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Rechtswissenschaftliches Institut Seite 1 Leistungen bei Krankheit Prof. Dr. iur Thomas Gächter Rechtswissenschaftliches Institut Seite 2 Übersicht I. Zielsetzung des KVG und versicherte Risiken II. Das Leistungsrecht der Krankenversicherung III. Vergütung stationärer Leistungen in der Krankenversicherung IV. Vergütung ambulanter Leistungen in der Krankenersicherung V. Funktion und Bedeutung des TARMED

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Seite 1

Leistungen bei Krankheit

Prof. Dr. iur Thomas Gächter

Rechtswissenschaftliches Institut

Seite 2

Übersicht

I. Zielsetzung des KVG und versicherte Risiken

II. Das Leistungsrecht der Krankenversicherung

III. Vergütung stationärer Leistungen in der Krankenversicherung

IV. Vergütung ambulanter Leistungen in der Krankenersicherung

V. Funktion und Bedeutung des TARMED

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I. Zielsetzung des KVG und versicherte Risiken

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Medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung

(Obligatorium, Solidarität)

Medizinische Versorgung auf hohem Niveau

(Qualität)

Möglichst günstige Kosten(Wirtschaftlichkeit)

Ziele der sozialen Krankenpflegversicherung

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Versicherte Risiken

� Krankheit (und Geburtsgebrechen): Art. 3 ATSG

� Unfall: Art. 4 ATSG

� Mutterschaft: Art. 5 ATSG

Hinweis: Siehe zu Berufskrankheiten Art. 9 UVG, UVV Anhang I

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ATSG

KVG

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II. Das Leistungsrecht der Krankenversicherung

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Allgemeine Leistungsvoraussetzungen

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Versicherte Person

Krankheit i.S. von ATSG 3(oder kv-rechtlich gleichgestellter Tatbestand)

Leistungen gemäss „Leistungskatalog“ (KVG 25 II)

Kein Ausschluss gem. KVG 33

WZW im Einzelfall

Versicherte Person

W?

Gen.W

Gen. W

Ind. W

Tarife Gen. W

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Versicherte Person

Krankheit i.S. von ATSG 3(oder kv-rechtlich gleichgestellter Tatbestand)

Leistungen gemäss „Leistungskatalog“ (KVG 25 II)

Kein Ausschluss gem. KVG 33

WZW im Einzelfall

Versicherte Person

Tarife

Leistungsanspruch gem. KVGKein Anspruch Kein Anspruch

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Quelle: Pascal Coullery, SZS 2003, 379

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Grundlage für WZW: Art. 32 KVG

Art. 32 Voraussetzungen1 Die Leistungen nach den Artikeln 25–31 müssen wirksam, zweckmässigund wirtschaftlich sein. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein.2 Die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen werden periodisch überprüft.

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Umgang mit komplementärmedizinischen Leistungen (I)

Art. 118a Komplementärmedizin

Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin.

(in Kraft seit 17. Mai 2009)

Frage:

Wie kam diese Bestimmung in die Verfassung, was war der Anlass?

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Umgang mit komplementärmedizinischen Leistungen (II)

„Ein Vorschlag für die Neuregelung der Leistungspflicht von komplementärmedizinischen ärztlichen Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP, Grundversicherung) ist in Erarbeitung. Er sieht vor, dass künftig für alle ärztlichen Leistungen das Vertrauensprinzip gilt, und somit die Kostenübernahme der heute befristet aufgenommenen ärztlichen Leistungen der anthroposophischen Medizin der Homöopathie, der Phytotherapie und der traditionellen chinesischen Medizin langfristig gewährleistet wird. Das Inkrafttreten dieser Neuregelung ist per 1. Januar 2017 geplant.“

BAG, 13. Mai 2015

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Umgang mit komplementärmedizinischen Leistungen (III)

Fragen:

� Was bedeutet es für die komplementärmedizinischen Massnahmen (bzw. die Versicherten), wenn die Umsetzung so vorgenommen wird?

� Was bedeutet dieser Schritt für das Leistungssystem der Krankenversicherung?

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Seite 18Seite 18

Offensichtliches Missverhältnis der Kosten zum (krankenversicherungsrechtlich relevanten) Nutzen?

BGE 109 V 41 E. 3

Die Höhe der damit verbundenen Kosten ist ... daher

unbeachtlich, und es kann sich lediglich die Frage stellen, ob

sich eine Leistungsverweigerung unter dem allgemeinen

Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsprinzips

rechtfertigen lässt.

Nach dem Gesagten wäre eine Leistungsverweigerung nur

zulässig, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes

Missverhältnis bestünde.

