Lombardei

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Mailand und die grünen Hügel im Umland. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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Die internationale Sprache des Geldes ist italienisch, und eigentlich müsste man sagen: lombardisch. Conto und Sconto, Giro und Saldo sind unschwer als italienisch zu identifizierende Begriffe. Der wichtigste, der Lombardsatz, der den Zinssatz bezeichnet, zu dem sich Banken gegen-seitig Geld leihen, geht auf die Lombarden zurück, die im Mittelalter eine führende Rolle im europäischen Geldver-kehr spielten. Florierende Wirtschaft, eine unverklemmt-pragmatische Einstellung zum Geld sowie Liebe zu Kunst, Kultur und Genuss verbinden sich in der Lombardei und besonders ihrer Hauptstadt Mailand zwanglos. Vor gut einem halben Jahrtausend konnte sich der Mailänder Herzog Lodovico Sforza erlauben, den prominenten Leonardo da Vinci zu engagieren, der für die Kirche Santa Maria della Grazia das berühmteste Wandgemälde der Welt schuf: das Abendmahl.

Später bekam mit dem Duomo di Santa Maria Nascente die Stadt eine der prachtvollsten Kirchen der Christen-heit. Kein Besucher, der nicht wenigstens ein Foto von der Fassade des Mailänder Doms gemacht hätte. Erst das dämmrige Licht im Inneren bringt die phantastischen Kirchenfenster, die am Ende des von riesigen Säulen gehal-tenen Kirchenschiffes angebracht sind, zum Leuchten. Sie stellen einen weiteren Superlativ dar: Es sollen die größten Kirchenfenster der Welt sein. Der Dom lässt sich besteigen, man kann zwischen den Zinnen wandeln; von der Dachter-rasse des Kaufhauses gegenüber ist man auf Augenhöhe mit dem wahrhaft magischen Gebäude.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert trug die österreichische Kaiserin Maria Theresia ihren Teil zur Mailänder Kultur bei, indem sie die damals zum Habsburgerreich gehö-rende Stadt mit einem Opernhaus beschenkte, das in der Musikwelt führend wurde. Wirklich geschafft hatte es ein Opernsänger oder eine Primadonna erst, wenn er oder sie in der Scala gastiert hatte.

mailand ist die wirtschaftskapitale italiens, die lombardei die finanzkräftigste region des landes. die mailänder sind aber nicht nur tüchtig, sondern kreativ obendrein. hier wirken die besten designer italiens – wenn nicht der welt. hart arbeiten, schnell leben und sich nur das beste gönnen, lautet die devise. geprotzt wird nicht unbedingt, manche kostbarkeit offenbart sich erst bei näherem hinsehen.

Alles dreht sich um Mailand

Prada für den papà

Heute widmen sich Mailands Kreative profaneren Sujets. Sie bauen keine Dome, sondern Möbel – und sind darin Weltmeister. Das italienische Design der Fünfziger und Sechziger, das heute wieder nachgefragt ist, wurde großteils in Mailand entwickelt. Hier ist die schlichte Eleganz der Stühle und Tische, Lampen und Sideboards erfunden wor-den, hier wird sie heute noch gelebt – pompöser Glamour ist was für Hollyood und die Amerikaner.

Wer geschickt ist mit Stift und Pinsel, malt nicht Kirchenwände an, sondern zeichnet lieber Modeentwürfe – die wiederum zur Weltspitze gehören. Dolce & Gabbana, Versace oder Prada, das sind die begehrten Embleme, die von hier in alle Welt reisen, mit denen sich heute die gut betuchten Asiaten schmücken. In der Mailänder Mode-woche, der berühmten Sfilata Ende September, ist dieser Zauber sogar in den Innenstadtgassen zu spüren. Die Sfilata ist den Akkreditierten vorbehalten, den Chefredakteurin-nen von Elle und Vogue und wie sie alle heißen. Doch auf einer Bühne am Dom finden ausgesuchte Laufstegshows für Bürger und Touristen statt, die dabei das Gefühl haben, sie seien auch wenigstens ein bisschen dabeigewesen. Wäh-rend der Modewoche laufen noch mehr langbeinige, grazile Models durch die Straßen als sonst, eilen spärlich bekleidet von einer Veranstaltung zur nächsten. Mailänder Mode, genauer: Prada, vermag sogar die hohe Geistlichkeit für sich einzunehmen. Und so findet sich so ein Stück Mode auf einmal im Vatikan wieder: in Form von leuchtend roten Schuhen an den Füßen des Heiligen Vaters. Denn der Papst aus Bayern hat für die Treter aus Mailand offenbar ebenso ein Faible wie zahlreiche Hollywood-Stars und Fotomodelle. Auch die motorisierten Fortbewegungsmittel, die in der Stadt entstehen, sind mehr als bloße Gebrauchs-gegenstände: Ein Alfa Romeo hat durchaus Kult-Potenzial.

