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Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde · Sonderdruck ·

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Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde

· Sonderdruck ·

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Bernhard VII. und seine Zeit

Von Ulrich Meier

Ostwestfalen und das Reich Das 15. Jahrhundert war das letzte mittelalterliche und das erste moderne Säkulum der europäischen Geschichte. Es sollte das letzte Jahrhundert der einen abendländischen katholischen Kirche sein. Gleichzeitig nahm die moderne Staatsbildung ihren unspektakulären Anfang und ging selbst am Heiligen Römischen Reich nicht spurlos vorüber. In den Bemühungen um die Reichsreform gewann es neue und festere Strukturen, welche seit dem Reichstag von Worms im Jahre 1495 dann verstärkt institutionellen Charakter annahmen: Das geschah durch die Einrichtung eines Reichsre­giments und des Reichskammergerichts, durch die Verkündung des Ewigen Landfriedens mit Fehdeverbot und, in den Jahrzehnten danach, durch die Ausbildung der Reichkreise als organisatorisches Rückgrat der Friedens­sicherung. l Die heute Ostwestfalen genannte Region gehörte danach zum Niederrheinisch-Westfälischen Kreis. Für den historischen Blick zurück, dem es um die Rekonstruktion von Biographien und konkreten Lebenswel­ten geht, ergibt sich aus der Einsicht in die fundamentalen Wandlungspro­zesse der Zeit allerdings häufig eine schwer differenzierbare Gemengelage unterschiedlichster Befunde: In den Fürstentümern, Ländern und Städten

Prof Dr. Ulrich Meier. Universität Biele[eld, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universitätsstraße 25,33615 Biele[eld, ulrich.meier@uni-biele[eld.de. 1 Vgl. dazu PETER MORAw, Reichsreform und Gestaltwandel der Reichsverfassung um 1500, in:

DERS., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittel­alters, hg. von RAINER CHRISTOPH SCHWINGES, Sigmaringen 1995, 277-292; ANDREAS SCHNEIDER, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorgans des Alten Reiches, Düsseldorf 1985. Für die aufwändige Korrektur- und Redaktionstätigkeit des Themenschwerpunktes möchte ich mich herzlich bedanken bei Franziska Hüther und Anna Maria Schütze, besonders aber bei Michael Zozmann, der in diesem Jahr die Hauptlast trug.

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nämlich blieben soziale Grundstrukturen, Einstellungen und Mentali­täten, mithin der Alltag der Menschen, von diesen Prozessen weitgehend unberührt und stabil. Zugleich aber fanden die genannten tiefgreifenden Veränderungen statt, die dann seit etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts· auch in dieser Region zur Ausbildung des frühmodernen Territorialstaats führen sollten.2 Sozial- und wirtschaftsgeschichtlich gesehen geschah das alles vor dem Hintergrund einer beschleunigten Erholung Europas von der spätmittelalterlichen Agrarkrise und einer ins Positive gewendeten Bevölkerungsentwicklung.

Wie stellte sich diese Gemengelage nun in Ostwestfalen dar? Die Region war um 1500 geprägt von zahlreichen kleinräumigen Herrschaf­ten wie Ravensberg, Schaumburg oder Lippe, aber auch von geistlichen Fürstentümern wie Minden und Paderborn. Als Charakteristikum dieser Zeit muss bedacht werden, dass die geistlichen Fürstentümer Landesherr­schaften wie andere auch waren. In diesem Herrschaftsbereich, genannt Hochstift oder Fürstbistum, agierte der Bischof genau wie ein weltlicher Landesherr: Er herrschte, führte Kriege und ein adelsgemäßes Leben. Darüber hinaus war derselbe Bischof aber auch geistliches Oberhaupt in seiner Diözese. Die war weitaus größer als sein Hochstift und umfasste im Falle der Diözese Paderborn damals beispielsweise große Teile von Lippe, Ravensberg, Pyrmont und Waldeck. In diesem Großraum konnte der Paderborner Bischof Pfarrer einsetzen, geistliche Institutionen wie Klöster und Stifte gründen, die geistliche Gerichtsbarkeit ausüben oder Ablässe und wichtige Privilegien erteilen. Die Unterscheidung von Hochstift und Diözese ist für das Verständnis dieser Zeit von großer Bedeutung, für das Verständnis der lippischen Geschichte der Zeit Bernhards VII. und seines Bruders, des Paderborner Bischofs Simon III., ist sie fundamental und unverzichtbar. Hinzu kommt noch ein anderes: Die meisten weltlichen Landesherren Ostwestfalens wie die Grafen von Rietberg, Schaumburg oder die Edelherren zur Lippe standen reichsrechtlich auf dem vierten Schild der Heerschildordnung, einer vom Reichskriegsaufgebot inspi­rierten Rangordnung der Adelswelt. Der Paderborner oder der Mindener Bischof als geistlicher Reichsfürst dagegen stand auf dem zweiten Schild, also direkt unter dem König bzw. Kaiser (erster Schild), noch über den

2 Grundlegend: HEINZ SCHILUNG, Die neue Zeit: Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten, 1250 bis 1750, Berlin 1999; vgl. auch WOLFGANG REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.

