffizienten,wenn die Grösse der Hohlräume abnimmt. Dies passiert bei plötzlichem Druckanstieg, wenn versehent-lich Dampfleitungen zum Reaktor abgeriegelt werden. Als Folge des geringen Dampfblasengehalts wirddie Moderation verbessert und die Neutronenflussdichte steigt an.

    Reaktoren mit negativem Dampfblasen - Koeffizient bezeichnet man als inhärent stabil. Günstige Ei-genschaften des Brennstoffs und des Moderators sorgen für eine inhärente Sicherheit des Reaktors: Beisteigender Temperatur werden immer mehr Neutronen vom 23892 U eingefangen und so der Kettenreaktionentzogen. Bei steigender Temperatur nimmt auch die Wirkung des Moderators ab, weil die Wassermo-leküle nicht mehr so dicht gepackt sind. Die entstehenden Neutronen werden weniger abgebremst, eskommt zu weniger Kernspaltungen. So stabilisiert sich das System allein durch die physikalischen Eigen-schaften von natU , bzw. angereichertU und H2O.

    Ein positiver Dampfblasenkoeffizient heisst, dass sich die thermische Leistung eines Reaktorserhöht, wenn sich im Kern Hohlräume bilden, entweder durch Gasblasen im Kühlmittel oder Moderatoroder durch den Verlust von Kühlmittel oder Moderatorflüssigkeit.

    Bei genügend grossem Dampfblasenkoeffizienten und einem nicht ausreichend schnellen Regelsystemkann sich eine positive Rückkopplung ergeben, sodass das gesamte Kühlmittel oder der Moderator inkürzester Zeit verdampfen.

    Dieser Fall trat 1987 beim Reaktorunfall von Tschernobyl in der Ukraine ein, bei dem ein Reaktordes Typs RBMK mit positivem Dampfblasenkoeffizient explodierte. Als Moderator dient bei diesem TypGraphit und nicht zusätzlich das umgebende Kühlwasser.

    Im Reaktor entsteht Wärme. Diese erzeugt im Kühlwasser Dampfblasen, die nicht als Absorber bzw.Moderator wirken. Am Graphitmoderator treffen so mehr schnelle Neutronen auf, die verlangsamt werdenund wiederum die Anzahl der Kernspaltungen ansteigen lassen. Dadurch steigt die Leistung sprunghaftan und damit auch die Menge des verdampften Wassers. Im Kühlwasser befindet sich jetzt eine sehr hoheAnzahl von Dampfblasen.

    Durch Zwischenführen von Absorberstäben wird die Neutronenflussdichte verringert, damit die Ket-tenreaktion nicht ausser Kontrolle gerät. Das geschah beim Reaktor von Tschernobyl nicht schnell genug.Ausserdem verdrängten die vorschriftswidrig ganz ausgefahrenen Absorberelemente beim Einfahren wei-teres Kühlmittel aus dem Kern, was die Reaktivität noch weiter ansteigen liess, anstatt sie zu verringern.

    Nachzerfallswärme entsteht durch den Zerfall der Spaltprodukte in den Brennstäben. Bei einem länge-ren Ausfall der Nachkühlung wird die Temperatur so hoch, dass dadurch eine Schmelze der Brennstäbeeintritt. Durch die erhöhte Brennstofftemperatur wird 23892 U in ein spaltbares Nuklid umgewandelt, daes bei steigender Temperatur einen höheren Resonanzquerschnitt für thermische Neutronen aus Spon-tanspaltungen hat wegen dem Doppler - Koeffizienten. Dadurch konnte eine unkontrollierte und nichtsteuerbare Kettenreaktion wieder in Gang kommen. Diese verursachte in Tschernobyl einen sog. Super-GAU, (Grösster anzunehmender Unfall).

    1.12Reaktoren mit flüssigem Moderator oder Kühlmittel, z.B. Siedewasserreaktoren, haben meist ent-

    weder einen positiven oder einen negativen Dampfblasen - Koeffizienten. Reaktoren mit nichtflüssigemModerator und Kühlmittel haben einen verschwindenden Dampfblasen - Koeffizienten.

    Die Reaktivitätskoeffizienten sind v.a. für das dynamische Verhalten eines Reaktors wichtig. Sie hängenvon der Auslegung der Anlage, z.B. Brennstab, Abmessung des Reaktorkerns, Spaltstoff, Moderator, undvom Betriebszustand der Anlage ab.

    Eine nukleare Explosion in einem modernen Kernkraftwerk in der Schweiz ist physikalisch unmöglich,wenn man die Betriebsvorschriften einhält. Der Gehalt an spaltbarem 23592 U liegt mit 2 % bis 5 % weitunterhalb der für eine Explosion notwendigen Schwelle. Die Anordnung der Brennstäbe, der Regelstäbeund des Moderators Wasser im Reaktor sind so bemessen, dass der Multiplikationsfaktor nur sehr geringüber 1 steigen kann.

