Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums:...

17
Zusammenfassung: Im vorliegenden Beitrag wird gemeinsam mit einer einleitenden Begriffs- klärung das Thema „Lernen im Museum“ in Beziehung zur „Ästhetischen Bildung“ gesetzt. Dabei begrenzt sich der Beitrag auf das freiwillige und selbstgesteuerte Lernen in Museen. Ausgehend vom Objekt und seiner sehr unterschiedlichen Behandlung/Verwendung im Museumskontext wer- den seine vielfältigen wechselseitigen Bezüge zum Besucher analysiert. Der Fokus wird hierbei auf die Vielgestaltigkeit der Lernprozesse gelegt, die in engen Zusammenhang mit Konzepten der ästhetischen Erfahrung stehen. Dieses sehr heterogene Feld wird u. a. aus der Perspektive der Besucherforschung, der Museologie und der Pädagogischen Psychologie betrachtet. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie die Lernprozesse konzeptualisiert und im Rahmen der empirischen Forschung identifiziert werden und welche Schnittpunkte zwischen den genannten Perspektiven vorliegen. Abschließend werden sowohl offene Fragen als auch Überlegungen zu Perspektiven und Ansätzen für künftige Forschung im Bereich des Lernens im Museum vorgestellt. Schlüsselwörter: Museum · Ästhetische Bildung · Besucherforschung · Lernen Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings Abstract: In this paper, the authors want to relate the issue of “learning in museums” with “aesthetic education”. The contribution is focused on the voluntary and self-organized learning in museums. The objects and the variety of their presentations in regard to the visitor are ana- lyzed, focusing the polymorphism of learning processes, related to aesthetic experiences. This heterogeneous field is reflected from the perspective of visitor research, museology and educa- tional psychology by reflecting the conceptualization of learning processes, their identification by empirical research and the intersection of the different perspectives. Finally, open questions and perspectives for further research concerning learning in museums are discussed. Keywords: Museum · Aesthetic education · Visitor research · Learning Z Erziehungswiss (2013) 16:199–215 DOI 10.1007/s11618-013-0434-9 Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde Annette Noschka-Roos · Doris Lewalter © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Prof. Dr. A. Noschka-Roos () Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München, Deutschland E-Mail: [email protected] Prof. Dr. D. Lewalter TUM School of Education, Schellingstr. 33, 80799 München, Deutschland E-Mail: [email protected]

Transcript of Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums:...

Page 1: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

Zusammenfassung: Im vorliegenden Beitrag wird gemeinsam mit einer einleitenden Begriffs-klärung das Thema „Lernen im Museum“ in Beziehung zur „Ästhetischen Bildung“ gesetzt. Dabei begrenzt sich der Beitrag auf das freiwillige und selbstgesteuerte Lernen in Museen. Ausgehend vom Objekt und seiner sehr unterschiedlichen Behandlung/Verwendung im Museumskontext wer-den seine vielfältigen wechselseitigen Bezüge zum Besucher analysiert. Der Fokus wird hierbei auf die Vielgestaltigkeit der Lernprozesse gelegt, die in engen Zusammenhang mit Konzepten der ästhetischen Erfahrung stehen. Dieses sehr heterogene Feld wird u. a. aus der Perspektive der Besucherforschung, der Museologie und der Pädagogischen Psychologie betrachtet. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie die Lernprozesse konzeptualisiert und im Rahmen der empirischen Forschung identifiziert werden und welche Schnittpunkte zwischen den genannten Perspektiven vorliegen. Abschließend werden sowohl offene Fragen als auch Überlegungen zu Perspektiven und Ansätzen für künftige Forschung im Bereich des Lernens im Museum vorgestellt.

Schlüsselwörter: Museum · Ästhetische Bildung · Besucherforschung · Lernen

Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings

Abstract: In this paper, the authors want to relate the issue of “learning in museums” with “aesthetic education”. The contribution is focused on the voluntary and self-organized learning in museums. The objects and the variety of their presentations in regard to the visitor are ana-lyzed, focusing the polymorphism of learning processes, related to aesthetic experiences. This heterogeneous field is reflected from the perspective of visitor research, museology and educa-tional psychology by reflecting the conceptualization of learning processes, their identification by empirical research and the intersection of the different perspectives. Finally, open questions and perspectives for further research concerning learning in museums are discussed.

Keywords: Museum · Aesthetic education · Visitor research · Learning

Z Erziehungswiss (2013) 16:199–215DOI 10.1007/s11618-013-0434-9

Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

Annette Noschka-Roos · Doris Lewalter

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Prof. Dr. A. Noschka-Roos ()Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Prof. Dr. D. LewalterTUM School of Education, Schellingstr. 33, 80799 München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Page 2: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

200 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

Der vorliegende Beitrag versucht zunächst die zu Grunde liegenden zentralen Begriffe vorzustellen, die das Thema „Lernen im Museum“ und die Beziehung zur „Ästheti-schen Bildung“ beinhalten (1). Diese ohnehin in ihrem Umfang schon unterschiedlichen Begriffe beziehen sich nicht nur auf ein weites, sondern zudem auf ein äußerst hetero-genes und sich stets änderndes Feld, das in einem nächsten Schritt in einigen Linien kurz skizziert werden soll (2), um verschiedene Forschungsperspektiven zum Thema „Lernen im Museum“ einordnen zu können und empirische Befunde zu präsentieren, die unter-schiedliche Facetten des Themas eingrenzen und konkretisieren (3). Dass es sich hierbei um ein unvollständiges Bild mit noch vielen offenen Fragen für die Forschung handelt, thematisiert abschließend der Ausblick (4).

1 Begriffe

Von Richard Powers’ Romandebüt (2011) wird berichtet, wie eine Fotografie von August Sander sein Interesse so stark weckte, dass er sich mit deren Entstehungsgeschichte aus-einandersetzte und dazu einen raffiniert konstruierten Roman schrieb, seinen ersten: Die Begegnung verwandelte den literarisch interessierten Wissenschaftler in einen Schrift-steller, ausgelöst durch den Zufall, der ihn wegen der langen Anschlusszeiten für den nächsten Zug in ein Museum führte. Ein zugegeben extremes Beispiel in der Behandlung der Frage, was „ästhetische Erfahrung“ sein kann und ob im Museum gelernt wird, hier verstanden als „aktive, reflexive und produktive Imagination“ (Zacharias 2010, S. 312). Das nächste Beispiel führt nicht in das Museum, es beschreibt aber eine für die folgende Betrachtung ebenso aufschlussreiche „ästhetische Erfahrung“: Der Atomphysiker Hei-senberg (1901−1976) hält in den zwanziger Jahren das Erlebnis seiner nach langer Suche endlich entdeckten mathematischen Formel für die Quantenmechanik in folgender Weise fest: „Im ersten Augenblick war ich zutiefst erschrocken. Ich hatte das Gefühl durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunterliegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen, und es wurde mir fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun der Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“ (Rotter und Wullfius 2011, S. 155). Beide Beispiele führen u. E. zu zentralen Ausgangspunkten des Beitrags:

Sie beschreiben „ästhetische Erfahrungen“, die als Voraussetzung für „Ästhetische Bildung“ gelten können, die in der Definition als eines sich wechselseitig bedingenden Prozesses zwischen Gegenstand und Subjekt (vgl. Zacharias 1991) Parallelen zu Bil-dungstheorien aufweisen. Betrachtet man die Konzepte der „ästhetischen Erfahrung“, so ist ein gemeinsames Merkmal, dass es sich um kreative, selbst reflexive und evidente, je individuell wirkende Impulse handelt, von außen oder innen ausgelöst mit wechselseiti-gem Erschließungsverfahren: Das Foto und die Formel werden erschlossen und dadurch erschließen sich auch jeweils neue Sichtweisen auf die Welt. Die „ästhetische Erfahrung“ ist ein Innehalten, ein Nachdenken mit Empfindungen, eine neu entdeckte Erkenntnis über sich oder über die Welt; eine neue Begegnung bei der Betrachtung eines Kunst-werks, mit der je nach individueller Konstellation ein mehr oder weniger starker Impuls zur Aus-Ein-Ander-Setzung ausgelöst wird (vgl. Zacharias 2010, S. 316). Beide Beispiele beschreiben somit Selbstbildungsprozesse, auch ein Definitionsmerkmal der ästhetischen

Page 3: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

201Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

Erfahrung. Ebenso sind kritisch-reflexive und eigenaktive sowie motivationale Merkmale in der Definition der ästhetischen Erfahrung enthalten: Welche zentrale Bedeutung der Begeisterung, der Motivation, der Eigenaktivität zukommt, spiegelt die gegenwärtige Bildungsdiskussion wider.