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Offensichtliches Missverhältnis der Kosten zum (krankenversicherungsrechtlich relevanten) Nutzen?

Behandlungs-kosten

Intensität der Gesundheits-beeinträchti-

gung

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BGE 136 V 395 (Myozyme / Morbus Pompe)

Konkrete Fragen

� Myozyme ist als wichtiges Heilmittel für seltene Krankheiten i.S. von Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG zugelassen, stand (damals) aber nicht auf der Spezialitätenliste

� Myoyme ist das einzige Heilmittel, das bei Morbus Pompe zur Verfügung steht

� Kosten pro Halbjahr: CHF 300‘000

� Die Wirksamkeit in den ersten sechs Monaten ist belegt, darüber Hinaus fehlen Studien

� Verweigerung der Vergütung über sechs Monate hinaus wurde mangels hohen therapeutischen Nutzens vom Bundesgericht geschützt

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BGE 136 V 395 (Myozyme / Morbus Pompe)

Erwägung 7

� Wirtschaftlichkeitsprüfung findet entweder bei Listenaufnahme oder (wie hier) im Einzelfall statt (Art. 32 KVG)

� Verschiedene Zahlen für Kosten pro Lebensjahr, wobei CHF 100‘000 wiederholt genannt wird

� Im konkreten Fall müsste selbst bei hohem therapeutischem Nutzen die Vergütung verweigert werden

� Argumentation mit der Rechtsgleichheit: Die Versicherung könnte nicht allen ähnlich betroffenen Versicherten gleiche Leistungen gewähren.

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BGE 136 V 395 (Myozyme / Morbus Pompe)

Folgerungen

� Bestätigung der Praxis zur Entschädigung von Medikamenten im off-label-use (siehe neu Art. 71b KVV sowie Art. 71a KVV zur Entschädigung ausserhalb der Indikation)

� Entschädigung nur bei hohem therapeutischem Nutzen zur Abwendung einer tödlichen Krankheit oder zur Behandlung einer schweren und chronischen Krankheit

� Grundsätzlich erfolgt die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit mit der Aufnahme auf die Spezialitätenliste; d.h. was dort drauf ist, wird grundsätzlich nach dem Listenpreis entschädigt

� „100‘000 CHF-Regel“ v.a. als Wink an den Gesetzgeber; direkte Wirkung nur bei Leistungen, deren Wirtschaftlichkeit nicht bereits anders überprüft worden ist (Spezialitätenliste etc.)

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Schranken der Wirtschaftlichkeitserwägungen im Einzelfall

� Wirtschaftlichkeitsüberlegungen (Zuteilungsüberlegungen) müssen auf einer höheren als der Einzelfallebene erfolgen. (z.B. in Gesetzen, Verordnungen oder Listen).

� Leistungsverweigerungen im Einzelfall sind aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen nur zulässig, wenn die Rahmenbedingungen hierfür auf höherer Ebene definiert sind.

� „Wirtschaftlichkeit“ i.s.V. Art. 32 KVG ermächtig m.E. NICHT zur Verweigerung von teuren Leistungen, auf die aufgrund des übrigen Leistungsrechts ein Anspruch besteht.

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III. Vergütung stationärer Leistungen in der Krankenversicherung

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Eckpunkte

� Spitalplanung (Art. 39 KVG)

� Pauschaltarife im stationären Bereich (Art. 49 I KVG)

� Neu: Dual-fixe Finanzierung

� Neu: Kantonale Beteiligung bei allen Listenspitälern (d.h. auch bei nicht öffentlichen bzw. öffentlich subventionierten Spitälern)

� Neu: DRG

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Art. 41 KVG (Auszüge I)

1bis Die versicherte Person kann für die stationäre Behandlung unter den Spitälern frei wählen, die auf der Spitalliste ihres Wohnkantons oder jener des Standortkantons aufgeführt sind (Listenspital). Der Versicherer und der Wohnkanton übernehmen bei stationärer Behandlung in einem Listenspital die Vergütung anteilsmässig nach Artikel 49a höchstens nach dem Tarif, der in einem Listenspital des Wohnkantons für die betreffende Behandlung gilt.1ter Absatz 1bis gilt sinngemäss für Geburtshäuser.

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Art 41 KVG (Auszüge II)

3 Beansprucht die versicherte Person bei einer stationären Behandlung aus medizinischen Gründen ein nicht auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführtes Spital, so übernehmen der Versicherer und der Wohnkanton die Vergütung anteilsmässig nach Artikel 49a. Mit Ausnahme des Notfalls ist dafür eine Bewilligung des Wohnkantons notwendig.3bis Medizinische Gründe nach den Absätzen 2 und 3 liegen bei einem Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen nicht angeboten werden:

a. bei ambulanter Behandlung am Wohn- oder Arbeitsort der versicherten Person oder in deren Umgebung;

b. bei stationärer Behandlung in einem Spital, das auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführt ist.