    1.2.2.7 Spaltproduktvergiftung

    Ein Reaktorgift ist ein Stoff, der aufgrund seines hohen Absorptionsquerschnitts für Neutronen die Reak-tivität des Reaktors wesentlich vermindert. Spaltprodukte und deren Folgeprodukte sind teilweise Neu-

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 21

    Abbildung 1.12: Dampfblasenkoeffizient

    tronengifte, da sie die Neutronenbilanz langfristig beeinflussen. Das Edelgas 13554 Xe führt schon nachkurzer Betriebsdauer zu einer merklichen Reaktivitätsänderung. Soll der Reaktor im 13554 Xe-Berg wiederangefahren werden, muss durch die Regelungseinrichtung zusätzliche Reaktivität, also ein Teil der nochvorhandenen Überschussreaktivität, frei gegeben werden. Am Ende der Einsatzzeit eines Reaktorkernsist ein Wiederanfahren deswegen nicht möglich, da die im Reaktorkern enthaltene Überschussreaktivitätweitgehend aufgebraucht ist: man muss warten, bis die 13554 Xe-Konzentration abgenommen hat.

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 22

    1.2.3 Neutronenflussdichteverteilung und Leistungsdichteverteilung im Re-aktorkern

    Der Neutronenfluss wird mit Regelstäben aus absorbierendem Material geregelt, die senkrecht zwischendie Brennstäbe geschoben werden, z.B. Stäbe aus einer nat47 Ag -

    nat49 In -

    nat48 Cd - Legierung (Silber Ag,

    Indium In, Cadmium Cd).Die Neutronenflussdichteverteilung soll bekannt sein, um thermische Überlastung von Brennstäben

    zu vermeiden. So kann man einen optimalen Abbrand ermöglichen. Die Neutronenflussdichteverteilungist eine komplizierte dreidimensionale Funktion. Die Neutronenflussdichte nimmt an den Steuerstabposi-tionen und zum Kernrand hin ab. Sie ist auch abhängig von Position der Stäbe und der Verteilung derverschieden stark angereicherter Brennelemente. Sie wird während des Betriebs laufend von Neutronen-flussdetektoren erfasst und im Rechner überwacht.

    Abbildung 1.13: Skizze der Neutronenflussdichte im Reaktorkern

    Abbildung 1.13 zeigt die Neutronenflussdichte für schnelle und thermische Neutronen eines DWR.Man sieht drei Brennstäbe und einen Steuerstab, wobei ein vertikaler Schnitt durch einen kleinen Teildes Kerns dargestellt ist.

    Die thermische Neutronenflussdichte hat ein Maximum zwischen den Brennstäben. Von dort aus fälltsie nach beiden Seiten zu den Brennstäben hin ab, weil im Brennstoff thermische Neutronen absorbiertwerden. Die thermische Flussdichte verschwindet am Steuerstab, da er die thermischen Neutronen absor-biert.

    Die schnelle Neutronenflussdichte zeigt Maxima innerhalb der Brennstäbe. Dort entstehen schnelleNeutronen bei der Kernspaltung. Je weiter sich diese vom Stab entfernen, desto grösser wird die Wahr-scheinlichkeit, dass sie durch den Moderator thermisch gemacht werden. Durch den Steuerstab jedochwird die schnelle Neutronenflussdichte kaum beeinflusst.

    Wird ein Steuerstab in den Kern gebracht, ist seine Reaktivitätswirksamkeit bei kleiner und grosserEintauchtiefe nur wenig von der Eintauchtiefe selbst abhängig, d.h. dort ist sie konstant. Bei mittlererEintauchtiefe ergibt sich aber eine starke Abhängigkeit der Reaktivitätswirksamkeit. Dies bezeichnet manals den S-förmigen Verlauf der Wirksamkeit.

    Unter Wirksamkeit eines Steuerstabes versteht man den Beitrag der Reaktivitätsänderung, welche derSteuerstab beim Ausfahren über die gesamte Ausfahrlänge freisetzt. Die Wirksamkeit eines Steuerstabsbei einer bestimmten Eintauchtiefe hängt ab vom Beladungszustand des Kerns, von der Kühlmitteltem-peratur, beim DWR von der Borkonzentration und beim SWR vom Dampfblasengehalt.

    Die Wirksamkeit von Einzelstäben oder Stabgruppen ist jedoch abhängig von der Eintauchtiefe deranderen Stäbe. Dies nennt man gegenseitige Beeinflussung. Stäbe, die noch weit im Kern eingefahrensind, haben stärkeren Einfluss auf die radiale Neutronenflussdichteverteilung und somit auf die Gesamt-leistung. Stäbe, die weit aus dem Kern ausgefahren sind, haben kaum Einfluss auf die radiale Neutronen-flussdichteverteilung, hingegen stärkeren Einfluss auf die axiale Neutronenflussdichteverteilung. Typischeaxiale Neutronenflussdichteverteilung als Funktion der Einfahrlänge des Steuerstabs zeigt Abbildung 1.14.Dabei ist die Gesamtleistung der Brennstäbe, die dem Steuerstab benachbart sind, erheblich kleiner als beivoll ausgefahrenem Steuerstab. Man sieht, dass beim Verfahren von Steuerstäben ein Leistungsmaximum

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 23

    an der Steuerstabspitze vorhanden ist.