Mit diesen einleitenden Gesichtspunkten zur ästhetischen Erfahrung wurden der Rah-men abgesteckt und folgende Prämissen dem Beitrag zu Grunde gelegt:

a. Neben Künsten und tradierten Kulturformen zählen auch naturwissenschaftlich-schöpferische Leistungen zu den kulturellen Leistungen; damit wird eine mit Blick auf die Museumslandschaft notwendige Definition gewählt, die kunst- und kultur-historische Museen sowie naturkundliche oder naturwissenschaftliche Museen einbezieht.

b. Bildung wird als ein subjektives Vermögen, die Welt zu erschließen, betrachtet und alle Formen – kognitive ebenso wie emotionale oder soziale – einbezogen. Bildung wird hierbei als Prozess betrachtet und nicht als Produkt. Dadurch ist es möglich die für einen gelungenen Bildungsprozess notwendigen Lernvoraussetzungen, d. h. die interdependenten Rahmenbedingungen in den Fokus zu nehmen und zu untersuchen.

2 Das Feld

Museen, definiert durch ihre Aufgaben des Forschens, Bewahrens, Dokumentierens, Aus-stellens und Vermittelns, zeichnen sich gegenüber allen anderen Bildungsstätten durch ihre Objekte aus. Sie sind Orte des Authentischen, des Realen oder differenzierter: des konstruiert Authentischen, Realen; im Unterschied zur medialen Welt erlauben sie einen sinnlich haptischen Zugang. Museen sind eo ipso Orte ästhetischer Erfahrung, für Kura-torinnen und Kuratoren, die beispielsweise sinnlich und konkret nachvollziehbar Merk-male oder Konzepte von Objekteigenschaften herausarbeiten, in systematischer Form Objektklassen bilden, oder das inhärente, materialisierte Wissen von Artefakten analy-sieren (vgl. Te Heesen und Lutz 2005); für Besucherinnen und Besucher, die den Objek-ten in den Ausstellungen begegnen, die faszinieren, Fragen hervorrufen, Neues zeigen, Bekanntes neu sehen lassen, zu neuen Betrachtungszusammenhängen führen und andere Formen des Lernens auslösen.

Doch welche Bedeutung erhalten Objekte, wenn sie ausgestellt werden, wer selektiert und präsentiert nach welchen Prinzipien, und werden die zu Grunde liegenden Ordnungs-systeme des Ausstellungskonzepts Besuchern transparent? Solche Fragen zählen zu den Aufgaben der mit interdisziplinären Methoden arbeitenden Museumswissenschaft, die beispielsweise mit semiotischen, soziologischen sowie ethnographischen Ansätzen arbei-tet (vgl. Baur 2010; Macdonald 2006) oder auch mit psychologischen (vgl. Macdonald 2006; Graf und Noschka-Roos 2009) und die in jüngster Zeit parallel zu dem Museums-boom eine wachsende Bedeutung erhält: Mit dieser Dynamik entwickelte sich eine Viel-falt an Perspektiven und methodischen Ansätzen zur Analyse der Museen.

In diesem neuen Forschungsfeld (vgl. Baur 2010) werden im Folgenden zwei Linien verfolgt und kurz skizziert, da sie u. E. für das Thema Lernen im Museum konstitutiv sind. So entwickelte sich zum einen vor dem Hintergrund der Öffnung der Museen ein

Page 4: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

202 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

empirischer Zweig mit soziologischen Fragestellungen, die beispielsweise die Beziehung zur Öffentlichkeit beziehungsweise zu den Besuchern untersuchen. Zum anderen ist der museologische Diskussionsstrang von Interesse, der den Umgang mit Dingen thematisiert und auf Zeigestrategien oder Ausstellungsprinzipien verweist, die Bildungsfragen impli-zieren. Dieser Strang soll im weiteren Verlauf aufgegriffen und mit der Darstellung ver-schiedener Ansätze der Besucherforschung, die Lernprozesse untersuchen, vertieft werden.

1. Der sich international abzeichnende Museumsboom, der auch in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten ist, wird mit als Ursache für die Besucherorientierung interpretiert, die Graf (2003) als einen Paradigmenwechsel in der Museumsarbeit definiert. Zu dieser Schlussfolgerung führen ihn die Ergebnisse einer an seinem Insti-tut in Auftrag gegebenen Sekundäranalyse: Die alljährlich am Institut für Museums-forschung SMB-PK Berlin erfassten Besuchszahlen zeigten über Zehn-Jahresschnitte – von den 1980er Jahren bis 2000, wie die Zahl der Museen kontinuierlich gestiegen ist, während sich die Besuchszahlen seit den 1990er Jahren auf hohem Niveau, bei etwa 105 Mio. Besuche, eingependelt haben. Steigende Besuchszahlen, so das Ergeb-nis, liegen insbesondere dann vor, wenn Museen mit Sonderausstellungen, Neueröff-nungen sowie durch museumspädagogische Angebote aktiv sind. Dieses sogenannte Konzept der Besucherorientierung mit seinen unterschiedlichen Ausprägungsformen (vgl. Noschka-Roos 2012) entwickelte sich in den 1970er Jahren mit der international geführten Diskussion über die gesellschaftliche Funktion der Museen (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 1974; Deutsche UNESCO-Kommission 1976) und steht am Beginn der museumspädagogischen Profession mit einem inzwischen breiten, museumsspezifischen Methodenspektrum (vgl. Noschka-Roos 2012).

Neben dem genannten Paradigmenwechsel der Museumsarbeit und den unter-schiedlich zu beachtenden Motiven des Museumsbooms treten zur Erklärung der strukturellen Änderungen des Museumswesens gesellschafts- und kulturpolitische Faktoren, aber auch ökonomische Faktoren hinzu, die insbesondere die Bedeutung des Standorts oder die Konkurrenz auf dem Freizeitmarkt – nicht zuletzt durch die Diversifizierung in der Museumslandschaft selbst – betonen (vgl. Landschaftsverband Rheinland 1996). Die Öffnung des Museums führte somit zu strukturellen Untersu-chungen über die Beziehung zur Öffentlichkeit mit soziologischen und museologi-schen Fragestellungen (vgl. Klein und Bachmayer 1981; Treinen 1974; Klein 1990; Kirchberg 2005; Vergo 1989) und lieferte aufschlussreiche Ergebnisse, beispielsweise darüber, welche Besucher welche Museen bevorzugen (vgl. Graf und Noschka-Roos 2009).

2. „Die Rückkehr des Dings“ betrachtet Korff in einem Interview (Korff 2006a) als ein Charakteristikum in den jüngsten Entwicklungen des Museums- und Ausstel-lungswesens und verweist auf die Tatsache, dass Objekte nicht mehr im Sinne eines zweidimensionalen Verweissystems als Beleg dienen, sondern in ihrer visuellen wie haptischen dreidimensionalen Eigenschaft im Raum als „eigentliches Bauelement“ verortet werden. Begehbare Raumbilder werden erzeugt, in denen „das absichtsvolle Arrangement der Dinge und der Raum als Bedeutungsproduzenten mit einkalkuliert sind“ (ebd., S. 34). Für solche Inszenierungen, deren Beginn in den 1980er Jahren

Page 5: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

203Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

liegt und die in Deutschland maßgeblich von Korff eingeleitet wurden, hat sich ver-stärkt seit der Expo 2000 ein eigener Berufszweig entwickelt, der der Szenografen.

In dem Interview macht Korff darüber hinaus auf terminologische Probleme auf-merksam, die zum einen innerhalb des jungen Berufszweigs selbst zu finden sind, da eine unterschiedliche Sprache verwendet wird, und die zum andern in der Zusammen-arbeit zwischen Museumswissenschaftlern und Szenografen in der Verständigung über die Ausstellungsinhalte bestehen. Ein dritter und an anderer Stelle (vgl. Korff 2006b) formulierter Tatbestand liegt in den Dingen selbst, da sich ihr zu erschließen-der Sinn durch das Ordnungssystem der Ausstellung ergibt und sie dennoch durch das Konkrete und Sinnliche auch andere Potentiale offenhalten.

