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Li und Shials ontologische Antwort auf das Humesche Kausalittsproblem inner-
halb des Induktionsproblems in Jin Yuelins Werk Lun Dao
Dissertationzur Erlangung der Wrde des Doktors der Philosophie
im Fachbereich Orientalistikder Universitt Hamburg
vorgelegt von
Yvonne Schulz Zinda
aus Guayaquil
Hamburg 2001
Als Dissertation angenommen vom Fachbereich Orientalistik der UniversittHamburg aufgrund der Gutachten von
1. Gutachter: Prof. Dr. Michael Friedrich
2. Gutachter: Prof. Dr. Hans Stumpfeldt
Datum der Disputation: 07.08.2001
Danksagung
Die vorliegende Arbeit hat mehrere Stationen durchlaufen. Zunchst bedanke ich mich bei Prof.
Dr. Wolfgang Bauer, der mir in meinem Studium das Interesse und die Neugierde an der Sinologie
vermittelte. Leider konnte er nur noch die Anfnge dieser Arbeit miterleben, bevor er sich auf eine
Reise ganz anderer Art begab.
Prof. Dr. Michael Friedrich bin ich zu besonderem Dank verpflichtet, da er die weitere Betreu-
ung dieser Arbeit freundlicherweise bernahm und in der Hauptsache begleitete. Durch seinen
steten Ansporn wurde ich dazu angehalten, immer wieder neuen Wege und mglichen Windungen
im Denken Jin Yuelins nachzugehen. Des weiteren bin ich Prof. Dr. Michael Lackner fr die inspi-
rierende Mitarbeit an dem Projekt ber Chinesisch als Wissenschaftssprache verbunden, beson-
ders auch meinen Kollegen Joachim Kurtz und Dr. Iwo Amelung. Ich danke Anja und Christoph
Zuncke, Dr. Mathias Obert, Christine Wollowski, Prof. Dr. Anne Cheng, Dr. Jol Thoraval, Prof. Dr.
Martine Nida-Rmelin, Prof. Dr. Wolfgang Carl, Prof. Dr. Olaf Mller, Sandra Kanese, Tobias
Klauk, Silke Geffcken, Martina Schenk und Christina Berninger.
Meine Familie war mit Verstndnis dabei. Zuletzt danke ich Olaf Kuschniok fr das geduldige
Verstehen meiner Arbeit aus westlicher Perspektive sowie fr alles andere.
EINLEITUNG 1
Biographie 6
1. PRLIMINARIEN 14
1.1 Humes Herausforderung 141.1.1 Das Induktionsproblem 17
1.1.2 Jins Kritik an Hume 20
1.1.3 Jins Antwort auf das Induktionsproblem vor dem Hintergrund von Russell 34
Zusammenfassung 41
1.2 Bemerkungen zu Stil und Begrifflichkeit in Jin Yuelins Werk 431.2.1 Stilmittel 44
1.2.2 Jins Spiel mit den Begriffen 50
1.2.3 Jins Vorstellung der emotionalen Interpretation 55
1.2.4 Das Beispiel Neng 61
1.3 Einfhrung in Lun Dao 681.3.1 Philosophischer Rahmen 68
1.3.2 Gliederung und Aufbau von Lun Dao 73
2. JINS ONTOLOGISCHE ANTWORT AUF DAS KAUSALITTSPROBLEM IN
LUN DAO 85
2.1 Das Dao in seiner Vielheit 922.1.1 Die notwendige Prmisse des Seienden: Formhaftigkeit - Potentialitt 95
2.1.2 Modi und Bedingungen in der Verwirklichung von Mglichkeiten 108
2.2 Die Verwirklichung von Individuen in der arational apriorischen Welt 1162.2.1 Konkretisierung und Individualisierung der Verwirklichungen 118
2.2.2 Die Partikularisierung der Verwirklichungen und die raum-zeitliche Plazierung 127
2.2.3 Universale und partikulare Eigenschaften der Individuen 132
2.2.4 Die Meta-Regelmigkeit der arational apriorischen Welt 145
2.3 Der zeitliche Flu der Individuen in der arational apriorischen Welt und seine
Richtung 1662.3.1 Die Vernderungen und Bewegungen der Individuen im zeitlichen Flu 166
