László Mérö Die Biologie des Geldes -...

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1 László Mérö Die Biologie des Geldes Darwin und der Ursprung der Ökonomie Rowohlt, Reinbeck 2009 Unter Wahrung der Gedankengänge auf ca. 1/5 gekürzte und kritisch kommentierte Ausarbeitung von Hans-Volker Pürschel 1. Der zinsbringende Stockfisch 5 Das Wesen der Zinsen 5 Was ist Geld? 5 Geld als Kapital 6 Die Rolle der Psychologie 6 Selbstreproduktion von Kapital 7 Die Stockfischperspektive 7 Unterschiedliche Lebensformen 7 Kurzer Überblick über Parallelen 8 I. Hundeleine und Hunde 8 2. Der Mechanismus des Lebens 8 Das logische Minimum der Fortpflanzung 8 Das chemische Minimum der Selbstreproduktion 8 Die Grundlagen des Lebens: Die Chemotone 8 Leben verdankt sich Fehlern 9 Die Dilemmata eines höheren Wesens 10 Der Begriff des Replikators 10 Replikatoren erzeugen Leben 10

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László Mérö Die Biologie des Geldes Darwin und der Ursprung der Ökonomie

Rowohlt, Reinbeck 2009

Unter Wahrung der Gedankengänge auf ca. 1/5 gekürzte und kritisch kommentierte Ausarbeitung

von Hans-Volker Pürschel

1. Der zinsbringende Stockfisch 5

Das Wesen der Zinsen 5 Was ist Geld? 5 Geld als Kapital 6 Die Rolle der Psychologie 6 Selbstreproduktion von Kapital 7 Die Stockfischperspektive 7 Unterschiedliche Lebensformen 7 Kurzer Überblick über Parallelen 8 I. Hundeleine und Hunde 8 2. Der Mechanismus des Lebens 8 Das logische Minimum der Fortpflanzung 8 Das chemische Minimum der Selbstreproduktion 8 Die Grundlagen des Lebens: Die Chemotone 8 Leben verdankt sich Fehlern 9 Die Dilemmata eines höheren Wesens 10 Der Begriff des Replikators 10 Replikatoren erzeugen Leben 10

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3. Darwins Evolution 10 Die ursprüngliche Form des Darwinismus 10 Probleme, die den Darwinismus in Frage stellen 11

Künstliche Evolution 11 Der Evolutionsprozess 11 Der Angriffspunkt der Evolution 11 Wie verallgemeinerungsfähig ist Darwins Theorie? 12 Der Zoo der Replikatoren 12 4. Die Meme 13 Nicht alle Gedanken sind Meme 13 Die Wissenschaft der Memetik 13 Kognitive Dissonanz 13 Geld als Mem 14 Geld als Nicht-Mem 15 Universaler Darwinismus: Herrenlose Hunde 16 5. Homo informaticus 16 Zwei darwinistische Weltanschauungen 16 Informationsgesellschaft 17 Menschliches Denken im Übergang 17 Die Evolution des Homo informaticus 17 Das Habitat des Homo informaticus 17 II. Ökonomie und Psychologie 18 6. Die Entstehung ökonomischer Werte 18 Tausch erzeugt Wert 18 Das Prinzip der komparativen Vorteile 19 Das Problem der Börsenkurse 20 Die Idee der Nachfrage 21 Das Marktgleichgewicht 22 Produzenten- und Konsumentenrente 23 Autokatalyse der Wirtschaft 24 7. Das Wesen von Investorenentscheidungen 24 Robinsons neuer Traum 24 Firmengründung 25 Robinsons Idee hat einen Wert 26 Robinson als Angestellter und als Eigentümer 27 Robinson wird Mehrheitseigener 28 Das Unternehmen nimmt den Betrieb auf 28 Nicht das Unternehmen bringt den Gewinn 29 Verbraucher- und Investorenentscheidungen 29 Risiko und Gewinn, nichts sonst 29 Robinsons Hund 30

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8. Warum ein Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekam 30 Diversifizierung 30 Der Betafaktor 31 CAPM (Capital Asset Pricing Model) – das Preismodell für Kapitalgüter 32 Risikobereitschaft, Risikovermeidung 33 Prospect Theory 34 Die Beziehung zwischen CAPM und Prospect Theory 35 9. Die Motivationswirkung von Geld 36 Extrinsische und intrinsische Motivation 36 Wann hat man genug Geld? 36 Abwehrmechanismen 37 Der Flow 39 Geld und Glück 39 Geld motiviert Gelderwerb 40 III. Die Logik des Lebens 40 10. Von der Sphinx zu Gödel 40 Menschliche Motivation 40 Das Rätsel der Sphinx 40 Das Paradoxon des Epimenides 41 Gödels Satz 41 Gödel in der Rechtssprechung 42 Gödel in Babylon 42 11. Die Gödel-Struktur 43 Die Kontinuumshypothese 43 Die Welt der Mathematik 43 Die Systemumgebung der Selbstbezüglichkeit 43 Die Gödelnummerierung 44 Mechanismen der Selbstbezüglichkeit 44 Die Gödel-Struktur als Modell 44 12. Die Gödel-Struktur des biologischen Lebens 45 Hofstadters Abbildung des Zentraldogmas 45 Die Gödel-Struktur des biologischen Lebens 45 DNA ist nur eine Formel 45 Gödels Satz der Molekularbiologie 46 Die Rolle externer Mechanismen 46 Warum ausgerechnet die Gödel’sche Struktur? 46 Evolution und Gödel-Struktur 46

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13. Die Gödel-Strukturen menschlichen Denkens 47 Die Gödel-Struktur des alltäglichen Denkens 47 Meme und kognitive Schemata 47 Gödels Satz vom menschlichen Denken 47 Nicht der Sänger schenkt dem Lied das Leben ... 47 Die Gödel-Struktur der Naturwissenschaft 48 Die Macht der Gödel-Struktur 48 IV. Das egoistische Geld 48 14. Geld als Replikator: die Mone 48 Der Begriff des Mons 48 Beispiele für Mone 49 Das Mon als Information 49 Das Mon als Replikator 49 Ein Mon ist eine neue Art Replikator 50 Die Vererblichkeit der Mone 50 Wie groß ist ein Mon? 51 Wo leben Mone? 51 Die Rolle des Geschäftsmannes 51 Die Gödel-Struktur der Ökonomie 52 15. Leben, Naturwissenschaft, Wirtschaft 52 Vis vitalis allgemein 52 Wie Koevolution funktioniert 53 Zusammenfassender Überblick 53 16. Die Überlebensmaschine des Geldes 53 Immer auf der gelben Ziegelstraße 53 Unternehmer 54 Robinsons und Richsons Unternehmen gedeiht 54 Großunternehmer 55 Banken und andere Finanzwesen 56 Aktienmarktblasen 56 Das Vererben von Besitz 56 Investitionen in Humankapital 57 17. Globales Geld 57 Globalisierung in der Biologie und in der Wirtschaft 57 Glokalisierung 58 Gödels Satz der Ökonomie 58 Die Evolution von Gesellschaften 58 Die Richtung der sozialen Evolution 59 Die Finanzgeschäfte des Homo informaticus 59 Theater ohne Regisseur 60 Anhang: Tab. 1 und 2 61

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1. Der zinsbringende Stockfisch Gute Ideen wetteifern um Kapital, und Kapital wetteifert um gute Ideen. Lebewesen werden von Dingen (Genen) generiert bzw. codiert, die allein nicht lebensfähig sind - in geeigneten Gruppen zusammengesetzt und in geeigneter Umwelt aber die vielfältigsten Lebensformen codieren und tatsächlich hervorbringen können. Denkbar: Geistes- und Wirtschafts-leben folgen dem gleichen Grundprinzip. Robinsons Problem: Mit einer Keule kann er pro ganzem Tag 5 Fische erlegen – genau so viel, um nicht zu verhungern. Er könnte aus faseriger Rinde in 30 Tagen ein Netz knüpfen, mit dem er pro Tag 20 Fische fangen würde. Dann bräuchte er nur jeden vierten Tag arbeiten und hätte drei Tage frei für andere Tätigkeiten. Ein zweiter Schiffbrüchiger - Richson, geschickter als Robinson – „erkeult“ pro Tag 6 Fische und konnte deswegen einen Vorrat von 150 Trockenfischen anlegen. Den bietet er Robinson zu folgenden Konditionen: Robinson knüpft in 30 Tagen ein Netz und liefert danach Richson ein ganzes Jahr lang einen „Zins“ von 5 Fischen pro Tag (da wäre die „Tilgung“ inbegriffen). Robinson bräuchte mit dem Netz nur noch jeden zweiten Tag zu fischen, und nach einem Jahr würde sich seine Situation entscheidend verbessern, aber er findet die Forderung unverschämt und versucht mit Richson zu verhandeln. Der nutzt Robinsons Zwangslage und bleibt hart. Sie tauschen Argumente aus: Richson betont sein Risiko – Robinson könnte vertragsbrüchig werden oder schon vor Fertigstellung des Netzes versterben. Robinson macht gleich fünfzig Liegestütze, um seine Kondition zu beweisen. Er fürchtet, seine Fischschulden nicht bezahlen zu können, falls vor einem Jahr schon ein rettendes Schiff auftaucht. Schuldenerlass für diesen Fall ist das einzige, was er heraushandeln kann. Handel beruht auf Vertrauen. Je gewagter der Handel, umso größer der Vertrauensvorschuss. Das Wesen der Zinsen Zinsen sind nicht der Preis für die Nutzung des Geldes, sondern das Entgelt für die unmittelbare Verfügbarkeit des Geldes. – Wüsste Robinson, dass ein Jahr später ein zweiter Richson auftauchen wird und nur ein halbes Jahr lang 5 Fische täglich haben will - würde er warten und ein Jahr lang weiter 5 Fische täglich keulen? Den ersten Richson gibt es hier und jetzt. Die 150 geborgten Stockfische sind Robinson heute mehr wert als ein Jahr später. Zinsen sind einerseits der Preis für die Zeitpräferenz des Darlehensneh-mers und andererseits für den Verfügbarkeitsverzicht des Darlehens-gebers. Was ist Geld? Üblicherweise durch Funktionen definiert (Zahlungsmittel, Handelsware, Recheneinheit, Maß für Vermögen, Aufbewahrungsmittel für Vermögen,

