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Leonardo Boff

Tugenden füreine bessere WeltAus dem Portugiesischen übersetztvon Bruno Kern

Butzon & BerckerPublik-Forum Edition

Originalausgabe:Leonardo BoffVirtudes para um mundo possívelVol. I: Hospitalidade: Direitos e deveres de todosVol. II: Convivência, Respeito e TolerânciaVol. III: Comer e Beber Juntos e Viver em PazPetrópolis 2006© Leonardo Boff

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ISBN 978-3-7666-1285-4E-BOOK ISBN 978-3-7666-4107-6EPUB ISBN 978-3-7666-4108-3

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

ERSTER TEILGASTFREUNDSCHAFT:RECHT UND PFLICHT ALLER

I. Die planetarische Phase der Erde und derMenschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Der Blick zurück: das Paradigma des Feindesund der Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2. Der Blick nach vorn: das Paradigma des Gastesund des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3. Der leidenschaftliche Ruf der Propheten undVisionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

II. Die Rückkehr aus der großen Zerstreuung . 30

1. Ein Stern stirbt, und die Erde entsteht . . . . . . . . . . 322. Bruchstücke vereinigen und trennen sich . . . . . . . . 363. Das schönste Kind: das Leben . . . . . . . . . . . . . . . 394. Die Trockenheit: Geburtsstätte des Menschen . . . . 435. Die Zerstreuung der Menschen und die

Entstehung der Zivilisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 456. Die Rückkehr aus dem Exil: die Globalisierung . . . 48

III. Der Mythos der Gastfreundschaft . . . . . . . . 59

IV. Auslegung des Mythos von derGastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

1. Ursprüngliche Erfahrungen und Mythos . . . . . . . . 652. Menschliche Existenz und Mythos . . . . . . . . . . . . 703. Gastfreundschaft, Zusammenleben,

Tischgemeinschaft und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . 714. Die Dimensionen der Gastfreundschaft . . . . . . . . . 75

V. Die Gastfreundschaft in den modernenGesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

1. Unbedingte und bedingte Gastfreundschaft . . . . . . 822. Grenzen der Nationalstaaten –

Grenzen der Gastfreundschaft? . . . . . . . . . . . . . . . 87

VI. Der Mangel an Gastfreundschaft in derGeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

1. Die vielen Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892. Die Vernichtung der kulturell Anderen . . . . . . . . . 983. Die neuen Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

VII. Die Befreiung des Anderen:Grundlage für die Gastfreundschaft . . . . . . 112

1. Die zentrale Stellung des Anderen in derjüdisch-christlichen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . 112

2. Die Menschenrechte und die Kultur des Friedens . . 1163. Die uneingeschränkte Demokratie als

Integration des Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

VIII. Die Gastfreundschaft im Kontext derGlobalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

1. Grundhaltungen und Verhaltensweisen im Sinneder Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

2. Politik möglicher Formen von Gastfreundschaft . . . . 131

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

ZWEITER TEILZUSAMMENLEBEN, RESPEKT UNDTOLERANZ

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

I. Das Zusammenleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

1. Geburtshelfer eines Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

2. Wie lebt man mit den Anderen zusammen,die völlig anders sind? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

3. Was ist das Zusammenleben? . . . . . . . . . . . . . . . . 1694. Zusammenleben: psychosoziale und kosmische

Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

II. Der Respekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

1. Ein Gleichnis für den unbedingten Respekt . . . . . . 1852. Was ist der Respekt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1903. Eine Ethik des Respekts allem Sein gegenüber . . . . 202

III. Die Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

1. Ein Gleichnis zum Thema Toleranz . . . . . . . . . . . 2062. Chaos und Kosmos, Unordnung und Ordnung

vermengen sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2073. Was ist die Toleranz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2104. Toleranz angesichts von Fundamentalismus und

Terrorismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2215. Toleranz und interreligiöser Dialog . . . . . . . . . . . . 232

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

DRITTER TEILGEMEINSAM ESSEN UND TRINKENUND IN FRIEDEN LEBEN

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

I. Zusammen essen und trinken: dieTischgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

1. Erzählungen rund um die Tischgemeinschaft . . . . 2512. Tischgemeinschaft: Beginn der

Menschwerdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2543. Der Hunger als ethisches und politisches

Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2624. Das Geschäft mit dem Hunger: Nahrungs-

mittel als Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

5. Ökologische Landwirtschaft als möglicherAusweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

6. Gentechnik: Markt, Ethik und Weltanschauung . . . 2707. Wasser: lebensnotwendig oder Wirtschaftsgut? . . . 2768. Die Voraussetzungen für die

Tischgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2829. Solidarisch und verantwortungsvoll

konsumieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28610. Die letzte Wirklichkeit: Tischgemeinschaft

Jesu und im Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

II. Kultur des Friedens in einer Welt imKonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

1. Einstein und Freud: Ist es möglich, dieAggression einzudämmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

2. Zeichen für eine friedliebende Menschheit . . . . . . 3003. Hindernisse auf dem Weg zum Frieden und

ihre Überwindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3024. Ein verantwortlicher Realismus . . . . . . . . . . . . . . 3095. Der unmögliche Friede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3116. Ein Friede, der möglich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . 3297. Der Friede Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

Schluss: Die Seligpreisungen der Tugenden . . . . 343

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Einleitung

Welche Tugenden sind unbedingt erforderlich, wenn wirgewährleisten wollen, dass die Globalisierung ein mensch-liches Antlitz bekommt?

Wir gehen von der Voraussetzung aus, dass wir uns ineiner Situation der Krise, nicht aber der Tragödie befin-den. Krise bedeutet immer Läuterung, und sie setzt kon-struktive Energien frei. Krise heißt Übergang und Über-schreitung. Wir vollziehen gerade den Übergang von einerGeschichtsauffassung, die mit Nationalstaaten, sozialenKlassen und einzelnen Persönlichkeiten verbunden ist, hinzu einer Geschichte der planetarischen Gemeinschaft derGattung Mensch. Um diesen Übergang angemessen zuverstehen, müssen wir ihn in die Evolutionsgeschichte, dieEntstehungsgeschichte des Lebens, des Menschen und desPlaneten (Biogenese, Anthropogenese, Planetogenese) ein-ordnen.

Jeder Übergang birgt Risiken, aber ebenso Chancen insich. Es gibt die echte Chance, dass – als eine verhei-ßungsvolle Zukunft für alle – eine erdumspannendemenschliche Gesellschaft entsteht, die in ihrem Wesen einsist, aber eine Vielfalt von Ausdrucksformen kennt. Es gibtaber auch das Risiko, dass jedes Volk nur für sich selbstlebt und sich in sich selbst abkapselt und dabei aus demAuge verliert, dass wir alle eine einzige große Familie bil-den – die Menschheitsfamilie innerhalb der Familie desLebens, der wir – als ein Glied einer Kette – angehören.Die Gefahr ist noch nicht gebannt, dass die bereits existie-renden Massenvernichtungswaffen der Biosphäre schwe-

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ren Schaden zufügen können und das Projekt einer plane-tarischen Menschheit scheitern lassen.

Abgesehen von den Risiken und Chancen hat jederÜbergang zwei Seiten: Kontinuität und Erneuerung. Ersetzt etwas fort, was von früher herstammt, und darin ister mit der Tradition verbunden, mit all ihren Werten undUnwerten, die sie in sich trägt. Doch der Übergang be-deutet auch einen Bruch mit der Tradition und einenNeubeginn. Kontinuität und Erneuerung sind immer zu-gleich vorhanden, und das macht die Dramatik derÜberganssituation aus. Was wird letztlich überwiegen: dieKontinuität oder die Erneuerung? Wenn die Kontinuitätdie Oberhand gewinnt, dann verschärft sich die Krise undes entstehen zerstörerische Kräfte. Wenn sich dagegen dieErneuerung durchsetzt, dann entsteht Hoffnung und eserschließt sich ein neuer Weg.

Konkret gesprochen: Wir befinden uns schon inmitteneiner neuen Situation, der planetarischen Phase. Es kommtnun darauf an, ihr Beständigkeit zu verleihen, damit siedie Vergangenheit hinter sich lassen kann und tatsächlichdas Neue ins Werk setzt, den Sprung nach vorne und nachoben vollzieht und damit den Prozess unumkehrbarmacht.

Wir müssen uns an die Vorstellung gewöhnen, dass wirPassagiere eines besonderen Raumschiffes sind, eines wei-ßen und blauen Raumschiffes, das unser gemeinsamesHaus, die Erde, bildet. Sie ist mit begrenzten Ressourcenausgestattet, sie ist überbevölkert und sie ist bedrohlichenGefahren ausgesetzt. Diese Gefahren werden nur dann ge-bannt, wenn wir unser Handeln an Tugenden orientieren,die wir in diesem Buch unter den Stichworten Gast-freundschaft, Zusammenleben, Toleranz, Respekt vor demAnderen, Tischgemeinschaft und Kultur des Friedensbehandeln werden. Sie müssen einhergehen mit den Tu-genden des ökologischen Zeitalters: der Fürsorge, dergemeinsamen Verantwortung, der Kooperation und der

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Ehrfurcht. Auf diese Weise werden die Bedingungen dafürgeschaffen, dass das Neue entstehen kann.