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Ziele der Einführung von DRG

� Transparente und leistungsgerechte Vergütung

� Grundsätzlich Vollkostenprinzip

� Verbesserte Rechenschaftspflicht

� Kostensenkung

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Festlegung von DRG (I)

� Pauschale Abgeltung pro standartisiertem Fall

� Wechsel von Objekt- zu Subjektfinanzierung

� Basis der Tarifstruktur: erhobene Kosten- und Leistungsdaten

� Kostengewicht

– Fallpauschalgruppen, gebildet aus Hauptdiagnosen, Prozeduren, Nebendiagnosen und Komplikationen => Fallmix (Case-Mix)

– Querschnitt (Case-Mix-Index)

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Festlegung von DRG (II)

Seite 30Quelle: Swiss DRG AG, Fallpauschalen in Schweizer Spitälern, Basisinformationen für Gesundheitsfachleute

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Mögliche Gefahren

� Rationierungsmassnahmen?

� Verkürzung der Verweildauer– „blutige Entlassungen“

– Verschiebung der Kosten (Patienten und öffentliche Hand)

� Selektion der Patienten?

� Direkte und indirekte Diskriminierung?

� Insgesamt: Spannungsfeld zwischen therapeu-tischem Ethos und ökonomischen Kriterien (was aber nicht neu ist!)

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IV. Vergütung ambulanter Leistungen in der Krankenversicherung

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Eckpunkte

� Einzelleistungstarif

� Gesamtschweizerische Tarifstruktur (Art. 43 Abs. 5 KVG): TARMED

� Preise der Leistungen ergeben sich aus Tarmed-Punkten und Taxpunktwert

� Taxpunktwert wird zwischen Tarifpartner (Leistungserbringern/Versicherern) vertraglich festgelegt (oder subsidiär von den Kantonen festgesetzt)

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Art. 41 KVG (Auszüge III)

1 Die Versicherten können für die ambulante Behandlung unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen. Der Versicherer übernimmt die Kosten höchstens nach dem Tarif, der am Wohn- oder Arbeitsort der versicherten Person oder in deren Umgebung gilt.

...2 Beansprucht die versicherte Person bei einer ambulanten Behandlung aus medizinischen Gründen einen anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme nach dem Tarif, der für diesen Leistungserbringer gilt.

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Art. 44 KVG (Tarifschutz)

1 Die Leistungserbringer müssen sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine weitergehenden Vergütungen berechnen (Tarifschutz). Die Bestimmungen über die Vergütung für Mittel und Gegenstände, die der Untersuchung oder Behandlung dienen (Art. 52 Abs. 1 Bst. a Ziff. 3), bleiben vorbehalten.2 Lehnt ein Leistungserbringer es ab, Leistungen nach diesem Gesetz zu erbringen (Ausstand), so muss er dies der von der Kantonsregierung bezeichneten Stelle melden. Er hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Vergütung nach diesem Gesetz. Wenden sich Versicherte an solche Leistungserbringer, so müssen diese sie zuerst darauf hinweisen.

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V. Funktion und Bedeutung des TARMED

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Charakterisierung TARMED

� Gesamtschweizerische Tarifstruktur

� In Kraft seit 2004

� Laufende Weiterentwicklung, zZ grössere Gesamtrevision

� Mehr als 4600 Positionen

� Nahezu sämtliche ärztlichen und arztnahen Leistungen in der Arztpraxis und im ambulanten Spitalbereich (nicht aber im zahnärztlichen Bereich)

� Unterteilung in ärztliche Leistungen und technische Leistungen (pro Position)

� Anforderungen an Leistungserbringer (Dignität) als Voraussetzung für Vergütung

� Mischpauschalen aus Zeitbedarf und Aufwand

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Beispiel 1

Quelle: Primary Care 2004;4: Nr. 3–4

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Beispiel 2

Quelle: Primary Care 2004;4: Nr. 3–4

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Kritik

� Relativ schlechte Abgeltung von Grundversorgungsleistungen; jetzt korrigiert durch besondere Pauschalen

� Keine direkte Abbildung von Koordinations- und Betreuungsleistungen bei polymorbiden Patientinnen und Patienten

� Trotz ursprünglich anderer Absicht keine Verkleinerung der Diskrepanz zwischen Spezialistenleistungen und Grundversorgerleistungen