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Zahlungsaufschubmittel,...) und durch Dinge, die diese Funktionen erfüllten bzw. erfüllen (Perlen, Muscheln, Bier, Salz, Butter, Messer, Felle,..., Bargeld, Sparguthaben, Bankkarten, Schecks, Bonds, Anteile, Optionen, Versicherungen,...). Wir schließen uns dem zunächst an und wollen uns auf einen Aspekt konzentrieren: auf Geld, das Geld erzeugt. Geld als Kapital Produktion lässt sich durch geeignete Mittel vereinfachen. Um diese herzustellen, muss gegenwärtiger zugunsten späteren Konsums eingeschränkt werden (Robinson könnte unter dem Risiko zu verhungern nur 4 Fische täglich essen und das Netz nach und nach knüpfen) oder es werden Mittel benutzt, die andere hergestellt, aber nicht verbraucht haben (Richsons 150 Stockfische). Kapital sind nicht verbrauchte Mittel aus früherer Produktion – reserviert, um künftige Produktion effektiver zu machen. Geld, dass seinem Besitzer Zinsen (oder andere Erträge) einbringt ist Kapital. Für Erträge aus Kapital gibt es keine Garantie (Richsons Stockfischkapital wäre verloren, falls Robinson am 30. Tag stirbt). Vorstellung: Es gibt viele Robinsons und Richsons mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Fische zu fangen oder Netze zu knüpfen und folglich unterschiedlichen Bewertungsgrundsätzen: Für Richson z.B. wäre ein Leihfisch weniger Zinsfisch wert als für Robinson, denn mit seinen 6 gekeulten und einem Essbedarf von 5 Fischen wäre es ihm risikolos möglich ein Netz zu knüpfen. Er hat eine geringere Zeitpräferenz. Ein anderer Robinson etwa könnte schneller knüpfen und brauchte weniger Leihfisch. Wären wir ein Richson mit einem Kaptial von 1000 Stockfischen – welchem Robinson würden wir sie am liebsten leihen und für welchen Stockfischzinssatz? Wären wir großzügig oder würden wir mit Blick aufs Alter Maximalprofit herausschlagen? – Somerset Maughams besitzloser Lotusesser sagt, er sei nicht arm, habe nur für sein Vermögen zu lange gelebt. Die Rolle der Psychologie Vielleicht sollten wir unsere 1000 Stockfische dem geschicktesten und stärksten Robinson leihen. Auch Banken verleihen Geld am liebsten denjenigen, die es am wenigsten brauchen und ihre Stärke überzeugend demonstrieren können. Auf dem Stockfischmarkt gibt es außer uns noch andere Anbieter mit mehr oder weniger großen Beständen an Stockfischkapital. Nicht nur Robinsons rivalisieren um Kapital, auch Kapital (der Richsons) ist im Wettbewerb um Robinsons (die es brauchen können und möglichst geringe Zinsen dafür zahlen möchten). Das ist ähnlich wie zwischen Herstellern und Verbrauchern im Markt: Der Hersteller möchte möglichst hohen Preis erzielen, der Verbraucher kauft beim preiswertesten Hersteller (der Darlehensgeber möchte hohe Zinsen, der Darle-hensnehmer sucht den zinsgünstigsten Kredit). In andere Hinsicht aber sind Waren- und Geldmarkt unterschiedlich: Der Hersteller ist – nachdem das Geschäft vollzogen ist – nicht am Geschick

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des Verbrauchers interessiert. Der Kapitalgeber (Richson) aber hat Interesse an Geschick und Befindlichkeit des Darlehensnehmers – genauer am Gesamtrisiko seines Kapitaleinsatzes – denn davon hängt sein Geschäftserfolg ab. Er wägt den erwarteten Ertrag aus dem (Stockfisch-)Darlehen gegen das Risko ab und seine Bereitschaft, dieses zu übernehmen. Dem Darlehensnehmer (Robinson) ist der Geber völlig egal, sobald er nur das (Stockfisch-)Darlehen hat. Kapital und Risiko sind eng verknüpft und führen zu einem Entscheidungsverhalten, das sich von alltäglichen Entscheidungen von Herstellern und Verbrauchern unterscheidet (s. Kahnemann, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2002, Kapital 8). Selbstreproduktion von Kapital Geld wirkt stark motivierend. Nicht verbrauchte Mittel (Stockfisch, Geld) sind Kapital und werden von ihren Besitzern am liebsten so eingesetzt, dass sie weiteres Kapital erzeugen: Kapital reproduziert sich selbst. Es spielt dabei – so die These – eine ähnlichen Rolle wie die Gene, die eine Vielfalt an Lebewesen generieren: Kapital erzeugt eine Vielfalt an Unternehmen (durch die es sich selber reproduziert [Pü]). Die Stockfischperspektive Wie könnten sich Stockfische vermehren? Obwohl Robinson Stockfische verzehrt, ist er diesbezüglich nicht ihr Feind. Indem er ein Netz knüpft, sorgt er dafür, dass es künftig mehr Stockfisch geben wird. Fürchten muss die Kapitalart Stockfisch hinsichtlich Vermehrung andere Wesen, die Robinsons Magen füllen und bevorratetet werden können, mit denen sie um Vermehrung konkurrieren müssen. Tatsächlich herrscht unter verschiedenen Formen von Kapital ein harter Wettbewerb, bei dem die Überlebensrate durch natürliche Auslese bestimmt wird. Sie geschieht durch Interesse und Desinteresse, das die Richsons (Darlehensgeber) verschiednen Kapitalformen entgegenbringen. So kam es zur Evolution des Kapitals und zu unterschiedlichen Unternehmensformen, die es generierte. Unterschiedliche Lebensformen (s. Tabelle)

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Kurzer Überblick über Parallelen Behauptung: Unterschiedliche Arten von Wirtschaftsunternehmen sind nichts anderes als Lebewesen, für die das Kapital ein Replikator ist. Moderne Menschen gehören in mancher Hinsicht zu dieser Kategorie. Es bestimmt weitgehend unser Leben – z.B. wenn wir studieren und so in unsere Zukunft investieren. Replikatoren formen unseren Köper, Meme unsere Gedanken und Geschäftsgebaren, Mone (besondere Form des Kapitals) unsere Unternehmen. Die drei Replikatoren folgen ihren egoistischen und oft widersprüchlichen Interessen. I. Hundeleine und Hunde 2. Der Mechanismus des Lebens Ein System, das keine Fehler macht, kann nicht lebendig sein. Wir vermeiden eine genaue Definition der Begriffe Geld und Leben und konzentrieren uns darauf, dass Geld Geld erzeugen, sich also reproduzieren kann – so wie auch Leben sich reproduziert. Das logische Minimum der Fortpflanzung John von Neumann untersuchte theoretisch, wie ein Roboter beschaffen sein müsste, der sich selber aus vorhandenen Bausteinen reproduzieren kann. Nach gängiger Meinung konnte etwas Einfaches nur in etwas Komplexerem enthalten sein. Der bauende Roboter musste komplexer sein als der zu bauende. Die Aufgabe schien unlösbar. - Von Neumann bewies eine mathematische Struktur, die haargenau dieselben Rechnungen und Konstruktionen ausführen konnte wie der (von ihm erfundene) Computer. Die Lösung besteht demnach darin, dass der bauende Roboter dem zu bauenden auch sein eigenes Programm mitgeben muss. Das gilt auch, wenn es sich um ganz andere Funktionsgrundlagen handelt als die eines PC. Das chemische Minimum der Selbstreproduktion Das chemische Minimum sind autokatalytische Prozesse, bei denen eine Art von Molekülen ihre eigene identische Reproduktion aus vorhandenen anderen Molekülen („Nährstoffen“) katalysiert. Sie können keine Varianten von sich herstellen und darum die Entwicklung unter-schiedlicher Lebensformen nicht erklären. Die Grundlagen des Lebens: Die Chemotone1 Polymerisation (spontane Bildung von Makromolekülen) aus kleineren Molekülbausteinen erfolgt i.A. sehr langsam, weil sich die kleineren Bausteine nur selten nahe genug kommen. Der Vorgang wird beschleunigt, wenn bereits ein Makromolekül vorhanden ist, an das sich Bausteinmoleküle locker anlagern (Schablonenpolymerisation, Fortpflan-zung von Makromolekülen). Polymere lagern sich gern zu verwundenen Paaren aneinander und können dann nicht mehr als Schablone wirken.

1 Nach Tibor Gánti minimale Lebensform einer Zelle ohne Enzyme und genetischen Kodex.

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Überschreitet die Dichte der Bausteinmoleküle einen kritischen Wert, trennen sich die Paare wieder, und die Schablonenpolymerisation geht weiter und hält wieder an, wenn die kritische Bausteindichte unterschritten wird und sich wieder Paare bilden. – Wenn die Bausteinmoleküle sich autokatalytisch aus noch kleineren im Tank vorhandenen Nährstoffmolekülen erzeugen können, haben wir eine Maschinerie, die sich selbst reguliert: Fortschreitende Autokatalyse erhöht die Bausteindichte, bis die Schablonenpolymerisation anspringt, die die Bausteine verbraucht. Dann bilden sich wieder verwundene Polymerpaare. Solange es einen Zustrom der kleinen Nährstoffmoleküle gibt, wächst die Zahl der Baustein- und Polymermoleküle, und Abfallprodukte der Autokatalyse sammeln sich an. Haben diese die Eigenschaft, Membranen bilden zu können, die für Nährstoffmoleküle, nicht aber für Baustein- und Polymermoleküle durchlässig sind, so entstehen aufgrund physikalischer Prozesse kugelförmige „Zellen“, die sich ab einer gewissen Größe wie Seifenblasen teilen. Eine geschlossene Membran kann sich nur in Phasen relativer Ruhe ausbilden, die durch die Paarbildung der Polymere gewährleistet sind. Der externe physikalische Prozess ordnet also den gesamten chemischen Reproduktionsprozess zu „Einheiten“. Gánti und Mitarbeiter stellten verschieden Arte solcher Chemotone her – aus Stoffen, die nachweislich auf der vorkambrischen Erde existierten und zeigten, dass sich in ihnen DNA bilden kann. Leben verdankt sich Fehlern Autokatalytisch erzeugte Moleküle sind identisch und können die für Leben typische Vielfalt nicht erzeugen. Chemotone reproduzieren sich aus zwei Gründen nicht identisch: Sie können bei der Teilung unterschiedlich viele Moleküle enthalten. Externe physikalische Mechanismen garantieren, dass sich größere Chemotone schneller teilen als kleinere. Ihre Größe wird nicht vererbt. Bei der Schablonepolymerisation gibt es Fehler, die sich bei der Teilung nach dem Zufallsprinzip auf die Nachkommen verteilen. Da die gesamten äußeren und funktionellen Merkmale eines Chemotons wesentlich durch seine Schablonemoleküle bestimmt sind, werden diese auch auf die Nachkommen übertragen. Das ist echte Vererbung von Kopierfehlern als Voraussetzung für lebenstypische Vielfalt. Vielfalt ist wiederum Voraussetzung für die wichtigste Eigenschaft von Leben: Es hat Bestand in einer sich ändernden Umwelt.