Diese „changierenden Bedeutungen der Museumsdinge“ (Macdonald 2006) wer-den von Fayet (2005) in allgemeiner Form an der Zahl Drei erläutert: Für den Leser ist in der Dreier-Reihe (3, 6, 9, 12) die 3 die erste Zahl, die für ihn einen anderen Sinn erhält in der Fibonacci-Reihe (1, 2, 3, 5, 8) und wieder eine andere Bedeutung in der Primzahlen-Reihe (1, 2, 3, 5, 7) und er fährt fort: „Die Rezeption einer Ausstellung gleicht der Lektüre einer hochkomplexen Zahlenreihe, bestehend aus vieldeutigen Einzelzahlen.“ (ebd., S. 21)

Wie verhalten sich Besucherinnen und Besucher in einem Ausstellungsraum im Umgang mit den Dingen? Erkennen sie die Deutungsabsicht oder lernen sie ganz andere Dinge? Können Verständnishilfen so angeboten werden, dass sie die Deutungsabsicht unterstüt-zen, und sind diese für Besucher verständlich? Die Untersuchung solcher Fragen zählt zum Gegenstandsbereich der Besucherforschung, die Baur (2010) als ein museumsana-lytisches Instrumentarium einführt, das aus interdisziplinärer Perspektive zur Sondierung des „Forschungsfeldes Museum“ beitragen soll. Welche Perspektiven die Besucherfor-schung auf dieses Feld richtet, wie sich diese gewandelt haben und welche neuen Akzente gesetzt werden, ist nach einer museologischen Einführung Gegenstand des folgenden Abschnittes.

3 Forschungsperspektiven und empirische Befunde

Um das Lernen im Museum bzw. um Lernpotenziale musealer Wissensvermittlung durch Ausstellungen zu sondieren, sollen zunächst zentrale Eigenschaften des Ortes vorge-stellt werden, der trotz aller Vielfältigkeit, insbesondere in sogenannten Kontextmuseen, bestimmte gemeinsame Merkmale besitzt. Kontextmuseen wie kultur- oder naturhisto-rische Museen sind auf einen Erklärungs- oder Erläuterungskontext der ausgestellten Objekte angewiesen. In der folgenden Analyse werden nur Kontextmuseen in den Blick genommen, auch wird auf die Analyse museumspädagogischer Vermittlungsformen, deren Ausbau verstärkt mit dem „Paradigmenwechsel der Besucherorientierung“ ein-setzte, aus Gründen des Überblicks verzichtet (siehe dazu Noschka-Roos 2012).

3.1 Museologische Einführung

Der oben bereits skizzierte Paradigmenwechsel leitete auch einen Wandel im Umgang mit Objekten ein: Zunächst in einer Fachsystematik geordnet und mit sparsamen Texten

Page 6: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

204 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

nur für Connaisseurs „lesbar“, wurden Objekte mit der Öffnung der Museen durch Grafi-ken, Bilder, Texte oder andere Erläuterungsmedien ergänzt (vgl. Rohmeder 1977), um sie im deduktiven Sinn als Beleg für ein Ausstellungsthema einzubinden. Die Rückkehr des Dings, basierend auf der Reflexion der beispielsweise epistemischen, authentischen oder auch verfremdenden Eigenschaften (vgl. Korff 2006a), führte in den letzten zwei Jahr-zehnten zu einem von Korff sog. „expositorischen Umgang“ mit Objekten. Die eigent-liche Bildungsarbeit der Museen liegt für Korff vor allem darin, den Erkenntnisvorgang, der durch die Auseinandersetzung mit den Objekten evoziert wird, freizulegen und neue Betrachtungsräume, durch die Untersuchung von Sprache und das, auf was sie verweist, zu erschließen. Aus dieser museologischen Position resultieren ästhetische Bildungsim-plikationen mit folgenden Konsequenzen:0 Das Museum fungiert nicht als Abbild; vielmehr arbeitet es mit dem Bild, und diese

„Bildwelt“ unterliegt anderen Regeln, die für das Lernen als Prozess wirksam werden können und nicht ergebnisorientiert einzuordnen sind: Sie bietet zum einen „diskurs-fähige und diskursstimulierende Installationen, die Staunens- und Reflexionspro-zesse“ auslösen können (ebd., S. 71); sie kann bereits durch die Übersetzung in den Ausstellungsraum und deren Ordnungsprinzipien als „Verständigungsmedium zwi-schen disparaten Wissensbereichen und Wissenskulturen […]“ (ebd., S. 66) dienen und stellt damit drittens „eine Gegenkraft zur Invisibilierung und Intransparenz der sciences […]“ dar (ebd., S. 71).

0 In der praktischen Arbeit des Museums sind im Hinblick auf die Anforderungen der Wissensvermittlung kognitive, kommunikative und ästhetische Logiken zu beachten: Sei es, dass Objekte nicht zu Alibi- oder Illustrationsfunktion benutzt werden, sei es, dass auf einen Vermittlungsmodus geachtet wird, der beispielsweise Kriterien der Neuigkeit, der Einfachheit und Kürze oder der Bedeutsamkeit erfüllt und gleichzeitig aber nicht populistisch arbeitet.

0 Aus der Qualität der Anschaulichkeit des Museums resultiert – im Sinne einer ästhe-tischen Erfahrung – ein Ort der sinnlichen Erkenntnis, der mit Hilfe inszenatorischer Mittel eine Erlebnisqualität bereitstellt, „die sich aus dem Bezugsystem von Kör-per, Gegenstand und Raum ergibt“; ein Ort, der nach den Regeln der Distanz, der Differenz oder des Transfers arbeitet (Korff 2006a S. 67). Wissen wird nicht repro-duziert, sondern es wird neues Wissen generiert, sei es seitens des Museums und sei-ner Sammlungen im Rahmen des Ausstellungskonzepts oder seitens des Rezipienten beim Besuch der Ausstellung.

0 Diese „sensible Transformation des Rezipienten zum Produzenten“ wird nicht als direkter Lerneffekt betrachtet: Das Potential des Museumslernens liegt vielmehr in der „Vermittlung von Dechiffrierungskompetenz und Kombinationsfähigkeit“ (ebd., S. 71)

3.2 Untersuchungsansätze in der Besucherforschung

Was lernen Ausstellungsbesuchende, und im Fall von Korff sicherlich erfahrene rsp. habi-tuelle Besucherinnen und Besucher? Dieses reflexive Innehalten bzw. dieses neue Sehen im Umgang mit den Dingen, um habituelle und sozial konstruierte Muster mit Überra-

Page 7: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

205Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

schung oder Ironie zu hinterfragen, ist ein aktuelles Konzept in der Museumsdiskussion. Eine Diskussion, die nicht nur in ethnologischen Museen geführt wird im expositorischen Umgang mit ihren Sammlungen, und beispielsweise die Kolonialgeschichte mit einer gegenwärtig globalen Perspektive verknüpft; diese Diskussion ist auch in naturhistori-schen Museen zu finden mit der Thematisierung des Klimawandels oder in Technikmu-seen mit der Präsentation technologisch rezenter Entwicklungen. In beiden Fällen wird eine inhaltliche Auseinandersetzung an den Schnittpunkten von Wissenschaft und Gesell-schaft geführt, die für Ausstellungen mit Objekten „übersetzt“ werden müssen: So kann beispielsweise für das Thema Klimawandel eine Dampfmaschine ausgestellt werden, um in symbolischer Form die Industrialisierung und die damit steigende CO2-Emission zu thematisieren. Wird dieser neue Umgang mit Objekten von Besuchern verstanden?

