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Lexikon Literatur des Mittelalters

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Lexikon Literatur des Mittelalters

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1 Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

Alexander d. Gr. in Kunst und LiteraturA. Ikonographie – B. AlexanderdichtungA. IkonographieI. Byzanz – II. Westen

I. Byzanz: Die Bedeutung A.s für Byzanz erhellt ausdem Vergleich der Eroberung des Röm. Reiches durchKonstantin d. Gr. mit der Welteroberung A.s (Euseb.V. Const. I, 8) und aus der Geschichtskonstruktionbei Ps.-Kodinos (VI: 54, 20ff.), nach der A. die ö. Völ-ker unterwarf und aus der Tatsache, daß sich die Ach-tung für ihn, weil Makedonien später Teil des Röm.Reiches wurde und Konstantin d. Gr. und alle seineNachfolger röm. Ks. waren, auf die Ks. übertrug. Baldnach Konstantin, dessen Münzporträt ab 326 dem A.sangenähert wurde, hat der A. des A.-Romans das Ale-xanderbild geprägt. Auf den röm. Kontorniaten er-scheinen ab 356 Szenen aus dem Roman. Im byz. MAist die beliebteste Alexanderszene seine Himmelfahrt:Elfenbeinkasten im Landesmus. Darmstadt; Steinre-liefs in Theben, Konstantinopel, Venedig (Außen-wand von S. Marco), Docheiariu und Mistra; Email-medaillons an der Pala d’Oro, S. Marco, Venedig undals w. Ableger das Mosaik des Pantaleone in der Ka-thedrale von Otranto, die Würzburger Kiliansfahneund die Soester Fahne (St. Patroclus-Kirche). Die Be-liebtheit dieser Szene kann aufgrund der positivenBedeutung A.s nur aus einer positiven Deutung derHimmelfahrt erklärt werden. Der A.-Roman ist inzwei illustrierten byz. Hss. erhalten (Cod. Barocci 17,Bodleiana, Oxford, 13. Jh., und Cod. Z. I. 48, IstitutoEllenico, Venedig). Ältere Zyklen müssen vorausge-setzt werden, denn einzelne Szenen aus dem Romanfinden sich in abweichender Gestaltung auch in denKynegetika Ps.-Oppians (Venedig, Bibl. Marc.) sowieauf einigen Tonscherben (Byz. Mus. und Benaki-Mus., Athen, Mus. Thessalonike). Sinn dieser Bilderaus dem A.-Roman ist die indirekte Darstellung desbyz. Anspruchs auf die gottgewollte Herrschaft desbyz. Ks.s über die zivilisierte Welt. K. Wessel

II. Westen: Im W wirkte neben den zahlreichen A.-Epen bes. die moral. Deutung (Vinzenz v. Beauvais,Hugo v. St. Victor, Rupert v. Deutz u.a.). In der Dar-stellung A.s bildet hier die Luftfahrt als Sinnbild fürdessen Superbia das Hauptmotiv; seit der Überset-zung des Archipresbyters Leo (Neapel um 950) tragenGreifen statt der Adler A. empor (Portal in Remagen12. Jh., Chorumgang des Basler Münsters 13. Jh., Por-tal von Petershausen/Konstanz; Kath. zu Nımes12. Jh., zerstört; Chorgestühl des Kölner Domes um1320; Teppich aus Tournai 1459 für Philipp d. Guten v.Burgund), häufig sind auch abgekürzte oder mißver-standene Darstellungen (Misericordien engl. Chor-gestühle 14./15. Jh.). In die chr. Bildwelt ist A. als einerder — Neun guten Helden eingegangen. G. Binding

Lit.: RbyzK I, 96–99 [Lit.] – RDK I, 332–344 [Lit.] – LCI I,94–96 [Lit.] – R. S. Loomis, A. the Great’s Celestial Journey,Burl. Mag. 178, 32, 1918, 136–140 – A. Alföldi, Die Kontor-

niaten, 1943, 85–88, 102f. – K. Weitzmann, Greek Mythologyin Byz. Art, 1951, 87–104 – H. P. L’Orange, Stud. in the Ico-nography of Cosmic Kingdom in the Ancient World, 1953,118–122 – A. Grabar, Images de l’Ascension d’Alexandre enItalie et en Russie, 1965 – A. Xyngopoulos, Les Miniatures duRoman d’A.le Grand dans le codex de l’Institut Hellenique deVenise, 1966.

B. AlexanderdichtungI. Antike Literatur – II. Byzantinische Literatur – III. SlavischeLiteraturen – IV. Mittellateinische Literatur – V. RomanischeLiteraturen – VI. Mittelhochdeutsche Literatur – VII. Mittel-niederländische Literatur – VIII. Angelsächsische und mitte-lenglische Literatur – IX. Altnordische Literaturen – X. Isla-mische Literatur – XI. Hebräische Literatur

I. Antike Literatur: Als antike Quellen für die ma.A.-Dichtung kommen im wesentl. in Betracht: dersog. Alexanderroman, einzelne kleinere Schriftenüber die Wunder des Alexanderzuges, Nachrichtenlat. Historiker über A.

[1] Der gr. A.-Roman des 3. Jh. n. Chr. wurde demPeripatetiker und Teilnehmer am Alexanderzug, Kal-listhenes, zugeschrieben. Darin sind benutzt: eine ro-manhafte Biographie in der Tradition der auf starkeEffekte ausgehenden Alexanderdarstellungen, wie siezuerst Kleitarchos Ende des 4. Jh. v. Chr. verfaßte; einBriefroman des 1. Jh. v. Chr.; eine Reihe von größerenAlexanderbriefen (Erzählung vom Zug ans Ende derWelt, vom Wasser des Lebens, von der Taucherglockeund von der Himmelsreise); die Erzählung von A.sZusammentreffen mit den Gymnosophisten; dieSchrift »Alexanders letzte Tage«; bereits zu LebzeitenA.s entstandene volkstüml. Überlieferungen. Da-durch ergibt sich eine starke Entstellung der hist. Tat-sachen. Die Tendenz des Romans besteht darin, A. alsWelteroberer und Weltenherrscher zu verherrlichen.Mehrere Überlieferungszweige (Rezensionen) sind zuunterscheiden: Rezension α: Eine Übersetzung dieserältesten Version (W. Kroll, 1926) verfaßte Anfang des4. Jh. Iulius Valerius Alexander Polemius in rhetor.-archaisierendem Stil (B. Kübler, 1888). Sie ist auchim ¢ Itinerarium Alexandri benutzt. Kurzfassungendieser Übersetzung sind im MA sehr verbreitet (J. Za-cher, 1867; A. Hilka, RF 24, 1910–11, 16–30, 34–69). αist auch die Grundlage für die armen. (R. Raabe, 1896;engl. Übers.: A. M. Wolohojian, 1969), syr. (engl.Übers.: W. Budge, 1889; dt. Übers.: V. Ryssel, ASNSL90, 1893, 83ff., 269ff., 353ff.) und lat. Übers. des Ar-chipresbyters Leo v. Neapel im 10. Jh. (F. Pfister,1913; D. J. A. Ross, CM 20, 1959, 102–158) sowie für die»Historia de preliis« (O. Zingerle, Germ. Abh. 4,1885, 127–265; A. Hilka, 1920; W. Kirsch, 1971; K.Steffens, 1975; H.-J. Bergmeister, 1975; A. Hilka-J.-J. Bergmeister, 1976; A. Hilka-R. Grossmann,1977). Die mehr historisierende Rezension β des 5. Jh.(L. Bergson, 1965) ist über eine abulg. Übers. in russ.Chroniken eingedrungen und hat auch auf das byz.Alexandergedicht des 14. Jh. (S. Reichmann, 1963)eingewirkt. Unterrezensionen sind λ (H. van Thiel,1959, 1974), ε (J. Trumpf, 1974), γ, aus β und ε kom-

Vahlbruch
Aus Band 1:
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2Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

biniert (Buch I: U. v. Lauenstein, 1962; Buch II: H.Engelmann, 1963; Buch III: F. Parthe, 1969).

[2] An kleineren Schriften über A. sind v.a. von Be-deutung: a) Der Brief A.s an Aristoteles über die Wun-der Indiens, der in verkürzter Form in den Romaninterpoliert wurde, in lat. Fassung bei Iulius Valeriusvorliegt und häufig zusammen mit der Epitome desIulius Valerius überliefert ist (W. W. Boer, 1953[Neudr. 1973], H. van Thiel, 1974; synopt. Ausg.: M.Feldbusch, 1976). – b) A.s Unterhaltung mit denBrahmanen (Gymnosophisten), die den Gegensatzzw. einfachem und zivilisiertem Leben zum Gegen-stand hat und die Überlegenheit oriental. Weisheitzeigt. Lat. Bearb. sind das dem Bf. ¢ Palladius zuge-schriebene und in mehreren Versionen überlieferte»Commonitorium Palladii« (F. Pfister, 1910; W.Berghoff, 1967; H. van Thiel, Hermes 100, 1972,354–358; ders., 1974) und die erstmals bei Þ Alkuinerwähnte »Collatio cum Dindimo« (B. Kübler, 1888).– c) Der Brief des Pharasmanes an Hadrian über fa-belhafte Stämme Indiens (E. Faral, Romania 43, 1914,199–215, 353–370; F. Pfister, Kl. Schr., 1976, 366–371).– d) Die Schrift »Alexanders letzte Tage«, die auf guterhist. Überlieferung beruht und als Teil der sog. MetzerEpitome (§ 87–123) erhalten ist (P. H. Thomas,19662).

[3] Bei den lat. Historikern sind neben einzelnenNachrichten folgende zusammenhängende Darstel-lungen zu erwähnen: a) Die romanhafte, farben-prächtige Monographie des Q. Curtius Rufus (E. He-dicke, 19082; K. Müller, 1954–55 mit Übers. v. H.Schönfeld), Hauptquelle für die »Alexandreis« desÞ Walter v. Chatillon und den »Alexander« des Þ Ru-dolf v. Ems. – b) Die »Historiae Philippicae« des Pom-peius Trogus in der Epitome des Iustinus (O. Seel,19722; Übers. von O. Seel, 1972). – c) Der Bericht desIosephus über A.s Besuch in Jerusalem (antiqu. 11,314–347) und über die Einschließung der n. Völker(bell. Iud. 7,7,4; mit Gog und Magog identifiziert: an-tiqu. 1, 6, 1) gelangte teils durch die dem ¢ Rufinuszugeschriebenen Übersetzungen, teils durch die demBf. Methodios zugewiesene, aber erst im 7. Jh. ent-standene und um 700 aus dem Gr. übersetzte Apo-kalypse (M. Istrin, 1897; H. van Thiel, 1974; A. Lo-los, 1976) in die Kenntnis des MA. – d) Orosius 3,12–20. – e) Die »Collectanea rerum memorabilium«des ¢ Solinus (Th. Mommsen, 18952). J. GruberLit.: Die Ausg. sind im Text genannt – Kl. Pauly III, 86f. – EMI, 1977, 272–291 – A. Ausfeld, Der gr. Alexanderroman, 1907 –F. P. Magoun, The Gests of King A. of Macedon, 1929 – R.Merkelbach, Die Quellen des gr. Alexanderromans, 19772 –H. van Thiel, Leben und Taten A.s v. Makedonien, 1974 – F.Pfister, Kl. Schr. zum Alexanderroman, 1976.

II. Byzantinische Literatur: Den Ausgangspunktfür die byz. Rezeption des beliebten, legendär ausge-schmückten Stoffes der hist. Alexanderüberlieferungbildet der Roman des anonymen Ps.-Kallisthenes. Sei-ne verschiedenen Textgruppen (Rezensionen) α, β, γ,

ε und λ sind fast alle in frühbyz. Zeit (4.–7. Jh.) ent-standen und weitgehend in Hss. aus mittel- und spät-byz. Zeit überliefert. Selbständigere, freilich sich auchnoch an Ps.-Kallisthenes orientierende Bearbeitungendes Stoffes kennen wir nur aus spätbyz. Zeit: [1] Das1388 verfaßte Alexandergedicht aus dem Cod. Marc. gr.408, ein Gedicht in 6120 reimlosen polit. Versen, daswohl von einem Prosatext abhängt, der der Rez. β desPs.-Kallisthenes nahe steht, aber auch Entlehnungenaus Rez. α sowie den byz. Chronisten Þ GeorgiosMonachos und Þ Zonaras aufweist (Neued. durch S.Reichmann, 1963). [2] Die sog. Alexander-Prosa, dieeine populäre, vielfach spätbyz. Verhältnisse wider-spiegelnde Überarbeitung eines der Rez. γ des Ps.-Kallisthenes nahestehenden Textes darstellt und quasials byz. A.-Ritterroman bezeichnet werden kann. Sieist primär in 9 Hss. des 16.–17. Jh. überliefert, die je-weils wieder als eigenständige Fassungen zu wertensind. Die älteste Fassung, repräsentiert durch denCod. Vindob. theol. gr. 244 (Ed. durch K. Mitsakis,1967), ist vermutl. zw. 1430 und 1453 entstanden. Eineder 9 Hss., der Cod. Meteor. 400 von 1640, warhöchstwahrscheinl. die Vorlage für die neugr. Prosa-version, die sog. »Phyllada«, die als Volksbuch vom 17.bis ins 20. Jh. weit verbreitet war. Auf eine nur zuerschließende, den Rez. α und β nahestehende volks-sprachl. Prosaversion des Ps.-Kallisthenes, die in der2. Hälfte des 15. Jh. (noch in spätbyz. Zeit) abgefaßtsein dürfte, wird auch die sog. »Rimada« zurückge-führt, das neugr. Alexandergedicht, das im Cod. Me-teor. 445 (16. Jh.) und in 14 ven. Volksbuchausgabenaus dem 16.–19. Jh. überliefert ist (Krit. Ed. D. Hol-ton, 1974). G. PrinzingLit.: H. Gleixner, Das Alexanderbild der Byzantiner [Diss.1961] – G. Veloudis, Der neugr. A. Tradition in Bewahrungund Wandel [Diss. 1968] (Misc. Byz. Monac. 8) – Ders.,A.d. Gr. Ein alter Neugrieche, 1969 – Beck, Volkslit., 133–135 –∆ιη γησις τουÄ ÆΑλεξα νδρου. The Tale of A., the Rhymed Ver-sion. Crit. Ed. With an Introduction and Comm. by D. Hol-ton, 1974 (ΒυζαντινηÁ καιÁ νεοελληνικηÁ βιβλιοθη κη 1).

III. Slavische Literaturen: Unter der Bezeichnung»Geschichte von Alexander d. Gr.« ist in den süd- undostslav. Literaturen eine umfassende Tradition der Be-arbeitungen des A.-Stoffes inbegriffen, welche haupt-sächl. auf dem Ps.-Kallisthenes begründet ist. DenAusgangspunkt bildet das kulturelle Leben, welchesmit den ersten Schritten der Christianisierung der Sla-ven und mit den byz.-gr. Einflüssen verbunden war.Es gibt zwei Hauptzweige dieser slav. Überlieferungdes A.-Romans, welche von der kirchenslav. lit. Tra-dition ausgehen und später lokale Färbung bekom-men haben: [1] Die erste Bearbeitung des gr. Textes(Ps.-Kallisthenes β) stammt aus Bulgarien (10.–11. Jh.). Durch die Vermittlung der kirchl. Institutio-nen gelangte dieser Text v.a. in das russ. Gebiet; zuerstin das Kiever Fsm. und später, vom 11. zum 12. Jh., inandere Teile Rußlands, wo er durch weitere Bearbei-tungen ging. Heute setzt man vier oder fünf Versio-

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nen voraus. Manche Forscher vermuten sogar eineselbständige russ. Übersetzung des gr. Textes. Charak-terist. für diesen Zweig der Tradition sowie für denZutritt zu dem Stoff ist, daß er in den Zusammenhän-gen der hist. Lit. tradiert worden ist, z. B. in der kir-chenslav. Bearbeitung des Þ Johannes Malalas oder inden »Russ. Chronographen«. Zugleich ist diese Tra-dition des Ps.-Kallisthenes durch andere Elemente derbyz., hauptsächl. der hist. Lit. erweitert worden, z. B.G. Hamartolos, Epiphanios aus Cypern, Methodios v.Patara. [2] Vom 14. Jh. an ist die ältere Version desA.-Romans durch eine neue zurückgedrängt worden,die zugleich eine andere Rezension des Ps.-Kallisthe-nes (γ) reflektierte und nahe dem Text des byz. Volks-romans stand. Der Text ist anfangs des 14. (oder sogaram Ende des 13.) Jh. in dem serb. Gebiet bearbeitetworden: sog. »serb. Alexandreis«. Diese Version istdurch die Kontakte mit der lat.-roman. ma. TraditionW- und S-Europas gekennzeichnet. In den süd- undostslav. Lit. repräsentiert sie das spezif. Genre des ma.Ritterromans. Bald hat dieser Text große Verbreitunggefunden und wurde weiter bearbeitet, hauptsächl. inRußland, aber auch in der Ukraine, Bulgarien undRumänien. Man zieht sogar die Möglichkeit in Er-wägung, daß dieses slav. Werk der Ausgangstext fürdie ma. gr. Version sein könnte. F. Svejkovsky

Lit.: A. N. Veselovskij, Iz istorii romana i povesti, Sbornikotd. russk. jazyka i slovesnosti, 40, 1886 – V. Istrin, Aleksan-drija russkich chronografov, 1893 – N. Cartojan, Alexandriain literatura romaneasca, 1910 – M. N. Botvinnik, Ja. S.Lur’e, O. V. Tvorogov, Aleksandrija, 1965 – R. Marinkovic,Srpska Aleksandrida, 1969.

Das alttschech. Gedicht eines unbekannten Autorsaus dem letzten Jahrzehnt des 13. oder dem ersten des14. Jh. ist unter dem Titel »Alexandreis« bekannt. DieVorlage war die »Alexandreis« Walters v. Chatillon.Das Werk ist nur fragmentar. erhalten; das Ganze hat-te etwa 9000 Verse. Es repräsentiert die älteste Phaseder alttschech. ritterl. Epik. Die Wahl der Vorlage zeigtdie entscheidende Rolle der lat. Tradition in dieserPoesie. Allerdings beweist der Text zugleich die beab-sichtigte Verschiebung von der Ebene der Schulpoesiezu der der höf. Lit. Der Autor betonte v.a. die Ele-mente der Reflexion, der ständ. und polit. Ideale. Erhat die einzelnen Ereignisse oder Motive der A.-Tra-dition in erster Reihe als hist. Erfahrungen der Ver-gangenheit begriffen und oft direkt mit der aktuellenSituation des böhm. Kgr.s konfrontiert. Gleichzeitigunterdrückte er die Rolle der Phantastik (z. B. der»Historia de preliis«). – Neben seiner Hauptquellebenutzte er als sekundäre Quellen hauptsächl. Kom-mentare und auch den dt. »Alexander« Ulrichs v. Et-zenbach. F. SvejkovskyEd.: V. Vazny, Alexandreida, 1963 [mit Bibliogr.] Lit.: A. Pra-zak, Staroceska basen o A. Velkem, 1945 – H. H. Bielefeldt,Die Q. der alttschech. A., 1951 – F. Svejkovsky, Alexandreida,Ces. lit. 4, 1956.

IV. Mittellateinische Literatur: Die Verbrei-tung von Kenntnissen über A.d. Gr. in der lat. Lit. desMA geschah in hohem Maße und mit großer Wir-kung durch die romanhafte Darstellung des Ps.-Kal-listhenes. Die lat. Übersetzung des Iulius Valerius hat-te daran in ihrer vollständigen Fassung geringen An-teil, anders die vor dem 9. Jh. entstandene Epitome.Bedeutender war die Übersetzung, die der Neapoli-taner Archipresbyter Leo zw. 869 und 951 wohl unterdem Titel »Nativitas et victoria Alexandri Magni re-gis« schuf. Bereits im 11. Jh. wurde die Übersetzungdes Leo revidiert: Die erste interpolierte Version diesesWerkes, der »Historia de preliis« (J 1), zeichnet sichdurch stilist. Besserungen, die Einfügung der kleinenind. Tractate und Ergänzungen durch hist. Quellenaus. Diese Recensio wurde noch zweimal überarbei-tet: J 2 wurde um Orosius, Valerius Maximus, Ps.-Methodius und Josephus erweitert, J 3 vor 1236 mitmoralisierender Tendenz um oriental. Quellen.

Diese letzte Recensio wurde 1236/38 von dem Spo-letaner Richter Quilichinus der Vorlage getreu – zumTeil unter Wahrung des Wortlautes – in lat. Distichenumgesetzt, ein Werk, das im späten MA nicht geringeVerbreitung erreichte. Die »Historia Alexandri Ma-gni« (ed. W. Kirsch, 1971) ist von Quilichinus als Er-gänzung zum ersten Makkabäer-Buch verfaßt wordenund fügt sich in die Geschichtsauffassung von den vierWeltreichen ein. Der Stil der Historia ist wenig an-spruchsvoll und variabel. Die älteste erhaltene A.-Dichtung des lat. MA ist ein Abecedarius in troch.Fünfzehnsilbern aus dem 9. Jh. Die Quelle dieses sehrfragmentar. überlieferten Gedichts scheint einer vonIulius Valerius verschiedenen Version des Ps.-Kalli-stenes anzugehören (MGH PP 4, 600f., Schaller-Könsgen 539, Norberg, Poesie, 71–81).

Die für die lat. A.-Dichtung folgenreichste hist.Quelle war die »Historia Alexandri« des Curtius Ru-fus: zw. 1178 und 1182 verfaßte Walter v. Chatillon sei-ne »Alexandreis« nach dieser Vorlage. Walter schufmit diesem in zehn Bücher eingeteilten Epos, das denGeist der klass. lat. Dichtung atmet und beispielhaftfür den lit. Humanismus des 12. Jh. ist, ein eindrucks-volles ma. Gegenstück zu den in der Schullektüre ge-pflegten röm. Autoren, von denen die »Alexandreis«Vergils »Aeneis« als Schulbuch par excellence im Lau-fe des 13. Jh. entthronen sollte. Bereits seit dem ausge-henden 12. Jh. hatte der Stil der »Alexandreis« eifrigeNachahmer gefunden.