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Bernhard VII. und seine Zeit

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Abb. 1: Ausschnitt aus der Karte von Wolfgang Leesch, Politische und administrative Gliederung um 1590, in: Geschichtlicher Handatlas von Westfalen, Lieferung 1, Münster 1975, Nr. 2.

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mächtigsten Herzögen und Landgrafen, dem dritten Schild.3 Das war für die Positionierung der jeweiligen Herrschaftsträger in einer vom Hochadel geprägten Welt der Ehre und der öffentlichen Rituale nicht unbedeutend.4

Was muss man sich nun konkret unter weltlichen Herrschaften wie Lippe und Ravensberg oder Fürstbistümern wie Minden oder Paderborn vorstellen? Statistische Basisdaten aus dieser Zeit liegen nicht vor. Es lassen sich lediglich begründete Vermutungen anstellen, die dann allerdings zu einem überraschenden Ranking führen. Danach war das Hochstift Pader­born um 1500 mit einer Größe von rund 2.700 km2

, einer Einwohnerzahl um die 55.000, einer Ritterschaft von mehr als 100 Waffenträgern und ins­gesamt 23 Kommunen das weitaus größte, mächtigste und städtereichste Gebiet der Region. Nicht einmal halb so stark war die Herrschaft Lippe (1.207 km2, um 22.000 Einwohner, bis zu 80 Vasallen, 9 Städte). Es folgten die Grafschaft Ravensberg und das Fürstbistum Minden mit zwei bzw. drei Städten und weniger als 50 Rittern. Darüber hinaus darf zwischen den beiden bedeutendsten Mächten, Paderborn und Lippe, noch ein enormer Abstand in der Wirtschaftskraft angenommen werden. Er ist unter Vorbe­halt ablesbar am Abschlag für die Türkensteuer des Jahres 1529: Hier sollte Lippe 780 Gulden zahlen (allein 405 davon hatte Lemgo aufzubringen), während vom Hochstift Paderborn fast die dreifache Summe, 2.055 Gulden, gefordert wurde.5 Paderborn war damals also die stärkste Regionalmacht und das vergleichsweise modernste Territorium. Mehr als die Hälfte der Menschen lebte hier in Städten als freie Bürger und auch die bäuerliche Bevölkerung bestand, anders als in Lippe oder Ravensberg, in großer Zahl aus Freien. Soviel zu Größe, Stärke und Wirtschaftskraft der ostwestfä­lischen Herrschaften um 1500.

3 Die weitere Unterscheidung zwischen fürstlichem (1. bis 3. Heerschild) und nichtfürstlichem Hochadel (4. Heerschild) ist vor allem reichspolitisch signifikant. Für die Politik und Staatsbildung auf regionaler Ebene, um die es hier geht, hat diese Differenzierung allerdings oft erstaunlich wenig Bedeutung. Der mittelalterliche Hochadel vom König bis zum Edelherrn verstand sich insgesamt als kompakte Einheit, ständisch abgegrenzt von Niederadel (Ritteradel), Bürger und Bauer, vgl. ERNST SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München 1996, 10. ,

4 Zur Bedeutung von Ehre und Ritual vgl. Barbara STOLLBERG-RILINGER, Des Kaiser alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2007,7-91.

5 Bei den Zahlen und Schätzungen habe ich mich orientiert an GERTRUD ANGERMANN, VoIksleben im Nordosten Westfalens zu Beginn der Neuzeit, Münster/NewYork 1995,.8f., 19,69,76, und HANS JÜRGEN BRANDT/KARL HENGST, Das Bistum Paderborn im Mittelalter, Paderborn 2002, 62f. Zu den Ritterschaften von Paderborn und Ravensberg vgl. MICHAEL LAGERS, Der Paderborner Stiftsadel zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Auf- und Ausbau niederadliger Machtstrukturen im Kontext spätmittelalterlicher Territorialisierungsprozesse, Diss. Bielefeld 2011; REINHARD VOGELSANG, "Weil dieses Land oft angegriffen, geschädigt und überfallen wird". Ein Bündnis der ravensbergischen Ritterschaft 1470 gegen das Fehdewesen, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 93 (2008), 7-24.