    Abbildung 1.14: Axiale Neutronenflussdichteverteilung im Kern

    Das Einfahren eines Steuerstabs beeinflusst die Gesamtreaktivität und die Leistungsdichteverteilungim Kern. Die Leistungsdichte, d.h. der thermische Neutronenfluss, wird nahe des Steuerstabs abgesenktund in davon entfernten Kernbereichen angehoben. Man berücksichtige diese Leistungsumverteilung stetsbeim Verfahren von Steuerstäben.

    Die Neutronenfluss - Verteilung wird durch die Steuerstabstellung, die Abbrandverteilung im Kern,die Spaltstoffvergiftung, die Moderatordichte bzw. den Dampfblasengehalt beeinflusst. Die axiale Neutro-nenfluss - Verteilung hat im Idealfall einen sinusförmigen Verlauf, vgl. Abbildung 1.14 und ist abhängigvon der Eintauchtiefe des Steuerstabs.

    Die radiale Neutronenflussdichte, vgl. Abbildung 1.15, fällt zum Rand des Kerns hin ab, da dort dieNeutronen aus dem Kern austreten und nur teilweise, v.a aber am Reflektor, zurückgestreut werden. Auchdie radiale Neutronenflussdichte hat im idealen Fall eine sinusförmigen Verlauf. Man sieht in Abbildung1.15, dass die schnelle Neutronenflussdichte ohne merklichen Knick aus dem Reaktor in den Reflektorübergeht. Die thermische Neutronenflussdichte steigt am Übergang zum Reflektor infolge Streuung anund fällt danach ab. Durch den Reflektor wird ein zu starker Abfall der thermischen Flussdichte vermiedenund die radiale Verteilung gleichmässiger.

    Abbildung 1.15: Radiale Neutronenflussdichteverteilung im Kern mit Reflektor

    Die Flussdichte im Brennstab bestimmt Leistung und Abbrand. Während der Fluss den ganzen Kern

  • KAPITEL 1. EINFÜHRUNG 24

    durchsetzt, wird die Leistung überwiegend im Brennstoff erzeugt. Somit gilt je höher die thermische Neu-tronenflussdichte, desto mehr Spaltungen, desto höhere Leistungsdichte und desto höher der Abbrandpro Zeitraum. Die Leistungsdichteverteilung im Brennstab und im Reaktorkern ist proportional der Neu-tronenflussverteilung, welche proportional dem thermischen Fluss und der örtlichen Anreicherung desSpaltmaterials ist.

    Durch Messung des Neutronenflusses kann man auf die Leistungsdichteverteilung im Reaktorkernschliessen. Der Reaktor wird so betrieben, dass im ungestörten Zustand die radiale und axialer Leis-tungsdichte möglichst flach und symmetrisch sind. Dadurch erreicht man im Leistungsbetrieb, dass dieTemperatur der Brennstäbe nicht überschritten wird, sodass diese nicht schmelzen. Leistungsdichteände-rungen können die thermische Brennstabbelastung ändern. Beim SWR wählt man dazu die Beladung so,dass die Anzahl der Steurstäbe möglichst gering ist, die während des Betriebszyklus zu verfahren sind.

    Langfristig werden Unterschiede in der räumliche Leistungsdichte abgebaut, da an Stellen hoher Leis-tungsdichte der Abbrand rascher zunimmt als an Stellen niedriger Leistungsdichte, d.h. die Leistungs-dichteverteilung flacht sich mit dem Abbrand ab.

  • Kapitel 2

    Übungsreaktor AGN-211-P

    Der Übungsreaktor AGN-211-P ist ein sog. Nullenergiereaktor im Gegensatz zu den sog. Leistungsre-aktoren, die zur industriellen Stromerzeugung genutzt werden. Sein Typ heisst ’Offener Swimming-Pool-Reaktor’. Er wurde von der Brüsseler Weltaustellung 1958 gekauft. Seine maximale thermische Nenn-leistung beträgt 2 kW, die wöchentliche Beschränkung liegt bei 30 kWh.

    2.1 Für den Versuch relevante Daten

    2.2 Aufbau

    1, 974 kg 90 % angereichertes UAlx befinden sich am Boden eines Wasserbeckens. Der Spaltstoff istmit Al umhüllt und von einem Reflektor aus Graphit umgeben. Als Kühlmittel dient Wasser, als Mo-derator entmineralisiertes Wasser. Dieses erwärmt sich jedoch fühlbar nur um ≈ 3 ◦C. Der Reaktorwird hauptsächlich zur Bestrahlung von Proben mit maximal 200 kW im ’Glory Beam Hole’ (GH), imzentralen Bestrahlungskanal, genutzt. Im Reaktorpraktikum wurde ebenfalls ein Versuch mit dem Neutro-nenfluss des Reaktors durchgeführt, da man ihn unten öffnen kann und durch ein kleines Loch Neutronenhinauslassen.