Diese räumliche Übersetzungsleistung durch Dinge, die nicht mehr nur fachwissen-schaftlich belegen, sondern szenografisch argumentieren, steht noch vor vielen unge-lösten Problemen: Gesellschaftlich relevante Fragen, die im Erforschen, gemeinsamen Erkunden oder anderen reflexiven Umgangsformen an Museumsorten aufgegriffen wer-den, verlangen eine eigene Präsentationsästhetik, die zunächst entwickelt werden muss. Die mit der Ausarbeitung des Themas sowie seiner Präsentation verbundenen Fragen las-sen sich nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Aushandlung gemeinsamer Positionen bzw. „Sichtweisen“ bearbeiten und ggf. auch lösen.

Die skizzierte Situation erklärt wohl zum Teil die Vielzahl verschiedener Disziplinen, die im Feld der Besucherforschung zu finden sind und von Macdonald als „nicht gut koordiniert“ bezeichnet werden (Macdonald 2011, S. 237). Das Zusammenspiel von Aus-stellungsdesign und Ausstellungsbesuch ist für Macdonald von zentraler Bedeutung (vgl. Macdonald 2006; Macdonald und Basu 2007). Sie forscht an einer Präsentationsästhe-tik, da sie ähnlich wie Korff die ortsspezifischen Qualitäten einer Ausstellung freilegen möchte, um im Sinne einer sachlichen wie sinnlichen Begegnung reflexive wie kritische Prozesse auszulösen. Welche Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung und Realisierung eines solchen Konzepts warten, insbesondere dann, wenn Besuchende die Intentionen einer Ausstellung durch die eigene Wahrnehmungsstrategie unterlaufen, zeigt aus ihrer Sicht die Notwendigkeit von Evaluationsstudien.

Solche Studien sollten als „graue Paper“ in einem Pool für die Community zur Ver-fügung stehen: sowohl für das Ausstellungsdesign, um Fehler vermeidende, evidente Kenntnisse für die Präsentation zur Verfügung zu stellen, als auch für die Besucherfor-schung, um bestimmte Muster in der Interaktion zwischen Präsentation und Rezeption entdecken und analysieren zu können. Diesem pragmatischen wie Erkenntnis leitenden Interesse liegt zu Grunde, dass sie zum einen – wie viele andere Ausstellungsmachende – davon überzeugt ist, dass eine gemeinsame Sprache fehlt, die durch systematischen Vergleich entwickelt werden könnte. Zum andern aber sucht sie eine Besucherfor-schungsperspektive, die das Bedingungsverhältnis von Präsentation und Rezeption näher untersucht und für die Praxis fruchtbar gemacht werden könnte. Sie bezieht sich dabei auf rare, aber spannende Untersuchungsergebnisse, die zeigen: „[…] selbst dann, wenn unter den Besucher/-innen eine Vielfalt von Reaktionen zu beobachten ist, diese dennoch jeweils ‚strukturiert‘ sind, und zwar in einer Weise, die zur Beziehung der Präsentation des besonderen Ortes steht“ (Macdonald 2011, S. 243). Inwieweit hier Lernmuster im

Page 8: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

206 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

Sinne eines „hidden curriculums“ wirksam werden, stellt einen eigen zu konzeptualisie-renden Untersuchungsbereich dar (vgl. Terhart 2009).

Um das komplexe Bedingungsverhältnis zu skizzieren, werden im Folgenden Besu-cherforschungsbeispiele vorgestellt. Ausgangspunkt für die Auswahl bildet der Ansatz, das Thema Lernen in einer Ausstellung als ein Wechselspiel von Besuchenden und den besonderen Qualitäten des Ortes zu betrachten. Darunter zählen solche, die zum großen Teil im deutschsprachigen Raum bisher wenig Beachtung fanden, die aber u. E. auf ästhe-tische Erfahrungsprozesse fokussieren und das Lernen als aktiven Prozess aus ganz unter-schiedlichen Perspektiven erforschen. Doch einleitend sollen die in der Besucherforschung zunächst maßgeblichen Evaluationstudien kurz skizziert und deren Forschungsparadigma vorgestellt werden, um die Argumentation von Macdonald nachvollziehen zu können.

3.2.1 Analyse der Lernergebnisse – die instruktionale Perspektive

Mit der Öffnung der Museen in den 1970er Jahren lag der Schwerpunkt der pädagogisch-psychologischen Besucherforschung zunächst darin, die Verständlichkeit des Zusammen-spiels der Objekte mit den sie erläuternden Medien zu untersuchen. Dieser Zugang war eng mit der Vorstellung des Lernens als Ergebnis eines kognitiven und absichtsvollen Rezeptionsprozesses verbunden. Im Fokus stand dabei, inwieweit Besucher tatsächlich die präsentierten Inhalte mit der angestrebten Botschaft der Ausstellung wahrnehmen, verarbeiten und schließlich erinnern können. Wichtige Forschungsarbeiten, die meist in Form von Befragungen im Anschluss an die Betrachtung einzelner Ausstellungselemente bzw. am Ende des Ausstellungsbesuchs erfolgten, wurden von Screven (1976) Shettle (1996) oder Miles (1989) durchgeführt. Diese Evaluationsforschung, die mit dem prag-matischen Ziel angetreten ist, die instruktionale Seite der Informationspräsentation in Museen und Ausstellungen zu optimieren, konnte nur in eingeschränkter Weise die beab-sichtigte (Lern-)Wirkung feststellen. Aber sie demonstrierte mit zahlreichen formativen Studien, wie das Zusammenspiel von Objekten und den sie erläuternden Medien wie interaktive Installationen, Bilder oder Texttafeln untersucht und optimiert werden konnte.

So wurden zum Beispiel bezogen auf Ausstellungstexte zahlreiche Feldstudien durch-geführt, um Texte so zu gestalten, dass sie eine Auseinanderersetzung mit dem Objekt anregen bzw. vertiefen und ein Verständnis der von den Ausstellungsmachern intendier-ten Aussage erreicht wird (vgl. Screven 1976; Bitgood und Patterson 1995; Serrell 1996). Das Ziel dieser auf pädagogisch-psychologischen Kenntnissen basierenden Untersuchun-gen lag somit darin, in anwendungsorientierter Form ein Know-how zur Formulierung verständlicher Texte zu entwickeln, und weniger Einblicke in die individuelle kritisch-re-flexive Interpretation durch die Besucher zu gewinnen, die als ein wesentliches Merkmal ästhetischer Bildung gilt (s. o.).

Diese forschungspragmatische und stärker auf der instruktionalen Seite beruhende Perspektive wurde mit dem Konstruktivismus in Frage gestellt. Falk und Dierking (2000) fokussieren auf den Verlauf des Gesamtbesuchs und dessen Wirkung: Die individuelle Vielfalt der Lernwege und unterschiedlich intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Ausstellungselementen, die u. a. Beobachtungsstudien belegt haben, prägen den von Falk und Dierking (2000) eingeführten Begriff der „free-choice-learning activities“. Aus dieser konstruktivistischen Perspektive wird Lernen als aktiver und produktiver Prozess

Page 9: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

207Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

betrachtet, der zur eigenen Konstruktion rsp. Entwicklung von individuellen Bedeutungs-zuschreibungen und Wissensbeständen führt (vgl. Osborne und Wittrock 1983). Lernen als ein Prozess der personenspezifischen Auseinandersetzung mit der physischen Umwelt ist durch soziokulturell geprägte Interaktionen mit anderen Personen gekennzeichnet. Beide Prozesse werden durch die individuelle Brille des Vorwissens, der Vorerfahrungen und des Interesses gefiltert (Falk und Dierking 2000).

Um die eingangs bereits geschilderten spezifischen Besonderheiten der Lernumge-bung Museum und ihrer Rezeption durch Besucher zu strukturieren und die Vielfalt der Lernereignisse in diesem Feld zu erfassen, entwickelten Falk und Dierking (2000) das sogenannte „Contextual Model of Learning“, das auf der Basis behavioristischer, entwick-lungspsychologischer und kognitiver Theorieansätze sowie entsprechender Forschungs-arbeiten beruht. Um das Lernen der Besucher beschreiben und erklären zu können, fassen die Autoren die von ihnen in diesem Feld identifizierten Schlüsselfaktoren in drei über-geordnete Kontextbereiche zusammen: Der persönliche Kontext umfasst die Aspekte 1) Besuchsmotivation und Erwartungen; 2) Vorwissen und Erfahrungen; 3) frühere Inte-ressen; 4) Wahl und Kontrolle. Der soziokulturelle Kontext beinhaltet die Aspekte 5) kultureller Hintergrund; 6) soziokulturelle Vermittlung in der (Besuchs-)Gruppe und 7) fördernde Vermittlung durch andere. Der physische Kontext schließlich setzt sich zusam-men aus 8) Advance Organizer, wie beispielsweise Einführungen in ein Ausstellungs-thema; 9) Orientierungshilfen im Raum; 10) Architektur und Umgebung; 11) Design der Ausstellungen, Programme und Technologien sowie 12) sich anschließende verstärkende Ereignisse und Erfahrungen außerhalb des Museums. Die jeweilige Interaktion der drei Kontextbereiche beeinflusst die je individuelle Lernwirkung und das „meaning making“ und bildet den Rahmen zur Erklärung der Lernprozesse im Museum.

