Leitfaden für Thematisches Arbeiten in der … · Zur Begrifflichkeit Gruppe und Team: Von einer...
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Sorge-Werres, Dorothea
Leitfaden für Thematisches Arbeiten in der Gruppensupervision
eingereicht als
Abschlussarbeit im Zertifkatsstudiengang „Supervision und Coaching“
an der
HOCHSCHULE MITTWEIDA (FH)
________________________
UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES
Fakultät Soziale Arbeit
Mittweida, 2014
Erstprüferin: Dr. habil. Traudl Alberg
Zweitprüferin: Dr. Christina Schierwagen
vorgelegte Arbeit wurde verteidigt am
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Inhaltsverzeichnis
Präambel .................................................................................................................... 4
1. Zum Stand des Thematischen Arbeitens in der Literatur .................................... 5
2. Die Bedeutung der Arbeit an einem „Thema“...................................................... 5
3. Was bedeutet Thematisches Arbeiten in der Supervision? .................................. 5
3.1. Selbstthematisierung ....................................................................................... 6
3.2. Fallarbeit........................................................................................................... 6
3.3. Thematisches Arbeiten ...................................................................................... 7
4. Themen in der Supervisionsarbeit ....................................................................... 7
5. Anforderungen an die Arbeit mit einem Thema ................................................. 9
6. Ein Leitfaden für Thematisches Arbeiten .......................................................... 10
6.1. Themenfindung ............................................................................................... 10
6.2. Entfaltung ....................................................................................................... 12
6.2.1. Entfaltung auf der Ebene der Person ....................................................... 13
6.2.2. Entfaltung auf der Ebene der Gruppe ...................................................... 16
6.2.3. Entfaltung auf der Ebene des Themas selbst ........................................... 18
6.2.4. Entfaltung auf der Ebene des Globe ........................................................ 19
6.3. Neubetrachtung ..............................................................................................20
6.4. Transfer ...........................................................................................................22
7. Resümee ............................................................................................................ 23
8. Literaturverzeichnis .......................................................................................... 24
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Sorge-Werres, Dorothea
Leitfaden für Thematisches Arbeiten in der Gruppensupervision
In der vorliegenden Arbeit wird ein Leitfaden vorgestellt, der sich zur Arbeit an The-
men in der Gruppensupervision eignet. Neben einer Einordnung des Thematischen
Arbeitens wird dargestellt, mit welchen Themen Supervisionsgruppen aus den Berei-
chen Jugendamt und Kommunales Jobcenter befasst sind, auf welche Weise diese
Themen Gegenstand der Gruppensupervision werden und wie mit diesen Themen
gearbeitet werden kann. Der Leitfaden ist analog der Phasen der Fallarbeit nach
Busse (2009) entwickelt und orientiert sich an den Eckpunkten der Themenzentrier-
ten Interaktion (Cohn) und berücksichtigt die Ebenen der Person, der Gruppe, des
Themas und des „Globe“ gleichermaßen.
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Präambel
Neben der Fallarbeit und der Selbstthematisierung ist die Arbeit an einem „Thema“
wichtiger Bestandteil meiner supervisorischen Arbeit mit Gruppen und Teams. Die
vorliegende Arbeit basiert auf Erfahrungen in der Arbeit mit insgesamt zehn festen
Gruppen bzw. Teilteams, die in folgenden Bereichen beruflich tätig sind: Adoptions-
vermittlung, Allgemeiner Sozialer Dienst, Amtsvormundschaften, Fachaufsicht für
Kindertagesstätten, Jugendhilfe im Strafverfahren, Kinderpflegedienst, Kommuna-
les Jobcenter. Ich arbeite mit den Mitarbeiterinnen und z.T. auch den Teamleiterin-
nen regelmäßig in monatlichen Supervisionssitzungen á 120 min.
Zur Begrifflichkeit Gruppe und Team: Von einer Gruppe spreche ich dann, wenn an
der Supervision Beschäftigte aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen teilnehmen.
Von einem Team spreche ich, wenn alle Anwesenden aus einem Arbeitsbereich
kommen, wobei ich in diesem Fall (aus arbeitsorganisatorischen Gründen) z.T. nur
mit Teilteams arbeite.
Zur Schreibeweise: Für die bessere Lesbarkeit nutze ich in dieser Arbeit ausschließ-
lich die weibliche Form. Männer sind jedoch in gleicher Weise angesprochen.
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1. Zum Stand des Thematischen Arbeitens in der Literatur
In der einschlägigen Supervisionsliteratur gibt es bislang keine mir bekannte Ausar-
beitung zum Thematischen Arbeiten.
Selbst Gotthardt-Lorenz (1999), die in ihrem Artikel die ihr relevant erscheinenden
Aspekte der Supervision beschreibt, welche für die Begründung der verschiedenen
Ausprägungen der Methode Supervision sind, erwähnt Fall-, Leitungs- und Teamsu-
pervision, nicht jedoch das Thematische Arbeiten innerhalb der Methode, obgleich
sie die Aktualisierung beruflicher „Themen“ für die Zielrichtung der Supervision als
relevant einstuft.
Es erscheint mir deshalb sinnvoll, einen Entwurf für das Thematische Arbeiten in der
Supervision zu formulieren und die Möglichkeiten dieses Ansatzes aufzuzeigen.
2. Die Bedeutung der Arbeit an einem „Thema“
In der Literatur zur Gestalttherapie wird die Bewusstheit des „Themas“ als Katalysa-
tor für den Beginn eines intrapsychischen Veränderungsprozesses betrachtet. Defi-
niert wird ein „Thema“ hier als „(…) die exakte und positive Beschreibung des zu ei-
nem bestimmten Moment gegebenen konkreten Bedürfnisses einer Person sowie
der speziellen Art und Weise, wie diese Person die Befriedigung des Bedürfnisses
vermeidet.“ (Staemmler & Bock, 1991, S. 129). Betrachtet man die supervisorischen
Arbeit immer auch als Chance für die Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen
im Zusammenspiel mit der Ausübung der professionellen Rolle, kann dies im Rah-
men des Thematischen Arbeitens gelingen. Denn das „Thema“ weist hin auf ein Un-
gleichgewicht, das als solches spürbar wird und zu einer Wiederherstellung des
Gleichgewichts in Form einer Bedürfnisbefriedigung drängt. (Vgl. ebd. S. 129) Aus
dieser Perspektive betrachtet, ist der supervisorische Blick immer auch auf die von
den Supervisandinnen (Svdn) mehr oder weniger explizit formulierten Bedürfnisse zu
richten, um die durch das „Thema“ offensichtlich gewordene Spannung zu lösen.
3. Was bedeutet Thematisches Arbeiten in der Supervision?
Zunächst möchte ich das Thematische Arbeiten von der Selbstthematisierung und
der Fallarbeit abgrenzen. Rappe-Giesecke (2009) spricht hier von „Programmen“, die
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sie anhand ihrer Funktionen unterscheiden, welche sie für die Supervision sowie für
das Team haben.