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Die Dilemmata eines höheren Wesens2 .... Der Begriff des Replikators Replikatoren sind Dinge mit folgenden Eigenschaften:

(1) sie sind langlebig (überdauern unverändert lange Zeit) (2) sie sind fruchtbar (es entstehen rasch und effektiv Kopien) (3) sie werden genau, aber nicht haargenau kopiert.

Geringere Präzision kann nützlich sein für schnellere Anpassung an eine veränderte Umwelt. Ist diese wieder konstant, ist höhere Präzision besser. Selbstreproduktion meint das Kopieren eines Artexemplars, das dem Original mehr oder weniger ähnlich ist. Replikation ist der Spezialfall der bis auf gelegentliche Fehler identischen Kopie von Replikatoren. Die gesamte DNA eines Lebewesens ist kein Replikator: Bei dem extrem langen Makromolekül ist die Fehlerwahrscheinlichkeit zu groß. Gene sind (unabhängig von ihrer definitorischen Abgrenzung) kleine Abschnitte auf der DNA und werden selten fehlerhaft kopiert. Evolution wirkt nicht auf Einzelwesen sondern auf Replikatoren. Das gilt auch für so abstrakte Replikatoren wie Geld in Form von Kapital. Replikatoren erzeugen Leben Kleine Änderungen im Makromolekül eines Chemotons können große Änderungen des gesamten Chemotons bewirken. Das kann sie zu unterschiedlichsten Funktionen befähigen. Replikatoren wie Gene gehen Partnerschaften ein und vergrößern damit ihre eigenen Überlebenschancen, indem sie dafür eine komplexe Maschinerie bauen. Sie haben die einzige Aufgabe zu überleben, sie können nichts anderes. Ein Replikator überlebt den Tod der speziellen Überlebensmaschinerie, weil es ihm egal ist, welcher seiner Repräsentanten überlebt3. 3. Darwins Evolution Die Erforschung der biologischen Evolution ist extrem erschwert durch ihre Einmaligkeit. Biologische Evolution kann Arten langsam oder sprunghaft wandeln – letzteres, wenn kleine Änderungen große Wirkungen zeitigen. Die ursprüngliche Form des Darwinismus Evolution erfolgt (a) unvermeidlich, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

(1) Variabilität (durch Reproduktionsfehler) 2 In dem Abschnitt wird diskutiert, ob ein „höheres Wesen“ einen Befehl „Seid fruchtbar und mehret euch“ etwa den Bausteinmolekülen oder den Schablonenpolymeren eines Chemotons erteilen sollte. Der Sinn ist hier kaum ersichtlich. Fazit – soweit dem Bearbeiter verständlich: Schablonenmoleküle „versuchen“ ihre Überlebenschancen zu erhöhen, indem sie immer komplexere Lebensformen hervorbringen. 3 Der Abschnitt wie auch andere Passagen kranken daran, dass objektive Sachverhalte vermenschlicht dargestellt werden.

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(2) Natürliche Auslese (wegen Konkurrenz um knappe Ressour- cen) (3) Vererbung (von Veränderungen an Nachkommen)

- ein einfacher Mechanismus, der komplexe Vielfalt erzeugt. Und: Evolution erfolgt (b) alleine aufgrund dieser drei Bedingungen. Probleme, die den Darwinismus in Frage stellen

(1) Wie konnte Altruismus entstehen? (2) Warum sind Arbeitsbienen nicht ausgestorben? (3) Mathematische Modelle, die nur obige drei Prinzipien verwenden,

sind widersprüchlich. Gibt es andere Selektionsmechanismen? Z.B. würde das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ zu einer ganz anderen Art von Evolution führen. Künstliche Evolution Der Biologe Thomas Ray schuf in einem Computer eine „Umwelt“ Tierra, in der Programme mit gelegentlichen Fehlern Kopien von sich selber herstellen konnten. Dann brachte er eines oder mehrere Programme ein, die sich selber reproduzieren konnten und konnte so nicht nur eine Evolution sondern viele verschiedene Evolutionen beobachten: Die fortpflanzungsfähigen Programme konkurrierten um Prozessor- und Speicherkapazität (Energie, Territorium). Programme, die sich mit weniger Prozessorarbeit fortpflanzen konnten oder weniger Speicherplatz benötigten, waren hinsichtlich Nachkommen im Vorteil. Alte Programm oder solche, die allzu oft den Computer „böswillig“ blockierten, wurden gelöscht (natürlicher Tod oder Hinrichtung). Es entwickelten sich Altruismus, Parasitismus, Immunität gegen Parasiten – sogar Sexualität. Der Evolutionsprozess Das Tierra-Experiment bewies, dass Darwins drei Bedingungen ausreichen für Evolution. Offen blieb die Frage nach einem widerspruchsfreien mathematischen Modell. Zu deren Lösung müssen klar unterschieden werden: Evolution als Naturvorgang und natürliche Auslese als konkreter Mechanismus – für Darwin der einzige die Evolution treibende Mechanismus. Wenn sowohl Evolution als auch natürliche Auslese sich auf der Ebene des Individuums abspielen, bleibt der logische Widerspruch bestehen (keine anderen Einflüsse vorausgesetzt). Natürlich Auslese wirkt offensichtlich auf Einzelwesen. Umstritten ist, ob sich Evolution auch dann auf Ebene des Individuums abspielt, wenn ihr Ergebnis die große Vielfalt von Individuen ist. Der Angriffspunkt der Evolution Im Rollenspiel mit einem „höchsten Wesen“ wurde der Befehl „Seid fruchtbar und mehret euch“ nicht einem Lebewesen erteilt, sondern einem Etwas, das selber kein Lebewesen ist, aber das Erscheinen von Lebewesen erzeugen kann. Derselbe Gedanke verhilft zu zwei konkurrierenden widerspruchsfreien mathematischen Evolutionsmodel-len: Das „Etwas“ können sein die Art (Evolutionsmodell der

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Gruppenselektion) oder die Gene (Evolutionsmodell der Genselek-tion) – die beide „unbedingt überleben wollen“4. Beide Theorien können das Entstehen von Altruismus erklären. Der Begriff Gruppenselektion ist irreführend, weil Selektion Einzelwesen, Evolution aber die Gruppe betrifft. Auch Genselektion wäre irreführend, besser ist Theorie des egoistischen Gens. Denkbar ist, dass verschiedene Formen von Evolution durch die eine oder die andere Theorie beschrieben werden. Die Theorie des egoistischen Gens ist mathematisch einfacher und wird von den meisten Biologen bevorzugt. Wie verallgemeinerungsfähig ist Darwins Theorie? In Form des Sozialdarwinismus wurde Darwins Theorie in ungerecht-fertigter Weise auf die Gesellschaft übertragen und politisch missbraucht als angeblich wissenschaftliche Grundlage des Faschismus. Darwins drei Bedingungen sind aber auch in anderen Bereichen erfüllt und lassen dort zwangsläufig Evolution beginnen (kulturelle, soziale, ökonomische, linguistische, technische, religiöse,....). Das ist die eine Hälfte der Darwinschen Theorie. Fraglich ist, ob auch die andere Hälfte in diesen Fällen gültig ist – nämlich dass Evolution in diesen Bereichen alleine aufgrund der drei Bedingungen wirkt. Wirken andere Mechanismen als natürliche Auslese, könnten Schlüsse aus Darwins Theorie leicht ihre Gültigkeit verlieren. Beispiele: etwa ein universales Prinzip „tit fo tat“ oder allein auf Komplexität beruhende evolutionäre Prozesse ohne natürliche Auslese nach Stuart Kauffmann5. Im Buch werden nur Evolutionsprozesse betrachtet, bei denen ein Replikator die Ursache für Emergenz von Lebewesen darstellt und die folglich außer natürlicher Auslese keinen weiteren Mechanismus benötigen. Der Zoo der Replikatoren Bisher haben wir kennengelernt: Schablonenmoleküle des Chemotons, Gene, TIERRAs sich selbst reproduzierende Programme – wobei diejenigen von ihnen, die sich sexuell fortpflanzen konnten, nicht mehr als Replikatoren gesehen werden dürfen, denn sie sind Hybriden aus den Eltern. 4. Die Meme Wir schaffen es selten, uns Gedanken anzueignen, nicht einmal eigene. Dawkins Idee: Auch Gedanken könnten – wie Lebewesen - durch Replikatoren erzeugt werden: Meme. Meme sind die kleinsten sinnvollen, nicht genetisch bestimmten Gedankeneinheiten, die zuverlässig und vermehrungsfähig von einem

4 Hier ist wieder die vermenschlichte Sicht zu kritisieren. Bei Gruppenselektion spricht der Autor vom Wohl der Gemeinschaft als allgemeinem Ziel, dem die Aktivitäten der Einzelnen gelten, ohne dass sie davon wissen. 5 Kauffmann, S.A.: The Origins of Order. Oxford University Press, 1993

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Gehirn ins andere kopiert werden (die vier Anfangsnoten von Beethovens Fünfter – nicht die ganze Sinfonie). Meme sind von den „Gedankenwesen“, die sie hervorbringen, zu unterscheiden. Als „Gedankenwesen“ werden die kognitiven Schemata der Psychologie vermutet (s. Kap. 13). Ein Mem, dass von einem „besseren“ Gedanken abstammt, überlebt leichter. Nicht alle Gedanken sind Meme Imitation wurde in unserer Memdefinition bewusst ausgespart. Aussagen des Autors: Wir können Emotionen gut imitieren ohne seine Gefühle zu kopieren (Mitgefühl mit einem Hungrigen macht uns nicht hungrig, wenn wir satt sind)6. Gefühle sind Gedanken, aber keine Meme7. Was genetisch codiert ist, sind keine Meme. Die meisten gelernten Dinge sind keine Meme – z.B. alles8, was wir durch Versuch und Irrtum lernen (z.B. Fahrradfahren – bestenfalls die Idee des Fahradfahrens ist ein Mem). Wir erwerben Meme, wenn wir nicht die Handlung selbst imitieren sondern die Methode der Handlung (Anweisung, Rezept). Wir imitieren selektiv und übernehmen Meme, die für unsere eigenen „Gedankenwesen“ vorteilhaft sind. Die Wissenschaft der Memetik Memetik löst nach Blackmore elegant folgende Fragen: Warum reden wir soviel? Warum denken wir unablässig? (Tiere tun das nicht). Wozu dient unser großes Gehirn? Wozu ist Sprache da? Rechtfertigt das die Annahme von Memen? Es ist schwer definierbar, welche Arten von Imitation Meme weitergeben. Zugrundeliegende zerebrale und neuronale Mechanismen sind unbekannt. Kritiker halten Memetik für überflüssig. Beim Streit über die Weitergaben erworbener Merkmale durch Meme geht der wichtigste Aspekt verloren: Es geht nicht um unsere erworbenen Eigenschaften sondern um erworbene Eigenschaften unserer „Gedankenwesen“. Memetik lehrt: Wir sind nicht nur Ergebnis körperlicher sondern auch psychischer egoistischer Replikatoren. Kognitive Dissonanz Der Wunsch nach Konsistenz unserer Handlungen, Gedanken, Gefühle ist eines der wichtigsten Motive unseres Verhaltens. Leon Festinger entwickelte dazu die Theorie der kognitiven Dissonanz, womit ein Spannungszustand aufgrund unvereinbarer Erkenntnisinhalte gemeint 6 Wenn wir emotionale Ausdrucksgesten eines anderen imitieren, können wir sehr wohl in uns selbst erleben, was er fühlt – vermutlich eine Leistung der Spiegelneuronen. 7 Gefühle werden erst zu Gedanken, wenn sie uns bewusst werden. 8 Alles? – Das ist zu bestreiten: Aus Versuch-Irrtum-Experimenten gewonnene Erkenntnisse sind doch wohl Meme! Fahrradfahren ist eine körperliche Fähigkeit mit hohen Anteilen unwillkürlicher Bewegungen.