Zu den A.-Dichtungen im weiteren Sinne gehörtauch der Abschnitt über A.d. Gr. in der Universal-chronik des Gottfried v. Viterbo († um 1192), dem»Pantheon« (ed. Pistorius-Struve MGH SS II, 16f.).Gottfried benutzt in den Verspartien den Bericht ausden »Antiquitates« des Josephus über A.s Einzug inJerusalem, beschreibt ausführlicher das Ende des Dar-ius sowie die am Ende der bewohnten Welt einge-schlossenen jüd. Stämme und die Völker Gog undMagog. Mehr als ein Drittel der Verse nimmt der

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Briefwechsel mit dem Brahmanenkönig Dindimusein, der hier in einer Chronik die Eigenschaft einesFürstenspiegels bekommt. Die Schilderung schließtmit der Charakterisierung A.s als des rastlosen Erfor-schers und Eroberers der Welt, mit dessen Tod dieGeschichte durch das Röm. Reich fortgesetzt wird.Neben den romanhaften und hist. Darstellungen A.sin der Dichtung bot der bibl. Stoff Gelegenheit zuseiner Behandlung. So wird A.d. Gr. erwähnt, um derGeschichte der Makkabäer den hist. Rahmen zu ge-ben; dies sowohl zu Beginn des Makkabäer-Buches inder »Aurora« des Petrus Riga als auch, und dort aus-führlicher, in der Makkabäer-Versifizierung des Hil-debert v. Lavardin († 1130; MPL 171 c. 1293–1302) miteiner Schilderung des Todes A.s und der Reichstei-lung.

Bedeutender als die letztgenannten Beispiele sinddie zum Teil zahlreich überlieferten Kleindichtungenepigrammat. Charakters, zumeist fingierte Epitaphi-en, die den Gegensatz von ird. Größe und menschl.Nichtigkeit im Angesicht des Todes zum Gegenstandhaben. Die »Historia de preliis« J 3 enthielt ebenfallszwei solche Stücke, die auch unabhängig vom Ge-samtwerk kursierten. M. WescheLit.: G. Cary, The Medieval A., 1956 – MPL 209 c. 459–574 –H. Christensen, Das Alexanderlied Walters v. Chatillon,1905 – Epitaphien: A. Hilka, Stud. zur Alexandersage, RF 29,1910, 69–71 – F. Pfister, Die Historia de preliis und das Ale-xanderepos des Quilichinus, Münch. Mus. 1, 1911, 249–301.

V. Romanische Literaturen: [1] Frankreich. a) Der»Roman d’Alexandre« (hg. E. C. Armstrong u.a.,The Medieval French »Roman d’Alexandre« [=MFRA], I-VII, 1937–76) ist ein zusammengesetztesGebilde, in das vier Gedichte verschiedener Autoreneingegangen sind. Das früheste davon (etwa 1130) istdas von Alberic von Pisancon (?) verfaßte; Alberichatte – gestützt auf einen vollständigen Iulius-Vale-rius-Text, auf Curtius und auf die »Historia de Preliis«(= »HdeP«) J1 – A.s Jugendgeschichte und seine Tatenbis zur Belagerung von Tyrus erzählt; davon erhaltenist ein Bruchstück von 105 Achtsilbern in franko-prov.Mundart (Hs. Florenz, Laurenziana, Plut. LXIV, 35);für den Rest muß das mhd. »Alexanderlied« (VorauerFassung) des Pfaffen Lamprecht eintreten (MFRA, III,2–8, 37–60). Alberics Text wurde umgearbeitet zu ei-ner Fassung in Zehnsilbern (etwa 1160–65), die teil-weise in den Hss. A (Paris, Arsenal, 3472) und B (Ve-nedig, Museo Civico Correr, VI, 665) überliefert ist(MFRA, I und III, 8–24, 61–100). Von Alexandre deParis wurde diese Fassung schließl. noch stark erwei-tert und zur Branche I seiner Standard-Redaktion inZwölfsilbern (Alexandrinern) umgebildet (um 1185;MFRA, II, 1–73). – Das zweite Gedicht ist »Le Fuerrede Gadres« von Eustache (um 1170), abgefaßt in Ale-xandrinern; es erzählt eine frei erfundene Episode:Während der Belagerung v. Tyrus wird eine Streife,die zum Fouragieren (fuerre) ausgerückt ist, von einergroßen gegner. Übermacht abgefangen; das überstei-

gerte Ehrgefühl der Betroffenen läßt es nicht zu, daßjemand den Kampfplatz verläßt, um Verstärkung zuholen; A. wird mit Verspätung benachrichtigt undkommt schließl. seinen Leuten zu Hilfe. Dieses Ge-dicht ist nur in der stark veränderten Fassung derBranche II des Alexandre de Paris erhalten, wo es inden Bericht von der Belagerung von Tyrus, der aufAlberic und Curtius fußt, eingearbeitet ist (MFRA, II,Zeilen 1–1634). Was zu seinem ursprgl. Bestand ge-hört, läßt sich aber aufgrund einer lat. Übersetzungnach dem Original des Eustache erschließen (MFRA,IV und V, zu korrigieren durch Ross, JWarburg, XXII,211–253, und CM, XXII, 205–221). – Drittens: Ein lan-ges Gedicht (über 8000 Alexandriner) von Lambert leTort v. Chateaudun behandelte den Sieg über Dariusund dessen Tod, A.s Fahrt zu den Wundern Indiens,den Sieg über Porus, die Rückkehr nach Babylon undden Kampf gegen den (frei erfundenen) »amiral« die-ser Stadt und schließl. A.s Vergiftung, seinen letztenWillen und seinen Tod (etwa 1170–75). Hauptquellewar eine Hs., in der eine Valerius-Epitome und die»Epistola ad Aristotelem« zusammenstanden, Neben-quelle die »HdeP« J2. Lamberts Gedicht ist nur in derdoppelt erweiterten Form der Branche III überliefert,die es zunächst durch einen ersten Bearbeiter (»Lam-bert II«) und schließl. durch Alexandre de Paris er-halten hat (MFRA, II, 143–320, und VI). – Für dasEnde seines Helden hat Alexandre de Paris anstellevon Lambert ein weiteres (viertes) Gedicht herange-zogen, »Mort Alixandre« (etwa 1175–80), von dem einBruchstück in der Hs. A erhalten ist (MFRA, VII, 1–4,27–35). Alexandre de Paris bietet eine etwas verwor-rene Darstellung: A. verteilt Kgr.e an seine Heerfüh-rer, die dann in einzelnen Klagereden (regrez), die inzwei Reihen angeordnet sind, mit übertriebener Aus-führlichkeit ihren Schmerz äußern. Verwendet sinddabei die betreffenden Angaben in der Valerius-Epi-tome und in der »HdeP« J2 (MFRA, II, 321–358, undVII). – Die Version der Hss. A, B und L (Paris, B. N.,fr. 789) ist ein früherer Versuch, die vier einzelnenGedichte zu einem Alexanderleben zusammenzufas-sen. Um 1185 hat dann Alexandre de Paris die Stan-dardversion hergestellt, die in allen anderen Hss. vor-liegt (MFRA, II).

Der Form nach ist der »Roman d’Alexandre« einEpos, und seit Alberic ist er in epischen Laissen (Vers-reihen unterschiedl. Länge mit gleichem Reim, bzw.gleicher Assonanz) abgefaßt. Alberic verwandte dieseltene Achtsilber-Laisse. Sein Gedicht wurde zu-nächst in die verbreitete zehnsilbige Form undschließl. von Alexandre de Paris in zwölfsilbige ¢ Ale-xandriner umgeschrieben. Dem Geist nach ist der»Roman« eine chanson de geste im typ. formelhaftenStil; A. erscheint als Feudalherrscher, der seine Ritternach ma. Kriegsbrauch zum Sieg führt.

b) In zwei Fortsetzungen zum »Roman«, die auffreier Erfindung beruhen, wird erzählt, wie A. an sei-nen Mördern gerächt wird; die Verfasser sind Jean le

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5 Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

Nevelon (um 1180; hg. E. B. Ham, 1931 und 1946) undGui de Cambrai (vor 1191; hg. B. Edwards, 1928).

c) Als Einschübe finden sich in etwa der Hälfte derAlexandre-de-Paris-Hss. »Le Voyage d’Alexandre auParadis Terrestre« (Mitte 13. Jh.; nach dem lat. Exem-plum »Salomon didascalus Iudaeorum de itinere Ale-xandri ad Paradisum«) und »La Prise de Defur« (um1240), eine Episode, in der höf. und krieger. Elementemiteinander abwechseln (beide Texte hg. L. P. G.Peckham – M. S. La Du, 1935). Dasselbe gilt von »LesVoeux du Paon«, dem spätesten und am meisten ver-breiteten Text aus der Reihe der frz. Alexandergedich-te (kurz vor 1312; rund 40 Hss.; hg. R. L. G. Ritchie,vgl. The Buik of A., 1921–29). Eine Ergänzung dazubietet Jean Brisebarre mit »Le Restor du Paon« (vor1337; hg. R. J. Carey, 1966), eine Abwandlung Jean dele Mote mit »Le Parfait du Paon« (1340, hg. R. J. Ca-rey, 1972).

d) »Le Roman de Toute Chevalerie« (8050 Alexan-driner in Laissen) ist ein anglonorm. Text von Tho-mas v. Kent (um 1180; hg. B. Foster, 1976). Thomasstützte sich auf eine Epitome-»Epistola«-Hs.; zusätzl.Wunderdinge übernahm er aus Solinus und AethicusIster.

e) Zwei Prosaauflösungen des »Roman d’Alexand-re« und einiger seiner Anhänge entstanden im 15. Jh.:ein anonymer Text (Hs. Besancon 836) und die »Hi-stoire du bon roy Alexandre« von Jean Wauquelin(vor 1448; beide Texte noch unveröffentlicht; vgl.Meyer, I, 313–329). Weite Verbreitung erfuhr »Deraltfranzösische Prosa-Alexanderroman« (16 Hss., 11Drucke; hg. A. Hilka, 1920), der frei nach der »HdeP«J2 übersetzt ist. Eine lange Alexandervita in Prosa fin-det sich in »L’Histoire ancienne jusqu’a Cesar«(1206–30); in überarbeiteter Form ist sie in andereChronik-Werke eingegangen; die Quellen sind eineEpitome-»Epistola«-Hs. und Orosius, Buch III (Ross,CM, XXIV, 181–231). Quintus Curtius wurde 1468 vonVasco de Lucena für Karl d. Kühnen in frz. Prosaübertragen (29 Hss., 5 Drucke vor 1555; unveröffent-licht; s. Bossuat, Bibl. Humanisme et Renaissance,VIII, 195–245).

Lit.: Neben den Ausgaben s. P. Meyer, Alexandre le Granddans la litt. francaise du MA, 1886 – G. Cary, The MedievalAlexander, 1956 – D. J. A. Ross, Alexander Historiatus, 1963;Suppl., JWarburg, 1967.

[2] Spanien. a) Über Spanien gelangte die kurze Ale-xanderbiographie aus den »Ausgewählten Weisheitenund schönen Sentenzen« des Mubassir ibn Fatik(11. Jh.) in die abendländ. Lit. Die arab. Vorlage wurdeunter dem Titel Þ »Bocados de Oro« ins Span. über-tragen (1. Hälfte 13. Jh.), und der lat. »Liber Philoso-phorum Moralium Antiquorum« (spätes 13. Jh.), derdarauf zurückgeht, wurde von Guillaume de Tignon-ville (spätes 14. Jh.) ins Frz. und diese Fassung wie-derum im 15. Jh. von Stephen Þ Scrope (»The Dictsand Sayings of the Philosophers«; spätere Überarbei-

tung von William Worcester) und danach noch ein-mal von Lord Rivers ins Engl. weiterübersetzt. b) »Ellibro de Alexandre» (Mitte 13. Jh.) ist ein ansprechen-des Gedicht mit betont ma. Färbung und moralisie-render Tendenz. Der Verfasser ist möglicherweiseGonzalo de Berceo. Seine Quelle ist die »Alexandreis«des Walter v. Chatillon; daneben sind die »HdeP« J2(vielleicht auch J3) und der frz. »Roman d’Alexandre«in der Fassung der Hs. B benützt.

Q.: Bocados de Oro, hg. in H. Knust, Mitteilungen aus demEskurial, 1879 – C. F. Bühler, The Dicts and Sayings of thePhilosophers, EETS, 211, 1941 – El Libro de Alexandre, hg. R. S.Willis, 1934 – Lit.: I. Michael, The Treatment of ClassicalMaterial in the L. de A., 1970.

[3] Italien. Von acht it. Texten über A. sind siebennach der »HdeP« J3 übersetzt. a) Dies sind zunächstfünf Fassungen in Prosa: Berlin, Hs. Ital. quart. 33, einjetzt verlorenes Bruchstück aus dem 14. Jh. (hg. A.Hilka, ZRPh, XLI, 234–253); Florenz, Bibl. Riccardia-na 1922 (Q. II. 12), spätes 14. Jh. (Storost, 118–125);Florenz, Bibl. Naz. II. I. 365 (Strozzi), frühes 14. Jh.(Storost, 145–167); Venedig, Bibl. Marciana It. Cl. VI,aus dem 15. Jh. (Storost, 133–144); »Libro del Nasci-mento«, zw. 1474 (Treviso) und 1502 (Venedig) sechs-mal gedruckt (Storost, 168–179). b) Auf die gleicheVorlage geht zurück die »Alessandreida in rima cavatadal latino«, ein Gedicht in ¢ ottava rima, das zw. 1512und 1712 fünfzehnmal gedruckt wurde (Storost,180–230, mit Teilausgabe. c) Indirekt von der »HdeP«J3 abhängig ist die »Istoria Alexandri Regis« von Do-menico Scolari (14. Jh.), ein Gedicht in ottava rima,das nach der lat. »Alexandreis« des Quilichinus vonSpoleto (vgl. Abschnitt IV) übersetzt ist (Storost,4–117, mit Teilausgabe). d) »I nobili fatti di AlessandroMagno« (Prosa, 14. Jh.; hg. G. Grion, 1872, unzu-längl.) sind der einzige Text, dessen Quelle die »HdeP«J2 ist (Storost, 168–179). D. RossLit.: J. Storost, Stud. zur Alexandersage in der älteren it. Lit.,1935 [grundlegend]. Die Texte sind fast alle unveröffentlicht.

VI. Mittelhochdeutsche Literatur: Die dt. Dich-tung des MA rezipierte die Alexandersage, wie sie ihrdurch die lat. Übersetzungen des gr. A.-Romans (v.a.durch den Archipresbyter Leo) und durch mlat. undfrz. Bearbeitungen bekannt wurde. Das älteste Werkim dt. Sprachraum ist das Alexanderlied des PfaffenLamprecht (um 1150), der als Vorlage ein Alexander-lied des Provenzalen Alberic v. Besancon (Pisancon)benutzte. Lamprechts Werk ist in drei unterschiedl.Fassungen überliefert. Dem Original am nächstensteht der »Vorauer A.« (1185/1202), der fragmentar.Charakter besitzt. Um 1160 wurde das Original be-arbeitet und erweitert, doch ist auch diese Zwischen-stufe (BS) verloren. Auf sie gehen die beiden jüngerenFassungen zurück: der »Basler A.«, der im 13. Jh. er-neut überarbeitet und später in eine Prosachronikeingefügt wurde, und der »Straßburger A.«, eine früh-höfische Bearbeitung von ca. 1180.

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6Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

Aus der hochhöf. Zeit sind keine A.-Dichtungen er-halten, doch nennt Rudolf v. Ems die Dichter zweierverlorener Werke. Die beiden umfangreichsten Ale-xanderepen entstanden in der späthöf. Zeit. Der »A.«des Rudolf von Ems (1230/50), auf zehn Bücher undca. 40000 Verse geplant, wurde nur zur Hälfte fertig-gestellt. Als Quellen benutzte Rudolf anfangs die»Historia de preliis«, später Curtius Rufus. Eine wort-reiche Bearbeitung der lat. »Alexandreis« des Walter v.Chatillon ist Ulrich v. Etzenbachs »A.« (1271/82). Ausdem 14. Jh. stammen zwei kürzere Alexanderepen,Seifrits »A.« (1352), der sich eng an die »Historia depreliis« anlehnt, und eine getreue Übersetzung der lat.»Historia Alexandri« des Quilichinus von Spoleto, diein einer Hs. von 1497 überliefert ist («WernigeroderA.«).

Eine kurze Prosafassung der Alexandervita aus dem14. Jh. ist als Abschnitt im »Großen Seelentrost« ent-halten. Umfangreicher sind die Alexanderchronik desMeister Babiloth (15. Jh.), eine Prosaübersetzung der»Historia de preliis«, und das Alexanderbuch des Jo-hann Hartlieb (um 1444). Hartlieb bearbeitete seineQuelle, die dem Original von Leos Übersetzung na-hesteht, frei und stilist. gewandt. Durch den Druck(Augsburg 1473 u.ö.) wurde sein Werk zum Volks-buch. Für das 15. Jh. sind auch dramat. Bearbeitungendes Alexanderstoffes nachweisbar (Aufführung vonAlexanderdramen in Lübeck 1446 und 1467), doch ha-ben sich keine Texte erhalten. Eine breite Rezeptionder Alexandersage erfolgte außerdem durch kleinereTexte (»A. und Anteloye«, »Aristoteles und Phyllis«)und durch die zahlreichen Erwähnungen A.s in Chro-niken und Historienbibeln.

Das Alexanderbild in der dt. Dichtung des MA istnicht einheitl., sondern setzt die unterschiedl. Beur-teilung in den antiken Quellen, die von naiver Be-wunderung bis zu völliger Ablehnung reicht, fort.Hinzu kommen verschiedene chr. Wertungen. Durchseine Erwähnung in der Bibel wird A. zu einer wich-tigen Figur der Welt- und Heilsgeschichte, innerhalbderer er auch als Heide den Willen Gottes vollzieht.Dagegen wird in den Exemplasammlungen seineMaßlosigkeit und Grausamkeit kritisiert. Doch mei-stens ist A. im MA der Mann, dessen geheimnisvolleAbstammung und ungewöhnl. Taten (Himmels-,Tauchfahrt) Staunen erregen, oder das Idealbild eineshöf. Ritters und vorbildl. Herrschers. H. BuntzBibliogr.: H. Buntz, Die dt. A.-Dichtung des MA, 1973 Lit.: E.Grammel, Stud. über den Wandel des A.-bildes in der dt.Dichtung des 12. und 13. Jh. [Diss. Limburg 1931] – J. Brum-mack, Die Darstellung des Orients in den dt. Alexandergesch.des MA (Philol. Stud. und Q. 29), 1966.

VII. Mittelniederländische Literatur: Diemndl. A.-Dichtung beginnt um 1260 mit Þ Jakob vanMaerlants »Alexanders geesten«, einer teilweise starkerweiterten Bearbeitung der »Alexandreis« des Walterv. Chatillon. Den Stoff für einen Teil seiner Erweite-rungen verdankte Maerlant wahrscheinl. den seiner

Vorlage hinzugefügten Glossen; manches stammtaber aus anderen lat. A.-Dichtungen. Der ep. Gestal-tung von »Alexanders geesten« stellte Maerlant um1280 im 4. Buch der 1. Partie seines »Spiegel historiael«eine als Teil der historia mundi aufgefaßte Darstellungdes Alexanderlebens gegenüber. Auch im Bereich derhistoria sacra hatte die Geschichte A.s ihren Platz. InProsa umgesetzt und um einige »Alexanders geesten«und der »Historia scholastica« entnommene Kapitelerweitert, in denen A. als Werkzeug Gottes dargestelltwird, wurde die Fassung des »Spiegel historiael« dersog. »Bibel von 1360« einverleibt, einer wahrscheinl.aus der Kartause von Herne im Hennegau stammen-den mndl. Bibelfassung, die später auch im N, in denKreisen der ¢ Devotio Moderna, viel gelesen wurde.Eine abweichende, mit dem »Großen Seelentrost« inZusammenhang stehende Darstellung der Alexander-geschichte ist in die sog. »erste ndl. Historienbibel«aufgenommen. Eine Hs. der »Bibel von 1360« war dieVorlage der 1477 von Gheraert Leeu zu Gouda ge-druckten »Historie van Alexander«, des ersten volks-sprachl., weltl. Buches, das in den Niederlanden ge-druckt wurde. W. P. Gerritsen

Lit.: M. De Vries-E. Verwijs, J. v. M., Spiegel hist. I, 1863 – J.Franck, A.’s geesten v. J. v. Maerlant, 1882 – S. S. Hoogstra,Proza-bewerkingen v. h. leven van A.de G., 1898 – P. J. H.Vermeeren, J. v. Maerlants A.’s geesten, SpL 14, 1972–73 – C.H. J. M. Kneepkens-F. P. van Oostrom, Maerlants A.’ ge-esten en de Alexandreis, Ntg 69, 1976 – K. R. de Graaf, Thelast days of A. in Maerlants A.’ geesten, A.the G. in the M. A.,Mediaevalia Groningana I, 1978 – W. P. Gerritsen, GheraertLeeu’s Hist. v. A. en hs. Utrecht, U. B. 1006, Uit bibliotheek-tuin en informatieveld (Fschr. D. Grosheide), 1978.