3.1. Selbstthematisierung
Die Selbstthematisierung rückt die Zusammenarbeit, Beziehungen und aufeinander
bezogenen emotionalen Erlebniswelten der in der Supervisionssitzung Anwesenden
in den Fokus. Dabei kann es sowohl um Aspekte gehen, die im Zusammenhang mit
der Arbeit in der Supervision entstehen (z.B. Konflikte innerhalb der Supervisions-
gruppe, Arbeitsweise im Rahmen der Supervision) als auch um solche, die das Mit-
einander des Teams oder der Gruppe im Arbeitsalltag betreffen (z.B. Beziehungsstö-
rungen, Rollen im Team). Ziel ist „die wiederhergestellte störungsfreie Arbeitsat-
mosphäre in der Gruppe“ (Rappe-Giesecke, 2009, S. 104) für die Supervisionssitzung
selbst. Rappe-Giesecke sieht in der Selbstthematisierung „eine Art Reparaturme-
chanismus für die Arbeit in (…) anderen Programmen“ (ebd., S. 109). Ziel ist aber
auch eine Klärung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf ein pro-
fessionelles und kollegiales Miteinander und das Herstellen der dafür erforderlichen
Vereinbarungen.
3.2. Fallarbeit
In einem Fall „(…) wird ein Orientierungs- und Handlungsproblem eines oder mehre-
rer Subjekte offenbar, welches professioneller Bearbeitung bedarf (…)“ (Busse,
2009). Das hier angesprochene Problem wird in der Fallarbeit anhand eines konkre-
ten Ereignisses oder einer spezifischen Konstellation im Arbeitszusammenhang
deutlich und auch in Hinblick auf diese(s) besprochen und wenn möglich gelöst. Da-
bei kann es sich z.B. um die Klientin der Supervisandin und die Psychodynamik der
professionellen Beziehung als „Fall“ handeln. Ziel ist die „Verbesserung der berufli-
chen Kompetenz der Supervisanden im Umgang mit ihren Klienten.“ (ebd., S. 107).
Dazu werden bei der Fallarbeit einzelne Fälle bearbeitet, welche den Falleinbringe-
rinnen Schwierigkeiten bereiten. Es geht hier also um die professionellen Beziehun-
gen mit Dritten jenseits der in der Supervision Anwesenden, meistens denen zwi-
schen Professionellen und Klientinnen, aber auch zu anderen Helfersystemen.
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3.3. Thematisches Arbeiten
Beim Thematischen Arbeiten geht es um fallübergreifende Themen aus dem Ar-
beitskontext der Supervisandinnen (Svdn), mit denen sie sich im Zusammenhang mit
der Aufgabenerfüllung und in Hinblick auf die Erfordernisse der Organisation ausein-
andersetzen, um diese zu erfüllen.
Ein Thema in diesem Sinne ist oft mit inneren Widersprüchen behaftet. Es hat die
Qualität eines inneren Hin- und Hergerissenseins, das keine „einfache“ Lösung er-
möglicht sondern der Auseinandersetzung bedarf, wie z.B. der Umgang mit Nähe
und Distanz zu Klientinnen. Es geht auch um den Umgang mit wiederkehrenden Er-
eignissen und Situationen, die als belastend empfunden werden und die sich nicht
lösen oder vermeiden lassen, sondern wo die dem „Fall“ innewohnende Erlebnisqua-
lität bearbeitet wird. Ein Beispiel wäre der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung
zu Jugendlichen, die brutale Straftaten begangen haben. Die Arbeit an einem Thema
ist somit eng verbunden mit der Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Hal-
tung und den damit verbundenen Gefühlen und Bedürfnissen. Der Schwerpunkt
Thematischen Arbeitens ist folglich nicht in erster Linie die Problemlösung wie in der
Fallarbeit, sondern das Herbeiführen einer inneren Klärung oder Erleichterung, die in
der Gruppensupervision durch den Austausch über die Erlebnis- und Bewertungsfa-
cetten des Themas herbeigeführt werden kann. Im Idealfall werden sich die Svdn
auch ihrer unerfüllten Bedürfnisse bewusst und finden für sich einen Weg, diese zu
erfüllen.
Im Thematischen Arbeiten findet somit eine Verbindung statt zwischen individueller
und personenbezogener Auseinandersetzung einerseits, wie sie Schwerpunkt der
Fallarbeit ist, und einer gemeinsamen bzw. geteilten Bearbeitung des Reflexionsge-
genstandes in der Gruppe, wie sie sich in der Selbstthematisierung wiederfindet.
4. Themen in der Supervisionsarbeit
An dieser Stelle möchte ich die Themen benennen, welche mir in der Arbeit mit den
o.g. Zielgruppen begegnen und daraus die Bedeutung für deren Bearbeitung ablei-
ten:
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Arbeitsmotivation: Wie kann ich mich angesichts der Aussichtslosigkeit meiner
Bemühungen weiterhin für meine Arbeit motivieren?
Arbeitsüberlastung: Wie kann ich damit umgehen?
Gruppe vs. Individualität: Wie finde ich für mich eine Balance, mit der es dem
Team und mir gut geht?
Druck (von außen) vs. eigener Anspruch: Wie kann ich beidem gerecht werden?
Hilflosigkeit und Resignation vs. Kampfgeist und aggressives Auftreten: Wie gehe
ich mit Umständen um, die ich nicht länger hinnehmen kann?
Qualität vs. Effizienz: Wie kann ich fachlich gute Arbeit leisten und trotzdem die
Fülle an Aufgaben erfüllen?
Mitmensch vs. Profession: Wie kann ich als Mitmensch in meiner professionellen
Rolle handeln obwohl ich als Mitmensch anders fühle?
Nähe vs. Distanz: Wie kann ich professionelle Distanz wahren und gleichzeitig das
nötige Einfühlungsvermögen und Engagement zeigen?
Ökonomie vs. Fürsorge: Wie kann ich unter dem ökonomischen Druck überhaupt
meiner Pflicht gegenüber den Kindern gerecht werden?
Professionalität vs. Bauchgefühl: Wie gehe ich mit Widersprüchen um oder verei-
ne sie?
Professionelles Selbstverständnis: Hin- und Hergerissen sein zwischen formalen
Anforderungen vs. der Arbeit mit dem Menschen.
Selbst- vs. Fremdbestimmung: Wie kann ich angesichts „unsinniger“ Vorschriften
und Regeln zu meiner Arbeit stehen?
Selbstsorge: Für andere da sein ohne mich zu verausgaben.
Sinnfrage: Worin besteht eigentlich der Wert meiner Arbeit?
Umgang mit Unsicherheit: Wie gehe ich mit Führung um, die nicht führt?
Wertschätzung bzw. Mangel an Wertschätzung: Wie kompensiere ich mangelnde
Wertschätzung oder woher beziehe ich sie?
Zwischen den Stühlen: Wie komme ich als Leiterin mit der „Sandwichposition“
zurecht?