2.3.2 Die evolutionre Entwicklung der Individuen und Klassen 194
2.4 Der Sinn und der Ursprung des Verwirklichungsprozesses 213
2.4.1 Das Grenzenlose 213
2.4.2 Die Vernderungen und Bewegungen der Individuen im Verwirklichungsproze 217
2.4.3 Das Hchste uerste 230
2.4.4 Dao als Einheit: Das Grenzenlose sowie das Hchste uerste zusammen 234
SCHLUWORT 240
ANHANG I 243
Lun Dao, Kapitel 8, Absatz 8.7: 243
ANHANG II 247
bersetzung der Kapitelberschriften und Resume der Kapitel von Lun Dao 247Lun Dao Kapitel 1: Dao, Formhaftigkeit - Potentialitt 247
Lun Dao Kapitel 2: Die Verwirklichung der Mglichkeit 251
Lun Dao Kapitel 3: Die Individualisierung der Verwirklichung 255
Lun Dao Kapitel 4: Die Relationalitten der universalen Eigenschaften 259
Lun Dao Kapitel 5: Raum-Zeit und das Besondere 263
Lun Dao Kapitel 6: Die Vernderungen und Bewegungen der Individuen 269
Lun Dao Kapitel 7: Gelegenheit (ji) und Vorbestimmung (shu) 275
Lun Dao Kapitel 8: Das Grenzenlose (wuji) und das Hchste uerste (taiji) 281
ANHANG III 288Grafiken 288
Grafik 1: Ebenen der Meta-Regelmigkeit 288
Grafik 2: Vereinfachtes Schema der unterschiedlichen Sichtweisen 289
Grafik 3: Die zwei Hlften der Welt 290
Grafik 4: Welt mit und ohne Sichtweise 291
Grafik 5: Verhltnis der absoluten raum-zeitlichen Einheiten zueinander 292
Grafik 6: Kosmologisches Gesamtkonzept des Verwirklichungsprozesses 293
ANHANG IV 294
Glossar der von Jin verwendeten Begriffe und Namen 294Glossar der Begriffe und Ausdrcke 294
Glossar der Namen 305
ANHANG V 305
Bibliographie der angefhrten Schriften 306
Einleitung
...philosophy is frankly a form of play. We may be playing it with a naivetythat is at once amusing and exasperating to the experts, but we are tryingas far as possible to play the game according to the rules. With either suc-cess or failure we are not concerned, for the result with us does not counthalf as much as the process. That is where play is one of the most seriousactivities in life. Other activities have too often some kind of axe to grind.Politics is a sphere where people aim at power, finance and industry arespheres where people aim at wealth. Patriotism is sometimes a matter ofeconomics, philanthropy is for some person the only road to fame, scienceand art, literature and philosophy, may have behind them mixed motives,but a game of solitaire in a dingy garret is the pure expression of a soulabandoned to the stream of life.1
Mit dieser Haltung zur Philosophie legitimiert Jin Yuelin in seinenProlegomena aus dem Jahr 1927 sein ehrgeiziges Vorhaben, das sich in seineOntologie Lun Dao und seine Erkenntnistheorie Zhishi lun teilt.2 Jin Yuelin be-trachtet die Philosophie als ein Spiel. Dieses Spiel wird allerdings nach den Re-geln philosophischer Argumentation gespielt, an die sich Jin streng hlt. Er gehtstringent vor, verwendet seine Begriffe allgemein konsistent und ist stets um Ko-hrenz bemht. Das Werk Jin Yuelins besticht durch die Klarheit seines Aus-drucks und den logischen Aufbau seiner drei Hauptwerke, nimmt man das Lehr-buch der Logik (Luoji)3 hinzu. So ist Jin vor allem als Philosoph aus China undnicht als chinesischer Philosoph zu betrachten, der chinesische Philosophie be-treibt.