    2.2.1 Regelung

    Wir haben einen Grobregelstab aus Cd (Cadmium), einen Feinregelstab aus rostfreiem Stahl und zweiSicherheitsstäbe; einen aus Boral, einen aus Cd.

    2.2.2 Thermischer Neutronenfluss im AGN-211-P

    Der vertikale Verlauf des thermischen Neutronenflusses im Wassertank, also von oben nach unten imRaum, kann durch einen verschiebbaren Fissionszähler gemessen werden.

    Der maximale thermische Fluss im zentralen Bestrahlungskanal wurde bereits früher durch die abso-lute Quellstärkenbestimmung einer Goldfolie gemessen. Abbildung 2.1 zeigt das Ergebnis des vertikalenVerlaufs entlang der z-Achse, der über die Spaltstofflänge approximativ gegeben ist durch:

    φth[cm−2 · s−1

    ]= 1.89 · 1010 · P [kW ] · cos

    (π · Z [cm]

    66

    ),

    wobei P die Leistung in [kW ] hier als Fluss von 3, 78 · 1010 · cm−2s−1 ≡ 2kW und Z die Distanz aufder z - Achse in [cm] ist.

    Abbildungen 2.2 und 2.3 zeigen die Funktion, welche die Neutronenflussdichte im GH approximiert.Die thermischen Flussverteilungen in vertikaler Richtung im Kern werden durch die Aktivität von Cu

    - Draht nach Bestrahlung bestimmt. Die absolute Eichung wird derjenigen des zentralen Bestrahlungsrohrangepasst.

    25

  • KAPITEL 2. ÜBUNGSREAKTOR AGN-211-P 26

    Abbildung 2.1: Vertikale Neutronenflussdichteverteilung im Kern

    Abbildung 2.2: Vertikale Neutronenflussdichteverteilung im Kern

  • KAPITEL 2. ÜBUNGSREAKTOR AGN-211-P 27

    Abbildung 2.3: Vertikale Neutronenflussdichteverteilung im Kern

  • Kapitel 3

    Aufgabe 1: Steuerstabkalibrierung

    Die erste Aufgabe ist ein Versuch zum Thema Steuerstabkalibrierung.

    3.1 Problemstellung Aufgabe 1

    Anhand der Kalibrierung eines Steuerstabes wird die Beeinflussung der Reaktivität beim Einbringeneines Neutronenabsorbers in die Spaltzone quantitativ untersucht. Der theoretische Zusammenhang derBeeinflussung der Reaktivität mit anderen reaktorphysikalischen Grössen wird veranschaulicht.

    28

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 29

    3.2 Theorie zur Aufgabe 1

    3.2.1 Einführung Aufgabe 1

    Von entscheidender Bedeutung für den sicheren Betrieb eines Kernreaktors ist:

    1. Kenntnis der Reaktivitätskennlinien aller Steuer- und Regeleinrichtungen

    2. Kenntnis der maximal verfügbaren positiven Reaktivitätsreserve, der sog. Überschussreaktivität

    3. Kenntnis der Abschaltreaktivität

    Die Reaktivitätskennwerte der Steuer- und Regeleinrichtungen eines Reaktors sind wichtige reaktor-physikalische Parameter und müssen z.B. aus Gründen der nuklearen Sicherheit bekannt sein. Daherist es notwendig, nach dem ersten Erreichen des kritischen Zustandes eines Reaktors und auch nachwesentlichen Änderungen im Aufbau der Spaltzone die Wirksamkeit der Steuerstäbe zu ermitteln.

    Aus der Stellung der kalibrierten Steuerstäbe beim kritischen Reaktor kann z.B. die Überschussre-aktivität bestimmt werden, die das System besitzt. Auch lassen sich Reaktivitätsänderungen, die durchverschieden Ursachen im Reaktor auftreten können, mittels kalibrierter Steuerstäbe leicht angeben, vgl.Aufgabe 2.

    Die Reaktivitätskennwerte der Steuerstäbe können auch theoretisch ermittelt werden. Dies ist jedochein relativ schwieriges Problem, welches nur mit einigen vereinfachenden Annahmen gelöst werden kann.Diese theoretisch berechneten Werte müssen daher experimentell überprüft werden.