Die Aufzählung zeigt, wie breit das Spektrum innerer Widersprüche ist bzw. auf-
grund welcher äußerer Gegebenheiten diese empfunden werden. Gleichzeitig wird
deutlich, wie grundlegend die Themen für erfolgreiche Arbeit in den genannten Ar-
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beitsumfeldern sind. Eine systematische Bearbeitung der Themen ist somit vielver-
sprechend auch im Hinblick auf das persönliche Wohlergehen der Svdn bzw. der In-
tegration ihrer Bedürfnisse in ihre professionelle Tätigkeit.
5. Anforderungen an die Arbeit mit einem Thema
Ausgehend vom Anspruch an die Supervision als Klärungshilfe, kann die Themati-
sche Arbeit zweierlei leisten: Zum einen kann sie die individuelle, personennahe
Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen mit dem Ziel der Selbstreflexion
und Verortung hinsichtlich der im Thema enthaltenen Widersprüchlichkeit. Dabei
werden die eigenen Bewertungsmuster, Perspektiven und Verhaltenstendenzen be-
leuchtet, in Frage gestellt und einer Veränderung zugänglich gemacht. Hier geht es
also für jede Einzelne um die Frage, wie sie das Thema erlebt und damit umgeht. Al-
leine aus dieser Richtung betrachtet besteht hier die Gefahr, dass als unbefriedigend
empfundene „Lösungen“ leicht als persönliche Unzulänglichkeit gewertet werden
nach dem Motto: „Wenn ich nur den richtigen Dreh raus habe, stellt das Thema für
mich auch kein Problem mehr da.“
Der zweite Aspekt Thematischen Arbeitens sollte es daher ermöglichen, das Thema
aus einer personenfernen, allgemeineren und distanzierteren Perspektive zu Be-
trachten und die darin enthaltene „Themenqualität“ jenseits eigener persönlicher
Anteile zu erkennen. Hier wird also der Frage nachgegangen, welche Widersprüche
im Thema selbst enthalten sind, womit es sich auseinanderzusetzen gilt und die
Grenzen der „Lösbarkeit“ (an zu) erkennen. Damit eröffnen sich wiederum Chancen
für die Gruppe, die über die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten hinausgehen:
Die Svdn können sich darüber austauschen, wie sie als Gruppe zu dem Thema stehen
und welche Auswirkungen das auf die eigene Arbeit hat. In Teams ist die Wirkung
dessen noch viel weitreichender, da sie auch im gemeinsamen Arbeitsalltag zum
Tragen kommen kann.
Die Anforderungen an das Thematische Arbeiten lauten also, sowohl für jede Einzel-
ne einen Erkenntnisprozess auf individueller Ebene zu ermöglichen als auch ein kol-
lektives Verständnis des Themas selbst zu erlangen auf eine Weise, die für die Svdn
gewinnbringend ist in Hinblick auf die Stärkung ihrer professionellen Rolle und die
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Entwicklung von Handlungs- bzw. Bewertungsalternativen für die Aufgabenbewälti-
gung.
6. Ein Leitfaden für Thematisches Arbeiten
Im Folgenden beschreibe ich einen Leitfaden für das Thematische Arbeiten, mit dem
ich versuche, die individuelle wie auch die kollektive Auseinandersetzung mit dem
Thema fruchtbar zu machen. Ich beschreibe dabei sowohl meinen Weg hin zu die-
sem Leitfaden als auch Erfahrungen aus der Praxis bei dessen Anwendung, indem ich
methodisches Vorgehen und Praxisbeispiele darstelle.
Vorab soll eine Gegenüberstellung mit den Phasen der Fallarbeit nach Busse (2009)
den Ablauf und die Analogie zur Fallarbeit aufzeigen:
Tab. 1: Gegenüberstellung der Phasen des Thematischen Arbeitens und der Fallarbeit nach Busse (2009)
6.1. Themenfindung
Wie kommt es zur Arbeit an einem Thema? Zu Beginn jeder Supervisionssitzung er-
halten die Svdn die Gelegenheit, sich zu ihren Anliegen zu äußern und sich mit ihrem
derzeitigen Befinden mitzuteilen. Aus dieser Anfangsrunde gehen die Schwerpunkte
für die Supervisionssitzung hervor. Ich erlebe selten, dass eine Gruppe direkt das An-
liegen äußert, an einem Thema arbeiten zu wollen. Viel häufiger kommt es auf fol-
genden Wegen dazu, dass sich die Gruppe auf die Arbeit an einem Thema einigt bzw.
sich das Thema zur Bearbeitung „aufdrängt“:
Phasen des Thematischen Arbeitens Phasen der Fallarbeit nach Busse (2009)
1. Themenfindung 1. Initial- und Aushandlungsphase
2. Entfaltung 2.1 Auf der Ebene der Person 2.2 Auf der Ebene der Gruppe 2.3 Auf der Ebene des Themas selbst 2.4 Auf der Ebene des Globe
2. Präsentationsphase
3. Neubetrachtung 3. Analysephase
4. Transfer 4. Ableitungs- und Sicherungsphase
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Eine Supervisandin (Svd) schildert einen Fall und anderen Svdn fallen dazu ähnli-
che Fälle ein. Es wird herausgearbeitet, was die Fälle miteinander verbindet und
für welches dahinterliegende allgemeinere Thema diese ein spezieller Fall sind.
In der Schilderung der Svdn über die aktuelle Arbeitssituation fallen wiederholt
Begriffe, die auf eine ähnliche Erlebnisqualität und ein gemeinsames Thema hin-
weisen. Das Thema wird von den Svdn auf Nachfrage („Was haben Sie gehört?“,
„Womit ist diese Gruppe gerade beschäftigt?“) herausgearbeitet oder von mir ge-
spiegelt („Ich habe häufig den Begriff Absurdität gehört. Was bedeutet das für
Sie?“)
Weniger die Wortwahl als vielmehr die Art und Weise, wie erzählt wird fällt mir auf
und ich gebe dies als Spiegelung in die Gruppe zurück, welche als Thema aufge-
griffen wird („Ich empfand diese Runde langsamer als sonst und erlebe Sie heute
müde und erschöpft.“ Thema: Erschöpfung).
Bei einer Fallschilderung deutet sich an, dass die damit verbundene Fragestellung
von allgemeinerer Natur ist und es lässt sich das zugrundliegende Thema heraus-
arbeiten, welches diesen Fall zum Fall gemacht hat, z.B. Umgang mit persönlicher
Nähe zur Klientin.
Nach einer Fallbearbeitung wird deutlich, dass andere Svdn mit ähnlichen Fällen
zu tun haben, die sie z.B. aufgrund vergleichbarer Unsicherheit beschäftigen.
Aktuelle Anlässe, z.B. ein Gruppenmitglied wechselt den Arbeitgeber, Abschied
einer Kollegin in den Ruhestand oder Jahreswechsel können Themen wie „Ar-
beitsmotivation“, „Arbeitserfolge“ oder „Sinnhaftigkeit“ in den Vordergrund rük-
ken.