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ist. Kognition (Wissen, Verstehen) ist dabei nicht sehr genau definiert (Gedanken, Einstellungen, Ansichten, Meinungen, Meme,...). Die Theorie behauptet: Menschen könne kognitive Dissonanz nicht ertragen und versuchen, sie auf dem Wege des geringsten Wider-standes zu mindern, indem sie der Dissonanz zugrundeliegende Wahrnehmungen verändern oder gar eliminieren. Dazu Festingers Laborexperiment: Vorbereitend wurde jede Versuchs-person eine Stunde lang mit einer völlig sinnlosen und todlangweiligen Aufgabe beschäftigt. Danach das eigentliche Experiment: Der Assistent des Versuchsleiters erschien und erklärte einer VP, dass sie dabei sei, eine sehr interessante Aufgabe zu erfüllen habe. Nach deren Abschluss bat man die VP, einen Moment zu warten. Der Versuchsleiter selbst erschien und bat die VP unter dem Vorwand, seinen unzuverlässigen Assistenten nicht finden zu können, die Standardanweisung an eine weitere Versuchsperson weiterzugeben mit der Bemerkung, es handele sich um eine sehr interessante Aufgabe. Dafür bot er den VPn Geld an: zufallsverteilt mal 1$, mal 20$. Anschließend wurden die VPn zu der Aufgabe befragt: Wer 20$ erhalten hatte beschwerte sich heftig über die stupide Aufgabe, wer 1$ bekommen hatte, fand die Aufgabe weniger langweilig, gelegentlich sogar amüsant. Die 20$-Personen litten nicht an kognitiver Dissonanz: Sie hatten gegen ausreichende Bezahlung mit einer harmlosen Schwindelei den Assistenten vertreten. Anders die 1$-Personen: Als ehrliche Menschen mochten sie nicht für einen lächerlichen Dollar lügen. Sie machten sich vor, nicht wirklich gelogen sondern mehr oder weniger die Wahrheit gesagt zu haben, hatten also ihr Wahrnehmung „frisiert“. Diese Selbstüberredung ist kein bewusster Vorgang und darum umso effektiver. Eine realistischere Situation: Die Polizei hatte einen Protest von Stundenten brutal unterdrückt und sie so gegen sich aufgebracht. Die Studenten wurden gebeten, in einer schriftlichen Arbeit die Polizei zu verteidigen. Dafür bekamen sie ohne Wissen voneinander Geld – 50 Cent, 20$ u.a. Beträge – zufallsverteilt. In der nächsten Vorlesung wurden die Studenten aufgefordert, ihre Meinung über das Verhalten der Polizei aufzuschreiben. Je weniger Geld jemand für die Verteidigung der Polizei erhalten hatte, desto besser kam ihre Verhalten bei ihm weg – mit einer Ausnahme: Wer gar nichts erhalten hatte urteilte genauso schlecht über die Polizei, wie die 20$-Personen. Sie litten nicht an kognitiver Dissonanz: Für sie war die Aufgabe nur eine verhasste Pflicht, die zur Vorlesung gehörte. Geld als Mem Natürliche Auslese unter Memen kann über viele Mechanismen gesche-hen (s. Kap. 9) – auch über kognitive Dissonanz. - Interpretation obiger Situation: Eine Form des Memkomplexes Geld (viel Geld) rechtfertigte das Verhalten und löste die Dissonanz von selbst. Die andere Form

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(wenig Geld) ließ sie bestehen und zwang zu „frisierter“ Wahrneh-mung. Kein Geld ließ Dissonanz gar nicht erst entstehen. Psychologische Versuche zeigen: Falls möglich, werden zur Auflösung kognitiver Dissonanz gern die Tatsachen verändert. Erst, wenn das unmöglich ist, kommen psychologische Mechanismen ins Spiel, die nichts mit Memen zu tun haben: Wir ändern Gefühle und Haltungen. Es wurde nicht untersucht, ob die Studenten sich nach einem Jahr noch an die Aufgabe, die verhasste Polizei zu verteidigen und das erhaltene Geld erinnern konnten. Aufgrund anderer Experimente kann man das aber vorhersagen: Die 20$-Personen werden sich noch an das Geld erinnern, die 1$-Personen werden es vergessen haben. Das bedeutet: Kurzfristig hat das Mem des Geld-erhalten-habens bei allen überlebt, denn es hat ja zum Phänomen der kognitiven Dissonanz geführt. Lanfristig ist das Mem des wenig-Geld-erhalten-habens ein Opfer geworden. Abgesehen vom noch fehlenden überzeugenden Existenzbeweis für Meme, könnte sich Geld im Sinne eines Spezialfalls der Meme als Replikator erweisen. Hier soll später gezeigt werden, dass Geld ein eigenständiger Replikator ist, dessen Grundlagen sich von anderen Replikatoren (wie z.B. Memen) unterscheiden. Geld als Nicht-Mem Weil die Theorie der kognitiven Dissonanz neben anderen Bewusst-seinsinhalten auch für Meme gilt, kann man zeigen, dass Geld imitierbare Verhaltensformen schafft, die keine Meme sind. Dazu wird eine Person betrachtet, die sowohl (Mit)Eigentümer als auch Angestellter desselben großen Unternehmens ist. Könnten die Verhal-tensweisen als Eigentümer und Angestellter beide durch je einen Memkomplex bestimmt sein? Schließlich können beide Formen in einem Menschen nachweislich friedlich vereint sein. Weil aber beides in scharfem Widerspruch zueinander steht und stark widersprüchliche Meme wegen kognitiver Dissonanz nicht lange nebeneinander bestehen können, muss mindestens eins der beiden ein Nicht-Mem sein – aber welches?9 – Geld als belohnendes Gehalt wirkt durch die kognitiven Mechanismen und sollte demnach als Mem Angestelltenverhalten wie auch Alltagsverhalten bestimmen. Im Eigentümerverhalten dagegen wirkt Geld als Nicht-Mem (in Kap. IV wird gezeigt, dass die „Gedankenwesen“ des Eigentümerverhaltens weder auf genetisch bestimmten Gedanken noch auf Memen beruhen. Sie werden nicht von Memen erzeugt). 9 Widersprüchlichen Meme können durch Meme auf einer übergeordneten Ebene der Kooperation zwischen Eigentümer und Angestelltem in ein optimales Verhältnis gebracht werde, was eine kognitive Dissonanz trotz des Widerspruchs sicher beseitigen würde. Der Bearbeiter hält die Schlussweise für falsch.

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Universaler Darwinismus: Herrenlose Hunde Biologische, psychologische, ökonomische Evolutionsprozesse laufen als Koevolution verschiedener Arten von Replikatoren in derselben Umwelt. Mit verschiedenen Arten egoistischer Replikatoren in einem mathematischen Modell konnte gezeigt werde: Evolutionäre Prozesse mit um Größenordnungen unterschiedlicher Geschwindigkeit können ohne Konsistenzprobleme nebeneinander existieren. – Gibt es einen Vorrang unter den Evolutionstypen? – Wilson nahm an, „Kulturgene“ würden sich „an der langen Leine“ der Gene entwickeln und letztlich deren Interessen dienen. Das folgt aber weder aus Darwins drei Bedingungen noch aus mathematischen Modellen: Die Symmetrie unter den verschiedenen Replikatorenarten ist perfekt. Wenn Evolution erst einmal begonnen hat, scheint es gleichgültig zu sein, was sie in Gang gebracht hat: Chomtone und ihre Evolution gibt es heute praktisch nicht mehr, obwohl sie Grundlage der heute noch laufenden biologischen Evolution waren. „Möglicherweis zieht eine der Formen von Evolution zum Zweck ihres eigenen Überlebens trotzdem in Betracht, wie sie die Vorgänger beeinflusst“ (Beispiel: Umweltschutz-Meme erwachsen aus unserem biologischen Überlebensinteresse). Alle Replikatoren-Arten folgen ihrer eigenen Darwin’schen Evolution, bauen ihre eigenen Überlebensmaschinen, formen die natürlichen Umwelten füreinander und stehen so in Wechselwirkung. Keiner ist Herr des anderen10. 5. Homo informaticus Der Homo sapiens der Steinzeit hatte ein Gehirn für die Informationsgesellschaft, aber er hatte keine Ahnung, wohin das führen würde. Unter Einfluss moderner Technik verfügen jüngere Generationen zunehmend über schnellere Auffassungsgabe, höhere „Parallelverarbei-tungskapazität“, Toleranz gegenüber Vielfalt, Kritikbereitschaft. Es könnte sich eine neue Art herausbilden: Homo informaticus. Zwei darwinistische Weltanschauungen Traditioneller Darwinismus in Gestalt der Evolutionspsychologie hält unser steinzeitlich angepasstes Gehirn durch heutige Bedingungen für überfordert, was zu unangepassten Strategien wie Drogen, Internet-abhängigkeit, Aussteigen führt.

10 Diese Sicht verkennt nach Ansicht des Bearbeiters eine durch große evolutionäre Geschwindigkeitsdifferenzen und Gestaltung der gegenseitigen Umwelten verschiedener Replikatoren entstehende Unsymmetrie: Der schnellere Replikator passt sich notwendiger Weise an die vom langsameren geschaffenen Bedingungen an. Das Umgekehrte kann nur erfolgen, wenn evolutionäre Ergebnisse des schnelleren Replikators so lange Bestand haben, dass der langsamere sich daran anpassen kann. Im ersten Fall führt der langsamere Prozess den schnelleren, im zweiten ist es umgekehrt.

