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Links! »W enn einer eine Reise tut « Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli/August 2011 Unlängst war ich in Brüssel. Da gibt es viel zu sehen - al- so kann man was erzählen: Zum Beispiel über das »Atomi- um«, neben dem »Manneken Pis« das bekannteste Wahr- zeichen von Brüssel. 1958 zur Weltausstellung in Brüs- sel eröffnet, gilt es als Symbol für das »Atomzeitalter«. Groß und mächtig steht es noch da, klein, ja winzig aber ist die Eu- phorie über die »Nutzung der Urkraft im All«, wie man einst hören konnte, geworden. »Ers- tens kommt es anders, zwei- tens als man denkt« möchte man mit Wilhelm Busch sar- kastisch bemerken. Das Atom- zeitalter begann mit den wohl größten je von Menschen aus- gelösten Katastrophen, den Bombenabwürfen über Hiro- shima und Nagasaki, sollte mit der friedlichen Nutzung der Kernkraft die Menschen in neue Dimensionen führen und muss jetzt nach Super-Gaus in Tschernobyl und Fukushima für beendet erklärt werden. Und doch können die Men- schen von der Atomkraft noch immer nicht lassen - aus den unterschiedlichsten Gründen, wie die aktuellen Debatten zeigen. Die Ängstlichen, oder sind es nicht doch die Vernünf- tigen, warnen vor ungeahnten und Jahrmillionen währenden Folgen, gerät die Sache au- ßer Kontrolle. Die Lobby meint aber, Sicherheit sei möglich. Die Profiteure schließen sich an, weil sie ihre Gewinne da- hinschwinden sehen, bevor sich Ersatzinvestitionen rech- nen. Die Technokraten be- schwören notwendige Brücken in ein atomfreies Zeitalter und finden damit wieder Gehör bei den Profiteuren aus an- deren Energiequellen. Das ist die Grundlage für einen Streit, der sich fast nur mehr um den Zeitpunkt des endgültigen Aus- stiegs aus der Kernkraft für die Energiegewinnung dreht. Die einen wollen gar nicht raus, die andern 2034 oder 2023 oder 2018 oder 2014 oder so- fort ... Ist »Eile mit Weile« Basis solider Lösungen, fragt man, oder »Was Du heute kannst be- sorgen, das verschiebe nicht auf morgen«? Alte Weisheiten bringen uns hier offensichtlich nicht weiter. Genau hingesehen, lehrt mich die Erfahrung, gibt es in ei- ner politischen Debatte kei- ne Wahrheiten, die schließlich als Ergebnis zutage treten, sondern es geht um Interes- sen, die sich am Ende durch- setzen oder unterdrückt wer- den. Es gibt aber Wahrheiten auf der sachlichen Ebene. Da geht es auch um die Gefah- ren von Alternativen: Stündlich verbrauchen die Menschen 1 Milliarde Tonnen Erdöl. Der größte Teil davon wird wohl verbrannt. Dazu kommen Koh- le und Gas und deren Verbren- nung als Energiequellen. Er- derwärmung, Treibhauseffekt und möglicher Klimawandel sind die Folgen. Wasserkraft zerstört unter Umständen Le- bensräume, Windräder ver- schandeln die Natur und be- lästigen in ungebührlicher Weise in der Umgebung Woh- nende. Biosprit bringt Hun- gersnöte. Einzig die Sonne scheint uns Energie ohne Ne- benfolgen zu liefern. Die Aus- beute reicht aber bei weitem (noch) nicht, um die notwendi- ge Versorgung auch nur annä- hernd zu sichern. Die Wüsten mit Solarzellen zuzupflastern, mag auch nicht erstrebens- wert sein, und die dann not- wendigen Fernleitungen sind gewiss keine ungefährliche Zierde. Die Geister, die wir rie- fen, werden wir nicht los. Oder doch? Diese Ausgabe enthält ein In- terview mit Günter Dietzsch, einem fleißigen Tüftler aus einem kleinen Dorf, pardon, einer kleinen Stadt am Ran- de Sachsens. Der macht sich Gedanken über die Welt - und handelt in seinem überschau- baren Lebensraum. Der Auf- bau einer »energieautarken Region« in und rund um sei- ne Heimatstadt Bad Düben ist sein Ziel. Wir lernen, dass der Abbau von Energieverschwen- dung momentan die ergiebigs- te Quelle für Energiegewin- nung überhaupt sein könnte. Da wird so manches an Belas- tung vermeidbar. Zurück nach Brüssel: Das Ato- mium erinnert an vergangene Irrwege. Manneken Pis aber mahnt, dass auch der Mensch sich nicht auf Dauer gegen die Natur stellen kann.

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Links! Die Zeitung für Sachsen, Europa und die Welt

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Links!

»Wenn einer eine Reise tut«

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli/August 2011

Unlängst war ich in Brüssel. Da gibt es viel zu sehen - al-so kann man was erzählen: Zum Beispiel über das »Atomi-um«, neben dem »Manneken Pis« das bekannteste Wahr-zeichen von Brüssel. 1958 zur Weltausstellung in Brüs-sel eröffnet, gilt es als Symbol für das »Atomzeitalter«. Groß und mächtig steht es noch da, klein, ja winzig aber ist die Eu-phorie über die »Nutzung der Urkraft im All«, wie man einst hören konnte, geworden. »Ers-tens kommt es anders, zwei-tens als man denkt« möchte man mit Wilhelm Busch sar-kastisch bemerken. Das Atom-zeitalter begann mit den wohl größten je von Menschen aus-gelösten Katastrophen, den Bombenabwürfen über Hiro-shima und Nagasaki, sollte mit der friedlichen Nutzung der Kernkraft die Menschen in neue Dimensionen führen und muss jetzt nach Super-Gaus in Tschernobyl und Fukushima für beendet erklärt werden. Und doch können die Men-schen von der Atomkraft noch immer nicht lassen - aus den unterschiedlichsten Gründen, wie die aktuellen Debatten zeigen. Die Ängstlichen, oder sind es nicht doch die Vernünf-tigen, warnen vor ungeahnten und Jahrmillionen währenden Folgen, gerät die Sache au-ßer Kontrolle. Die Lobby meint aber, Sicherheit sei möglich. Die Profiteure schließen sich an, weil sie ihre Gewinne da-hinschwinden sehen, bevor sich Ersatzinvestitionen rech-nen. Die Technokraten be-schwören notwendige Brücken in ein atomfreies Zeitalter und finden damit wieder Gehör bei den Profiteuren aus an-deren Energiequellen. Das ist die Grundlage für einen Streit, der sich fast nur mehr um den Zeitpunkt des endgültigen Aus-stiegs aus der Kernkraft für die Energiegewinnung dreht. Die einen wollen gar nicht raus, die andern 2034 oder 2023 oder 2018 oder 2014 oder so-fort ... Ist »Eile mit Weile« Basis solider Lösungen, fragt man,

oder »Was Du heute kannst be-sorgen, das verschiebe nicht auf morgen«? Alte Weisheiten bringen uns hier offensichtlich nicht weiter. Genau hingesehen, lehrt mich die Erfahrung, gibt es in ei-ner politischen Debatte kei-ne Wahrheiten, die schließlich als Ergebnis zutage treten, sondern es geht um Interes-sen, die sich am Ende durch-setzen oder unterdrückt wer-den. Es gibt aber Wahrheiten auf der sachlichen Ebene. Da geht es auch um die Gefah-ren von Alternativen: Stündlich verbrauchen die Menschen 1 Milliarde Tonnen Erdöl. Der größte Teil davon wird wohl verbrannt. Dazu kommen Koh-le und Gas und deren Verbren-nung als Energiequellen. Er-derwärmung, Treibhauseffekt und möglicher Klimawandel sind die Folgen. Wasserkraft zerstört unter Umständen Le-bensräume, Windräder ver-schandeln die Natur und be-lästigen in ungebührlicher Weise in der Umgebung Woh-nende. Biosprit bringt Hun-gersnöte. Einzig die Sonne scheint uns Energie ohne Ne-benfolgen zu liefern. Die Aus-beute reicht aber bei weitem (noch) nicht, um die notwendi-ge Versorgung auch nur annä-hernd zu sichern. Die Wüsten mit Solarzellen zuzupflastern, mag auch nicht erstrebens-wert sein, und die dann not-wendigen Fernleitungen sind gewiss keine ungefährliche Zierde. Die Geister, die wir rie-fen, werden wir nicht los. Oder doch?Diese Ausgabe enthält ein In-terview mit Günter Dietzsch, einem fleißigen Tüftler aus einem kleinen Dorf, pardon, einer kleinen Stadt am Ran-de Sachsens. Der macht sich Gedanken über die Welt - und handelt in seinem überschau-baren Lebensraum. Der Auf-bau einer »energieautarken Region« in und rund um sei-ne Heimatstadt Bad Düben ist sein Ziel. Wir lernen, dass der Abbau von Energieverschwen-dung momentan die ergiebigs-te Quelle für Energiegewin-nung überhaupt sein könnte. Da wird so manches an Belas-tung vermeidbar. Zurück nach Brüssel: Das Ato-mium erinnert an vergangene Irrwege. Manneken Pis aber mahnt, dass auch der Mensch sich nicht auf Dauer gegen die Natur stellen kann.

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»Braunkohle sollte kein Brennstoff, sondern Rohstoff sein«

Links! im Gespräch

Die Energiewende beginnt im Kleinen – zum Beispiel in Bad Düben. Dort arbeitet Gün-ter Dietzsch (80) seit Jahren unermüdlich für ökologische Energiegewinnung. »Links!« hat sich mit dem »Öko-Pio-nier« über vergangene Erfah-rungen, künftige Energiepoli-tik und seine ganz persönliche Geschichte unterhalten.

Sie haben 1948 ihre Lehre als Heizungsmonteur abge-schlossen und sich danach zum Ingenieur für Wärme-wirtschaft qualifiziert. Wo-her kommt Ihr besonderes Interesse an Ökologie?Ich habe den Zweiten Welt-krieg und auch die Bombenan-griffe auf meine Geburts- und Heimatstadt Plauen bewusst erlebt. In der zu 85 Prozent zerstörten Stadt war es für ei-nen 15 Jahre alten Jugendli-chen fast unmöglich, eine kon-krete berufliche Entwicklung zu planen; so war ich froh, als mir ein Bekannter eine Lehr-stelle als Heizungsmonteur anbot. Mein Berufswunsch war das zum damaligen Zeit-punkt nicht, allerdings fand ich an der handwerklichen und fachlichen Ausbildung bald In-teresse. Zwischen 1954 bis 1959 absolvierte ich ein Fern-studium in der Fachrichtung Wärmewirtschaft und Rohr-leitungsbau an der Ingeni-eurschule Karl-Marx-Stadt. Danach habe ich in verschie-denen Funktionen im Kraft-werksanlagenbau gearbei-tet. Ich hatte die Möglichkeit, an Planung und Aufbau von Braunkohlekraftwerken teil-zunehmen, die Errichtung des Pumpspeicherwerkes Markersbach und des Kern-kraftwerkes Lubmin mitzuer-leben.

Die DDR hat sich um Um-weltschäden nicht oder wenig gekümmert. Die Re-gion Bitterfeld-Wolfen – ganz in der Nähe von Bad Düben – gilt als Synonym für Umweltverschmutzung. Hält dieses Bild der Reali-tät Stand?Niemand wird behaupten kön-nen, dass die Wirtschafts- und besonders die Energiepolitik der DDR von Umwelt- und Na-turschutz oder ökologischem Handeln geprägt war. Ich habe selbst viele Jahre in Bitterfeld gearbeitet und drei Jahre mit meiner Familie dort gewohnt. Allein der Versuch, die ökologi-schen Missstände zu beschö-nigen, wäre unehrlich. Eine

von Reglementierung geprägte Planwirtschaft und eine unsin-nige Preispolitik, die in keiner Weise das große vorhandene Einsparpotential im Energie-verbrauch anregte, sondern zur Verschwendung von Ener-gie führte, waren neben ande-ren Faktoren die Ursachen für das Nichtbeachten ökologi-scher Aspekte in der Energie-wirtschaft der DDR. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, wie sich die politische Situati-on – der Kalte Krieg – auf die Wirtschafts- und Energiepoli-tik auswirkte.

Gab es auch in der DDR Be-strebungen hin zu einer ökologischeren Energiege-winnung? Wäre diese – un-ter den damals gegebenen Umständen – überhaupt möglich gewesen?Bereits Mitte der 1960er gab es von führenden Politikern und Energieexperten der DDR Erkenntnisse und Ansätze zu einer Veränderung der Ener-giepolitik von der Braunkohle zur Nutzung sowjetischen Erd-öls und Erdgases. Anlässlich eines Wirtschaftsforums in Leipzig prägte Walter Ulbricht den Satz »Braunkohle ist kein Brennstoff, sondern Rohstoff«. Um die damals vorgesehene Energieträgerumstellung auf sowjetisches Erdöl und Erdgas zu erschweren, sprach die da-malige Bundesregierung das sogenannte Röhrenembar-go aus und unterband die Lie-ferung von entsprechenden Stahlrohren, welche für den Auf- und Ausbau eines Rohr-leitungsnetzes gebraucht wur-den. Insgesamt fehlte es uns für die Durchsetzung einer ökologischen Energiepolitik nicht an qualifiziertem inge-nieurtechnischem Potential, sondern vor allem am politi-schen Willen und der dazu not-wendigen Wirtschaftsorien-tierung.

In ihrer Heimatstadt gel-ten sie als Öko-Pionier und treibende Kraft hinter der »Ökologischen lokalen Agenda 21«, die Bad Dü-ben zur ökologischen Kur-stadt machen will. Anders als man vielleicht vermu-ten könnte, ging und geht die Initiative dabei jedoch nicht von den Grünen, son-dern von den LINKEN aus.

Auf Basis meines Studiums und meines Berufs hatte ich eine gute Ausgangspositi-on, mich nach der Wende mit

der nunmehr für jedermann zugänglichen ökologischen Technik wie Solarthermie, Wärmepumpentechnik und Fo-tovoltaik in Theorie und Pra-xis zu beschäftigen. Im August 1990 ging ich in den Vorruhe-stand und hatte so auch die notwendige Zeit. Da ich bald darauf in Bad Düben zum Orts-vorsitzenden der PDS gewählt wurde und einige an ökolo-gischer Politik interessierte Genossinnen und Genossen fand, war die »führende« Rol-le des Ortsverbandes der PDS bei der Gestaltung einer öko-logischen Kommunalpolitik ein logischer Schritt und wurde Schwerpunkt unseres Wahl-programms. Die von unserem Ortsverband initiierte und von unserer Stadtratsfraktion er-folgreich gestaltete ökologi-sche Kommunalpolitik hat kon-krete Erfolge zu verzeichnen. Der jüngste ist die Inbetrieb-nahme des ersten Bürgerso-larkraftwerkes in Bad Düben auf dem Dach der Heidegrund-schule. Im Rahmen der von uns praktizierten Kommunal-politik sind wir für alle interes-sierten Bürgerinnen und Bür-ger offen und an einer breiten Zusammenarbeit interessiert.

Auch ihr eigenes Haus gilt als Musterbeispiel für ei-ne ökologische Energiege-winnung. Im Zeitraum von 1992/93 hat-te ich die Möglichkeit, ein ei-genes Einfamilienhaus auf der Basis meiner Vorstellungen zu gestalten. Dieses Haus hat keinen Schornstein, keinen Erdgasanschluss und keinen Heizöltank. Es wird mit einer

Wärmepumpe beheizt, hat ei-ne solarthermische Anlage zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung, ei-ne Fotovoltaikanlage und eine Regenwassernutzungsanla-ge. Das anfallende Abwasser wird über eine Pflanzenklär-anlage entsorgt. Ich nutze die-ses Haus, um für ökologisches Bauen zu werben.

Sie haben im Sinne einer ökologischen Energiege-winnung große Erfolge er-zielen können, indem sie konsequent auf regionale Energiekreisläufe setzen. Was empfehlen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in anderen Teilen Sach-sens?Dass die Bundesregierung ih-re Energiepolitik neu orien-tiert hat, ist eine logische Fol-ge aus der Katastrophe von Fukushima. Eine konsequente und notwendige Dezentrali-sierung der Energieerzeugung und Energieverteilung ist aber nicht vorgesehen, darin be-steht der größte Mangel. Eine hervorragende Möglichkeit, im Rahmen der Kommunalpolitik einen Beitrag zur Energiewen-de und zur Dezentralisierung der Energiewirtschaft zu leis-ten, sehe ich in der Schaffung energieautarker Regionen. Darin sehe ich auch eine gute Möglichkeit, in Sachsen durch entsprechende Bürgerinitia-tiven weitere Akzente zu set-zen. Wir LINKE in Bad Düben unterstützen zudem aktiv den Aufbau einer energieautarken Region des Städtebundes Dü-bener Heide. Das Ziel ist, dass in diesem Gebiet rein rechne-

risch übers Jahr genauso viel Energie erzeugt wird, wie die Region verbraucht.

Die Diskussionen um die Energieversorgung von morgen sind auch in Sach-sen allgegenwärtig. Die Staatsregierung hat sich dafür ausgesprochen, nun den heimischen Rohstoff Braunkohle wieder inten-siver zu nutzen. Ist das der richtige Weg?Nein. Neue Braunkohlekraft-werke zu errichten bedeutet, den Braunkohleabbau fortzu-führen oder gar zu erweitern, weiter in Natur und Landschaft einzugreifen, Menschen umzu-siedeln, ihnen ihre Heimat zu nehmen. Eine auf Braunkohle orien-tierte Energiewirtschaft ist falsch, denn Braunkohle soll-te kein Brennstoff, sondern Rohstoff sein. Das Land Sach-sen verfügt über beachtliche Braunkohlelagerstätten. Diese Ressource nicht sinnlos und umweltschädigend zur Ener-gieerzeugung zu verbrennen, sondern langfristig als Roh-stoff für die chemische In-dustrie zu nutzen, sollte das Ziel unserer Wirtschaftspoli-tik sein. Wir haben heute alle technischen, technologischen und vor allem die wirtschaft-liche Voraussetzung, unsere Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien umzu-setzen.

Die Fragen stellte Kevin Rei-ßig.

Günter Dietzsch im Garten seines Öko-Hauses.

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Kriminalisierungstango 2.0 Die dritte Seite

Nach der Pflicht die KürEs war alles so schön vorbe-reitet für die Konferenz der Innenminister aus Bund und Ländern in Frankfurt am Main. Der neue LKA-Chef Rolf Mi-chaelis hatte bei seinem Amtsantritt das Stichwort ge-liefert, sein Amt werde künf-tig entschlossener gegen die angeblich drastisch steigen-de »linksextremistische Ge-walt« vorgehen. Und prompt sollte genau dies das Haupt-thema der Innenministerkon-ferenz sein. Die Notwendig-keit wurde – fast wie bestellt – im Umfeld der Demonstrati-on gegen die Konferenz gelie-fert. Zwar verlief der Marsch selbst friedlich, doch danach flogen Böller, brannte benga-lisches Feuer. Und so erklärte Sachsens Innenminister Mar-kus Ulbig am frühen Nachmit-tag des 22. Juni: »Wir treten jeder Form von Extremismus mit aller Entschiedenheit ent-gegen. Auch für den Freistaat Sachsen ist im ersten Quartal ein Anstieg der politisch mo-tivierten Kriminalität links zu verzeichnen. Ich begrüße den Beschluss der Innenminister-konferenz, dass es unter Fe-derführung des BKA wieder eine Koordinierungsgruppe geben wird, die die gewaltbe-reite linksextreme Szene ana-lysiert.«»Gewaltbereite linke Sze-ne«? Inzwischen sind sie-ben der Gewalttäter als Zi-vilbeamte enttarnt. Sie sollen sich vermummt un-ter die Demonstrierenden gemischt und von dort aus Feuerwerkskörper in Rich-tung Polizei geworfen haben. Für diese Behauptung gibt es nicht nur Augenzeugenberich-te, sondern auch den Dienst-ausweis eines Beamten der Bundespolizei, den dieser bei seiner Enttarnung verloren hatte. Doch: Lügen haben lan-ge Beine. Die Berichte darüber kamen erst, nachdem die Akti-on ihren Zweck bereits erfüllt hatte.»Analyse« der gewaltbereiten linksextremen Szene? Damit durfte sich der Innenminis-ter nach seiner Rückkehr aus Frankfurt beschäftigen. Denn nicht sein Auftritt in Hessen interessierte in Sachsen, son-dern vielmehr das Handeln seiner Polizisten am 19. Feb-ruar in Dresden. 138.000 Te-lefonverbindungen, so der da-malige Kenntnisstand, waren durch die Sonderkommission (SoKo) 19/2 im Rahmen einer Funkzellenauswertung analy-siert worden. Weite Teile Dres-dens wurden über einen Zeit-

raum von mehreren Stunden auf Kommunikation durch-leuchtet. Eine solche Maß-nahme ist überhaupt nur dann zulässig, wenn es sich um Fäl-le von schwerer Kriminalität handelt. Ein versuchter Tot-schlag ist ein solcher Fall. Nur wurde ein solcher Fall im In-nenausschuss des Landtages, der sich mehrfach mit dem 19. Februar beschäftigt hatte, nie genannt. Ein Schelm, wer Bö-ses dabei denkt.Ruchbar wurde der Vorgang übrigens nur, weil die gesam-melten Daten auch in Ermitt-lungsverfahren einflossen, für die sie nie hätten genutzt wer-den dürfen. Und dies nicht nur

in einem oder wenigen Fällen, sondern in mehr als 40 Ver-fahren wegen Verstößen ge-gen das Versammlungsge-setz. Das wiederum ist kein Fall schwerer Kriminalität, sondern ein so genanntes Ba-gatelldelikt.Inzwischen ist unbestrit-ten, dass nicht nur die SoKo 19/2 in einer Weise geschnüf-felt hat, die sich nicht einmal George Orwell hätte vorstel-len können. Knapp 900.000 Verbindungsdaten hat das LKA – auch am 19. Februar – für seine Ermittlungen gegen eine ominöse kriminelle Ver-einigung, an die niemand au-ßer dem LKA selbst glaubt, gesammelt. Und hierbei wur-den dann auch Gespräche di-rekt abgehört. Betroffen da-von waren mehr als 300.000 Personen. Das sind immerhin rund zehn Prozent der erwach-senen Bevölkerung Sachsens. Wer hat hier was von Verhält-nismäßigkeit gesagt?Innenminister Ulbig jeden-falls nicht. »Die Polizei spio-niert nicht! Die Polizei handelt auf rechtsstaatlicher Grundla-

ge! Und vertraut auf die ent-sprechenden richterlichen Be-schlüsse. Das kann doch kein Skandal sein. Eine moderne Polizei nutzt auch moderne und zeitgemäße Ermittlungs-methoden«, schrieb er in ei-ner Pressemitteilung nach der Landtagssitzung am 29. Juni. Von Problembewusstsein kei-ne Spur. Auch keine Entschul-digung dafür, dass er noch we-nige Stunden zuvor versucht hatte, in einer von der LINKEN beantragten Aktuellen Debat-te das Parlament in die Irre zu führen.Stattdessen im Kreis der Re-gierungsparteien das Ver-trauen darauf, dass Lügen

lange Beine haben. Wer ge-glaubt hatte, die öffentlich verbreitete Mär von den Mo-lotowcocktails, die am 19. Fe-bruar gegen Polizisten gewor-fen worden seien, sei nach dem Dementi in der nichtöf-fentlichen Sitzung des Innen-ausschusses erledigt, sah

sich schnell eines Schlech-teren belehrt. Ausgerechnet Justizminister Martens wie-derholte sie in einer Presse-konferenz im Zuge der Affäre Datenklau. Und unmittelbar nach der Landtagssitzung konnte auch der CDU-Innen-politiker Volker Bandmann, der es definitiv besser weiß, nicht mehr an sich halten: »Der Schutz der Bevölkerung vor Gewaltorgien, wie sie am 19. Februar in Dresden statt-fanden, hat oberste Priorität. Wenn Steine und Molotow-cocktails gegen Menschen und Gebäude fliegen oder gar Eisenstangen auf Polizis-ten geworfen werden, dann

muss der Rechtsstaat zur Tat schreiten und die Gewalttäter ausfindig machen. Die Funk-zellenabfrage hat sich dabei als ein Mittel bei der Ermitt-lungsarbeit bundesweit be-währt.« Da waren sie wieder, die Molotowcocktails. Lügen haben lange Beine.