Dieser Komplexität, Situiertheit und Differenziertheit der vielfältigen und vielschich-tigen Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher im Museum trägt Hooper-Greenhill (2007) in ihrer Konzeption des Generic Learning Outcome (GLO) Rechnung, das eben-falls auf einer konstruktivistischen Sicht von Lernprozessen basiert: In ihrer „cultural theory of learning“ beschreibt sie das Museum als Ort selbstorganisierter Lernprozesse. Folglich kann es nicht um die Ermittlung oder Testung eines objektiven Lernfortschritts gehen, sondern vielmehr um das systematische Erfassen des Spektrums der subjektiv wahrgenommenen Wirkungen: Ihr GLO-Modell beinhaltet deshalb, neben Wissen und Verstehen, die Verbesserung von Fertigkeiten, die Veränderung von Einstellungen und Werten, das Erleben von Vergnügen, Inspiration und Kreativität, sowie Aktivitäten und persönliche (Identitäts-)Entwicklung. Mit diesem Modell versucht sie, die individuelle Wahrnehmung der Besucherinnen und Besucher hinsichtlich der Wirkung und der Effekte von Museumsbesuchen zu beschreiben. Diese unterschiedlichen Formen des Lernens hat Hooper-Greenhill in England in mehreren breit angelegten Studien mit Hilfe von stan-dardisierten und offenen Fragebögen, Focus-Gruppen- und Leitfaden-Interviews sowie Beobachtungen untersucht, die subjektive Selbsteinschätzungen ermitteln und keine objektiven Messungen darstellen. Die Entwicklung dieses Modells mit dem sehr breit angelegten Zugang zur Lernwirkung von Museen ist sicherlich auch vor dem Hintergrund bildungspolitischer Diskussionen zum sozialen, ökonomischen, kulturellen und individu-ellen Nutzen der Museen zu betrachten, in denen u. a. öffentliche Ausgaben für Museen als Ort des lebenslangen Lernens legitimiert werden müssen.

Page 10: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

208 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

3.2.2 Analyse der Lernprozesse – die konstruktivistische Perspektive

Neben dieser outcome-orientierten Besucherforschung entwickelte sich ein weiterer Zweig, der den Lernprozess in Museen in den Fokus nimmt. Alle im Folgenden vorgestell-ten Ansätze teilen, ebenso wie Hooper-Greenhill in ihrem GLO-Modell, die Perspektive der Individualität und Vielfältigkeit von Lernprozessen im Museum. Diese Perspektive mit dem Akzent des freiwilligen und individuell konstruierten Lernens geht insbeson-dere auf Hein (1995) zurück, der den Konstruktivismus in die Besucherforschungsdebatte einführte. Die daraus resultierenden ausstellungsdidaktischen Konsequenzen wurden allerdings in ihrer Neuheit bezweifelt (vgl. Miles 1997), mit Argumenten, die auch die hiesige didaktische Diskussion kennt (vgl. Terhart 1999). Doch unabhängig davon lässt sich feststellen, dass zur Analyse der Lernprozesse im Museum eine neue theoretische Basis bereitgestellt wurde, um diese differenzierter zu betrachten und als wechselsei-tigen Prozess zu konzeptualisieren. Sie führte zu einem besucherorientierten Blick auf das Lernen im Museum und einem reflektierten Umgang mit Besuchern. In den folgend vorzustellenden Ansätzen der Besucherforschung finden zur Analyse von Lernprozes-sen unterschiedliche Bezugsysteme Beachtung: Sie können sich auf die spezifischen Erlebnisinhalte der Besucher im Museum insgesamt konzentrieren, ihren Fokus auf je individuelle Formen des Lernens an und mit den Museumsobjekten richten und deren changierende Bedeutung u. a. auf Grund ihrer Situierung und Kontextualisierung ana-lysieren sowie das museumsspezifische Lernen selbst in Abhängigkeit von den Besucher-merkmalen und dem Ort charakterisieren.

Pekarik, Doering und Karns (1999) nähern sich der individuellen Lernwirkung von Museumsbesuchen, indem sie das Spektrum an Erfahrungen untersuchen, die die Besucher während des Museumsbesuchs erleben und als befriedigend empfinden. Auf der Basis von Interviewdaten ermittelten sie vier Erfahrungstypen, die sie als objekt-bezogene, kognitive, introspektive und soziale Erfahrungen bezeichnen (vgl. Graf und Noschka-Roos 2009; Lewalter und Noschka-Roos 2009). Für die ästhetischen Bildungs-prozesse dürften insbesondere objektbezogene Erfahrungen eine zentrale Rolle spielen, die sich auf die sinnliche Wahrnehmung von z. B. schönen, seltenen, ungewöhnlichen oder wertvollen Objekten beziehen. Ebenso sind vermutlich kognitive Erfahrungen, die Prozesse der Erweiterung des eigenen Verständnisses und den Erwerb neuen Wissens beschreiben – und damit die Lernwirkung im engeren und eher traditionellen Sinne – konstitutiv. Darüber hinaus bilden introspektive Erfahrungen, die die Reflexionen über einen persönlichen Bezug und einer individuellen Verbindung zu einem dargestellten Sachverhalt beinhalten, eine wichtige Grundlage für die ästhetische Bildung.

Pekarik et al. (1999) vermuten auf Basis ihrer Befunde, dass die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Erfahrungstypen vom jeweiligen Museum abhängt und regen dazu an, diesen Forschungszugang auch in anderen Museen aufzunehmen, um zu einer breiteren Datenbasis zu gelangen. Wesentlich erscheint an diesem Ansatz die Betonung der Bedeu-tung sowohl kognitiver als auch affektiver und motivationaler Vorerfahrungen wie auch die Abhängigkeit von Museen selbst. Damit wird zum einen deutlich, dass es nicht DIE Lernwirkung des Museums geben kann, sondern vielmehr ein facettenreiches Spektrum an individuellen Lerngewinnen auf unterschiedlichster Ebene, das wiederum von der Art der Museen abhängig ist.

Page 11: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

209Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

Paris und Mercer (2002) wählen einen anderen Untersuchungsschritt und beschreiben in ihrem Ansatz transaktionale Prozesse zwischen Besucher und Objekt bzw. kontextua-lisierender Schilderung, die dazu führen können, dass diese (Objekte und/oder Schilde-rung) bei den Besuchern unterwartete und neue Reaktionen auslösen, die deren Wissen, Ansichten oder Einstellungen verändern können. Aus ihrer Sicht kann in Museen nicht nur Lernen in einem eher kognitiven Sinne als „meaning making“ stattfinden, sondern werden auch Lernprozesse mit Bezug zur eigenen Person angeregt, die zu den eingangs skizzierten Merkmalen der ästhetischen Erfahrung zählen.

Die Autoren gehen davon aus, dass im Museum sowohl die präsentierten Berichte und Erzählungen, die der Einbettung und Kontextualisierung der Objekte dienen, als auch die von den Besuchern selbst erinnerten Geschichten sich gegenseitig beeinflussen und beide gemeinsam für die Prozesse der individuellen Sinnerzeugung im Museum fundamental sind. Solche Erzählungen/Berichte können in unterschiedlicher Beziehung zum Besucher stehen: Sie können einen direkten persönlichen Bezug aufweisen, eine geteilte soziale Erfahrung beschreiben oder aber eine Erfahrung aus zweiter Hand darstellen.