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Universeller Darwinismus sieht das steinzeitliche Gehirn durch die Fähigkeit, Meme zu imitieren, vorbereitet für die Informationsge-sellschaft. Die Evolution der Meme zwang diese, sich immer besser zu reproduzieren und eine Informationsgesellschaft zu schaffen, deren Bürger Produkte ihrer Gene und Meme sind. Obige unangepasste Strategien sind lediglich „Sackgassen der Mem-Evolution“. Informationsgesellschaft Die Entwicklung der Informationsgesellschaft begann bereits vor Jahrtausenden – etwa mit Entwicklung von Nachahmung und Sprache. Worte sind flüchtig, unser Gedächtnis ist unzuverlässig. Psychologische Experimente zeigen: Unser Gedächtnis arbeitet rekonstruktiv. Trotz lebhafter Erinnerung (etwa an eine Katastrophe) entwerfen Menschen - befragt mit denselben Fragen - wenige Tage und mehrere Jahre danach ein unterschiedliches Bild des Ereignisses. Wir können nicht zweimal denselben Gedanken denken. Solange vergangene Tatsachen nur in den Gehirnen existierten, wurden sie mit der Zeit verfälscht. Erfindung der Schrift verlieh den Tatsachen Stabilität. Die Erfindung des Buchdrucks machte die Stabilität der Fakten zum Allgemeingut. Es gab eine beschleunigte technische Entwicklung des Schreibens von Steintafeln bis Computerdisketten und eine Vollentwicklung der Lesefähigkeit erst in den letzten 50 Jahren (praktisch keine Analphabeten mehr). Der Anteil der Informationsindustrie wird in 20..30 Jahren 50% des Weltsozialprodukts betragen, und biologisch wie psychologisch unverzichtbar mit unserem gesamten Leben verflochten sein, und das wird die Informationsgesellschaft definieren. Menschliches Denken im Übergang Menschliche Empfindungen durch unsere Sinne sind an der Grenze des physikalisch möglichen – nicht dagegen unsere Wahrnehmungsfähigkeit. Nicht nur technische – auch menschliche Informationsverarbeitung hat sich beschleunigt: Gestalterkennung, Sprechgeschwindigkeit (durch Wiederholung alter Experimente nachgewiesen). Es gibt keine Hinweise, dass das mit mehr Oberflächlichkeit verbunden ist. Wenn vier Augen mehr sehen als zwei, könnten mehr Wahrnehmungen durch zwei Augen auch zu tieferem Wissen führen. Die Evolution des Homo informaticus Don Tapscott untersuchte Merkmale der „Netzgeneration“: offener, toleranter, neugieriger, vorurteilsfreier. Das Netz als „Antithese zum Fernsehen“ fördert Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Kritik gegenüber der Elterngeneration. Die „Netzgeneration“ ist die erste, die ihre Informationsquellen unabhängig von Eltern und Lehrern findet. Es bilden sich neue Formen von Kommunikation und Traditionen heraus, neue Arten von Begegnungen und Codes. Das Habitat des Homo informaticus Homo informaticus wird sich nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden genetisch wenig von Homo sapiens unterscheiden, wenn sie sich mischen. Wenn nicht, könnten die Unterschiede bedeutend sein.

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Vermutlich wird das Internet zum zweiten Habitat des Homo informaticus – so ähnlich wie der Bienenstock für die Bienen. Gravierende Probleme kann es durch Computerviren geben, die das gleiche Habitat „bewohnen“ (Kaspersky: Das heutige Internet funktioniert nur, weil Virenprogramme von Stümpern geschrieben werden). Im Habitat hat jeder Homo informaticus ein eigenes „Informationsheim“ (Vorläufer: Mailadresse, Homepage). Er könnte an „Informationshunger sterben“. II. Ökonomie und Psychologie 6. Die Entstehung ökonomischer Werte Wie in einer Autofabrik schafft Tausch in der Wirtschaft neue Werte: Immer geht es darum, vorhandenes Material in nützlichere Form zu bringen. Jeder Replikator (Schablonenmolekül, Gen, Mem) lebt in einer von ihm vorgegebenen natürlichen Umwelt und nutzt externe Mechanismen, über die er keinerlei Information besitzt und auf die er keinen Einfluss hat (Membranbildung, Raumstruktur von Proteinen, z.B. kognitive Dissonanz). Schablonenmoleküle nutzten Membranbildung zum Bau ihrer Überlebensmaschine Chemoton. Teil II befasst sich mit ökonomischen und psychologischen Mechanismen, die für den Replikator Geld externe Mechanismen sind, die er zum Bau seiner Überlebensmaschinen (Unternehmen) nutzt. Tausch erzeugt Wert Bei Person B verstaubt ein geschenktes Trainingsrad, weil die Beine nicht mehr wollen, bei F ein Schachspiel, weil sein Schachfreund gestorben ist. Beide treffen aufeinander, tauschen die Gegenstände und sind beide hochzufrieden. Hat der Tausch neuen Wert geschaffen? Im Wirtschaftsleben geht es allgemein nicht um neue materielle Güter sondern um Gewinn (Nutzen) und Kosten. Die Wirtschaft sieht als Nutzen, was mindestens ein Mensch für sich nützlich findet und für dessen Erwerb er bereit ist, ein anderes nützliches Ding aufzugeben. Kosten umfasst alle jene Nutzen, die wir opfern, um einen Gewinn zu erzielen. Fast alle Produktion erzeugt Nutzen, indem sie lediglich existierende Materialien in eine nützlichere Form bringt. Genau das passierte bei obigem Tausch: Fahrrad und Schachspiel sind neu angeordnet, so dass sie größeren Nutzen erbringen als zuvor. Obwohl im Einzelnen kein neues Produkt entstanden ist, hat doch die neue Anordnung einen höheren Nutzen. Die neue Anordnung ist das eigentliche neue Produkt. Es wurde durch den Tausch Wert, Nutzen, Wohlstand geschaffen. Entgegen verbreiteter Annahme ist Handel nie der Austausch von Gleichwertigem. Dann wäre er sinnlos: Beide Partner geben etwas für sie weniger Wertvolles und erhalten etwas für sie Wertvolleres. Trainingsrad und Schachspiel hatten für deren Besitzer auch vor dem Tausch einen Wert – die Erinnerung an den Schenker bzw. den Schachfreund. Der Tausch betraf im Gespräch der beiden nicht nur die

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Gegenstände sondern auch die mit ihnen verbundenen Geschichten. Nach dem Gespräch konnten sie die kognitive Dissonanz überwinden, dass sie einen liebgewordenen Erinnerungsgegenstand loswerden wollten. Auch informelle Gespräche können realen ökonomischen Wert erzeugen. Ähnlich haben Veränderungen einen wirtschaftlichen Wert, die Lehrer im Kopf von Schülern, Ärzte im Köper von Patienten erzeugen oder auch psychologische Veränderungen, die wirtschaftliche Möglich-keiten erst realisierbar machen. Das Prinzip der komparativen Vorteile In einer Modellgesellschaft aus nur drei Produzenten/Verbrauchern A,B,C können diese an einem Tag entweder eine bestimmte Menge Nahrung (Einheit 1 N) oder Kleidung (Einheit 1 K) produzieren – oder ihre mögliche Tagesleistung irgendwie auf beide Produkte aufteilen.

Alle sind glücklich, wenn sie ausreichend Nahrung und möglichst viel Kleidung haben. Allen zusammen reicht 1N pro Tag. Wer sollte diese Einheit produzieren? A, weil er mit 4N/d die absolut höchste Produktivität für Nahrung aufweist? – Vergleich der möglichen Fälle. Wenn A 1N produziert können 6K+3K+1K =10K hergestellt werden. Wenn B 1N produziert können 8K+2K+1K =11K hergestellt werden. Wenn C 1N produziert können 6K+4K+0,5K=11,5K hergestellt werden. Die Nahrungsproduktion in dem Beispiel sollte dem absolut unproduk-tivsten Nahrungshersteller überlassen werden. Warum?? – Weil es in der Wirtschaft nicht auf die absolut höchste Produktivität ankommt, sondern darauf, welche Opfer bzw. Kosten der Prozess erfordert (hier Verzicht Kleidungseinheiten). Wenn es darum geht, was von wem erzeugt werden sollte, zählt nicht der absolute Vorteil, sondern die relative Effizienz (Prinzip des komparativen Vorteils). Internationaler Handel wird von dem Prinzip bestimmt: Deutschland könnte in einem riesigen Treibhaus Kaffe billiger erzeugen als Brasilien, müsste dafür aber Produktionen mit der legendären deutschen Präzision opfern und wird das nie tun. Im Beispiel hatte A bei beiden Produkten einen absoluten Vorteil, war aber gegenüber B und C bei der Nahrungsproduktion relativ im Nachteil, weil er für die Produktion einer Nahrungseinheit die von zwei Kleidungseinheiten opfern müsste, während B bzw. C nur 1K bzw. 0,5K opfern müssen. Gleichzeit hat A bei der Kleidungsherstellung nicht nur einen absoluten sondern auch komparative Vorteil (für 1K müsste er nur und 0,5N opfern, B und C dagegen 1N und 2N). Das muss nicht so sein.

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Es können sogar viele vor den absolut Weltbesten einen kompa-rativen Vorteil haben: Ein Anwalt sei hobbymäßig Weltmeister im Schreibmaschineschreiben. Sollte er seine Dokumente selber schrei-ben? Wenn es nur 100 bessere Anwälte gibt, würde er dabei verlieren, denn als Anwalt unter Anwälten hätte er immer noch gegenüber einer Schreibkraft einen komparativen Vorteil. Würde er zu einem miserablen Anwalt auf Platz 100000 absacken, der nur noch so viel wie eine Sekretärin verdient, könnte er seine Briefe selber schreiben, hätte nun aber als erstklassige Schreibkraft gegenüber anderen Sekretärinnen wieder einen komparativen Vorteil. Wir brauchen nicht irgendwo der Beste sein. Das ist nur einem möglich, und wir sind viele. Auch der Beste muss nicht das tun, worin er der Beste ist, weil er gegenüber anderen bei etwas anderem einen komparativen Vorteil hat. Das von Ricardo 1817 formulierte ökonomische Prinzip kann auch als ein psychologisches gesehen werden: Menschen berücksichtigen bei ihren Entscheidungen meist unbewusst eher die vergleichsweisen als die absoluten Vorteile. Das Problem der Börsenkurse In obiger Minigesellschaft gebe es jetzt eine andere Bedürfnisstruktur: A (gefräßig) benötigt täglich 4N+1K, B (ausgeglichen) benötigt 2N+2K, C (bescheiden) braucht 1N+1K – Gesamtbedarf 7N+4K. Keiner kann alles selber herstellen, was er braucht, aber der Gesamtbedarf kann erzeugt werden, indem A 2N+4K und B+C zusammen 5N produzieren. Dann wäre Kommunismus möglich: Jeder produziert nach seinen Fähigkeiten und verteilt wird nach Bedürfnissen. Leider sind Bedürfnisse und Fähigkeiten (bzw. Leistungen) real kaum im Gleichgewicht. Alter osteuropäischer Witz: Wurde der Kommunismus von Ökonomen oder Biologen erfunden? – Von Ökonomen! Biologen hätten ihn zuvor an Ratten getestet. Verteilung in der Marktwirtschaft geschieht aufgrund von Tauschkursen: Im Beispiel kann der Kurs zwischen Kleidung und Nahrung im Bereich 1N ‹› 0,5K.....1N ‹› 2K (Tauschverhältnis t = 2 N/K ..... 0,5 N/K ; t’ = 1/t = 0,5 K/N ....... 2 K/N) schwanken – andernfalls ginge es allen schlechter: Außerhalb dieses Bereiches lägen z.B. 1N ‹› 0,2K und 1N ‹› 4K. Im ersten Fall würde schon der bloß relativ effizienteste (absolut uneffizienteste) Nahrungshersteller Kleidung produzieren und niemand würde mehr Nahrung erzeugen. Für die Eigenproduktion einer Nahrungseinheit N müsste er nämlich mit 0,5K Eigenproduktion „bezahlen“. Jetzt kann er sie für 0,2K erwerben (für eine selbstproduzierte Kleidungseineinheit K müsste er auf Produktion von 2N verzichten. Kaufen könnte er sie für 5N). Im zweiten Fall würde es sich selbst für den relativ (wie auch absolut) effizientesten Kleidungshersteller A nicht mehr lohnen, Kleidung herzustellen, und es würde niemand mehr Kleidung produzieren. Für ihn