Aber, so wird uns doch immer wieder erklärt, im Gegensatz zur »zweiten deutschen Dik-tatur«, der DDR, sei die Bun-desrepublik ein Rechtsstaat? Hören wir, was die großbür-gerliche, konservative »Frank-furter Allgemeine Zeitung«, hinter der bekanntlich immer ein kluger Kopf steckt, dazu sagt. Sie spricht von »säch-sischer Datengier«, kommt zu dem Schluss: »Die Ver-sprechen und Beteuerungen, dass es doch nur um weni-ge Schwerstkriminelle ginge, klingen im Angesicht der Mas-senerfassung der Teilneh-mer einer politischen Demon-stration wie hohle Notlügen«. Rechtsstaat? Die FAZ sieht es anders: »Man erzeugt Profile, wie sie sonst nur in Diktaturen missbraucht werden.«Das ist starker Tobak. Aber er ist noch steigerungsfähig. Das Blatt weiter: »Der Ort dieser Geschichte ist aber nicht Te-heran, Damaskus oder Minsk, die Hauptstadt der weißrus-sischen Diktatur. Es ist Dres-den, die Hauptstadt des Frei-staates Sachsen, mit einem demokratisch gewählten In-nenminister. Und es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine … geradezu zivilge-sellschaftlich vorbildliche De-monstration gegen Rechtsra-dikale.«Die FAZ besaß also sogar die Weisheit, zwischen einem »demokratisch gewählten In-nenminister« und einem de-mokratischen zu unterschei-den. Hier glaubt jemand die Lügen nicht mehr. Bleibt nur eine Frage: wann wird in Sach-sen die FAZ im Verfassungs-schutzbericht als »linksex-tremistische Organisation« geführt? Oder noch besser: Kann eine Zeitungsredaktion nicht auch eine kriminelle Ver-einigung sein?Volkmar Wölk

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Dimensionen rechts motivierter GewaltÜber acht Monate ist es nun her, dass Kamal K. In Leipzig von zwei Neonazis erstochen wurde. Am 17.6.2011 begann vor dem Leipziger Landge-richt der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter, Marcus E. und Daniel K.. Letzterer ist wegen gefährlicher Körper-verletzung angeklagt – er soll Kamal am Morgen des 24.10. geschlagen, mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt und zu Boden gerissen haben. Mar-cus E. wird der gefährlichen Körperverletzung und des Tot-schlags beschuldigt. Für die Staatsanwaltschaft war das, was sich in jener Nacht im Oktober zugetra-gen hat, ein »Unfall«. Das se-hen Familie und Freunde von Kamal anders, ebenso wie politisch sensibilisierte Men-schen. Für sie ist klar, dass ein rassistisches Tatmotiv in Be-tracht gezogen werden muss. Und sie bestehen darauf, dass dies bei der Anklageerhebung und im Prozess eine größere Rolle spielen muss. Schließ-lich liegt ein neonazistischer Hintergrund der beiden mut-maßlichen Täter auf der Hand. Daniel K. war um die Jahrtau-sendwende in Leipzig in die rechte Szene eingestiegen, Marcus E. in der als beson-ders rassistisch und militant bekannten Kameradschaft Aachener Land aktiv. Letzte-rer macht nicht nur äußerlich keinen Hehl aus seiner »na-tionalen Gesinnung«, suchte während seines langjährigen Gefängnisaufenthaltes aktiv Kontakt zur »Hilfsorganisation für nationale Gefangene«, die inhaftierte Nazis in der Szene halten will. In seiner Wohnung in Erfurt wurden mehrere Kis-ten mit Nazi-Devotionalien beschlagnahmt. Beide Ange-klagte tragen auf ihrem Kör-per einschlägige Tätowierun-gen, die etwa das Haken- und Keltenkreuz sowie SS-Symbo-lik zeigen. Trotz all dieser Indizien ließ der Leipziger Oberstaatsan-walt schon wenige Wochen nach dem Mord verlautba-ren, dass es keine hinreichen-den Anhaltspunkte für einen rassistischen Tathintergrund gebe. Die Anwälte der Ne-benklage, die vor Gericht die Interessen der Familie vertre-ten, plädieren vor diesem Hin-tergrund dafür, dass eine Ver-urteilung wegen Mordes aus niederen Beweggründen bzw. gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht kommen sollte. Am zwei-

ten Verhandlungstag gab der Richter diesem Antrag zumin-dest in Teilen statt und erteil-te in Richtung von Marcus E. den rechtlichen Hinweis, dass für ihn auch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage käme. Es wird sich zeigen, ob die Jus-tiz einmal mehr ein Verbre-chen entpolitisieren und dem Schweigen über die Dimensi-on rechter Gewalt Vorschub leisten will. Schließlich ist Ka-mal einer von mehr 150 Men-schen, die in Deutschland seit 1990 durch rechts motivierte Gewalt ums Leben kamen. In Sachsen waren es im selben Zeitraum mindestens drei-zehn. Nimmt man nicht die von Medien und Initiativen re-cherchierten, sondern die offi-ziellen Zahlen her, gibt es bun-desweit allerdings »nur« 47 und in Sachsen sieben Men-schen, die sterben mussten, weil sie einen Migrationshin-tergrund hatten, homosexuell, links oder obdachlos waren.Aufgrund des öffentlichen Drucks wurden die Erfas-sungskriterien für rechts mo-tivierte Kriminalität im Jahr 2001 verändert. Wurden bis dahin nur Delikte erfasst, die sich gegen die staatliche Ord-nung richteten, gelten nun Straftaten als politisch moti-viert, »wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorlie-gen, dass sie gegen eine Per-son gerichtet sind wegen ihrer politischen Einstellung, Nati-

onalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Be-hinderung, ihrer sexuellen Ori-entierung oder ihres gesell-schaftlichen Status«. Nach dieser Reform schnell-te die Statistik rechts moti-vierter Straftaten in die Hö-he, die offensichtliche Lücke in Sachen rechts motivierter Morde wurde allerdings nicht geschlossen. Denn Grundlage der Zählung blieb die Handha-bung und Bewertung solcher Taten durch Polizei, Staatsan-waltschaft und Gerichte vor Ort. Und diese entpolitisieren und verdrängen gern. In zahl-reichen Fällen führten erst Öf-fentlichkeitsarbeit und Protes-te von Initiativen dazu, dass die Motive solcher gewaltsa-mer Todesfälle und einschlä-gige (Neonazi-)Biografien von Tätern transparent und disku-tierbar gemacht wurden. In ei-nigen Fällen führte dies auch zur nachträglichen Kategori-sierung als rechts motivierte Gewalttat.Dass der Mord an Kamal Ein-gang in die Statistik rechts motivierter Kriminalität findet, ist zum jetzigen Zeitpunkt un-wahrscheinlich. Und so könn-te sich das fortsetzen, was seit nunmehr zwanzig Jahren offizielle Praxis ist: Das sta-tistische Kleinrechnen rechts motivierter Gewalt. Von fünf (bzw. mit Kamal sechs) offensichtlich durch

Nazis verübten Morden in Leipzig wird nur einer offizi-ell als solcher geführt, näm-lich der Mord an Nuno Lou-renco. Der Gastarbeiter aus Portugal wurde 1998 nach einem EM-Fußballspiel, bei dem die deutsche National-mannschaft verloren hatte, von einer Neonazi-Gruppe so schwer geschlagen und miss-handelt, dass er wenige Mona-te später an den Folgen starb. Die offizielle Anerkennung als Opfer rechter Gewalt erfolg-te aufgrund massiven Drucks seiner Witwe und der Medien erst im Nachhinein. Die Statistik vergisst dagegen Klaus E., der ein paar Nazis als asozial galt und darum 1994 in seiner Wohnung in Leipzig-Lindenau zu Tode geprügelt und getreten wurde. Verges-sen sind auch Achmed Bachir - 1996 von zwei Nazis in einem Gemüseladen in der Leipziger Südvorstadt erstochen - und Bernd Grigol, der offen homo-sexuell lebte und 1996 darum von Nazis vor seiner Wohnung gequält, misshandelt und er-stochen wurde. Auch Karl-Heinz Teichmann, der im Au-gust 2008 auf einer Bank am Schwanenteich an der Leipzi-ger Oper von einem 18-jähri-gen Neonazi-Sympathisanten misshandelt wurde, wird von der Statistik nicht erfasst. »Du hast hier nicht zu schlafen«, beschimpfte der Täter sein Opfer und malträtierte ihn mit über zwanzig Schlägen, so dass der Obdachlose zwei

Wochen später an den Folgen seiner schweren Verletzungen starb.Gerade die Gewalttaten ge-gen sozial Schwache haben in beängstigender Weise zu-genommen und betten sich in ein zunehmend feindliches ge-sellschaftliches Klima ein. So warnt der Bielefelder Sozial-wissenschaftler Wilhelm Heit-meyer mit Blick auf die Ergeb-nisse seiner Landzeitstudie »Deutsche Zustände«, dass das Abwertungsdenken ge-genüber sozial Schwachen in bedenklichem Maße wächst. Erst vor wenigen Wochen starb in Oschatz der 50-jäh-rige Andre K. Der Obdachlose wurde von sechs Männern mit Schlägen und Tritten schwer misshandelt. Wie sich inzwi-schen herausstellte, gehör-te mindestens einer der Täter der NPD-Jugendorganisation JN an. Das Schweigen über die Moti-ve solch menschenverachten-der Gewalt muss gebrochen werden. Dafür braucht es en-gagiertes Handeln, das nicht bei der Forderung nach einer lückenlosen statistischen Er-fassung und Aufklärung von neonazistischen Gewalttaten stehen bleiben darf. Es muss uns um eine Politik gehen, die für bedingungslose soziale Gleichstellung aller Menschen und für ein gesellschaftliches Klima, das von gegenseitiger Achtung und Solidarität ge-prägt ist, einsteht. Juliane Nagel

Verrohung der Gesellschaft

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»Ja, ich würde nächstes Jahr wiederkommen«, so hieß es übereinstimmend unter den rund 45 Teilnehmern der ers-ten LINKEN Sommerakade-mie, die vom 17. bis 19. Juni in Krögis bei Meißen stattfand. Im Mittelpunkt der Sommer-akademie stand das Lernen derer, die sich in linken Struk-turen engagieren oder dies vorhaben. Leider mussten die Seminarangebote etwas redu-ziert werden, aber es blieben genügend Inhalte, die die Ak-teure im linken Spektrum nut-zen konnten, um sich in Par-tei, Vereinen, Initiativen oder Bündnissen sinnvoll einzu-bringen. Die Teilnehmerinnen und teil-nehmer trafen sich dazu in ei-nem fast romantischen Guts-hof in der Nähe von Meißen. Zwölf Seminarangebote, wie etwa Argumentationstraining anhand der aktuellen Debat-te der sogenannten Euro-Kri-se und die erwarteten Kon-sequenzen aus der aktuellen Situation in Griechenland, kollegiales Beraten oder die Nutzung moderner Medien zur Kommunikation und Mei-nungsbildung untereinander standen zur Auswahl. Rene Ja-laß lobte etwa das Argumen-tationstraining zur Griechen-landdebatte: »Es wurden dazu verschiedene Standpunkte, Parolen und Vorurteile ange-sprochen und widerlegt. Das Seminar ist dafür sehr gut vorbereitet.« Anja Drescher

fand es hilfreich, zu lernen, wie den üblichen Argumen-ten dann fundiert begegnet werden kann. Die Seminare sind thematisch genau richtig, man merkt der Bedarf in der Partei und im Jugendverband ist groß, fand auch Sebastian Heydrich. Und ergänzte, »dass man aber auch die Leute, die in Verantwortung sind und Be-darf an der Weiterbildung ha-ben, zu solchen Seminarwo-chenenden »herzwingt«. Max Kretzschmar lobte die Kom-paktheit des Wochenendes als ein «tolles Angebot in der politischen Bildungsarbeit.« Ina Leonhardt wünschte sich fürs nächste Jahr, dass der Workshop zur Kampagnenar-beit stattfindet, der in diesem Jahr wegen Terminschwierig-keiten leider entfallen muss-te. Mehr Mitsprache bei den Inhalten würde sich Ralf Thon-feld im Vorfeld wünschen. »Erkenntniszuwachs ist gesi-chert«, urteilte knapp Ralf Be-cker. Die Landesgeschäfts-führerin Antje Feiks freute sich über die positiven Rück-meldungen und sieht die Som-merakademie als Erfolg: »At-mosphäre, Inhalte, Seminare, alles stimmt«. Dem kann sich der ausrichtende Verein Linke Bildung und Kultur für Sach-sen e.V. nur anschließen. Fürs nächste Mal sollen die Termi-ne zeitiger bekanntgegeben werden. Und das vegetarische Essenangebot sollte größer sein. Rico Schubert

Sommerakademie: Super-Wochenende, das Spaß macht.

Jahrelang kämpfte MDR-In-tendant Udo Reiter für einen ARD-Jugendkanal. Es sei na-heliegend, neben dem KI.KA sowie den Jugendwellen im Ra-dio ein »öffentlich-rechtliches junges Vollprogramm« anzu-bieten. »Man kann nicht auf der einen Seite immer einen mangelhaften Informations-stand junger Leute und nied-rige pädagogische Ansprüche mancher Privatprogramme be-klagen und andererseits nichts dagegen tun.« Am 23. Mai, ei-nem Montag, legte Udo Reiter seine Forderung zu den Akten. Sie sei wünschenswert, aber nicht umsetzbar. Ein Jugend-programm sei »alles in allem ei-ne tolle Möglichkeit - es bleibt aber eine Illusion.« Sowohl un-ter den Intendanten als auch in der Medienpolitik seien die Wi-derstände zu groß. Im März antwortete Udo Reiter in der Berliner Zeitung auf Fra-

ge, ob er seine volle Amtszeit bis zum 30. Juni 2015 erfüllen wolle: »Ich habe nichts ande-res vor.« Am Donnerstag, drei Tage nachdem er das öffentlich-rechtliche Jugendprogramm beerdigt hatte, verkündete er, seinen Platz beim MDR zu räu-men. Er sei mit 67 Jahren zum einen der dienstälteste Inten-dant und habe durch 45 Jahre im Rollstuhl gesundheitliche Probleme. Zudem sei die Be-trugsaffäre beim KI.KA, für den der MDR verantwortlich zeich-net, weitgehend geklärt. Mit diesem Schritt hatte er auch jeglicher Rücktrittsforderung den Boden entzogen. Am Freitag, einen Tag später, offerierte bild.de schon die ersten fünf Intendanten-Kan-didaten. Weitere Zeitungen fol-gen mit weiteren Kandidaten. Es ist sogar von einer Abspra-che zwischen Sachsen-Anhalt

und Thüringen die Rede: Thü-ringen könne den Intendanten stellen, wenn Sachsen-Anhalt den derzeit offenen Posten des Verwaltungsdirektors beset-zen dürfe. Doch ganz so einfach ist es nicht. Um gewählt zu werden muss man zweimal eine Zwei-Drittel-Mehrheit gewinnen: im Rundfunkrat und im Verwal-tungsrat. Vier der sieben Ver-waltungsräte sind Mitglied der CDU. Wer Intendant wird, ist noch unklar. Am 5. September will der Verwaltungsrat seinen Vor-schlag öffentlich bekannt ge-ben. Klar ist, dass es keine öf-fentliche Ausschreibung gibt. Die Sächsische Staatskanz-lei hatte sich vom Leipziger Rechtsprofessor Christoph De-genhart ein Gutachten erstel-len und dem Verwaltungsrat zukommen lassen. Gegen ei-ne öffentliche Ausschreibung

gebe es »verfassungsrecht-liche Bedenken«. Allerdings wurden allein in diesem Jahr schon zwei Intendantenpos-ten öffentlich ausgeschrieben – beim SWR und beim Saarlän-dischen Rundfunk. Die Wahl wird offenbaren, wem der MDR in Zukunft dienen soll. Soll der MDR der Demokra-tie »dienen«, soll er öffentliche Meinungs- und Willensbildung fördern? Die Freiräume des MDR haben sich in den letz-ten Jahren immer weiter einge-schränkt. Allein das ERSTE hat einen Etat von 1,6 Mrd. Euro – Tendenz steigend. Nur ein star-ker und in der ARD anerkannter Intendant ist in der Lage, mit anderen Intendanten Bündnis-se in der ARD zu schmieden, die auch im Interesse des MDR sind. Das ist eine Grundvor-aussetzung, um den MDR zu-kunftsfähig zu gestalten.Doch was, wenn der MDR dem

Machterhalt der Regierungen dienen soll? Schließlich er-reicht der MDR-Hörfunk über die Hälfte der Bevölkerung, dass MDR Fernsehen mehr als ein Fünftel. Eine entsprechen-de Berichterstattung kann dafür sorgen, dass sich die Waage der wahlentscheiden-den Mehrheiten auf der Re-gierungsseite neigt. Das kann nur ein Regierungskandidat mit entsprechender Personal-politik garantieren. Vor 8 Jahren wurde erstmals eine Frau als Intendantin ge-wählt. Wird nun, nach 20 Jah-ren Einheit, erstmalig ein Ost-deutscher Intendant? Das entscheidet der Rundfunkrat am 26. September. Heiko Hilker

Aktuelle Informationen zum Personal- und Sachstand im-mer im Medienblog unter www.dimbb.de

MDR-Intendant: Forderungen und Anforderungen

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Seite 6Links! 7-8/2011 Hintergrund

Antisemitismus und Israelkritik. Das Konzept der GrauzoneDie aktuelle mediale Debatte, scheinbar wissenschaftlich untermauert durch eine bis-her nicht endgültig publizierte Studie, schien eines deutlich gemacht zu haben: Die LINKE hat ein Problem mit Antisemi-tismus. Nach den öffentlichenStellungnahmen einiger Po-litikerinnen und Politiker aus dem Reformer-Flügel und ins-besondere nachdem die Frak-tion in einer Erklärung gegen Antisemitismus beschlossen hatte, sich nicht wieder an der Gaza-Flottille zu beteiligen und keine Aktionen zu unter-stützen, die israelische Pro-dukte boykottieren oder sich für eine Einstaatenlösung in Palästina/Israel einsetzen, schien dies auch parteioffizi-ell bestätigt. Umso heftiger war jedoch die Gegenwehr, beispielsweise in der »Jungen Welt« und von Seiten eher tra-ditionslinker Gruppierungen und Personen innerhalb der Partei. Dort wurde der Anti-semitismusvorwurf als bloßes Kampfmittel zurückgewiesen. Beide Pole in dieser Diskus-sion sind so hochgradig ideo-logisiert (und bestimmen da-mit leider auch die Dynamik der Auseinandersetzung), dass sie das Wesen des Pro-blems nicht erfassen, obwohl es doch dringend einer dies-bezüglichen kritischen Selbst-reflexion bedürfte. Denn wäh-rend klar ist, dass der in den Mainstreammedien und in der Studie von Salzborn/Voigt aufgebrachte Vorwurf eines antizionistisch-antise-mitischen Konsenses in der Linken wegen klar anderslau-tender Beschlüsse, hochgra-dig differierender Meinungen und einem latent schon länger geführten konflikthaften Dis-kurs um die Thematik so nicht haltbar ist, rührt er doch an ei-nen rationalen Kern. Um die-sen zu verstehen, muss man sich zunächst bewusst ma-chen, dass Antisemitismus weit mehr sein kann als ex-plizite negative Einstellungen zu und Vorurteile gegenüber Jüdinnen und Juden. Dieses Problem spielt unter Linksak-tiven ohnehin bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Ebenso ist der stalinistische Versuch, »jüdisch-zionistische Ver-schwörungen« für Probleme des Sozialismus verantwort-lich zu machen, heute von vor-rangig historischem Interesse – als ein trauriger Bestandteil des linken Erbes. Antisemitis-mus, und hier stellt sich das Problem für die Linke, kann

aber auch als individuell nicht intendierte Struktur auf der Bedeutungsebene des gesell-schaftlichen Diskurses ent-stehen. Dabei gibt es gerade im Kontext der Israelkritik kei-ne einfachen Kriterien, die be-stimmte Ideen, Einstellungen oder Handlungen als eindeutig antisemitisch oder nicht klas-sifizieren, sondern es hängt vom jeweiligen Äußerungs- und Rezeptionskontext ab, ob die entsprechenden Dinge an-schlussfähig an den Antisemi-tismus sind. Mit dem Begriff der Anschlussfähigkeit wird auf die Mehrdeutigkeit vie-ler Positionen im Themenfeld hingewiesen, bei denen In-tentionen, manifester Aussa-gegehalt und Rezeptionswei-sen weit auseinanderklaffen können und eine sehr breite Grauzone bilden. Anstatt An-tisemitismusvorwürfe inflatio-när zu verbreiten oder als blo-ße Unterstellung abzuwehren, gilt es, eine Sensibilität für die jeweiligen Kontexte zu entwi-ckeln, ein Gespür dafür, als was eigenes Tun und Lassen jeweils gedeutet werden kann. Die Problematik stellt sich für Linke hauptsächlich in der Nahostdiskussion. Das wich-tigste Einfallstor für antisemi-tische Anschlüsse ist eine in der Palästinasolidarität grün-dende Israelkritik, die in einer zugespitzten Freund-Feind- Logik Augenmaß, Distanz und damit letztlich auch den

Menschenrechtsuniversalisti-schen Anspruch der allgemei-nen Emanzipation aufgibt. Verschiedene bisher aufge-stellte Kriterien können bei der Sensibilisierung hilfreich sein, auch wenn sie keine ein-deutigen Antworten zu ver-mitteln in der Lage sind. Pa-lästinasolidarische Menschen sollten sich folgende Fragenstellen und möglichst mit »ja« beantworten: Werden an Isra-el die gleichen Kriterien wie an andere Länder/ Konflikte an-gelegt? Werden die legitimen Interessen aller beteiligten Menschen, auch der Israelis, mit bedacht? Wird eine Gleich-setzung Israels mit dem Nati-onalsozialismus vermieden? Wird die besondere Bedeu-tung der Shoa und des Anti-semitismus als ein Grund (un-ter anderen!) der Entstehung Israels anerkannt? Ist man in der Lage, die Konfliktparteien nicht nur als homogene Blö-cke zu sehen, sondern auch ihre innere Widersprüchlich-keit wahrzunehmen und auch die unterstützte Konfliktpartei in verschiedenen Punkten zu kritisieren?Schließt man Bündnisse mit rassistischen und antisemiti-schen Kräften aus? Werden keine antisemitischen Stereo-type verwendet? Werden nicht fälschlich Jüdinnen und Juden für die israelische Politik ver-antwortlich gemacht oder An-tisemitismus mit der israeli-

schen Politik rationalisiert? Letzteres ist das wohl klars-te Indiz für eine rassistische antisemitische Position. Die Schwierigkeit des Agierens in der Grauzone sei abschlie-ßend kurz an der Forderung nach dem Boykott israelischer Produkte erörtert. Diese ist definitiv nicht an sich antise-mitisch, sie hat keinen kon-textfreien Wesenskern. Ange-sichts der klaren Völker- und Menschenrechtsbrüche, den die Aufrechterhaltung und an-dauernde Vertiefung der Be-satzung darstellt, gehört sie zum zu erwägenden strate-gischen Repertoire einer Be-wegung gegen die Besatzung, und insbesondere dann, wenn sie sich gegen Waren aus den komplett illegalen und illegiti-men Siedlungen richtet. Und doch, wer wollte Dieter Grau-mann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden wider-sprechen, wenn er zum The-ma Boykott (und gerade in Deutschland) sagt: »Man mö-ge uns Juden verzeihen, dass wir manchmal eine schmerzli-che, 70 Jahre alte Erinnerung haben«. Man könnte dies viel-leicht als »Befindlichkeit« ab-tun, da es beim Boykott ja um Israel und nicht um die Jüdin-nen und Juden als solche geht. Vielleicht ginge das, wenn es in Deutschland keinen Antise-mitismus gäbe (aber es gibt eine weite Verbreitung in der gesamten Gesellschaft vom

rechten Rand bis in die Mitte und auch links) und wenn es in allen politischen Lagern wirk-lich die immer geforderte kla-re Trennung zwischen Israel und dem Judentum gäbe. Doch solange es ein weit ver-breitetes Verständnis dafür gibt, dass man wegen der isra-elischen Politik Jüdinnen und Juden »unsympathisch« findet (auch das zeigen Meinungs-umfragen immer wieder), muss man das klar ablehnen. Und diejenigen, die glauben, sich angesichts des schreckli-chen palästinensischen Leids einfach über solche jüdische »Befindlichkeiten« hinwegset-zen zu können, jene, die un-beschwert boykottieren oder sich mit offen antisemitischen Kräften verbrüdern (auch da-für gibt es leider viele Beispie-le in der Linken), sind in der Grauzone unterwegs nach rechts.Peter Ullrich

Dr. Peter Ullrich ist Soziologe und lebt in Berlin.2007 veröffentlichte er »Be-grenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung undihr schwieriges Verhältnis zuJudentum und Nahostkonflikt«(Berlin, AphorismA-Verlag). Er promovierte 2008 zum Thema»Die Linke, Israel und Palästi-na. Nahostdiskurse in Groß-britannien und Deutschland« (Berlin, Dietz).

Zeltlager im Gazastreifen. Die kleine Stück Land am Mittelmeer gilt als Symbol eines Konflikts mit komplexen Ursachen, der auch von der deut-schen Linken differenziert, sachlich und ohne Ideologisierungen und Diffamierungen diskutiert werden muss.

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Polizeistaat in Aktion

Zum Thema plura-le und pluralistische

partei diskutieren Ralf Becker und Hans-Ge-org Trost auf Seite 6. Dr. Cornelia Ernst

schreibt zur Verant-wortung Europas für die Flüchtlinge auf Lampedusa auf Sei-te 11.Katja Kipping stellt auf Seite 14 das mo-dell der sogenannten »Kulturloge« vor.

Und Volker Külow, der Vorsitzende der Leip-ziger LINKEN berich-tet über einen kon-kreten ökologischen Umbau, die Installati-on von Solarzellen auf dem Liebknecht-Haus auf Seite 9.

ProgrammdebatteBeiträge zur Programmdebatte.