VIII. Angelsächsische und mittelenglische Li-teratur: Der Alexanderstoff war, wie die ae. Prosa-texte Þ »Alexanders Brief an Aristoteles« und— »Wunder des Ostens« (beide nach lat. Quellen) zei-gen, zum Teil schon im ags. England verbreitet (spä-testens seit Ende des 9. Jh.). Die früheste me. Alexan-derdichtung dürfte die Romanze »Kyng Alisaunder«(8021 Verse in vierhebigen Reimpaaren) sein, diewahrscheinl. um 1300 verfaßt wurde; als Quelle dienteim wesentl. der anglonorm. »Roman de Toute Che-valerie« des Þ Thomas v. Kent. Nur fragmentar. er-halten sind die später im Rahmen des ¢ AlliterativeRevival entstandenen Dichtungen »Alexander« A, Bund C (A manchmal auch »Alisaunder« gen., Bmanchmal auch »Alexander und Dindimus«, Cmanchmal auch »The Wars of Alexander«). Daß dieGeschichten über A. im spätma. England allgemeinbekannt waren, bezeugt gegen Ende des 14. Jh.Þ Chaucer in seinen »Canterbury Tales« (in der Er-zählung des Mönchs); Þ Gower berichtet im 6. Buchseiner »Confessio Amantis« (1789–2366) über A.s le-gendären Vater Nectanabus. Zwei lange Alexander-gedichte wurden im 15. Jh. in Schottland geschrieben,näml. »The Buik of Alexander« (über 11000 Verse),dessen Verfasserschaft umstritten ist, und Gilbert

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7 Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

Hays »Buik of King Alexander« (an die 20000 Verse;bis jetzt nur auszugsweise gedruckt). In der 1. Hälftedes 15. Jh. entstand auch eine Prosafassung des Ale-xanderstoffes (überliefert in der ¢ Thornton-Hs.);diese Bearbeitung ist eine der ersten engl. Prosaro-manzen. H. SauerBibliogr.: NCBEL I, 421–424 – Renwick-Orton, 411f., 448 – R.M. Lumiansky, Legends of A. the Great (A Manual of theWritings in Middle Engl., ed. J. B. Severs, I), 1967, 104ff., 268f.Q.: G. V. Smithers, Kyng Alisaunder, EETS, 227, 237 – F. P.Magoun, Jr., The Gests of King A. of Macedon, 1929 [Ale-xander A und B] – W. W. Skeat, The Wars of A., EETS, E. S.,47 – R. L. G. Ritchie, The Buik of A., STS n.s. 12, 17, 21, 25 – J.S. Westlake, The Prose Life of A., EETS 143 Lit.: G. Cary,The Medieval A., 1956 – A. C. Baugh, The Middle Engl. Pe-riod (A Lit. Hist. of England, ed. A. C. Baugh, 19672), 180–183,232, 300 – D. Mehl, Die me. Romanzen des 13. und 14. Jh.,1967 188–198 – H. Schelp, Exemplar. Romanzen im Mitte-lengl., 1967, 149–171.

IX. Altnordische Literaturen: [1] Island – Nor-wegen: Im westnord. Bereich wurde die A.-Dichtungbereits um die Mitte des 13. Jh. durch eine isländ. Pro-sübersetzung der »Alexandreis« des Walter v. Chatil-lon (Galterus de Castillione) bekannt.

Diese »Alexanderssaga« ist in einer längeren (AM519 a 40) und einer kürzeren (AM 226 fol.) Version –beide aus der 2. Hälfte des 13. Jh. – überliefert, sowie ineinigen wenigen Fragmenten. Am Schluß von AM 226fol., die auch die »Gyðingasaga« (»Geschichte der Ju-den«) enthält, wird gesagt, daß der spätere Bf. desisländ. Bm.s Holar, Brandr Jonsson, auf Geheiß desnorweg. Kg.s ¢ Magnus Hakonarson, die »Alexan-derssaga« und die »Gyðingasaga« ins Isländ. (»i nor-rænu«) übersetzt habe. Brandr Jonsson war 1247 Abtdes isländ. Kl.s þykkvibœr, wurde 1262 zum Bf. ge-wählt, hielt sich 1262–63 in Norwegen auf, wo er mitMagnus Hakonarson zusammentraf, und starb 1264.Es ist mittlerweile umstritten, ob Brandr Jonssonwirkl. die »Alexanderssaga« übersetzt hat, oder ob ernur eine norweg. Hs. nach Island überführt hat.

Die Saga ist – wie die »Alexandreis« – in zehn Büchereingeteilt. Walter v. Chatillon (»meistari Galterus«)wird häufig als Gewährsmann gen. Die sehr sichereund souveräne Prosaübersetzung der in Hexameternabgefaßten lat. Vorlage gilt als ein hervorragendesWerk der altnord. Übersetzungslit. H. EhrhardtEd.: Alexanders saga, ed. C. R. Unger, 1848 – Alexanders saga,ed. F. Jonsson, 1925 Lit.: F. Jonsson, Lit. hist. 2, 19232, 861f. –T. Þorhallsson, Brandur Jonsson, biskup a Holum, Skırnir107, 1923 – O. Widding, Það finnur hver sem um er hugað,Skırnir 134, 1960 – E. O. Sveinsson, Athugarsemdir um Ale-xanderssögu og Gyðingasögu, Skirnir 135, 1961 – Ders., Ale-xandreis et la Saga d’Alexandre (Rencontres et courants litt.franco-scandinaves. Actes du 7e Congres Internat. d’Hist. desLitt. Scandinaves 1968, 1972) – L. Lönnroth, Hetfurnar lıkableika akra. Athuganir a Njals sögu og Alexanders sögu, Skir-nir 144, 1970 – K. Schier, Sagalit., 1970, 116ff.

[2] Schweden – Dänemark: Die schwed. Übersetzungdes Alexanderromans fußt auf dem spätgr. »Ps.-Kal-

listhenes«, bzw. auf dessen lat. Übersetzung des Ar-chipresbyters Leo (»Historia de preliis«, Orosius-Re-daktion) und ist in der umfangreichen Knittelvers-dichtung »Konung Alexander« überliefert. Der Über-setzer ist unbekannt. Der »Konung Alexander« wurdeim Auftrag des Reichsdrosten Bo Jonsson (Grip)übersetzt und muß zw. 1375 und 1386 entstanden sein.Der Text ist allein in der Sammelhs. cod. Holm. D. 4(Mitte 15. Jh.) bewahrt.

Der Übersetzer folgt im großen und ganzen demHandlungsverlauf der lat. Vorlage, ist aber in der Dar-stellung weitläufiger und ausführlicher. In Ethik undLebensauffassung bedeutet der »Konung Alexander«eine Abkehr von der höf. schwed. Dichtung vom An-fang des 14. Jh. (Þ Eufemiavisor, Þ Erikskrönikan),indem bes. die Zielstrebigkeit und prakt. Staatsklug-heit des Welteroberers A. betont werden.

Eine kurze Prosaversion des Alexanderromans istaußerdem in der aschw. Erbauungsschrift »Siælinnathrøst«, einer Übersetzung des nd. Þ Seelentrost ausder Mitte des 14. Jh., überliefert. Diese Tradition gehtebenfalls auf Leos »Historia de preliis« zurück.

Durch eine adän. Übersetzung des schwed. »Siælin-na thrøst« (»Siæla trøst«, um 1500) wird der Alexan-derroman auch in Dänemark bekannt. H. Ehrhardt

Ed.: Konung Alexander, ed. J. A. Ahlstrand, 1855–62 – Si-ælinna thrøst, ed. S. Henning, 1954 – Sjælens Trøst (»Siælatrøst«), ed. N. Nielsen, 1937–52 Lit.: KL I, 75–79 – E. N. Ti-gerstedt, Ny ill. svensk litt. hist. 1, 1955, 85ff.

X. Islamische Literatur: Die Gestalt A.s und Ma-terialien des Alexanderromans begegnen in der islam.Lit. in mannigfacher Brechung. Im Koran wird A. un-ter dem Namen Du l-Qarnain, der »Zwiegehörnte«,gen.; er wird dort v.a. mit dem Bau der Mauer gegendie Gog und Magog in Verbindung gebracht (Sure 18,v. 82–98). Das Motiv von A.s Suche nach dem Wasserdes Lebens wirkt nach in der Perikope von der Begeg-nung Mose mit einem rätselhaften »Diener Gottes«,der in der Exegese meist den Namen H

˘ad

˙ir erhält (vgl.

Sure 18, v. 59–81). Ältestes und wichtigstes Zeugniseiner vom Koran unabhängigen Tradition ist derBriefwechsel zw. A. und Aristoteles, der vielleichtschon in umayyad. Zeit (um 740) als geschlossenerZyklus vorlag (¢ Alexanderbrief). Die überaus ver-zweigten und diffusen hist. Nachrichten sind bisherkaum untersucht. Bemerkenswert scheint, daß manbeim Tode des Buyidenherrschers ’Ad

˙udaddaula

(982) in einem Kreise Bagdader Philosophen die Wor-te wiederholte, welche die zehn Weisen am Sarge A.sgesprochen hatten. Die Beweinung A.s wird auch inarab. Miniaturen dargestellt.

In der iran. Welt wandelte sich das Bild A.s von demeines feindl. Eroberers, der das Achämenidenreichzerschlagen hatte, zu dem eines muslim. Helden undiran. Ritters, der aufgrund seiner Verdienste den Rangeines im Koran gewürdigten Propheten erwarb.Schon Firdausı (gest. 1020) legitimiert ihn in seinem

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8Alexander d. Gr. in Kunst und Literatur

Königsbuch (»Sahnama«) als angebl. Halbbruder desletzten Darius. Bedeutendstes Beispiel lit. Gestaltungist hier das zweiteilige Alexanderepos des Niz

˙amı

(gest. 1209). Jedoch ist das Thema auch in der osman.(Þ Ah

˙medı) und in der tschagataiischen Lit. behandelt

worden. J. van EssLit.: EI2 (engl.) IV, 127ff. s.v. al-Iskander und Iskandar Name;IV, 902ff. s.v. al-Khadir – M. Brocker, Aristoteles als A.sLehrer in der Legende [Diss. Bonn 1966]; dazu Ergänzungenvon G. Endress, Oriens 20, 1968–69, 411ff. – R. Paret, DerKoran. Komm. und Konkordanz, 1971, 316ff.

XI. Hebräische Literatur: Auch auf die hebr. Lit.des MA hat die Persönlichkeit A.s d. Gr. eine starkeFaszination ausgeübt. Die zahlreichen Episoden, Ex-empla und Betrachtungen über A.s Charakter, welchesich bes. in der moralist. Lit. des Judentums finden,sind jedoch vorläufig noch zu trennen von den direk-ten Bearbeitungen des Alexanderromans, bei denendie gr. oder lat. Vorlagen (z. T. über arab. Überset-zungen) mehr oder weniger ersichtl. sind. Letzterewerden durch eine ganze Reihe von Hss. bezeugt, dieallerdings bis heute nur teilweise in brauchbaren Edi-tionen vorliegen. Ein abschließendes Urteil über quel-lenkrit. Zusammenhänge ist daher soweit nur bedingtmöglich.

Wohl direkt auf eine gr. Vorlage des Alexanderro-mans in der Rez. ε (vgl. den von J. Trumpf 1974 hg.Text) geht eine Hs. zurück, die R. Reich 1972 abge-druckt hat: »Sefär ’Aleksandros Moqdon«. Es handeltsich hier um eine freie jüd. Bearbeitung im Stil einerbibl. Erzählung, ein durchaus übliches Verfahren derjüd. Adaption fremder Stoffe. Ein anderer »Sefär’Aleksandros Moqdon« (hg. I. Levi, 1896, übers. vonM. Gaster, 1897) geht direkt auf die Rez. γ des gr.Romans zurück (vgl. etwa den von U. v. Lauensteinu.a. hg. Text). Die Schrift entstand zw. dem 11. und13. Jh. in S-Italien und ist stark durchsetzt mit Aus-schmückungen und weiteren abenteuerl. Erzählun-gen, deren Platz innerhalb der jüd. Alexandertraditi-on noch untersucht werden muß.

Die übrigen hebr. Fassungen hängen sämtl. von derlat. Version des Archipresbyters Leo v. Neapel (Rez. δdes gr. Romans) ab, und zwar von den sog. interpo-lierten Fassungen, der »Historia de preliis« (J2, J3).Ein Text wurde wahrscheinl. von Samuel ibn Tibbonim 12. Jh. von einer arab. Vorlage ins Hebr. übersetzt(hg. I. Levi, 1886). In den Umkreis dieser Version ge-hört eine weitere Hs., die von I. Levi 1881 untersuchtund teilweise abgedruckt wurde. Ein im MA unterden Juden weit verbreitetes Geschichtsbuch, »SefärJosippon« (entstanden im 10. Jh. ebenfalls in S-Itali-en), enthält eine weitere Version – ein Zusatz wohl ausdem 13. Jh. –, die auf die »Historia de preliis« (J2)zurückgeht. Eine fast wörtl. Übersetzung, zusammenmit einer Beschreibung der Buchillustrationen, diedie lat. (J3) Vorlage offensichtl. enthielt, wurde vonImmanuel ben Jakob »Bonfils« Mitte des 14. Jh. ange-fertigt. Dieser Text, nach der ausführlichsten Hs. von

I. Kazis 1962 hg., übers. und kommentiert, stellt einebrauchbare Grundlage für weitere vergleichende Un-tersuchungen dar. J.-H. NiggemeyerQ.: I. Levi, Les traductions hebraiques de l’hist. legendaired’Alexandre, REJ 3, 1881, 238–275 – Ders., Sefär toledot ’Aleks-ander, Qobäs

˙’al jad II, 1886 – Ders., Un nouveau Roman

d’Alexandre, Fschr. M. Steinschneider, 1896 (= 1975), 235–237; hebr. T. 142–163 – M. Gaster, An old Hebrew Romanceof A., JRAS 1897, 485–549 (Stud. and Texts 2, 1928, 814–878) – I.Kazis, The Book of the Gests of A. of Macedon, 1962 – M.Sanders-H. Nahmad, A Judeo-Arabic Epitome of the Yosip-pon, Fschr. S. B. Freehof, 1964, 275–299 – J. Dan, ’AlılotAleksander Moqdon, 1969 – H. Hominer, Sefär Josıppon,19714 – R. Reich, Tales of A. the Macedonian, 1972 Lit.: EJud(engl.) II, 579f.; X, 296–298 – I. Levi, La legende d’Alexandredans le Talmud, REJ 2, 1881, 293–300; 7, 1883, 78–93 – Ders.,REJ 12, 1886, 117f.; 28, 1894, 147f. – L. Wallach, Yosippon andthe A. Romance, JQR 37, 1946–47, 407–422 – D. Flusser, An»Alexander Geste« in a Parma MS, Tarbiz 26, 1956, 165–184 –Ders., Der lat. Josephus und der hebr. Josippon, Fschr. O.Michel, 1974, 122–132.

Allegorie, AllegoreseI. Antike – II. Mittellateinische Literatur – III. Patristischeund scholastische Theologie – IV. Judentum – V. Volks-sprachliche Literaturen

I. Antike: A. (αÆ λληγορειÄν »anders sagen«) verbild-licht einen abstrakten Begriff oder Vorgang, oft durchPersonifikation. In der gr. Lit. ist sie v.a. vertretendurch Prodikos (Herakles am Scheideweg bei Xen.mem. 2, 1), Aristophanes, Menander, Kebes, Lukian;in der röm. Lit. wird sie häufig (Plautus, Lukrez, Ver-gil, Horaz, Ovid, Lukan, Statius), um in der Spätantikebei Þ Claudianus, Þ Martianus Capella, Þ Boethiuseinen Höhepunkt zu erreichen. Zusammen mitÞ Prudentius (Psychomachia) wirken diese Autorenauf das MA.

Von der gestaltenden A. des Autors oder bildendenKünstlers wird meist die allegor. Erklärung (Allego-rese) unterschieden, die einen geheimen Sinn unter-stellt, den es zu deuten gilt. Sie beginnt in der gr. Lit.mit der (häufig etymologisierenden) Deutung Ho-mers; Voraussetzung dafür war die Entwicklung ab-strakten Denkens in der Philosophie. Allegor. My-thenerklärung (Euhemeros, Cornutus) wird bes. beiden Neuplatonikern Numenios und Porphyrios(¢ Platonismus) geübt. Unter den lat. Dichtern wirdv.a. Vergil allegor. erklärt (Þ Fulgentius; chr. Allego-rese der 4. vergilian. Ekloge durch Ks. Konstantin I.).

J. Gruber

II. Mittellateinische Literatur: Die A. begegnetin der mlat. Lit. in vielfältigen, oft schwer zu unter-scheidenden Formen. In den ma. Bibelkommentarenist sie grundsätzl. nicht auf den Bereich beschränkt,der ihr neben der lit., moral. und anagog. ¢ Bibelaus-legung in der Theorie zufällt, sondern umgreift alshermeneut. Auslegungsprinzip die ganze Exegese (s.III.). Die A. beruht auf dem Prinzip der Aufdeckungdes verborgenen, heilsgeschichtl., heilspädagog. undeschatolog. Sinnes der Hl. Schrift.

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9 Allegorie, Allegorese

Analog der Bibel werden auch heidn. Autoren alle-gor. gedeutet (vgl. den Aeneis-Kommentar des Þ Ber-nardus Silvestris oder die »Integumenta super Ovidiimetamorphosin« des Þ Johannes de Garlandia). Da-durch erschließt sich dem chr. Leser ein neuer Sinnhinter dem »integumentum« der dichter. Erzählung.Allegor. Schriftdeutung und auctores-Allegorese wer-den z. T. eng verwandt gesehen (vgl. Petrus Bercho-rius), in der Scholastik (z. B. bei Hugo v. St. Viktorund Thomas v. Aquin) jedoch streng unterschieden.

Verglichen mit der Bibelexegese hat die Allegoreseder z. T. noch paganen spätantiken Lit. (z. B. Ma-crobius) weniger stark und v.a. weniger universal aufdas MA gewirkt, doch sind für die beliebte Sonder-form der Personifikationsallegorie, auf die sich in mo-derner Zeit das Allegorieverständnis immer mehr ver-engt hat, Werke wie die »Psychomachia« des Pruden-tius, »De nuptiis Philologiae et Mercurii« des Martia-nus Capella und die »Consolatio Philosophiae« desBoethius zu maßgebl. Mustern geworden.

Von den zahlreichen, meist antithet. Unterschei-dungskriterien, die zur Definition der A., ihrer An-wendungsbereiche und ihrer Funktionen vorge-schlagen wurden (vgl. Meier, 24ff.), ist bes. wichtigdie Opposition von hermeneut. und illustrierender A.Während die hermeneut. A. sich auf vorgegebene Tex-te bezieht, wird in der illustrierenden A. etwas gedankl.Konzipiertes ins Bild umgesetzt (vgl. de Bruyne:»spiritualisation-materialisation«; Pepin: »interpre-tation-expression«). Diese der »Versinnfälligung«statt der direkten Sinnerschließung dienende A. ist, dasie naturgemäß dem dichter. Prinzip näher und zu-dem pädagog. sehr effektiv ist, in primär poet. Lit.vorherrschend. Hierher gehören u.a. die allegor. aus-gestaltete — Predigt, die — Vision und jede Art vonPersonifikationsallegorie bis hin zu den großen alle-gor. Epen etwa des Þ Alanus ab Insulis. Auch die il-lustrierende Allegorie lebt, trotz ihrer größerenschöpfer. Freiheit und Spontaneität, von einer starkenrationalen Bewußtheit. F. Rädle

III. Patristische und scholastische Theologie:a) Von der allegor. und typolog. Auslegung atl. Ge-schehnisse und Worte durch den Apostel Paulus (z. B.1Kor 10, 1–13, Gal 4, 21–31, Eph 5, 31f.) angeregt, such-ten und fanden die gr. und lat. Väter das Heilsgeheim-nis der Hl. Schriften in allen seinen (künftigen, in-wendigen und himml.) Dimensionen auf dem Wegder A., die sie krit. abgrenzten von der A. der heidn.Philosophie und Dichtung. Während in achr. Zeit dieantiochen. Exegetenschule (seit Lukian v. Antiochia,ca. 270) bes. die hist.-grammat. Schriftexegese betrieb,bot die alexandrin. über diese bloß somatische hinausnoch die psychische (eth.) und dann v.a. die pneuma-tische, d.h. die allegorist. Exegese an (v.a. seit Orige-nes, † um 254, aber auch in den Werken des Ambro-sius, † 397, und des Augustinus, † 430), wodurch dieA. größte Bedeutung im Geistesleben des MA erlang-

te. Die bibl. Perikopen oder Redefiguren wurdendurch sinnbildl. und gleichnishafte Erklärung auf ih-ren tieferen und verborgenen Sinn und Seinsgrundhin erklärt und ausgelegt. Gegenüber dem ¢ Symbol(»Realsymbol«) als wesenhafter Vergegenwärtigungeines Sachverhalts im Zeichen (im kirchl. Sakramentvermittelt das »äußere Zeichen« im vergegenwärtig-ten Heilszusammenhang die »innere Gnade«) oderder ¢ Parabel (Gleichnis) als einer unmittelbar demoffenbaren Sinnbezug gleichlaufende Erzählweise(Aesops Fabeln; die Himmelreich-Gleichnisse Mt 13und Mk 13) eignet der A. sehr viel größere Freiheit dertheol. Perspektiven und Horizonte. Der notwendigeBezug der A. auf das Mysterium Christi und der Kir-che war ein wirksames Kriterium gegen einseitige,willkürl. und gekünstelte A. z. B. bei den ma. liturg.Symbolisten, die vielfach allem und jedem einen tie-feren Sinn unterlegten.

b) Im ma. Denken gründet die A. in der Anerken-nung des Zusammenhangs und der Entsprechungvon Sinnenfälligem und Übersinnl., von Zeitl. undEwigem. Natur und Geschichte werden in der A. aufihren verborgenen Grund und Gang hin gedeutet. DieA. kann aber auch Gedanken durch fiktive Erzählun-gen und Personifizierungen sinnenfällig darstellen. Esgibt die Funktion des Interpretierens, die Materiellesgewissermaßen spiritualisiert, und die Funktion desIllustrierens, die Spirituelles gewissermaßen materia-lisiert. Funktionen und Anwendungsbereiche der A.sind also zu unterscheiden. – Nach dem bekanntenma. Merkvers: »Littera gesta docet; quid credas, alle-goria; moralis, quid agas; quo tendas, anagogia« ge-langt die Theologie durch die A. vom Buchstaben derbibl. Geschichte zu ihrem Geist und Geheimnis, be-gründet, erbaut und vollendet so die Erkenntnis imGlauben. Nach dem einhelligen Zeugnis der ma.Theologen offenbart sich im anderen des Kreatürli-chen und Geschichtlichen Gottes Wesen und Wirken.Zur Zeugnislage vgl. H.de Lubac, Exegese medievaleI, 2, 1959, 522–536 (489–548). – Die verschiedenenFunktionen und Anwendungsbereiche der A. gehenin der scholast. und monast. Theologie des MA oftineinander über und lassen sich nicht nach den mo-dernen Gesetzen und Gesichtspunkten der Lit. ab-grenzen. Auch die heute geläufige Unterscheidungzw. A. und Symbol, nach der nur im Symbol die Ver-gegenwärtigung des Bezeichneten durch das Bezeich-nende überzeugend gegeben ist, trifft nicht zu, denndie ma. Deutung und Anwendung der A. schließt dieSymbolik ein. Auch die (moderne) Unterscheidungzw. geschichtl. begründeter Typologie und willkürl.konstruierter A. ist für das MA unzutreffend, denn dieallegor. Schriftauslegung ist im Kern typolog. Die ma.A. schließt auch die einfache Metapher nicht aus, denÜbergang vom Bild zum Begriff. – Die Flexibilität derFunktionsweisen und die Variabilität der Anwen-dungsbereiche der A. bargen auch die Gefahr einesspieler., unverbindl. und ungezügelten Denkens, das

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10Allegorie, Allegorese

die A. scharfer Kritik (z. B. durch die Reformatoren)ausgesetzt hat. In der Praxis bewegt sich die Allegoresejedoch im Strom der Glaubensüberlieferung und dertheolog. Gewohnheiten, die in den Nachschlagewer-ken und hermeneut. Untersuchungen (z. B. Bonaven-tura, Breviloquium, Prol.) greifbar werden. Die wis-senschaftstheoret. Bedeutung der allegor., typolog.und analogen Aussageweise muß von der Methodeder ¢ Theologie her gewürdigt werden.