Andererseits wächst das Bewusstsein dafür, dass Wis-senschaft, Technik, Ökonomie und Finanzmärkte, so un-verzichtbar sie auch sind, nicht genügen, um der Globali-sierung ein menschliches Antlitz zu verleihen. DerProzess der Globalisierung selbst verlangt nach einer spi-rituellen, ethischen und ästhetischen Dimension, die denübrigen Dimensionen die Richtung weist und Sinn ver-leiht. Diese Dimensionen sind einander nicht entgegenge-setzt, sondern vielmehr miteinander verflochten und von-einander abhängig. Unsere ökologischen, ökonomischen,politischen, sozialen, ethischen und spirituellen Heraus-forderungen, vor denen wir stehen, sind unauflösbar mit-einander verbunden. Deshalb wird nur eine ganzheitlicheSichtweise und werden nur umfassende Lösungsvorschlä-ge dieser komplexen planetarischen Realität gerecht.

Wir wissen, dass wir mit dieser Komplexität nur richtigumgehen können, wenn wir die folgende Ordnung be-rücksichtigen: Das Wohl des Einzelnen ordnet sich demGemeinwohl unter, die Wirtschaft ordnet sich der Politikunter, die Politik orientiert sich an der Ethik und dieEthik bezieht ihre Inspiration aus einer Spiritualität, dasheißt aus einer neuen Sichtweise des Universums von demStandort aus, den der Mensch in ihm einnimmt, und vomGeheimnis des Lebens aus.

Seit Jahrhunderten schon haben wir die Bereiche derWirtschaft und der Politik überbetont, während die Sphärender Ethik und Spiritualität blass und blutleer blieben. Die-ses Ungleichgewicht ist eine der Ursachen für die zivili-satorische Krise und für den Verlust der utopischen Sinn-gebung und des utopischen Horizontes der menschlichenGeschichte.

Unser Engagement in Theorie und Praxis will die Ethikund die Spiritualität als das Fundament wiedergewinnen,auf dem eine planetarische Zivilisation errichtet werden

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kann, die nachhaltig ist und für die Biosphäre, die Ge-meinschaft des Lebens, und die gesamte Menschheit einewirklich lebenswerte Zukunft bereithält.

Wir rücken vier Tugenden in das Blickfeld, ohne dieunserer Meinung nach kein Zusammenleben wirklichmenschlich und keine Globalisierung wirklich gemein-wohlfördernd und verheißungsvoll ist: die Gastfreund-schaft, das Zusammenleben, die Toleranz und die Tisch-gemeinschaft.

Der erste Teil behandelt die Gastfreundschaft im dra-matischen Kontext der weltweiten Migrationsbewegun-gen: Die geographischen Grenzen von Nationalstaatengeraten unter Druck von Seiten der Menschen, die im All-gemeinen bessere Lebensbedingungen suchen oder denenes bloß um das nackte Überleben geht.

Der zweite Teil wird sich den Fragen des Zusammen-lebens und der Toleranz widmen und dabei die verschie-denen zeitgenössischen Theorien besprechen, die sich derveränderten weltweiten Situation stellen, die von Angst,Bedrohung durch den Fundamentalismus und Terrorismusgekennzeichnet ist.

Der dritte Teil behandelt die beunruhigende Situationder Tischgemeinschaft: Dazu gehören die Themen desweltweiten Hungers, der kommerziellen Kontrolle desSaatgutes und der gentechnischen Manipulation des Le-bens.

Das Ziel dieser drei Kardinaltugenden ist die Errich-tung der ersehnten Kultur der aktiven Gewaltlosigkeitund des Friedens.

Die Tugenden bilden die Welt der Vorbilder und Werte.Als solche beinhalten sie unübersehbar ein utopisches Ele-ment. Es liegt im Wesen der Utopie, dass sie uns vor im-mer weitere und offenere Horizonte stellt. Wie schon ge-sagt, besteht ihre Aufgabe darin, uns dazuzuveranlassen,uns vom Fleck zu bewegen und vorwärtszuschreiten. DieTugenden gleichen den Sternen: Wir erreichen sie niemals,

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doch sie geben den Steuermännern Orientierung und er-leuchten unsere Nächte. Sie können uns zu immer neuenschöpferischen Handlungsweisen inspirieren, damit dieUtopie nicht nur Utopie bleibt. Wir können stets wachsenund besser werden.