SachsensLinke

Juli-August 2011

Fortsetzung nächste Seite

Der aktuelle Skandal um die Abhöraktion von kompletten Funkzellen am 19. Februar in Dresden bei der Demo gegen den Aufmarsch der Rechten – wobei sämtliche Personen innerhalb eines Gebietes und innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens belauscht wur-den – hat eine lange Vorge-schichte. Schließlich ist diese Abhöraktion nur ein Bestand-teil der in Sachsen bevor-zugten Rasterfahndung – die Polizei erfüllt dank Personal-mangel nicht mehr ihre eigent-lichen Aufgaben und sucht Tä-ter oder ermittelt gezielt auf der Basis von Spuren sondern sie rastert zunehmend. Egal was passiert: Ob eine Frau ihr Baby tötet oder ein Kind verge-waltigt wird: Stets ist es »das Mittel der Wahl« der Polizei in Sachsen die Gesamtbevölke-rung eines Gebietes unter Ge-neralverdacht zu stellen. Mal sollen alle Frauen im Alter von 18 bis 30 in einem Kreisgebiet zur DNA-Analyse, ein anderes Mal sind alle Männer im Alter von 25 bis 49 in bestimmten

Dresdner Stadtteilen aufge-fordert ihre DNA abzugeben. Am liebsten würde das Innen-ministerium das isländische Modell auf die sächsische Be-völkerung übertragen, glaubt man. Dort wurden sämtliche Einwohner genetisch in ei-ner Datenbank erfasst – das sind die heimlichen Träume al-ler Verfassungsschützer, Ge-heimdienste und polizeilicher Terror-Bekämpfer. Die Bevöl-kerung unter Generalverdacht zu stellen aber bedeutet, dass der Staat mit undemokrati-schen Mitteln sein Volk kon-trolliert. Mit versteckten wie offenen Kameras und Mikro-fonen, Email, SMS und Ge-sprächsüberwachung. Nie wurde in Sachsen so viel und so intensiv überwacht wie heute – allein die Kameradich-te in den Innenstädten lassen jede Sächsin und jeden Sach-sen zu Hauptdarstellern in Überwachungsfilmen wider Willen werden, in einem Aus-maße wie nie zuvor.Mit ihrer Überwachung am 19. Februar »checkte« die Polizei

nicht nur Rechte und Linke flä-chendeckend in bestimmten Arealen der Dresdner Innen-stadt sondern natürlich auch alle Bürger, die »unschuldig« in ihren Wohnungen saßen. Touristen aus China, Russland und den USA, die über die Pra-ger Straße schlenderten, Be-sucher aus Bayern oder Ham-burg, die nur mal Elbflorenz besuchen wollten und solche Leute wie mich, die für ihren youtube-Kanal (TheEastfreak) eine Bild-Ton-Dokumentati-on erstellten, mitdemonstrie-ren und Konstantin Wecker hören wollten. Ich stand mal in der Nähe von Klaus Ernst, dann wieder neben Clau-dia Roth – auch diese »Pro-mis« und ihre Eskorte wurde mit überwacht. Dabei waren auch Katja Kipping, Cornelia Ernst, die Genossen Porsch und Hahn. Bislang mussten al-le diese Personen noch nicht ihre DNA abgeben, immerhin kam nun jede/r schon mal in den »Genuss der Rasterfahn-dung«. Ich finde, es sollte al-len Personen, die sich am 19.

Februar in dem Gebiet aufge-halten haben das Recht ein-gräumt werden, Einsicht zu bekommen in ihren von der Polizei dokumentierten sms-Verkehr und die aufgezeich-neten Gespräche (Ich selbst habe mindestens 20 SMS ver-schickt.) - und alle Überwach-ten sollten Strafanzeige gegen das Innenministerium stellen können. Da die Personen in der Innenstadt ihre SMS in Ge-genden schickten, die hunder-te bis tausende Kilometer ent-fernt waren, erlaubt sich das sächische Innenministerium übrigens gleich noch die Bür-ger anderer Bundesländer und des nahen wie fernen Auslan-des gleich mit zu überwachen. Was werden eigentlich die chinesischen Gäste über den sächsischen Polizeistaat sa-gen? »Pekinger Polizei-Präsi-dent als Bauernopfer«, hätten deutsche Blätter gehetzt, wä-re in der chinesischen Haupt-stadt unter solchen Umstän-den nur der Polizei-Präsident »versetzt« worden ...Ralf Richter

Auf dem Kleinen Parteitag der sächsischen LINKEN in Dres-den diskutierten wir den Ent-wurf der kulturpolitischen Leitlinien, die uns von dem Landesweiten Zusammen-schluss Kultur vorgelegt wur-den. Bereits in der Präambel des kulturpolitischen Papiers heißt es: »Kultur ist ebenso wie ihr Pen-dant die Bildung für die sächsi-sche LINKE nicht nur die Ange-legenheit eines abgegrenzten Ressorts, sondern als Quer-schnittsaufgabe gemeinsames Anliegen vieler Ressorts. Be-wusst betrachten wir Kulturpo-litik in Verbindung mit sozialen Fragen als Gesellschaftspolitik zur weiteren Ausgestaltung ei-nes demokratischen Gemein-wesens. Die Akzente, die wir dabei setzen, ergeben sich aus unserem grundsätzlichen Ein-treten für eine sozial gerechte-re, demokratische und friedli-che Welt.« Die Relevanz der Thematik Kul-tur ergibt sich für die sächsi-sche LINKE zum einen aus der Erkenntnis, dass die Sachsen ein kulturliebendes Volk sind, was vor allem auf das Land und die Kulturvielfalt stolz ist. Zum anderen ist es aber auch für die innerparteiliche Kultur der sächsischen LINKEN von

Wir müssen Kultur vor allem als Kommuni-kation verstehen

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Seite 2Sachsens Linke! 7-8/2011

Meinungen Glossiert

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01127 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17.650 Exp. ge-druckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Ant-je Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teich-mann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioInternet unter www.sachsens-linke.de

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 2.7.2011.Die nächste Ausgabe er-scheint am 1.9 2011.

Von Stahis SoudiasMichael Pivec per Email

Meiner Meinung nach laufen in diesem Land einige Räder gewaltig im Dreck.Dabei will ich mich nicht mal auf die aktuellen Themen wie Atomausstieg beziehen.Eine meiner Ideen bezieht sich auf den steigenden Lastenver-kehr. Wieso baut man nicht landesweit, an entsprechend günstigen Standorten RoLa-Terminals auf? Man müßte die LKW-Maut entsprechend er-höhen und für lange Transport-strecken wirtschaftlich un-attraktiv machen. Das hätte meiner Meinung nach ein paar Vorteile. 1. weniger Güterver-kehr auf der Strasse/Autobahn und dem entsprechend weni-ger Belastung der Strassen, 2. ich bin kein Fachmann diesbe-züglich, aber ich vermute, dass dadurch auch die Umweltbe-lastung sinken sollte, 3. könnte man die entsprechenden Kont-rollen sozusagen zentralisieren und LKW s, die sich trotzdem auf die unwirtschaftliche Tour begeben, haben irgendetwas zu verbergen, 4. und das ist ein Punkt, den man nicht unterbe-werten sollte, würde man die Fahrer entlasten. Wie ich schon sagte...ich bin kein Fachmann. Aber ich den-ke, dass diese Punkte die durch weniger LKW-Maut ge-ringeren Einnahmen wett ma-

Rita Kring aus Dresden zu »Der beschleunigte Atom-ausstieg« (Sachsens Lin-ke! 6/2011, S. 1) Der Regierungsbeschluss ist kein schneller Atomausstieg, sondern nur eine Sicherung des Weiterbetriebs vieler Atom-kraftwerke. Der Netzausbau ist nur bei Beibehaltung einer zen-tralen Energieversorgung zu-gunsten der großen Konzerne auf Kosten der Bevölkerung notwendig. Damit bleiben die Abhängigkeiten erhalten. De-mokratie wird wie bei den bis-herigen Großkraftwerken ver-hindert. Das ist anders, wenn Einzelpersonen oder Gruppen gemeinsam entscheiden, wie sie sich am besten mit Ener-gie versorgen. Das können z.B. kleine Photovoltaik-, Solarther-mie-, Windkraft-, Erdwärme- oder Biogasanlagen aus Abfäl-len mit Kraft-Wärme-Kopplung sein. So wird nicht nur Demo-kratie gestärkt, es ist auch kos-tengünstiger. Und Abhängig-keiten werden verringert.

Uwe Schnabel aus Coswig zu »Zensus 2011« (Sach-sens Linke! 6/2011, S. 6) Jemand hat mit meinem Namen auf Kredit eingekauft und nicht gezahlt. Dadurch bekam ich Är-ger mit einem Inkassobüro und der Schufa. Spätestens seitdem bin ich vorsichtig mit der Heraus-gabe meiner Daten. Die zustän-dige Erhebungsstelle konnte mir auch nicht beantworten, wozu Namen und Geburtsdatum be-nötigt werden. Die Adresse wird benötigt, um zusammen mit der Wohnraumzählung herauszube-kommen, wer mit welcher Bil-dung wo wohnt. Ob dies wichtig ist, bezweifle ich. Die ausgefüll-ten Erhebungsbögen werden eingesammelt oder in einen Briefkasten am Rathaus einge-worfen, von dort zur Erhebungs-stelle und dann zur elektroni-schen Erfassung in den Westen transportiert. Die Erhebungs-stellenleiterin konnte mir keine Möglichkeiten nennen, wie sie oder ich kontrollieren können, dass auf diesem Weg oder an-schließend die Daten nicht an-derweitig genutzt werden. Mit meinen offenen Fragen soll ich mich an das statistische Lan-desamt (0800/8099880) wen-den. Außerdem sind die Auswei-se der Erhebungsbeauftragten leicht zu fälschen (http://zen-sus11.de/2011/05/volkszahler-dienstausweise-sicher/). Einige Personen wollen auch die Fra-gen in Prosa beantworten. Da-zu kann http://generator.zen-sus11.de/ genutzt werden. Und Post kann verlorengehen.

Historische WocheZurückblickend wird diese letzte Juni-Woche des Jahres 2011 noch eine wichtige Rol-le spielen. Was ist passiert? Das deutsche Parlament hat mit sehr großer Mehrheit den zweiten, widerruflichen, Atom-ausstieg beschlossen. Zur Er-innerung: Es waren die Abge-ordneten der CDU, der SPD, der FDP und der Bündnis-Grü-nen, im Ganzen 513 Stimmen. Die Abgeordneten der LINKEN haben mit »Nein« gestimmt, acht haben sich enthalten. Fortsetzung folgt.Und, das griechische Parla-ment hat den Forderungen der EU mehrheitlich zugestimmt. Nebenbei gemerkt: Giorgos Papandreou hat viele Gemein-samkeiten mit Herrn Gorbat-schow. Beide haben Missstän-de festgestellt, beide haben mit dem Finger die Wunde be-rührt, beide wollten vieles än-dern, etwas Gutes tun, beide hatten keinen Plan, wie man es besser macht, beide sind ge-scheitert. Griechenland hat etwa 300 Milliarden Euro Schulden. Doch das Land steht nicht alleine da, nein. Hellas hat Freunde, Partner, Verbünde-ten! Und diese wollen helfen. Dies sieht nun so aus:Die Löhne und Gehälter wer-den weiter gekürzt, nunmehr bis etwa 30 Prozent. Die Ren-ten bis 35 Prozent. Die Mehr-wertsteuer wird dagegen drastisch erhöht. Von diesem Geld, was den Bürgerinnen und Bürgern weniger in die Tasche bleibt, soll die Wirt-schaft angekurbelt werden, dadurch das Steueraufkom-men des Staates um 28 Milliar-den erhöht! Und weil das nicht reichen wird, soll Hellas die Flug- und Marinehäfen, Staats-unternehmen und Inseln(!!!) verkaufen. Wie sagte Herr Dr. Ackermann? »Schweren Her-zens« wird er die Filetstücke des griechischen Eigentums unter die Nägel reißen. So viel Altruismus hätte ich einem Banker nicht zugetraut. Egal welches Milchmädchen da rechnet, diese Rechnung wird nicht aufgehen. Griechen-land wird bis zum letzten Pfen-nig ausgequetscht und der deutsche Steuerzahler wird doch die »Ausfälle« der Banken zahlen müssen. Apropos Milchmädchen. Ich muss Peter Porsch widerspre-chen (siehe Mai Ausgabe). Frau Merkel, lieber Herr Pro-fessor, tut nicht so obwohl, sondern weil sie Tochter eines christlichen Geistlichen ist.

Bedeutung. Denn Kultur sollten wir vor al-lem als Kommunikation verste-hen. In diesem Sinne sollte un-ser Anspruch sein, die sozialen und kulturellen Grundlagen ei-ner dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern und auszubauen. Wir wollen eine Politik der Umverteilung – als den sozialen Aspekt – und ei-ne Politik der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen und Identitäten als den kulturellen Aspekt. In und mit Kultur werden ge-sellschaftspolitische Fragen verhandelt, die unser Leben definieren. Eine LINKE, die sich vor allem als eine kultu-relle LINKE versteht, wird sich immer auf ein größeres Gesell-schaftsprojekt einlassen, als allein auf eine bessere Umver-teilung des Reichtums, wie es die Sozialdemokratie macht.Kulturpolitik kann als emanzi-pative Politik verstanden wer-den, in der es darum geht, Freiräume zu gewährleisten und Menschen zu ermutigen. Vor allem in den sozial stabi-len Stadtteilen und Kommu-nen in denen die Menschen Arbeit haben und sozial integ-riert sind, gibt es die meisten eigenen kulturellen Initiativen. Dieses Bild sollte aber auch in schwächeren Regionen in Sachsen zu sehen sein.Letztendlich geht es uns da-rum Veränderungen in den Produktions- und den Lebens-weisen zu schaffen. Denn in einer wissensbasierten Ge-sellschaft, sind Bildung, Kultur und Wissenschaft die Produk-tivkräfte, deren Mobilisierung in größerem Ausmaß als bisher die Entwicklung moderner Ge-sellschaften bestimmen.Unser Papier macht in 16 Punkten deutlich, was Kultur bedeutet. Bildung, Wissen-schaft und Kultur definieren die Sachsen, daher ist es rich-tig einen Kulturlandesentwick-lungsplan zu fordern, genauso wie ausreichende landesweite öffentliche Förderung. Das Pa-pier soll weiter diskutiert wer-den und auch hier möchte ich, dass wir unsere kulturpoliti-schen Leitlinien vor dem Hin-tergrund diskutieren, dass wir uns breiter aufstellen, ohne zu vergessen, dass das Soziale für uns der Markenkern blei-ben muss.

Fortsetzung „Wir müs-sen...“

chen würden.Natürlich sehe ich das nur als groben Rahmen an und es müßte mit dem entsprechen-den Wissen und der nötigen Kompetenz aufgebessert wer-den. Aber als Anregung ist das sicher nicht das Schlechteste.

Die Postkarten können in der Landesgeschäftsstelle bestellt werden, sieher Artikel auf Seite 9

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Seite 3 7-8/2011 Sachsens Linke!

Vom 1. bis 6. Juni 2011 fand in Dresden der 33. Evangeli-sche Kirchentag statt, an dem sich unsere Partei, wie schon in den Vorjahren, sowohl auf dem »Markt der Möglichkei-ten« wie auch auf Diskussions-foren und Podien beteiligte.Unsere Arbeitsgemeinschaft engagierte sich an der Stand-betreuung auf dem »Markt der Möglichkeiten«, den wir im Marktbereich »Bürgerschaftli-ches Engagment« hatten.Die Organisation hatte die Bundesgeschäftsstelle über-nommen, da dies unsere Ka-pazitäten bei weitem überstie-gen hätte.Am 1. Juni fand nach dem Er-öffnungsgottesdienst ein Empfang unserer Bundestags-fraktion gemeinsam mit unse-rer Fraktion im Landtag statt, auf dem zum erstenmal ein Ratsvorsitzender der EKD (Ni-kolaus Schneider) anwesend war.Das zeigt, das unsere Par-tei zunehmend auch als Ge-

sprächspartner der Kirchen ernst genommen wird. Haupt-redner waren hier Gregor Gysi und André Hahn.Auf dem »Markt der Möglich-keiten« waren neben Bundes-tagsabgeordneten (Raju Shar-ma, Christine Buchholz), auch Bodo Ramelow und viele Mit-glieder unserer sächsischen Landtagsfraktion vertreten, denen namens unserer Ar-beitsgemeinschaft ausdrück-lich für ihr Engagment gedankt wird.Die Gespräche mit den meis-ten Besuchern waren offen, viel Neugier und Interesse, einige der Interessenten ent-puppten sich dann als Genos-sinnen und Genossen aus den alten Bundesländern, die häu-fig in Kirchenvorständen sit-zen.Die »ewig Wendebewegten«, die ihren ganzen »DDR–Frust« loswerden und Lernprozes-se bei den LINKEN nicht zur Kenntnis nehmen wollten, wa-ren eine absolut verschwin-

dende Minderheit.An dieser Stelle allen Beteilig-ten aller Ebenen, die zum Ge-lingen beitrugen, ein herzli-ches Dankeschön.Unsere Arbeitsgemeinschaft trifft sich am Samstag, den 6. August 2011 um 11.00 Uhr in

Wartha (bei Guttau nahe Baut-zen) zu einer Wanderung vor dem Zentrum des Biosphä-renreservats. Neue Gesichter sind herzlich willkommen.Unter dem Motto: »Ein Sozia-list kann Christ sein, ein Christ muss Sozialist sein« gibt es in

den nächsten Jahren für unse-re AG noch jede Menge Arbeit.Kontakt:Matthias Gruber [email protected] Janik: [email protected]

Kirchentag 2011 – Die AG Religion war dabei

Die neue Qualität am sächsischen ArbeitsmarktUnser genialer Wirtschaftsmi-nister Morlok hat die Eiersche-cke als neue Wunderwaffe für den sächsischen Arbeitsmarkt erfunden. Vielleicht träumt er ja davon, die 219.000 nach wie arbeitslosen Sächsinnen und Sachsen zu Eierscheckebä-ckern umzuschulen, damit sie dann als Ich –AG, Minijobber oder als Leiharbeiter für einen Hungerlohn die Fachkräfte von der A 72 locken können. Denn sie werden sich sicher freu-en, dass sie dann im blühen-den Sachsen arbeiten können – allerdings für 10 bis 20 Pro-zent weniger Lohn als in Bayern oder Baden-Württemberg. Festzuhalten ist, dass von den offiziell knapp unter 3 Millio-nen Arbeitslosen - die tatsäch-liche Zahl liegt noch weit darü-ber - immer noch jeder fünfte aus dem mitteldeutschen Wirtschaftraum kommt -dabei 219.000 aus Sachsen, 99.000 aus Thüringen und 134.000 aus Sachsen-Anhalt. Und es ist auch richtig, dass sich die Nach-frage nach Arbeitskräften mit der Erholung im Konjunkturzyk-lus verbessert. Allerdings wer-den dabei auch die Versäum-nisse der Arbeitsmarktpolitik von Bund und Land deutlich.

Sowohl Unternehmer als auch Verantwortliche in den Arbeits-agenturen klagen immer mehr darüber, dass für eine ganze Reihe von offenen Stellen kei-ne geeigneten Bewerber zu finden sind. Die Unter-nehmen haben sich zu lange auf eine von der sächsi-schen Staats-r eg ie r ung m i t p r o -pagier te Niedrig-l o h n -strate-g i e

fest-gelegt und au-ß e r d e m zu wenig in Quali-f i z ie rung und nach-haltige Perso-nalentwicklung in-vestiert. Auf der Seite der Arbeitsverwaltung lag der Fokus immer auf der kurz-fristigen Vermittlung, und sei es in noch so schlechte und prekäre Beschäftigung. Eine längerfristige und an den Zu-kunftsmärkten ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik, mit ent-

sprechenden Umschulungen und qualitativ hochwertigen Anpassungsmaßnahmen, ist lange Zeit kein Schwerpunkt gewesen.

D a s

f ü h r t jetzt zu struk-turellen Verwerfungen. Zum einen ist die Langzeitarbeits-losigkeit unverändert hoch; Ar-beitslose, die lange Zeit vom

Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, haben kaum Chancen auf einen akzeptablen Arbeits-platz. Zum anderen gibt es in immer mehr Berufsgruppen - nicht mehr nur bei den Ärzten - einen echten Fachkräfteman-gel. Das hat zur Folge, dass sich der Arbeitsmarkt immer mehr der Form einer Sanduhr nähert. Im oberen Bereich der kurzfris-tigen Arbeitslosigkeit und bei einigen Berufssparten, etwa in der Solarbranche, dem verar-beitenden Gewerbe, aber auch bei Kraftfahrern, Pflegeberufen und Erziehern gibt es eine rela-tiv dynamische Entwicklung,

die den Arbeitnehmern auch mehr Verhand-

lungsmacht in Fragen der Lohnentwicklung

und Arbeitsbedin-gungen beschert. Die übergroße Zahl der Lang-ze i tarbe i t s lo -sen kann davon nicht profitie-ren - und bleibt weiterhin vom

Arbeitsmarkt a u s g e -

schlos -s e n .

D i e

Durch-l ä s s i g -

keit nimmt immer weiter

ab.Ein weiterer Aspekt in der

veränderten Struktur des Ar-beitsmarktes ist die territoria-le Differenziertheit der Arbeits-losigkeit. So liegt in Sachsen

immer noch Leipzig mit 12,3 Prozent an der Spitze der Ar-beitslosigkeit, Annaberg-Buch-holz hingegen hat nur 8,9 Pro-zent. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Thüringen und Sachsen-Anhalt.Die Diskussion um den Fach-kräftemangel - wenn man sie überhaupt so führen will, denn noch steigen die Löhne nicht in dem Maße, wie es bei einem echten Mangel sein müsste - ist eher aus einer anderen Per-spektive zu sehen. Seit Mitte der 90er Jahre – mit ihren ext-rem geburtenschwachen Jahr-gängen - war absehbar, dass Sachsen und die mitteldeut-sche Wirtschaftsregion ein-mal vor dem Fachkräfteprob-lem stehen würden. Die Zahl der sozialversicherungspflich-tig Beschäftigten liegt relativ konstant bei um die 1,4 Milli-onen; die Abgangszahlen aus den Schulen gehen allerdings stark zurück. Allein in meinem Heimatort Taucha haben in die-sem Jahr 34 Schülerinnen und Schüler das Abitur abgelegt - in anderen Jahren gab es bis zu 120 Absolventen. Somit ist für Sachsen damit zu rechnen, dass etwa ab 2014/15 mehr Ar-beitskräfte regulär aus dem Ar-beitsprozess ausscheiden wer-den, als neu aus der Ausbildung in den Arbeitsprozess einmün-den. Dabei ist allerdings noch nicht berücksichtigt, dass sich auch weiterhin einige der jun-gen Menschen in der Hoffnung auf besser bezahlte und an-spruchsvollere Arbeitsplätze auf den Weg machen und dabei wohl lieber beim Wegfahren als beim Zurückkommen in die le-ckere Eierschecke á la Morlok beißen werden. Thomas Kind

Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel

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DIE LINKE lernt: »Marx is muss«Debatte

Im Programmentwurf bezeich-net sich die LINKE selbst als lernende Partei. Hoffnungs-voll ist auch die Schaffung ei-nes Bereiches politische Bil-dung beim Parteivorstand im vergangenen Jahr, der inzwi-schen schon sehr aktiv diverse Weiterbildungsveranstaltun-gen zum Programmentwurf, wie zu grundlegenden Themen linker Politik veranstaltete. Dem »Lern-Image« entgegen stehen Praktiken der gegen-seitigen Demontage von »füh-renden Genossen« (ja, masku-lin v. a.), wie sie erst jüngst im Mai durch PV-Beschluss be-endet werden mussten. Ob das die Lernfähigkeit bei man-chen »führenden Genossen« anregt, bleibt abzuwarten. Was ist zu lernen? Vor allem wohl muss erst einmal in einer von ihren Quellen her tatsäch-lich pluralen (!, nicht pluralisti-schen) Partei das Anerkennen und Akzeptieren verschiede-ner Sichtweisen, Herange-hensweisen und auch nach Mehrheitsbeschluss bleiben-der Differenzen gelernt wer-

den. Demokratischer Umgang mit Meinungsminderheiten muss gelernt werden. De-mokratie ist eben nicht - wie Lafontaine immer mal wie-der verkürzt sagt, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das wäre nur Diktatur der Mehrheit. De-mokratie ist erst dort, wo die Mehrheitsinteressen sich nur soweit durchsetzen, als sie le-gitime Minderheitsinteressen nicht beschädigen - Minder-heitenschutz. Das kann man schon bei Montesquieu fin-den, der ist mehr als 250 Jah-re tot. Ja, DIE LINKE hat viel zu lernen - erst einmal für ihre ei-gene innere demokratische Verfasstheit.Und sie lernt auch, wenn es auch in ihrer offiziellen Politik und ihrem Erscheinungsbild gegenwärtig nicht so wahr-nehmbar ist: In den o. g. Ver-anstaltungen des Bereiches politische Bildung kommen (v. a. ehrenamtlich) in den Ge-bietsverbänden tätige Mitglie-der zusammen aus dem gan-zen Bundesgebiet. Sie lernen

einander kennen und schätzen (!), in ihren jeweils anderen Er-fahrungen mit der Parteiarbeit als Bereicherung empfinden. Und natürlich eignen sie sich gemeinsam auch neues Wis-sen an. Es gibt auch andere Bildungsveranstaltungen von der parteinahen Stiftung und dem Kommunalpolitischen Forum, letzteres bemüht sich sehr um die Bildung der linken Kommunalpolitiker. Doch hier könnte die Nutzung solcher Angebote durchaus systema-tischer und breiter sein. Dann gibt es inhaltlich arbeitende Zusammenschlüsse der LIN-KEN und in der gesellschaftli-chen »Linken«. Beispielsweise ist die regelmäßige Sommer-akademie der Sozialistischen Linken eine gut besuchte Wei-terbildungsveranstaltung, de-ren gegenseitig respektvolle Kultur im wohltuenden Gegen-satz zu den o. g. jüngsten Ent-gleisungen einiger »führender Genossen« steht. Das Netz-werk Marx 21 veranstaltet seit Jahren eine Konferenz na-mens »Marx is muss« mit dau-

erhaft gutem und steigendem Interesse. Referenten und Ge-sprächspartner kommen aus allen pluralen Richtungen der LINKEN. So war Gregor Gysi 2009 schon da, verschiedene andere Mitglieder der Bundes-tagsfraktion und von Land-tagsfraktionen der LINKEN, Professoren - emeritierte und aktive - sowieso. Aber wichtig ist, dass hier viele junge, links orientierte Menschen einan-der Wissen vermitteln, sich mit hoher Kultur zuhören und dennoch scharf in der Sache kritisieren. Die Älteren sind eindeutig Minderheit, aber der Dialog der Generationen funk-tioniert beidseitig weitgehend herrschaftsfrei. Das wünschte man den o. g. Veranstaltungen mehr. Die diesjährige »Marx is muss« - Konferenz am ers-ten Juniwochenende bot wie-der mehr als 60 Seminare und Podiumsdebatten zu his-torischen, aktuell politischen und wissenschaftlich-theo-retischen Themen. Ein Höhe-punkt war ohne Zweifel die Debatte mit O. Lafontaine, der

den »Green New Deal« als Mo-gelpackung entlarvte und den Atomausstieg ins Grundge-setz haben will. Oskar machte auch den historischen Libera-lismus als Quelle des Sozialis-mus aus. Das wird noch Stoff zum Nachdenken geben. Er widerlegte auch den Trotz-kismus-Vorwurf gegen das Netzwerk 21 (Berliner Ver-fassungsschutzbericht), denn mit den bekannten Kriterien wären auch der gegenwärti-ge SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der Verfassungs-schutz selber trotzkistisch (Entrismus) tätig.Als Teilnehmer solcher Veran-staltungen - fügt man die Som-merakademie von attac noch hinzu - möchte man sie »füh-renden Genossen« zur Pflicht-weiterbildung erklären, damit diese politische Kultur und Pluralität neu und anders ler-nen. Das Andere kennen, re-spektieren, mitdenken, nicht in jedem Falle akzeptieren - so kann aus Pluralität vielleicht doch noch Strategie werden.Ralf Becker

Zum Problem Pluralismus in der LINKENGegenstand des Pluralis-mus und seine Grenzen

Bereits im 2003 beschlosse-nen Programm der PDS heißt es: »In der PDS wirken unter-schiedliche linke demokrati-sche Kräfte zusammen. In ihr haben sowohl Menschen ei-nen Platz, die der kapitalis-tischen Gesellschaft Wider-stand entgegensetzen und die gegebenen Verhältnisse fun-damental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand da-mit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu ver-ändern und schrittweise zu überwinden. Unser Eintreten für den demokratischen Sozi-alismus ist an keine bestimm-te Weltanschauung, Ideologie oder Religion gebunden.«Niemann meint, dass in »den seit der Vereinigung mit der WASG verbindlich geltenden Programmatischen Eckpunk-ten der plurale Charakter ei-nerseits erweitert und zu-gleich eingeschränkt (wird). »Wir wollen unterschiedliche Auffassungen zur Analyse, Politik, Weltanschauung und Strategie, zu Widersprüchen und Gemeinsamkeiten pro-duktiv aufgreifen und sie als Stärke der neuen Partei entwi-ckeln. Die neue Partei ist plu-ral, wie DIE LINKE plural ist.« In diesem Pluralitätsverständnis vereinige DIE LINKE alles, was ‚demokratisch und sozial, fe-ministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und

tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konse-quente Friedenspolitik verfol-gend’ sei.«Damit ist auch ausgespro-chen, dass Pluralismus nicht jede beliebige Auffassung in der Partei zulässt. Beispiele für seinen Rahmen stehen im vorigen Satz. Alle in der Par-tei vertretenen Auffassungen müssen dem beschlossenen Programm und der Satzung entsprechen.Zugleich ist damit Pluralismus in der Partei eindeutig gegen Positionen abgegrenzt, die dem Programm und der Sat-zung widersprechen.Das heißt zugleich auch: Plu-ralismus heißt auf keine Weise Beliebigkeit in den Auffassun-

gen oder Ansichten der Mit-glieder der Partei – bei aller Verschiedenartigkeit im De-tail – sondern Übereinstim-mung im Grundsätzlichen.