Unabhängig von diesen Beziehungsmustern können die Autoren in ihrer Interview-Studie belegen, dass bei den interviewten Besuchenden drei verschiedene Reaktionen auf die präsentierten Objekte sowie die begleitenden Erzählungen eintreten können: Sie kön-nen sich in ihrer Ansicht oder Erfahrung bestätigt fühlen, Widerspruch erfahren, oder ihre Erfahrungen erweitern. Entscheidend dabei ist für Paris und Mercer, dass Museumsbesu-cher die Beschäftigung mit Objekten und Berichten zu sich selbst in Beziehung setzen: Dieser transaktionale Vorgang beschreibt nach Ansicht der Autoren das Lerngeschehen mit Ausstellungsobjekten, der bestätigende wie hinterfragende Ansichten hervorrufen kann.

Während dieser dialektische Prozess des Lernens für Paris und Mercer zentral ist, wählt Packer (2006) einen anderen Forschungszugang, mit dem aktuelle Lernerfahrungen und motivationale Qualitäten des Lernprozesses analysiert werden, und kommt zu ähn-lichen Schlussfolgerungen.

Packers (2006) Überlegungen basieren auf Daten einer Fragebogenstudie und einer Interviewstudie mit Besuchern von Museen, Zoos und Aquarien, die zu ihren Zielen des Besuchs (Prä-Befragung) und ihrer Wahrnehmung der Lernumgebung sowie verschie-denen Aspekten ihrer Lernerfahrung während des Besuchs (Post-Befragung) befragt wurden. Entsprechend der Befunde streben die Besucher während des Museumsbesuchs eine besondere Lernerfahrung an, die Packer als „Lernen zum Spaß“ („learning for fun“) bezeichnet. Diese Art des Lernens unterscheidet sich vom „free-choice-learning“, das Falk und Dierking (1992) beschreiben, da nicht das je individuell erzeugte Lernergebnis bedeutsam ist, sondern die Lernerfahrung selbst. Das Lernen zum Spaß ist eine Mischung aus Entdecken, Erforschen, mentaler Anregung und Spannung, das zwar zum Wissens-erwerb führen kann, aber nicht muss. Dieser ist nicht das Ziel der Aktivität; vielmehr sind der Genuss des Lernens und die Lernerfahrung selbst entscheidend. Diese Lernerfahrung tritt vor allem dann auf, wenn Lernen als ein mit Wahlmöglichkeiten verbundener und als mühelos erlebter Prozess des Entdeckens neuer, faszinierender Informationen beschrie-ben wird, der multiple Sinne anspricht. Hier zeigt sich die von Packer beschriebene Nähe zu motivationalen Konzepten, wie Flow, intrinsische Motivation oder Neugierde als auch zur ästhetischen Begegnung. Das „Lernen zum Spaß“ wird von Besuchern vor allem

Page 12: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

210 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

deshalb geschätzt, da es als transformative Erfahrung erlebt wird, die Einfluss auf das eigene Leben oder die eigene Weltsicht haben kann, die eigenen Fähigkeiten beflügelt oder mit Erstaunen, Schönheit und Wertschätzung verbunden ist. Auch hier bildet wie-der der starke Selbst- bzw. Personenbezug ein zentrales Merkmal des Lernprozesses: Ein individuell geformtes Lernen mit kontextualisierten Objekten im Museum und dem Fokus auf persönlichkeitsbezogene Lern- und Entwicklungsprozesse wird somit auch in diesem Ansatz betont, der vom aktuellen Erleben in der Besuchssituation ausgeht. Die von Packer beschriebene Lernerfahrung weist in ihren Dimensionen Ähnlichkeiten zu den verschiedenen Erfahrungsbereichen auf, wie sie von Pekarik et al. (1999) ermittelt wurden.

In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von Rounds (2006) zur Diskus-sion um die Interpretation der individuellen Lernwege der Besucher. Sie betrachtet die ungezielt und oberflächlich wirkenden Besuchsverläufe als das Ergebnis einer individuell optimierten Neugier geleiteten ( curiosity-driven) Besuchsgestaltung und plädiert dafür, die Perspektive der Besuchenden einzunehmen, deren Ziel es ist, im Museum optimal interessante und die eigene Neugier befriedigende Erfahrungen zu machen. Rounds ent-wickelt auf der Basis vorliegender Beobachtungsbefunde Annahmen zu einem bewusst oder unbewusst eingesetzten System von Heuristiken der Besucher für die Auswahl von Ausstellungselementen zur eingehenderen Beschäftigung. Diese beziehen sich auf die Gestaltung einer optimierten Suche, die Aufmerksamkeitsfokussierung und mögliche Abbruchskriterien. Rounds nimmt an, dass diese Heuristiken voneinander unabhängig sind, flexibel eingesetzt und an den jeweiligen Lernort angepasst werden. Ähnlich wie Macdonald regt sie weitere Studien an, um zu klären, inwieweit bei dieser Anpassung bestimmte Muster der Interaktion zwischen Präsentation und Rezeption existieren.

Neuere Besucherstudien im Rahmen eines Verbundforschungsprojekts (vgl. Schwan et al. 2006) geben Hinweise darauf, inwieweit personenspezifische Merkmale diese Muster prägen: So konnte der Einfluss von Merkmalen wie Vorwissen oder Interesse auf die Gestaltung des Besuchsverlaufs nachgewiesen werden (vgl. Donecker 2009) und ebenso der Einfluss des Vorwissens auf die Art der kognitiven Verarbeitung der Präsen-tationsinhalte (vgl. Thoma 2009). Darüber hinaus werden in der pädagogisch-psycho-logischen Besucherforschung weitere spezifische Besuchermerkmale berücksichtigt. So konnte z. B. Grüninger et al. (im Druck) anhand von Besucherdaten zu epistemologischen Überzeugungen und Selbstwirksamkeitsannahmen in naturwissenschaftlich-technischen und kulturhistorischen Museen drei Persönlichkeitsprofile ermitteln. Diese lassen unter-schiedliche Formen der Auseinandersetzung mit den zunehmend in Museen präsentierten fragilen Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung erwarten.

Die vorgestellten Studien und Konzeptionen haben die empirisch überprüfte Annahme gemeinsam, dass Besucher sich in Abhängigkeit von ihren kognitiven und motivatio-nalen Merkmalen aktiv eine der dargebotenen Präsentation erschließen, die für sie von spezifischer Bedeutung ist. Dabei wird nicht nur der persönliche Hintergrund für die Lernwirkung von Museumsbesuchen betont, sondern zudem der Lernprozess als eine je individuell gestaltete Erfahrung im Umgang mit der Ausstellung und deren Objekten betrachtet, dem bestimmte Muster zu Grunde liegen. Welche Muster entwickelt oder im konkreten Fall eingesetzt werden, hängt auch von den Qualitätsmerkmalen der gestal-teten Umwelt ab, die ebenfalls in die Analyse einbezogen werden müssen. So betonen

Page 13: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

211Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

zum Beispiel Paris und Mercer (2002; Paris 2002) die Herstellung persönlicher Bezüge, die einerseits durch die Präsentation kontextualisierender Erzählungen oder Berichte und andererseits durch erinnerte Geschichten der Besucher selbst angeregt werden können.

Darüber hinaus wurde in allen Ansätzen die Bedeutung individueller Merkmale der Besucher im Sinne ihres Erfahrungs- und Wissenshintergrunds sowie ihrer Interessen und Einstellungen theoretisch berücksichtigt. Welche Rolle solche Besuchermerkmale für die Lernwirkung von Museumsbesuchen spielen, wurde bereits in anderen Studien belegt (vgl. Csikzentmihalyi und Hermanson 1995; Hein 1998).

4 Diskussion und Ausblick

Die zur Auswahl und Diskussion vorgestellten Besucherforschungsansätze und deren Befunde reichen von einem heuristischen Rahmen, der hilfreich ist, um Forschungspers-pektiven und Ergebnisse in diesem komplexen Feld einzuordnen und zu diskutieren, über Beschreibungen von Erfahrungsdimensionen, die Lernen breit definieren und emotionale wie empathische Prozesse erfassen, bis hin zur genauen Beschreibung des wechselseiti-gen Bedingungsverhältnisses in der Begegnung von Objekt und Besucher. Sie liefern alle Erklärungsansätze für den freiwilligen und selbstgesteuerten Besuchsverlauf, der in vie-len Fällen nicht der Präsentationslogik folgt und spiegeln somit auf allgemeiner Ebene, dass in Museen nicht nicht gelernt werden kann (vgl. Prenzel 2009) und je nach theoreti-scher Perspektive unterschiedliche Lernprozesse fokussiert werden können.