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Bernhard VII. und seine Zeit

Unser Themenschwerpunkt setzt allerdings mehr als ein halbes Jahrhundert früher an, im Jahre 1428 mit der Geburt Bernhards VII., Edel­herrn zur Lippe. Hier und in den folgenden Jahrzehnten war es um diesen Raum noch nicht so gut bestellt. Das Bistum Paderborn stand in der Gefahr einer Angliederung seines Gebietes an das kölnische Herzogtum Westfa­len. Der größte Krieg dieser Zeit, die So ester Fehde, hatte 1447 weite Teile Ostwestfalens verwüstet. Seitdem herrschten Mangel, Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit in der Region. Nicht auf der ansehnlichen Bühne der oben geschilderten Zeit um 1500 also, sondern in einem weitaus ärmeren und in seinem Bestand höchst gefährdeten Umfeld begannen die in den folgenden Beiträgen des Themenschwerpunkts genannten Akteure zu handeln: Bernhard VII. und Anna von Schaumburg, Gattin und Mutter seiner Kinder; sein Bruder, der spätere Paderborner Bischof Simon III.; der Hoch- und Niederadel der Region, Kleriker und Laien wie die Mönche des Augustiner-Chorherrenklosters Blomberg oder die Bürgerschaften der Herrschaft Lippe und des Hochstifts Paderborn; Handwerker und Künst-1er wie der berühmte Bildhauer Heinrich Brabender und die anderen im Folgenden genannten Personen und Gruppen. Sie waren es, die aus den um 1450 daniederliegenden Ländern jene ,blühende Landschaft' der Zeit um 1500 gemacht haben. Sie waren es, die in Ostwestfalen die Grundlage für eine geglückte frühneuzeitliche Staatbildung schufen.

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Alle Aufsätze kreisen um diesen außergewöhnlichen lippischen Edelherrn, der in Anlehnung an die Charakterisierung des damaligen Kaisers Maximi­lian als "letzter Ritter" von Hans Kiewning als "der letzte lippische Ritter" tituliert worden ist,7

Der erste Beitrag bietet den idealen Einstieg und ist zugleich Basis­text des Themenschwerpunktes. Roland Linde setzt sich darin ein schein­bar bescheidenes Ziel. Er nimmt sich vor, "die urkundlich nachvollzieh-

6 Vier der Beiträge des Themenschwerpunkts basieren auf Vorträgen, die am 15. Oktober 2011 auf einer Konferenz zum Thema "Bernhard VlI. zur Lippe (1428-1511): Neue Forschungen zum Leben und Wirken eines spätmittelalterlichen Regenten" im evangelisch-reformierten Gemeindehaus in BIomberg gehalten worden sind (Linde, Huismann, Meier, Rügge). Die Tagung ging auf eine Initiative von Roland Linde und Heinrich Stiewe zurück. Zu danken haben wir der evangelisch­reformierten Kirchengemeinde, hier besonders Herrn Superintendent Hermann Donay und seinem Team für die herzliche Gastfreundschaft. Die Veranstaltung unterstützten die Stadt BIomberg, der Heimatverein BIomberg, die Vereinsgruppe Detmold und der Genealogische Arbeitskreis des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe sowie die FachsteIle Geschichte des Lippischen Heimatbundes; auch dafür möchten wir uns bedanken.

7 HANS KIEWNING, Lippische Geschichte, Detmold 1942, 112.

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baren Daten und Fakten der Biographie Bernhards zusammenzutragen. "8