Pluralismus und Strömun-gen in der Partei und ihr Umgang miteinanderEin äußerer Ausdruck des Plu-ralismus, eine organisatori-sche Konsequenz des Plu-ralismus in der Partei ist die Existenz von Strömungen, Plattformen oder Zusammen-schlüssen, wie sie nach der Satzung der LINKEN möglich sind und auch praktiziert wer-den. In der Satzung heißt es da-zu unter §7: »Innerparteiliche Zusammenschlüsse können

durch die Mitglieder frei ge-bildet werden. Sie sind keine Gliederungen der Partei ... Zu-sammenschlüsse bestimmen selbständig den politischen und organisatorischen Beitrag, den sie zur Politik der Partei ... leisten. Sie sind entsprechend ihren Schwerpunktthemen aktiv in die Arbeit von Partei-vorstand, Kommissionen und Arbeitsgremien aller Ebenen einzubeziehen ...« Damit wird zugleich deutlich, dass solche innerparteilichen Zusammen-schlüsse zur Politik der Partei beitragen und sie dem Anlie-gen der Partei als Ganzes ver-pflichtet sind. Darum heißt es in der Satzung § 7 (8) auch: »Zusammenschlüsse, die in ihrem Selbstverständnis, in

ihren Beschlüssen oder in ih-rem politischen Wirken erheb-lich und fortgesetzt gegen die Grundsätze des Programms, der Satzung oder Grundsatz-beschlüsse der Partei versto-ßen, können ... aufgelöst wer-den.« Das unterstreicht die oben grundsätzlich bereits be-tonte These aus organisatori-scher Sicht, dass Pluralismus nicht zu Beliebigkeit in der Par-tei führen kann und darf.Beispiele für bundesweite Zu-sammenschlüsse sind die AG Betrieb und Gewerkschaft, das Forum demokratischer Sozialismus, Geraer Dialog, Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE, Sozialis-tische Linke sowie etwa weite-re 20 Zusammenschlüsse. Dabei sei angemerkt, dass sich nur ein geringer Teil der Mitglieder der LINKEN in Strö-mungen organisiert hat. Strö-mungen dürfen sich nicht zu Parteien in der Partei entwi-ckeln. Für sie gilt auch, was über Grenzen oder Haltelini-en des Pluralismus ausgeführt worden ist.Entscheidend ist für die Partei als Ganzes die Fähigkeit zu und das Praktizieren von Toleranz, verschiedene Ansichten im Rahmen des Programms nicht nur auszuhalten, sondern viel-mehr produktiv für die Politik der Partei zu machen. Insofern bietet Pluralismus eine Chan-ce für die Entwicklung der Par-tei.Hans-Georg Trost

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Geschichtsrevisionismus in Zittau auf dem Vormarsch

Wie wäre es mit einer sol-chen Zeitreise in das Jahr 1989/1990? Wer weiß denn heut noch so genau, wie alles angefangen hat mit der Partei DIE LINKE in Sachsen?Wer kennt ihre Vorgänger-parteien, wer kennt die Ma-cher der ersten Stunden? Wer weiß, was damals an »Runden Tischen« ausgehandelt wur-de? Wie sind die Ideen dieser Jahre umgesetzt worden in der Politik?Genau darum lohnt es sich, ein historisches Archiv zu be-treiben, und einer der Macher der ersten Stunde für den Aufbau des Archivs des Lan-desvorstandes Sachsen war Manfred Seifert, der genau

wusste, dass diese Fragen zukünftig gestellt werden. Er begann unverzüglich mit der Arbeit und sammelte die wich-tigsten Dokumente.Im Landesparteiarchiv befin-den sich Akten, die vor allem schriftliche Zeitzeugen sind. Es sind Informationsträger, die vergangene Arbeit der Mit-glieder der Bezirksvorstände Dresden, Leipzig und Chem-nitz widerspiegeln, die alle Schwierigkeiten und Proble-me beinhalten, mit denen die Genossinnen und Genossen damals zu kämpfen hatten.Bis zum 1. Landesparteitag im Juli 1990 ist allerhand pas-siert, und wer es wissen will, findet alle Ereignisse im Ar-

chivgut dokumentiert.Das Archiv ist im Rahmen der Archivlandschaft im Frei-staat Sachsen als »Freies Ar-chiv« einzuordnen. Freie Ar-chive haben gegenüber den etablierten staatlichen Archi-ven eine sehr wichtige Aufga-be. Sie dokumentieren mit ih-rem Archivgut kritische bzw. distanzierte Haltungen zum Staat. Ohne die Materialien dieser Archive wäre die Ge-schichte der Bewegungen nur aus den Akten der Justiz, der Polizei und anderer Herr-schaftsinstitutionen zu rekon-struieren. Das Parteiarchiv, dessen Ge-samtbestand Dokumente des Zeitraumes 1989 bis 2005

umfasst, reflektiert die spe-zifische Sicht der LINKEN auf gesellschaftliche Entwick-lungsprozesse. Das ist aus historischer Sicht sehr be-deutsam. Das Parteiarchiv bewahrt je-ne Dokumente, die kollektives Handeln positiv vergewissern und das kollektive Gedächtnis der neuen Partei darstellen. Es hat die wichtige Funktion, die Partei vor Verdrängung und kollektivem Vergessen sowie vor Ausblendung unan-genehmer Teile der eigenen Geschichte zu bewahren.Dass sich DIE LINKE. Sachsen zu ihrem Archiv positioniert und sich damit zu ihrer eige-nen Vergangenheit bekennt,

ist die wichtigste Aufgabe, die im Rahmen der Sicherung der Überlieferungen jetzt erfor-derlich ist. Ein Beschluss des Landesvorstandes, der die Position des Gremiums zum Archiv deutlich macht und den Erhalt des Archivs fest-legt, ist überfällig.Historische Zeugnisse ge-hen verloren, wenn diese Entscheidung noch länger verzögert wird. Um Schadens-begrenzung wird sich jetzt schon bemüht, denn viele Do-kumente wurden bereits un-gesehen vernichtet, sie sind schon jetzt nicht mehr be-schaffbar.Marina Brandt, Diplomarchivarin

»Am 8. Mai 2011 eröffnet die Aktion gegen das Vergessen ei-ne Bildungs- und Begegnungs-stätte im derzeitigen Dreilän-dereck BRD-Polen-Tschechien mit einer öffentlich zugängli-chen Dauerausstellung über Vertriebenenverbrechen an Deutschen«, so die Ankündi-gung von Jürgen Hösl-Daum in seinem Januarheft »Vergiß-meinnicht«. Neben der Ausstellung sol-len nach seinen Angaben ebenfalls eine Bibliothek im Haus des »Nationalen Jugend Blocks Zittau« in der Äußeren Oybiner Straße 4b eingerich-tet werden. Nicht zufällig wählt Hösl-Daum als Eröffnungstag den 66. Jah-restag der Befreiung vom Na-tionalsozialismus. Damit er-hofft er sich Aufmerksamkeit, die ihm und der »Aktion ge-gen das Vergessen« seit 2004 nicht mehr zu Teil wurde. Vor dem jetzigen Versuch, Auf-merksamkeit zu bekommen, versuchte er es mit der Anmel-dung einer Kundgebung am 19. Februar 2011 in Dresden. Diese stand unter dem Motto »Gedenken an die in Dresden den Bombenangriffen zum Op-fer gefallenen Flüchtlinge aus Ostdeutschland« und fand mit 350 Teilnehmern auf der Bayri-schen Straße statt.Doch was war im Jahr 2004?In der Nacht zum 22. Juli 2004 wurden bei einer Autokontrol-le im polnischen Boleslawiec drei deutsche Männer fest-

genommen, die zuvor in ver-schiedenen polnischen Orten Holzkreuze aufgestellt und re-vanchistische Plakate geklebt hatten. Neben einem Bautzener Neo-nazi zählten die zwei anderen Festgenommenen zur »Pro-minenz« der deutschen Nazi-szene. Beide, Stephan Roth aus Oybin und Jürgen Hösl-Daum, waren und sind lang-jährig Aktive im Spektrum der völkischen und bündischen Neonaziszene. Hös-Daum war damals Bundesvorsitzen-der der Schlesischen Jugend und in Görlitz Stadtrat für die DSU. Stephan Roth ist mitt-lerweile Bundes-«führer« der Jungen Landsmannschaft Ost-deutschland (JLO).Im Herbst 2005 begann der Prozess gegen Hösl-Daum und seine zwei Mitnazis vor dem Landgericht in Jelenia Góra. Sehr schnell wurden die drei zu einer Geldstrafe verurteilt. Es wurde dabei inhaltlich nicht weiter nachgehakt, so dass je-nes Strafmaß durch das reine illegale Anbringen der Plakate zu Stande kam. Jedoch wur-den sie von der Staatsanwalt-schaft wegen Verunglimpfung der Polnischen Nation und Rassenhass angeklagt. Diese Vorwürfe lassen ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren zu.Den Nazis ging es jedoch da-rum, aus dieser Tat einen po-litischen Prozess zu machen, der natürlich auch inhalt-lich durchgenommen werden

musste. So wurde direkt nach der Aktion in Polen und dem nachwirkenden Pressewirbel eine Website angemeldet. In-formationen über den Pro-zessverlauf wurden dann nicht nur auf dieser Homepage dar-geboten, sondern auch auf re-levanten anderen sächsischen und bundesweiten Nazi-Info-portalen. So gingen die Nazis in Revision und der Prozess wurde neu aufgerollt. Dabei spielten jetzt auch Gutachten und Historikeraussagen ei-ne Rolle. Letztendlich wurden

die Nazis im April 2006 zu Be-währungsstrafen von bis zu 10 Monaten verurteilt.Nachdem es unter anderem wegen personeller Querelen zeitweise recht ruhig um Hösl-Daum geworden war, versucht er nun erneut seinen Fuß in der revisionistischen Tür zu haben. Dabei verwundert sei-ne Kooperation mit dem Na-tionalen Jugendblock Zittau nicht. Mit seinem Co-Aktivis-ten Stephan Roth verfügt er über beste Kontakte zum NJB. Und so geht Hösl-Daum gleich

in die Vollen. Mit der Ausstel-lung und Bibliothek will er nichts weniger als einen »eu-ropaweiten Aufschrei provo-zieren«, schreibt er in »Ver-gissmeinnicht«.Davon wird natürlich keine Re-de sein können. Dennoch ist das Projekt geeignet, zur wei-teren Vernetzung und Verste-tigung der Zusammenarbeit zwischen Neonazis der ver-schiedenen Spektren beizu-tragen.Peter Conrady und Jens Thö-richt

Zeitreisen sind keine Illusion – Jeder kann sie unternehmen!

Dresden. 13. Februar 2011

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Am 17. und 18. Juni fand in Leipzig die 3. Gewerkschafts-politische Konferenz der AG Betrieb&Gewerkschaft (B&G) statt. Sie stand vor allem im Zeichen der Ereignisse in Grie-chenland, aber auch von Spa-nien, Portugal oder Irland. Inhaltlich befasst sich die Konferenz mit der Krise, Ex-portüberschüsse, Kürzungs-programme in der BRD und in Europa – wo bleibt die gewerk-schaftliche Alternative? Gäste dieser Konferenz waren u. a. der griechische Genosse Cos-tas Ysichos von Synapismos, der die Lage in Griechenland dramatisch und authentisch darstellte. Es wurden Plaka-te und Aufkleber mit der be-zeichnenden Formulierung »Wir schulden nichts, wie verkaufen nichts, wir zahlen nichts« verteilt. Die internatio-nalen Gäste aus Griechenland und Spanien bekamen in der Diskussion und in den Foren viel Solidarität und Unterstüt-zung der Konferenzteilneh-mer. Costas formulierte in ei-nem seiner Redebeiträge:«Es gibt zwei Deutschlands, dass der Angela Merkel und das Deutschland der Solidarität am heutigen Abend – und das ist mein Deutschland«.Cornelia Falken, stellv. Lan-desvorsitzende und eine der LandessprecherInnen der

AG B&G in Sachsen, eröffne-te die Konferenz am Freitag-abend. Im Anschluss disku-tierten man im Podium mit den GenossInnen aus Spanien und Griechenland gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Eu-robetriebsrates von Hapag-Lloyd und unserer EU-Abge-ordneten Sabine Wils.Am Samstag eröffnete Mike Lätzsch, einer der Bundespre-cher der AG B&G aus Chem-nitz, den zweiten Tag der Kon-ferenz und konnte u. a. als Gast den sächsischen Landes-vorsitzenden Rico Gebhardt begrüßen. Im anschließen-den Plenum konnte Michael Schlecht (gewerkschaftspo-litischer Sprecher des Bun-desvorstandes DIE LINKE) in einem analytischen Vortrag einige Fakten untersetzen. Er beleuchtete die Hintergrün-de und Zusammenhänge der deutschen Exportüberschüs-se (die u. a. durch die Stan-dartsenkungen der Agenda 2010 zustande kommen) und den Verbindlichkeiten der an-deren ins Wanken gerate-nen Staaten. Deutschland sei mit über 4 Prozent Reallohn-senkung in den vergange-nen Jahren eine europäische Ausnahme. In fast allen an-deren Ländern der Union wa-ren Lohnsteigerungen von bis über 20 Prozent zu verzeich-

nen.Am Samstagnachmittag dis-kutierten die Teilnehmer in drei verschiedenen Foren; u. a. über die Durchsetzbar-keit von gewerkschaftlichen Forderungen oder dem po-litischen Streik. Im Forum 1 skizzierte Susi Neumann (�Ich putze Deutschland�) anschau-lich und wohl einmalig den All-tagsdruck als Reinigungskraft und Betriebsrätin. Sie bewies auch, dass mit außergewöhnli-chen Aktionen die KollegInnen zur Gegenwehr zu motivieren

sind. Im Forum 2 wurde das Gesundheits(NICHT)system diskutiert. Im Podium hatte dazu auch Jörg Uksa, Chem-nitzer Genosse und Betriebs-rat des Klinikums Chemnitz, einen Beitrag geleistet. Er zeigte die aktuellen Entwick-lungen und Zusammenhänge der Tarifauseinandersetzung des städtischen Klinikums und den Alltag eines Personal-vertreters in so einer Ausein-andersetzung.Am Nachmittag, nach den Fo-ren, konnte die Parteivorsit-

zende Gesine Lötzsch begrüßt werden. Sie ging u. a. nochmal auf die Krise in Europa ein. Sie berichtete aber auch von der momentanen Verfasstheit der Partei und mahnte zur Ge-schlossenheit. Im Schlusswort bedankte sich Mike Lätzsch vor allem bei den Leipziger GenossInnen, die trotz des Parteitages des Stadtverbandes, die Konferenz personell mit absicherten.Mike Lätzsch, Chemnitz – Bundessprecher der AG Betrieb&Gewerkschaft

»Wir schulden nichts, wir verkaufen nichts, wir zahlen nichts«

Erst vor wenigen Tagen hat der ver.di-Gewerkschaftsrat be-schlossen, die Unterstützung und Mitwirkung an einer ge-meinsamen Initiative von DGB und BDA (Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberver-bände) für eine Einschränkung des Streikrechts und Eingriffe in die Koalitionsfreiheit im Na-men der Tarifeinheit einzustel-len. Im DGB-Bundesvorstand soll auf eine Kehrtwende in diesem Sinne hingewirkt wer-den. Klar scheint zu sein, dass damit diese Initiative geschei-tert ist, bevor überhaupt das Gesetzgebungsverfahren er-öffnet wurde. Das heißt aber nicht, dass damit die Auseinan-dersetzung um die Konkurrenz zwischen DGB-Gewerkschaf-ten und den diversen Fach- oder Spartengewerkschaften an Bedeutung verloren hat.

Viele – auch im Lager der Lin-ken im weitesten Sinne – ha-ben Organisationen wie die Lokführergewerkschaft GdL, die Ärzteorganisation Mar-burger Bund oder die Piloten-vereinigung Cockpit eine po-sitive, weil offensive Rolle im Vergleich zu den großen Bran-chengewerkschaften des DGB eingenommen. Gestützt auf die Schlüsselfunktionen, die ihre Mitglieder in den jeweili-gen Betrieben innehaben, und die Tatsache, dass diese nicht ohne weiteres ersetzt oder ausgetauscht werden können, und auf hohe Organisations-grade und Durchsetzungswil-len ihrer Mitglieder haben sie vergleichsweise bessere Er-gebnisse durch Arbeitskämpfe durchgesetzt. Sie stellten da-bei die spezifischen Interes-sen einzelner Berufsgruppen

über die Solidarität aller Be-schäftigten in den jeweiligen Betrieben. Dass ein wesentli-ches Ziel von Gewerkschaften darin besteht, die Konkurrenz zwischen allen abhängig Be-schäftigten aufzuheben, spiel-te dabei eine keine Rolle.Gefördert wurde diese Ent-wicklung durch die Strate-gie im Arbeitgeberlager und ihrer politischen Vertreter, durch Maßnahmen der Preka-risierung und Flexibilisierung kollektive Rechte der abhän-gig Beschäftigten Schritt für Schritt abzubauen. Die Kam-pagne gegen die DGB-Gewerk-schaften (»die größte pPage in diesem Land« – so Westerwel-le) war notwendiger Bestand-teil dieser Strategie. Freilich wollten sie dadurch nicht eine Überbietungskon-kurrenz wie durch die oben ge-

nannten Berufsgewerkschaf-ten forcieren. Ihrer Zielsetzung entsprach vielmehr die Unter-bietungskonkurrenz wie sie von den »christlichen« Pseu-dogewerkschaften praktiziert wird. Ohne betriebliche Ver-ankerung und ohne Bereit-schaft und Fähigkeit zum Ar-beitskampf und aus dubiosen Quellen finanziert organisie-ren sie mit Gefälligkeitsverträ-gen Lohn- und Sozialdumping. Mehrfach wurden ihre zum Teil offensichtlich kriminellen Ma-chenschaften durch Gerichte geahndet, Gefälligkeitstarif-verträge für nichtig erklärt und Fälle von Korruption offen ge-legt. Entschieden ist diese Aus-einandersetzung aber so lange noch nicht. Den DGB-Gewerk-schaften muss es gelingen, Mehrheiten in den Betrieben unter allen abhängig Beschäf-

tigten und Handlungsfähigkeit zu gewinnen, um die Schmutz- und Unterbietungskonkurrenz zurückzudrängen.Transparente, demokratische Entscheidungen auf allen Ebe-nen und breite Beteiligung al-ler, um deren Interessen es geht, werden dafür ein wich-tiger Schlüssel sein. Das zei-gen die Erfahrungen in den Be-trieben, wo Gewerkschaften – zum Teil im »Häuserkampf« – wieder in die Offensive ka-men. Auf Dauer wird dies auch das entscheidende Argument gegen die Überbietungskon-kurrenz der Spezialistengewer-kschaften sein. Denn sie kön-nen auf Solidarität nur so lange verzichten wie ihre besondere Rolle ihnen Vorteile verschafft. Bernhard Krabiell

»Spartengewerkschaften« – wem nutzt die »Differenzierung der Tariflandschaft«?