Beispiel „Druck“: Die Svdn haben zu Beginn der Supervision ein Bastelstäbchen er-
halten, das sie nun in eine Form bringen, welche darstellt, was sie beschäftigt. Bevor
sie sich selbst dazu äußern, erhalten Sie von den anderen Svdn ein Feedback, wie die
entstandene Form auf sie wirkt. Nachdem alle Svdn ihr „Gebilde“ erläutert haben,
reflektiert die Gruppe, welche Gemeinsamkeit sich daraus ergibt: Druck, der sich aus
äußeren Anforderungen ergibt (Zeitvorgaben, Regeln, Vorschriften) im Zusammen-
spiel mit dem Wunsch, mehr Selbstbestimmung zu erlangen.
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Nachdem das auf diese Weise identifizierte Thema benannt ist und sich die Gruppe
darauf geeinigt hat es zu bearbeiten, geht es darum, das Thema zunächst zu „entfal-
ten“. Dabei kann es hilfreich sein, das Thema auf eine Karte zu schreiben und diese in
die Mitte des Stuhlkreises zu legen. Die Karte kann als Anker dienen und erleichtert
es, die Ausführungen der Svdn immer wieder darauf zurückzuführen. Ich habe es
aber auch schon erlebt, dass die Svdn von diesem Wort so „hypnotisiert“ waren, dass
wir uns entschieden haben, die Karte aus der Mitte zu nehmen. Im Prozess stellte
sich dann heraus, dass das Thema durch diesen Schritt mit unterschiedlichen Begrif-
fen belegt werden konnte, welche die im Thema enthaltenen Nuancen zum Vor-
schein brachte. Beispiel Wut: Es war nicht allen Svdn möglich, über ihre Wut zu spre-
chen, obgleich sie berichteten, diese zu empfinden. Stattdessen sprachen sie über
Hilflosigkeit, Angst und dem Wunsch nach Rache, was ihnen aber erst möglich war,
nachdem sie sich vom Begriff der „Wut“ lösen konnten. Schritt für Schritt näherten
sie sich ihrer Wut dann doch noch an.
6.2. Entfaltung
Unter „Entfaltung“ verstehe ich eine Art Bestandsaufnahme, eine Feststellung des-
sen, was es mit dem Thema für die Svdn einzeln und für die Gruppe als Ganzes auf
sich hat. Dies geschieht in einem Wechsel zwischen der Darstellung durch die Svdn
und der Resonanz der Gruppe darauf. Meine Aufgabe als Supervisorin (Sv) ist es, die
Entfaltung mit Fragen anzuregen, um die Darstellung vielseitig und in allen Facetten
zu ermöglichen. Was aber bedeutet „in allen Facetten“?
Ich wähle hier das TZI-Dreieck von Ruth Cohn als Orientierungshilfe, weil es mir ge-
eignet erscheint, die Vielschichtigkeit des Thematischen Arbeitens im Blick zu behal-
ten. Cohn (vgl. Langmaak, 1994, S. 15 ff) richtet dabei den Blick auf drei Ebenen: Das
Ich (jede Person für sich), das Wir (die Interaktion untereinander) und das Thema (die
gemeinsame Sache, das gemeinsam zu bearbeitende Thema). „Diese aufeinander
bezogenen Schwerpunkte (…) werden hineingestellt in das jeweils konkrete Umfeld
von Zeit und Situation, in den Globe.“ (ebd., S. 15). Mit der Perspektiv des Globes
wird die Arbeit am Thema in einen größere Kontext gestellt, welcher sich in der su-
pervisorischen Arbeit z.B. als organisationaler, struktureller oder politischer Hinter-
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grund, Gesetzen, Erwartungen der Öffentlichkeit etc. zeigt und die das Erleben so-
wie die Reflexion auf den anderen Ebenen maßgeblich beeinflusst.
Welche Aspekte können auf den genannten Ebenen betrachtet werden und wie kann
die Sv deren Entfaltung befördern?
Langmaak (ebd., S. 62 ff) beschreibt vier Schritte zum Entwickeln des Themas:
a) Was ist mein eigener Bezug zum Thema? Was bedeutet es für mich?
b) Wie setze ich das Thema und seine Bearbeitung mit dem bisherigen und dem
künftigen Prozess der Gruppe in Beziehung?
c) Welches sind die Möglichkeiten und Grenzen, die zur Bearbeitung des Themas
zur Verfügung stehen?
d) Wie starten wir mit dem Thema einen lebendigen Prozess?
Diese Schritte finden sich im Folgenden in leicht abgewandelter Form wieder.
6.2.1. Entfaltung auf der Ebene der Person
Ausgehend vom Ziel der individuellen Auseinandersetzung mit dem Thema, bedeu-
tet die Entfaltung auf der Ebene der Person zunächst, persönlich mit dem Thema in
Kontakt zu kommen und sich damit in Beziehung zu setzen. Die Svdn präsentieren
hier ihre „offene Gestalt“, so dass ich als Sv an dieser Stelle einen Eindruck vom
„Leidbefund“ der einzelnen Svdn bekomme und deren „Urzentrierung“ (Busse, 2009)
erfasse.
Dazu gehört zum einen der inhaltliche Bezug. Die Leitfrage ist: Was hat das Thema
mit mir zu tun und was bedeutet es für mich? Die Fragen zielen darauf ab, den per-
sönlichen Bezug der Svdn zum Thema herzustellen mit dem Ziel, eine erste Annähe-
rung zu schaffen.
Daneben ist das emotionale Erleben von Bedeutung. Hier geht es einmal um die Er-
lebnisqualität: Wie geht es mir mit dem Thema und wie erlebe ich es? Was bewegt
mich dabei? Worunter leide ich? Welches Bedürfnis ist hier unerfüllt? Aber auch um
die Intensität, mit der diese empfunden wird: Wie nah / fern ist mir das Thema?
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Auch die Bewertung des Themas spielt eine Rolle: Was denke ich darüber? Wie be-
werte ich das Thema für mich? Welche Bedeutung hat es für mich persönlich und in
meiner Arbeit?
Zur Entfaltung gehören auch die gescheiterten Bewältigungsversuche der Svdn: Wie
gehe ich derzeit mit dem Thema um? Auf welche Weise versuche ich, damit klarzu-
kommen? Was gelingt mir (noch) nicht ausreichend?
Das Ergebnis der Entfaltung auf der individuellen Ebene ist die Erkenntnis, dass das
Thema von jeder anders erlebt wird und auch in individuell unterschiedlichen konkre-
ten Arbeitssituationen als belastend empfunden wird. Während z.B. bei einer Svd die
Selbstsorge besonders schwierig erscheint wenn kurz vor Feierabend noch ein „drin-
gender“ Anruf eingeht, fällt es einer anderen schwer abzuschalten und die Klientin-
nen gedanklich nicht mit nach Hause zu nehmen. Auch findet eine Differenzierung
des Themas dahingehend statt, dass deren Erlebnisqualitäten deutlich voneinander
unterschieden werden können. So ist Hilflosigkeit nicht gleich Hilflosigkeit und Ag-
gression nicht gleich Aggression.