Aus diesem schlichten Vorhaben ergibt sich am Ende allerdings ein ungewohnt differenziertes Bild Bernhards, das Neues zu Tage fördert und Grundlage aller weiteren Forschung sein wird. Nach Informationen zu Vor­fahren und Eltern, die Konnubien mit den mächtigen Hochadelsfamilien von Moers und den Herzögen von Braunschweig dokumentieren, geht der Verfasser auf die Kindheit Bernhards ein und macht, einem Hinweis von Nicolas Rügge folgend, den 4. Dezember 1428 zum wahrscheinlichsten Termin für dessen Geburt. Nach dem Tod des Vaters übernahm zunächst ein Onkel, der Kölner Domküster Otto zur Lippe, die Vormundschaft über Bernhard und seinen jüngeren Bruder Simon, dann nach dessen Tod im Jahre 1433 der Bruder seiner Großmutter väterlicherseits, der Kölner Erzbischof Dietrich von Moers. Als geschworene Ratgeber der Jungherren ist schon früh ein Kreis von landsässigen Niederadligen um Johann von Möllenbeck nachweisbar, zu denen auch ein Johann von der Borch zählte, dessen Familie am Ende unseres Untersuchungszeitraums eine führende Rolle in Ostwestfalen einnehmen sollte. Das überkommene Institut der geschworenen Räte, zu dem in Lippe regelmäßig auch Bürgermeister (v.a. aus Lemgo) zählten, bezeichnet eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Ter­ritorialstaat. Die erste politisch bedeutsame Entscheidung der lippischen Edelherren, an der Seite des Jungherzogs Johann I. von Kleve und Mark gegen ihren Vormund Dietrich von Moers in die Soester Fehde zu ziehen, wird in ihren ambivalenten Folgen deutlich gemacht. Das brachte den Lippern zwar das Kondominium über das seit 1376 verpfändete Lippstadt ein und endete mit dem Sieg über den Kölner Erzbischof; auf der Kosten­seite aber waren die Verwüstung großer Teile Lippes und die Zerstörung Blombergs zu verbuchen.

Lindes Beitrag bietet eine verdienstvolle Liste mit Informationen zu den vier Töchtern und zwei Söhnen von Bernhard und Anna. Er bringt auch eine wichtige Klärung zur Residenzenfrage. Danach ist davon auszugehen, dass zunächst Schloss Brake bei Lemgo bevorzugte Residenz der beiden Brüder gewesen ist, abgelöst nach 1450 durch die Burg Blomberg und um 1470 schließlich durch das Schloss Detmold, das mit großem Aufwand ausgebaut und befestigt wurde.9 Ein Fragment aus einer Inschrift über der vermauerten Tür des neuen repräsentativen Saalbaus des Schlosses trägt

8 Roland Linde, Bernhard VII. zur Lippe - Ein biographischer Versuch, in diesem Band. 9 Dazu vgl. jetzt auch PETER JOHANEK, Lippe, in: WERNER PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen

im spätmittelalterlichen Reich: Grafen und Herren, Teilband 1, Ostfildern 2012, 870-898, hier 885, 894, der für die Zeit Bernhards VII. eine stärkere Gewichtung BIombergs herausarbeitet.

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Bernhard VII. und seine Zeit

die Jahreszahl 1470. Ausführlich wird Bernhards Regententätigkeit gewür­digt: die fiskalische Erschließung der Herrschaft durch die Aufstellung der ältesten Landschatzregister (ab 1467), mit deren Hilfe alle bäuerlichen Anwesen besteuert werden konnten; die Bekleidung des westfälischen Marschallamtes seit 1477, die Verleihung der Stadtrechte an Salzuflen 1488 oder die Einführung einer Policey-Ordnung 1497. Noch 1510, im Jahr vor seinem Tod und im Alter von 81, war der lippische Regent politisch aktiv und traf sich mit dem Herzog von Braunschweig, dem Paderborner Bischof und anderen Grafen auf dem nordlippischen Berg Bonstapel, um Grenzstreitigkeiten bei- und Grenzen festzulegen. Bernhard starb am 2. April 1511. Sein Nachleben bis in die heutige Zeit illustriert Linde schließlich an der Grabtumba in Blomberg und am Beispiel der örtlichen Schlachtschwertierer-Überlieferung in Horn, als deren historischer Kern die militärische Hilfe der Horner Bürger bei Bernhards Einnahme der Stadt Sarstedt bei Hannover im Jahre 1485 plausibel gemacht werden kann.

Frank Huismann beschäftigt sich mit dem wohl bekanntesten Attri­but Bernhards VII.: mit seinem Beinamen ,der Kriegerische', bellicosus.10 Er verweist auf Chronisten wie Bernhard Witte und Albert Krantz und kommt zu dem Schluss, der Beiname stamme "mit großer Sicherheit aus dem gelehrten Milieu, ist aber zeitgenössisch und durchaus positiv gemeint."ll Im Anschluss werden einzelne Fehden analysiert, von der Soester Fehde über die Minden-Schaumburgische Fehde 1469170, in der Arndt von der Borch sein wichtigster Feldherr war, bis zur Hildesheimer Bierfehde 1482 bis 1486, in der es zu der bereits erwähnten Erstürmung der Stadt Sarstedt gekommen ist. Erwähnung finden auch die Fehden, bei denen Bernhard sich als Söldnerführer andiente und für Geld mit seiner gut ausgebildeten und kampferprobten Truppe antrat. Schließlich wird noch der Typ von Auseinandersetzung thematisiert, bei dem er sich als Landesherr gegen eigene Herrschaftsansprüche seines Niederadels wandte. Der Kampf mit den überaus mächtigen De Wendt, die den lippischen Norden fest im Griff hatten und über einen eigenen Lehnshofverfügten, dient als beindrucken­des Beispiel.