Gewerkschaften

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LINKE aus Pirna und Remscheid machen es vorBeim traditionellen »Fest der LINKEN« am 28. Mai 2011 fand eine Talkrunde zum The-ma: »Come together« – Neu-gier auf Ost und West in der LINKEN statt. Ausgerechnet uns – Fritz Beinersdorf aus Remscheid (NRW) und Anja Oehm aus dem KV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – hat-ten die GenossInnen aus Berlin eingeladen, um auf der Bühne mit den Parteibildungsbeauf-tragten Halina Wawzyniak und Ullrich Maurer zu diskutieren. Der Grund: unsere Zusammen-arbeit gilt als Vorzeigemodell.Wie ist es dazu gekommen? Begonnen hatte alles 2006, als wir uns bei einem Bundestref-fen der AG betrieb & gewerk-schaft kennen lernten. Wenn Pirna und Remscheid schon eine Städtepartnerschaft ver-bindet, warum sollten da nicht auch wir uns zusammentun? 2008 kamen die Remschei-der erstmalig zu uns zum Pir-naer Stadtjubiläum. Auf der Festmeile liefen sie der offizi-ellen Remscheider Delegation in die Arme. Deren Erstaunen war groß. Diese ungeliebten LINKEN hier und dann auch noch mit viel mehr Leuten als

sie selbst? Wir LINKEN haben gemeinsam gegrillt und näch-telang über uns erzählt. Wie wenig kannten wir doch vonei-nander! Was wussten wir, wie sich die GenossInnen im Wes-ten gefühlt haben, als sie aus-gesperrt oder mit Berufsverbo-ten belegt wurden? Die Älteren erzählten Episoden, wie sie bei der Bundeswehr Funksprüche des Warschauer Vertrages ab-hören oder auf Soldatenat-trappen mit dem roten Stern an der Mütze schießen soll-ten, was sie verweigerten. So mancher hatte ein mehr als be-wegtes Leben, geprägt durch Antikommunismus hinter sich

und keinerlei Illusionen mehr über das kapitalistische Sys-tem. Diese GenossInnen sind mit uns in der LINKEN, weil sie das Kämpfen nie verlernt, nie-mals die Hoffnung aufgegeben haben, dass eine andere Welt möglich ist. Im nächsten Jahr hatten uns die Remscheider zu ihrem 1. Mai eingeladen. Gemeinsam reihten wir uns in einen De-mozug 3000 wütender Men-schen ein, deren Arbeitsplät-ze auf dem Spiel standen. Am Rednerpult versuchte Minis-terpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) gegen Buhrufe und Tril-lerpfeifen anzukämpfen und

wir spürten: in dieser Stadt der 119 Nationen geht es ungleich kämpferischer zu, als im be-schaulichen, eher monokultu-rellen Pirna. Im Jahr darauf unterstützten uns die Remscheider beim Wahlkampf. Zum 1. Mai 2010 fuhren unsere GenossInnen aus Pirna wieder nach Rem-scheid und wurden beim Ar-beitnehmerempfang von der SPD-Bürgermeisterin empfan-gen. Da es die Remscheider nun geschafft hatten, in Frak-tionsstärke in den Stadtrat ein-zuziehen, gehörte Fritz Bei-nersdorf 2010 zur offiziellen Remscheider Delegation zum Pirnaer Stadtfest. Im Oktober 2010 gelang ei-ne gemeinsame Schulung un-serer Kommunalpolitiker. Wir stehen in ständigem Kontakt und nehmen Themen des an-deren auf unsere homepages. Ein Höhepunkt soll bald eine Podiumsdiskussion mit den beiden Fraktionsvorsitzenden der LINKEN in den jeweiligen Landtagen, Wolfgang Zimmer-mann und Andrè Hahn zum neuen Parteiprogramm wer-den. Es macht einfach Spaß, mit verlässlichen Partnern ge-meinsam was auf die Beine zu stellen. Wir können allen ande-ren nur empfehlen: tut es auch: »come together«.Anja Oehm

»Come together!« Konzept zur HochschuleAuf seiner Juni-Sitzung disku-tierte der Landesvorstand der sächsischen LINKEN ein vom hochschulpolitischen Spre-cher der Fraktion DIE LINKE, Gerhard Besier, zur Diskussi-on gestelltes Papier mit dem Titel »Zur Hochschulentwick-lung in Sachsen«.»Die sogenannte »Bildungs-republik Deutschland« wird auf jeden Fall nicht in Sach-sen geschaffen!«, meint der Vorsitzende der sächsischen LINKEN, Rico Gebhardt. Denn schon die Investitionen des Bundes bleiben weit hinter den angekündigten Eckdaten. Sachsen nimmt aber mit sei-nem erfolgreich als vorbild-lich verkauften Sparhaushalt in der Kürzungspolitik – auch auf dem Sektor Wissenschaft und Forschung – eine negative »Vorreiterstellung« ein. Das Hochschulkonzept der Staatsregierung basiert offen-bar auf Kaffeesatz, Annahmen und Vermutungen, nur so lässt sich erklären, wie die Staats-regierung meint, mittelfristig etwa ein Viertel des heutigen Haushaltsvolumens einsparen zu können, weil laut Progno-sen zum Einen – trotz deutsch-landweiter Anwerbung – die Studierendenzahlen sinken, zum Anderen durch Exzellenz-initiativen und Kooperationen mit der Industrie den Hoch-schulen neue Mittel zufließen würden. Das ist auch dahinge-hend kritisch zu sehen, da die Bedürfnisse und Interessen der Wirtschaft und Industrie zu einer klaren Ökonomisie-rung der Hohen Schulen füh-ren werden.Das Papier zur Hochschulent-wicklung weist dagegen neue Wege auf. Statt Rasenmäher-kürzung wäre ein Ausbau et-wa bestimmter Bereiche des Bafög-Systems zu überden-ken: Die besten Absolventen eines Studiengangs sollten das Angebot eines staatlichen Stipendiums (1.000 Euro) für drei Jahre erhalten, um zu pro-movieren. Das Land muss da-zu eine Initiative entwickeln, um das BAföG breiter aufzu-stellen. Unser Vorschlag ist, ein Hochschulkonzept zu ent-wickeln, das als Ziel haben sollte, Sachsens zentrale Lage in Europa zu nutzen und sich somit zum mitteleuropäischen Bildungszentrum zu entwi-ckeln und als grenzüberschrei-tendes Gravitationszentrum seine Stärken auszuspielen. An einem innovativen Konzept zur Entwicklung der Hoch-schulen in Sachsen wird der Landesvorstand zukünftig mit der Landtagsfraktion intensiv zusammenarbeiten.«Rico Schubert

Auf CampustourVom 17. Mai bis 28.6 war die Hochschultour der Fraktion auf verschiedenen Stationen in Sachsen anzutreffen. Der wis-senschafts- und hochschul-politische Sprecher und Vor-sitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien, Prof. Ger-hard Besier war unterwegs, um vor Ort gemeinsam mit den lin-ken Hochschulgruppen und Abgeordneten das Gespräch mit den Hochschulangehöri-gen zu suchen. Zur Diskussion steht derzeit vor allem der aktuelle Entwurf des Hochschulentwicklungs-planes Sachsen (HEP), den das Staatsministerium für Wis-senschaft und Kunst vorgelegt hat. Er sieht unter anderem vor, den Standort Reichenbach zu schließen und die einzelnen Studiengänge, also die Archi-tektur und die Textil- und Le-dertechnik auszulagern, zum Beispiel nach Zwickau. Auch die weiteren Ideen der Exper-tengruppe des Ministeriums, z.B. die Einführung von ver-schiedenen Wissenschaftsräu-men, wirken eher wie gewür-

felt als durchdacht. »Exzellenz für alle« – so lautet der provokante Titel der Bro-schüre, mit der die Fraktion ihr hochschulpolitisches Modell vorstellen will und die auf der Hochschultour verteilt wird. Zwei Punkte seien im Folgen-den kurz vorgestellt. Eine Sache, der mir besonders am Herzen liegt, ist die Gleich-stellung an den Hochschulen. »Nach wie vor sind Frauen in den Leitungspositionen von Hochschulen stark unterreprä-sentiert – mit jeder weiteren Karrierestufe rückt Gleichstel-lung weiter in die Ferne.« Aus eigener Erfahrung – ich hatte in meinem gesamten Studium nur drei Dozentinnen – und, weil auch bzw. selbst der wis-senschaftliche Raum immer noch von althergebrachten Männerbünden dominiert wird, ist es wichtig, dass sich DIE LINKE für eine aktive Gleich-stellungspolitik an den Hoch-schulen stark macht. Dazu gehört die Förderung von jun-gen Wissenschaftlerinnen ge-nauso wie die Einführung einer Frauenquote in den Gremien

der akademischen Selbstver-waltung. Leider scheitert man zur Zeit selbst an der Stimme der Studierenden. Aber die lin-ken Hochschulgruppen vor Ort werden nicht müde, auf dieses Problem aufmerksam zu ma-chen, und arbeiten mit Partei und Fraktion Hand in Hand. Ein weiteres immerfort aktuel-les Thema sind die Studienge-bühren. »Was, in Sachsen ha-ben wir doch gar keine!« mögt ihr nun denken. Das stimmt, aber der Koalitionsvertrag sieht Langzeitstudiengebüh-ren vor, und es können derzeit schon Gebühren für ein Zweit-

studium erhoben werden. Hier ist die einzig richtige Antwort ein klares Nein! Individuelle Lerngeschwindigkeit, ehren-amtliche Tätigkeit (auch) au-ßerhalb der Universität und auch die - leider notwendige - Erwerbsarbeit müssen berück-sichtigt werden. Auf der Homepage der Land-tagsfraktion kann man die Sta-tionen der Tour noch einmal nachverfolgen, sich die Bro-schüre in Gänze durchlesen und sich auch mit Bildern von der geglückten Tour überzeu-gen lassen. Kristin Hofmann

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Termine Jugend-verbandProvinzParade quer durch Sachsen vom 11. bis 22. Ju-li 2011

linksjugend [‚solid] Som-mercamp - 30. Juli bis 07. August 2011 auf der Raben-insel bei Jena Eine sonnige Woche am See, zahlreiche Workshops, Kon-zerte, Partys und Filme… al-les das erwartet euch auch dieses Jahr wieder beim Som-mercamp. Hier erlebt ihr span-nende 8 Tage mit tollen Leu-ten aus der ganzen Welt. Seit 2009 findet das Sommercamp der Linksjugend [‚solid] auf der Rabeninsel im idyllischen Saale-Tal bei Jena (Thürin-gen) statt. Als emanzipatori-scher Jugendverband setzen wir auch dieses Jahr wieder auf die Selbstverwaltung des Sommercamps. Sowohl in der Organisation als auch beim Ablauf seid ihr alle aufgerufen zum Erfolg dieses Megaevents beizutragen. Mit eurer Hilfe soll das Camp jedes Jahr grö-ßer und großartiger werden. Anmeldung und Programm un-ter www.raveisland.de

Beauftragtenrat (BR) Sit-zung - 14. August, ab 12:00 in der WahlFabrik, Großen-hainerstraße 101, Dresden

Landesjugendplenum – vom 01. bis 02. Okto-ber 2011 im A & O Hostel Leipzig, mit dem Themen-schwerpunkt Mitbestim-mung, soviel sei schon ver-raten ;)

Die Vorzeichen waren denkbar schlecht: der mittlerweile tra-ditionelle Veranstaltungsort in Srbska Kamenice – im tsche-chischen Hochwasser-Som-mer 2010 zerstört; langjährige Erfahrung in der Organisati-on – durch personelle Wech-sel im Orga-Team Mangelwa-re; das neue Camp in Doksy – weiter weg und einfach un-berechenbarer, weil eben un-bekannt. Es mutet also wie ein kleines Wunder an, dass das Pfingstcamp 2011 der Links-jugend Sachsen dennoch ein voller Erfolg geworden ist.Wie schon in den vergangenen Jahren fanden sich über das Pfingstwochenende ca. 400 junge Menschen zusammen, um unter dem diesjährigen Motto »Pfingstcamp 2011 – Im Land der lachenden Rehe« ein Wochenende vollgestopft mit Workshops, Seminaren, Kon-zerten und Partys zu verbrin-gen.Wenn man über das Pfingst-camp spricht, hört man von Menschen die meist selbst nie dabei waren oft das Vor-urteil, die Linksjugend würde sich damit nur einen Vorwand schaffen, um ein verlänger-tes Wochenende zusammen viel zu Trinken und zu Feiern. Doch das war, ist und bleibt eine unzulässige Reduktion dessen, für was das Pfingst-camp wirklich steht. Natür-lich wird gefeiert – so soll es sein, wenn man sich nur ein-mal im Jahr zu diesem Anlass

und in solchem Rahmen zu Gesicht bekommt. Aber wenn man sich das Bildungsangebot des Pfingstcamps zu Gemüte führt und zur Kenntnis nimmt, dass oft mehr als 40 Teilneh-merInnen bei den Seminaren aufgeschlagen sind, ergibt sich ein weitaus differenzier-teres Bild. Es war aber auch für jeden Geschmack etwas dabei. Von schöpferischen Angeboten (StreetArt, Beutel nähen), über Sport (Klettern, Fußball), lebenspraktischen Inhalten (Tschechisch für An-fänger, Erste-Hilfe-Kurs), poli-tischen Seminaren (Mit Hartz IV glücklich leben?, 1,2 oder 3 – Partei ist schon vorbei?) bis hin zu nicht immer ganz ernst gemeinten Seminartiteln (Was

tun wenn die Zombieapoka-lypse kommt?). Die Bandbreite war also nahe-zu atemberaubend, der orga-nisatorische Aufwand damit allerdings auch. Es galt, sich in unbekanntem Terrain zu Recht zu finden, sich mit ande-ren Gästen im Camp in Doksy zu arrangieren, den reibungs-losen Ablauf zu garantieren und am Ende alles zur Zufrie-denheit aller auch wieder ab-zuwickeln. Diese Aufgabe zu erledigen gelang nur durch viel Engagement und Motivati-on im Orga-Team rund um Ju-gendkoordinator Rico Knorr – ein großer Dank an dieser Stelle für den unermüdlichen Einsatz aller HelferInnen.Als Fazit lässt sich festhalten,

dass gerade für all die Men-schen, die zum ersten Mal ein Pfingstcamp besuchten – und deren Anzahl war durchaus im-posant – das Pfingstcamp ein voller Erfolg war. Nur wer zu-vor schon einmal in Srbska mit war, bemerkte das Fehlen des letzten kleinen I-Tüpfelchens durch die einmalige Atmo-sphäre in diesem ganz speziell gelegenen Camp. Unabhängig davon, wo wir im kommenden Jahr die Pfingstcamp-Tradition der Linksjugend Sachsen wei-ter leben lassen, verhilft eine Erkenntnis über alle auftreten-den Entzugserscheinungen hinweg: Nicht mal ein Jahr und dann ist schon wieder Pfingst-camp-Zeit!Silvio Lang

Politik im »Land der lachenden Rehe«

Vom 7. bis 14. August findet bei Jänschwalde ein internationa-les Klimacamp statt, welches sich gegen die Pläne von Vat-tenfall richtet, CO2 aus Kohle-kraftwerken unter die Erde zu pressen (sog. CCS-Verfahren). Wir (DIE LINKE Sachsen) haben auf unseren letzten Landes-parteitag beschlossen, diese gefährliche und unausgereifte Technologie nicht zu unterstüt-zen und für eine Energieversor-gung ohne Kohlekraft bis 2040 zu streiten. Damit sind wir auch auf unsere GenossInnen in Brandenburg kritisch ein-gegangen, die zusammen mit der SPD die Landesregierung stellen und sich für die CO2 Speicherung und gegen einen

schnellen Kohleausstieg aus-gesprochen haben. Die linksjugend [‚solid] Sach-sen unterstützt das Camp mit 500 € und ist aktiv an den Vor-bereitungen beteiligt. Wir tei-len die Forderungen für eine klimagerechte Welt. Die Ener-giekrise kann nur gelöst wer-den, wenn sparsamer und effizienter mit unserer elekt-rischen Energie umgegangen und diese aus erneuerbaren Quellen und Erdgas (als wahre Brückentechnologie) bezogen wird. Gerade jetzt, wo sich scheinbar alle einig sind aus der Kernkraft aus zusteigen, ist es um so wichtiger nicht neu in die Koh-lekraft einzusteigen. Man darf

die Pest nicht mit Cholera be-kämpfen, denn der menschen-gemachte Klimawandel ist mind. genauso verheerend wie ein atomarer Unfall! Dezentrale erneuerbare Energiestrukturen und sozial verträgliche Stromt-arife sind der einzige Weg in ei-ne lebenswerte Zukunft. Neue zentrale Großkraftwerke (egal ob Kohle oder Atom) behindern dieses Ziel.Informationen zu den Aktionen und Diskussionen gibt es unter www.lausitzcamp.infoMarco BöhmeMitglied des Beauftragtenrates der linksjugend [‚solid] Sach-sen, Bundessprecher ökologi-sche Plattform DIE LINKE

Klima- und Energiecamp in der Lausitz

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Im Gespräch mit Dr. Volker Külow (MdL und Vorsitzender der LINKEN in Leipzig) über den ökologisch-sozialen Um-bau der Gesellschaft und die Energieversorgung der Zu-kunft Am 13. August, zum Som-merfest der Leipziger LIN-KEN, soll die neue Solar-anlage auf dem Dach des Liebknecht-Hauses offizi-ell in Betrieb gehen. Voll-zieht DIE LINKE damit ihre Energiewende?Nun, große gesellschaftliche Umbrüche beginnen immer im Kleinen. Aber im Ernst: Die Solaranlage führt vieles zu-sammen. Eine gute Idee, an der lange gearbeitet wurde. Die Spenden vieler Genos-sinnen und Genossen, denen dafür Dank gebührt. Belange des Denkmalschutzes, denn schließlich wurde Hochtech-nologie auf einem Baudenkmal installiert. Es geht nicht zuletzt um ein deutlich sichtbares und wirkungsvolles Zeichen, dass es DIE LINKE ernst meint mit dem ökologisch-sozialen Um-bau der Gesellschaft. Da haben die politischen Konkurrenten aber schon kräftig vorgelegt ...

Sie haben Wind gemacht und sich mit zwei halsbrecheri-schen politischen Pirouetten innerhalb von nur sechs Mo-naten vor allem in Aktionismus geübt. Durchdacht ist das We-nigste. Es kann ja schlecht je-mand bestreiten, dass die so-genannte Energiewende der

Berliner Koalition überfallartig kam und für genaues Hinse-hen zunächst kaum Gelegen-heit bot.Wo setzt die linke Kritik an?Dort, wo in der Tat ein Mega-Zukunftsthema im Hauruck-Verfahren und technokratisch angepackt wird. Was wirklich gebraucht wird, das ist, den notwendigen Umbau auf den Gebieten Energie und Umwelt nicht technokratisch durch-zuziehen, sondern mit einer neuen Qualität der Teilhabe zu verbinden. Die Energieversor-gung der Zukunft ist zu wich-tig, als dass sie den Konzern-zentralen überlassen werden könnte. Energie geht alle an. Deshalb muss die Heraus-forderung vor Ort angepackt werden. Meinetwegen mit Stadtwerken, wenn sie wirk-lich ökologisch und nachhaltig im Interesse »ihrer« Kommu-nen agieren, besser aber mit genossenschaftlichen Lösun-gen, die eine Dreieinigkeit neu buchstabieren: sichere Anla-gen auf dem Stand der Tech-nik, umweltverträgliche Lösun-gen, für jedermann bezahlbare Versorgung. Energie ist eine Lebensfrage der Menschheit, bezahlbare Energie ist eine Überlebensfrage der Gesell-

schaft. Aktiv sind ja vor allem die Stromriesen. Sie ver-suchen mit Milliarden zu überzeugen, die sie inves-tieren können.Das ist in der Tat eine famose Argumentation. Mit Milliarden,

die den Verbrauchern auf dem Wege hoher Stromrechnungen aus der Tasche gezogen wur-den oder die aus dem Weiter-betrieb abgeschriebener Kern-kraftwerke stammen oder vom Staat als Subventionen er-presst wurden, lässt sich treff-lich investieren. Was wir im Moment sehen, ist doch nichts anderes als die vorauseilende Aufteilung des wahrscheinlich größten Zukunftsmarktes un-ter die sattsam bekannten vier marktbeherrschenden Konzer-ne. Beim Thema Brennelemen-testeuer ließen sie ihre Maske ja bereits fallen. Die Konzerne als Verursacher und Nutznie-ßer wollen nicht zahlen, weil sie das Wohl ihrer Aktionäre im Blick haben. Das sagen sie ganz unverfroren selber. Und das kann einfach nicht der Weisheit letzter Schluss sein, selbst wenn zum Kreis dieser Aktionäre auch die eine oder andere Kommune zählt. Also soll als Teil der Ener-giewende auch die Macht der Energiekonzerne ge-brochen werden?Unbedingt. Wer nur einen Mo-memt nachdenkt, wird mer-ken, dass die vier großen Stromer in keinster Weise die Wohltäter sind, für die sie sich ausgeben. Wer wüsste das besser als die Menschen im Osten? 1990 bekamen wir den Stromvertrag übergestülpt, die klassische Aufteilung ei-nes Marktes per Vertrag. Von Wettbewerb keine Spur. Im Jahr 2000 folgte die Liberali-sierung des Energiemarktes mit dem erneuten Mantra von fallenden Strompreise durch Wettbewerb. Zahlt heute ir-gendjemand eine niedrigere

Stromrechnung? Im Jahr 2010 nun schließlich die Energie-wende. Fällt jemandem auf, wer gerade die größten Wind-parks baut und die Geother-mie erforscht? Es sind die sel-ben Konzerne, die sich mit den nun obsoleten Kraftwerken dumm und dämlich verdient haben. Ich jedenfalls halte es für keine gute Idee, auf einem lebenswichtigen Gebiet alle zehn Jahre alte Fehler zu wie-derholen. Wenn irgendwo Nachhal-tigkeit absolut unverzicht-bar ist, dann im Energie-sektor. Haben wir dafür die passenden Lösungen?Das müssen die Techniker be-antworten, die vor einer Rie-sen-Herausforderung stehen. Aber wenn Werner von Sie-mens vor 130 Jahren kleinmü-tig gewesen wäre, würde wohl

selbst der Elektromotor noch heute ein exotisches Gut sein. Mein Ansatz ist ein anderer: Wir haben in Leipzig die VNG, wir haben eines der größten deutschen Stadtwerke, außer-dem die Strombörse, die Fach-messe Enertec und die Ener-gietechniker der HTWK. Wir nennen uns Energiezentrum. Wie schön wäre es, wenn in ei-ner Umbruchsituation wie der heutigen kooperativ an ganz neuen Ansätzen für die Ver-sorgung der Zukunft gearbei-tet würde - wissenschaftlich, technisch und ökonomisch. Ich hielte es für wichtig, von Leipzig aus ein Zeichen zu set-zen. DIE LINKE hängt sich in das Thema rein. Unsere Solar-anlage auf dem Liebknecht-Haus setzt da ein gutes Zei-chen.Die Fragen stellte Rico Schu-bert.

»Wir müssen die Macht der großen Stromer brechen«

»Alle reden über eine Ener-giewende… die sächsische LINKE will einen sozial-öko-logischen Umbau der Gesell-schaft, erklärt der Vorsitzende der sächsischen LINKEN, Rico Gebhardt bei der Vorstellung der drei neuen Ökologie-Post-karten. »Bereits mit den Ener-giepolitischen Eckpunkten, die die sächsische LINKE auf ihrem Parteitag im vergangen November vorgelegt hatte, ha-ben wir darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, über eine Energiewende nur zu reden. Denn dieser Umbau betrifft nicht nur die energetische Ba-sis der industriellen Produkti-

on oder die Netzinfrastruktur. Er betrifft sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Le-bens, u. a. eine umweltge-rechte Entwicklung von Mo-bilität, Tourismus, Land- und Forstwirtschaft, die Ressour-cenwirtschaft, darüber hinaus die Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung, die Kommunikationsmöglichkei-ten, die Wärmedämmung und Wärmeversorgung von Woh-nungen und Gebäuden.«

Die Postkarten können in dert Geschäftsstelle bestellt wer-den.

Alle reden von der Energiewende….

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Seite 10Sachsens Linke! 7-8/2011

Digitale Gesellschaft und UrheberrechtDas Internet ist zum prägen-den Medium der menschlichen Kommunikation geworden: Sehr viele Menschen nutzen heute das Web für die eige-ne Information, zum Arbeiten, Gestalten, zur Unterhaltung und Lebensorganisation. Neue Möglichkeiten der Interaktion und neue Formen der Öffent-lichkeit werfen aber zugleich neue Fragen auf, wie sich im-mer wieder zeigt gerade auch bezüglich des Urheberrechtes. Denn die Möglichkeit der digi-talen Vervielfältigung trennt gewissermaßen den Inhalt von seinem Träger (CD, DVD etc.) der bislang verkauft werden konnte. Fragen nach Entloh-nung und Urheberrecht stel-len sich auf neue Weise. So können die reinen Datensät-ze nahezu unbegrenzt hoch- und runtergeladen werden. Die Frage nach Wertschätzung und Entlohnung der Kulturschaf-fenden im Zusammenhang mit dem bestehenden Urheber-recht muss also auf neue Wei-se gestellt werden.Das bundesdeutsche Urhe-berrecht will in seinem bisheri-gen Herangehen die Werke der Kulturschaffenden und Pro-duzentInnen vor unberechtig-ter Vervielfältigung schützen. Ein rechtlicher Flickenteppich ist entstanden: der Download wird nicht verfolgt, Upload von Dateien gilt als strafrechtlich relevant. Nach Telemedienge-setz haften die Unterhalter/in-nen von Internetanschlüssen, was mancherorts für Überra-schungen gesorgt hat. Im Zeit-alter des allgemeinen Daten-

austausches wird versucht, mit Hilfe von Anwaltskanzlei-en gegen Downloads und ver-meintliche wie tatsächliche Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Spezialisierte Kanzleien haben sich bei den Gerichtsständen angesiedelt, die im Sinne des alten Urhe-berrechtes bescheiden. Wich-tig für die Verfolgung von Urhe-berrechtsdelikten ist dabei, auf die Identifikationsdaten der In-ternetnutzer/innen zugreifen zu können. Ohne Vorratsdaten-speicherung ist die Verfolgung von Datenupload nur stich-probenartig, etwa durch Live-Scanning, möglich bzw. kann durch die Abmahnung der Hos-ter vorgegangen werden. Diese Situation verunsichert jedoch »normale« Nutzer/innen, die häufig nicht mehr wissen, ob sie sich im Zweifel auf der straf-

rechtlich sicheren Seite befin-den. Eine so rechtsunsichere Lage kann nicht beibehalten werden. Die Musikindustrie hat bekanntlich vor allem mit dem Ruf nach härteren Stra-fen und drakonischen Krimina-lisierungskampagnen reagiert. Heute werden NutzerInnen au-ßerhalb gerichtlicher Wege we-gen Uploads abgemahnt und mit hohen Ausgleichsforderun-gen belegt. Insofern greifen die Forderun-gen zur Datenspeicherung im Interesse des Urheberrechts auf die grundsätzliche Ver-fasstheit des Internets zu. Auch aus diesem Grund ist es notwendig, Neuregelungen zu treffen, die der technologi-schen Entwicklung entspre-chen. Ebenso ist dies im Inte-resse der Kulturschaffenden nötig. Es wäre z.B. möglich, in

Richtung eines Künstler/in-nengrundeinkommens zu den-ken, wie es das z.B. in Frank-reich gibt. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die digitale Vernetzung für Kulturschaffen-de auch eine Menge Chancen mit sich bringt : über die Sozia-len Netzwerke lassen sich Mu-sik, Videos, Bilder und Texte viel schneller und kostenspa-render unter ein großes Pub-likum und an die eigenen An-hänger/innen bringen. Unter den Bedingungen der Verwer-tung in Warenform muss aber auch über die finanzielle Absi-cherung und Entlohnung des Schaffens nachgedacht wer-den. Die gegenwärtige Dis-kussion steht jedoch im Kont-rast zu diesen Potenzialen. Das mag auch daran liegen, dass sich vor allem die Musikkon-zerne, nicht die Künstler/innen

zur Sache zu Wort melden. Die Konzerne kommen in der neu-en Situation ihren ursprüng-liche. Funktionen gleichsam nicht mehr nach: junge Musik-projekte zu stützen und zu ent-wickeln, durch die Tätigkeit im Bereich z.B. zu seiner redakti-onellen Begleitung beizutragen usw. Das Musikfernsehen hat seine besten Tage leider längst hinter, das Radio ist je nach Re-gion fast ausschließlich zum Dudelfunk verkommen. Dies sind die Faktoren, die u.a. auch zu einem veränderten Nutzer-verhalten führen. Der interes-sierte Musiknutzer wird im-mer häufiger das Internet als Medium wählen und sich da-mit dem traditionellen Musik-markt entziehen. Die Folge: Musikunternehmen klagen über Absatzverluste und drän-gen auf restriktive Strafen. Der Einfluss der Musikgroßindu-strielobby auf die Politik der Bundesregierung ist hierbei offensichtlich. In erster Linie sollte es bei Fragen des Urhe-berrechts aber auf die Position der KünstlerInnen ankommen, denn schließlich sind Sie die eigentlichen SchöpferInnen. Zu der Frage einer möglichen notwendigen Reform des Ur-heberrechts haben wir daher vor einiger Zeit eine Onlineum-frage gestartet, um Informati-onen von den Kreativen selbst einzuholen. Die Ergebnisse liegen mittler-weile vor und werden ausge-wertet. Julia Bonk

Lina Utz, die älteste LINKE der Welt, lebt in Leipzig. Die am 15. Juli 1904 in Schwäbisch-Hall Geborene trat in den zwanzi-ger Jahren in die KPD ein und engangiert sich seit 80 Jahren für linke Bewegungen, wie et-wa »Frauen für den Frieden«. Seit den 1960er Jahren lebt sie in Leipzig. Noch mit 100 Jahren hat sie sich in der Bibliothek des Altenheimes engagiert.Mehr in Nr.7 von Leipzigs Neue.