    3.2.2 Theoretische Berechnung der Steuerstabkennlinie

    Parallel zur z - Achse der zylindrischen Spaltzone eines thermischen Reaktors wird vertikal ein Neutro-nenabsorber, nämlich der Feinregelstab des AGN, bewegt, wobei der Koordinatenursprung in die Mitte-lebene der Spaltzone liegt, siehe Abbildung 3.1. Dann lässt sich die axiale NeutronenflussdichteverteilungΦz ausdrücken durch:

    Φz = Φz,max · sin(π · zh

    ) (3.1)

    Abbildung 3.1: Skizze des Steuerstabs, der Spaltzone und des Neutronenflusses φ

    Dabei ist h die effektive Höhe der Spaltzone.Durch Einbringen des Absorbers in den Spaltzonenbereich werden dem Spaltprozess Neutronen entzo-

    gen, d.h. die Reaktivität wird vermindert. Der Reaktivitätsverlust, der durch ein differentielles Stabstückder Länge dz verursacht wird, welches sich am Ort z befindet, wird umso grösser, je grösser der Absorp-tionsquerschnitt Σa, je grösser die Neutronenflussdichte Φz am Ort z und je länger das Stabstück dzist.

    Man berücksichtige, dass dem Spaltprozess auch Neutronen durch Oberflächenverluste verloren gehen.Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron im Reaktor bleibt und eine Spaltung verursacht, ist am grösstenfür diejenigen Neutronen, die in der Spaltzone erzeugt werden. Ein Entweichen ist am wahrscheinlichstenin den randnahen Zonen mit niedriger Neutronenflussdichte. Für die Neutronenbilanz ist es unwichtig,

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 30

    an welchem Ort die Neutronen absorbiert werden. Die Neutronen sind jedoch nicht gleichwertig hinsicht-lich ihres Einflusses auf die Reaktivität. Diese sog. Einflussfunktion hat näherungsweise die gleicheOrtsabhängigkeit wie die Neutronenflussdichte, ist also proportional dazu.

    Die Grösse des Reaktivitätsverlusts wird somit durch zwei Effekte bestimmt:

    • Absorption ∝ Σa · Φz · dz

    • ortsabhängige Einflussfunktion ∝ Φz

    Der Gesamteffekt berechnet man durch Multiplikation der Einzeleffekte, da es sich um Wahrschein-lichkeiten handelt:

    dρ ∝ Σa · Φ2z · dz

    Dies ist gleichbedeutend mit:

    dz= C · Σa · Φ2z (3.2)

    Dies ist die Gleichung für die differentielle Steuerstabkennlinie, vgl. Abbildung 3.2.

    Abbildung 3.2: differentielle Steuerstabkennlinie

    Ein Steuerstab, der um ein endliches Stück ∆z = z2 − z1 in den Spaltzonenbereich eingefahren wird,bewirkt eine Reaktivitätsänderung ∆ρ:

    ∆ρ =∫ z2

    z1

    dρ =∫ z2

    z1

    C · Σa · Φ2zdz

    Durch Integration über die Stablänge z liefert die Gleichung für die integrale Steuerstabkennlinieρ(z):

    ρ(z) =∫ z

    0

    C · Σa · Φ2zdz

    Verwende nun die Neutronenflussdichte n wie in Gl. (3.1) beschrieben:

    ρ(z) = C · ΣaΦ2z,max ·∫ z

    0

    sin2(π · zh

    )dz

    Verwende∫

    sin2axdx = x2 −14asin2ax.

    = C · ΣaΦ2z,max ·[12· z − 1

    4πh· sin(2π · z

    h)]z=z

    z=0

    ⇒ ρ(z) = C · Σa · Φ2z,max ·12· z − C · Σa · Φ2z,max ·

    h

    4π· sin(2π · z

    h) (3.3)

    Der maximale Reaktivitätswert, d.h. der Reaktivitätswert des gesamten Steuerstabs, beträgt:

    ρmax = |ρ(z)|max

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 31

    Abbildung 3.3: Integrale Steuerstabkennlinie

    Dies ist der Fall bei voll eingefahrenem Steuerstab, also bei z = h:

    ⇒ ρmax = C · Σa · Φ2z,max ·h

    2.

    Normiert man ρ(z) auf den Maximalwert ρmax, hat die integrale Steuerstabkennlinie den charakteris-tischen Verlauf wie in Abbildung 3.3 gezeigt.

    Die Aufgabe der Steuerstabkalibrierung besteht darin, für die gegebene Versuchsanordnung die inte-grale Steuerstabkennlinie ρ(z) aus Gl. (3.2) experimentell zu bestimmen, vgl. Abbildung 3.3. Dies tunwir anhand der Methode der ’Messung der stabilen Reaktorperiode’.

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 32

    3.2.3 Methoden der Reaktivitätsbestimmung

    3.2.3.1 Zeitverhalten der Reaktorleistung

    Die Bestimmung der Reaktivität erfolgt grundsätzlich über das Zeitverhalten der Reaktorleistung, dasdurch die Erzeugungsraten prompter und verzögerter Neutronen bestimmt wird. Das Zeitverhalten derReaktorleistung nach einer plötzlichen positiven Reaktivitätsänderung, einem Reaktivitätssprung, zeigtAbbildung 3.4. Zur Zeit t = 0 ist 0 < ρ

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 33

    Dies ist die klassische Methode zur Reaktivitätsbestimmung, die im Praktikum durchgeführt wird.