Spannend stellen sich auch die Abschnitte über "Teilnehmer und Opfer der Fehde" dar. Dort werden Mannschaft, Bewaffnung und Aus­rüstung der Kombattanten diskutiert. Im Verlaufe des Jahrhunderts ver-

10 Frank Huismann, Bernhardus Bellicosus - Politik mit dem Schwert? Über einen Beinamen und seine Hintergründe, in diesem Band.

11 Ebd., 60.

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einen Beitrag zu diesem Thema beizusteuern.16 Ihre Ausführungen kon­zentrieren sich auf das Grabmal und die Architektur der Kirche. Leitfrage dabei ist u.a., wer als der eigentliche Konzepteur der Kunst- und Bauformen anzusehen ist. Im akribischen Vergleich mit anderen Kirchenbauten kommt die Verfasserin zu dem Schluss, dass nicht die Augustiner-Chorherren planbestimmend gewesen seien, sondern dass sich der zwischen 1462 und 1485 entstandenen Kirchenbau "unter Mitwirken der Edelherrn zur Lippe" vollzog, da die architektonischen "Schmuckformen über die einer gewöhnlichen Pfarr- und Klosterkirche hinausgingen." In Anlehnung an traditionsreiche Überlegungen zu einer Lippischen Baukunst im 13. Jahr­hundert wird sogar erwogen, ob es sich beim Blomberger Bau nicht" um die Stiftung einer ,genealogischen' Reihe der Architektur des Hauses Lippe", die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, handeln könnte. 17 Ein Gedanke, der der Vertiefung wert ist. Ähnlich wie Frau Hüther weist die Verfasserin bei Bernhard VII. übrigens nachdrücklich auf dessen selten thematisierte "tiefe Frömmigkeit" hin und betont mehrfach das fruchtbare Zusammen­wirken mit seinem Bruder Simon.

Für ein Verständnis vor Herrschaftsrepräsentation und Frömmigkeit besonders aufschlussreich sind die Analysen des Bildprogramms der ver­mutlich von Heinrich Brabender geschaffenen Grabtumba. Hauptgesichts­punkt dabei ist die "Inszenierung des Grabmals im Kirchenraum ". Es war ursprünglich zentral im quadratischen Hallenraum, direkt über der Gruft positioniert. Ausgerichtet war es nach Westen zu dem früheren Westportal (heute noch als Westfenster erkennbar). Dieses Portal war nicht für den normalen Gläubigen oder Pilger bestimmt, sondern hier sind allein feier­liche Prozessionen und hoher Besuch in die Kirche geführt worden. In der Grabtumba sieht die Verfasserin mehrere Intentionen verknüpft. Einmal die Funktion als Grabmal, bei dem die Stifter als liegende Figuren, Gisants, selbst anwesend sind. Das war damals bereits unzeitgemäß, kann aber als Würdeformel und bewusst gewähltes Zitat bedeutender Grabmonumente der Region (Marienkirche in Lemgo, St. Marien in Bielefeld) gedeutet wer­den. Im Bildprogramm der Ostquerseite der Tumba mit Kirchenabbild und Darstellung der Freveltat sei, zweitens, der Anlass der Kirchenstiftung visu­alisiert worden. Und drittens wäre auf der gegenüberliegenden Querseite

16 Katharina Priewe, Die Klosterkirche zu BIomberg als Stiftergrablege Bernhards Vll. zur Lippe. Memoria und Herrschaftsrepräsentation am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert, in diesem Band. In der Reihe Lippische Kulturlandschaften hat sie dazu auch ein reich bebildertes Heft herausgebracht: KATHARINA PRIEWE, Die ehemalige Klosterkirche "Zum Heiligen Leichnam" in BIomberg, Detmold 2012.

17 Priewe, in diesem Band, 113t.

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mit Christus als Schmerzensmann, flankiert von den andächtig betenden Stiftern und ihren Patronen, der Typus des Stifter- und Andachtsbildes umgesetzt. Die überraschende Westung der genannten Christus figur mit den Stiftern führt schließlich zu einem ebenso kühnen wie überraschenden Vergleich mit der weltberühmten Kartause von Champmol bei Dijon, die der Burgunderherzog Philipp der Kühne einst als dynastische Grablege gestiftet hatte. 18 In der Präsenz des andächtig betenden Stifterpaars am Westportal von Champmol, das den Besucher zur Grabtumba Philipps leitete, sieht Frau Priewe eine deutliche Parallele zum Andachts- und Stif­terbild mit Bernhard VII. und Anna an der Westquerseite der Blomberger Tumba, auf das bei feierlichen Anlässen und bei Einzug hoher Gäste der Blick als erstes fiel.