J. H. Emminghaus/L. Hödl/A. Riedlinger

IV. Judentum: A. war im Judentum von der ¢ Bibelher, Allegorese v.a. durch die Auslegung des Hld be-kannt. Sonst dominierte – vom hellenist. Judentumabgesehen – der »gewöhnliche«, dem Wortsinn na-hekommende Schriftsinn P esat

˙. Im MA wurde der

Pesat˙

zum strikten Wortsinn: 1. infolge der aufkom-menden hebr. Sprachwissenschaft, 2. in Abwehr derchristolog. Exegese der Kirche und 3. im SpätMA alserster von vier Schriftsinnen (wörtl., erbaul., ethisch,geheim). Hob die philosophierende Exegese denWortsinn im Extremfall zugunsten des unterstelltenphilosoph. Inhalts auf, so ordnete ihn die ¢ Kabbalain ihre Symbolik ein und entsprach insofern der tra-ditionellen Forderung, den Pesat

˙möglichst unange-

tastet zu lassen. A. traditioneller Art begegnet v.a. inder religiösen Dichtung (bes. in Anlehnung an dasHld), in Erbauungsschriften und in der Kabbala (neu-platon. gefärbt und bis zu mytholog. Ausdrucksweiseüberhöht). Profane Dichtung (Poesie) und ¢ Philo-sophie bedienten sich der auch in der Umwelt übl.Muster. J. Maier

V. Volkssprachliche Literaturen: [1] Allgemein,Deutsche Literatur: Für das ma. Verständnis von A. istgrundlegend, daß ein Text oder ein sprachl. Zeichenüber seinen wörtl. Sinn hinaus weitere Bedeutungenenthalten kann. Das gilt sowohl für die Definitionender Rhetoriken, welche die A. neben Metapher, Ironie,Rätsel u.a. zu den Tropen ordnen, wie auch für diePraxis der Bibelauslegung. Strittig war dabei immerwieder, ob diese Mehrdeutigkeit nur dem Worte Got-tes vorbehalten sei oder auch vom Menschen ge-schaffen werden könne. Eine eigene Theorie allegor.Dichtung hat das MA nicht formuliert.

Dennoch bilden sich Handlungsmodelle und Kon-ventionen heraus, die vielfach variiert werden. Zu ih-nen zählen sowohl die Queste oder Suche (¢ »Rosen-roman«, Þ Dantes »Divina Commedia«, Guillaumede Þ Deguilevilles »Pelerinage de la vie humaine«) wieauch der Kampf oder die Erstürmung einer Burg(Prudentius’ »Psychomachia«, »Rosenroman«, »Min-neburg«, — Moralitäten) oder die Jagd (Þ Hadamarsv. Laber »Jagd«, frz. Jagdgedichte). Häufig finden sichferner allegor. Auslegungen von Farben, Pflanzen,Edelsteinen oder Gebäuden (z. B. die Minnegrotte inÞ Gottfrieds v. Straßburg »Tristan«). Auch dasSchachspiel (Þ Jacobus de Cessolis, Konrad v. Am-menhausen, »Les echecs amoureux«) und Gerichts-

verhandlungen (Konrads v. Würzburg »Klage derKunst«, Hermanns von Sachsenheim »Mörin«) sindals vielseitig verwendbare Modelle beliebt. In der Dar-stellungsweise reicht die Skala von der eindeutigenAuslegung, die Punkt für Punkt vorgeht, im einenExtrem bis hin zur mehrdeutigen, in welcher der Au-tor nur mit sprechenden Namen oder Details auf eineweitere Sinnebene verweist, auf der anderen Seite. DieSinnbezüge zw. literaler und allegor. Aussage orien-tieren sich an Konventionen, werden aber auch vomeinzelnen Autor eigenständig oder willkürl. gesetzt.

Personifikationsgedichte stellen meist interessanteGrenzformen dar, denn sie können einerseits kom-plizierteste allegor. Aussagen vermitteln, sich aber an-dererseits auch nur im Wortsinn erschöpfen. Dazwi-schen entwickeln die Verfasser die verschiedenstenMethoden, sie vereinzelt oder massiert und verbun-den mit allegor. Elementen zu durchsetzen. Hierfürbieten die volkssprachl. Lit. v. a. des späten MA eineFülle von Beispielen und Mischformen. Doch eben-sowenig wie sich im MA eine eigene Poetik allegor.Dichtung entwickelt, kann ein einziger Text als reineund paradigmat. Verwirklichung von A. gelten.

Da die Einsicht in die Komplexität der A. gerade inden letzten beiden Jahrzehnten beträchtlich gewach-sen ist, müssen frühere Pauschalurteile, die sie aufRationalität reduzierten oder ihr Künstlichkeit vor-warfen, zumindest als einseitig erscheinen. In Theo-logie, Lit. und darstellender Kunst bildet die A. einenwichtigen Schlüssel zum Verständnis eines spezif. ma.Denkens in Analogien und Sinnbezügen. I. Glier

[2] Altfranzösische Literatur: Die lat. allegor. Dich-tungen des MA (vgl. II) werden v.a. in Frankreichnachgeahmt und bilden dort schon bald einen wes-entl. Bestandteil der afrz. Lit. Die übernommene A.findet zunächst in der geistl. Lit. Anwendung. Aberschon früh zeigt sich, wie geistl. und weltl. Elementeauf den späteren allegor. Liebesroman deuten. Zu denVorläufern des »Rosenromans« gehört Þ Raouls deHoudenc »Songe d’Enfer«, in dem der träumendeDichter, über die allegor. Orte Habsucht, Begierde,Eifersucht, Treubruch, usw. in die Hölle fährt, wo eru.a. an einer allegor. Höllenmahlzeit teilnimmt. Per-sonifiziert werden die verschiedenen Stationen derReise, und obwohl Raouls Metaphern auf die »Psy-chomachia« zurückgreifen, ist der Plan der Reiseselbst ganz originell. Raouls »Romanz des eles de laproece« schildert den Versuch der ritterl. Tüchtigkeit,Vollkommenheit zu erreichen; zwei Flügel, ausgestat-tet mit je sieben Federn der verschiedenen Aspektevon »largece« und »cortoisie«, leisten hierzu die nö-tige Unterstützung. »Songe de Paradis«, ein in Aufbauund Stil dem »Songe d’Enfer« ähnelndes Gedicht,stammt wahrscheinl. nicht von Raoul de Houdenc.

Um 1234 erscheint »Tournoiement Antecrist«, indem Huon de Meris ausführl. die Taten des Teufelsschildert; begleitet von den personifizierten Lasternkämpft Satan gegen Christus, die Tugenden und Ar-

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tusritter. Im »Ordene de chevalerie« erzählt ein an-onymer Dichter, wie Hue de Tabarie von Saladin ge-fangen und nach der Zeremonie befragt wird, in derein Knappe zum Ritter geschlagen wird. Hue zählt diesymbol. Stationen auf, die zum Ritterschlag führen.

Geistiges Streben allegorisieren Þ Henri d’Andelium 1236 in »Bataille des sept arts« und Þ Jehan leTeinturier in »Mariage des sept arts«. – Der »Rosen-roman« (— Roman de la Rose) gehört zu den wich-tigsten Dichtungen der afrz. Lit. Das Werk ist »eine bisin alle Einzelheiten durchgeführte A. einer Herzens-geschichte« (Voretzsch). Wer wirkl. echte Liebe fin-den will, muß alle Gesichtspunkte dieser Liebe ken-nenlernen, die ihm auf seiner Suche entweder helfenoder hindern. Hoffnung und Habsucht, Glück undEifersucht, u.v.m., erscheinen personifiziert, ehe esdem Liebenden gelingt, einen Kuß von der begehrtenRose zu erlangen. Mit dem »Rosenroman« erreichtdie A. ihre höchste Popularität. Aber auch negativeReaktionen bleiben nicht aus. 1310 verspottete Gervaisdu Bus in »Fauvel« den »Rosenroman«. Der Name dessymbol.-allegor. Pferdes Fauvel besteht im Frz. ausden Anfangsbuchstaben von Schmeichelei, Habsucht,Schändlichkeit, Unbeständigkeit, Eifersucht, undFeigheit. Der Dichter kritisiert auch die Kirche, undFauvels Taten kündigen bereits die Gestalt des Anti-christ an.

Zum Anfang des 14. Jh. erscheint die 72000 Versezählende »Ovide moralise« eines Minoritenmönchs,der die Metamorphosen frei übersetzt und interpre-tiert. Zw. 1330 und 1358 verfaßt Þ Guillaume de De-guileville drei Werke (über 36000 Verse): »Pelerinagede la vie humaine«, »Pelerinage l’ame« und »Peleri-nage Jesus-Christ«. 1399 nimmt Þ Christine de Pisan(1364–1430) in ihrer »Epitre au d’Amour« Stellung ge-gen Þ Jeans de Meung voreingenommene satir. Be-urteilung der Frau. Wichtiger jedoch für die Fortset-zung der allegor. Lit. ist »Chemin de long estude«,dessen Titel auf Þ Dantes »Vagliami il lungo studio«beruht. Christine gelangt nach langem Wandern inden fünften Himmel, wohin Erde in der Zwischenzeiteinen Boten geschickt hatte, der herausfinden sollte,ob dort der perfekte Mensch gefunden werden könn-te. Reichtum, Rittertum, und Weisheit nehmen an derDiskussion teil, aber die Frage kann nicht beantwortetwerden. Daraufhin wird Christine als Botschafterinzum Kg. v. Frankreich geschickt, der vermutl. dasProblem lösen könne. Ehe jedoch der Kg. in einepeinl. Lage kommen kann, erwacht sie im rechtenAugenblick und stellt fest, daß alles nur ein Traumwar. 1483 gibt Jean Molinet eine Prosaversion des»Rosenromans« heraus, dem er eine moralisierendeAbhandlung hinzufügt, um lasterhafte Menschen intugendhafte umzuwandeln.

Der Einfluß der A. auf die lyr. wie auch auf die lehr-hafte Dichtung ist nicht zu unterschätzen. Im spätenMA blüht die A. im — Drama – in den sog. — Mo-ralitäten – noch einmal auf, und erreicht im engl.

Þ »Everyman« die künstler. höchste Stufe. In der afrz.Lit. drücken bereits die Titel der Dramen Inhalt undallegor. Deutung aus: »Bien-avise«, »Mal-avise«,»L’homme Pecheur«, »Les enfants de maintenant« so-wie die »Condamnation de banquet« von Nicolas deChesnaye, wo Krankheiten und Heilmittel abwech-selnd auftreten. Polit. Themen gehören zu den Mo-ralitäten genauso wie bibl. und legendäre aus der Ver-gangenheit W. Kroll

Zur span. und it. A. Þ Gonzalo de Berceo, Þ Impe-rial, Francisco, Þ Ruiz, Juan, Þ Santillana, Marquesv., Þ Juan de Mena, Þ Dante, Þ Boccaccio, Þ Petrar-ca, Þ Latini, Brunetto, Þ Hypnerotomachia Poliphili.

[3] Alt- und mittelenglische Literatur: Wie lebendigdie ma. Neigung zu allegor. Darstellung und allegor.Deutung im ags. England war, zeigen mehrere z. T.illustrierte oder ae. glossierte Hss. von Prudentius’»Psychomachia« sowie das Werk Þ Bedas; im Bereichder ae. Prosa legen davon Zeugnis ab Kg. ¢ AlfredsÜbersetzung der »Consolatio Philosophiae« desÞ Boethius und die Homilien Þ Ælfrics mit ihrer tra-ditionsgebundenen allegor.-typolog. Exegese. An ex-plizit allegor. ae. Dichtungen besitzen wir a) einenkurzen ae. — »Physiologus«-Zyklus (der Panther =Christus; der Wal = der Teufel); b) den ae. Þ »Phoe-nix«, der u.a. eine A. der Auferstehung ist. Allegor.-typolog. Bezüge weisen darüber hinaus z. T. auch dieae. — Bibeldichtung (z. B. Þ »Exodus«) und die poet.Heiligenleben (z. B. Þ »Juliana«) auf. Zweifelhaft istdagegen, ob und wie weit von ihren Autoren nicht alsAllegorien gekennzeichnete ae. Dichtungen (bes.Þ »Beowulf« und — Elegien) neben ihrem Wortsinnauch noch eine allegor. oder symbol. Bedeutung ha-ben. Zur Vorsicht mahnt hier schon die Verschieden-artigkeit der vorgeschlagenen Deutungen, die beim»Beowulf« vom »Kampf der Landbewohner mit demMeer« (im 19. Jh.) bis zur »Allegorie der chr. Erlö-sung« (1960) reichen.

Frühme. Allegorien sind die Homilie »Sawles War-de« und die me. Version des — »Bestiarium«. EineHochblüte erlebte die allegor. Dichtung aber erst inder 2. Hälfte des 14. Jh., als eine Reihe von Traumvi-sionen wie Þ »Winner and Waster« oder Þ »The Par-liament of the three Ages« entstand. Zu den bedeu-tendsten Werken dieser Gattung gehört zum einen»The Pearl« (Þ Pearl-Dichter), in deren komplexerAllegorie die Perle bzw. das Perlenmädchen wohlnicht nur für die verstorbene kleine Tochter des Er-zählers steht, sondern auch für theolog. Vorstellun-gen; zum anderen William Langlands Þ »Piers Plow-man«, wo allegor. Figuren wie Lady Holy Church,Conscience, Lady Meed und die sieben Todsündenauftreten. Neben die religiösen Anliegen stellt sichweltlichere Thematik (Liebesallegorie): Þ Chaucerübersetzte nicht nur einen Teil des — »Roman de laRose«, sondern schrieb auch mehrere Traumvisionen(»The House of Fame«; »The Book of the Duchess«;»The Parliament of Fowls«); die beiden letzteren ent-

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halten vermutl. Anspielungen auf zeitgenöss. Ereig-nisse. Þ Gower verwendete eine Liebesallegorie alsRahmen für seine »Confessio Amantis«. Im 15. Jh.wurde einerseits die Tradition der allegor. Traumvi-sion durch die Chaucernachfolger fortgeführt(Þ Douglas, Þ Dunbar, Þ »Kingis Quair«, Þ Lydgate,Þ Skelton, sowie noch im 14. Jh. Þ Usk), andererseitskam die Allegorie in den — Moralitäten (MoralityPlays) auf die Bühne. Man hat die Moralitäten, derenbekannteste Þ »Everyman« (»Jedermann«) ist, alsdramat. Predigten bezeichnet, die zeigen, wie derMensch leben muß, wenn er das ewige Heil erlangensoll. Personifikationen wie Schönheit, Besitz, GuteWerke, Tod begleiten ihn auf seinem Weg.

Die allegor. Tradition setzte sich weit über das Endedes MA hinaus fort (Edmund Spenser, »Faerie Que-ene«; John Bunyan, »The Pilgrim’s Progress«).

H. Sauer[4] Slavische Literaturen: In der ma. tschech. Lit. fin-

den sich nur drei namhafte Werke, die sich eindeutigals A. bezeichnen lassen: Zwei Gedichte religiösen In-halts, »Otep myrrhy« – »Ein Büschel Myrrhen« (vgl.Hld I, 13) –, »Mistr Lepic« – »Meister Lepic« – undeine polit. Tierallegorie des Þ Smil Flaska z Pardubic,»Nova rada«. In den ost- und südslav. Lit. des MAscheint die A. keinen wesentl. Anteil gehabt zu haben.

R. AutyZu allegor. Darstellungen in den Bildenden Künsten

vgl. ¢ Personifikation, ¢ Symbol.

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AntichristA. Literatur – B. IkonographieA. LiteraturI. Mittelhochdeutsche Literatur – II. Alt- und mittelenglischeLiteratur – III. Romanische Literaturen – IV. Slavische Lite-ratur

I. Mittelhochdeutsche Literatur: Die mhd. A.-Dichtung in Prosa, Vers und Dialogform fußt auf bibl.Eschatologie und rezipiert v.a. die Sibyllin. Schriften,Ps.-Methodius und Þ Adso v. Montier-en-Der. Be-kannt sind bes. der »Friedberger A.«, das bair. Gedicht»Von dem Anticriste« (13. Jh.) sowie Freidanks Spruch49 und Frau Avas Gedicht, dessen Quellen u.a. das»Elucidarium« des Honorius Augustodunensis ist.Zwar auf Adso zurückgehend, doch eigenständig sindder »Ludus de Antichristo« und verwandte Dramen.Das 15./16. Jh. kennt noch A.-Dichtungen, bes. Pam-philus Gegenbachs »Nollhart« und verschiedene A.-Spiele. Gemeinsam ist den Dichtungen, daß der A. vorder Parusie Christi als rex iniquus, Tyrann, Nero re-divivus etc. für kurze Zeit die ird. Herrschaft an sichreißt, bis Christus ihn endgültig besiegt. Sein Kom-men wird durch – oft sieben – Zeichen angekündigt;er sitzt im Tempel Gottes, wo er dessen Platz ein-nimmt. In den Geschichtswerken des Dt. Symbolis-mus ist der A. die zentrale Rollenfigur der Profange-schichte und noch im 16. Jh. gilt in der Nachfolge Lu-thers der A. als personalisierter, auf das Papsttum be-zogener Feind des Christentums. Bildzeugnisse fin-den sich seit dem 16. Jh. als Einblattdrucke. A. Wang

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1 Abaelard

AbaelardI. Leben. Philosophie und Theologie – II. Musik – III. Dich-tungen

I. Leben. Philosophie und Theologie: PetrusAbaelardus, Philosoph und Theologe, * 1079 in Le Pal-let (sö. Nantes) † 1142, Sohn eines Ritters, verzichteteauf sein Erbe, um sich der Wissenschaft zu widmen.Mit seinen Lehrern ¢ Roscelin v. Compiegne und¢ Wilhelm v. Champeaux sowie dem Theologen¢ Anselm v. Laon überwarf sich A., lehrte selbst inMelun und Corbeil, konnte in Paris wegen der Feind-schaft Wilhelms nicht Fuß fassen und gründete au-ßerhalb der Stadt eine Schule auf dem Berg der hl.Genovefa. Entscheidend für A.s Zukunft wurde dieLiebe zu seiner Schülerin ¢ Heloıse, Nichte eines Ka-nonikers Fulbert, der das Verhältnis erst entdeckte, alsHeloıse bereits ein Kind erwartete. A. entführte sie,versöhnte sich aber nach der Geburt des SohnesAstralabius mit Fulbert, indem er Heloıse zu heiratenversprach. Die Ehe sollte geheim bleiben; Fulbertfühlte sich betrogen und ließ A. zu nächtl. Stundeüberfallen und entmannen. Heloıse wurde auf A.sDrängen hin Nonne im Kl. Argenteuil, er selbst tratals Mönch in das Kl. St-Denis ein. In einer Einsiedeleilehrte er erneut und verfaßte die sog. Theologia»Summi boni«. Diese wurde 1121 auf Betreiben derGegner auf der Synode v. Soissons verurteilt; A. muß-te sein Werk selbst ins Feuer werfen, durfte aber baldnach St-Denis zurückkehren. Nach einem Streit ver-ließ er das Kloster, erbaute in Quincey bei Nogent-sur-Seine ein Bethaus, das er später dem Paraklet(Name des Hl. Geistes bei Joh) weihte, und lehrte.Angriffe der Gegner veranlaßten ihn, die Wahl zumAbt des Kl.s St-Gildas-de-Rhuys (Bretagne) anzuneh-men. Beim Versuch, die Klosterzucht herzustellen,zog er sich die Feindschaft der Mönche zu. 1128/29mußte Heloıse, inzwischen Äbt., mit ihren NonnenArgenteuil verlassen. A. schenkte ihnen das Bethauszum Paraklet und wurde ihr geistl. Betreuer. Er stellteeine Ordensregel auf, dichtete Hymnen, gab briefl.Rat. Von bes. Interesse ist die Korrespondenz zw. A.und Heloıse. (Über den Anteil A.s und alle sonstigenFragen, die sich an die Briefe knüpfen, s. Heloıse).

Ca. 1135/36 kehrte A. nach Paris zurück; nun ent-standen seine theolog. Hauptwerke (u.a. die sog.Theologia »Scholarium«, Komm. z. Röm., Ethica),doch trat A. in ¢ Bernhard v. Clairvaux (veranlaßtdurch dessen Freund ¢ Wilhelm v. St. Thierry) einneuer Gegner entgegen. Nach einem Gespräch mit A.sandte Bernhard an Papst Innocenz II. einen »Trac-tatus contra quaedam capitula errorum Abaelardi«(ep. 190, MPL 182, 1055 D ff.) sowie eine Liste mit 19»Irrlehren« (ed. J. Leclercq, RevBen 78, 1968, 103f.).A. erreichte, daß die Sache auf der für 1140 geplantenSynode v. Sens verhandelt werden sollte, doch Bern-hard konnte bereits vor Beginn die Bf.e zu einer Ver-urteilung bewegen. Da eine Disputation nun sinnloswar, appellierte A. an den Papst. Ohne A. angehört zu

haben, verurteilte die Synode seine Lehren; die Ent-scheidung über seine Person mußte man dem Papstüberlassen (Berichte an diesen: Bernhard, epp. 181.191. 337; zusätzl. Briefe Bernhards: epp. 189. 333–335.338). Der Papst verurteilte A. zu ewigem Schweigen(MPL 182, 559Dff. = MPL 179, 517Bf.; vgl. Jaffe I, Nr.8148f.). Auf dem Weg nach Rom, um sich dort zuverteidigen, wurde A. in Cluny von Abt — Petrus Ve-nerabilis aufgenommen. Dieser brachte eine Versöh-nung mit Bernhard und die Aufhebung des päpstl.Urteils zustande. A. blieb in Cluny, lebte später imPriorat St-Marcel bei Chalon-sur-Saone (aus dieserZeit stammt wohl der »Dialogus«) und starb dort am21. April 1142. Er wurde ins Kl. zum Paraklet über-führt, Heloıse nach ihrem Tode 1164 neben ihm be-stattet. Während der frz. Revolution wurde das Grabverwüstet; A. und Heloıse wurden 1817 auf dem Fried-hof Pere-Lachaise in Paris beigesetzt.