    Der Zusammenhang zwischen der gemessenen stabilen Reaktorperiode und der ge-suchten Reaktivität gibt die sog. Inhour-Gleichung:

    ρ =l∗

    Ts+

    6∑i=1

    βi1 + λi · Ts

    ≈ 1Ts

    6∑i=1

    βiλi︸ ︷︷ ︸

    Ts→∞

    Die Inhour-Gleichung (3.5) leitet sich her aus den reaktorkinetischen Gleichungen her, die sind:

    dn

    dt=

    prompte︷ ︸︸ ︷ρ− β

    l∗· n +

    verzögerte︷ ︸︸ ︷6∑

    i=1

    λi · Ci +Quelle︷︸︸︷

    S

    unddCidt

    =βil∗· n− λi · Ci︸ ︷︷ ︸

    verzögerteNeutronen

    i = 1, ..., 6

    l∗: mittlere effektive Lebensdauer der prompten Neutronenρ: Reaktivitätβi: absoluter Anteil der i-ten Gruppe verzögerter NeutronenCi: Konzentration der Mutterkerne der verzögerten Neutronen der Gruppe iλi: Zerfallskonstante der Mutterkerne der Gruppe i der verzögerter NeutronenS: Neutronenquelle im Reaktor

    n = n(t) = N(t)V

    : Die Neutronendichte ist die Anzahl Neutronen N(t) pro Volumen V

    Dies ist ein Differentialgleichungssystem, für welches sieben verschieden Eigenwerte ωi existieren.Die dazugehörigen Lösungsansätze für ni(t) sind von der Form:

    ni(t) = n0,i · eωi·t

    bzw.Ci(t) = C0,i · eωi·t

    wobei n0,i, C0,i Konstanten sind.

    Die zeitabhängige Neutronendichte n(t) ist also eine Linearkombination dieser sieben Lösungen:

    n(t) =6∑

    i=0

    ni(t) = n0,0 · eω0·t + n0,1 · eω1·t + .. + n0,6 · eω6·t (3.4)

    Die Lösungen ωi sind in Abbildung 3.5 gezeigt.

    Aus der Abbildung 3.5 entnimmt man, dass für eine positive Reaktivitätszufuhr, d.h. ρ > 0, sechsωi-Werte < 0 sind, nämlich ω1, ω2, ...., ω5, ω6. Nur einer der Werte, nämlich ω0, kann positiv sein.Damit klingen diese Terme in Gl. (3.4) rasch ab. Man kann nun schreiben:

    n(t) = n0,0 · eω0·t

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 34

    Abbildung 3.5: Lösungen

    undC(t) = C0,0 · eω0·t

    Dies setzt man in Gl.(3.3) ein und erhält:

    ρ = l∗ · ω0 +6∑

    i=1

    βi

    1 + λiω0

    Daraus erhält man die Inhour-Gleichung:

    ⇒ ρ = l∗

    TS+

    6∑i=1

    βi1 + λi · TS

    , (3.5)

    mit ω0 = 1TS und TS , der stabilen Reaktorperiode.

    Für sehr kleine Reaktivitäten ist die stabile Reaktorperiode sehr gross und in Gl. (3.5) wird imNenner λi · TS >> 1:

    ρ ≈ 1TS

    ·6∑

    i=1

    βiλi

    (3.6)

    Man gibt die Reaktivität bezogen auf den Anteil der verzögerten Neutronen β an, also das Verhältnisρ′ =: ρβ , das wichtig ist bei Untersuchungen des reaktorkinetischen Verhaltens. ρ

    ′ ist eine dimensi-onslose Grösse, wird aber in $ angegeben, wobei 1$ = 100Cent als Unterteilung verwendet wird.

    Mit ρ′ schreibt sich die Inhour-Gl. (6) dann:

    ρ′ =:ρ

    β=

    l∗/β

    TS+

    6∑i=1

    ai1 + λi · TS

    , (3.7)

    wobei ai = βiβ die relative Häufigkeit an der Gesamtneutronenzahl der einzelnen Gruppen i verzöger-ter Neutronen ist.

    Die verzögerten Neutronen teilt man in sechs Gruppen ein. Man kennt über 66 verzögerte Mutter-kerne, meist Zerfallsprodukte des Brennstoffs mit Halbwertszeiten zwischen 0, 12 s und 78 s. Dahererscheinen ihre Zerfallsneutronen ebenfalls verzögert. Für eine genaue Betrachtung der verzöger-ten Neutronen in reaktorkinetischen Berechnungen benötigt man Informationen über alle verzögertemittierenden Kerne, wie z.B. ihre Halbwertszeiten und den Anteil verzögerten Neutronen an derGesamtzahl der emittierten Neutronen der i-ten Gruppe Mutterkerne. Diese Berechnung wird kom-pliziert, da es viele Vorläuferkerne gibt und man nicht für jeden die Halbwertszeit und den Anteilverzögerter Neutronen kennt.

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 35

    Abbildung 3.6: Anzahl verzögerter Neutronen an der anfänglichen Neutronenenergie

    3.6 zeigt den Anteil verzögerter Neutronen für 235U und 239Pu als Funktion der Energie des Neu-trons, welches die Spaltung der Mutterkerne induziert.