Mein eigener Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, das Leben Bern­hards VII. aus der Perspektive seines jüngeren Bruders Simon zu betrach­ten. 19 Dieser ging einen ganz anderen Weg. Er studierte in Köln und Erfurt, wurde Domherr in Köln und Paderborn und 1463 schließlich als Simon III. Bischof von Paderborn. Die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Karri­eren hatten näher betrachtet allerdings viel gemeinsam. Obwohl studierter Domherr und späterer Bischofwar Simon mindestens genau so kriegerisch wie sein bellicosusgenannter Bruder. Eine zeitgenössische Warburger Chro­nik, die von seiner Fehde als Paderborner Bischof mit dem Landgrafen von Hessen im Jahre 1470 handelt, nennt ihn einen "Fürsten von militärischem Genie und herausragendem Mut" .20 Einige Indizien sprechen sogar dafür, dass er draufgängerischer, brutaler und weit weniger kompromissbereit war als sein weltlicher Bruder.2l Die beiden fochten auf jeden Fall mehr als zwanzig Jahre lang wichtige Fehden Seite an Seite. So förderten sie in gegenseitiger Waffenhilfe und mit abwechselnder Rückendeckung den militärischen Wiederaufstieg ihrer Länder. Nur auf diese Weise, so eine These des Beitrags, gelang die langfristige Konsolidierung ihrer noch kurz zuvor in ihrem territorialen Bestand stark gefährdeten Länder.

Aber sie waren nicht allein Waffenbrüder, sondern auch Brüder im Geist und Experten in gegenseitiger Hilfe. Das wird am Beispiel der

18 Ebd., 119. Über die Faszination, die der glanzvolle Hof von Burgund auf Bernhard und Simon ausgeübt haben könnte, ist gelegentlich spekuliert worden. Sie könnte vermittelt worden sein durch ihren am Burgunder Hof erzogenen Waffengefährten Johann I. von Kleve, an dessen Seite sie in die Soester Fehde ritten und der noch in seinem Todesjahr dem Blomberger Kloster bedeu­tende Reliquien geschenkt hatte, vgl. den Beitrag von Linde, in diesem Band, 38, und Meier, in diesem Band, Anm. 25.

19 Ulrich Meier, Unter Brüdern. Simon III. zur Lippe und Bernhard VII., in diesem Band. 20 Ebd., 128. 21 Ebd., 126ff.

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Förderung des in der Soester Fehde stark zerstörten lippischen Südostens gezeigt. Hier betrieben beide gemeinsam, jeder auf seine Weise ab 1460 die Unterstützung der Blomberger Wallfahrt, dann die Gründung des Augustiner-Chorherrenklosters in den Jahren 1468/69 und schließlich den Landesausbau zwischen Blomberg und Schwalenberg ab 1484. Bischof Simon versorgte seit dem Ende der 1470er Jahre das Blomberger Kloster mit Ablässen von besonderer Art. Er und seine Weihbischöfe stifteten ablassstarke Heiltumsfeste und Reliquienprozessionen, sie bereicherten den Festzyklus der Stadt Blomberg insgesamt und förderten gezielt das Fest des Stadtpatrons, des heiligen Martin. Auch bei der aufwändigen Rekultivierung der Landstriche um Blomberg agierten sie gemeinsam. Bernhard VII. schenkte und verkaufte dem Kloster Land und Rechte. Das Kloster gründete auf dieser Basis einen agrarischen Wirtschaftsbetrieb (Uthof) in Schieder. Bischof Simon überließ dem Konvent im Jahre 1486 Besitz- und Herrschaftsrechte zwischen BIomberg, Schieder und Lügde, die aus dem Paderborner Anteil an der Herrschaft Schwalenberg stammten. Als der Konvent sich in der Reformation, genauer gesagt Ende der 1520er Jahre, aufzulösen begann, konnte der Sohn Bernhards, Simon v., den Mönchen ihren gesamten erworbenen, mit hohem Arb eitsaufwand kultivierten Besitz und die vom Paderborner Bischof abgetretenen Schwalenberger Graf­schaftrechte für vergleichsweise wenig Geld abkaufen.22 Seitdem gehört der lippische Südosten zum Land. Dabei gilt es hervorzuheben: Nur weil Simon III. zugleich Landesherr im Hochstift Paderborn und geistliches Haupt seiner Diözese war, die große Teile Lippes umfasste, konnte er sei­nen weltlichen Bruder derart effektiv und differenziert unterstützen. Das Ergebnis des Zusammenwirkens der Brüder ist noch heute in der Gestalt des Kreises Lippe sichtbar.