Lehre: Als Philosoph beschäftigt sich A. v.a. mit(Sprach)logik und lehrt einen ¢ Konzeptualismus(¢ Universalienstreit). Der Theologie dient die Logik,indem sie Glaubenswahrheiten evident macht undden Menschen zur teilweisen Gotteserkenntnis führt(s.u.). – In seiner Schrift »Sic et non« stellt A. wider-sprüchl. Zitate von Autoritäten einander gegenüber,um zu zeigen, wie man mit wissenschaftl. Methodedie Wahrheit finden könne. – Als Theologe plante A.eine Gesamtdarstellung der chr. Heilslehre, doch liegtnur der erste Teil unter dem Titel »Theologia« in meh-reren Fassungen vor. Hier versucht A., das innertr-initar. Verhältnis durch Gleichnisse zu verdeutlichen.Alle Menschen könnten durch die Vernunft bis zurErkenntnis der Trinität gelangen, was A. durch Zitateheidn. Autoren belegt. Was noch zum Heil notwendigsei, teile Gott dann zusätzl. mit. – A. verneint, daßGottes Praedestination einen Determinismus bedeuteund versteht sie im Sinne der Praescienz. – Neu ist A.schristolog. Ansatz: Gott ist nicht Mensch geworden,um den Teufel zu besiegen und die Menschheit alsganze zu befreien, sondern um im einzelnen Men-schen durch sein Beispiel die Liebe zu entzünden undihn so innerl. zu verwandeln. – Die Erbsünde ist nichteine Schuld, für die der einzelne Mensch verantwortl.ist, sondern nur die Folge der Schuld Adams.- In derEthik betont A. die Gesinnung, definiert die Sünde alsZustimmung zum Bösen (was er mit MißachtungGottes gleichsetzt) und kann sogar den Juden, die Je-sus kreuzigten, eine Schuld absprechen, da ihre Ab-sicht ja gut gewesen sei. – Eine Sakramentenlehre hatA. nicht ausgeführt; einzelne Äußerungen zeigen auchhier die Tendenz zur Verinnerlichung.

Wirkung: A. hat zahlreiche Schüler gehabt, darunterdrei spätere Päpste. Seine Schriften waren weit ver-breitet, seine wissenschaftl. Methode trug zur Ent-wicklung der Scholastik, seine Schulgründung zurEntstehung der Universität Paris bei. Die Lebensge-schichte (»Historia calamitatum«) wurde in Kunstund Lit. seit dem 13. Jh. immer wieder dargestellt.

Vahlbruch
Aus Band 2:
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Auf die Historia calamitatum gründen sich alle A.-Biographien. Die Echtheit ist heute im allgemeinenanerkannt (vgl. P. v. Moos). R. PeppermüllerEd.: MPL 178 – P. A. Opera Theologica, ed. E. M. Buytaert,geplant 5 Bde, 1969ff. (CChr CM 11–15), dort I, XXIX-XXXIVerz. aller bisherigen Edd. Seitdem: P. A. Dialectica, hg. v. L.M. de Rijk, 1956, 19722 – Dialogus inter Philosophum, Juda-eum et Christianum, hg. v. R. Thomas, 1970 – Ethica, hg. v. D.E. Luscombe, 1974 – Historia calamitatum (ep.1), hg. v. J.Monfrin, 1959, 19723 Lit.: Überblick über die Lit. bis 1967 beiBuytaert (s.o.) I, XXXII-XXXVIII. Dazu: P. A. The Man andhis Work. Proceedings of the Internat. Conference, LouvainMay 10–12, 1971, Mediaevalia Lovaniensia, ser. I, studia 2, 1973– Pierre A.-Pierre Le Venerable. Abbaye de Cluny 2 au 9 juillet1972, Colloques Internat. du Centre Nat. De La RechercheScientifique Nr. 546, 1975 – M. T. Beonio-Brocchieri Fu-magalli, La logica di A., 1964, The Logic of A., 1970 – L.Grane, P. A., 1969 – J. Jolivet, Arts du langage et theologiechez A., 1969 – D. E. Luscombe, The School of P. A., 1969 – J.Miethke, A.s Stellung zur Kirchenreform, Francia 1, 1973,158–192 – P. v. Moos, MA-Forschung und Ideologiekritik,1974 – R. Peppermüller, A.s Auslegung des Röm, BGPhMANF 10, 1972 – D. W. Robertson jr., A. and Heloıse, 1972 – R.E. Weingart, The Logic of Divine Love, 1970 Übers.: DieLeidensgesch. und der Briefwechsel mit Heloisa, übers. v. E.Brost, 19633 – Nosce te ipsum. Die Ethik des P. A. Übers. undeingel. v. F. Hommel, 1947.

II. Musik: A. erwies sich als prakt. Musiker, indem eruns ein Hymnar (in zwei erhaltenen Exemplarengrößtenteils ohne Noten) und sechs Planctus (in li-nienlosen Neumen aufgezeichnet) hinterließ. Dabeistand er an der Spitze jener Bewegung, die neue Ge-legenheitsdichtungen in mlat. Sprache für nebenli-turg. Zwecke bes. bei den Stundengebeten schuf, wiedie im 12. Jh. von den Kartäusern und Zisterziensernkomponierten Hymnen bezeugen. Sein Verhältnis zuden früheren eher liturg. Nachdichtungen ist dadurchbelegt, daß er die Form der zum Alleluja angefügtenSequenzen (aa bb cc...) angewandt hat, wobei im Rah-men kirchl. Kreise die für die höf. Kunst wichtigeForm des Lai (Leich) entstand. Auch A.s weltl. Kom-positionen wurden von seinen Zeitgenossen geprie-sen. Der kämpfer. Einsiedler zu Paraklet erwies sichals liturg. und musikal. wichtig, da er es verstandenhat, seinen schöpfer. und musikal. Geist innerhalbseiner eigenen Stiftung in die Praxis umzusetzen.

L. A. Dittmer

III. Dichtungen: [1] Ad Astrolabium, [2] Hymnen,[3] Planctus, [4] Liebeslieder. – [1] Ein längeres Ge-dicht in Distichen mit moral., z. T. auch mehr welt-klugen Lehren zur Lebensführung ist an den Sohn»Astrolabius« gerichtet. Erwähnt wird Heloıse mit ei-ner Anspielung auf ihren 2. Brief (Haureau, 167). –[2] Auf Wunsch Heloısens verfaßte A. in unterschied-lichen, zum Teil neuen rhythm. Strophen für Kl. Pa-raklet ein vollständiges Hymnar von mehr als 130 Ge-sängen, die an die Stelle der alten Hymnen treten soll-ten (vgl. A.s Vorrede zum 1. Buch). In oft nüchternerSprache, mehr gedankl. als anschaul., die Bezüge aus

der Natur und dem Menschenleben vergeistigend,zeigen die Hymnen kräftigen Schwung, der oft vonVers zu Vers und im übergreifenden Bau des erstenTeiles von Hymnus zu Hymnus, von Tag zu Tag trägt.Zum 29. Hymnus (und damit wohl zum 10.–28.) istdie Melodie überliefert. – [3] Sechs große Planctus(Klagelieder), bibl. Personen in den Mund gelegt, las-sen ein Verständnis für menschl. Leiden erkennen, dasaus dem Grund eigenen Erlebens entspringen mag.Ihre Sprache ist eher herb, der Reim wie in den Hym-nen entgegen dem Gebrauch der Zeit nur einsilbig.Der Form nach sind die Planctus Sequenzen und Lei-che. Eine Melodie ist zum 6. Planctus erhalten. – [4]In der »Historia calamitatum« und im 1. Brief derHeloıse wird berichtet, daß A. in metr. und rhythm.Liebesliedern Heloıse besang und daß diese Liederwegen ihrer süßen Melodien auch beim nicht latein-kundigen Volk rasche und weite Verbreitung fanden.Diese Lieder, die auf die Anfänge der großen lat. Lie-besdichtung des 12. Jh. wirken konnten (inwieweit A.sSchüler ¢ Hilarius von ihnen beeinflußt ist, steht da-hin), sind verloren oder noch nicht erkannt. Zu Un-recht wurde versucht, CB 168 (»Hebet sidus«) A. zu-zuschreiben. D. Schaller hat versuchsweise vorge-schlagen, CB 117 als ein Lied A.s anzusehen, Th. Latz-ke darüber hinaus (sicher zu Unrecht) Ripoll 22. Ge-gen W. Meyers Zuschreibung von »Parce continuis«spricht sich P. Dronke aus. G. BerntEd.: zu [1]: B. Haureau, Notices et extraits des mss. de la Bibl.Nat. 34.2. 1895, 157–186 – MPL 178, 1759–1766 (unzulängl.) zu[2]: Petr Abaelardi... Hymnarius Paraclitensis, ed. G. M. Dre-ves, 1891 [Nachdr. mit Vorwort v. G. Vecchi, 1970; ebd. Me-lodie nach Stäblein, Monumenta monodica medii aevi, 1953,Mel. 590] zu [3]: W. Meyer, Ges. Abhandlungen zur mlat.Rythmik 1, 1905, 340–374 – Pietro Abelardo, I »Planctus«, ed.G. Vecchi, 1951 – L. Weinrich, Musical Quarterly 55, 1969,295–312, 464–486 [Melodie zu Planctus 6] zu [4]: CarminaBurana, hg. A. Hilka-O. Schumann-B. Bischoff, 1930–70 –N. d’Olwer, L’escola poetica de Ripoll en els segles X-XIII,Institut d’Estudis Catalans 6, 1923 – [»Parce continuis«:] W.Meyer, Studi letterari e linguistici dedicati a Pio Rajna, 1911,149–161 – P. Dronke, Medieval Latin and the Rise of Euro-pean Love-Lyric, 19682, 341–353.– Lit: zu [1]: Manitius III, 109– H. Brinkmann, Münchener Museum für Philol. des MAund der Renaissance 5, 1932, 168–201 – F. J. E. Raby, A Hist. ofSecular Latin Poetry, 1934, 21957 [Nachdr. 1967] 2, 5–7 – H.Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posteriorislatinorum, 1959, Nr. 1646 – G. Misch, Gesch. der Autobio-graphie 3, 2, 1959, 692–711 zu [2]: Szöverffy, Ann. 2, 1965,57–76 zu [3]: P. Dronke, Poetic Individuality in the MiddleAges, 1970, 114–149 – W. v.d. Steinen, A. als Lyriker und derSubjektivismus, Menschen im MA, hg. P. v. Moos, 1967,215–230 zu [4]: [CB 169:] Carmina Burana [s. Ausg.] I 2, 285und I 3, 211 – [CB 117:] D. Schaller, MJB 5, 1968, 10f. – [Ripoll22:] Th. Latzke, MJB 8, 1973, 70–89 und 11, 1976, 160–173 –[»Parce continuis«:] P. Dronke [s. Ausg.].

Abbo1. A. v. Fleury – 2. A. v. Saint-Germain

1. A. v. Fleury, *940/945 im Orleanais, † 13. Nov. 1004La Reole (Gironde). Oblat, Schüler, dann Lehrer im

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3 Abbo

Kl. Fleury (St-Benoıt-sur-Loire), wurde A. nach Stu-dien in Paris und Reims ein vielseitiger Gelehrter undverfaßte komputist., hagiograph., grammat. und ka-nonist. Werke. Mit ¢ Gerbert ist er der erste, der dielog. Monographien des Boethius kannte und eine aus-führl. Darstellung der Syllogistik gab. 985–987 lehrteer im Kl. Ramsay und unterstützte, auch später,¢ Dunstans Klosterreform. 988 zum Abt v. Fleury ge-wählt, geriet A. in Konflikt mit Bf. ¢ Arnulf v. Orle-ans, dem Ratgeber Hugo Capets. Der Gegensatz zw.Diozesan und Abt eines cluniazens. Reformklosters,der sich auf den röm. Primat stützte und diesen zu-gleich verkündete, nahm kirchenpolit. Ausmaße an,als A. 991 bei der Absetzung des Ebf.s Arnulf v. Reimswegen Untreue auf der Synode v. St-Basle gegen denKg. und Arnulf v. Orleans die päpstl. Zuständigkeitvertrat. Nach Hugos Tod (Okt. 996) hatte A. die Ge-nugtuung, dem an Stelle des inzwischen gewähltenEbf.s Gerbert mit Billigung Kg. Roberts II. wiederein-gesetzten Ebf. Arnulf 997 im Auftrag Gregors V. dasPallium überbringen zu können. Schon 994 hatte A.in seinem »Apologeticus« erneut zum Streit zw. Epi-skopat und Mönchtum, einem der großen Themender Zeit, Stellung genommen und geschickt, wie auchin seiner »Collectio canonum«, Rang und Rechte desKgm.s wirkungsvoll formuliert. Seinen Einfluß aufRobert II. verlor A., da er in dessen Eheangelegenheit(zu nahe Verwandtschaft mit Bertha v. Blois) konse-quent die Forderung des Papstes nach Trennung ver-trat. Bei der Inspektion eines gascogn. Priorats v.Fleury, La Reole, wurde er von aufsässigen Mönchenerschlagen und später deshalb als Märtyrer verehrt.

K. F. Werner (mit J. Pinborg)Qq.: Aimoin (s.d.), Vita Abbonis, MPL 139, 375–414; künftiged. R.-H. Bautier Ed.: Epistulae, MPL 139, 419–462 – Excerp-tum de gestis Romanorum pontif., ebd. 535–570 – Apologe-ticus ad Hugonem et Rodbertum reges Franc., ebd. 461–471 –Collectio canonum, ebd. 471–508 – Quaestiones grammati-cales, ebd. 521–534; ed. Guerreau-Jalabert (s.u.) – Carmenacrostichum ad Ottonem imp., MGH PP V, 469ff.; ed. Bez-zola (s.u.), 198f. – Commentarius in cyclum Victorii, ed. B.Boncompagni, Bollet. di bibliografia e di storia di scienz.mat. e fis. 4, 1871, 443ff. – Tria poemata Abbonis ad Dunsta-num, ed. W. Stubbs, Memorials of S. Dunstan, 1874, 412 –Passio s. Edmundi, ed. Th. Arnold, Memorials of S. Ed-munds Abbey, 1890, 3–25 – Syllogismorum categoricum ethypotheticorum enodatio, ed. A. van de Vyver, AbbonisFloriacensis opera inedita 1, 1966 Lit.: DDC I, 71–76 – Four-nier-Le Bras, 1, 320–330 – A. van de Vyver. Les etapes dudevelopp. philosoph. au haut Moyen-age, RB 8. 1929, 425–452– Ders., Les oeuvres inedites d’A. de F., RevBen 47, 1935,125–169 – A. Cordoliani, A. d. F., Heriger de Lobbes et Ger-land de Besancon sur l’ere de l’incarnation de Denys le Petit,RHE 44, 1949, 463ff. – D. Knowles, The Monastic Order inEngland, 1950 – J.-F. Lemarignier, L’exemption monastiqueet la Reforme gregorienne, Cluny, congres scient., 1951, 301ff. –P. Cousin, A. de F.-s.-L., 1954, vgl. M. Pacaut, Moyen-age 61,1955, 465ff. – G. A. Bezzola, Das otton. Ksm. in der frz. Ge-schichtsschreibung des 10. und beginnenden 11. Jh., 1956,146–163 – J.-F. Lemarignier, Sett. cent. it. 4, 1957, 511f., 530f. –K. F. Werner, Medium Aevum vivum, Fschr. W. Bulst,

1960, 70f., 84ff., 89–95 – Ders., DA 17, 1961, 113ff. – A. Vidier,L’historiographie a St-Benoıt-s.-L. et les miracles de s. Benoıt,1965, 93f., 102ff. – T. E. Moehs, Gregorius V, 996–999. Abiographical Study, 1972 – A. Guerreau-Jalabert. Gram-maire et culture profane a Fleury au Xe s. Les »Quaestionesgrammaticales« d’A. d. F., Ec. d. Chartes, Posit. des theses1975, 95–101 [sowie These manuscrite, mit Ed.] – J. Batany,R.-H. Bautier in: R. Louis (Hg.), Etudes Ligeriennes, 1975,9ff., 25ff.

2. A. v. Saint-Germain, Dichter, † 9. März, nach 921,neustr. Herkunft (d.h. aus dem Gebiet zw. Seine undLoire), war in Saint-Germain-des-Pres Schüler¢ Aimoins. Die norm. Belagerung von Paris 885–886erlebte er als Augenzeuge. A. vertrat nachdrückl. denStandpunkt der Neustrier, die er von den Franci ab-grenzte. Im Lauf der Regierung Kg. Odos verfaßte erdas hexametr. Epos »De bellis Parisiacae urbis« (hg. P.von Winterfeld, MGH Poet. 4, 1, 1899, 77–122[Neudr. 1964] – H. Waquet CHF 20, 1942, 19642 nurBuch I-II), dessen zwei erste Bücher die Kämpfe gegendie Normannen 885–896 in preziösem Stil schildern,während das dritte geistl. Lebensregeln enthält, inschwerverständl. Sprache mit zahlreichen obsoletenund gr. Ausdrücken; A. selbst glossierte das Werk.Nach 921 stellte A. auf Ersuchen der Bf.e Frotarius v.Poitiers und Fulrad v. Paris eine Sammlung seinerPredigten zusammen. Ein kleiner Teil davon ist ediert(MPL 132 761–778). J. PrelogLit.: J. Leclercq, Le florilege d’Abbon de St Germain, RMA 3,1947, 113–40 – J. Soubiran, Prosodie et metrique de BellaParisiacae Urbis d’Abbon, Journ. des Savants 1965, 204–331 –F. Prinz, Klerus und Krieg im früheren MA, 1971, Monogr.zur Gesch. des MA 2, 129–132 – Wattenbach-Levison 5,1973, 580–82.

Abel spel, d.h. schönes, kunstvolles Spiel, ist eine For-mel in der Überschrift von vier der zehn mndl. dra-mat. Texte in der Hulthemschen Handschrift (ca. 1410).Der vierte, »Vanden Winter ende vanden Somer«, isteine noch nahe an der Form des Þ Streitgedichts ste-hende Bearbeitung des Conflictus veris et hiemis. Mitabele spelen werden jetzt speziell »Esmoreit«, »Glori-ant« und »Lanseloet van Denemerken« gemeint, diein der Welt des Ritterromans spielen, dem namentl.»Esmoreit« und »Gloriant« einige Motive entlehnen.Bes. Liebe und Standesbewußtsein beherrschen, baldmehr, bald weniger, den Lauf der Ereignisse.

Esmoreit, Prinz v. Sesilien, wird als Kind von einemVetter geraubt und dem Kg. v. Damast verkauft, derihn als seinen Sohn erzieht. Erwachsen geworden,hört er zufälligerweise, daß seine vermeintl. SchwesterDamiet ihn liebt und daß seine Abstammung dunkelist. Die Liebe kann er nicht erwidern, ohne die Ant-wort auf die Frage seiner Herkunft gefunden zu ha-ben. Seine Elternsuche führt zur Wiedererkennungdurch die Mutter, Anerkennung durch den Vater undzur glückl. Vereinigung mit Damiet, die ihm nachge-reist ist; der böse Vetter jedoch wird gehenkt. Für Glo-riant ist keine Frau gut genug; er verliebt sich schließl.

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4Abel spel

dennoch in eine sarazen. Prinzessin, Florentijn, dieebenso stolz ist wie er. Bevor er sie erobern kann, mußer noch viele Gefahren bestehen. Lanseloet liebt San-derijn, die Dienerin seiner Mutter. Die Kgn. wider-setzt sich dieser standeswidrigen Liebe und versteht esso einzurichten, daß Lanseloet sich an der Ehre San-derijns vergreift. Diese verläßt den Hof und findet ihrLebensglück bei einem großmütigen Ritter in derFremde. Lanseloet läßt sie ausfindig machen, aber sieweigert sich, zu ihm zurückzukehren, was ihn vorKummer sterben läßt.

Am Ende des Spiels wird das Publikum eingeladen,der Aufführung des Possenspiels beizuwohnen, das inder Hs. auf jedes Spiel folgt. Die a.s. waren offenbarfür eine kleine fahrende Truppe bestimmt, die imOberstock einer Herberge gegen Bezahlung vor einemgemischten Publikum auftrat, auf einer Simultanbüh-ne, die (ältester Beleg im MA) zu gleicher Zeit dieMöglichkeit bot, auf- und abzutreten. Das in der Hs.bewahrte Repertoire wird darum im Kreis derartigerTruppen (vermutl. im letzten Viertel des 14. Jh.) ent-standen sein. Die Entwicklung der a.s. aus Mirakel-spielen ist daher unwahrscheinl., ebenso die Abhän-gigkeit von frz. Vorbildern.

Die a.s. sind, zusammen mit »l’Estoire de Griseldis«(1395), die ältesten weltl. Spiele des MA. Vielsagend inBezug auf ihre Qualität ist, daß sie die ersten Spielesind, die für ein modernes Publikum (Esm. 1897, Lans.1901) aufgeführt wurden. Bei aller Naivität der Intrigesind jene Momente aus der Fabel geschickt ausge-wählt, die sich auf dramat. effektive Art montierenlassen und überdies ein ausgeglichenes, aber kurzes(ca. 1000 Verse) Bild der Fabel geben. Eine zentraleFunktion haben darin die Monologe mit affektivenReaktionen auf das Geschehen, die zugleich einen be-deutenden Beitrag bilden für das verfeinerte undtreffsichere Bild, das von den Personen, bes. in »Lan-seloet«, gegeben wird.