    G. R. Keepin schlug eine Methode vor, bei der die verzögerten Neutronen experimentell in Grup-pen bezüglich der Halbwertszeit ihrer Mutterkerne eingeteilt werden. Zur Messung bestrahlt manein Stück Spaltmaterial mit Neutronen. Durch Spaltung bilden sich dann Kerne, die verzögerteNeutronen emittieren. Dies stellt dann eine Quelle für verzögerte Neutronen dar.

    Die Anzahl Spaltungen sei nSp, die Anzahl der Mutterkerne ist dann gegeben durch βi · nSp. DieFunktion Sverz(t) beschreibt den Zerfall diese Kerne in Abhängigkeit der Zeit und somit auch dieEmission der verzögerten Neutronen. Abbildung 3.7 zeigt diese Zerfallskurve Sverz(t), und auchden Zerfall von 8735Br, was ein typischer verzögerter Mutterkern ist. Theoretisch wäre Sverz(t) einekomplizierte Überlagerung aller Zerfälle aller verzögerter Mutterkerne. Nach Keepin kann dieseFunktion durch eine Summe von sechs Exponentialfunktionen approximiert werden:

    Sverz(t) = nSpi=1∑6

    ·βi · λi · e−λi·t,

    wobei βi der Anteil der i-ten verzögerten Neutronengruppe an der Gesamtzahl der Neutronen undλi die Zerfallskonstante der i-ten verzögerten Neutronengruppe ist.

    Die Parameter für die sechs verzögerten Neutronengruppen für Spaltstoffe 23592 U sind in der folgendenTabelle aufgeführt, vgl. auch Tabelle im Kapitel Berechnung der Reaktivität des Feinregelstabs inAufgabe 1.

    Abbildung 3.7: Verzögerte Neutronen

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 36

    Gruppe i Vorläuferkerne Mittlere Energie t1/2 Bruchteil normierter Bruchteilverzögerter verzögerter NeutronenNeutronen ai (Faktor 1.5625)

    1 87Br, 142Cs 0.25 MeV 55.72 s 0.021 0.0332 137I, 88Br 0.56 MeV 22.72 s 0.140 0.219

    3 138I, 89Br, (93,94)Rb 0.43 MeV 6.22 s 0.126 0.197

    4 139I, (93,94)Kr, 143Xe, (90,92)Br 0.62 MeV 2.3 s 0.252 0.3945 140I, 145Cs 0.42 MeV 0.61 s 0.074 0.1166 Br, Rb, As etc. - 0.23 s 0.027 0.042

    Total: 0.64 Total: ≈ 1

    Symbol und Ordnungszahl Name

    35Br Brom

    55Cs Cäsium

    37Rb Rubidium

    53I Iod

    36Kr Krypton

    54Xe Xenon

    16S Schwefel

    33As Arsen

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 37

    3.3 Beschreibung der Aufgabe 1

    1. Ein Steuerstab soll in Abhängigkeit der Stabposition nach der Methode der stabilen Reaktorpe-riode kalibriert werden. Aus den gemessenen Verdoppelungszeiten der Reaktorleistung sollen diezugehörigen stabilen Perioden und damit die Reaktivitätsäqivalente ρ′ nach der Inhour-Gleichung,Gl. (3.7), berechnet werden.

    2. In Abhängigkeit der Stabposition soll die integrale Steuerstablinie grafisch dargestellt werden.

    3. Unter Zuhilfenahme der Kennlinien für den Grobregelstab des Reaktors sollen die Überschussreak-tivität und die Abschaltreaktivität theoretisch ermittelt werden.

    Die Steuerstabkalibrierung besteht darin, für die gegebene Versuchsanordnung ρ(z), die integrale Steu-erstabkennlinie, zu berechnen, vgl. Abbildung 3.3.

    Die Protokolle der Operateur-Studenten sollen enthalten:

    • Kurzbeschreibung des Versuchsablaufs

    • Tabellen der Messwerte mit jeweiliger Angabe des Messfehlers

    • Rechnerische Auswertung und Fehlerdiskussion

    • Grafische Darstellung der der integralen Steuerstablinie

    • Berechnung der Überschussreaktivität und der Abschaltreaktivität aus den Messungen

    3.4 Messung der Aufgabe 1

    3.4.1 Vorbereitungen für das Experiment

    Zur Vorbereitung muss ich die Konstante C in Gl.(3.3) bzw. Gl.(3.4) ermitteln. Dies tue ich, indem ichden Reaktivitätsanstieg zuerst am unterkritischen Reaktor messe. Dann messe ich die Konstante am leichtüberkritischen Reaktor.