107 Jahre

2011 jährt sich der Jahrestag des Afghanistankrieges und damit auch die deutsche Zu-stimmung zu diesem Krieg zum 10. Mal.Die Bilanz ist verheerend. Die Zahl der zivilen Toten und der getöteten Soldaten ist 2010 auf einem Höchststand. Wie-deraufbau findet kaum statt, statt dessen hält die NATO ein korruptes und unbelieb-tes Regime an der Macht.Die anderen Bundestagspar-teien ziehen keine Konse-quenz aus dem Scheitern des Krieges. Es reden zwar alle von Abzug, was auch als Er-folg der LINKEN und der Frie-densbewegung zu werten ist. Allerdings ist das Reden vom Abzug leider nur ein verbales

Zugeständnisses der Kriegs-parteien an die Abzugswün-sche der deutschen Bevöl-kerung und keinen Bruch mit dem Kriegskurs der vergan-genen Jahre. Das Afghanis-tanmandat wurde mit ähn-lichen Mehrheiten wie die gesamten letzten Jahre im Fe-bruar erst wieder verlängert.Ende November findet in Bonn eine NATO-Konferenz zu Afghanistan statt. Die Re-gierung will diese Konferen-zen nutzen, um Perspektiven für »nach 2014« zu werben. Allerdings sagt sie auch, dass bis dahin die Truppen nur ab-gezogen werden, wenn es »die Sicherheitslage erlaubt«. Die bittere Wahrheit ist aller-dings, dass sich die Präsenz

der NATO die Sicherheitsla-ge nur weiter verschlechtern wird. Aber selbst wenn die of-fenen Kriegshandlungen ein-gestellt werden sollten, geht die Regierung davon aus, dass dennoch über 2014 hi-naus Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert blei-ben. Die Regierung will mit der Bonner Konferenz ihr »Dau-erhaftes Engagement glaub-würdig begründen«. Ange-sichts der zu erwartenden Rhetorik müssen wir unser Profil schärfen und deutlich machen, dass es nur einen Weg gibt für Frieden, Aussöh-nung und Wiederaufbau und der heißt Bundeswehr raus aus Afghanistan.

Das ist seit 10 Jahren unsere erste Antwort auf die Fortset-zung des Krieges durch die Bundestagsmehrheit. Und es ist der einzig richtige Beitrag zur Debatte um Wege zum Frieden in Afghanistan.Deswegen hat der AK VII auf seiner Klausur am 28.2. und 1.3. in Chorin einhellig be-schlossen der Fraktion eine zeitlich begrenzte Kampag-ne zum 10. Jahrestag vorzu-schlagen. Wir können auf eine höchst glaubwürdige Arbeit in den letzten 10 Jahren zu-rückblicken. Das sollten wir herausstellen.

Jan van Aken, Christine Buch-holz, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer

10 Jahre Krieg in Afghanistan – DIE LINKE bleibt dabei: Bundeswehr raus!

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Seite 11 7-8/2011 Sachsens Linke! DIE LINKE im Europäischen Parlament

Du bist....Marisa Matias, 35 Jahre alt und aus Coimbra, Portugal. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich in einem Dorf mit nur 120 Einwohnern gelebt. Bevor ich MdEP wurde, habe ich in ver-schiedenen Bereichen gear-beitet. So habe ich mit 16 an-gefangen zu arbeiten und habe gleichzeitig bis zur Promotion studiert. Ich habe geputzt, war Sekretärin, Koordinatorin von Herausgebern einer wissen-schaftlichen Zeitschrift und die letzten zehn Jahre habe ich an der Universität von Coim-bra geforscht. Außerdem habe ich in zahlreichen internatio-nalen Forschungsnetzwerken gearbeitet und Feldforschung in den Bereichen Gesundheit und Umwelt nicht nur in Euro-pa sondern auch Lateinamerika und den USA durchgeführt. Da-bei war ich schnell in verschie-denen Umwelt- und Bürgerbe-wegungen involviert genauso wie in die 10 Kampagnen für die Entkriminalisierung der Ab-treibung in Portugal.

Was kannst du uns über deine Partei erzählen? Der Linksblock ist vor elf Jahren entstanden und ver-sammelt Leute aus kleine-ren linken Parteien mit unter-schiedlichen ideologischen Herangehensweisen (Marxis-ten, Leninisten, Trotzkisten, Maoisten...) genauso wie Leu-te aus unterschiedlichen so-zialen Bewegungen, vor allem LGBT, Frauenrechts-, Bürger- und Umweltbewegungen. Er entstand zu einem Zeitpunkt als verschiedene fragmentier-te Parteien und Gruppen sich von den bestehenden Parteien nicht mehr repräsentiert fühl-ten und so bot der Linksblock die Möglichkeit, der Linken in Portugal gemeinsam einige neue Stimmen hinzuzufügen. Ich selbst wurde erst 2004 Par-teimitglied (bin seit 2005 Mit-glied des Parteivorstandes), obwohl ich vorher schon an ei-nigen Initiativen teilgenommen hatte und bei verschiedenen Gelegenheiten als Unabhängi-ge auf der Linksblockliste bei

Wahlen kandidierte.

Was sind deine persönli-chen Ziele im EP?Ich arbeite vor allem im Aus-schuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und im Aus-schuss für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Ernährungssi-cherheit (ENVI). Im erstgenann-ten bin ich Obfrau der GUE/NGL. Ich bin auch in Delegati-onen engagiert, so bin ich Vi-ze-Vorsitzende der Mashrek-Delegation und nehme an den Delegationen für die Beziehun-gen mit Palestina und mit Süd-afrika teil. Neben der normalen Arbeit der Abgeordneten - Berichte, Schattenberichterstatterin, Mi-torganisation der Mashrek-De-legation - bin ich auch noch im Fraktionsvorstand und fungie-re als Koordinatorin der Links-block-Delegation innerhalb der Fraktion. Ich versuche immer, die Zeit zu finden, um Bürger in das EP zu bringen, zum Beispiel indem ich Schulen vor allem aus den ärmsten Gegenden

Portugals nach Brüssel einla-de und Veranstaltungen für die Bürger organisiere. Ich war für die Richtlinie zum Thema gefälschte Medikamen-te verantwortlich, für die Euro-päische Initiative für Alzheimer und andere Demenzerkran-kungen und bin im Augenblick für den Bericht zum Grünbuch für den strategischen Rahmen der zukünftigen Finanzierung von Forschung und Innovati-on zuständig. Das heißt natür-lich nicht, dass ich die ganze Arbeit alleine mache, sondern gemeinsam mit anderen - Mit-arbeitern und Abgeordneten - arbeite. Wenn ich in Portugal bin, gilt meine Priorität dem direkten Kontakt mit Schulen und öf-fentlichen Diskussionen. Meine persönlichen Ziele sind diesel-ben wie die von anderen - ich versuche mein Bestes und ver-trete so gut ich kann diejeni-gen, die von unseren Entschei-dungen am meisten betroffen sind. Dazu versuche ich auch so gut wie möglich den Inhalt

von Resolutionen, Berichten etc. zu beeinflussen damit so-ziale, wirtschaftliche und Um-weltgerechtigkeit eine Rolle in allen Vorgängen spielen.

Was sind deine größten Wünsche für die Linke in Europa?Ein gemeinsamer und aktiver Ansatz für soziale und wirt-schaftliche Gerechtigkeit und Umverteilung. Gemeinsame Ziele hin zu Zusammenhalt und gegen nationalen Egois-mus. Parteien spielen da ei-ne Schlüsselrolle aber ohne die Menschen und deren akti-ve Beteiligung kann nichts er-reicht werden.

Erstaunen und Begeisterung über die Revolutionen in Nord-afrika ergriff zu Beginn des Jahres auch Europa. Hochran-gige europäische Politiker lie-ßen sich feiern und schworen, Unterstützung zu leisten. Die Begeisterung verebbte jäh, als die ersten Flüchtlinge aus dem wirtschaftlich zusammenge-brochenen Tunesien und spä-ter aus dem umkämpften Li-byen europäischen Boden betraten. Als im März schließ-lich gut 6000 Tunesier die klei-ne Insel Lampedusa ankamen, waren sie weniger als will-kommen. Nicht die Überfor-derung Italiens, sondern eine unmenschliche Hinhaltepolitik gegenüber den Flüchtlingen, war die Ursache für die drama-tische Situation auf Lampedu-sa im März 2011. Dass Men-schen auf der Flucht vor Krieg, Elend, Hunger und Verfolgung, mit Booten über das Mittel-meer nach Europa kommen, ist nicht neu. Nach jahrelang stei-genden Zahlen wurde 2008 mit gut 30.000 Flüchtlingen ein vorläufiger Höchststand erreicht, bevor FRONTEX und das italienisch-libysche »Freundschaftsabkommen« schließlich auch diesen Weg nach Europa abriegelten. Mit den nordafrikanischen Revo-lutionen war dieses Abkom-men obsolet und viele Bürger-kriegsflüchtlinge, aber auch

ehemalige Gastarbeiter er-griffen die Möglichkeit, nach Europa zu kommen. Die Her-kunft der meisten Flüchtlinge sind zentralafrikanische Län-dern, die zu den ärmsten des Kontinents gehören. So unter-schiedlich die Situation die-ser Menschen ist, sie landen fast alle in der Sackgasse von Asylbewerberheimen. Statt sich der konkreten und den sehr verschiedenen Problem-lagen dieser Menschen anzu-nehmen, wurden die Flüchtlin-ge, beginnend mit Berlusconis Weigerung tunesische Flücht-linge auszunehmen und der

Diskussion um die Wiederein-führung von Grenzkontrollen im Schengenraum, zur Ver-schiebemasse der EU.Davon zeugt auch die völlig un-nötige »Mitteilung der Kom-mission zur Migration« vom 4.5.2011.Das Einschwören auf Solidarität mit Italien und ande-ren betroffenen Mitgliedsstaa-ten, die Flüchtlinge aufneh-men, brachte diesen immerhin 25 Mio. zusätzliche Euro ein, die u.a. aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds bereitgestellt werden. Rückkehrhilfen bis zu 100 Mio. Euro stellen die Mit-gliedstaaten zur Verfügung.

FRONTEX soll verstärkt wer-den, um »Grenzabschnitte zu entlasten« sprich: effiziente-re Abschiebungen vorzuneh-men. Dass es kein Konzept für den Umgang mit Migration auf europäischer Ebene gibt, be-weist das von der Kommissi-on verkündete Ziel, »eine ord-nungsgemäß gesteuerte legale Migration« fördern zu wollen, die sie von so genannter »irre-gulärer Migration« unterschei-den will. Sie teilt die Flüchtlinge ein in »gute« Asylsuchende und »schlechte Wirtschaftsflücht-linge«. Bis zum heutigen Tag gibt es übrigens keinerlei Defi-

nition von »Wirtschaftsmigran-ten oder -flüchtlingen«. Der Solidaritätsgedanke endet vermutlich vor den Toren Eu-ropas. Da bleibt die notwendi-ge Solidarität mit den mehr als 700.000 Flüchtlingen in den tunesischen und ägyptischen Flüchtlingslagern, die drin-gend humanitäre Unterstüt-zung brauchen, zweitrangig.Die Notwendigkeit einer grund-legenden Kurswende in der EU-Migrations- und Asylpoli-tik liegt auf der Hand. Grund-sätzlich müssen die Voraus-setzungen für Arbeitsmigration in der EU erleichtert werden, wohlweislich aber nicht zu Dumpinglöhnen, sondern bei Gleichstellung mit einheimi-schen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Eine weitere Notwendigkeit ist die unver-zügliche Abschaffung von Dub-lin II, um dem Grundrecht auf Asyl nachkommen zu können. Die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen, ihre zügige Inte-gration, die Nutzung der Neu-ansiedlungsprogramme der EU und der Beginn einer neu-en Nachbarschaftspolitik sind längst überfällig. Diese Aufga-ben sind von historischer Di-mension und letztlich nur euro-päisch zu lösen.Dr. Cornelia ErnstMdEP, GUE/NGL, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Jus-tiz und Inneres

Lampedusa: Europa hat eine Verantwortung für die Flüchtlinge

GUE/NGL stellt sich vor – Marisa Matias, Portugal, Bloco de Esquerda

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Seite 12Sachsens Linke! 7-8/2011

Kommentiert

Der Kahlschlag geht weiterDIE LINKE im Bundestag

Dialogtour »Wir brauchen wirksame Instrumente zur Bekämpfung der Armut«

Oder: Die schwarz-gelbe Arbeitsmarkt-reformAm 25. Mai hat die Bundesre-gierung ein Gesetz zur »Ver-besserung der Eingliederungs-chancen am Arbeitsmarkt« vorgelegt. Dreist benutzt die Regierung diesen Titel und streicht zugleich zahlreiche Arbeitsmarktmaßnahmen und baut Rechtsansprüche der Er-werbslosen ab.Für uns LINKE ist klar: Kürzun-gen bei der Arbeitsmarktpo-litik führen nicht zu besserer Vermittlung! Gute und nach-haltige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen ausrei-chend finanziert werden. Nur so sind langfristige, wirkungs-volle Weiterbildungsprogram-me und öffentlich geförderte Beschäftigung möglich. Nur so lässt sich die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit be-kämpfen. Um den Druck zur Aufnahme schlecht bezahlter und prekärer Arbeit zu besei-tigen, ist zugleich die Zumut-barkeit bei der Vermittlung in Arbeit neu zu regeln.

Hintergrund der Reform sind beispielslose Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik, die die Bundesregierung schon letztes Jahr beschlossen hat. Durch die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistun-gen will Sie von 2011 bis 2014 16 Milliarden Euro einsparen. Sechs Milliarden davon im Be-reich Hartz IV (SGB II), zehn Milliarden im Bereich des Ar-beitslosengeldes I (SGB III).Die Folgen dieser Kürzungen sind immer stärker zu spüren. In Sachsen fiel in der Berufli-chen Weiterbildung die Zahl der neubegonnen Maßnah-men seit Jahresbeginn gegen-über dem Vorjahreszeitraum um 46 Prozent auf nur noch 5.401 Teilnehmer/innen (April 2011). Diese Einbrüche in der Weiterbildung sind nicht mit der zurückgehenden Arbeits-losigkeit zu rechtfertigen. Denn diese nahm deutlich we-niger ab und lag im April 12 Prozent unter dem Vorjahres-niveau. Insbesondere Hartz IV-Empfänger (SGB II) sind be-troffen. Hier sinkt die Arbeits-losigkeit nur langsam, im April 2011 gegenüber 2010 um nur 10.616 oder 6 Prozent. Ähn-lich dramatisch sind die Ein-

brüche in der öffentlich geför-derten Beschäftigung.Diese Zahlen dokumentieren: Die Kürzungen in der Arbeits-marktpolitik gehen weit über die zurückgehende Arbeits-losigkeit hinaus. Der Kahl-schlag ist in vollem Gange! Auf der Strecke bleiben vor allem Langzeiterwerbslose, die vom Aufschwung abgekoppelt wer-den.DIE LINKE. will einen grundle-genden Kurswechsel in der Ar-

beitsmarktpolitik und legt da-für ein 6-Punkte-Programm vor. Weiterbildungsangebote sind auszubauen und die Zu-mutbarkeitsregeln neu zu re-geln, um eine Vermittlung in prekäre Beschäftigung zu ver-hindern. Kürzungen der Ar-beitsmarktgelder sind zurück zu nehmen, gute öffentlich ge-förderte Beschäftigung ist zu ermöglichen. Wir haben dazu bereits im April in den Bundes-tag einen eigenen Antrag ein-

gebracht.Eins ist klar: nur gesellschaftli-cher Druck kann einen Politik-wechsel bewirken. Neben den Erwerbsloseninitiativen kriti-sieren auch Sozialverbände und Gewerkschaften die Pläne der Bundesregierung. Jetzt gilt es, gemeinsam Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Dafür streitet DIE LINKE.Sabine Zimmermann (MdB)Arbeitsmarktpolitische Spre-cherin der Fraktion DIE LINKE.

Bereits in der Antike war der Dialog eine bewusst einge-setzte Methode, die zur Ver-mittlung von Erkenntnissen und zur Erörterung von Pro-blemen im Sinne der klassi-schen Dialektik von These und Antithese entwickelt wurde. In diesem Sinne startete wir sächsischen Bundestagsab-geordneten der LINKEN ge-meinsam mit unseren Land-tagskolleg_innen am 16. Mai 2011 zu einer fünftägigen Di-alog- und Sozialtour durch Sachsen. Zahlreiche Veran-staltungen in Leipzig, Froh-burg, Chemnitz, Schneeberg, Hoyerswerda, Bautzen, Ma-chern, Dresden, Zwickau und Plauen boten hierzu Gelegen-heit. Im Mittelpunkt stand der Austausch mit Wissen-schaftler/innen und Fach-kräften der sozialen Arbeit, Betroffenen, Vertreter/innen der Verwaltung, sowie Verei-nen und Verbänden. Wichti-ge Themen waren Strategien gegen Kinderarmut, das Bil-dungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung sowie die Kindergrundsicherung als al-ternatives Modell zum gegen-wärtigen Leistungssystem. Zudem führten wir mit Fach-kräften des Kinder- und Ju-gendtourismus einen Dialog

über die Frage der Notwen-digkeit und Förderung bezahl-barer Urlaubsangebote für Kinder- und Jugendliche aus fi-nanzschwachen Familien.»Wir brauchen wirksame In-strumente zur Bekämpfung der Armut«, so Katja Kipping (MdB). Zu zögerlich behandle Sachsen das Thema. Die La-ge in Sachsen ist alles ande-re als entspannt, »von einem Musterländle kann keine Re-de sein«. Die Kinderarmut im Freistaat liegt bei 26,1 Pro-zent, die der jungen Erwach-senen gar bei 33 Prozent. »Damit rangiert Sachsen weit

über dem Durchschnitt von Deutschland«, so Kipping. Klaus Tischendorf (MdL) kri-tisierte die soziale Spaltung beim Thema Ferienfreizeit für Kinder und Jugendliche im Freistaat. Die Zahl der Teil-nehmer geht seit 1996 konti-nuierlich zurück, von ehemals 146.000 auf zuletzt 62.000 pro Jahr.Gemeinsam mit dem bundes-weiten Bündnis »Kindergrund-sicherung« diskutierten wir an der Evangelischen Hochschu-le in Dresden über die Einfüh-rung einer Kindergrundsiche-rung. Vor dem Hintergrund des Karlsruhe-Urteils zum Grundbedarf für Kinder regte Katja Kipping die Überarbei-tung des drei Jahre alten Kin-dergrundsicherungskonzepts der LINKEN im Bundestag an.Mehr noch als alle anderen Themen bestimmte die Aus-richtung und Umsetzung des Bildungs- und Teihabepaketes unsere Gespräche vor Ort. Ein Grundtenor wurde dabei deut-lich: »Das Bildungspaket er-reicht seine Ziele nicht«. An-nekatrin Klepsch bewertete das Paket aus dem Hause von der Leyen im Gespräch mit den Sozialdezernenten und Leiter/innen der Jobcenter, Sozial- und Jugendämter aus

den Landkreisen Nordsach-sen und Leipzig im Schloss Machern als stigmatisieren-des Bürokratiemonster und blieb mit ihrer Kritik nicht al-lein. In der Podiumsdiskus-sion »Weg aus der Armut« im Leipziger Bürgerzentrum Mes-semagistrale mit Diana Golze, Dr. Barbara Höll (beide MdB) und Heike Werner (MdL), kri-tisierte der Leipziger Jugend-amtsleiter und bekennende Anhänger der Kindergrundsi-cherung, Dr. Siegfried Haller, dass in Leipzig bislang nur 17 Prozent der Berechtigten die Beihilfen des Bildungspakets beantragt haben. Parallel zum Tour-Programm fand die kreative Aktion »Le-ben in die Box« im Rahmen der Woche statt. Ein interaktives Kinderzimmer forderte von Montag bis Freitag Kinder- und Jugendliche zum kreati-ven Dialog auf dem Dresdner Postplatz und dem Chem-nitzer Neumarkt heraus. Mit der Aktion machte die Leip-ziger Medienkünstlerin An-drea Günther auf die soziale Situation von Kindern und Ju-gendlichen in unserem Land aufmerksam und warb für die Einführung einer Kindergrund-sicherung. Michael Leutert, MdB

Links ist sexy, ...das wussten wir ja. Aber das LINKE-Bundestagsabgeordne-te aus Sachsen besonders se-xy sein sollen, das ist doch mal was Neues. Schaut man sich das Ergebnis der wenig char-mant formulierten Frage »Mit welchem Politiker oder wel-cher Politikerin würden Sie...?« auf sexybundestag.de an, fin-den sich Namen wie Caren Lay und Katja Kipping bei den Frauen sowie mein eigener bei den Männern unter allen Frak-tionen jedenfalls ganz vorne. Nun kann man das als eine wit-zige Abwechslung im politi-schen Alltag betrachten oder sich darüber ärgern, dass sich ausgerechnet mit einem sol-chen Thema Schlagzeilen ma-chen lässt. Mir wäre es auch lieber, die Medien würden mehr über unsere politischen Inhalte und Konzepte berich-ten. Aber vielleicht dient diese etwas andere Aufmerksamkeit auch dazu, dass der eine oder die andere mal hinter die hüb-sche Oberfläche schaut.Michael Leutert, MdB, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

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Als vor 50 Jahren die Berliner Mauer errichtet wurde, konn-te sich kaum einer vorstellen, dass dieses Bauwerk die be-stehende deutsche Teilung im wahrsten Sinne des Wortes auf Jahrzehnte zementieren würde. Die komplette Abrie-gelung der Grenze nach West-berlin am 13. August 1961 und der anschließende Bau der Mauer dienten der Aufrecht-erhaltung des politischen Sys-tems in der DDR. Die Partei- und Staatsführung sah keine andere Möglichkeit, der an-haltenden Übersiedlungs- und Flüchtlingsbewegung in die Bundesrepublik und dem damit verbundenen Verlust hochqualifizierter Arbeitskräf-te Einhalt zu gebieten. Es war das Eingeständnis, den zuvor propagierten Wettbewerb der Systeme bei offenen Grenzen nicht bestehen zu können. Die Mauer und die Grenzbefesti-gungsanlagen haben in den folgenden dreißig Jahren fast einhundertfünfzig Menschen das Leben gekostet, Tausen-de bei Fluchtversuchen ins Gefängnis gebracht, Millio-nen Menschen das Recht auf Reisefreiheit genommen und zahllose Familien getrennt. Der Bau der Berliner Mauer offenbarte das grundlegende Problem des Herrschafts- und

Gesellschaftssystems in der DDR: Das Verständnis eines autoritären Staatssozialis-mus, in dem die Bevölkerung als Objekt behandelt wird, dem die Partei- und Staatsfüh-rung ihre Ziele aufzwingt. Dies steht im Gegensatz zu einem selbstbestimmten und demo-kratischen Sozialismus. Die Hoffnung von Teilen der DDR-Bevölkerung, darunter auch mancher namhafter Künstler und Intellektueller, die DDR-Gesellschaft könne nach dem Mauerbau ohne Störungen von außen erfolgreich aufge-baut und reformiert werden, zerstob im Verlauf eines knap-pen Jahrzehnts. Der Mauerbau war zugleich ein Produkt des Kalten Krie-ges und der nach dem Zwei-ten Weltkrieg neu entstande-nen bipolaren Weltordnung von Ost und West. Die Teilung Deutschlands und Berlins war besiegelt und wurde auch von den Westmächten befördert. John F. Kennedys Aussage, die Mauer »sei keine schöne Lö-sung, aber tausendmal besser als Krieg« illustriert knapp die-sen Sachverhalt. Die sowjeti-sche Führung und im Gefol-ge die DDR entschieden sich 1961 zum Mauerbau, um ei-nen Krieg zu verhindern. Die-ser war angesichts der fort-

schreitenden Destabilisierung der DDR und unter den Be-dingungen der militärischen Konfrontation in Mitteleuro-pa nicht auszuschließen. Die Mauer hätte auch nicht über Jahrzehnte bestehen können ohne die Tolerierung und Ak-zeptanz durch die westlichen Besatzungsmächte (USA, Großbritannien, Frankreich), für die damit der bestehende Status quo gesichert wurde. Die Mauer war längst brüchig, bevor sie fiel. Ihr tatsächli-cher Fall wurde der Schluss-stein des Niedergangs der DDR-Gesellschaft. Bis heute

haben die LINKE und die Ar-beiterbewegung am Erbe des Mauerbaus zu tragen. Die Idee des Sozialismus ist miss-braucht und diskreditiert wor-den. Dies nutzen Verteidiger des kapitalistischen Systems bis heute dazu, jegliche Su-che nach grundlegenden Al-ternativen als einen Weg in Mauer und Stacheldraht zu kriminalisieren. Darüber hin-aus verfestigte der Mauerbau über Jahrzehnte die Spaltung der deutschen Arbeiterbewe-gung. Die Nachwirkungen sind bis heute spürbar. Ein ehrliche Debatte über

die Berliner Mauer erfordert ebenfalls eine Auseinander-setzung mit neuen Grenzen und mit Festungsmentalitä-ten, die heute bestehen und aufbaut werden. Tausende Menschen starben in den letz-ten Jahren bei dem Versuch, die um Europa zur Abwehr ökonomischer und politischer Flüchtlinge errichteten »Mau-ern« zu überwinden. Für Mil-lionen Menschen in unserem Land mit geringem Einkom-men gibt es die Reisefreiheit nur auf dem Papier. Es ist ver-logen, immer wieder auf den Mauerbau 1961 zu verweisen und zugleich neue Mauern zu errichten oder zu rechtferti-gen. Dass Freiheit, Demokra-tie und Sozialismus für alle Zu-kunft untrennbar verbunden sein müssen, bleibt für uns im 50. Jahr nach dem Mauerbau die wichtigste Lehre.Klaus Kinner

Der Autor ist Mitglied des Spre-cherrates der Historischen Kommission beim Parteivor-stand der Partei DIE LINKE und Mitautor der Erklärung der Kommission zum 50. Jahrestag des Mauerbaus. Der vorste-hende Text stützt sich wesent-lich auf diese Erklärung.