Die rein rationale Selbstexploration ist für die Svdn oft schwierig oder sie erscheint
einseitig und wenig facettenreich. Ich nutze deshalb unterschiedliche methodische
Zugänge, um den Svdn die Entfaltung zu ermöglichen:
Darstellung des Themas als Symbol. Den Vorzug der Arbeit mit Symbolen be-
schreibt Witte (2004, S. 149) so: „Das Symbol ermöglicht gleichzeitig fühlende Nähe
und reflektierende Distanz und bringt die SupervisandInnen und den Prozess da-
durch in Bewegung.“ Insbesondere wenn die Ambivalenz zwischen Denken und Füh-
len wahrgenommen aber nicht zugelassen wird und zu innerer Zerrissenheit führt,
kann es „eine Erlösung sein und zu einem inneren Annehmen führen, wenn die Am-
bivalenz sichtbar im Raum steht damit als Realität erkennbar ist.“ (Witte, 2004,
S. 36)
Die Svdn wählen dafür jede für sich einen im Raum befindlichen Gegenstand, der das
Thema für sie repräsentiert oder sie erhalten von mir eine Auswahl an Bildkarten, aus
denen sie wählen können oder ein Bastelstäbchen (bunter Pfeifenreiniger) bzw. Seil,
das sie in einer Weise verformen können, die ihrem Empfinden entspricht. Möglich
ist auch eine Darstellung als Geste bzw. Skulptur. Nun können die Svdn entweder ihr
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Symbol beschreiben und sich darüber an verschiedene Facetten des Themas annä-
hern. Sie können auch aus der Identifikation mit einem Gegenstand berichten, wie
sie (als Thema) auf die Svdn einwirken. Beispiel: „Druck“: Die Svdn wählen einen Ge-
genstand, der für Sie Druck repräsentiert (zum Vorschein kommen z.B. Terminka-
lender, Handy, Arbeitstasche). Die Svdn sprechen in Ich-Form, wie sie als Gegen-
stand der Besitzerin Druck machen. Eine Svd identifiziert sich mit ihrem Terminka-
lender und berichtet, dass sie Druck ausübt auf ihre Besitzerin, indem sie viele kleine
Klebezettel mit Aufgaben beinhaltet, die niemals abgearbeitet werden.
Neben der Darstellung durch die Svdn ist die Spiegelung der Gruppe ein weiterer
Bestandteil der Entfaltung. Durch sie wird ein erster Schritt in Richtung Dezentrie-
rung geleistet und neue Perspektiven ermöglicht.
In zwei Varianten habe ich mit dieser Methodik gearbeitet: a) Die Svdn erzählen zu-
nächst selbst über das Thema, anschließend spiegeln die anderen Svdn und setzen
sich selbst in Bezug zum Gehörten und b) die Gruppe äußert sich zuerst darüber, was
sie z.B. im verknoteten Seil, dem spiralförmigen Bastelstäbchen oder einem hinter
Händen verschanzten Gesicht erkennt, entwickelt Assoziationen, Deutungen und
Interpretationen, anschließend äußert sich die Svd selbst. Ersteres lässt die Svd
mehr im eigenen Prozess sein und sich unvoreingenommen äußern, exponiert die
Svd aber auch mehr vor der Gruppe, was gerade zu Beginn einer Runde oder in we-
niger vertrauten Gruppen eine Hürde darstellen kann. Zweiteres kann öffnend wir-
ken, wenn z.B. bei heiklen Themen durch die Spiegelung der Gruppe bestimmte As-
pekte zur Sprache kommen, die sich die Svd von sich aus nicht getraut hätten zu äu-
ßern. Beispiel: Wie wird die Leitung erlebt? Einer neuen Kollegin wird von der Grup-
pe der Begriff „grausam“ angeboten, den sie aufgreift und später berichtet, dass sie
sich selbst nicht getraut hätte, diesen selbst zu benennen.
Das Thema als Bild. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Svdn das Thema als Bild ma-
len zu lassen. Diese werden dann entweder in die Mitte der Gruppe gelegt und be-
sprochen, oder auf Tischen ausgelegt, so dass die Svdn herumgehen und sich zu
zweit oder dritt über ihre Bilder unterhalten können. Letzteres bietet einen intensi-
veren Austausch Einzelner und ist immer dann von Vorteil, wenn es innerhalb einer
Gruppe starke Sympathieunterschiede gibt: Dort, wo „die Chemie stimmt“, kann der
Austausch intensiviert werden, anderenfalls kann er oberflächlicher bleiben. Ein Bild
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für das Thema kann auch ein inneres Bild sein. Die Svdn werden dazu angeleitet, in-
nerlich bei geschlossenen Augen nach Bildern zu suchen, die mit dem Thema assozi-
iert sind, und diese der Gruppe mitzuteilen. Oft fallen den Svdn hier auch konkrete
Situationen ein, in denen das Thema besonders relevant gewesen ist.
„Position beziehen“ zu einem Thema. Sind die Pole der Auseinandersetzung mit
einem Thema definiert (z.B. Nähe vs. Distanz oder Person vs. Rolle), können sich die
Svdn z.B. auch auf einer Skala räumlich verorten und auf diese Weise ein Erleben
zum Ausdruck bringen, das sie im zweiten Schritt kommentieren. Witte (2004, S. 39)
merkt an, dass selbst die Bewegung im Raum die Deutung darstellt und es keiner
zusätzlichen sprachlichen Reflexion mehr bedarf. Somit ist der Kommentar meist nur
in zweiter Linie von Bedeutung.
Der entwicklungsförderliche Aspekt der Polarisation ist nach Staemmler & Bock
(1991, S. 134) besonders dann gegeben, wenn a) die Pole als solche klar definiert sind
(also nicht vermischt werden), b) beide Pole als gleichberechtigte Teile der subjekti-
ven Realität anerkannt werden (also nicht versucht wird, einen von beiden auszu-
schalten) und c) beide Pole als aufeinander bezogen verstanden werden (also nicht
gegeneinander isoliert werden). Auf diese Weise können die gegeneinander gerich-
teten Handlungen bewusst gemacht und integriert werden.
Zum einen ermöglicht dieses Vorgehen, der individuellen Situation, den eigenen Ge-
fühlen, Wünschen und Gedanken Raum zu geben und sich nonverbal auszudrücken,
andererseits das Gemeinsame zu betrachten und sich auch in den Positionen und
Beiträgen der anderen zu spiegeln, ihre Sichtweise als Bereicherung sehen zu kön-
nen oder durch Ähnlichkeit Entlastung zu erfahren. Somit findet hier gleichfalls eine
Entfaltung auf der Ebene der Gruppe statt, die ich im Folgenden weiter ausführen
möchte.