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kostet nämlich eine Kleidungseinheit K die Eigenproduktion von 0,5N, jetzt kann er sie aber bereits für 0,25N erwerben (Eigenproduktion einer Nahrungseinheit N kostet ihn 2K. Wollte er sie erweben, müsst er mit 4K dafür bezahlen). A und C haben bezüglich Tauschkurs diametral entgegen gesetzte Interessen. B bleibt davon unberührt. Er produziert das, was höher im Kurs steht. Im ersten Fall könnte er 1N für 0,2K oder 1K für 5N erwerben und wird Kleidung produzieren. Im zweiten Fall kann er 1N für 4K oder 1K für 0,25N erhandeln und wird Nahrung herstellen11. (Zusammenstellung: Absolute Effizienz für N A>B>C Relative Effizienz für N A<B<C Absolute Effizienz für K A>B>C Relative Effizienz für K A>B>C). Wann A und C uneinig bleiben profitiert davon B – ums so mehr, je weiter der Kurs von 1:1 abweicht. Einigen sich A und C auf 1:1, zieht B den Kürzeren. Unangenehme mathematische Tatsache: Es gibt keinen Wechselkurs, der es A,B,C erlaubt, alles zu kaufen, was sie brauchen, nachdem sie ihre eigenen Güter produziert haben. Vergeblich erzeugen sie zusammen ihren Gesamtbedarf – unter Marktbedingungen hat immer jemand mehr und jemand anders weniger als er braucht. Also doch Kommunismus, weil der Markt den Bedarf selbst dann nicht befriedigt, wenn genug vorhanden ist?12 Die Idee der Nachfrage Ausgangspunkt der Wirtschaftswissenschaften: Alle Güter sind knapp aber in gewissem Grade austauschbar: Der Wunsch nach einem bestimmten Gut kann umgewandelt oder aufgeschoben werden. In der Marktwirtschaft legt der Preis den Tauschwert der Güter fest. Er wird durch die Möglichkeiten bestimmt, ein Gut durch ein anderes zu ersetzen: Je höher der Preis einer Ware, desto mehr Menschen finden geeigneten Ersatz, und umso weniger werden die Ware kaufen. Es müssen klar unterschieden werden:

11 Zum Sprachgebrauch: Stehen X zu Y z.B. im Tauschverhältnis 1 : 5 zueinander, dann steht X (nicht etwa Y) „höher im Kurs“, weil für eine Einheit X mehr Einheiten Y gezahlt werden müssen. 12 Nocheinmal: Es kann alles hergestellt werden, was gewünscht wird, aber mit keinem festen Austauschverhältnis erreicht werden, dass alle das bekommen was sie wünschen? Dann müsste man sich von einem festen Tauschkurs verabschieden.

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Nachgefragte Menge (MN): Gesamtmenge eines Produkts, das die Verbraucher für einen bestimmten Preis (P) zu kaufen bereit sind. Sie hängt vom Preis ab – entsprechend der Nachfrage(kurve) MN = MN(P): Beziehung zwischen M und P unter bestimmten Bedingungen. Ändert sich nur, wenn ein Produkt mehr oder

weniger beliebt oder durch ein anderes ersetzt wird – z.B. Kino durch Video. P über M(P)

Das Marktgleichgewicht Ebenso sind angebotene Menge MA und Angebot(skurve) MA = MA(P) zu unterscheiden – hier zusammen mit der Nachfragekurve:

P über MN und MA Bedeutung des Schnittpunkts: Marktgleichgewicht – zum Gleichge-wichtspreis sind Produzenten bereit, genau die Warenmenge zu erzeu-gen, die Käufer bereit sind, sie zu kaufen. Weder Mangel noch Über-fluss. Das Gleichgewicht pendelt sich von selber ein, wenn es mehrere Hersteller gibt, die frei entscheiden und sich nicht absprechen.

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Die hinsichtlich Tauschwerten konflikthafte Minigesellschaft A,B,C pen-delt sich auf einen Gleichgewichtskurs ein, wenn nicht je zwei eine Koalition zuungunsten des Dritten eingehen. Wettbewerb ist ein Automatismus, bei dem jeder eigenen egoistischen Bedürfnissen nachgehen kann und die Wirtschaft immer noch effektiv funktioniert. Das gilt für große Teile der Produktion, aber nicht für Dinge, die jedermann braucht, aber niemand herstellen will, die nicht aufgrund der Marktlage erzeugt werden (Leuchttürme, Schulen, Polizei). Produzenten- und Konsumentenrente Die Nachfragekurve spiegelt die Zahlungsbereitschaft wider: Nur geringe Mengen würden für einen sehr hohen Preis gekauft – je geringer der Preis, umso größer die Mengen, für die Zahlungsbereitschaft bestünde. Tatsächlich zahlen aber alle den Gleichgewichtspreis – für viele weniger als sie bereit wären zu zahlen. Die sog. Konsumentenrente (s. Abb.) misst die gesamte, über den tatsächlichen Preis hinausgehende Zahlungsbereitschaft und wird als mikroökonomisches Maß für Konsu-mentenwohlfahrt interpretiert. Ihr Ursprung ist die Unterschiedlichkeit der Menschen13. Die Angebotskurve spiegelt die Bereitschaft wider, eine Warenmenge für einen bestimmten Preis zu produzieren und zu verkaufen. Besteht die Bereitschaft bei einem niedrigerem als dem erzielbaren als Gleichgewichtspreis zu agieren, dann bekommt der Produzent mehr als

13 Offenbar klammert diese Wohlfahrtsdefinition alle aus, die nur weniger als den Gleichgewichtspreis bereit oder fähig sind zu zahlen.

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das, wofür er bereit wäre zu agieren. Die unter dem erzielbaren Preis liegende Produktionsbereitschaft wird analog Produzentenrente genannt und als Maß für Produzentenwohlfahrt gedeutet. Sie darf nicht mit Profit verwechselt werden14. Autokatalyse der Wirtschaft Der dem Verbraucher (mit der Konsumentenrente) erwachsene Überschuss dient dem Wohlbefinden und kann nicht für etwas anderes ausgegeben werden15. Hersteller sind dagegen frei, wofür der Überschuss (aus der Produzentenrente) verwendet wird. Statt sie heute auszugeben, kann sie verwendet werden, um das Wohlbefinden morgen zu verbessern (Beispiel Richson in Kap. 1). Das sieht nach einem autokatalytischen Prozess aus: Aus Memen erwachsene Produzen-tenrente dient als Kapital dazu, die Produktion effizienter zu machen, die Angebotskurve sinkt, wobei die Konsumentenrente (Wohlfahrt) wächst und die Produzentenrente erhalten bleibt (s. Bleistifteintragung). Gleichgewicht in autokatalytischen Prozessen (keine Schübe) ist Bedingung des Lebens – in der Biologie erreicht durch Organisation der Zellen, in der Wirtschaft durch freien Wettbewerb. 7. Das Wesen von Investorenentscheidungen Bei seiner Gründung ist jedes Unternehmen mehr oder weniger ein Bluff. Zurück zu Robinsons und Richsons Inseln. Die Wirtschaft blüht. Hauptnahrungsmittel Stockfisch wird mit Netzen gefangen – nur von denen, die dabei eine komparativen Vorteil haben. Jeder hat monatlich 400...500 Fische oder deren Gegenwert, braucht aber nur 150 zum Leben. Nur 1/3 der Bewohner müssen fischen, die anderen arbeiten in Industrie und Handel. Richson (wie auch andere) hat eine Geschäfts-bank und befasst sich ausschließlich mit der Anlage seines Fischver-mögens. Robinsons neuer Traum Nach dem alten Stockfisch-Darlehen von Richson hatte Robinson mehr gearbeitet, als er zum Lebensunterhalt brauchte und damit einen Fischvorrat erwirtschaftet und zum Teil gegen Kleidung und CDs getauscht. Mit dem Rest wollte sich einen „Arbeitsurlaub“ gönnen, um den Bau eines Fischerbootes gründlich zu planen.

14 Wiederum klammert diese Wohlfahrtsmaß von vornherein eine ganze Gruppe aus – nämlich alle Produzenten, die ein Produkt nur über einem bestimmten Preis verkaufen wollen oder können. 15 Es gibt Strategien, die Konsumentenrente wenigstens teilweise „abzuschöpfen“ – z.B. Kaufreiz durch Differenzierung des Warenangebots. – Man könnte am Konsum dank Gleichgewichtspreis Eingespartes doch aber z.B. in Aktien stecken.