Nicht zuletzt ist Mailand auch kulinarisch Spitze. Da ist zum einen die traditionelle Mailänder Küche mit ihren Glanzlichtern: risotto alla milanese, das raffiniert-schlichte Reisgericht mit edlem Safran und Rindermark. Ossobuco alla milanese, die geschmorten Beinscheiben vom Kalb, ein echter Festschmaus. Schließlich der berühmte Welt-

Seite 56 − 57: Der Mailänder Dom im abendlichen Alltags­gewimmel − erhaben und magisch.

Seite 58: Alfa Romeo − Eleganz seit 1910.

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Klassiker, die cotoletta alla milanese, die, wenn man den Italienern glauben darf, zu Unrecht im Rest der Welt unter dem Namen Wiener Schnitzel bekannt ist. Im Restaurant Bagutta wird es zelebriert, hier servieren die flinken Kellner in gewohnter Effizienz die tpyischen Gerichte, zwar für ein paar Euro mehr, dafür sind die Portionen umso kleiner, doch wen stört das schon.

Auch der panettone, jener XXL-Kuchen mit Trocken-früchten und Rosinen soll im 15. Jahrhundert in einer Mailänder Bäckerei als pan di Toni, Tonis Brot, entstanden sein. Allerhand Legenden ranken sich um seine Entstehung, die hübscheste erzählt von einer Liebesgeschichte. Bäcker Toni hatte nämlich eine schöne Tochter, deren Verehrer sie allnächtlich in der Bäckerei besuchte und eines Tages auf die Idee kam, eine ordentliche Portion Butter in den zuvor kargen Brotteig zu mischen. Von da an war ganz Milano verrückt nach Tonis köstlichem Brot.

Für ihre kulinarischen Höhenflüge hatten die Lombar-den beste Voraussetzungen, sie konnten über die Jahrhun-derte aus dem Vollen schöpfen. In der Po-Ebene wie auch in den Bergen bringt die Landwirtschaft alles hervor, was gut und nahrhaft ist. Getreide, Obst und Reis gedeihen hier prächtig, auf den Wiesen weiden Rinder, die Milch für Butter, Sahne und Käse – als prominentester Vertreter sei hier der köstliche taleggio genannt – sowie bestes Fleisch

liefern. Während in armen Regionen Polenta, also Mais-brei, traditionell ein Hauptnahrungsmittel war, dient Mais hier bevorzugt als Schweinefutter und verwandelt sich in aromatisch-zarten Schinken. Typisch, dass hier selbst ein schlichtes Grundnahrungsmittel wie Reis zur viel disku-tierten Gourmet-Kostbarkeit wird, über die Feinschmecker unermüdlich debattieren können. Nimmt man für Risotto idealerweise Arborio? Oder Carnaroli? Für die lombardi-schen Lokalpatrioten ist die Sache klar: Der einzig Wahre ist der Vialone nano, der in den bewässerten Feldern der Po-Ebene wächst.

Schließlich sind da die Seen mit ihrem Vorrat an delika-ten Süßwasserfischen: der Iseo- und der Comer See, beide vollständig zur Lombardei gehörend, dazu Gardasee und Lago Maggiore, die immerhin zum Teil weit lombardisch sind. Was beim westlichen Ufer des Gardasees noch als wei-che Hügellandschaft daherkommt, das sind beim Iseo-See schon ausgewachsene Berge und beim Lago Maggiore ein steil abfallendes, mit Villen gepflastertes Bergseepanorama, das in seinen Bann zieht.

Bei solch günstigen Voraussetzungen ist es nur folge-richtig, dass auch die neuere italienische Küche zunächst in Mailand zu ihrem Höhenflug ansetzte. Als erstes itali-enisches Gasthaus wurde 1993 das Mailänder Restaurant von Koch-Altmeister Gualtero Marchesi – der seitdem als

Der Iseo­See zur blauen Stunde − eine Oase für die Seele und den Gaumen.

In der prächtigen Passage Vittorio Emanuele zwischen Duomo und Scala darf Prada nicht fehlen.