Die Herausforderung besteht nun darin, inspiriert vondiesen Tugenden die historischen Vermittlungen und diebesten gesellschaftlichen und juridischen Voraussetzungendafür zu finden, dass sie innerhalb der von der gegebenenSituation vorgegebenen Grenzen und Bedingungen nichtverleugnet und verraten, sondern auf die bestmöglicheWeise in die Tat umgesetzt werden.

In diesem Sinne werden wir uns sehr bemühen, dassunser ethisch-spiritueller Diskurs stets konkrete Vermitt-lungsschritte, Haltungen und klare Positionen themati-siert, damit aus dem Traum ein Prozess der stetigen Ver-änderung wird.

Diese Kardinaltugenden für eine Globalisierung mitethischen Mindeststandards stellen nicht nur eine Sehn-sucht und ein Projekt dar. Sie werden von Gruppen re-flektiert und in die Tat umgesetzt, die nach Alternativenzur herrschenden Weltordnung suchen, von internationa-len Bewegungen, denen es um die Ökologie, die Er-haltung der Natur, die Verteidigung und Förderung dersozialen und ökologischen Menschenrechte geht, von Be-wegungen, die von den Grundsätzen der Erdcharta inspi-riert sind, von weltweiten Bewegungen wie etwa demWeltsozialforum und dem Bündnis für eine verantwortli-che, plurale und vereinte Welt.

Innerhalb dieser Bewegungen entsteht – bei all ihrenGrenzen und Widersprüchen – ein Ethos der Fürsorge,der Akzeptanz von Unterschieden, der Toleranz, des Tei-lens und der solidarischen Produktionsformen sowie dessolidarischen Konsumverhaltens. Die Werte nehmen his-torische Gestalt an und vermitteln uns die Hoffnung, dasstatsächlich ein anderes Modell der Welt und der Globali-

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sierung möglich ist. In Anlehnung an den Dichter Fer-nando Pessoa können wir sagen: „Wir wollen uns die Weltso vorstellen können, wie sie niemals war.“

Wir alle müssen die Gastfreundschaft füreinander pfle-gen, denn wir sind alle Gäste auf dieser Erde und habenhier keine ständige Bleibe, wie es die jüdisch-christlichenSchriften zum Ausdruck bringen. Wir müssen verstärktdas Zusammenleben pflegen, weil wir dasselbe gemein-same Haus bewohnen und kein anderes haben. Wir müs-sen die Toleranz füreinander gerade hinsichtlich der Dingepflegen, die wir schwer verstehen und ertragen können.Es kommt darauf an, Respekt vor der Andersheit der An-deren zu haben. Es ist notwendig, dass es Tischgemein-schaft gibt, das heißt, dass wir uns gemeinsam zu Tischsetzen und miteinander die Freude teilen, dass wir alsFamilie, als Geschwister, zusammen sind und die Groß-zügigkeit der Mutter Erde genießen. Was wären dennGastfreundschaft, Zusammenleben, Respekt und Toleranzwert ohne Tischgemeinschaft, wenn wir vor Hunger undDurst sterben würden und keinen gemeinsamen Tisch hät-ten, an dem wir in Solidarität miteinander satt werdenkönnten?

Wenn aus diesen Tugenden Grundhaltungen werdenund daraus eine kulturelle Atmosphäre entsteht, dannschafft dies die Bedingungen für eine notwendige undheilsame Globalisierung, für eine Globalisierung, die diezerstreuten Stämme vereint, die verlorenen Söhne zurück-bringt, die Mutter Erde auf die beste Weise bewahrt unduns die Quelle erschließt, aus der alle Gaben für uns ent-springen, aus der die Seligkeit und das Glück des Lebensselbst, das kein Ende haben will, hervorgehen.

Petrópolis, Ostern 2005

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Erster TeilGastfreundschaft:Recht und Pflicht aller

I. Die planetarische Phase der Erde und derMenschheit

Wir treten gerade in eine neue Phase des Evolutionspro-zesses der Erde und der Menschheit ein, in die planetari-sche Phase. Die auf die Kontinente zerstreuten und auf ih-re jeweiligen Nationalstaaten begrenzten Völker beginnensich nun innerhalb des Gemeinsamen Hauses, des Plane-ten Erde, zu bewegen.