Lennart Pieper hatte in seiner Bielefelder Masterarbeit auf Metho­den, Fragestellungen und Ergebnisse der aktuellen Forschungen zu Haus­verträgen im Hochadel und zum "Geschlechterbewusstsein" der Dynasten zurückgegriffen und dieses Forschungsfeld für die Geschichte der Edelher­ren und späteren Grafen zur Lippe fruchtbar gemacht. 23 Sein Beitrag in die­sem Band fußt auf dieser Arbeit. 24 In einem konzisen Forschungsüberblick

22 Ebd., 136. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Simon V. zur Lippe sich seit dem Erwerb dieser Gebiete und Rechte vor allem in der Nachfolge der Grafen von Schwalenberg sah, ab 1528 den Grafentitel führte und den Stern im Wappen trug. Das als Ergänzung zu Linde, in diesem Band, Anm. 91.

23 LENNART PIEPER, Zur Herausbildung des Geschlechterbewusstseins im frühneuzeitlichen Hoch­adel. Das Beispiel der Grafen zur Lippe, Masterarbeit Bielefeld 2012.

24 Ders., Bernhard VII als Stifter dynastischer Traditionen, in diesem Band. Anders als in seiner MA-Arbeit, die ihren archivalischen Schwerpunkt eher in der Zeit nach 1550 hat, wird hier vor allem die Zeit Bernhards in den Mittelpunkt gerückt.

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wird "dynastisches Bewusstsein", als "normative Orientierung am fami­liären Gemeinwohl" definiert, das verbunden ist mit der Vorstellung der Überzeitlichkeit des Geschlechts, welches aus Verstorbenen, Lebenden und Nachkommen besteht. In einer solch spezifischen Erscheinungsform von Familie stellt die "Sorge um das Erbe" immer wieder eine Herausforderung dar. So hatte Bernhard VII. im Jahre 1489 versucht, für seinen designierten Nachfolger Simon die Individualsukzession festzuschreiben. Schon wenige Jahre später aber empfahl er, dass nach seinem Tod das Land unter seine beiden Söhne aufgeteilt werden sollte. Auch in der Folgezeit schwankte Bernhard zwischen verschiedenen Optionen.25 Der Vertrag von 1489 kann demnach mitnichten, wie es seit Herausgabe der Lippischen Regesten immer wieder behauptet worden ist, als Fixierung des Primogeniturrechts in Lippe gelten. Die Primogenitur nämlich konnte erst 1593 durchgesetzt werden. Zum historischen Faktum wurde die Vater-Sohn Abfolge damit aber immer noch nicht. Davon kann frühestens ab 1652 geredet werden.26

In dem Kapitel "Sorge um den Nachruhm" geht es um Memoria, Totengedenken und insbesondere um die Grablege in Blomberg. Die Aus­führungen sind eine ideale Ergänzung zu den Analysen von Frau Priewe. Dabei wird die herausragende Rolle Bernhards VII. unterstrichen, der mit dem Bau der Grabtumba im Blomberger Augustiner-Chorherrenkloster und der damit zugleich gestifteten Erbgrablege dem Geschlechterbewusst -sein der Lipper für Jahrhunderte einen festen Ort sicherte. Die Interpre­tation der 16 Ahnenwappen an der Grabtumba ist bis heute nicht völlig geklärt. Pieper sieht in den Fehlern und Unstimmigkeiten der spezifischen Auswahl einerseits ein durchaus zeittypisches Element: das fehlende Wis­sen über weiter zurückliegende Generationen. Andererseits wertet er den Versuch, dem 16er-Schema der Ahnenprobe formal gerecht zu werden, obwohl offensichtlich nur die männliche Linie Berücksichtigung fand, als beachtliche "heraldische Innovation", die auf das "ausgeprägte Ahnenbe­wusstsein Bernhards VII." verweise.27 Im letzten Abschnitt bietet Pieper dann noch einen Ausblick auf die Weiterentwicklung des dynastischen Bewusstseins der Lipper im 16. Jahrhundert. Er behandelt die Renaissance­bauten als Verkörperungen dynastischer Repräsentation, den Beginn einer eigenständigen Hausgeschichtsschreibung und schließlich die bei jedem Hochadelsgeschlecht nun unverzichtbar gewordenen Hausverträge.