6.2.2. Entfaltung auf der Ebene der Gruppe
Die gemeinsame bzw. geteilte Bearbeitung des Reflexionsgegenstandes in der
Gruppe hat einerseits das Ziel der Entlastung, indem den Svd bewusst wird, dass sie
mit ihrem Unbehagen nicht alleine zu kämpfen haben und mit welchen Fragen,
Zweifeln, Schwierigkeiten sich andere in Bezug auf das Thema auseinandersetzen.
Gleichzeitig liegt darin die Chance, Neues zu erkennen und das eigene Repertoire im
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Umgang mit dem Thema zu erweitern, somit flexibler und situationsangemessener
zu reagieren (im Verhalten) bzw. sich innerlich dazu zu verhalten und das eigene Er-
leben zu verändern.
Beim Thematischen Arbeiten kann das Potenzial der Gruppe genutzt werden, um als
Spiegel zu dienen, als Möglichkeit zum Perspektivwechsel, als Entlastungsmöglich-
keit, als Feedback durch die anderen Svdn und um einen Blick von außen auf die ei-
gene Verstrickung zu werfen. Diese Aspekte sind besonders bei der Neubetrachtung
(s.u.) von Bedeutung. Zunächst geht es aber darum festzustellen, wie sich das The-
ma in der jeweiligen Gruppe darstellt und dieses Bild zu entfalten:
Leitfragen dafür sind: Was haben wir gemeinsam? Welche Ähnlichkeiten und Unter-
schiede stellen wir fest? Gibt es Teilgruppen mit ähnlichen Sichtweisen und Ansät-
zen? Worin liegt das begründet?
Das Aufspüren von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und der individuellen Veror-
tung im Bedeutungsraum, den die Gruppenmitglieder zu dem Thema gefunden ha-
ben, geschieht methodisch durch einen Diskurs in der Gruppe. Der Svd kommt dabei
die Aufgabe zu, das Gehörte zu spiegeln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu
verdeutlichen, Bilder bzw. Worte dafür zu finden und der Gruppe zur Verfügung zu-
stellen. Methodisch kann dies auch durch Rückfragen geschehen, welche die Svdn
auffordern selbst über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu reflektieren und mit-
zuteilen, was sie überrascht hat und in welcher Schilderung sie sich selbst wiederge-
funden habe. Jede Einzelne kann sich dazu wieder in Beziehung setzen und eine
Neubetrachtung für sich vornehmen.
Insbesondere in Teams habe ich an dieser Stelle schon Erstaunen und auch Erleichte-
rung erlebt vor allem über die entdeckten Gemeinsamkeiten. In den Arbeitsfeldern
meiner Svdn - in denen sie sich letztlich als fallbezogene Einzelkämpferinnnen erle-
ben - scheint es von großer Bedeutung zu sein, sich wiederzuerkennen im Erleben
der anderen. In einem Fall ergaben sich aus der Bearbeitung des Themas „Verant-
wortung“ (sich erdrückt fühlen von Verantwortung, alleine gelassen fühlen, Hilflosig-
keit in den Strukturen, keinen Rückhalt verspüren, Angst und Sorge um die Kinder)
neue Impulse für die gegenseitige Unterstützung.
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Obgleich es den Svdn in Teams nicht immer möglich ist auszusprechen, was sie be-
wegt, hat das Thematische Arbeiten eine sehr verbindende Wirkung auf die Svdn.
6.2.3. Entfaltung auf der Ebene des Themas selbst
Der Diskurs in der Gruppe ermöglicht es auch, das Thema als solches zu betrachten
und die darin enthaltenen Widersprüche und Eigenheiten zu erkennen. Ich erlebe im-
mer wieder die Entlastung, welche daraus entsteht, sich dem Thema auf diese Weise
zu nähern. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Die Gruppe bearbeitet das
Thema „Engagement als Mitmensch vs. Verantwortung als Professionelle“:
Die Svdn haben sich in Bezug auf einen jeweils eigenen Fall auf einem Seil positio-
niert, das die beiden Pole des Themas verbindet und beschrieben wie es ihnen dort
geht. Die Svdn schienen alle unzufrieden mit ihrer Position und fühlten sich unzu-
länglich bei ihrem Versuch, diese zu verbessern. Sie äußerten sich anschließend da-
zu, wo sie gerne hin möchten und wie sie das erreichen könnten. Die Svdn stellen
sich an einen anderen Ort und schildern, welche Auswirkungen dies auf sie selbst
(Emotionen als Mitmensch) und die Fallbearbeitung (Profession) hätte. Anschlie-
ßend legen die Svdn zwei Karten stellvertretend für sich selbst auf ihre Positionen
und reflektieren was sie sehen. Es wird deutlich, dass es zu diesem Thema keine
ideale Position gibt, welche für jede Person und Situation passt. Die Svdn stellen für
sich fest, dass das Thema selbst es erfordert, immer wieder neu zu suchen und zu
entscheiden, dass jede Position Vor- wie Nachteile hat und eine Positionsverände-
rung weniger „Wankelmütigkeit“ als Flexibilität darstellt. Darüber hinaus ist es wich-
tig festzustellen, dass es gerade die Gleichzeitigkeit beider Pole ist, die ein perma-
nentes inneres Pendeln erfordert, welches je nach Ausmaß der persönlichen Ambi-
guitätstoleranz - also der Fähigkeit, „Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu
nehmen und ertragen zu können“ (Dorsch, 1987, S. 31) - mal genossen, mal erlitten
wird. Das Thema wurde also betrachtet als ein Gegenstand per se, zu dem es sich zu
verhalten gilt. Das ermöglichte den Svdn, ihn quasi vor sich zu sehen, von außen zu
betrachten und dessen Eigenheit zu erkennen. Die Svdn erkannten für sich, dass ihre
Bemühungen, damit umzugehen nicht mehr nur im persönlichen Handlungsspiel-
raum liegen, sondern durch das Thema selbst mitbestimmt werden.
In der supervisorischen Arbeit ist diese Erkenntnis sowohl Entlastung als auch Bela-
stung. Entlastung deshalb, weil die Zuschreibung eigener Unzulänglichkeiten im
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Sinne eines Scheiterns an einer geeigneten Lösungsfindung aufgehoben werden
können und in die Erkenntnis münden können, dass das Thema per se ein unlösbares
ist. Belastung deshalb, weil die Hoffnung auf (Er-)Lösung damit genommen wird. Die
Anerkennung dessen gelingt nicht immer. Hier eine Balance zu finden ist der nächste
Schritt: Wie gehe ich mit einem Thema um, das unlösbar im Sinne von auflösbar ist,
ohne aufzuhören, es für mich lösen zu wollen im Sinne eines situationsbedingt be-
friedigenden Umgangs damit. Wir stehen hier vor den Polen der Resignation (da
kann man ja sowieso nichts machen) und des Kampfes (es muss doch irgendwie ge-
hen). Womit sich ein neues Thema auftut…
6.2.4. Entfaltung auf der Ebene des Globe
Die letzte Betrachtungsebene, die in die Themenbearbeitung einfließt, stellt der
Globe dar. Die Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit dem Thema, werden
durch diesen Kontext maßgeblich gesetzt, und „Autonomie gelingt nur, so weit es
der Globe zulässt“ (Langmaak 1994, S. 70). Somit stellt der Globe auch vor die Her-
ausforderung, unabänderliches hinzunehmen, sich anzupassen oder sich für eine
langfristige Änderung einzusetzen. „Mit dem Globe konstruktiv umgehen heißt
auch, änderbare Dinge und Beziehungen von den unabänderlichen zu trennen.“
(ebd., S. 71).