Es wächst das Bewusstsein, dass wir nur diesen einen,kleinen und mit begrenzten Ressourcen ausgestattetenPlaneten haben, auf dem wir leben können. Wir müssenihn mit Sorgfalt behandeln, damit er alle Menschen, diegesamte Kette des Lebens und aller Lebewesen beherber-gen kann. Wir möchten, dass er noch einer langen Ge-schichte entgegensieht.

Wir entdecken auch etwas, was uns zutiefst bewegenkann: die Perspektive der Astronauten von ihrem Raum-schiff aus. Aus dieser Perspektive ist es nicht mehr mög-lich, Erde und Menschheit, Erde und Biosphäre zu unter-scheiden. Sie bilden eine einzige, große und komplexeWirklichkeit. Wir haben denselben Ursprung und dasselbeSchicksal. Deshalb begreifen wir uns als ein einziges Sub-jekt angesichts der Zukunft.

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Dieses Faktum führt nach und nach zu einem neuenBewusstsein. Vom ethnisch und durch soziale Klassen be-stimmten Bewusstsein gelangen wir zum Bewusstsein derGattung homo sapiens et demens. Wir entdecken unsselbst als Mitglieder der großen Menschheitsfamilie undder Gemeinschaft des Lebens, Brüder und Schwestern,Cousins und Cousinen anderer Vertreter der immensenVielfalt des Lebens: von Pflanzen und Tieren, aus denendie Biosphäre besteht – jene feine Schicht, die die Erdeumhüllt und das System Leben bildet. Sie ist nur der amdeutlichsten sichtbare Teil des Planeten Erde selbst, derals lebendiger Großorganismus verstanden werden muss,als Große Mutter, Pachamama und Gaia.

Von diesem neuen Moment unserer gemeinsamen Ge-schichte fühlen sich alle berührt. Wir alle beginnen uns zufragen: Worin besteht die Rolle einer jeden einzelnenmenschlichen Person, der Kulturen, der Nationen und Re-ligionen? Konkret gesprochen: Werden unsere Traditio-nen, unsere regionalen Kulturen, unsere Überzeugungen,unsere Künste und unsere Religionen, mit einem Wort: alldas, was unsere Identität ausmacht, noch in irgendeinerWeise zählen? In welcher Weise müssen wir uns verän-dern, um auf der Höhe der Zeit zu sein und mit dieserneuen Phase mithalten zu können, die jetzt heraufkommt?Was müssen wir sein?

Der immer schneller werdende Prozess der Globalisie-rung kann eine dramatische Weichenstellung für dieMenschheit bedeuten. Er kann die Gelegenheit für eineBegegnung aller mit allen aus den unterschiedlichstenKulturen und Traditionen schaffen. Dabei handelt es sichum die erfreuliche Erfahrung der Entdeckung von Unter-schieden, die uns neue Formen der Teilhabe und des Zu-sammenlebens ermöglichen.

Auf der anderen Seite kann diese Globalisierung zu ei-ner Erfahrung der Fremdheit führen, die Misstrauen, Res-sentiment, ja sogar Angst vor dem Anderen weckt. Und

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das Näher-Zusammenrücken kann alten Hass, Spannun-gen, Verbitterungen und Vorurteile, die sich über die Jahr-hunderte angesammelt haben, zwischen Regionen undVölkern neu entflammen.

Jetzt ist die Gastfreundschaft, die gegenseitige Annah-me, die großzügige Offenheit als Voraussetzung für dieBeseitigung von Verurteilungen und Vorurteilen dringli-cher denn je. Nur auf diese Weise können wir die An-dersheit als Andersheit und nicht als Ungleichheit undUnterlegenheit bzw. als bloße Verlängerung dessen, wasuns selbst eignet, begreifen. Und dann bedarf es des Wil-lens, im selben Gemeinsamen Haus zusammenleben zuwollen. Wir haben keine Alternative. Wir bedürfen auchder Toleranz, ohne die sich das Freund-Feind-Schema,die Logik des Krieges und der Ausgrenzung fortsetzen.Am Ende steht die Tischgemeinschaft als letzter Sinn derGlobalisierung, wenn wir alle, endlich vereint, am selbenTisch Platz nehmen, um miteinander zu essen und dieGroßzügigkeit der Gaben der Natur zu feiern. Es gibtalso vier Tugenden einer wohlverstandenen Globalisie-rung: Gastfreundschaft, Zusammenleben, Toleranz undTischgemeinschaft. Diesen werden wir uns im Folgendenwidmen.