Sanderijn und Lanseloet sind im 16. Jh. ein Liebes-paar vom Range Pyramus und Thisbes; wegen desvolkstüml. Gegenstandes wurde namentl. dieses Spielbis ins 18. Jh. neu aufgelegt und sogar gespielt.

W. M. H. HummelenBibliogr. und Ed.: R. Roemans und H. v. Assche, Een abelspel van Esmoreit, 19733 – Id., Een a.s.v. Gloriant, 19702 – Id.,Een a.s.v. lanseloet van Denemerken, 19756 – G. Stellinga,Het a.s. Vanden Winter ende vanden Somer, 19752.

Abraham ben David (arab.: A. ibn Daud), jüd. Hi-storiograph und Philosoph von umfassender Bildung,geb. um 1110 in Cordoba, gest. um 1180 in Toledo.Wahrscheinl. mit dem im lat. Schrifttum Avendauthgen. Übersetzer ident. und zusammen mit DominicusGundissalinus an der Vermittlung arab.-jüd. Wissen-schaft und Philosophie an das lat. MA beteiligt. SeinGeschichtswerk »Sefär (Sedär) haqqabbalah« (»Buch[Ordnung] der Überlieferung«), dessen Hauptteil dieununterbrochene Kette der Träger der jüd. Überlie-ferung darstellt und gegen die Traditionskritik (bes.

der zeitgenöss. Karäer) gerichtet ist, hat im Judentumwie – über lat. Übersetzungen – auch im Christentumgroßen Einfluß ausgeübt. Von wirkungsgeschichtl.geringerem Gewicht ist seine im Original arab. ver-faßte, jedoch nur in hebr. Übersetzungen überliefertephilosoph. Schrift »Ha- ämunah ha-ramah« (bzw. nis-sa ah) (»Der erhabene Glaube«) v. a. als frühes Zeug-nis des ma. jüd. Aristotelismus (vgl. auch Maimoni-des) bedeutsam. H. GreiveLit.: EJud (engl.) III, 948 und VIII, 1159–1163 – M. Arfa, A. ibnDaud and the Beginnings of Medieval Jewish Aristotelianism[Diss. Ann Arbor, Michigan, 1954].

Abu l- Ala al-Ma arrı (Ah˙mad ibn Abdallah), blin-

der arab. Dichter und Denker, 973–1057, aus Ma arratan-Nu man (N-Syrien). Weltverneinender Pessimis-mus kennzeichnet viele seiner Gedichte, verbundenmit furchtloser Kritik an polit. und sozialen Mißstän-den. Sie läßt ihn selbst vor dem islam. Dogma nichthaltmachen. In seinem Sendschreiben »Risalat al-Gufran« profaniert er den Glauben an das Paradies(burleske Divina Commedia). R. SellheimLit.: EI1 I, 79–81 – Brockelmann2 1, 295–297, Suppl. 1, 449–454– E. Lator, Oriens 4, 1951, 320–328 – M. Saleh, A. ’A. al-M.,Bibliogr. critique, BEO 22, 1969, 133–204; 23, 1970, 197–309.

Acerbus Morena, Geschichtsschreiber, † 18. Okt. 1167;stammte aus einem angesehenen Geschlecht von Lo-di. Er wurde unter Konrad III. Richter. Zusammenmit seinem Vater — Otto Morena stand er konse-quent auf seiten Friedrich Barbarossas, nahm als einerder Podesta seiner Vaterstadt am Kampf des Ks.s gegenMailand teil, begleitete 1167 Friedrich auf dem Zugnach Rom und starb im gleichen Jahr in Siena an derim ksl. Heer ausgebrochenen Pest. Sein Geschichts-werk ist die Fortsetzung der von seinem Vater begon-nenen »Historia Frederici I.« (»De rebus Laudensi-bus«) für den Zeitraum von Anfang 1161 bis Aug. 1164,eine unter dem Eindruck der Ereignisse entstandeneDarstellung aus stauf.-antimailänd. Sicht, in knap-pem Stil, mit außergewöhnl., eingehenden Persön-lichkeitsschilderungen. Sein Latein ist stark volks-sprachl. beeinflußt. J. PrelogLit.: Das Geschichtswerk des Otto Morena und seiner Fort-setzer über die Taten Friedrichs I. in der Lombardei, hg. F.Güterbock, 1930, MGH SSrG NS 7 [Nachdr. 1964].

Adalbert, Ebf. v. Magdeburg seit 968, † 20. Juni 981 inZscherben b. Halle/Saale. = Dom zu Magdeburg.Aus Lothringen stammend, trat A. in das der GorzerReformrichtung angehörende Kl. St. Maximin zuTrier ein. Seit 953 ist er in der kgl. Kanzlei nachweisbar(Liutolf A). Auf Anregung ¢ Wilhelms v. Mainz wur-de A. von Otto I. zum Leiter der geplanten Russen-mission bestimmt und 961 zum Bf. geweiht. A. fandsich zu dieser Aufgabe nur widerstrebend bereit. Erstieß im Reich von Kiev (Kiever Rus) auf heftigenWiderstand und entkam mit Mühe nach Deutschland(962). Trotz seines Mißerfolges wurde er von Otto I.und Wilhelm v. Mainz gefördert und 966 zum Abtvon Weißenburg erhoben. In jener Zeit verfaßte A.

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5 Adalbert

eine bis 967 reichende Fortsetzung der Chronik— Reginos v. Prüm (Continuator Reginonis, ed. F.Kurze, MGH SSrG, 1890). Die Arbeit, die Traditio-nen der karol. Reichsanalistik aufnimmt (St. Maxi-min, s. o.) und fortführt, entstand vermutl. in Ver-bindung mit dem Hof. Ihr Quellenwert für dieReichsgeschichte ist hoch zu veranschlagen. Bezie-hungen zur Geschichtsschreibung — Liutprands v.Cremona sind erkennbar, den A. wohl persönl. kann-te. Otto I. bestimmte A. 968 zum ersten Ebf. des indiesem Jahr gegr. Ebm.s Magdeburg, wobei seine Er-fahrungen in der Slawenmission von Bedeutung ge-wesen sein dürften. Das Ebm. Magdeburg sollte dasZentrum der Christianisierung der Slawen ö. der Elbewerden. Mönche aus St. Maximin hatten den erstenKonvent des Magdeburger Moritzklosters gebildet,das in personeller und materieller Hinsicht denGrundstock des Domstifts gebildet hatte. Von PapstJohannes XIII. erhielt er das ¢ Pallium. Zu Weihnach-ten 968 wurde A. in Magdeburg inthronisiert. Derenge Kontakt mit dem Hof bestand fort. A. empfingzahlreiche Urkunden von Kg. Otto I. und Kg. Otto II.,trat aber in der Reichspolitik nicht hervor. Der Auf-bau des Ebm.s dürfte seine Kräfte beansprucht haben.Für diese Annahme spricht, daß A. auf einer Visita-tionsreise im Bm. Merseburg starb. Magdeburg wur-de unter seinem Episkopat zu einem der bedeutend-sten kulturellen Zentren des Reiches. Die Domschuleerlebte unter ihrem Leiter ¢ Ohtrich eine Blütezeit; zuihren Schülern gehörte ¢ Adalbert, Bf. v. Prag. Ver-mutl. gehen die Anfänge der Magdeburger Ge-schichtsschreibung auf A. zurück. D. ClaudeLit.: M. Lintzel, Ebf. A. v. Magdeburg als Geschichtsschrei-ber, Fschr. W. Möllenberg, 1939, 12–22 – E. Qutter, Unters.zur Entstehungsgesch. der Kirchenprov. Magdeburg, 1969,154–161, 173–175 – D. Claude, Gesch. des Ebm.s Magdeburgbis in das 12. Jh. 1, 1972, 114–135 – K. Hauck, Ebf. A. v. Mag-deburg als Geschichtsschreiber, Fschr. W. Schlesinger, 2,1974, 276–353.

Adam1. A. v. Bremen – 2. A. de la Halle – 3. A. v. Saint-Victor – 4. A.v. Usk

1. A. v. Bremen, Magister, dürfte aus Oberdeutsch-land stammen und etwa gleichzeitig mit — Lampert v.Hersfeld die Bamberger Domschule besucht haben.1066/67 kam er nach Bremen; Ebf. Adalbert (1043–72)nahm ihn unter die Domkanoniker auf und übertrugihm vor dem 11. Juni 1069 das Domscholasteramt.Bald nach Beginn seines Bremer Aufenthalts unter-nahm A. eine Reise zu Kg. Sven v. Dänemark; nachAdalberts Tod begann er zum Dank für die Aufnahmein Bremen und als seinen Beitrag zum Aufbau desEbm.s, das bis dahin eine Geschichte seiner Bf.e ent-behrte, die »Gesta Hammaburgensis ecclesiae ponti-ficum« (ed. B. Schmeidler 1917, MGH SSrG; hg. undübers. W. Trillmich 1961, AusgQqMA 11), die erschon 1075/76 beendete und Ebf. Liemar v. Bremenwidmete. Doch muß A. an seinem Handexemplar

noch bis 1080/81 gearbeitet haben, bis er vor 1085 aneinem 12. Okt. verstarb.

Von den 22 Hss. in drei Klassen überliefern nur zweidie Erstfassung ohne Kontamination mit den anderenKlassen. Die ersten drei Bücher der Gesta behandeln:1.die Ereignisse bis zum Tod Ebf.s Unni (936), 2. dieZeit bis zum Amtsantritt Adalberts, 3. den PontifikatAdalberts; ein viertes Buch »Descriptio insularumaquilonis« ist eine hist. Landeskunde der Gebiete, aufdie sich die Missionsbemühungen und Metropolitan-ansprüche der Bremer Kirche richteten. Die übrigenHss. weisen neben verschieden umfangreichen Er-weiterungen Marginalien zum ursprüngl. Werk auf,sog. Scholien, die Berichtigungen, Erläuterungen, Be-lege und Exkurse enthalten und, soweit sie allen Hss.gemeinsam sind, einer von A. selbst vorgenommenenzweiten Redaktion der Gesta angehören, während dieübrigen einem Bremer Domherren zuzuschreibensind, der die zweite Fassung 1085/90 überarbeitete. A.hat zahlreiche Quellen verwertet, neben klass. Auto-ren und Kirchenvätern für die geograph. und ethno-graph. Angaben verlorene Viten, Annalen und Chro-niken, Urkunden und Briefe. Sagenhaften Traditio-nen und mündl. Berichten, auf denen das dritte undvierte Buch großenteils beruhen, kommt ebenfallsstarke Bedeutung zu.

A.s Werk verkörpert in den ersten zwei Büchern dasGenus der Gesta, Buch drei ist v. a. eine Historia Ebf.Adalberts. Ziel des Ganzen ist es zu zeigen, wie durchdie Ebf.e die Kirche verherrlicht und das Christentumverbreitet wird. Dabei identifiziert A. sich mit demBremer Patriarchatsanspruch und den Missionsbe-mühungen und stellt so Kirchlichkeit und Religiositätin die Mitte seiner Vorstellungen, die unter Einbezie-hung der Ortskirche auf die Gesamtkirche bezogensind, verbunden mit einem lebhaften Gefühl für dieSachsen und der Liebe und Treue zum Reich. Höhe-punkt der Gesta ist die Geschichte Adalberts, der mitbeachtl. Charakterisierungskunst erfaßt ist. – DieWirkungsgeschichte des Werks ist fast mit der Über-lieferungsgeschichte ident. F.-J. SchmaleLit.: Verf.-Lex. I2, 2–6 – Wattenbach-Holtzmann II, 566–571; III, 165ff. – Repfont 2, 116f. – H. Chłopocka, SłoeStarSłowI, 1961, 3f.

2. A. de la Halle (pikard.: de le Hale, auch A. le Bossugen.), wichtigster Vertreter der langen lit. und musi-kal. Tradition von Arras in der 2. Hälfte des 13. Jh.,† vor 1289 (?). A. stammt aus dem intellektuellenKleinbürgertum; er wird von großbürgerl. Mäzenenunterstützt und nimmt auch teil an den städt. puys;später findet man ihn im Dienste des Grafen RobertII. v. Artois, dem er nach der Sizilianischen Vesper(1282) nach S-Italien an den Hof von Karl I. von An-jou folgt.

A.s Werk orientiert sich sowohl an städt. wie höf.Traditionen und umfaßt ein- und mehrstimmige Ly-rik, erzählende Lyrik (dits und die nur in Arras ge-pflegte Gattung der conges), einen Panegyrikus in Ale-

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6Adam

xandrinerlaissen auf Karl v. Anjou (»Du roi de Sezi-le«), sowie Theaterstücke: in Arras das »Jeu de la Feu-illee« (wohl 1276) und in höf. Rahmen das pastoraleSingspiel »Robin et Marion«.

Gemessen an der handschriftl. Verbreitung genos-sen die Chansons und die jeux-partis das größte An-sehen. Hist. betrachtet, bilden jedoch, auf musikal.Seite, die mehrstimmigen Rondeaux die gewichtigsteLeistung A.s, während auf lit. Seite dem »Jeu de laFeuillee« einzigartige Bedeutung zukommt. Diesesatyp. pikard. Theaterstück, das als eine Art Revue aufden damaligen Zuschauer in Arras durchaus komischwirken mußte, hat durch seine autobiograph. Anlage,in welcher Ehe und Studium, ökonom. Zwänge undAusbruch in geistige Freiheit, harte Realität und er-träumtes Ideal sich entgegenstehen, eine regelrechteFaszination auf die neuere Kritik ausgeübt und zu denwidersprüchlichsten Deutungen geführt, deren ex-tremste das Stück als sozialkrit. Pamphlet oder aberals Ausdruck psych.-archetyp. Vorstellungen taxieren.

M.-R. JungLyrik und Musik: Einstimmige Kompositionen sind

die eher traditionellen höf. Chansons und die gesell-schaftl. jeux-partis, vielleicht auch Balladen. Die eigtl.Kunstform des ausgehenden 13. Jh., die Motette, istdurch 5 Beispiele vertreten, die jedoch etwas gekün-stelt anmuten. Von Bedeutung sind die mehrstimmi-gen Rondeaux, die für die formes fixes des 14. Jh. weg-weisend wurden. Bei A. ist zum ersten Mal eine Ver-bindung zw. der höf. Gesangsweise und der klerikalenMehrstimmigkeit jetzt in eher bürgerl. Kreisen belegt.Diese Kompositionen sind als Einheit in der Hs. Paris,Bibl. Nat. fr. 25566 vereinigt, eine Seltenheit für einenKomponisten der damaligen Zeit. Lyr. Einlagen fin-den sich auch im Theater: ein Refrain im »Jeu de laFeuillee« und zahlreiche Stücke im Singspiel »Robinet Marion«. Hierzu lieferte die Aufnahme solcher Ein-lagen beim Vortrag der höf. Romane des 13. Jh. vieleVorbilder, doch knüpft dieses Werk an die humor-volle Pastorale an, die in höf. Kreisen auch als Motetteeingedrungen war. Diese Einlagen gehören zu denmeistzitierten Weisen des ausgehenden 13. Jh.

L. Dittmer

Ed.: Oeuvres completes (Poesies et Musique), hg. E. de Cous-semaker, 1872 [Repr. 1970] – The Complete Works, hg. L.Dittmer et alii [in Vorbereitung] – The Lyric Works, hg. N.Wilkins, 1967 [mit Musik] – The Chansons, hg. J. H. Mars-hall, 1971 Motets . Recueil de motets francais, hg. G. Ray-naud, 1881–83 [Repr. 1972] Rondeaux , hg. F. Gennrich, 1962Jeux-partis , Recueil general des jeux-partis francais, hg. A.Langfors, 1926 Conge: Les conges d’Arras, hg. P. Ruelle,1965 Dit d’amour: A. Jeanroy, Trois Dits d’amour du XIIIesiecle, Romania 22, 1893, 45–70 Le Jeu de la Feuillee , hg. E.Langlois, 1911 [Neudr. 1965]; J. Rony, 1969 [m. frz. Uebers.];O. Gsell, 1970 [m. dt. Übers.]; R. Bordel, 1971 [m. dt.Übers.] Le Jeu de Robin et Marion , hg. E. Langlois, 1924; K.Varty, 1960 [mit Musik] Du Roi de Sezile , Oeuvres completesLit.: H. Guy, Essai sur Adam de le Hale, 1898 [Repr. 1970] – A.Adler, Sens et composition du Jeu de la Feuillee, 1956 – G.

Lütgemeier, Beitr. zum Verständnis des Jeu de la Feuillee,1969 – P. Zumthor, Entre deux esthetiques: A. d. l. H., Me-langes Frappier, 1970, 2, 1155–1171 – N. Cartier, Le Bossudesenchante, 1971 – C. Mauron, Le Jeu de la Feuillee, 1973 – J.Dufournet, A. d. l. H. a la recherche de lui-meme, 1974 –Ders., Sur le Jeu de la Feuillee, 1977 – F. Gegou, Recherchesbiographiques et litterairer Sur A. d. l. H., 1977.

3. A. v. Saint-Victor, † 1192 (oder 1177), wohl breton.Abstammung (»Brito«), ist aus seiner Tätigkeit in derAugustinerabtei St-Victor bei Paris bekannt. Er wardort wahrscheinl. Schüler — Hugos v. Saint-Victor.A. gilt als der bedeutendste Dichter geistl. Sequenzenim 12. Jh. Ausgehend von der Nachricht Wilhelms v.St-Lo († 1349) über sein Wirken in St-V. und über dieVortrefflichkeit seiner Sequenzen (von denen keinegenauer bezeichnet wird) und späteren ganz unzu-verlässigen Listen wurde sein Werk aus den ältestenliturg. Büchern von St-V. (die nicht immer die ältesteÜberlieferung darstellen) zuerst von Gautier, dannvon Aubrey und Misset rekonstruiert, von Blumeund Bannister in AnalHym 54 und 55 genauer ein-gegrenzt. Es ergab sich eine Reihe von Sequenzen überdas ganze Kirchenjahr, deren Zuschreibung im Ein-zelfall nicht gesichert ist, die aber im ganzen wohl einzuverlässiges Bild der Kunst A.s geben. Sie zeigen A.als einen Dichter, der in reiner, klarer, frei bewegterSprache und in mühelosen Reimen die Festbezügeund die typolog. Durchdringungen zu Bildern vonz. T. hoher Poesie erhebt. Ihrer Form nach sind dieseDichtungen vollendete Beispiele der »Sequenzenzweiter Epoche«, hierin jedoch nicht ohne sehr be-deutende Vorläufer (Blume, AnalHym 54 VIff., 55VIIf.). A.s Sequenzen waren in erster Linie Sprach-kunstwerke; ihre Melodien wurden z. T. älteren Se-quenzen entlehnt oder an anderen Orten sehr frühdurch andere ersetzt (Hesbert, 70–75). Der Bau derSequenzen ist am besten aus dem Melodieteil bei Au-brey-Misset, auch in AnalHym und bei Vecchi zuerkennen. G. Bernt

Bibliogr.: Zu den A. zugeschriebenen theol. Werken s. Ma-nitius 3, 1003 und F. Stegmüller, Repertorium biblicummedii aevi, 2, 14 Ed.: L. Gautier, Oeuvres poetiques d’A. deSt-V., 1858, 18943 – P. Aubrey-F. Misset, Les proses d’A., 1900[mit Melodien] – C. Blume-H. M. Bannister, AnalHym 54und 55 – F. Wellner, A. v. Sankt Viktor, Sämtl. Sequenzen,lat. und dt., 1937, 19552 – Adamo di San Vittore, Liriche sacre,lat. und it., 1953 [Nachdr. 1969; Auswahl]. Lit.: Einl. undNachw. der Ausg., bes. Blume-Bannister, AnalHym 54, VI-XVI, 55 VIIf. – H. Spanke StM NS 14, 1–29 – F. J. E. Raby, AHist. of Christian-latin Poetry etc., 1927, 19532, 345–375 – [Zu-sammenfassend:] J. Szöverffy, Die Annalen der lat. Hym-nendichtung 2, 1965, 103–121 [mit Liste der Sequenzen, vondenen manche, z. B. 4, 22, 29, 31, 33, zweifelhaft] – [R. J.]Hesbert, Monumenta musicae sacrae 3, Le prosaire d’Aix-la-Chapelle [mit Faks. dieser wichtigen Quelle aus dem Anf. des13. Jh. und (28, Anm. 74f.) einer Liste der darin A. zuzu-schreibenden Stücke (nicht ohne Widerspruch zu 70–75 undohne Begründung der Zuschreibungen; zumindest Nr. 42 derListe = AnalHym 54 Nr. 121 scheint zweifelhaft)].

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7 Adam

4. A. v. Usk, Chronist und Jurist, *ca. 1352, † 1430.Stammte aus Usk in Monmouthshire; war Student inOxford und schließl. Rektor der Schule für Bürgerl.Recht (ca. 1390–92). Danach praktizierte er an kirchl.Gerichtshöfen in London. 1402 entfloh er über dasMeer und wurde später des Raubes angeklagt, wahr-scheinl. aufgrund einer von seinen Feinden angestifte-ten falschen Beschuldigung. 1402–06 war A. Auditorvon Streitfällen bei der röm. Kurie. 1408 kehrte ernach Wales zurück, und nachdem er 1411 von HeinrichIV. begnadigt worden war, nahm er seine Arbeit anden kirchl. Gerichtshöfen wieder auf und gewann sei-ne Pfründen zurück. Seine Karriere endete anschei-nend 1414 mit dem Tode seines Gönners, des Ebf.s¢ Arundel.

A.s »Chronicon« für die Jahre 1377–1421 wurde alsFortsetzung von — Higdens »Polychronicon« ge-schrieben. Durch unvollständige Überprüfung undAbleitung steht vieles in chronolog. falscher Reihen-folge. Am wertvollsten ist der Teil für die Jahre 1397–1402, als A. als eine von Arundels Begleitpersonen Au-genzeuge bei den Ereignissen um die Absetzung Ri-chards II. war. Ebenso liefert er dokumentar. Be-schreibungen seiner Arbeit als Zivilrechtler und alsDiplomat. Für die Jahre 1402–11 gibt er wertvolle In-formationen über seine Abenteuer im Ausland undseine Eindrücke von Rom, seine Beobachtungen vonnatürl. und übernatürl. Phänomenen und seine hist.Interessengebiete. Für seine Zeit ist es eine unge-wöhnl. persönl. gefärbte Chronik (»fatuitatis meescripturam«; vgl. 56). R. L. StoreyEd.: Chronicon Adae de Usk, hg. E. M. Thompson, 1904 Lit.:BRUO III, 1937–38 – R. L. Storey, Clergy and common law inthe reign of Henry IV, Medieval Legal Records, hg. R. F. Hun-nisett und J. B. Post, [erscheint 1978].