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Sein Fisch-Restbestand reichte dazu nicht. Er versuchte, Richson technische Einzelheiten seines Plans zu erklären, doch der erkannte sofort Robinsons technische Kompetenz und stellte ganz andere Fragen, die Robinson nicht auf Anhieb beantworten konnte: Gibt es überhaupt eine Besatzung? Wer trägt als Kapitän Verantwortung? Findet der bei Krankheit Vertretung? Wie hochsee-tauglich wäre das Boot? Wie lange dauert ein Turn und wie viele auf dem Markt verkaufbare Fische bringt er ein? Lebensdauer des Bootes, Wartungsaufwand? Konkurrenz durch andere Schiffbauer?... Robinson ging zu einem anderen Banker. Der hörte (offenbar interessiert) seine technischen Erläuterungen (um Robinsons Kompe-tenz zu testen) und stellte dann genau die gleichen Fragen. Etwas demoralisiert verbrachte Robinson den Rest seines „Arbeitsurlaubs“ damit, auf die kaum beantwortbaren Fragen einigermaßen glaubhafte Antworten zu finden, statt technische Einzelheiten zu klären und erkannte: Bei seiner Gründung ist jedes Unternehmen mehr oder weniger ein Bluff. Firmengründung Robinson meint, das Boot mit einem Darlehen von 4000 Fischen bauen zu können und erarbeitet einen Vorschlag für dessen Rückzahlung: 6000 Fische monatlicher Fang -2000 Fische Monatslohn der Besatzung -1200 Fische Monatprovision der Handelspartner - 800 Fische monatlich für Routenmanager 2000 Fische Gewinn monatlich Robinsons Vorschlag: Der Gewinn wird zwei Jahre lang geteilt. Richson bekommt 24000 Fische zurück für sein Darlehen von 4000 Fischen und Robinson behält die anderen 24000. – Richson lehnt ab. So habe man früher gerechnet. Heut seien Finanzierungsverfahren besser durchdacht. 4000 Fische genügten in keiner Weise. Ribonson brauche für seine verantwortungsvolle Tätigkeit beim Bau 1500 Fische zum Leben. Im ersten Betriebmonat müssten die Ausgaben von 4000 Fischen schon gezahlt werden, ohne das die Großhändler die Ware bezahlt hätten – Monatsheuer des Kapitäns von 1200 Fischen nicht mitgerechnet. Er berechnet: 4000 Fische für Bau +1500 Fische für Bauleitung +4000 Fische für Mannschaft im ersten Monat +1200 Fische erste Kapitänsheuer 10700 Fische. Selbst das sei noch zu wenig, weil es pünktliche Zahlungen und keine unvorhersehbaren Komplikationen voraussetzt. Er schlägt 12000 Fische als Betriebskapital für den Start vor, um die Betriebsfähigkeit zu garantieren. Es wird beim Start weitgehend aufgebraucht und Richson fordert, dass Einnahmen zuerst zum Auffüllen des Betriebskapitals verwendet müssen, bevor Gewinn entnommen werden kann.

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Grundgesetz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung: Eigentümer können erst dann aus ihren Investitionen Nutzen ziehen, wenn sie das Kapital wieder aufgestockt haben – gesetzlich zwingend vorgeschrieben aus bitterer Erfahrung: Im 16. Jh. verfiel Venedigs Schiffbau, weil alles Holz abgeholzt war. Der Schwede Gustav Wasa erließ ein Gesetz, nachdem für jeden gefällten Baum eine neuer gepflanzt werden musste. Robinson hat zwei Fragen: (1) Wovon soll er leben während der Kapitalauffüllung? (2) Warum sollen die 4000 Fische für den Bau ersetzt werden? Dazu Richson: (1) Robinson könne als erster Kapitän von seiner Heuer leben. Falls er das nicht wolle, könne er Robinson die Schiffsbauidee gegen eine Berg von Fischen abkaufen und ihn für Bauaufsicht bezahlen. Danach habe er mit dem Boot nichts mehr zu tun. (2) Weil das Boot verschleißt und irgendwann abgewrackt werden muss, sollen die für den Bau des Bootes eingesetzten 5500 Fische immer in irgendeiner Form vorhanden sein: als komplett neues Boot, als halb abgewirt-schaftetes Boot + 2750 Fische oder eben als 5500 Fische. Laufende Reparaturen fallen nicht in diese Kostenkategorie. Kommt das Unternehmen aufgrund dieser Bedingungen zustande, kann es theoretisch unendlich lagen bestehen, denn die nötigen Betriebsmittel stehen jederzeit zur Verfügung. Die heute investierten 12000 Fische sind für alle Zeit Teil des Firmenkapitals. Deshalb sind sie nicht nur eine Investition in den Bootsbau sondern eine Investition ins Kapital. Investitionen in Bauten werden verbraucht und sind dann weg. Investitionen in Betriebskapital bleiben – so die Hoffnung – erhalten. Für die Investorenentscheidung zählt nur der Überschuss über die Ausgaben nach Auffüllen des Kapitals – der Profit. Inflation ändert an den Überlegungen nichts Prinzipielles. Robinsons Idee hat einen Wert Richson besteht darauf, dass ihm die Firma gehört, wenn er das Kapital von 12000 Fischen einbringt, sie damit kauft. Er bietet Robinson eine 5%ige Beteiligung mit 600 Fischen an. Robinson würden dann nur 5% von Firma und Dividende zustehen, was der als ungerecht empfindet: Seine Idee sei Geld wert. Diesen Wert berechnet Richson und berücksichtigt dabei, dass bei Entscheidungen über langfristige Investitionen nur Gewinn und Risiko zählen. Er prüft zunächst, ob das Projekt sich überhaupt lohnen würde: Ein Fischer mit Netz erbeutet monatlich 500 Fische. Das Unternehmen mit 3...4 Personen brächte monatlich 6000 Fische - so viel wie 12 Fischer, würde also Überschuss erwirtschaften und ausgezeichnete Rendite bringen. Dann berücksichtig er das Risiko durch die Forderung einer mindestens 40%igen jährlichen Rendite (s. nächstes Kapitel). Das Boot ist monatlich 20 Tage auf dem Wasser und fängt 300 Fische pro Tag. Es entstehen folgende monatliche Kosten:

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2000 Gehalt Mannschaft und Fischer 1200 Händlerkommission 800 Managergehalt 1200 Kapitängehalt 200 Sonderausgaben (Reparaturen) 5400 Fische (Summe) Monatliche Rendite 6000 – 5400 = 600 Fische, jährlich also 7200 Fische. Wenn das 40% vom Kapital sein sollten, dann wäre das Kapital = (100%/40%) mal 7200 Fische = 18000 Fische. Tatsächlich investiert Richson nur 12000 Fische. Die Differenz 18000 – 12000 = 6000 Fische ist der Kapitalwert von Robinsons Idee. Das Kapital des Unternehmens beliefe sich danach auf 12000 (Richsons Anteil) + 6000 (Robinsons Anteil) = 18000 Fische. Würde Robinson mehr fordern, würde Richson in ein anderes Projekt investieren, das ihm die beim gegebenen Risiko erwartete Rendite verspricht. Und weil alle Investoren so rechnen, würde Robinsons Idee – wie viele andere - unverwirklicht bleiben. Würde Richson wesentlich weniger für Robinsons Idee bieten, könnte der einen anderen Investor suchen, und Richson müsste auf ein gutes Geschäft verzichten. Robinson als Angestellter und als Eigentümer Würden bei gleichen Kosten täglich statt 300 nur 290 Fische gefangen, würde die jährliche Rendite von 7200 auf 4800 Fische fallen – genau 40% von Richsons Kapital von 12000 Fischen. Robinsons Idee wäre ihm dann keinen Heller wert. Bei noch geringeren Fängen würde sich Richson weigern, Robinsons Know-how in das Gesellschaftskapital einzubeziehen: Die zu erwartenden Einkünfte rechfertigten höchstens ein Kapital von12000 Fischen - so viel wie nötig, um das Unternehmen in Gang zu bringen. Robinson könnte wegen seiner Idee nicht Teilhaber werde, aber als Kapitän ganz gut verdienen. Tatsächlich war das Verhältnis von Gewinn und Risiko so günstig, dass Robinson Teilhaber wurde und gerne zusätzlich Kapitänsgehalt bezog. Das war so hoch festgelegt worden, damit auf dem Arbeitsmarkt jederzeit Ersatz für Robinson zu finden wäre, dessen erwiesene Kompetenz und Motivation Richson im übrigen sehr schätzte. Vorsichts-halber nahm er aber in die Statuten der Gesellschaft auf, dass das Kapitänsgehalt als strategische Entscheidung der Zustimmung aller Eigner bedarf. Letztendlich bewertete nicht Richson Robinsons Idee mit 6000 Fischen. Der Wert wird nicht von Genialität oder Originalität der Gedanken sondern vom Markt bestimmt. Konkurrierende Kreditbanken hätten genauso gerechnet – nur vielleicht das Risiko statt mit 40% mit 45% angesetzt, weil sie Robinson nicht kannten. Seine Idee wäre in dem Fall nur 4000 Fische wert. Richson blieb bei seinen 40%. Er war ja mit Eigenanteil und Gewinn zufrieden und wollte das gute Geschäft keiner anderen Bank überlassen.

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Schließlich bietet Richson an: Er investiert 12000 Fische, Robinson seine 6000 Fische werte Idee, für deren Realisierung er 1500 Fische erhält. Die Gesellschaft verfügt über 18000 Fische Kapital – bestehend aus 66,67%- und 33,33%-Anteilen der Eigner. Robinson wird Mehrheitseigener Eigentlich hatte Robinson das Schiff bauen und den Profit nur für zwei Jahre mit Richson teilen wollen, nur hatte er das Betriebskapital vergessen. Trotzdem forderte er eine mindestens 50%ige Beteiligung. Richson stimmte zu, weil er bei seiner Risikoerwägung stillschweigend Robinsons jahrelange Mitarbeit vorausgesetzt hatte. Was, wenn der übermorgen mit einem britischen Schiff in die Heimat segeln würde? Er bliebe Teilhaber, aber seine Kompetenz wäre weg. Richson hätte für diese Risiko eine höhere Rendite ansetzen müssen. Also versucht er, Robinson möglichst fest an das Unternehmen zu binden und schlägt vor: Robinson verzichtet auf die 15000 Fische für den Bau und bringt sie als Kapital ein, so dass jetzt Richsons Anteil 12000-1500=10500 Fische ausmacht und Robinsons Anteil 6000+1500=7500 Fische. Robinson sieht, dass seine zum Leben angesparten 600 Fische als Kapital 1500 Fische wert sind und stimmt zu, ist aber immer noch unzufrieden. Richson schlägt vor, dass Robinson die ersten drei Monate für die Hälfte seines Kapitänsgehalts (600 Fische) arbeitet und den Betrag – verzögert – als Kapital einbringt. Dann sind die Anteile: 10500-1800=8700 Fische für Richson und 7500+1800=9300 Fische für Robinson. Der hätte nun 51,67% der Firma und könnte bestimmen. Das möchte Richson sowieso nicht – er hat einen anderen komparativen Vorteil – und fordert noch von Robinson, das der in den ersten drei Monaten sich nicht nach England verabschiedet und dass – falls das Geschäft schlecht läuft und Richson sich daraus zurückziehen möchte – Robinson mindestens 2% seiner Anteile für denselben Preis verkauft, für den Richson seine Anteile losschlägt. Das würde für Robinson Aufgabe seiner Mehrheit bedeuten, was der akzeptiert, weil er schlecht laufendes Geschäft auch mit als eigene Schuld sehen würde. Das Unternehmen nimmt den Betrieb auf So einigt man sich. Nur von Poseidon und dem Markt hängt das Geschäft nun ab. Mit Glück können die Investitionen noch Robinsons und Richsons Urenkeln Gewinn bringen. Richson hatte auf alle Robinson unbequemen Fragen Antworten erhalten – auch wenn sie vielfach Bluff sein mochten. Es bedeutet ein Risiko, nicht beantwortbare Fragen nicht einmal zu bedenken. Unerörtert blieb die Anzahl der zu bauenden Schiffe – Robinson wäre mit mehreren überfordert. Richson behält diese von guter Marktlage abhängige Option im Kopf und hat sich für den gegenteiligen Fall abgesichert: Er kann sein Kapital augenblicklich abziehen und irgendwo günstiger investieren.