Dieser ganze Prozess, in dem es unvermeidlich ein Aufund Ab, Erfolg und Irrtum gibt, wird die Grundlage derÜbereinstimmungen festigen und erweitern und so einegemeinsame Basis schaffen. Diese bietet die Bedingungenfür ein neues kollektives Bewusstsein und eine neue Er-denbürgerschaft. Daraus erwächst eine gemeinsame Iden-tität, die Identität der Gattung Mensch. Die nationalenund regionalen Identitäten der Vergangenheit, die so vieleSpannungen und Konflikte hervorgebracht haben, werdenweiter bestehen, aber sie werden nicht für sich die Zu-kunft bestimmen. Die Zukunft wird von allen und ausden gemeinsamen Elementen geschaffen, die man entde-cken und sich aneignen wird.

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Wir werden als Erdenbürger neu entstehen: unter-schiedlich, aber alle zusammen in der einen gemeinsamenMenschheit verankert. Wie niemals zuvor wird dieser alteund grundlegende Gedanke der humanitas zentrale Be-deutung als der gemeinsame Wert, auf den man sich be-zieht, gewinnen. Von nun an werden wir als Gäste undTischgenossen auf der Erde, unserem gemeinsamen Vater-und Mutterland, zusammenleben.

Um diesen komplexen Prozess mit all seinen Übergän-gen, die er voraussetzt, zu verstehen, müssen wir zweiGrundhaltungen innerhalb der Globalisierung in denBlick nehmen und beurteilen: eine, die sich an der Ver-gangenheit orientiert, und eine, die sich der Zukunft zu-wendet. Sie stellen zwei unterschiedliche Paradigmen dar.Jedes von ihnen gestaltet den Prozess der Globalisierungje auf seine Weise und bringt eine je andere Zukunft her-vor.

1. Der Blick zurück: das Paradigma des Feindesund der Konfrontation

Um angesichts der neu entstehenden WirklichkeitenOrientierung zu finden, richtet ein großer Teil der Gesell-schaften und Personen den Blick zurück auf die Vergan-genheit ihres Volkes. Um ihre Identität neu zu definieren,nehmen sie Zuflucht bei den Traditionen, der Sprache,den Religionen, den Sitten, den Ruhmestaten ihrer Kultur,den Nationalhelden, den typischen Werten und Festen,den literarischen und aus Stein und Metall bestehendenDenkmälern, den die Zeiten überdauernden Institutionenund den Ökosystemen in ihrer Einmaligkeit und Schön-heit. Gleichzeitig beziehen sie sich auf ihnen nahestehendeVölker und Kulturen, deren Schicksal sie teilen, und ande-re, denen gegenüber sie ein spannungsreiches, ja sogarfeindliches Verhältnis haben.

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Wenn man sich der eigenen Identität mit Hilfe der Ver-gangenheit vergewissert, dann betont man den Unter-schied zu anderen Identitäten. Freund und Feind sind hierklar definiert. Einer der modernen politischen Philoso-phen, Carl Schmitt (1888 – 1985), analysierte diesen Pro-zess in seiner berühmten Arbeit Der Begriff des Politi-schen:

„Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen exi-stiert, muss es . . . die Unterscheidung von Freund undFeind . . . bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politi-schen Existenz.“ (Schmitt 1933, 32)

Wer ist ein Feind?„Der Feind ist in einem besonders intensiven Sinne exis-

tentiell ein Anderer und Fremder, mit dem im extrememFall existentielle Konflikte möglich sind. . . . Den extremenKonfliktsfall können daher nur die Beteiligten selbst untersich ausmachen; insbesondere kann jeder von ihnen nurselbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden imkonkret vorliegenden Konfliktsfall die Negation der eige-nen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oderbekämpft werden muss, um die eigene, seinsmäßige Artvon Leben zu retten. In der psychologischen Wirklichkeitwird der Feind leicht als böse und hässlich behandelt . . .“(Schmitt 1933, 8).

Ein anderer bekannter zeitgenössischer politischer Phi-losoph, der sich dem Thema der Globalisierung widmet,Samuel P. Huntington, behauptet in seinem Buch DerKampf der Kulturen Ähnliches: „Für Menschen, die ihreIdentität suchen und ihre Ethnizität neu erfinden, sindFeinde unabdingbar . . . Wir wissen, wer wir sind, wennwir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“(Huntington, 1996, 19 und 21).