    Dazu messen wir die Stossrate in Abhängigkeit der Positionsänderung des Feinregelstabs mit einemeingebauten Fissionszähler, der sich neben dem Kern befindet. Dazu verbinden wir den Ausgang desFissionszählers mit dem PC. Somit können wir über die Karte im PC die Daten direkt in ’Interwinner5.0’ aufnehmen. Die Kanäle werden auf die Zeit geeicht mit der Funktion φ. Wir messen mit einer sog.Dwell Time von 1 s. Pro Kanal werden während dieser Dwell Time (engl. für Verweilzeit) die Stossratedetektiert, dann wird der nächste Kanal gemessen. Je länger jedoch die Dwell Time, desto kleiner diestatistischen Schwankungen bei der Messung der Stossrate.

    Der Reaktor ist während dieser Messung unterkritisch und leistungslos, d.h. die gemessene Neutronenim Fissionszähler stammen lediglich aus der Neutronenquelle.

    Dann bewegen wir den Feinregelstab um eine bestimmte Strecke ∆z. Dann messen wir die Stossra-te: Diese steigt zuerst an. Dies kommt von den prompten Neutronen. Dann konvergiert sie auf einembestimmten Wert, welcher statistisch um einen Mittelwert schwankt. Dieser Wert stellt die Neutronen-flussdichte für den Gleichgewichtszustand zwischen den prompten und den verzögerten Neutronen dar.

    Der Feinregelstab ist vollständig eingefahren, d.h. auf 0 mm, der Grobregelstab vollständig ausgefah-ren, d.h. auf 480 mm. Dann bewegen wir den Feinregelstab von 0 mm nach 50 mm. Dann messen wirdie Stossrate. Dann bewegen wir den Feinregelstab von 50 nach 100 mm, dasselbe wiederholen wir fürdie anderen Positionen. Diese Messung seht aus wie die Neutronenflussdichte beim Anfahrvorgang, vgl.Abbildung 1.11.

    Stabposition n 1/n0 mm 59 counts 0, 01750 mm 61 counts 0, 015100 mm 64 counts 0, 016150 mm 69 counts 0, 014200 mm 82 counts 0, 012250 mm 109 counts 9, 174 · 10−3300 mm 190 counts 5, 263 · 10−3350 mm 907 counts 1, 101 · 10−3

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 38

    Damit haben wir die Konstante C im unterkritischen Bereich des Feinregelstabs bestimmt. Um dieReaktivität im kritischen Bereich des Feinregelstabs zu bestimmen, ohne den Reaktor in den kritischenBereich zu fahren, gehen wir folgendermassen vor:

    Aus einer bereits bestehenden Tabelle für die Reaktivität des Grobregelstabs, siehe Abbildung 3.8,entnehmen wir, dass einer Positionsänderung des Grobregelstabs von 10 cm, also von 480 mm, derobersten Position, nach 380 mm, einer Reaktivitätsänderung von 20 cent entspricht. Wir fahren nunden Grobregelstab 10 cm hinein. Wenn wir dann den Feinregelstab zurück auf 200 mm stellen, ist dieReaktivität des Gesamtsystems wieder bei ≈ −65 cent.

    Abbildung 3.8: Reaktivität des Grobregelstabs

    Nun messen wir wiederum die Stossrate:

    Stabposition n 1/n250 mm 74 counts 0, 014300 mm 99 counts 0, 010350 mm 156 counts 6, 41 · 10−3400 mm 335 counts 2, 8 · 10−3

    Nun benutze ich zu einer weiteren Messung der Stossrate ein BF3-Zählrohr im GH Ost, vgl. Abbildung3.9. Die Einstellungen an der Elektronik sind:

    • Zählrohrspannung: 2050 V

    • Amplifier: Canberra 2010; coarse gain: 30; fine gain: 40 - 50; shaping: 1 µs

  • KAPITEL 3. AUFGABE 1: STEUERSTABKALIBRIERUNG 39

    • Diskriminator: Ortec 553; upper level: 10 V; lower level: 0 - 80 V; Delay: 0

    • Interwinner 5.0: Dwell Time: 1s

    Abbildung 3.9: BF3

    Diese beiden Graphen, für den Fissionszähler und das BF3-Zählrohr jeweils im kritischen Bereich,muss ich mit der axialen Neutronenflussdichteverteilung am Messort eichen, d.h. multiplizieren, da dieMenge der gemessenen Neutronen, die Anzahl counts, proportional zur Flussdichte am Ort des Stabesist, vgl. dazu Abbildungen 3.10 und 3.11.

    Abbildung 3.10: Inverse Stossrate BF3-Zähler am unterkritischen Reaktor

    Der Reaktor wird kritisch für diejenigen Stabposition, an der 1n durch Null geht, vgl. Abbildungen3.12, 3.13 und 3.14. Nun habe ich drei Geraden, deren Steigungen gleich sein sollen. Ich berechne nunden Durchschnitt dieser drei Steigungen Bi:

    C = Btot =B1 + B2 + B3

    3

    =−1.321 · 10−4 ∓ 2, 32 · 10−5 − 1, 095 · 10−4 ∓ 1, 25 · 10−5 − 7.055 · 10−4 ∓ 7, 7 · 10−7

    3

  • KAPITE