Adam et Eve, le Jeu d’, halbliturg. Drama (Mitte des12. Jh.) im anglonorm. Dialekt mit lat. Didaskalienund Teilen, leitet sich von der Messe des SonntagsSeptuagesima und der pseudo-augustin. Predigt»Contra Iudaeos« her. Die dramat. Partien in roman.Sprache in paarweise gereimten Achtsilbern oder ineinreimigen zehnsilbigen Vierzeilern sind themat. mitden lat. Parteien verknüpft, in die sie eingeschobensind; diese sind in Prosa geschrieben und liturg. Ur-sprungs. Das J. d’A. ist durch die Gegenüberstellungder beiden sprachl. Register strukturiert und beruhtauf der Technik der farciture. D. Armes-PierandreıEd.: Le Jeu d’Adam, ed .W. Noomen, 1971 Lit.: O. Jodogne,Recherches sur les debuts du theatre relig. en France, CCM 8,1965, 1–24 – W. Noomen, Le Jeu d’A.: etude descriptive etanalytique, Romania 89, 1968, 145–93 – L. Muir, Liturgy andDrama in the Anglo-Norman Adam, 1973.

Adamnanus v. Hy (Adomnan mac Ronain), neunterAbt von ¢ Iona (679–704) und Gründer des Kl. Ra-phoe (Gft. ¢ Donegal). *ca. 624, † 23. Sept. 704. Seine»Vita Columbae«, die von seinem Verwandten St.¢ Columba handelt, ist das Meisterstück der hiber-no-lat. Hagiographie von höchstem hist. Wert (ge-

schrieben ca. 692/697). Als Abt und Aristokrat war A.polit. bedeutend und hochgebildet. Er besuchte Nor-thumbria mehrmals, und i. J. 686/87, während einerdiplomat. Mission zu Kg. ¢ Aldfrith, um ir. Kriegs-gefangene freizukaufen, widmete er dem Kg. seinWerk »De locis sanctis«, ein Itinerar durch das Hl.Land, das nach dem mündl. Bericht eines frk. Gasteszu Iona, Bf. Arculf, zusammengestellt war. DiesesWerk wurde später von — Beda weitgehend benutzt.Durch Abt ¢ Ceolfrid v. Jarrow wurde A. veranlaßt,die röm. Oster-Datierung anzunehmen, konnte seineeigene Gemeinschaft auf Iona aber nicht davon über-zeugen. Erfolgreicher war er in Irland während seinerBesuche dort in den Jahren 692 und 697; vor seinerendgültigen Rückkehr nach Iona (704) hatte er zwei-fellos bei den n. ir. Kirchen den röm. Oster-Termindurchgesetzt. Auf der Synode v. ¢ Birr i. J. 697 verab-schiedete eine aus Kg.en und Geistlichen bestehendeVersammlung das ¢ Cain Adomnain (oder Lex In-nocentium), das das Töten von Frauen, Kindern oderGeistlichen im Krieg verbot. A. ist wahrscheinl. auchAutor eines Kommentars zu den »Bucolica« und»Georgica« von Vergil. Eine Sammlung ekklesiast. Ka-nones wird ihm gleichfalls zugeschrieben oder wurdeauf seine Veranlassung verfaßt. Von mehreren ir. Tex-ten, die A. fälschl. zugeschrieben werden, ist der be-deutendste das mittelir. »Fıs Adamnain«, eine im 10.oder 11. Jh. entstandene Vision von Himmel und Höl-le. Überliefert ist auch eine legendäre mittelir. Adom-nansvita. F. J. ByrneEd.: A. O. und M. O. Anderson, Adoman’s Life of Columba,1961 – D. Meehan, Adamnan’s De locis sanctis, 1958, Scrip-tores latini Hiberniae, III Lit.: J. F. Kenney, Sources for theearly hist. of Ireland I, 1929, 245f., 283–87, 429–33, 443–45 –Brunhölzl 1, 173–178.

Ademar v. Chabannes, Geschichtsschreiber, *um988, † 1034 Jerusalem. Adliger Abkunft, wurde derspätere Mönch v. St-Cybard d’Angouleme (seit 1010)durch seine beiden Onkel, Dekan und Kantor in St-Martial de Limoges, einer Kirche, der er zeitlebensverbunden blieb, ausgebildet. A., unermüdl. Kopistvon Hss., verfaßte Hymnen, Predigten, hist. Notizenzu seinen beiden Kirchen und trat als ein vor Fäl-schungen nicht zurückschreckender Verfechter der»Apostolizität« des hl. Martial hervor. Bekannt ist erdurch seine »Historia« (auch »Chronik« gen.) derFranken bis 1028, die im selbständigen Teil überwie-gend der Geschichte Aquitaniens gewidmet ist. Zahl-reiche Überarbeitungen durch A. haben bis heute einebefriedigende Edition des trotz Irrtümer und Phan-tastereien wertvollen, informationsreichen Werks er-schwert. K. F. Werner

Ed. u. Lit.: Commemoratio abbat. Lemovicensium ed. H. Du-ples-Agier, Chron. de St-Martial de Lim., 1874, 1–8 – Notaehist. de monast. S. Cybarii Engolism. et S. Martialis Lemovi-censis, ed. O. Holder-Egger, NA 7, 1881, 632–637 – Zu denPredigten vgl. M.-M. Gauthier, Bull. Soc. archeol. du Li-mousin 88, 1961, 257ff. – Dies., Cahiers arch. 12, 1962, 205–248

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8Ademar v. Chabannes

– H. Hoffmann, Gottesfrieden und Treuga Dei, 1964, 257ff. –J. A. Emerson, Speculum 40, 1965, 31ff. – Zu den Hymnen: J.Szöverffy, Die Ann. der lat. Hymnendichtung 1, 1964, 367ff.– Epistola de apostolatu Martialis, MPL 141, 89–112 [dort auchältere Drucke seiner anderen Schr. reproduziert.] – Molinier2, 3–6 – Manitius 2, 284–294 – DBF I, 556–559 – Watten-bach-Holtzmann2 1, 310f.; 3, 99f. [Lit. zu den von A. kopier-ten Hss.] – Repfont 2, 124–126 – Historia, ed. G. Waitz, SS 4,106ff.; ed. J. Chavanon, CTSEH, 1897 [Vgl. L. Halphen, Atravers l’hist. du MA, 1950, 126–146] – J. de la Martiniere,MA 46, 1936, 20–33 – K. F. Werner, DA 18, 1963, 297–326 – D.Gaborit-Chopin, La decoration des mss. a St-Martial deLim. et en Limousin du IXe au XIIe s., 1969 – A. Lublinskaya,Melanges E. R. Labande, 1974, 503–508 – E.-R. Labande,Sett. di studio 17, 1970, 781–788, 851f.

Adenet le Roi, *ca. 1240 in Brabant oder Namur, † ca.1300. Er erlernte sein mestier am Hofe Heinrichs III. v.Brabant. Nach dessen Tod (28. Febr. 1261) mußte A.einen neuen Gönner suchen. 1270/71 begleitete er denGf.en v. Flandern, Gui de Dampierre, auf den Kreuz-zug nach Tunis. Nach Flandern zurückgekehrt, bliebA. etwa 30 Jahre in Guis Diensten als roi seiner Spiel-leute. Seine lit. Schaffenszeit entspricht Guis Jahrendes Wohlstandes und endet mit der ThronbesteigungPhilipps IV. d. Schönen (1285); von diesem Zeitpunktan verringerte sich das Vermögen des Gf.en ständig.Das letzte Dokument, in dem A. erwähnt wird,stammt aus dem Jahre 1297. Es ist schwierig, seineWerke genau zu datieren. Der »Cleomades« wurde1285 beendet. Die »Enfances Ogier« gehen »Berte ausgrans pies« voraus (?), und beide sind wohl nach1273/74 entstanden. »Buevon de Conmarchis«, einemittelmäßige Bearbeitung des »Siege de Barbastre« ineinreimigen Laissen aus Alexandrinern (3945 V.),könnte sein erstes Werk gewesen sein. Die »Enfances«nehmen in einreimigen Laissen aus Zehnsilblern(8229 V.) die erste ¢ Branche der »Chevalerie— Ogier« auf, gehen jedoch nicht auf die ¢ Raimbertzugeschriebene Fassung zurück. »Berte« (3486 Ale-xandriner) bearbeitet eine unbekannte Fassung derLegende von Pippins Frau. Dieser Text trägt Züge derChanson de geste, der Idylle, selbst der Hagiographieund zeichnet sich durch sein Gefühl für psycholog.Wahrheit und Maß aus. »Cleomades« (18688 Achtsilb-ler), in dem A. die wunderbare Geschichte des chevalde fust wieder wachruft, ist ein echter Abenteuer-roman, der von höf. Geist durchdrungen ist; sein Er-folg war beträchtl. und zwar bis ins 18. Jh. hinein.

M. Vuijlsteke

Ed.: A. Henry, Les oeuvres d’A., Rijksuniv. te Gent, Werkenuitg. door de Fac. van de Wijsb. en Lett.: T. I: Biographie d’A. –La tradition manuscrite, 1951 – T. II: Buevon de Conmarchis,1953 – T. III: Les Enfances Ogier, 1956 – Ders., Univ. de Bru-xelles, Trav. de la Fac. de Phil. et Lettres – T. IV: Berte ausgrans pies, 1963 – T. V: Cleomades, 1971 Lit.: A. Adnes, A.dernier grand trouvere. Recherches hist. et anthroponymi-ques, 1970 – R. Colliot, Berte aus grans pies. Etude litterairegenerale, 1970.

Ado v. Vienne, Ebf., Geschichtsschreiber, *um 800,† 16. Dez. 875; erhielt seine geistl. und wissenschaftl.Ausbildung in Ferrieres, hielt sich zw. 841 und 853 inPrüm, danach vielleicht in Ravenna, sicher in Lyonauf, von wo er 859/60 zum Ebf. v. Vienne berufenwurde. Polit. eher Karl d. Kahlen gewogen, war er inseiner kirchl. Einstellung Papst Nikolaus I. verbun-den, bes. im Ehestreit Kg. Lothars. Seine Chronik, 870abgeschlossen, berichtet Heilsgeschichte im Rahmender sechs Weltalter; dem dürren chronol., später nichtkonsequenten Gerüst der ersten vier Weltalter sindjeweils typolog. Interpretationen angefügt. Für dieletzten Weltalter wird die Erzählung zusammenhän-gend gestaltet. Grundlage sind die Chroniken Bedasund Isidors sowie Orosius; von 814 an ist das Werkselbständig. Es enthält Notizen zur Geschichte vonVienne nebst einem Bischofskatalog. Ebenfalls vor870 entstanden die lit. unbedeutenden Viten der Lo-kalheiligen Theudarius – mit einer BeschreibungViennes – und Desiderius, letztere Bearbeitung einerVorlage des 8. Jh. Das erfolgreichste Werk, das Mar-tyrologium, erweiterte das des Florus v. Lyon und dasvon A. gefälschte Parvum Romanum. Die Kompila-tion schuf viele neue Hll.e und wurde Grundlage desMartyrologium Romanum. Die Martyrologien vonUsuard und Notker gehen auf A.s Werk zurück.

M. WescheQq.: MPL 123 – MGH SS 2, 315–323 – MGH SS rer. Merov. 3,525–530, 646–648 Lit.: Wattenbach-Levison, 622–624 – H.Quentin, Les martyrologes historiques du moyen age, 1908 –W. Kremers, A. v. V. [Diss. Bonn 1911].

Adoro te devote, eines der berühmtesten spätma.Reimgebete, Verfasser unbekannt, nachweisbar seit14. Jh. Ursprgl. wohl Formel des privaten Gebets beider Elevation der Opfergaben in der Messe, wurde dergedankl. dichte, von tiefem religiösen Empfinden zeu-gende Rhythmus 1570 unter die Danksagungsgebetedes Missale Romanum (als »Rhythmus s. ThomaeAquinatis«) aufgenommen und prägte von da ausjahrhundertelang maßgebl. die eucharist. Frömmig-keit in der lat. Kirche. F. BrunhölzlLit.: Analhym 50, 1907, 589ff. – A. Wilmart, La tradition litt.et textuelle de l’A. t. d., RTh 1, 1929, 21–40 = Auteurs spirituelset textes devots du moyen age, 1932, 361–414 – P. Cavarnos,Greek translations of the »A. t. d.« and the »Ave verum«.Traditio 8, 1952, 418–423 – Weitere Lit. bei J. Szöverffy, DieAnnalen der lat. Hymnendichtung 2, 1965, 253f.

Adrian and Ritheus, unterhaltsamer und lehrreicherae. Prosa-Dialog aus dem 11. Jh. (eine Variante der»Ioca Monachorum«): Ks. Hadrian und Ritheus un-terhalten sich über Zahlen, Namen und Orte, wiez. B., »Wer war der erste Arzt?«. Im Inhalt dem ae.»Salomon and Saturn« (in Prosa) ähnlich.

S. Huntley Horowitz

Bibliogr.: NCBEL I, 336 Qq.: J. M. Kemble, Dialogues of Sa-lomon and Saturnus, 1848, 198ff. – J. E. Cross und T. D. Hill(in Vorbereitung) Lit.: M. Förster, Zu Adrian und Ritheus,EStn 23, 1897, 431–436.

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9 Adso

Adso (Azo, »... qui et Hermiricus«) v. Montier-en-Der, *910/915 im Jura (Kgr. »Hochburgund«), † 992auf Pilgerfahrt ins Hl. Land. Sohn hochadliger Eltern,Oblat im Kl. Luxeuil, wurde der junge A. 934 zumSchulleiter des von Bf. Gauzlin v. Toul nach dem Vor-bild von ¢ Fleury reformierten Kl.s St-Evre in Toulberufen. 935 ging er mit dem vom gleichen Bf. zumAbt ernannten Alberich ins Kl. Montier-en-Der (imWalde Der), das in der Diözese Chalons lag, aber Ei-genkloster des Bf.s v. Toul war. Als Nachfolger Albe-richs vor 968 Abt geworden, ließ A. eine größere Kir-che bauen und erweiterte den Klosterbesitz. Brun,Schüler ¢ Gerberts und Neffe Kg. Lothars, berief, alser Bf. v. Langres (980–1016) geworden war, A., denFreund Gerberts, zum Reformabt seines EigenklostersSt-Benigne bei Dijon, das A. jedoch nach 2 Jahrenwieder verließ. Benachbarte Kirchen ließen sich vonA., dem Kenner und Sammler von Hss. röm. Autorenund guten Stilisten, Heiligenleben und Miracula-Sammlungen verfassen bzw. umschreiben, von denensechs erhalten sind. Für die Nachwelt wichtig wurdeA. durch die 949/954 auf Wunsch der Gattin Kg. Lot-hars und Schwester Ottos d. Gr., Gerberga, verfaßteSchrift über das Kommen des Antichrist. Nach ihrfällt das Ende der Zeiten mit dem des Röm. Reicheszusammen. Dieses sei zwar zum größten Teil zerstört,doch bestehe seine »dignitas« fort in den »reges Fran-corum qui Romanum Imperium tenere debent«, undwerde erst mit diesen enden. Einer von ihnen werdeals letzter und größter aller Kg.e noch einmal das ge-samte Röm. Reich beherrschen und endlich Kroneund Szepter am Ölberg niederlegen – dann kommeder Antichrist. A. hat mit den »reges Francorum« dienoch 948 (Synode v. ¢ Ingelheim) sinnfällig gewor-dene Gesamtheit der frk. Kg.e gemeint. Erst die be-griffl. Trennung Imperium Romanorum/regnumFrancorum ließ seit Ende des 10. Jh. auch die Deutungauf die Kg.e Frankreichs allein zu, die später folgen-reich wurde. Die von A. erstmals zusammengefaßte,von einem Plagiator Albwin unter eigenem Namenverbreitete, aber auch unter dem v. Augustinus, Hra-ban und Alkuin kursierende Lehre hat das eschatolog.Denken des MA stark beeinflußt. K. F. Werner

Ed.: Epist. ad Gerbergam reginam de ortu et tempore Anti-christi, ed. E. Sackur, Sibyllin. Texte und Forsch., 1898, 19632,104–113 – Vita Frodoberti, Vita et miracula s. Mansueti ep.Tullens., Vita Basoli, MPL 137, 599–668 Miracula s. Walde-berti, MGHSS 15, 1171–76 – Miracula s. Apri, AASS Sept. 5,70–79 – Vita s. Bercharii abbat. Dervensis, AASS Oct. 7,1010–1018 Lit.: Manitius II, 432–442 – Wattenbach-Holtzmann 1, 187ff.; 3, 5 und 63 – C. Erdmann, ZKG 51, 1932,409ff. – Ders., DA 6, 1943, 426ff. – R. Manselli, La »Lecturasuper Apocalipsim« di Pietro di Giovanni Olivi. Ricerchesull’escatologismo medioevale, 1955, 27ff. – G. A. Bezzola,Das otton. Ksm. in der frz. Geschichtsschreibung des 10. undbeginnenden 11. Jh., 1956, 55ff. – R. Konrad, De ortu et tem-pore Antichristi. Antichristvorstellung und Geschichtsbilddes Abtes A. v. M., 1964 – K. F. Werner, HZ 200, 1965, 11 – N.Bulst, Unters. zur Klosterreform Wilhelms v. Dijon, 1973,

31ff. – M. Bur, La formation du comte de Champagne, 1977,109f. u.ö.

Aegidius v. Paris (Egidius), Kanonikus von Saint-Marcel und Magister, *ca. 1160, † ca. 1224. Von denWerken des Ae. sind noch der »Karolinus« und dieBearbeitung der »Aurora« des Petrus Riga erhalten. –Der »Karolinus«, 1195–96 verfaßt und am 3. Sept. 1200dem Prinzen Ludwig (später Kg. Ludwig VIII.) v.Frankreich überreicht, stellt in vier Büchern Lebenund Taten Karls d. Gr. vor. Dieser Fürstenspiegel inhist. Gewand ordnet die Bücher nach den Kardinal-tugenden, deren Inbegriff Karl ist. Im fünften Buchwendet sich Aegidius ermahnend an den Prinzen, imUrteil über Philipp August ist er dabei reserviert undübt am eigenen Freund Guilelmus Brito Kritik, weil erden Kg. im Ehescheidungskonflikt mit der Kurie un-terstützt. Die Captatio benevolencie am Ende desWerkes enthält eine Beschreibung des wissenschaftl.Paris der Zeit nebst bemerkenswerten Äußerungenüber die Benutzung der ausschließlich zuverlässigenhist. Quellen. – Die zweimalige Bearbeitung der »Au-rora« noch zu Lebzeiten des Petrus Riga besteht ausmeist wenig geglückten kürzeren Zusätzen und Re-visionen, das Evangelium ist gänzl. neu verfaßt.

M. WescheEd.: The »Karolinus« of Egidius Parisiensis, ed. M. L. Colker,Traditio 29, 1973, 199–325 – Aurora Petri Rigae, ed. P. Beich-ner, PMS 19, 1965 – P. Lehmann, Erforsch. des MA 1, 1941,186ff.

Ælfric (Grammaticus), Schüler ¢ Æthelwolds, Mönchund Priester in Winchester, *ca 955, † um 1025, giltwegen des Umfangs und der Vielfalt seines Werkes alsder wohl größte ae. Prosaschriftsteller. In seinen an-spruchsvollen Kath. Homilien (ca. 991–992), ersteund zweite Sammlung, insgesamt 80 Stücke, und inseinen Heiligenviten, beide mit lehrhafter Absicht, hater zahlreiche Quellen verarbeitet. Anders als die zeitl.frühere Prosa ¢ Alfreds und seines Kreises, welche oftzu stark vom Lat. abhängig ist, und auch im Gegensatzzu dem weniger umfangreichen Werk des Ebf.s— Wulfstan, das manieriert erscheint, eignet sich dersog. einfache Stil Æ.s für viele Zwecke. Für die Heili-genviten und auch für bestimmte Homilien der zwei-ten Sammlung entwickelte Æ. aber einen rhythm., al-literierenden und rhetor. Stil, der, abgesehen von derAusdrucksweise, an manche Züge ae. Dichtung erin-nert. Die ältere Forschung beschrieb diese Prosa sogarals abgesunkene Dichtung. Briefe, Traktate, kommen-tierende Bibelübersetzungen (»Hexameron«, Teiledes »Heptateuch«), Gelegenheitsstücke (z. B. das»Colloquium« über verschiedene Berufe) und eine ae.Lateingrammatik, die auf Priscian und Donat fußtund auch als Einführung in die ae. Sprache betrachtetwurde, vervollständigen das Œuvre. Æ. starb vermutl.im Kloster Eynsham, Oxfordshire, dessen erster Abter war (ab 1005). P. E. Szarmach (mit J. Pinborg)Bibliogr.: Renwick und Orton, 228ff. – NCBEL I, 317ff. –Robinson, Nos. 198–224 Qq.: B. Thorpe, Homilies of Æ.,

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10Ælfric

1844–46 – P. A. M. Clemoes and M. Godden, EETS [1. und 2.Ser. gepl.] – A. O. Belfour, Twelfth Century Homilies, EETS137 – R. D.-N. Warner, Early English Homilies, EETS 152 – J.C. Pope, Homilies of Æ., A Supplementary Collection, EETS259, 260 – B. Assmann, Ags. Homilien und Heiligenleben,1889, revid. P. M. A. Clemoes, 1964 – H. Henel, Æ.s DeTemporibus Anni, EETS 213 – W. W. Skeat, Æ.’s Lives ofSaints, EETS 76, 82, 94, 114 – G. I. Needham, Æ.’s Lives ofThree English Saints, 1966 – G. N. Garmonsway, Æ.’s Col-loquy, 1947 2[Neudr. 1967] – S. J. Crawford, OE Versions ofthe Heptateuch EETS 160 – S. J. Crawford, Exameron An-glie, revid. Ed., 1921 Lit.: P. A. M. Clemoes, (Æ. Continuati-ons and Beginnings, ed E. G. Stanley, 1966) – J. Zupitza, Æ.sGrammatik und Glossar, 19662 – J. Hurt, Æ., 1972 – C. L.White, Æ., revid. M. R. Godden, 1974.