Erfinder der modernen italienischen Küche gilt – mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Das war im Jahr 1985, was insofern sehr passend ist, als es für ganz Italien ein kulinarisch bedeutsames Jahr war; da formierte sich nämlich die Slow-Food-Bewegung, die sich in den Folgejahren von Italien in die ganze Welt ausbreitete. Marchesi sagt von sich selbst, dass er sich viel in der Mailänder Kunstszene bewegt und deren Kreativität seine Art des Kochens beeinflusst habe. Der Erfolg eines Gerichts, so der Meister, liege „in sei-ner Einfachheit, in der Logik und in der Liebe begründet“.

Mittags belegte Brote, abends Sterneküche

Der feinen Küche widmet sich der tüchtige Mailänder vorzugsweise am Abend. Das Bewusstsein dafür, dass man ausreichend Geld braucht, um sich den schönen Dingen des Lebens widmen zu können, ist ausgeprägt, deshalb stürzt man sich bereitwillig in die Arbeit und verzichtet dafür sogar auf die in Rest-Italien populären zeitraubenden Mittagsgelage. Weil man sich aber dennoch irgendwie ernähren muss und das Qualitätsbewusstsein stets wach

bleibt, hat sich hier eine Sandwich-Kultur entwickelt, die aus den praktischen schnellen Happen, die hier tramezzini heißen, kleine Luxus-Teilchen macht. Zu den besten Adres-sen gehören die Bar della Crocetta und das De Santis, hier bilden sich am Mittag lange Schlangen. Zum Ausgehen am Abend empfehlen Mailänder ihren auswärtigen Besuchern, das Stadtviertel Naviglio aufzusuchen, benannt nach den navigli, einem ausgeklügelten Kanalsystem, welches seit der Antike Mailand mit diversen Wasserstraßen verband, die bis zum Aufkommen von Bahn und Straßen die wichtigs-ten Transportwege für Menschen und Güter waren. Übrig geblieben ist eine belebte Ausgehmeile mit zahlreichen Bars und Restaurants mit guter bis ausgezeichneter Küche, in der sich heute das Nachtleben abspielt.

Das beste Essen bereitet bekanntlich ohne adäquate Weinbegleitung nur halb so viel Freude. Kein Problem für die Region, die mehrere Anbaugebiete ihr Eigen nennt. Der gute Ruf als dynamische und experimentierfreudige Weinregion beruht auf der Franciacorta, wo hochklassige Schaumweine in traditioneller Methode hergestellt werden, nach Richtlinien, die nicht minder streng sind als jene der Champagne. Um die Verbindung zwischen Wein und

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Speisen geographisch perfekt zu machen, hat Kochvirtuo-se Marchesi im L’Albereto, dem eleganten Landhotel von Franciacorta-Unternehmer Vittorio Moretti, ein weiteres Restaurant eröffnet. Doch auch andere Anbaugebiete haben es in den letzten Jahren zu Ruhm und Ehre gebracht: Oltrepò Pavese, wo inzwischen neben schlichten Perlwei-nen auch ausgezeichnete Schaumweine entstehen, sowie das an der Grenze zur Schweiz gelegene Veltlin – italienisch Vatellina, lombardisch Valtulina. Deren feinste Spezialität ist der rote Sfursat aus Nebbiolo. Daneben trinken die Mai-länder in den schicken Bars und Restaurants alles, was gut und vor allem teuer ist; die Weinkarten strotzen nur so vor teuren Etiketten, die sich Geschäftsleute auf Spesen leisten, wenn sie ihre Partner oder potenziellen Kunden ausführen.

Eine Hymne für die Freiheit

Die stolzen Lombarden lieben ihre Freiheit und Unabhän-gigkeit. 1848 erkärte Mailand seine Unabhängigkeit vom Habsburgerreich Österreich. Der Überlieferung nach hat ein Wahl-Mailänder, der in der Emilia geborene Giu-seppe Verdi, musikalisch seinen Teil zu den Unabhängig-keitsbestrebungen beigetragen. Mit seiner einprägsamen,

gefühlsbetonten Melodie wurde der Gefangenenchor der im März 1842 in der Mailänder Scala uraufgeführten Oper Nabucco zu einer Art inoffizieller Nationalhymne und der Name des Komponisten gar zu einer kryptischen Chiffre für ein geeintes Königreich. Denn V.E.R.D.I. konnte als Abkürzung gelesen werden für Vittorio Emanuele Re d’Italia, den König also, den sich Garibaldi und andere Freiheits-kämpfer als Oberhaupt eines geeinten Italiens wünschten. Heute stehen die Statuen von Garibaldi in vielen italie-nischen Städten, sind die Prachtstraßen von Venedig bis Palermo nach den einstigen Polit-Rebellen benannt.