Ein Pyrrhussieg

90 Jahre Gongchandang

Geschichte

Als sich am 1. Juli 1921 in Shanghai 13 junge Männer trafen, um eine kommunisti-sche Partei zu gründen, wuss-te die Geheimpolizei schon Bescheid. Und reagierte mit sofortiger Verfolgung. Denn groß war die Angst, dass das nicht mehr zu stoppen sein würde: 1905 Revolution in Russland, 1911 Revolution in China, 1917 Revolution in Russland, 1919 anti-imperia-listische 4.-Mai-Bewegung in China. Und nun wollten diese Kommunisten – so wenige es auch waren – mit der Komin-tern gemeinsam die Weltrevo-lution vorantreiben. Inzwischen ist sie 90 Jahre alt, die Kommunistische Partei Chinas, die Gongchandang. Aus den 13 Mitgliedern vom Anfang – Mao Zedong war un-ter ihnen – sind 80 Millionen geworden. Perry Anderson, souveräner marxistischer Weltanalytiker, findet darum die seit 1990 gebetsmühlen-artig wiederholte Rede vom Zusammenbruch des Kommu-nismus »ein wenig eurozent-risch«. Und verweist auf den Platz, den die von der Gong-chandang geführte Volksre-

publik China sechs Jahrzehn-te nach ihrer Gründung am 1. Oktober 1949 in der Welt ein-nimmt: Als Lokomotive der Weltwirtschaft; als Export-weltmeister; als Inhaber der weltgrößten Währungsreser-ven; als ein Land, das seit ei-nem Vierteljahrhundert auf die höchsten Wachstumsra-ten verweisen kann. Natürlich ist die Gong-chandang voller Widersprü-che, natürlich ist es die VR China auch. Ob es denn ge-rechtfertigt sei, dass sie sich immer noch kommunistisch nenne, diese die VR China führende Partei, wird gefragt. Die Frage ist berechtigt an-gesichts der Vergangenheit - mit Großem Sprung nach vorn und nachfolgender Hungers-not Anfang der 1960er Jahre, Großer Proletarischer Kultur-revolution 1966-1976 und der Zerschlagung der Studenten-proteste am 4. Juni 1989 - wie auch angesichts der Gegen-wart mit der sich rasant ver-tiefenden Kluft zwischen Arm und Reich, mit Aufschwung auf der einen und schärfsten Ausbeutungsverhältnissen auf der anderen Seite. Nur:

Wer will, wer darf da Namens-Schiedsrichter sein? Zu dra-matisch in ihrer Widersprüch-lichkeit ist die Geschichte der kommunistischen Bewe-gung, als dass da anderes he-rauskommen könnte als Beck-messerei. Die stalinistische KPdSU und die von ihr be-herrschte Komintern; die Par-teien des Eurokommunismus mit ihrem antistalinistischen Grundgestus und ihrer den Kapitalismus stabilisierenden Kompromissbereitschaft; die maoistischen und K-Gruppen in der alten Bundesrepublik, die die DDR revolutionär zu überholen trachteten und aus deren Reihen es einige spä-ter zu höchsten Regierungs-weihen gebracht haben; die SED, in der die Kommunisten den Sozialdemokraten keine Chance ließen und am Ende vor den Trümmern ihrer Herr-schaft standen: Alle sind sie Vergangenheit, und wer will da ernsthaft behaupten, er ha-be Maßstäbe gesetzt, an de-nen sich die Chinesen messen müssten? Die Gongchandang hat China aus tiefster Demütigung zur Weltmacht geführt. Mit ihrem

Widerstandskampf hatte die Gongchandang entscheiden-den Anteil daran, dass Japan 1941 nicht mehr in der Lage war, die dem Bündnispartner Deutschland versprochene zweite Front gegen die Sow-jetunion zu eröffnen. Und es war auch dieser Widerstands-kampf, der der Gongchandang im chinesischen Volk einen solchen Rückhalt verschaffte, dass sie im Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 einen überwäl-

tigenden Sieg erringen konn-te. 90 Jahre Gongchandang. Das beeindruckende Jubiläum ei-ner Partei, die mehr Mitglieder hat als Deutschland Einwoh-ner. Und in der tatsächlich da-rüber nachgedacht wird, was heute und morgen in dieser Welt Sozialismus sein kann.

Wolfram AdolphiDer Autor im Netz: www.asia-ticus.de

Niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten, hatte Walther Ul-bricht noch am 15. März 1961 vor der internationalen Presse erklärt.

Mao mit weiteren Führern der kommunistischen Bewegung in China, 1930er Jahre.

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Am 14. August jährt sich der Todestag Bertolt Brechts zum 55. Male. Als Dramatiker und Lyriker bekannt, war er auch Philosoph und Politologe. Brecht war nie Mitglied einer Partei, hat aber viel über die Rolle der kommunistischen Partei nachgedacht. Nament-lich für eine Partei, die eine hu-manere gesellschaftliche Al-ternative zu den bestehenden Verhältnissen programmatisch verfolgt, bleibt Brechts Denken vom richtigen Denken höchst aufschlussreich.Brechts Werk war Lehrstoff im staatssozialistischen Deutsch-unterricht und auch Bestand-teil des Lehrplans im Philoso-phiestudium, mindestens in Leipzig. Seine spezifische äs-thetisch-politische Betrach-tungsweise bewahrte ihn vor Verflachungen, wie sie der staatsoffizielle Marxismus-Le-ninismus vollzog. Er wende-te den historischen und den dialektischen Materialismus als Methode für eingreifen-de Theaterkunst an. In seinen Schriften zur Politik und Ge-sellschaft entwickelte er Be-trachtungen zur Dialektik des die Wirklichkeit erfassenden Denkens - »eingreifendes Den-

ken« nannte er es. Der Mensch sei nicht zum Denken da, son-dern Denken solle ihm die Exis-tenz erleichtern, müsse also praktisch folgenreich sein. Ein solches Denken muss vermit-telt werden.Weltanschauungen waren für Brecht Arbeitshypothesen, weil die Klarheit der Erkennt-nis gerade bei solch umfassen-den Problemen wie der gesell-schaftlichen Entwicklung am Beginn eines Vorhabens lan-ge nicht so sicher ist, wie die Begründungen eines erfolg-reichen Handelns im Nachhi-nein glauben machen wollen. Richtiges Denken stellte für Brecht immer kommunikati-ves Handeln dar – das eigene Denken müssten andere mit ih-rem Denken zur Kenntnis neh-men und verarbeiten. Er un-terschied drei Dimensionen richtigen, also eingriffsfähigen Denkens, die zusammengehö-ren: Das auf den Aufbau der Person gerichtete Denken, das technische bzw. Sach- und Fachdenken und das po-litische Denken. Diese stehen nicht nebeneinander, son-dern es sind sich durchdrin-gende Herangehensweisen, Denkstile. Für Brecht war po-

litisches Denken Bestandteil des alltäglichen Denkens der Menschen. Jeder einzelne al-so muss, will er in gesellschaft-liche Strukturen eingreifend denken, bewusst denkend den Raum des Politischen erschlie-ßen bzw. den des Privaten, des bloß Selbstbezogenen verlas-sen. Dabei ist »das Politische« mehr als eine bloße fachpoli-tische Kompetenz. Die Eman-zipationsbewegung innerhalb der Achtundsechziger hat dies später in dem Slogan »Das Pri-vate ist politisch« erkannt. Hier sei nur angemerkt, dass ein Po-litiker sehr, sehr weit weg sein kann vom so bestimmten poli-tischen Denken, auch ein »lin-ker« Politiker!Ein solches Denken führt zu anderen Strukturen und Ar-beitsmethoden. Brecht selbst wäre sicherlich einer der ers-ten gewesen, der auf die gra-vierenden verzerrenden Ver-änderungen hinsichtlich des »historischen Subjekts« im

Staatssozialismus aufmerk-sam gemacht hätte. Denn er fixierte algorithmisch »Voraus-setzungen für die erfolgreiche Führung einer auf soziale Um-gestaltung gerichteten Bewe-gung«, die gerade die langfris-tige Machtkonzentration in den Händen einer Partei, einer so-zialen Schicht oder weniger Persönlichkeiten zu verhin-dern geeignet sind: Führungs-denken aufgeben, Einzelini-tiative immer ermöglichen, klassische bürgerliche Ethik ernst nehmen, Verzicht auf ideologisierende Propaganda, stattdessen Beweisführung - und Ehrlichkeit. Und für die po-litische Praxis gibt er noch ei-nen weiteren, höchst aktuellen Hinweis: Ein Kompromiss ist, wenn Wein und Wasser aus zwei getrennten Gläsern ge-trunken werden!Ein Brecht wäre auch heute ein Gewinn für die Linke. Wer sei-ner gedenken will, sollte ihn studieren! Ralf Becker

»Das Private ist politisch«Die Ausnahme und die Regel

»Was nicht fremd ist, findet befremdlich!

Was gewöhnlich ist, findet unerklärlich!

Was da üblich ist, das soll euch erstaunen.

Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch

Und wo ihr den Missbrauch erkannt habt,

Da schafft Abhilfe!«(B. Brecht: In: Stücke. Aufbau Verlag, Berlin. u. Weimar 1968, Bd. V, S. 231)

Ein Buch wie ein Messer, in den Rippen eines Deutsch-land steckend, von dem das plätschernde Feuilleton nichts mehr wissen will, in Wahrheit nie hatte etwas wissen wollen. In einer Sprache gehämmert, die in der deutschen Literatur kaum Gleiches findet – so be-richtet Thomas Harlan vom Sterben und Leben des Vaters: »Veit«, so lautet auch der Ti-tel des Buches, das vom Ende des Regisseurs Harlan handelt, von dessen Film »Jud Süß« und auch vom Vater-Sohn-Konflikt und eigentlich vom Konflikt der Söhne mit ihren Nazi-Vätern.Nicht alle hatten Väter, die mit einem Film der Judenvernich-tung Vorschub leisteten. Aber fast alle beerbten treue Sol-daten, brave Mitläufer, kleine

Rädchen im Kriegs- und Ver-nichtungsapparat. Und die Westrepublik beerbte, auch daran lässt Thomas, der Sohn, keinen Zweifel, das Henker-Reich.In Capri stirbt Veit Harlan, der Freund von Goebbels, der Lie-ferant von Nazi-Filmen, von »Jud Süß« bis hin zu »Kolberg«, dem Durchhalte-Drama, im Ja-nuar 1945 in Berlin und dem eingeschlossenen Kriegshafen La Rochelle aufgeführt. »Veit«, schreibt der Sohn, der bei den Dreharbeiten dabei war, »prob-te den Kessel. Er probte den Tod.« Tausende abkomman-dierte Soldaten singen für die-sen Film »Das Volk steht auf ...« Bald sollte es auf der Schnau-ze liegen.In zwei Prozessen, ange-

klagt wegen »Beihilfe zur Ver-folgung«, wird der Regisseur später freigesprochen. Ein Hamburger Richter, der als Na-zi-Sonderrichter zwanzig To-desurteile fällte, sprach ihn frei, notiert der Sohn: »Der Mordge-hilfe blieb Richter in Deutsch-land.« Der Harlan-Sohn hat ein unerbittliches Gedächtnis: »Heilig waren auch, unschuldig, die Kriegsverurteilten, die Mör-der aus der Union der Sowjet-republiken, die KZ-Schergen, die Buchenwalder, die Gesta-po-Beamten aus den weißrus-sischen Kommandozentralen, die Blutrünstigen, die sich in Friedland um Adenauer schar-ten«.Kaum wahrgenommen hat das Feuilleton, dass der Sohn Waf-fen aus der Slowakei nach Isra-

el geschmuggelt hatte, »wegen Dir«, dem Vater. Dass er nach Frankreich floh, um nie wieder Deutsch zu sprechen, dass er vier Jahre in Polen lebte, um deutsche Kriegsverbrechen zu dokumentieren, dass man ihm daraufhin den westdeutschen Pass entzog, dass man ihn »kommunistischer Tendenzen« zieh, lange bevor er der Grup-pe »Lotta Continua« angehörte, der linken, radikalen Vereini-gung von italienischen Arbei-tern und Studenten.Bald bekommt das neue Deutschland ein Museum der Vertreibung. Ob sie dort auch von der Reise Erika Manns be-richten, »durch Pommerland« wie Thomas Harlan erinnert, »... und in ihren Artikeln für bri-tische Zeitungen die Vertreiber

beklatschte, die Güterwagen beklatschte, die tollwütigen Hunde beklatschte, welche fremde Länder gequält hatten.«Alles, alles erinnert der junge Harlan: Den Kiesinger, den er in der scheinbar neuen Repu-blik als Nazi-Strippenzieher er-lebt hat; die FDP jener Zeit, die im Grunde ein Sammelbecken von Nazis war und damals ei-ne Generalamnestie für alle NS-Vebrecher forderte, auch das Zu-Schweigen der Schuld: »Mein Vater wollte das alles nicht wissen.«Thomas Harlan starb im Ok-tober des letzten Jahres, kurz nach der Vollendung des Bu-ches. Wir müssen ihn vermis-sen. Uli Gellermann,Thomas Harlan: Veit. Rowohlt Verlag. 160 S., geb., 17,95 €.

An der Kette

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Intelektuelle bei Friedenskundgebung, 1948.

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Wie heißt er denn nun rich-tig, Sachsens längster Ka-nal - »Elbe-Elster-Floßkanal« oder »Grödel-Elsterwerdaer-Floßkanal«? Wer dem 22 Kilo-meter langen Wasserweg von der Elbe aus folgt, wird bei-den Schreibweisen begegnen; der Wechsel erfolgt exakt am KS- bzw. KP- Grenzstein 180 in Gröditz, wobei KS für König-reich Sachsen steht und KP für Königreich Preußen. Bis dort-hin lautet die Schreibweise auf der sächsischen Seite »El-be-Elster-Floßkanal«. Als man 1742 unter dem Baumeister Johann Müller mit dem Kanal-bau begann, war freilich Preu-ßen noch ganz weit weg. Dres-den und Meißen brauchten dringend Holz für Wohnungen und die aufkommende Indus-trie, doch die Waldbestände des Erzgebirges waren bereits unter August dem Starken verfeuert worden - und böhmi-sches Holz war zu teuer. 1735, zwei Jahre nach dem Tod Au-gusts des Starken, wurde eine Regierungskommission ein-gesetzt, die zu dem Schluss kam, dass aus den Waldun-gen um Elsterwerda, Senf-tenberg sowie aus Schraden jährlich 9.000 Festmeter Holz entnommen werden könn-ten, ohne die Waldungen oder den Wildbestand zu schädi-gen (Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang, dass der Schraden als »Wild-

bretkammer« Sachsens galt). Schon 1736 führte das Säch-sische Militär die Planierarbei-ten durch. Auf der Schwarzen Elster und der Pulsnitz wurde das Holz bis nach Elsterwerda geflößt, wo es auf dem Holz-hof bearbeitet und auf Käh-ne verladen wurde. Von dort fuhren die Kähne das Holz bis nach Grödel in der Nähe von Riesa an die Elbe. Die Preu-ßen kamen erst nach der Völ-kerschlacht in Leipzig 1815 in Spiel – und so wurde aus dem größten Kanal Sachsens ein Kanal, der in Teilen nach Preu-ßen hineinreichte. Doch Sach-sen verlor nach 1815 mehr als seine Wildbrettkammer – ins-gesamt bekam Preußen zwei Drittel des Sächsischen Terri-toriums zugesprochen … Wer heute von Dresden kom-mend bei Grödel hinter Nünchritz den Elbe-Radweg verlässt und sich auf das weit-gehend unbekannte Aben-teuer Elbe-Elster-Floßkanal einlässt, erlebt auf dem Ka-nalweg ein Flair, wie man es sonst nur im Spreewald ver-mutet. Große Fische (Karp-fen) schwimmen im klaren Wasser, Reiher sind zu beob-achten, tanzende farbige Li-bellen faszinieren ebenso wie knallgelb blühende Wasser-pflanzen. Gelegentliche Stille, alte Uferbäume und einsame verschlungene Wege machen den Abstecher zu einer klei-

nen Romantik-Tour. Das gan-ze Gewässer wird heute von Anglern des Deutschen Ang-lerverbandes (DAV) betreut. Riesaer, Strehlaer, Gröditzer und Elsterwerdaer Petri-Jün-ger teilen sich das Gewässer, das einst nicht nur dem Trans-port von Holz und Eisen (das Eisenwerk in Gröditz nutzte ebenfalls diesen Wasserwerk) diente, sondern auch zur Be-wässerung der Gärten und Felder. Die Jugend hatte mit dem Kanal immer ein »Frei-bad« im Dorf, und im Winter einen »Eis-Kanal« zum Schlitt-schuhlaufen.Romantischer ist die Ka-naltour in Sachsen, informa-tiver aber in Preußen. Das be-ginnt bereits in Prösen, wo man an der dortigen Schleu-se erfährt, dass schlechte

Baumaterialien, miserable Ar-beitsmoral und Eigentümer-streitigkeiten den Kanalbau um viele Jahre verschleppten. Erst am 2. Dezember 1748 konnte der Kanal erstmalig befahren werden. Das letzte Schiff durchfuhr ihn am 24. Ju-li 1947, aber schon seit 1815 war es mit der Flößerei vorbei gewesen – nicht zuletzt aus politischen Gründen. Außer der Schleuse bietet die Preu-ßische Seite auch weitere in-teressante Informationstafeln an, z.B. zu den Bomätschern, den Männern, die die Schiffe ziehen mussten. Und auch ein Kahn-Umriss kann betrach-tet werden. Endpunkt der Ka-nal-Tour ist Elsterwerda, wo man das wieder hergerichte-te Schloss zumindest von au-ßen besichtigen kann - und

dann mit den Rädern am bes-ten die Regionalbahn besteigt, um auf der Eisenbahnstrecke Elsterwerda-Riesa darüber nachzusinnen, wie deren Bau 1875 dazu führte, dass der Ka-nal seine Funktion als Trans-portweg endgültig verlor. Et-was schade mutet es schon an, dass man den Kanal so gar nicht touristisch mit dem Boot »erfahren« kann, obwohl man vereinzelt mal ein kleines Boot im oder am Kanal sieht. Im-merhin bleiben die Angler auf diese Weise ungestört, eben-so die »Kanal-Biber«, die hier und dort ihre Spuren hinter-lassen haben. Und es sind nur wenige Besucher, die auf dem nicht immer gut ausgeschil-derten Elbe-Elster-Floßka-nalweg eine Wanderung oder Radtour machen. Ralf Richter

Spreewald-Feeling am längsten Kanal Sachsens

Die Idee der Kulturloge nach Sachsen holenKultur ist ganz wichtig – soweit die allgemeine Meinung. Aller-dings wird sie für nur 8 Prozent der Bevölkerung gemacht. Die anderen 92 Prozent nutzen die vielfältigen Kulturangebo-te selten. Und das liegt nicht nur am mangelnden Interesse, sondern wenn die Haushalts-kasse schrumpft, wird zuerst in diesem Bereich gespart. Da ist das ältere Ehepaar, dessen schmale Rente für den gelieb-ten Opernbesuch nicht mehr reicht. Da sind die jungen El-tern, deren Haushaltskas-se den Zirkusbesuch zu viert nicht hergibt. Es sind aber auch Menschen, die zuletzt als Schüler im Theater waren. Da-nach wuchs die Hemmschwel-le, ein Schauspielhaus über-haupt zu betreten. Doch da der Mensch ja bekanntlich nicht

vom Brot alleine lebt, verbrei-tet sich gerade republikweit ei-ne Idee, die diesen Menschen wieder eine Brücke zu Kunst und Kultur bauen kann.Die Idee nennt sich »KULTUR-LOGE« und ist verblüffend ein-fach: Kulturelle Einrichtungen geben Eintrittskarten für nicht ausverkaufte Veranstaltun-gen kurzfristig kostenlos ab. Der Effekt: Einkommensarme Menschen kommen einerseits in den Genuss von Kultur und anderseits müssen Künstler nicht vor halbleeren Häusern spielen. Koordiniert wird das ganze von Kulturlogen. Das sind Zusammenschlüsse von aktiven Bürgerinnen und Bür-gern mit Theatern, Bibliothe-ken, Musik- und Sportveran-staltern.Um diese Idee auch nach Sach-sen zu holen hatte ich gemein-sam mit Anne-Kathrin Klepsch Mitte Juni verschiedene Vertre-terInnen von Kultureinrichtun-gen und sozialen Initiativen zu

einem Workshop eingeladen. Ziel der Veranstaltung war es, Partnerinnen und Partner zu finden, die ebenso für dieses Projekt richtig Feuer fangen. Und wer kann besser dafür sorgen, dass der Funke über-springt, als jemand der selbst dafür brennt. Mit der Begrün-derin der Berliner Kulturloge, der Kulturjournalistin Angela Meyenburg, hat diese Idee ei-ne mitreißende Botschafterin.Dieses Feuer ist auch notwen-dig, um das Projekt, ist es erst einmal gestartet, auch zu be-wältigen. Das Beispiel Berlin zeigt, dass Angebote und Nach-frage in kürzester Zeit förmlich explodierten. Innerhalb von 14 Monaten wurden etwa 5.000 Gäste in eine elektronische Datei aufgenommen. In dieser Datei ist vermerkt, für welche Art Kultur sich die potentiellen BesucherInnen besonders in-teressieren. Und das Angebot ist vielfältig. Pro Monat werden inzwischen ca. 2.000 Plätze

vermittelt. Einzige Vorausset-zung, um als Gast in die Datei der Kulturloge aufgenommen zu werden ist, sich bei einer der Vermittler schriftlich anzu-melden. Bei dieser Anmeldung ist nachzuweisen, dass man nicht mehr als 900 Euro im Mo-nat zur Verfügung hat. Wie eine wissenschaftliche Evaluierung der Berliner Loge zeigt, gelang es dem Projekt, neue Kreise für Kultur zu begeistern. So hatte die Hälfte der Kulturloge-Gäs-te bisher ein Theater noch nie oder maximal einmal von innen gesehen. Aber die begeistern-de Ansprache der Ehrenamtli-chen aus dem Team um Ange-la Meyenburg hat sie letztlich überzeugt.Ohne ehrenamtliches Engage-ment und »die Freude anderen Freude zu schenken«, wie An-gela Meyenburg das ausdrück-te, ist diese Aufgabe kaum zu stemmen. Denn die wirkliche Brücke zu den Gästen der Kul-turloge ist das persönliche Ge-

spräch. Sobald ein Kulturver-anstalter freie Plätze an die Kulturloge gibt, heißt es für die ehrenamtlichen VermittlerIn-nen ran an die Telefone. Jeder Theater- oder Konzertbesuch wird persönlich vermittelt. Und das Besondere: Jeder Gast er-hält 2 Karten, denn wer geht schon gern alleine aus. Diese zweite Karte ist auch an keine Einkommensgrenze gebunden. Man kann also beispielswei-se auch mal seine gutbetuch-te Nachbarin einladen und sich damit fürs Babysitten bedan-ken.Fazit der Veranstaltung: tolle Idee – das hätten wir gern auch für Dresden! Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Kultur- und Sozialeinrich-tungen waren sich da einig. Jetzt geht es »nur« noch darum das Team zu finden, welches dem Berliner Beispiel folgen möchte.Katja Kipping

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ParlamentsreportTermine

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exempla-

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 9.6.2011Die nächste Ausgabe er-scheint am 1.9.2011. Die Zei-

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner VolksbankInternet www.links-sachsen.de

Rosa-Luxemburg-Stiftung

6. Juli, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Militärfor-schung an zivilen Univer-sitäten

Im Rahmen der Ringvorlesung Ethische Ideen in den Wissen-schaftenMit Dr.-Ing. Dietrich Schulze, Beiratsmitglied Naturwissen-schaftlerInnen-Initiative für Frieden und ZukunftsfähigkeitIn Zusammenarbeit mit Integ-raleHörsaal 251, Potthoff-Bau, Haus 2, Hettnerstraße 1, 3, 01069 Dresden

8.-9. Juli, Freitag 16.00-20.00 Uhr, Sonnabend, 11.00-15.00 Uhr Lektüreseminar Theodor W. Adorno: »Marginalien zu Theorie und Praxis«Eine Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Clubs Chemnitz.Raum D101, Technische Uni-versität Chemnitz, Reichenhai-ner Str. 70, 09126 Chemnitz»Nicht wissen, was man tun soll« war und ist eine Reak-tion auf die Krise von Praxis. Die Studentenbewegung von 1968 wusste hingegen schein-bar genau, was zu tun war und zog damit die Kritik Theodor W. Adornos auf sich. In sei-nem 1969 erschienen Auf-satz »Marginalien zu Theorie und Praxis« verurteilte er den reflexionslosen Aktionismus und die Theoriefeindschaft vieler damaliger Studierender und forderte ein Verständnis des Bezugs von Theorie und Praxis, dass sich jenseits der Dogmen von Einheit und abso-luter Getrenntheit bewegt.Das zweitägige Lektüresemi-nar, in dem der 16-seitige Text gemeinsam gelesen wird, soll einen Einstieg in das Werk von Adorno ermöglichen und in die Frage nach der Mög-lichkeit von Praxis in Subkul-turen und sozialen Bewegun-gen münden. Relevant bleibt die Problemstellung, da auch widerständige Praxis sich zu-nehmend als Transformati-onsriemen neuartiger kapi-talistischer Wertschöpfung begreifen muss, der mit Nai-

vität nicht mehr beizukommen ist.