Häufig sind es gerade die (wahrgenommenen) Begrenzungen in den Handlungsop-
tionen, die das Thema zum Thema werden lassen. Langmaak stellt fest, dass „(…)
jeder Mensch -und jede Gruppe (…) aus ihrem Blickwinkel und durch ihre Brille auf
die Realität um sich herum (schaut).“ Sie geht sogar davon aus, dass „eine Krankheit
(…) uns ein Signal (gibt), dass Dreieck und Globe keine gesunde Einheit darstellen“
und sieht daher die Notwendigkeit, eine fortlaufende Balance zwischen den vier Per-
spektiven aufrecht zu erhalten. (ebd., S. 72). Ein Blick auf die vermeintliche Realität,
sei es um sie als unabänderlich anzuerkennen oder ihre wahrgenommene Begren-
zung aufzuweichen, lohnt sich deshalb in doppeltem Sinne: Zum einen, um das
Thema jenseits des individuellen Erlebens neu einzuordnen; Zum zweiten, um daran
mögliche Handlungsoptionen zu prüfen.
In der supervisorischen Arbeit begegnet mir der Globe häufig in Form gesetzlicher
Rahmenbedingungen oder gesellschaftlicher Erwartungen. Beispiel: Ein durch Per-
sonalmangel stark belastetes Team des ASD neigt dazu, bei jedem kleinsten Hinweis
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auf „Kindswohlgefährdung“ die betreffende Familie umgehend aufzusuchen und
setzt sich dadurch enorm unter Druck. Im Laufe der Reflexion erkennen die Svdn,
dass es andere, ebenso (wenn nicht besser) geeignete Herangehensweisen geben
würde. Es stellt sich heraus, dass der eingeschliffene Automatismus seine Wurzeln
im Druck der Öffentlichkeit hat, welcher sich das Team in dieser Hinsicht ausgesetzt
sieht. Damit rückt das Thema weg vom persönlichen „Versagen, die eigene Arbeit
nur nicht organisiert zu kriegen“ und erfährt in den Augen der Svdn eine neue Bedeu-
tung. Der Handlungsbezug lautete jetzt nicht mehr „organisiere dich besser“, son-
dern „wir klären gemeinsam Sinn und Unsinn unseres Handelns und stecken uns ei-
nen Rahmen für einen zielführenden und belastungsärmeren Umgang mit diesen
Situationen.“ Durch die Einbeziehung des Globe als Reflexionsebene haben sich
neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet.
Möglichkeiten der Veränderung: Wie beschrieben, liegt in der Betrachtung des
Themas immer auch die Chance einer Veränderung von Sichtweisen, Handlungsal-
ternativen und Bewertungen. Es schließt sich deshalb eine Phase der Neubetrach-
tung an, in der solche Veränderungsmöglichkeiten fokussiert werden.
6.3. Neubetrachtung
Bei der Entfaltung des Themas konnten die Svd u.a. erkennen, welche positiven As-
pekte der eigene Umgang mit dem Thema hat, welche Ressourcen ihnen zur Verfü-
gung stehen, welche sie zusätzlich nutzen können, welche ihrer Bedürfnisse in die-
sem Zusammenhang eine Rolle spielen und auch wie „groß“ (mächtig, eingegrenzt)
das Thema für sie ist. Sie können es ins Verhältnis setzen zu anderen wesentlichen
Themen ihrer Arbeit und ihm einen neuen Stellenwert geben. Bei der Neubetrach-
tung werden all diese Aspekte explizit thematisiert.
Mögliche Leitfragen sind: Welche Möglichkeiten der Veränderung sehe ich jetzt?
Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung? Was kann ich von den Äußerungen
der anderen lernen? Was kann ich für mich nutzen? Welche Sichtweisen kann ich für
mich adaptieren? Wo sehe ich Möglichkeiten zur Handlungserweiterung? Wo kann
ich eine Bewertungsveränderung vornehmen? Welche Bedürfnisse kann ich mir er-
füllen und worauf muss ich verzichten?
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Beispiel „Druck“: Die Svd legen den Gegenstand vor sich und sagen ihm, wie sie sich
von diesem Druck befreien möchten: „Deine Aufgabe nehme ich an, aber ich be-
stimme, wann ich sie erledige.“ „Du bist hilfreich, aber ich nehme dich nicht mehr mit
nach Hause.“ „Es müssen nicht immer alle Lücken im Kalender gefüllt sein und
deshalb mache ich trotzdem gute Arbeit.“
Um die Svd bei der Suche nach ihren Antworten besser zu unterstützen, nutze ich
drei Kategorien, in die ich ihre Äußerungen gedanklich einsortiere: die Möglichkeit
der Handlungserweiterung, die der Bewertungsveränderung und die der Bedürfnisbe-
friedigung. Das ist insofern hilfreich als ich durch meine Intervention dadurch anre-
gen kann, die angesprochene Möglichkeit zu Ende zu denken.
Methodisch gesehen kann eine Neubetrachtung auch durch Möglichkeiten der Verän-
derung im Symbol angeregt werden. Der Vorzug liegt darin, dass „die Arbeit mit
Symbolen (…) Verlangsamung in den Prozess (bringt). Es gibt keine vorschnellen Lö-
sungen. Mögliche Erkenntnisse und Lösungen „sickern“ erst durch alle Sinne.“ Witte
(2004, S. 149). Ich habe festgestellt, dass es vielen Svdn leicht fällt, spielerisch am
Symbol eine Veränderung vorzunehmen und diese dann auf ihre Bedeutung hin zu
reflektieren. Auch können Veränderungsmöglichkeiten durch Außenstehende ange-
regt werden.
Ich möchte dies wieder am Beispiel zweier Arbeiten zum Thema „Arbeitsüberla-
stung“ zeigen:
Die Svdn erzählen von ihrer hohen Arbeitsbelastung, der Situation im Team, dem
Verhältnis zur Leitung und wie sie sich dabei fühlen. Es wirkt viel, hilflos, chaotisch,
unstrukturiert, sie scheinen gelähmt, Urlaub als Last, angestrengt, kräfteraubend,
schwankend zwischen Struktur und Festhalten an einer eigenen Ordnung vs. sich
treiben lassen, auf Anforderungen eingehen, sich ihnen quasi „ergeben“.