Um das Thema Lernen im Museum unter ästhetischen Gesichtspunkten vorzustellen, wurden solche empirische Untersuchungsansätze ausgewählt, die das in der Besucher-forschung wie in der Museologie zentrale Verhältnis von Objekt und Besucher sowie den erklärende Kontext zum Gegenstand haben. Es konnte gezeigt werden, wie die Bedeu-tung von Museen als informelle Orte der Wissensvermittlung bzw. als Bildungsstätten gewachsen ist und wie in der Museologie thematisiert wird, Besucher im erschließenden Umgang mit den Objekten nicht in der Rolle als passive Konsumenten, sondern als aktive Produzenten zu betrachten.

In dem komplexen Feld konnten weitere Forschungsfragen identifiziert werden, die für die Museologie und die pädagogisch-psychologische Besucherforschung fruchtbar gemacht werden können: zum einen, dass Ausstellungen, aus konstruktivistischer Sicht offene, bzw. je individuell geformte Effekte erzeugen, die dem Ausstellungskonzept sogar zuwiderlaufen können (und vielleicht in manchen Fällen auch dürfen), unabhän-gig davon, ob die Ausstellungen didaktisch oder kompositorisch gestaltet sind oder zur Auseinandersetzung mit offenem Ausgang einladen. So beschreibt Macdonald, dass die Wirkung der Objekte mehrperspektivisch ist und zu Effekten führen kann, die trotz genauer Planung der Gestaltung rsp. des Ausstellungsdesigns gar nicht intendiert waren (vgl. Macdonald 2011). Diese Befunde berühren aus einer anderen Perspektive den glei-chen Punkt, wenn „die Erklärung, Wahrnehmung und Darstellung von Realität und der sie bestimmenden Regeln und Konstruktionsprinzipien […] an Bildern erlernt werden (kann)“ (Korff 2003, S. 71), aber die Konstruktionsprinzipien auf Grund der Eigenart der Dinge und der Vielfalt sich daran anknüpfender Sichtweisen noch auf keiner gesicherten Basis stehen. Diese Wechselwirkung von Ausstellungsdesign und Ausstellungsbesuch

Page 14: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

212 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

bzw. Ausstellungsbesucher näher zu erkunden, stellt eine wesentliche Herausforderung künftiger Forschungsarbeiten dar (vgl. Macdonald 2011). Ein Weg, das Zusammenspiel dieser Wirkmechanismen zu analysieren und zu reflektieren, könnten sorgfältig doku-mentierte Evaluationsstudien darstellen, wie von Macdonald (2011) vorgeschlagen. Damit wird die instruktionale Perspektive erneut aufgegriffen um zum einen Wege zu entwickeln, wie die Ausstellungsabsicht transparenter präsentiert werden kann, und zum anderen, um über den jeweiligen Einzelfall hinaus grundlegende Muster der Interaktion von Besuchern mit Objekten bzw. Ausstellungskonzepten zu ermitteln.

Darüber hinaus steht eine stärkere multiperspektivische Analyse sowohl kognitiver als auch motivationaler und affektiver Prozesse während der Beschäftigung mit Objek-ten und ihren Begleitmedien aus. Zur Erforschung des komplexen Feldes, erzeugt durch eine Vielzahl von Perspektiven, fallen – trotz unterschiedlicher Konzeptionalisierung – gemeinsame Annahmen auf, die von konstitutiver Bedeutung zur Entwicklung einer Museumsbildungstheorie sind und die Fragen implizieren, wie die Prozesse des ästheti-schen Lernens im Museum zu analysieren und welche Planungs- oder Gestaltungskrite-rien zu berücksichtigen sind:0 die Annahme eines aktiven Produktionsprozesses bei der Rezeption, eine Annahme,

die die konstruktivistische Psychologie, die ästhetische Theorie und bildungstheoreti-sche Ansätze teilen;

0 die Annahme der changierenden Rolle der Objekte, die gleichsam als Mitproduzent eine konstitutive Rolle bei der Rezeption und Produktion eigenen Wissens überneh-men; eine Gedankenfigur, die beispielsweise für die Dingforschung ebenso relevant ist wie für die Pädagogik;

0 die Annahme, dass Interpretationshilfen systematisiert und ausgebaut werden müs-sen, hierzu liegen Überlegungen in der Museologie wie in der Besucherforschung vor.

Für die empirische Bildungsforschung in Museen bildet die Vermessung der darin ent-haltenen Spielräume den entscheidenden Ausgangspunkt, zumal unterschiedliche Spiel-arten zwischen Besuchern, Objekt und Interpretation denkbar sind, die theoretisch unterschiedlich konzeptualisiert werden können. Hier mit dem Ziel zu arbeiten, die Wahrnehmungs- und Lernprozesse zu verstehen, könnte beispielsweise beinhalten, das situationale Interesse (vgl. Krapp 2002) als eine wesentliche verallgemeiner- und ver-gleichbare Voraussetzung zu untersuchen: Die Analyse der Wahrnehmungsrichtung und -tiefe sowie der Bedingungen, die ein solches Interesse fördern oder unterbinden, würden einen wesentlichen Beitrag der Pädagogischen Psychologie im interdisziplinären Aus-tausch zur Beschreibung, Erklärung und Förderung ästhetischer Bildungsprozesse bil-den. Der in Museen offensichtlich vorliegende „Grundzug des informellen Lernens“ im Sinne eines „individuellen, frei machenden und frei haltenden“ (Terhart 2009, S. 65 ff.) Selbstbildungsprozesses steht vermutlich in einem engen Zusammenhang mit einem sol-chen Interesse. Das Museum ist mit seinen Sammlungen ein Ort, der durch die sinnliche Anschauung der Objekte und durch eine Vielfalt weiterer visueller, auditiver oder hapti-scher Installationen das Interesse wecken kann; dieses Potential so auszuschöpfen, dass Besuchende das Museum nicht mit „museum fatigue“, sondern „gewitzter“ verlassen, ist eine Aufgabe, zu der die empirische Bildungsforschung sicher einen Beitrag leisten kann.

Page 15: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

213Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

Literatur

Baur, J. (Hrsg.). (2010). Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes (1. Aufl.). Bielefeld: Transcript.

Bitgood, S., & Patterson, D. (1995). Principles of exhibit design. Visitor Behavior, 2(1), 4–6.Bruner, J. S. (1974). Entwurf einer Unterrichtstheorie. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann.Csikszentmihalyi, M., & Hermanson, K. (1995). Instrinsic motivation in museums: Why does

one want to learn? In J. Falk & L. Dierking (Hrsg.), Public institutions for personal learning (S. 67−78). Washington, DC: American Association of Museums.

Deutsche Forschungsgemeinschaft. (Hrsg.). (1974). Denkschrift Museen: Zur Lage der Museen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West). Boppard: DFG-Denkschrift.

Deutsche UNESCO-Kommission. (Hrsg.). (1976). Die soziale Dimension der Museumsarbeit: Bericht über e. internat. Seminar d. Dt. Unesco-Komm., veranst. in Zusammenarb. mit d. Museum Folkwang vom 20.−23. Mai 1974 in Essen. München: Verlag Dokumentation.

Falk, J. H., & Dierking, L. D. (1992). The museum experience. Washington: Left Coast Press.Falk, J. H., & Dierking, L. D. (2000). Learning from museums: Visitor experiences and the making

of meaning. Walnut Creek: Rowman & Littlefield.Fayet, R. (2005). Ob ich nun spreche oder schweige. Wie das Museum seine Dinge mit Bedeutung

versieht. In R. Fayet (Hrsg.), Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen. Interdiszi-plinäre Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen, (Bd. 1, 1. Aufl., S. 11–32). Baden: Verlag für Kultur und Geschichte.

Graf, B. (2003). Ausstellungen als Instrument der Wissensvermittlung? Grundlagen und Bedingun-gen. Museumskunde, 68(1), 73−81.