13. August, 10 Uhr Vortrag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Historischen Kommis-sionMit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mit-verfasser der Erklärung der Historischen Kommission, LeipzigRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

25. August, 18 Uhr Vortrag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Historischen Kommis-sionMit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mit-verfasser der Erklärung der Historischen Kommission, LeipzigBürgerbüro MdB Barbara Höll, MdL Monika Runge, Gorkistra-ße 210, 04347 Leipzig

1. September, Veranstal-tung zum WeltfriedenstagChemnitz, den genaue Ort und die Zeit finden Sie unter www.sachsen.rosalux.de oder Tel: 0371-5382718

1. September, 13 bis 19 Uhr X. Ständiges Kolloquium zur historischen Sozialis-mus- und Kommunismus-forschung Die Linke. Erbe und Tradition. Geschichts-politik und linkes Erbe in Ost und WestMit Prof. Dr. Klaus Kinner, Leipzig; Dr. Stefan Bollinger, Berlin und Dr. Jürgen Hof-mann, BerlinModeration: Prof. Dr. Mario Kessler, PotsdamRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zigIm Februar 2010 eröffnete die Veranstalterin mit ihrer Kon-ferenz: »Die Linke. Erbe und Tradition. Eine historisch-kri-tische Standortbestimmung« die Programmdiskussion, der

Linken in ihrer geschichtspo-litischen Dimension.Zwei im Dietz Verlag erschie-nende Bände dokumentier-ten den Diskussionsstand.Die Konferenz verdeutlichte das Bedürfnis nach einer weiter-führenden Diskussion. Dem wollen wir in dieser Veranstal-tung und dem vorliegenden Band »Nichtorthodoxe Linke. Von Havemann bis Dutschke« gerecht werden.Das Jubiläum des X. Ständi-gen Kolloquiums soll uns zu-dem Anlass sein, Bilanz zu ziehen über zwanzig Jahre historische Sozialismus- und Kommunismusforschung im Umfeld der sächsischen Ro-sa-Luxemburg-Stiftung seit deren Gründung 1991.Auf der Grundlage von drei Impulsreferaten schlagen wir eine freie Diskussion vor, die sich an den Beiträgen des vor-liegenden Bandes und dem aktuellen geschichtspoliti-schen Diskurs orientiert. Die Autoren des Bandes werden gebeten, ihre Beiträge thesen-artig vorzustellen.

Ablauf13.00 -14.00 Uhr Moderation: Prof. Mario Kessler, PotsdamProf. Klaus Kinner Leipzig: Die Linke. Erbe und Tradition. Ge-schichtspolitik und linkes Er-be in Ost und WestDr. Stefan Bollinger, Berlin: Geschichte, Programme und PolitikProf. Jürgen Hofmann, Berlin: Bruch mit dem Stalinismus. Rückblick auf eine notwendi-ge Diskussion

14.00 – 15.30 Uhr Diskussion15.30 – 16.00 Uhr Kaffeepau-se16.00 – 19.00 Uhr Dis-kussionAb 19.00 Uhr Freund-liche Begegnung in den Räu-men der Stiftung

7. September, 18 Uhr Vor-trag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Histori-schen KommissionMit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mit-verfasser der Erklärung der

Historischen Kommission, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

8. September, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Die Linke und der Nahost-konflikt Extreme Identifi-kationen und Probleme ei-

nes linken Universalismus

Mit Dr. Peter Ullrich, Soziolo-ge und Kulturwissenschaftler, BerlinRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

»Zu den spezifischen Kennt-nissen eines Philosophen ge-höre es, kein Professor der Philosophie zu sein, zu denen eines Philosophieprofessors, kein Philosoph, heißt es ket-zerisch bei Feuerbach. Doch der Leipziger Universitäts-lehrer Helmut Seidel (1929-2007) war beides. Vielleicht hatte genau das zur Folge, dass seine von Alfred Kosing betreute Habilitationsschrift von 1966 damals ungedruckt blieb. Dank der Sächsischen Rosa-Luxemburg-Stiftung (an deren im März 1991 erfolgten Gründung Helmut Seidel ge-meinsam mit Walter Markov entscheidend beteiligt war) und zwei Dutzend Sponsoren liegt diese nunmehr von Vol-ker Caysa herausgegebene Monographie auf Punkt und Komma genau und unter dem Originaltitel »Philosophie und Wirklichkeit. Zur Herausbil-dung der marxistischen Philo-sophie« endlich gedruckt vor.Deren Quintessenz, vor al-lem aber deren Folgerungen für das seinerzeitige Philo-sophieren hatte ihr Autor in einem Leitartikel des Okto-berheftes der DDR- Philoso-phiezeitschrift von ebenfalls 1966 unter der Überschrift »Vom praktischen und theo-retischen Verhältnis der Men-schen zur Wirklichkeit. Zur

Neuherausgabe des Kapitels I des I. Bandes der »Deutschen Ideologie« von K. Marx und F. Engels« veröffentlicht. In die-ser längeren Abhandlung, die als Beitrag in der geistigen Auseinandersetzung um den »Weg zum künftigen Vater-land der Deutschen« gedacht war, und zwar in der Hoffnung, »dass vom deutschen Boden, aus dem unvergänglichen Schätze der Menschheitskul-tur erwuchsen, nie mehr Krieg ausgeht«, war eben auch ei-ne aus Marxens eigenem Weg zum Marxismus begründete Grundkritik der in jenen Jah-ren gängigen Konzeption sich als marxistisch verstehender Philosophie enthalten. Das rief seinerzeit einige Revi-sionismusriecher (Gropp/Rö-mer/Wrona, gemildert Hertz-berg) in konzertierter Aktion auf den Plan. Zwar konnte Seidel entgegen den damali-gen Bräuchen immerhin noch replizieren, verzichtete dann aber doch auf weitere Versu-che, das marxistische Philo-sophieren von dem überhand nehmenden Kategorienge-klapper systematich zu ent-lasten; stattdessen wandte er sich dem etwas sichere-ren, weil arbeitsaufwendige-ren Gebiet der Philosophie-geschichte zu. [...]« Hermann KlennerVolker Caysa (Hrsg.): Philo-sophie und Wirklichkeit. Zur Hersausbildung der marxis-tischen Philosophie, Leipzig, 2011, S. 248. Kostenbeitrag: 13,50€ISBN: 978-3-89819-325-2

Bestellungen Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V., Tel: 0341-9608531, Fax: 0341-2125877, E-Mail: [email protected]

Philosophie und Wirklichkeit. Zur Herausbildung der marxistischen Philosophie

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Wie geht es uns heute?

Rezensionen

Das Dunkle oder die Vordringlichkeit von Tatsachen

Im Februar hat der Hanser-Verlag das letzte Buch von Tony Judt veröffentlicht. Der Erich-Maria-Remarque-Pro-fessor für Europäische Stu-dien an der New York Univer-sity warnte in seiner letzten großen Rede davor, Ideale wie Gerechtigkeit und Chancen-gleichheit der sogenannten Logik des Marktes zu opfern. Aus dieser Rede entstand - etwas erweitert - sein letztes Buch. Bereits sterbenskrank, diktierte er den Text. Als Bri-te, der lange in den USA ge-lehrt und gelebt hat, verstand er unter den Begriffen Libe-ralismus und Sozialdemokra-tie etwas anderes als wir; die Zukunft der Sozialdemokratie zu beschreiben, war Anliegen des Buches. Dabei gelingt ihm auch, den Begriff Sozialismus in der heutigen Zeit zu definie-ren. Die aktuelle Finanzkrise oder vielmehr die Krise der Ban-

ken hat die Risiken eines entfesselten Marktes deut-lich gezeigt. Judt ruft ins Be-wusstsein zurück, wie viel der sorgende, ja, der sozialdemo-kratische Staat des 20. Jahr-hunderts bedeutet hat - denn in der Krise werden eben die sorgenden Elemente radikal zurückgefahren. Judt benennt kein konkretes Land, sondern erläutert an vielen Beispielen aus der gesamten westlichen Welt, was alles verloren geht oder schon gegangen ist. Warum geht es also dem Land schlecht? Auf der einen Sei-te erreichen Menschen heute einen geradezu unvorstellba-ren Reichtum, auf der ande-ren Seite sieht man auch in unseren Städten teilweise un-vorstellbare Armut. Noch im 19., aber vor allem im 20. Jahr-hundert war es unbedingte und vornehmste Aufgabe des Staates, eben diese Armut zu bekämpfen. Das scheint heu-

te nicht mehr der Fall zu sein. Noch immer grassiert ein Privatisierungswahn – auch wenn er jetzt nach der Finanz-krise etwas überholt scheint. Noch immer wird der Staat von einigen Leuten als unfähi-ger Ressourcenverschwender angesehen. Judt bringt Bei-spiele, die all dies widerlegen.Interessant und wohl für je-den nachvollziehbar fordert Judt Vertrauen, Altruismus, Anstand, kurz Moral ein, weil nur diese »unserem Handeln einen höheren Sinn« zu geben vermögen. Und er steht ne-ben Stephane Hessel, wenn er eine neue Art von Wider-spruchsgeist, der sich von vermeintlichen Experten nicht gleich einschüchtern lässt, einfordert. Das klingt heute manchmal etwas antiquiert, zeugt aber wohl nur von der »Verkommenheit der politi-schen Verhältnisse«. Judt zeigt, dass in den Län-

dern, die dem angelsächsi-schen Wirtschaftsmodell fol-gen - wie Großbritannien oder die USA -, die Armut – gemes-sen an Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, Zugang zu medizinischer Versorgung, re-gelmäßiger Arbeit und verfüg-baren Einkommen – seit den 70er Jahren erheblich zuge-nommen hat. »Unsere Groß-eltern würden die Symptome sozialer Dysfunktion sofort er-kennen«, schreibt er. Und: Die soziale Frage steht wieder auf der Agenda. Interessant ist sein Ansatz, dass die Linke heute immer etwas zu bewahren hat. Nor-malerweise wird links nicht mit bewahrend assoziiert, sondern steht für radikal, zer-störerisch und erneuernd. Die frühen Sozialisten befeuerte das Verlustgefühl, das Gefühl, dass das Wirtschaftsleben moralischen Gesetzen zu fol-gen habe. Heute ist das seiner

Ansicht nach anders, die Linke muss auch die Errungenschaf-ten bewahren. Zusammenfassend lässt sich vielleicht feststellen: Judts letztes Werk ist kein Sach-buch, sondern ein Traktat. Er kämpft nicht gegen den Kapi-talismus, er kämpft für einen starken Staat, für eine Renais-sance des Öffentlichen und gegen den Privatisierungskult.Judt konnte das Buch nur noch mit Hilfe seiner Familie und Freunde fertig stellen, schwer gezeichnet durch eine schwe-re Krankheit. Das ist ihm lei-der manchmal anzumerken, besonders wenn man ande-re Bücher des Autors gelesen hat. Dennoch, diesem Buch sind viele Leser zu wünschen.Rico SchubertTony Judt, Dem Land geht es schlecht. Ein Traktat über un-sere Unzufriedenheit – Hanser Verlag

Zu Wolfgang Hilbig (1941 – 2007)Ich kannte schon seinen Na-men, bevor wir uns das erste Mal sahen. Von jenen Freun-den, die aus M., einem etwa dreißig Kilometer entfernten Industriestädtchen, nach Leip-zig gezogen waren. Von ihnen hatte ich auch erfahren, dass er schrieb, und es war nichts Un-gewöhnliches für mich, dass es in der Öffentlichkeit von ei-nem, der schrieb, nichts zu le-sen gab – schrieben von uns doch fast alle. Zumindest jene von uns, die sich 1974 über ei-nen vom Kulturbund im Club der Intelligenz in Leipzig instal-lierten Schreibzirkel kennen ge-lernt hatten, aus dem sich dann ein eigenständiger und in Tei-len noch heute existierender Freundeskreis entwickeln soll-te. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich Wolfgang Hilbig das erste Mal vor dem Klubhaus Stein-straße begegnet bin – 1979, als sein Debüt »Abwesenheit« ge-rade bei s.fischer erschienen war. Wahrscheinlicher scheint mir, dass er schon zuvor gele-gentlich in unserer Runde, die sich seit Mitte der Siebziger ziemlich regelmäßig traf, aufge-taucht ist. Als Abwesende, Außenseiter oder Aussteiger wurden gern Personen aus Kreisen tituliert,

in denen auch wir verkehrten, Personen, die sich nicht verein-nahmen ließen oder in irgend-einer Weise vom System nicht subsummierbar waren. Hilbig, der doch allen Kriterien ent-sprach, um als Erfolgsbeispiel eines Schreibenden Arbeiters gelten zu können, als Beispiel für die Sinnhaltigkeit jener von oben inszenierten breitenkultu-rellen Kampagne Greif zur Fe-der, Kumpel, die man auf der Bitterfelder Konferenz 1959 be-schlossen hatte, war von Verla-gen, öffentlichen Einrichtungen und der Druckgenehmigungs-behörde offenbar ignoriert wor-den. Und man konnte nur Ver-mutungen anstellen, was sie an diesem Arbeiter und Dich-ter störte: Das Dunkle oder Ab-gründige, das sie zu erkennen glaubten und das tatsächlich gleich Einschlüssen in einem Gestein in seinen Texten opali-sierte, etwas, das für sie nicht einzuordnen war, das sie ver-unsicherte. Und weil der Autor dieser Texte weit über das hin-ausgegangen, was man von ei-nem Autor seiner Provenienz erwartete, er kein Realist in ih-rem Sinne war. Bis in die 70er Jahre wirkte in Rudimenten ei-ne Doktrin fort, die als Sozia-listischer Realismus in die Ge-schichte eingegangen ist und Parteilichkeit einforderte, im Sinne der Sache - vor allem in den Amtsstuben und Behör-den verschiedenster Couleur,

die noch von alten Kadern do-miniert, ihrem proletarisch verbrämten Kulturbegriff. Ich muss gestehen, so viele Gedan-ken habe ich mir damals nicht gemacht, es war eher meiner Sensibilität für Ungerechtigkei-ten geschuldet, dass ich wahr-nahm: Hier ist einer beiseite ge-schoben, ignoriert worden, weil er nicht in die von Partei- und Staatsführung indizierte Wirk-lichkeitssicht passte und das, was er schrieb, einfach unan-nehmbar war, diese Vielzahl weißer oder dunkler Flecken, die in seinen Texten heraufbe-schworen wurden. Flecken, die, wie sie meinen mochten, dieser jungen Republik nicht gut an-stehen konnten. Im Innersten war ich nicht ein-verstanden mit dem Buchtitel und hatte das wohl auch gele-gentlich geäußert. Ich verfiel erst nach wiederholtem Le-sen darauf, dass der Titel wo-möglich die Abwesenheit eines ganz Anderen, einer anderen Dimension in dieser Wirklich-keit umriss oder bezeichnete. Wahrscheinlich war ich eine der wenigen, die einerseits von den Gedichten gefangen genom-men wurden, die ich zum Teil mit der Hand abschrieb, und sich zugleich an diesem Titel rieb, der geeignet schien, den Autor zu denunzieren, seine Wahrnehmungsintensität und Verbindlichkeit ad absurdum zu führen.

Dabei erschien mir unaus-weichlich, was von ihm zu le-sen war: »ihr habt mir ein haus gebaut/laßt mich ein anderes anfangen …« Ein Gedicht, das 1965 entstanden war und uns in unserem Lebensgefühl traf – wir versuchten in unserem Krei-se nichts anderes. Hier hatte ei-ner zehn, zwölf Jahre vor uns im Stillen vorformuliert, was uns umtrieb, beunruhigte, was wir zu beanspruchen gedachten: Nichts weniger als auszubre-chen aus den uns zugedachten Strukturen, aus dem Rahmen zu fallen, dem vorgefertigten. Und hatte diese Zeilen verfasst

als einer, der dennoch im Lande blieb. Möglicherweise ist er es gewesen, er vor allem, der uns von unseren Nirvana- und Beat-nik-Trips Mitte der siebziger Jah-re, Schopenhauer, Stirner in die Schichtungen der Gegenwart, die Gegenwart von Tagebaure-vieren, Kellern, aufgelassenen Flächen, Fabrikhallen zurückge-bracht hat. In eine Gegenwart, aus deren Nährböden, Mitgift er das Wesentliche bezog, das, was seine Existenz bestimmte, aus den Nährböden, Nährlösun-gen, unverhohlen unterwegs im Tagebruch. Während wir noch darüber spekuliert hatten, ob es nicht eher von Nachteil, ort-bar zu sein, in dieser Zeit, wir uns an Vorbildern aus Bauern-krieg oder Vormärz orientier-ten, an Gestalten, die sich mit-tels wechselnder Identitäten dem drohenden Zugriff der Hä-scher zu entziehen gewusst … Jayne-Ann Igel

Der Braunkohlebagger steht symbolisch für jene Leipziger DDR-Le-benswelt, in der Hilbig damals sein literarisches Schaffen begann.

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Seite 12Links! 7-8/2011

Hochburg der Liedermacher: Burg Waldeck

Kultur

Sag mir, wo Du stehst...

Musik

Platz für den Adressaufkleber

Ende der 60er Jahre begann das Waldecker Festival »Chan-son Falklore International« das deutsche Lied- und Folk-revival auszulösen. Sänger, Instrumentalisten und Inter-preten pilgerten zur Burg Wal-deck, um dort ihre Erfahrun-gen auszutauschen. Alles dies basiert auf alter Tradition.Zu Beginn des 20. Jahrhun-derts begaben sich die da-mals sogenannten »Wander-vögel« (im weitesten Sinne Freigeister) auf den Hunsrück, um dort Landwirtschaft zu be-treiben, frei jedweder Gesell-schaftsnormen.So machten sich zum Beispiel die »Nerother Wandervögel« singend auf in die weite Welt, um dort neue Lieder kennen zulernen, die sie in den 20er und 30er Jahren zurück nach Hause brachten. Diese neue Form von Lebens-art sprach sich nicht nur in Deutschland rum, selbst aus dem Ausland zog es neugie-rige Gleichgesinnte auf die Burg. Selbst der berühmte in-dische Dichter und Philosoph Rabindranath Tagore besuch-te die Waldeck am 1. August 1930 und hielt eine beeindru-ckende Rede über die Einheit von Mensch und Natur. Nach Hitlers Machtergreifung wollten die Nazis Einfluss auf die Waldecker Jugendbewe-gung gewinnen, doch mit der Hitlerjugend wollte man nichts zu tun haben. Es begann ei-ne Verfolgungsjagd und Über-fälle von SA und Hitlerjugend blieben nicht aus. Viele kamen ins Konzentrationslager, ande-re gingen ins Exil. Der Bundes-

gründers und -führer Robert Oelbermann wurde im KZ Da-chau ermordet.In den Nachkriegsjahren fand man sich wieder zusammen und es entstand die Idee, die inzwischen legendären Chan-son- und Folkfestivals ins Le-ben zu rufen. So entwickelte sich die Burg Waldeck zu ei-nem musikalisch kulturellem Zentrum. Theateraufführun-gen, Liedermachertreffen zu Ostern oder Pfingsten, Bilder-ausstellungen und immer wie-der politische Diskussionsrun-den finden seit dem statt.Hier traf Walter Moßmann Franz-Josef Degenhardt, Han-nes Wader, Schobert & Black, Christoph Stählin, Hein & Oss Kröher und selbst Reinhard Mey schrieb einsam am Tales-rand seine ersten Songs auf einer Bank sitzend, die heute noch als die seine bekannt ist.

Mitbegründer dieser Veran-staltungen war der legendä-re Liedersammler und Sänger Peter Rohland (22.02.1933 – 05.04.1966) der unumstritten als Wegbereiter des deutschen Chanson- und Folkrevival be-zeichnet werden kann.Gerade die Bewegung des Folk-revival distanzierte sich radikal von missbräuchlichen Umgang mit dem Liedgut alter Zeiten, wie auch von der als Volksmu-sik bezeichneten kommerziell-orientierten Schlagerbranche.Peter Rohland hat sich am in-tensivsten mit deutschen Volksliedern demokratischen Charakters auseinander ge-setzt. 1963 sang er die Lie-der der 1848er Revolution und befasste sich mit Jiddischen Songs (Vorreiter von bekann-ten Interpreten wie Zupfgei-genhans [ehem. BRD] oder Aufwind [ehem. DDR]). Des

weiteren kümmerte er sich um das von der konservativen Volksliedpflege verachtete Re-pertoire der Handwerksgesel-len oder interpretierte opposi-tionelle Soldatenlieder. Peter Rohland starb sehr jung, 1966.Auf der Waldeck wird sein Nachlass bis heute gepflegt. Es erschienen mehrere Lang-spielplatten mit ihm. Der jähr-liche Singwettstreit nebst einer Stiftung, die sich der Förderung junger Sänger wid-met, wurden nach seinem Na-men benannt. Mein Ensemble »Pojechaly« und ich hatten Mitte der 90er einige erfolgreiche Auftritte auf der Burg und im nahegele-genem Koblenz.1999 gastierte die »Leipziger Folksession Band« um Jürgen B. Wolff (Duo Sonnenschirm), deren Mitglied ich bis zu de-ren Auflösung war, neben H. E. Wenzel und Manfred Mau-renbrecher, ebenfalls auf der Burg zum Festival Ost trifft West unter dem Motto »Leip-zig im Herbst 1989 (Die Lie-dermacher und die Wende)«. »Die Burg der tausend Mög-lichkeiten« wie die Waldeck, im Hunsrück gelegen, liebe-voll genannt wird, wird mir und allen die sie kennen ge-lernt haben, in positiver Erin-nerung bleiben. Ein Besuch, auch außerhalb der vielen Festivals, lohnt sich garantiert und bleibt ein unvergessliches Erlebnis. Jens-Paul Wollenberg

Buchempfehlung: Hotte Schneider, »Die Wal-deck« Lieder, Fahrten, Aben-teuerVerlag für Berlin-Brandenburg

Nein, dieser Artikel handelt nicht vom Oktoberklub, ob-wohl sich einige ältere (Zeit)Genossinnen und -Genossen vom Titel her vielleicht an die DDR-Polit-Songgruppe erin-nert fühlen mögen. Nein, wir gehen weiter zurück in der Geschichte, ins US-amerika-nische Harlan County im Jahr 1931. Dort entstand ein zorni-ges, aber zugleich hoffnungs-volles Lied, das – ähnlich wie das eingangs erwähnte Ok-toberklub-Lied – wissen will: »Which side are you on?« – Auf welcher Seite stehst Du? Geschaffen während eines blutigen Arbeitskampfes in einer Kohlemine, wurde es zu einer kleinen Hymne der ame-rikanischen Gewerkschafts-bewegung. Sam Reece, führendes Mit-glied der United Mine Wor-kers – damals die Gewerk-schaft der in den Kohleminen Beschäftigten – gehörte zu den Organisatoren eines er-bitterten Streiks gegen die Ei-gentümer der Kohlemine. In dem Bestreben, die Rädels-führer der meuternden Arbei-ter einzuschüchtern, enga-gierte die Minengesellschaft Provokateure, die auch Sam Reece’s Familie heimsuchten und terrorisierten. Voller Wut schrieb Florence Reece – sei-ne Frau – den Text von »Which Side are you on?« auf einem Kalender nieder und veröf-fentlichte ihn auf ihrem Al-bum »Coal Mining Women«. Bekannt wurde das Lied indes vor allem durch den Folk-Mu-siker Pete Seeger, der es 1967 interpretierte.Obwohl es über achtzig Jahre alt ist und die Arbeitskämp-fe – zum Glück – unblutig ge-worden sind, beschreibt das Lied eine Situation, die noch heute in den kapitalistischen Betrieben vorherrscht. Denn stehen Auseinandersetzun-gen um Löhne und Arbeits-bedingungen an, müssen sich die Beschäftigten fragen (lassen): «Will you be a lousy scab/or will you be a man?” – Willst du ein lausiger Streik-brecher sein, oder willst du deinen Mann stehen? Reece’s Antwort: »Don t scab for the bosses/don t listen to their lies./Us poor folks haven t got a chance/unless we orga-nize” – Brich nicht den Streik, hör nicht auf die Lügen der Bosse! Wir armen Leute ha-ben keine Chance, wenn wir uns nicht organisieren! Letz-teres gilt in indes nicht nur in den Betrieben.Kevin Reißig

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