Mailand ist eine rastlose Stadt, in jeder Hinsicht. Alles wird ausprobiert, in allen Bereichen des Lebens, und ebenso rasch wieder verworfen, sollte es nicht funktionieren. An-ders als Rom, wo man sich gern auf Tradition und Tradi-tionelles beruft, ist Mailand zukunftsorientiert, ob es sich nun um die Weltausstellung 2015 handelt oder um die Modeschauen für übernächstes Frühjahr. Der Alltags-rhythmus der Stadt ist ein schnelles Stakkato, der Treibstoff Adrenalin. Die Wege in der Metropole sind lang, dennoch empfiehlt es sich für alle, die mit dem Auto anreisen, den Wagen im Parkhaus zu lassen und sich mit dem Bus fortzubewegen, statt sich selbst im dichten Ver-kehr durchzukämpfen.

Das Restaurant Bagutta. Mailänder Küche von einem Trattoria­Toskaner − eine Institution.

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Wer sich nach einigen Tagen rasanten Slaloms zwischen Hochkultur und Einkaufsparadies ermattet fühlt, könnte nach Brescia ausweichen, zweitgrößte Stadt der Lombardei und als Wirtschaftszentrum die Nummer Drei Italiens. Auch hier, zwischen Garda- und Iseo-See, versteht man zu arbeiten und ordentlich Geld heranzuschaffen, und wenn die Stadt auch nicht so aufregend ist wie Mailand, so bietet sie dafür ein wenig mehr Muße. Bauwerke aus Antike, Mittelalter, Re-naissance und Barock besitzt die Stadt im Überfluss. Schon die zentrale Piazza della Loggia mit ihrem prachtvollen Renaissance-Palast und dem Turm mit der astronomischen Uhr aus dem 16. Jahrhundert ist ein Fest für Fotografen.

Zu den moderneren Attraktionen gehören die Auto-Rennen. 1927 startete von Brescia aus die erste Mille Miglia, das legendäre Tausend-Meilen-Rennen. Drei Jahr-zehnte lang faszinierte das Rennen Geschwindigkeits fanatiker, bis es nach einem katastrophalen Unfall einge-stellt wurde. 1977 erlebte es als Mille Miglia Storica eine Neuauflage. Bei der Oldtimer-Rallye kommt es nicht mehr auf Schnelligkeit, sondern auf gleichmäßige Fahrkunst an. Die meisten Siege fuhr Platzhirsch Alfa ein.

Exklusives Automobilrennen und eine hohe Golfplatz-dichte in der Region könnten die Vermutung nahelegen, dass die Lombarden in Sachen Sport recht versnobt sind.

Aber weit gefehlt, denn da ist noch Gott Calcio, der Fußball, der die Gemüter bewegt wie kaum etwas anderes. Gleich zwei Spitzenmannschaften beherbergt die Lombar-den-Metropole: den in Rot-Schwarz gewandeten AC Milan sowie den in Blau-Schwarz kickenden Club Inter Mailand. Wenn beide Mannschaften im Fußballstadion San Siro an der Mailänder Peripherie zum Lokalderby aufeinandertref-fen, ist die Hölle los. Vor ein paar Jahren musste ein Spiel sogar abgebrochen werden, weil die Tifosi derart heftigen Krawall veranstalteten. Der Faszination des testosteronge-steuerten Sports ist auch Staatschef Berlusconi verfallen, dem neben allerlei Fernsehsendern auch der AC Milan gehört – oder jedenfalls so gut wie.

Mit den Mailändern teilt sich Brescia die historisch ver-bürgte Freiheitsliebe. Im Kampf gegen die Habsburger tat sich die Stadt so hervor, dass die Italiener ihr den Ehren-namen Leonessa d’Italia, Löwin Italiens, verliehen. Heute äußert sich die Freiheitssuche weniger dramatisch. Kleine Fluchten am Wochenende hin zu den benachbarten Seen reichen den hart arbeitenden Städtern in der Regel, um ih-nen das Gefühl von Freiheit und Muße zu vermitteln. Den riesigen Gardasee überlassen sie dabei gern den Teutonen, insbesondere den Bajuwaren, und ziehen sich lieber an die exklusiveren Gestade des Iseo-Sees zurück. rz

l o m b a r d e i

e m i l i a - r o m a g n a

s c h w e i z

p i e m o n t

Lago di Garda

Lago d’IseoComo

Sondrio

Brescia

Erbusco

MantovaCremona

Lodi

Pavia

Voghera

Milano

Lago diComo

Lago di LuganoLago

Maggiore

Anbaugebiete 1 Valtellina 2 Franciacorta 3 Oltrepò Pavese

4 Lugana

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Ticino

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