Diese Sichtweise ist, wie man unschwer erkennen kann,mit Risiken behaftet. Sie orientiert sich nämlich am Para-digma des Feindes und an der Bereitschaft zum Konfliktbis hin zum Krieg. Die Zeit nach dem Kalten Krieg ist tat-

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sächlich durch viele Kriege in den verschiedenen Teilender Welt geprägt. Sie gingen von Gruppierungen aus, dieihre jeweilige Identität verteidigen wollten – entweder,weil sie diese von traditionellen Feinden oder vom herr-schenden gleichmacherischen Globalisierungsprozess be-droht sahen. Dieser ist durch eine Verwestlichung derWelt, die viele als Vergiftung durch den Westen anpran-gern, durch Vereinheitlichung der Wirtschaftsräume unddurch das Monopol eines einzigen politischen Denkensgeprägt, welches die Hegemonie des Westens zum Aus-druck bringt. Zeitgleich zum Prozess der Globalisierungmuss man bedauernswerterweise einen Prozess der Balka-nisierung und der Fragmentierung des sozialen Zusam-menhaltes der Menschheit feststellen.

Wir müssen ernsthaft bedenken: Wie können wir dieanderen als Feinde betrachten, gegen die man Krieg füh-ren muss, wenn wir nun gezwungen sind, auf dem kleinenRaum, den unser Planet darstellt, zusammenzuleben? Fürwie realistisch dieses Freund-Feind-Schema sich auchimmer selbst darstellen mag: Wir müssen uns seiner entle-digen, wenn wir den einzigen Lebensraum miteinanderteilen wollen, denn wir haben keinen anderen Ort als un-ser Gemeinsames Haus, die Erde. Das Freund-Feind-Denken ist das Fortbestehen von etwas, das der Vergan-genheit angehört und keine Zukunft hat. Die Behauptungder ethnischen Identität in Abgrenzung von anderen, diees unterlässt, gemeinsame Brücken zu suchen, ist eine vonvornherein verlorene Schlacht angesichts der einzigen ge-meinsamen Identität, die zwangsläufig aus der Globalisie-rung der Gattung Mensch hervorgeht. Ein Krieg mit denMitteln der modernen Technik könnte die biologische Zu-kunft der Gattung Mensch aufs Spiel setzen.

Genau diese reduktionistische Sichtweise ist es, die dieWeltpolitik nach dem traurigen Anschlag vom 11. Septem-ber 2001 in den Vereinigten Staaten bestimmt. Man hältmit den Worten nicht hinter den Berg: Es handle sich um

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einen Krieg zwischen „den Ländern der Ordnung und desChaos“, um einen Krieg gegen Länder, die als „Schur-kenstaaten“ beschimpft werden, um einen Krieg zwischender „Achse des Bösen“ und der „Achse des Guten“. Prä-sident George W. Bush wollte in seinem politisch-religiö-sen Fundamentalismus einen unerbittlichen, einen „Kriegohne Grenzen“ gegen den Terrorismus und gegen alle, dieihn strategisch unterstützen, führen. Die hegemoniale Su-permacht stellt alle Länder vor folgende düstere Alterna-tive: Entweder sie sind für die USA und damit für dieZivilisation, oder sie sind für die Terroristen und damitfür die Barbarei. Es gibt keine Ausflucht. Eigenartigerwei-se folgen die muslimischen Fundamentalisten derselbenLogik, sie tauschen nur die Begriffe aus: Man muss dasReich des Bösen, die westliche Überheblichkeit, denAtheismus, den Materialismus der westlichen Kultur be-kämpfen, die unter der Vorherrschaft der USA steht, undman muss sich für das Reich des Guten entscheiden, dasheißt für die Religion und Kultur des Islam. Diese stelltalles unter die Herrschaft des einzigen und wahren Got-tes, Allahs, und deshalb ist die Trennung zwischen Politikund Religion und zwischen Heilig und Profan hinfällig.Er stiftet die Brüderlichkeit zwischen allen Völkern.

Wie man leicht erkennen kann, sind wir hier mit zweiFormen des Fundamentalismus konfrontiert, die beidegleichermaßen auf Krieg bedacht sind und eine mensch-liche Globalisierung bedrohen.