Anders als viele seiner Zeitgenossen, etwa Philosophen wie He Lin, Hu Shioder Feng Youlan, die ein mehr oder minder patriotisches Anliegen zur Integra-tion der traditionellen chinesischen Philosophie mit westlichen Fragestellungenund Methoden verfolgten, ging es Jin stets um die Philosophie in ihrer Universa-litt. Er verfolgt in seinen beiden Hauptwerken und in seinen Aufstzen, zumin-dest denen aus der ersten Phase seines Schaffens bis 1949, in diesem Sinnekein bergeordnetes politisches oder ideologisches Ziel. Ein in den philosophi-schen Anstzen vergleichbarer Zeitgenosse Jins ist Hong Qian, ebenfalls Logikerund Anhnger der analytischen Schule, jedoch des Wiener Kreises um Carnapund Schlick. Er verfate 1934 in Wien bei Schlick seine Dissertation ber Das
1 Jin Yuelin (1927). Prolegomena, in: Jin Yuelin. Jin Yuelin wenji (Schriftensammlung von Jin Yue-lin). Hg. v. Zhou Liquan, Lanzhou: Gansu Renmin chubanshe, 1995, Bd. 1-4 [im folgenden JYLWJ],Bd. 1, 233-282: 282.2 Jin Yuelin. Lun Dao (ber Dao), Beijing: Shangwu yinshuguan, 1987 [im folgenden LD]; Jin Yuelin.Zhishi lun (Erkenntnistheorie), Beijing: Shangwu yinshu guan, 1996 (2. Aufl.) [im folgenden Zsl].3 Jin Yuelin. Luoji (Logik), Beijing: Sanlian shudian, 1982 (4. Aufl.) [im folgenden Lj].
2
Kausalproblem in der heutigen Physik.4 Doch setzte sich Hong Qian zumeist mitden Werken des Wiener Kreises auseinander, whrend Jin dagegen ber seineKritik an Hume und den analytischen Philosophen seiner Zeit hinaus gehend ver-suchte, in seinem Werk ein eigenes System zu schaffen.
Jin nennt selbst zwei wesentliche Einflsse fr sein Denken: zum einenRussell, der allgemein durch seine Vortragsreise 1920 nach China einen groenEinflu unter den chinesischen Intellektuellen ausbte.5 In diesem Zusammen-hang ist Zhang Shenfu zu nennen, der an der Peking Universitt Russells Philo-sophie unterrichtete und als ein anerkannter Spezialist galt und mit dem Jin inKontakt gestanden hat.6 Wie Jin in seiner Einleitung zu Lun Dao schreibt, warauch die Induktion ein heies Thema in der Zeit. Die Induktion ist Grundlage undMethode der Naturwissenschaften und galt in China als Schlssel zu den westli-chen Wissenschaften und dem westlichem Denken. Das von Hume aufgeworfeneInduktionsproblem und seine Lsung ist in Jins Hauptwerken sowie zahlreichenAufstzen als Leitfaden seines Denkens anzusehen.
In einer ersten Betrachtung zu Jin Yuelin wre es nicht angemessen, doxo-graphisch an Jins Werk heranzugehen und eine sekundre Fragestellung vonauen heranzutragen.7 So wird in der vorliegenden Arbeit Jins ontologische Ant-wort zu einem Aspekt des Induktionsproblems, dem Kausalittsproblem, welches
4 Anllich einer Diskussion um Feng Youlans Xin zhilun (Neue Methodologie) von 1946, das er we-gen seines metaphysischen Standpunktes kritisierte, kam Hong Qian u.a. mit Jin Yuelin in Kontakt.Brire, O. Fifty years of Chinese philosophy 1898-1950. Aus dem Franzsischen von Laurence G.Thompson, London: George Allen & Unwin