Ælred v. Rievaulx (hl.), Zisterzienserabt und Theo-loge, *um 1100 in Hexham (N-England), †12. Jan. 1167Rievaulx. Nach Schulbesuchen in Hexham und Dur-ham trat Æ. in den Hofdienst bei Kg. David v. Schott-land (nach 1124). 1134 wurde er Mönch in Rievaulx.Nach einer Romreise (1140) in Sachen der umstritte-nen Bischofswahl in York wurde Æ. Novizenmeisterund schrieb das »Speculum Caritatis«. Ende 1143 ginger als Gründungsabt nach Revensby bei Lincoln, 1147wurde er Abt v. Rievaulx. Unter seiner Regierung er-lebte die Abtei eine großartige Entwicklung (140Mönche und 500 Laienbrüder). Seine Schriften (Ho-milien »De oneribus«, »De spirituali amicitia«, eineRegel für Inklusen »De institutione inclusarum«, eineVita des hl. Kg.s Eduard und das Werk »De anima«)reihen Æ. unter die bedeutendsten Vertreter der mo-nast. Theologie ein. Sein umfangreicher Briefwechselmit berühmten Zeitgenossen blieb nicht erhalten,wohl aber Ansprachen auf Kapiteln, Synoden und inKirchen. H. WolterQq.: A. Hoste, Bibliotheca Aelrediana, 1962 – Opera omnia, I:Opera ascetica, hg. A. Hoste und C. H. Talbot, 1971, CChr.CM 1 – Walter Daniel, Vita Aelredi, hg. F. M. Powicke, 1950Lit.: R. Egenter, Die Lehre von der Gottesfreundschaft in derScholastik und Mystik des 12. Jh., 1928 – Un educateur mo-nastique, Aelred de Rievaulx, 1959 – Æ. Squire, æ. of R., 1969 –A. Hallier, The Monastic Æ. of æ. of R., Cistercian Stud. 2,transl. C. Heany, 1969.

Afanasij Nikitin, Kaufmann von Tver (heute Kalinin),† 1472, schrieb einen Bericht über seine Reise nachIndien 1466–72 (»Chozenie za tri morja«, »Reise überdrei Meere«), der als eine der frühesten w. Darstellun-gen jenes Landes von Bedeutung ist. Der Bericht ist inmehreren vollständigen oder fragmentar. Versionenerhalten, die in drei Textvarianten vorhanden sind,alle wahrscheinl. A. N.s Urschrift entstammend. SeineReise nach Indien führte ihn über die Wolga, Baku,das Kaspische Meer, Persien (wo er ca. ein Jahr ver-brachte) und den Pers. Golf. Er lebte drei Jahre inIndien, hauptsächl. in Bidar, Hauptstadt des bahma-nıschen Sultans Muh

˙ammed Schah III. (1463–82). Er

kehrte über Persien, die Türkei (Trapezunt), dasSchwarze Meer und die Krim zurück und starb, bevorer Smolensk erreichte. Seine Beobachtungen des re-

ligiösen, gesellschaftl. und wirtschaftl. Lebens in In-dien liefern wertvolle geschichtl. Zeugnisse. Die leb-hafte und ausdrucksvolle Sprache seiner Arbeit stellteinen Kompromiß zwischen gelehrtem und volks-tüml. russ. Sprachgebrauch dar. R. AutyLit.: R. H. Major, India in the Fifteenth Century, 1857 – K. H.Meyer, Die Fahrt des Athanasius Nikitin über die drei Meere,1920 – V. P. Adrianova-Peretts, Chozenie za tri morjaA. N. 1466–1472 gg., 1958 – M. N. Vitasevskaja, StranstvijaAfanasija Nikitina, 1972.

Agathias, *um 550 zu Myrina in Kleiasien, † zw. 579und 582 in Konstantinopel. Sein Jurastudium beganner in Alexandrien und setzte es in Konstantinopel fort,wo er nach seinem Abschluß als Rechtsanwalt(Σχολαστικο ς, Scholastikos) tätig war. A. führte dasGeschichtswerk Prokops weiter, indem er die Ge-schichte Justinians für die Jahre 552–559 in 5 Büchernschrieb (unvollendet); dabei stützte er sich auf mündl.Berichte von Augenzeugen und auf pers. Quellen, dieihm sein Freund Sergios übersetzte. A. hat uns auchGedichte und Epigramme hinterlassen, während 9Bücher ∆αϕνιακα (Daphniaka), kurze Darstellungenerot. Mythen, verloren gingen. Vgl. auch Anthologie.

A. FourlasLit.: R. Keydell, Agathiae Myrinaei Historiarum libri quin-que, 1967 [krit. Ausg.; ausführl. Biographie] – Moravcsik,ByzTurc I, 214–217 – Karagiannopoulos, 164–165 – A. Ca-meron, A., 1970.

Agnellus (später auch nach seinem Großvater An-dreas gen.), Verfasser des »Liber pontificalis ecclesiaeRavennatis«, *800/805 in Ravenna als Sohn einer ad-ligen Familie, † nach 846. Unter seinen Ahnen ragtIohannicius hervor, der Notar des Exarchen Theo-doros Kalliopa (7. Jh.). A. erhielt seine Ausbildung ander Basilica Ursiana. Noch als Knabe wurde ihm vomEbf. Martinus die Kirche S. Maria ad Blachernas undspäter von seinem Onkel, dem Diakon Sergius, S. Bar-tholomaeus übertragen. Vom Ebf. Petronacius (oderPetronax, 817–835) wurde er zum Priester geweiht.837–838 assistierte er in Pavia bei den Tauffeierlich-keiten von Rotrud, der Tochter Ks. Lothars I. Der»Liber pontificalis«, für dessen Abfassung A. außerälteren schriftl. Quellen erzählenden Inhalts und Ur-kundenmaterial auch epigraph. und ikonograph.Zeugnisse (v.a. Mosaiken) heranzog, enthält die Le-bensbeschreibungen der ravennat. Ebf.e von S. Apol-linaris bis Georgius († 846), mit Ausnahme der Vitendes Valerius und des Petronacius, die verlorengegan-gen sind. Ab 830–831 hielt A. mehrmals öffentl. Le-sungen von Abschnitten des »Liber«, der die Überlie-ferungen der Kirche von Ravenna und darüber hinausder gesamten städt. Gemeinde, die sich um den Lo-kalklerus scharte, ins Gedächtnis rufen sollte; dabeispricht A. bei dieser Vergegenwärtigung nicht nur imeigenen Namen, sondern bezieht auch die Zuhörermit ein. Das inspirierende Motiv des Werkes ist ei-nerseits die Verteidigung der Vorrechte, die das Kol-legium der Diakone und Priester auf verwaltungs-

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11 Agnellus

mäßiger wie auf spiritueller Ebene genoß, in Polemikgegen die Ansprüche der Ebf.e (insbes. des Georgius),die dazu neigten, diese Vorrechte einzuschränken, an-dererseits die entschlossene Rückforderung der altenPrivilegien der Kirche von Ravenna, v.a. ihrer Auto-nomie gegenüber der röm. Kirche. G. ArnaldiEd.: B. Bacchini, Modena 1708, ed. pr. [Wiederabdr. Mu-ratori II, 1723, 23–187; MPL 106, 459–752] – O. Holder-Egger, MHG SS rer. Lang., 1878, 278–391 [die Kapiteleintei-lung geht auf diese Ed. zurück] – A. Testi Rasponi, Mura-tori2 II, 3, 1924 [unvollst., nur bis Vita des Ebf.s Johannes,609–612; d.h. c. 104] Lit.: DBI I, 429f. – Wattenbach-Levi-son IV, 1963, 428–431 – Repfont II, 1967, 144–146 – G. Fasoli,Rileggendo il »Liber Pontificalis« di Agnello Ravennate, Lastoriografia altomedievale I, 1970, 457–495 (Sett. cent. it.,XVII, 1969) – O. Capitani, Agnello Ravennate nella recentestoria della storiografia medioevale, Felix Ravenna, Ser. V,5–6, 1973, 183–198 – A. Vasina, Tradizione del »Liber Ponti-ficalis« di Agnello Ravennate fino al XVI secolo, Storiografia estoria. Studi in onore di E. Dupre Theseider I, 1974, 217–267– C. Nauerth, A. v. Ravenna. Unters. zur arch. Methode desravennat. Chronisten, 1974, Münchener Beitr. zur Mediävi-stik und Renaissance-Forsch. 15.

Agrip af Noregs konunga sogum, anonymer »Abriß«der norw. Königsgeschichte von Halfdan d. Schwar-zen (um 830) bis zum Regierungsbeginn Sverrirs(1177), das älteste, nur teilweise erhaltene Geschichts-werk in an. Sprache, wahrscheinl. von einem Geistli-chen um 1190 verfaßt. Ausführlicher wird die Herr-schaft von Olaf Tryggvason, Olaf d. Hl.n und MagnusOlafson unter Benutzung von Theodricus, der lat.Vorlage der anonymen — Historia Norvegiae, ver-schiedenen Königssagas und mündl. ÜberlieferungenTrondheims dargestellt. Die spätere Geschichtsschrei-bung, z. B. Fagrskinna und Heimskringla, benutzte A.als Quelle. R. VolzEd.: Agrip af Noregs konunga sogum, hg. F. Jonsson, 1929,An. Saga-Bibl. 18 Lit.: G. Indrebø, Aagrip, Edda 17, 1922, 18–65– F. Jonsson, Agrip, ANOH 1928, 261–317 – B. Adalbjar-narson, Om de norske kongers sagaer, 1937, 1–54 – S. Elle-høj, Studier over den ældste norrøne historieskrivning, 1965,Bibl. Arnamagnæana 26, 197–276.

Ah˙medı, anatol.-türk. Dichter, als osman. Vorklassi-

ker betrachtet (1334–1412). Zur Glanzzeit des Fs.en v.Germiyan, Süleymansah (ca. 1363–vor 88), schrieb A.in Kütahya panegyr. und erzählende Dichtung. DieAusschaltung seines Mäzens zwang A. wie seinen Ri-valen Seyh

˘oglu Mus

˙t˙afa, sich auf die Osmanen um-

zustellen; er tat das ca. 1400 und hat in Bursa für PrinzSüleyman, später auch für Meh

˙med I. und dessen

Sohn gedichtet. Als er sein 1390 beendetes enzyklopäd.»Alexanderbuch« für Prinz Süleyman umschrieb, füg-te er eine Chronik der Osmanen an. Dies »Iskender-name« war weit über Anatolien hinaus in türk. Krei-sen beliebt. Von diesem umfangreichen Werk, dem»Divan« und dem »Tervıh

˙ül-ervah

˙« sind nur Teile

ediert; die romant. Verserzählung »Gemsıd u H˘

ursıd«wurde 1975 gedruckt (hg. Mehmet Akalin, Erzu-rum); A.s kleinere Abhandlungen zu Lit. und Gram-matik bedürfen der Untersuchung. B. Flemming

Lit.: T. Kortantamer, Leben und Weltbild des altosman.Dichters A., 1973.

Ailly, Pierre d’, Kard., *um 1350 in Compiegne,† 1420; aus einer Kaufmannsfamilie stammend, stu-dierte A. in Paris am College de Navarre, dessen Vor-stand er 1384 nach Ablegung der maıtrise wurde. AlsAlmosenier und Beichtvater Kg. Karls VI. spielte ereine aktive und komplexe polit. Rolle in einem Kgr.,das durch die Rivalitätskämpfe der Parteien immerzerrissener wurde, und in einer vom Schisma geteiltenKirche. 1389 ernannte ihn der avign. Papst ClemensVII. zum Kanzler der Universität von Paris; in seinemAmt stand ihm sein Schüler Jean Gerson zur Seite, derihm 1395 folgte, als er von dem neuen avign. PapstBenedikt XIII. zum Bf. v. Le Puy ernannt wurde. Vondort wurde er trotz des Widerstands des Hzg.s v. Bur-gund, Philipps d. Kühnen, auf den Bischofssitz vonCambrai versetzt (1397), wodurch er Fs. des Ksr.s wur-de. Er nahm am Konzil von Pisa teil (1409), wurde vonJohannes XXIII., einem der drei rivalisierenden Päp-ste, zum Kard. ernannt (1411), und war mit Gersonvon 1414 bis 1418 eine der Hauptpersonen des Konzilsvon Konstanz, wo er den Kg. v. Frankreich vertrat. Erlegte dort seine Projekte für die Kirchenreform vor(Traktate »De potestate ecclesiastica«, »De reforma-tione Ecclesiae«) und unterstützte die These der Su-periorität des Konzils über den Papst.

A. hinterließ ein beachtl. und äußerst mannigfaltigesWerk, das von der Theologie bis zur Poesie reicht,über Kalenderberechnung, Astrologie und Kosmo-graphie. Sein »Imago Mundi« erlangte Berühmtheit,da Christoph Kolumbus ein Exemplar davon besaß,was ihn bei der Suche des Seewegs nach Indien unddamit der Entdeckung Amerikas maßgebl. beeinfluß-te. Die von L. Salembier aufgezählten 153 Titel um-fassen sicher nicht das ganze Werk, das noch wenigbekannt und teilweise unveröffentl. ist; der publizierteTeil ist in alten und im allgemeinen sehr minderwer-tigen Ausgaben verstreut; die ausstehende Gesamt-ausgabe wäre relativ leicht herzustellen, da wir vonden meisten Werken Autographen besitzen: A. warein geschickter und fleißiger Kalligraph. Seine reich-haltige Bibliothek ist zum Großteil erhalten undmüßte wiederhergestellt werden. G. OuyEd.: Imago Mundi, ed. B. Buron, 1930 Lit.: P. Tschackert,P.v. A., 1877 [Neudr. 1968] – L. Salembier, Bibliogr. desoeuvres du card. P. d’A., Le Bibliographe moderne 12, 1908,160–170 – Ders., Le card. P. d’A., 1932 – F. Oakley, ThePolitical Thought of P. d’A., 1964 – G. Ouy, Le recueil epi-stolaire autographe de P. d’A. et les notes d’Italie de Jean deMontreuil, Umbrae Codicum Occidentalium 9, 1966 – A. E.Bernstein, P. d’A. and the Blanchard Affair [i. Dr.].

Aimoin v. Fleury, Historiograph und Hagiograph,*um 965 in Ad Francos (heute Francs, Gironde),† nach 1008. Adliger Abkunft, wurde 980/985 Mönchin Fleury bei Orleans (Saint-Benoıt-sur-Loire) undwegen seiner lit. Begabung um 987 von Abt — Abbo v.Fleury, damals Vertrauter Kg. Roberts II., beauftragt,

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12Aimoin v. Fleury

für die neue Dynastie eine Geschichte der frk. Kg.e zuschreiben. Vielleicht ist die Ungnade Abbos bei Hofedie Ursache dafür, daß diese »Gesta regum Franco-rum« (oder »Historia Francorum«) nur bis 654 ge-führt wurden. Das Werk wurde im 11. Jh. in Sens undSt-Germain-des-Pres fortgesetzt und im 13. Jh. in diewichtigen »Grandes Chroniques de France« aufge-nommen. Die »Historia«, in der frühen Neuzeit nochoft gedruckt und gelesen, wurde, da sie aus sonst be-kannten Quellen geschöpft war, von der modernenKritik unterschätzt, die lange die sprachl. und histo-riograph. Leistung (Vergangenheitsgeschichte im10. Jh.) nicht erkannte. A. errichtete seinem 1004 inder Gascogne erschlagenen Lehrmeister in der »VitaAbbonis« ein Denkmal von hohem geschichtl. Wertund verfaßte eine (nicht erhaltene) Geschichte derÄbte von Fleury. In drei Schriften feierte er den Klo-sterheiligen, in einer Predigt, einem Translationsbe-richt in Versen und v.a. in zwei Büchern »Miracula s.Benedicti«, die zu den besten hagiograph. Werkenzählen und sich zu einer Klostergeschichte (auch derzahlreichen Priorate von Fleury) und einem Bild despolit. und sozialen Lebens im 11. Jh. in Frankreichausweiten. K. F. WernerEd.: MPL 139, 387–414; 627–870 – Historia, Bouquet3, 21–143 –Mirac. s. Benedicti, ed. E. de Certain, SHF, 1858, 90–172 –Vita Abbonis abbatis Floriacensis, AASSOSB VI, 1, 37–57 –[Das Institut de Recherche et d’Hist. des Textes, Paris, bereitetkrit. Editionen der Mirac. und der Vita Abbonis vor] – C. LeStum, L’»Historia Francorum« d’Aimoin de Fleury. Etude etedition critique [Ms.], vgl. Positions des Theses de l’Ecole desChartes, 1976, 89–93 Lit.: Manitius 2, 239–246 – Molinier,Sources 1, 66f.; 2, 37 – Repfont 2, 158f. – Wattenbach-Holtzmann2 1, 308; 3, 97f. – La continuation d’Aimoin et lems. lat. 12711, Notices et documents p.p. la Soc. de l’Hist. deFrance, 1884, 57–70 – W. Stach, Wort und Bedeutung im ma.Latein, DA 9, 1952, 332–352 – J.-F. Lemarignier, Autour de laroyaute francaise du IXe au XIIIe s., BEC 113, 1956, 5–36 – K.-F.Werner, Die lit. Vorbilder des A. und die Entstehung seinerGesta Francorum, Fschr. W. Bulst, 1960, 69–103 – A. Vidier,L’historiographie a St-Benoıt-sur-Loire et les miracles de s.Benoıt, 1965, 71ff., 87ff., 181ff. – R.-H. Bautier, Settimane 17,1970, 821f., 826f., 834f., 843f.

Akathistos-Hymnos, der berühmteste byz. Hymnos(Kontakion). Er wird heute in der gr. Kirche jeweilsam 5. Fastensamstag zur Gänze vor der stehendenGemeinde vorgetragen. Der A. besteht aus einem Pro-oimion (in 3 Versionen) und 24 Strophen in alphabet.Akrostichis; er handelt in höchst lebendiger Weise vonder Verkündigung Mariens und Christi Geburt. Seinebes. Popularität verdankt der A. dem wohl im 7. Jh.entstandenen Prooimion II auf die siegreiche Gottes-mutter. Wer den A. (mit Prooimion I) verfaßt hat, isteine offene Frage; er soll aber noch vor dem Dichter— Romanos um die Wende des 5. zum 6. Jh. verfaßtworden sein. G. Prinzing

Ed.: C. A. Trypanis, Fourteen early Byzantine cantica, 1968,17–39 [mit Komm. und. Bibliogr.] Lit.: G. G. Merssemann,Der Hymnos Akathistos im Abendland. I: Akathistos-Ako-

luthie und Grußhymnen, 1958; II: Gruß-Psalter, Gruß-Ora-tionen, Gaude-Andachten und Litaneien, 1960 – J. Grosdi-dier de Matons, Romanos le Melode et les origines de lapoesie relig. a Byzance, 1977, 32–36.

Seit dem 14. Jh. wird der A. in der kirchl. Wand- undBuchmalerei gerne illustriert (H. Nikolaos Orphanos,Thessalonike ein frühes Beispiel, Ms. 429 der Syn-odalbibl. Moskau und der serb. Psalter, München, dieältesten Hss.) als Zyklus von 16 gerahmten Bildern.

K. WesselLit.: RbyzK I, 94–96 [mit Bibliogr.].

Akropolites, Georgios, * 1217 in Konstantinopel,† ebd. 1282. Kam als Jüngling 1233 bereits in Kontaktmit dem ksl. Hof von Nikaia, war Schüler von Theo-doros Hexapterygos und Nikephoros ¢ Blemmydes;seit 1246 Lehrer des Thronfolgers und späteren Ks.s¢ Theodor II. Laskaris. A. zeigte sich als fähigerStaatsbeamter im diplomat., militär. und polit.Dienst. Am Unionskonzil von Lyon (1274) nahm er alsksl. Vertreter teil. A. ist der eigentl. Geschichtsschrei-ber des byz. Kaiserreichs von Nikaia. Seine auf un-mittelbare Kenntnisse und Erfahrungen gestützteChronike Syngraphe (ΧρονικηÁ συγγραϕη ) behandeltdie Zeit von 1203–61, die u.a. auch wichtige Quelle derepirot.-alban. und bulg. Geschichte der Zeit ist. Er hatauch ein Gedicht, rhetor. und theolog. Werke ge-schrieben. A. FourlasEd.: A. Heisenberg, Georgii Acropolitae opera I-II, 1903 Lit.:Ostrogorsky, Geschichte3, 346 – Karagiannopoulos, 366 –BLGS I, 26f. – Moravcsik, ByzTurc I, 266–268.

Alanus ab Insulis (v. Lille). [1] Leben und Bedeutung:*um 1125/30 in der Nähe von Lille, † 1203 in Cıteaux.Nach seinem Studium in der Schule von ¢ Chartreslehrte er die ¢ Artes liberales und Theologie in Parisund (um 1200) auch in Montpellier. In seiner neu-platon. Geisteshaltung steht er Bernhard und Thierryv. Chartres und Bernhardus Silvestris nahe, in denphilos.-theolog. Lehrpositionen Gilbert v. Poitiersund in den Moralprinzipien Petrus Cantor. SeineSchriften zeigen ein bemerkenswertes naturphilos.und moralpsycholog. Interesse; den theolog. System-gedanken, den er im Anschluß an Petrus Lombardusund Petrus v. Poitiers entwickelte, begründete er me-thod. in der Darlegung der wissenschaftl. Prinzipien(»Regularmethode«). Er scheint auch einige wissen-schaftl. Übersetzungen aus dem Arab. gekannt zu ha-ben. Gegen Ende seines Lebens zog er sich zuerst zuden Benediktinern nach Bec (so Glorieux, Rth 39,1972, 51–62), dann nach Cıteaux zurück. Er stand auchmit den Benediktinern in Cluny in Verbindung, de-nen er zwei seiner Schriften widmete. Otto v. St. Bla-sien zählt ihn in seiner Chronik (MGH SS XX, 326) zuden berühmten Pariser Magistern des endenden12. Jh. (Zur Wirkungsgeschichte des A. auf Nikolaus v.Amiens, Simon v. Tournai, Radulfus Ardens u.a. vgl.Landgraf). A. hinterließ das Andenken eines bedeu-tenden, geradezu allwissenden Lehrers: »Qui totumscibile scivit«. L. Hödl