Aufgrund dieser neuen Konfliktkonstellation vertretenAnalytiker des Weltgeschehens wie Thomas L. Fried-mann, ein Kolumnist der New York Times, oder EphraimHalevi, der ehemalige Chef des israelischen Geheimdiens-tes Mossad und jetzt Präsident des nationalen Sicherheits-rates, die These, dass der 11. September 2001 der Beginndes Dritten Weltkriegs war – eines Krieges, der zwischender Welt der Ordnung und des Chaos entfesselt wurde.Die Frage lautet: Um welche Art von Krieg handelt es

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sich? Werden darin alle Zerstörungspotentiale, über dieman verfügt, genutzt, oder kommt es auf eine bewussteSelbstbegrenzung an? Denn wenn der Westen tatsächlicheine militärische Offensive mit Massenvernichtungswaffenstartet, dann wird das Ergebnis so furchtbar sein, dass diezivilen Opfer, die einem Völkermord gleichkommen, inkrassem Widerspruch zu den Werten genau dieser west-lichen und demokratischen Zivilisation stehen, deretwegenman Krieg geführt hat. Wie man sieht, besteht das Para-digma des Feindes und der Konfrontation fort.

Wenn wir mit der Menschheitsfamilie weiterhin imSinne dieses alten Paradigmas umgehen wollen, dann wer-den wir mit dramatischen Szenarien, wie etwa der ernst-haften Gefahr der Zerstörung des Projektes Mensch aufdem Planeten, konfrontiert werden. Was dieses Paradigmaam Leben erhält, ist die zerstörerische Dialektik vonFreund und Feind, die die Vergangenheit für die meistenVölker in so dramatischer Weise geprägt hat.

Innerhalb der Koordinaten der neuen planetarischenPhase, in der wir uns befinden, erscheint dieses Paradigmaumso mehr simplifizierend, eindimensional und reduktio-nistisch. Es enthält nichts, was für die Zukunft einenHorizont der Hoffnung erschließen könnte. Deshalb istdie scharfe Ermahnung von Eric Hobsbawm am Platz, deram Ende seiner Bilanz des 20. Jahrhunderts in seinemBuch Das Zeitalter der Extreme sagt: „Unsere Welt ris-kiert sowohl eine Explosion als auch eine Implosion. Siemuss sich ändern . . . die Alternative zu einer umgewandel-ten Gesellschaft ist Finsternis.“ (Hobsbawm 1998, 720)Eine ähnliche Auffassung äußerte der große HistorikerArnold Toynbee (gest. 1975) am Ende seines Lebens,nachdem er zwölf Bände über die großen Zivilisationender Geschichte verfasst hatte. In seinem autobiographi-schen Buch Erlebnisse und Erfahrungen sagt er in düstererWeise: „Ich habe zu meinen Lebzeiten mitangesehen, dassdie Gewissheit über das Kommen der ,Letzten Dinge‘ in

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der Welt des Westens verblasste und das Ende derMenschheitsgeschichte in den Bereich der irdischen Mög-lichkeiten rückte, die nicht von der Hand Gottes, sondernvon Menschenhand herbeigeführt werden.“ (Toynbee1970, 373 – 374)

Das Äußerste, was dieses Modell zustande bringt, isteine unipolare Welt, entworfen von der Herrschermentali-tät einer einzigen Hegemonialmacht, die mit allen Mittelnihre Vorherrschaft sichert. Es ist eine Macht, die nicht zö-gert, konventionelle Kriege und Präventivkriege zu führenund im Zweifelsfall Massenvernichtungswaffen einzuset-zen. Sie unterwirft die Märkte und die Geldwirtschaftihrer Kontrolle und zwingt die Länder ins Korsett einereinzigen weltweiten Strategie, die unter anderem die Pro-duktion von Information durch einige wenige weltweiteKonzerne beinhaltet, die mit der politisch-ökonomisch-militärischen Macht verbunden sind. Diese Macht recht-fertigt die Kultur der materiellen Güter, fördert eine ver-armte Sichtweise der Realität, zielt auf die Gleichschaltungder bewusst erzeugten mentalen Vorstellungen und sorgtfür die Durchsetzung standardisierter Verhaltensweisenund die künstliche Erzeugung von Geschmäckern.

Dies ist kein gangbarer Weg. Wir müssen dringend neueDurchbrüche finden.

2. Der Blick nach vorn: das Paradigmades Gastes und des Bundes

Eine andere Haltung angesichts der Globalisierung wendetsich der Zukunft und den Chancen zu, die sie in sich birgt.Dabei müssen wir uns dessen bewusst sein, dass wir es miteinzigartigen und neuen Phänomenen zu tun haben. Einneuer Wein bedarf auch neuer Schläuche, eine andereMusik erfordert auch ein anderes Gehör. Die Protagonis-ten eines neuen Weltverständnisses wie Albert Einstein,

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