Graf, B., & Noschka-Roos, A. (2009). Stichwort: Lernen im Museum. Oder: Eine Kamerafahrt mit der Besucherforschung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 12, 7−27.

Graf, B., & Rodekamp, V. (Hrsg.). (2012). Museen zwischen Qualität und Relevanz. Denkschrift zur Lage der Museen. Berliner Schriften zur Museumsforschung. (Bd. 30, 1. Aufl.). Berlin: G + H Verlag.

Grüninger, R., Specht, I., Schnotz, W., & Lewalter, D. (im Druck). Personale Bedingungen der Ver-arbeitung von fragilem Wissen in Museen. Unterrichtswissenschaft.

Hagedorn-Saupe, M., & Noschka-Roos, A. (1994). Museumspädagogik in Zahlen. Erhebungsjahr 1993. Materialien aus dem Institut für Museumskunde, 41. Berlin.

Hein, G. E. (1995). The constructivist museum. Journal of Education in Museums, 16, 21−23.Hein, G. E. (1998). Learning in the museum. London: Routledge.Hooper-Greenhill, E. (2007). Museums and education. New York: Routledge.Kirchberg, V. (2005). Gesellschaftliche Funktion von Museen. Makro-, meso- und mikro-sozio-

logische Perspektiven. Berliner Schriften zur Museumskunde, 20. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Klein, H.-J. (1990). Der gläserne Besucher. Publikumsstrukturen einer Museumslandschaft. Berli-ner Schriften zur Museumskunde, 8. Berlin.

Klein, H.-J., & Bachmayer, M. (1981). Museum und Öffentlichkeit. Fakten und Daten – Motive und Barrieren. Berlin: Mann (Gebr.).

Klein, H-J.; Donecker, A., & Hänle, M. (2009). Besucherfeedback – ein Planungskriterium? In H. Kunz-Ott: S. Kudorfer & T. Weber (Hrsg.), Kulturelle Bildung im Museum, (S. 169–178), Bielefeld: transcript.

Korff, G. (2002). Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. Köln: Böhlau.Korff, G. (2003). Staging science. Museumskunde, 68(1), 67−72.Korff, G. (2006a). Die Rückgewinnung des Dings. Tendenzen des Ausstellens im 21. Jahrhun-

dert. Ein Gespräch mit Gottfried Korff. In U. J. Reinhardt & P. Teufel (Hrsg.), New exhibition design. Neue Ausstellungsgestaltung 01 (S. 26−55). Ludwigsburg: Av Edition.

Page 16: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

214 A. Noschka-Roos und D. Lewalter

Korff, G. (2006b). Scheinkapellen u. Ä. Sieben Bemerkungen zu den diskursiven und visuellen Strategien des Geschichtsmuseums im Jahrhundert seiner Etablierung. In B. Graf & H. Möbius (Hrsg.), Zur Geschichte der Museen im 19. Jahrhundert 1789−1918. Berliner Schriften zur Museumskunde, (Bd. 22, S. 111−123). Berlin: G + H Verlag.

Krapp, A. (2002). Structural and dynamic aspects of interest development: Theoretical considerati-ons from an ontogenetic perspective. Learning and Instruction, 12, 383−409.

Landschaftsverband Rheinland. (Hrsg.). (1996). Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Lewalter, D., & Noschka-Roos, A. (2009). Museum und Erwachsenenbildung. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (S. 527−541). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Macdonald, S. (Hrsg.). (2006). A companion to museum studies. Oxford: Blackwell.Macdonald, S. (2011). Museumsbesuch und Ausstellungsdesign. Wechselseitige Verbindung und

Austausch. In D. Harasser, K. Harrasser, St. Kiessling, K. Schneider, S. Sölkner, & V. Wöh-rer (Hrsg.), Wissen Spielen. Untersuchungen zur Wissensaneignung von Kindern im Museum (S. 237−259). Bielefeld: Transcript.

Macdonald, S., & Basu, P. (Hrsg.). (2007). Exhibition experiments. Oxford: Blackwell.Miles, R. (1989). Evaluation in its communications context. Technical Report, No. 89−30.

Jacksonville.Miles, R. (1997). No royal road to learning: a commentary on constructivism. Visitor Behavior,

XII(3), 7−13.Noschka-Roos, A. (2012). Vermitteln. Bildung als Auftrag. In B. Graf & V. Rodekamp (Hrsg.),

Museen zwischen Qualität und Relevanz. Denkschrift zur Lage der Museen. Berliner Schriften zur Museumsforschung. (Bd. 30, 1. Aufl., S. 163−182). Berlin: G + H Verlag.

Osborne, R., & Wittrock, M. C. (1983). Learning science: A generative process. Science Education, 67, 489–508.

Packer, J. (2006). Learning for fun: The unique contribution of educational leisure experiences. Curator, 49(3), 329−344.

Paris, S. G. (Hrsg.). (2002). Perspectives on object-centered learning in museums. Mahwah: Erlbaum.

Paris, S. G., & Mercer, M. J. (2002). Finding self in objects: Identity exploration in museums. In G. Leinardt, K. Crowley, & K. Knutson (Hrsg.), Learning conversations in museums (S. 401−423). Mahwah: Erlbaum.

Pekarik, A. J., Doering, Z. D., & Karns, D. A. (1999). Exploring satisfying experiences in museums. Curator, 42(2), 152−170.

Powers, R. (2011). Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz. Frankfurt a. Main: S. Fischer Verlag.Prenzel, M. (2009). Was man alles im Museum lernen kann: Lernvoraussetzungen, Prozesse und

Ergebnisse. In ICOM Deutschland, ICOM Frankreich & Deutsches Technikmuseum Ber-lin (Hrsg.), Wissenschaftskommunikation. Perspektiven der Ausbildung. Lernen im Museum (S. 137−142). Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Rohmeder, J. (1977). Methoden und Medien der Museumsarbeit. Pädagogische Betreuung der Ein-zelbesucher im Museum. Köln: DuMont.

Rotter, K., & Wulffius, K. (Hrsg.). (2011). Lust am Denken. München: Piper.Rounds, J. (2006). Strategies for curiosity-driven museum visitor. Curator, 47(7), 389−412.Scholze, J. (2004). Medium Ausstellung: Lektüren musealer Gestaltungen in Oxford, Leipzig, Ams-

terdam und Berlin. Bielefeld: Transcript.Schwan, S., Trischler, H., & Prenzel, M. (Hrsg.). (2006). Lernen im Museum: Die Rolle von

Medien. Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung Nr. 38. Berlin.Screven, C. G. (1976). Exhibit evaluation: A goal-referenced approach. Curator, 19, 271−290.Serrell, B. (1996). Exhibit labels: An interpretive approach. Walnut Creek: AltaMira.

Page 17: Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde; Learning in museums: theoretical approaches and empirical findings;

215Lernen im Museum – theoretische Perspektiven und empirische Befunde

Serrell, B. (1998). Paying attention: Visitors and museum exhibitions. Washington, DC: American Association of Museums.

Shettel, H. H. (1996). Aktueller Stand der Besucherforschung. In Haus der Geschichte (Hrsg.), Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft (S. 11−26). Berlin.

Te Heesen, A., & Lutz, P. (Hrsg.). (2005). Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln: Böhlau.

Terhart, E. (1999). Konstruktivismus und Unterricht. In Zeitschrift für Pädagogik, 45(5), 629−647.Terhart, E. (2009). Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart: Reclam.Thoma, G.-B. (2009). Was lernen Besucherinnen und Besucher im Museum? Eine Untersuchung

von Lerngelegenheiten einer Museumsausstellung und ihrer Nutzung. Dissertation, Universität Kiel.

Treinen, H. (1974). Museum und Öffentlichkeit. In Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Denkschrift Museen: zur Lage der Museen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (S. 21–38). Boppard.

Vergo, P. (Hrsg.). (1989). The new museology (1. Aufl.). Londen: Reaktion Books.Zacharias, W. (Hrsg.). (1991). Schöne Aussichten? Ästhetische Bildung in einer technisch-medialen

Welt. Essen: Klartext.Zacharias, W. (2010). Kulturell-ästhetische Medienbildung 2.0. München: Kopäd.