Ich bitte die Svdn, die verwendeten Begriffe zu übersetzen, indem sie sie in Form von
in Bewegung, Skulpturen, mit Seilen etc. zu darstellen, jede für sich. Die Praktikantin
des Teams begibt sich nun nacheinander in die Situation (Verstrickung, Skulptur,
Bewegung) der Svdn und zeigt ihre Variante damit umzugehen. Anschließend pro-
bieren die Svdn diese Varianten aus und experimentieren mit den neuen Qualitäten:
Wie fühlt es sich an? Wie viel Kraft kostet es? Was bedeutet das übersetzt in Ihre Ar-
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beit? Sie teilen sich ihre Erkenntnisse mit, z.B. Loslassen, nicht immer alles selbst
machen wollen; Fokussieren und bei der Sache bleiben; Nicht alles sofort umsetzen,
erst einmal abwägen; den Weg als Ziel sehen, mitschwingen, nicht zu starr an Struk-
turen festhalten, denn das kostet zu viel Kraft; Klienten erziehen: nicht wer am lau-
testen schreit kommt zuerst dran; Den Dingen, die da kommen einen guten Platz
geben, nicht die Dinge sich selbst einen Platz suchen lassen. Mir ist es wichtig zu be-
tonen, dass Umgangsweisen, welche durch Außenstehende angeboten werden, im-
mer als zusätzliche Alternativen zu verstehen sind, die durch die Protagonisten
selbst auf Stimmigkeit mit der eigenen Person zu prüfen sind. Dazu rege ich die Svdn
explizit an.
In einem anderen Team stellen die Svdn ihren Zustand nicht selbst dar, sondern ihre
Kolleginnen spiegeln ihnen in Form einer Skulptur bzw. Bewegung, wie sie deren
Schilderungen wahrgenommen haben, so dass sich die Svdn quasi von außen be-
trachten können. Die Kolleginnen äußern sich in der Skulptur, woher sie das auch bei
sich kennen und wie es ihnen selbst dabei geht. Die Protagonistinnen suchen nun
Veränderungsmöglichkeiten / Auswege aus der Situation und bekommen von ihren
Kolleginnen berichtet, ob das reicht, um sie daraus zu befreien, sie geben Hinweise,
was sie außerdem brauchen, um sich freier und geordneter zu fühlen. Diese Anre-
gungen werden gerne aufgenommen. Zum Abschluss vollziehen die Protagonistin-
nen diesen „Befreiungsprozess“ selbst, experimentieren damit und modifizieren ihn.
Auch für die Neubetrachtung kann ein Zusammentragen der Gemeinsamkeiten und
Unterschiede hilfreich sein. Daraus können sich in Teams gemeinsame Bewältigungs-
strategien entwickeln, zumindest aber Verständnis für Unterschiede. Die Svdn kön-
nen auch für sich noch einmal bewusst reflektieren, was sie gehört haben und welche
Ideen der anderen sie für sich nutzbar machen können.
6.4. Transfer
Zum Abschluss der Thematischen Arbeit findet ein Rückbezug auf den Arbeitsalltag
statt. Die Svdn reflektieren dabei wieder auf der Ebene des Themas, der Gruppe und
der Person, welche Bedeutung das Erlebte für die Ausgestaltung ihrer professionel-
len Rolle bzw. Tätigkeit hat. Leitfragen dafür können sein: Welchen Bedeutungs-
wandel hat das Thema für mich erfahren? (Wie) hat sich mein Blick darauf verändert?
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Was habe ich von den anderen gehört und was bedeutet das für uns als Team / Grup-
pe? Wo finde ich mich in den anderen wieder und wo unterscheide ich mich von ih-
nen? Was bedeuten diese Gemeinsamkeiten / Unterschiede für mich? Wie geht es
mir jetzt? Was nehme ich für mich und meine Aufgaben aus der Arbeit mit? Was ha-
be ich erkannt und was bedeutet das für mich?
Je nachdem, wie die Gruppe ursprünglich auf das Thema gekommen ist, findet nun
auch ein Bezug zum Ausgangspunkt statt, also ein Transfer zur aktuellen Arbeitssitua-
tion oder ein Rückbezug zur Stimmung in der Gruppe (was hat sich geändert?). Da
viele Themen aus der Fallbetrachtung erwachsen, ist der Rückbezug zum Fall von
besonderer Bedeutung. Hierfür ist oft einige Zeit erforderlich, da sich im Laufe der
Arbeit für mehrere Svdn fallbezogener Nutzen aus der Arbeit ziehen lässt. Um diesen
aufzufangen, zu reflektieren und für die Gruppe nutzbar zu machen, bedarf es der
Aufmerksamkeit aller. In der Aufgabe hier eine Balance zu finden zwischen dem Be-
dürfnis nach Abschluss und Rückzug einerseits und der Möglichkeit, weiteren Ge-
winn aus der Arbeit zu ziehen sehe ich die letzte Herausforderung im zeitlichen Ab-
lauf des Thematischen Arbeitens.
7. Resümee
Was hier als komplexer, schematischer Ablauf dargestellt ist, erweist sich in der Pra-
xis häufig als ein viel komprimierteres und weniger detailliertes Vorgehen. Z.B. ver-
laufen viele Aspekte in der Phase der Entfaltung parallel und nicht immer sind alle
Gesichtspunkte von gleicher Wichtigkeit. Mir ging es darum aufzuzeigen, was es aus
meiner Sicht im Blick zu behalten gilt, um dann auf die Akzente der jeweiligen Sit-
zung zu achten, die Gruppe als Ganzes nicht aus dem Auge zu verlieren, einen Fokus
für die Bearbeitung zu setzen und einen anschlussfähigen Prozess zu gestalten.
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8. Literaturverzeichnis
Busse, S. (2009). Lernen am Fall – Erkenntnis in der Beratung. In: Supervision.
Mensch Arbeit Organisation. Heft 1, S. 8-17.
Dorsch, F. (1987). Dorsch Psychologisches Wörterbuch (11. Auflage). Berlin: Hans
Huber Verlag.
Gotthardt-Lorenz, A. (1999). Fokus Supervision. In: Pühl, Harald (Hrsg.) Supervision
und Organisationsentwicklung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Langmaak, B. (1994). Themenzentrierte Interaktion: Einführende Texte rund ums
Dreieck (2., neu ausgestattete Aufl.). Weinheim: Beltz, Psychologie-Verlags-Union.
Rappe-Giesecke, K. (2009). Supervision für Gruppen und Teams, Springer-Verlag.
Staemmler, F.-M. und Bock, W. (1991). Ganzheitliche Veränderung in der Gestaltthe-
rapie. München: Verlag J. Pfeiffer.
Witte, K. (2004). Der Weg entsteht im Gehen, In: Buer, Ferdinand (Hrsg.) Praxis der
Psychodramatischen Supervision ein Handbuch 2. Auflage.
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Selbständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich ausdrücklich, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine von
mir selbständig und ohne fremde Hilfe verfasste Arbeit handelt.
Datum Unterschrift Dorothea Sorge-Werres