25 Ebd., 145f. 26 Vgl. dazu ausführlich Pieper 2012 (wieAnm. 23). 27 Pieper, in diesem Band, Anm. 36ff.

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Ulrich Meier

Haben wir mit dem letzten Beitrag bereits den Lebenszeithorizont unserer Hauptperson deutlich überschritten, so geht der letzte Aufsatz diesen Weg noch ein Stück weiter. Nicolas Rügge beschäftigt sich darin mit einem europaweit höchst aktuellen Forschungsfeld: der Bastardfor­schung.28 Thema sind hier die illegitimen Nachkommen Bernhards VII. Die systematische Erfassung und Erforschung dieser Personen bis 1700 (es handelt sich dabei um rund 250 Nachfahren) ist seit einigen Jahren Gegenstand einer Arbeitsgruppe in Detmold, die sich unter dem Label "Genealogischer Abend" zusammengeschlossen hat.29 Nicolas Rügge, der dieser Gruppe angehört, geht es in seinem Beitrag um die Präsentation einiger Ergebnisse des Projekts, vor allem aber um die Diskussion der sozialgeschichtlichen Erträge eines genuin genealogischen Zugriffs. Und die sind, entgegen aller Erwartung, durchaus beachtlich. Gezeigt werden kann, dass die Bastarde zwar Kinder minderen Rechts waren, aber unstrittig zur Familie zählten und bedeutende Funktionen in der Landesherrschaft, aber auch im niederadlig, großbäuerlichen Milieu inne hatten. Nach einer Vorstellung der Konkubinen Bernhards, werden die urkundlich fassbaren 12 Bastardkinder aufgelistet und die ermittelten Informationen anschau­lich präsentiert.

Im Kapitel "Funktionen für die Landesherrschaft" wird herausge­arbeitet, dass an den Fürstenhöfen der Zeit "Bastard" eher ein Bedeutung verleihender Titel als ein Schimpfwort gewesen ist. Das gilt auch für Lippe im frühen 16. Jahrhundert. Bernhards illegitime Söhne waren Kanzler und Amtleute in seinem Land. Eine Tochter verheiratete er erfolgreich in die Niederadelsfamilie von Exter, die daraus ihren Profit zog. Ein Nachfahre dieser Liaison, Johann von Exter, wurde Generalsuperindendent, Mitar­beiter an der lippischen Kirchenordnung und Lehrer Graf Simons VI., des bedeutendsten lippischen Regenten der Frühen Neuzeit. Der häufige Rück­griff von Königen und Landesherren auf Mitglieder der eigenen Bastardlini­en ging nicht allein aus einem Verantwortungsgefühl für die Nachkommen hervor, sondern entsprach einem Defizit an institutioneller Durchformung der damaligen Staaten, das durch Vertrauen auf Familienmitglieder struk­turell kompensiert werden konnte. Der soziale Ort der Bastarde Bernhards lag Rügge zufolge "zwischen dem niederen Adel und dem großen und freien

28 Nicolas Rügge, Die illegitimen Nachkommen des Edelherrn Bernhard VII. zur Lippe. Sozialge­schichtliche Erträge eines genalogischen Projekts, in diesem Band.

29 Es sind Wolfgang Bechtel, Roland Linde, Margit Lenninger, Herbert Penke, Nicolas Rügge und Heinrich Stiewe, vgl. ebd., 165.

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Bernhard VII. und seine Zeit

Hofbesitz".3o Ausgewählte Beispiele und Stammtafeln illustrieren diesen Befund. Der letzte Abschnitt behandelt die am schwierigsten zu beantwor­tende Frage: Hatten die Bastardlinien ein Familienbewusstsein, sahen sie sich selbst als eigenständige soziale Gruppe? Positive Antworten deuten sich allenfalls bei den aus Niederadelsfamilien hervorgegangenen Linien .an (von der Lippe, von Exter). Hier ist noch viel zu tun und wir dürfen auf künftige Antworten gespannt sein.

Am Ende dieser Einführung, die die Beiträge nur knapp zu würdigen ver­mochte, kann wohl mit Recht gesagt werden, dass mit diesem Themen­schwerpunkt nicht allein unser Wissen um Bernhard VII. präzisiert und bereichert worden ist. Es darf darüber hinaus auch begründet vermutet werden, dass nach der intensiven Beschäftigung mit den sieben Beiträgen bei vielen Lesern der Wunsch nach einer neuen Geschichte Lippes im 15. Jahrhundert geweckt wird. Dazu ist jetzt eine gute Grundlage gelegt.

30 Ebd., 179.

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