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Nicht das Unternehmen bringt den Gewinn Bemerkt Richson, dass er für den Verkauf seines Anteils von 8700 Fischen heute nur 6000 und morgen nur noch 5000 Fische erhält, verkauft er sofort – z.B. an Beachson. Robinson kümmert ihn dabei nicht. Beachson kauft, weil er für das Boot eine lukrativere Idee hat: Ausflugsfahrten. Er hat berechnet: Mit einer Investition von 6000 Fischen lohnt sich das Risiko. Würde er damit nicht das Mehrheitspaket erhalten, nähme er Abstand und die Firma wäre bald nur noch 5000 Fische wert – nicht wegen des Gewinns, sondern wegen ihrer Beschaffenheit und innewohnenden Möglichkeiten16. Robinson müsste sich mit der Profiländerung abfinden und wird kaum seine gut bezahlt Kapitänsposition kündigen. Auch bei gut laufendem Geschäft stammt der Gewinn des Unterneh-mens aus Richsons Sicht nicht aus der Fischerei sondern aus seinen 8700 investierten Fischen. Da Robinson nun auch Kapitalist geworden ist, gilt das auch aus dessen Sicht. Sein Gewinnanteil stammt aus der Investition unterschiedlichen Kapitals: 6000 Fische für die Idee + 1500 Fische Verzicht auf Bausvergütung + 1800 Fische Verzicht auf Kapitäns-Anfangsgehalt = 9300 Fische. Beide könne ihren Anteil an Dritte verkaufen und die Fische/das Geld neu investieren oder aufessen/ver-brauchen. Wahrscheinlicher wird das Richson tun: Er ist berufsmäßig Investor, Robinson war ökonomisch gezwungen, zu investieren, um seine Idee umzusetzen. Verbraucher- und Investorenentscheidungen Anfänglich hatte Robinson versucht, mittels Kosten-Nutzen-Rechnung eine einfache Verbrauchentscheidung für sein Boot zu treffen. Die Logik des Wirtschaftslebens (nicht Richson) zwang ihm eine Investorenent-scheidung auf: Es musste eine Firma gegründet werden mit einer Kapitaldecke von mindestens dem Doppelten des Schiffswertes. Dabei ging es nicht um Kosten und Nutzen sondern um Gewinn und Risiko. Die moderne Wirtschaftstheorie unterscheidet scharf zwischen diesen beiden Entscheidungsarten: Wer ein Studium beschließt, hat eine Investorenentscheidung gefällt für zukünftige Möglichkeiten. Wer ins Kino statt in die Vorlesung geht, hat eine Verbraucher- oder Hersteller-entscheidung getroffen. Risiko und Gewinn, nichts sonst Für Investoren sind Kosten und Nutzen uninteressant. Für sie zählt nur Rendite – auch wenn sie nur für einen Monat Anteilseigner sind. Aus Sicht der Investition oder des Unternehmens ist allein interessant, dass es Investoren gibt. Bei Firmengründung gibt es nur Hoffnung auf spätere Rendite. Risiken müssen bedacht werden.

16 ???

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Verbraucherentscheidungen sind in gewissem Sinne eindimensional: Kosten sind für einen Nutzen geopferter Gewinn. Nicht so Investorenent-scheidungen: Für Rendite und Risiko gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Robinsons Hund Berufsmäßige Investoren bezahlen ihre Alltagseinkäufe mit Geld und trennen dieses scharf von dem Geld, mit dem sie beruflich wirtschaften: Ersteres Geld ist Tauschmittel, letzteres Kapital. Letzteres würden sie ebenso wenig verzehren wie ihren Hund – obwohl er ihnen gehört. 8. Warum ein Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekam Es ist sehr vernünftig, die eigene Unvernunft in Rechnung zu stellen. Da Risiken die Entscheidungen von Investoren grundlegend bestimmen, war es für die Wirtschaftswissenschaften wertvoll, dass die Kognitions-psychologen Tversky und Kahnemann (Nobelpreis 2002) untersuchten, wie die Wahrnehmung von Risiken Urteils- und Entscheidungsfindung in Situationen der Unsicherheit beeinflussen. Diversifizierung Vorstellung: Wir hätten in Robinsons Archipel zu entscheiden, ob wir in Beachsons Ausflugsschiff oder eine Regenschirmfabrik investieren sollten. Das Verhältnis Rendite zu Risiko halten wir bei beiden für günstiger als bei allen anderen. Wir müssten das Wetter in den nächsten Jahren kennen: Regnet es viel, bringt die Regenschirmfabrik 40% Rendite, das Ausflugsschiff 10% Verlust. Scheint die Sonne, ist es umgekehrt. Mittellagen klammern wir momentan aus. Bei gleicher Wetterwahrscheinlichkeit wäre die Rendite für jedes der Projekte im langjährigen Durchschnitt (40%-10%)/2=15%. Keines der Projekte kann aber diese Rendite für irgend ein konkretes Jahr garantieren. Beide Anlagen sind riskant. Von Richsons Bank bekämen wir 5%, und selbst die könnte Pleite gehen. Risikolos könnten wir 15% Rendite haben, wenn wir unser Kapital auf beide Projekte aufteilen. Indem wir das Risiko streuen bzw. diversifizieren, senken wir es (hier fast auf Null). Wir fassen diesen Entschluss, gehen zur Börse und stellen fest: Der Wert beider Aktien ist um 1/3 gestiegen17, die Rendite damit von 15% auf 5% gefallen. Die gute Chance der Doppelanlage hatte die Nachfrage vergrößert und die Aktienwerte steigen lassen – so hoch, wie es das niedrige gemeinsame Risiko rechtfertigte: Kein solche Kopplung ist risikolos: Ein Gewittersturm könnte das Schiff beschädigen, ein Blitz die Schirmfabrik. Anscheinend berücksichtigt der Markt diese Risiken ähnlich wie den Konkurs der Bank.

17 Das muss ein Übersetzungsfehler sein: auf das 3-fache gestiegen.

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Vielleicht sind die Kursanstiege einfach ein Glücksfall für die Unternehmer. Es könnte aber auch sein, Beachson hat die Chance gespürt, als er die Idee mit dem Ausflugsschiff hatte und hätte dann selber möglichst viele Aktien der Regenschirmfabrik noch zu niedrigem Kurs erworben. Geld als Replikator hätte dann den Weg zur Replikation durch Beachson gefunden und sich seines Ausflugsschiffs bedient. Der Betafaktor Anlage-Komplexe mit strenger Kopplung zwischen Erfolg des einen und Misserfolg des anderen sind sehr selten. Es genügt, Investitionen zu koppeln, die auf äußere Einflüsse unterschiedlich reagieren. Zwanzig solche Investitionen in einem Portfolio sind fast risikofrei (vergleichbar dem Risiko eines Bankrotts) – wenn die Investments über äußere Einflüsse nicht miteinander gekoppelt sind ( es muss nicht – wie oben –eine negative Kopplung sein). Mehr oder weniger laufen aber alle Investments synchron mit der gesamten Wirtschaft. Es gibt auf Dauer nur wenige Ausnahmen von dieser Regel. Solche Ausnahmen bringen nicht mehr, als die Bank Zinsen zahlt. Streuung kann nicht die Risiken vermeiden, die von Fluktuationen der Gesamtwirtschaft herrühren (sog. systematische Risiken). Der durch Diversifizierung vermeidbare Risikoanteil eines Investments, heißt unsystematisches Risiko und darf nicht wirklich als Risiko betrachtet werden – der Markt „honoriert“ ihn nicht durch besonderen Profit. Genauer: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt auch für Investitionen. „Wenn ein Investor ein gewisses Risiko (z.B. durch Diversifizierung) ausschließen kann, sinkt die Angebotskurve18, weil der Investor wegen des verringerten Risikos auch mit niedrigerer Rendite befriedigt werden kann. In diesem Fall unterliegt die Nachfrage keinen Schwankungen, der Preis (in diesem Fall die erwartete Rendite)19 sinkt. Es bildet sich ein Gleichgewichtszustand heraus, bei dem das unsystematische Risiko die erwartete Rendite nicht länger beeinflusst“. .... [S.156 ?] Maßstab zur Bewertung der systematischen Risiken eines Investments (z.B. in eine Aktie) ist der sog. Betafaktor. Er bezieht die Schwankungen einer Aktie auf die durchschnittlichen Marktbewegungen und ist =1, wenn diese im Einklang sind, <1, wenn die Aktienschwankungen geringer sind als die des ganzen Marktes und >1, wenn es sich umgekehrt verhält. Je höher der Betafaktor einer Investition, desto höher sind Rendite und Risiko.

18 Was ist hier die Angebotskurve: Preis=Verkaufserlös des Investments (z.B. Aktie) über angebotener Menge der Investments?? 19 Preis eines Investments (z.B. in eine Aktie) soll die Rendite sein – nicht der Kaufpreis der Aktie??

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Im Betafaktor fassen Investoren alle Informationen über Risiken einer fraglichen Investition zusammen. Richsons Überlegungen zum Fischfangunternehmen (voriges Kapitel): Gefahren der Seefahrt sind keine systematischen Risiken, beeinflussen nicht den Betafaktor und blieben unberücksichtigt. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Havarie ist unabhängig von der Wirtschaftslage, wurde aber durch Renditemin-derung berücksichtigt. Da Menschen auch bei schlechter Wirtschaftslage essen müssen und bei guter Lage nicht wesentlich mehr vertilgen können, ist Fischfang wenig von wirtschaftlichen Schwankungen beein-flusst – der Betafaktor ist niedrig. Umgekehrt ist es mit der Wetterlage: Bei guten Wetter laufen gesamte Wirtschaft wie auch Fischfang besser, bei schlechten Wetter geht es beiden schlechter. Aber bereits geringe Fangunterschiede (290 statt 300 Fische pro Tage) wirken sich erheblich auf das Fischfangunternehmen aus – der Betafaktor ist hoch. Insgesamt folgerte Richson einen Betafaktor von 3,7. CAPM (Capital Asset Pricing Model) – das Preismodell für Kapitalgüter Um vom mit Betafaktor 3,7 bewerteten Risiko auf die notwendige Rendite von 40% zu schließen, verwendete Richson das CAPM (s.o.):

Die komplizierte Herleitung des Modells ähnelt Baechsons Überlegungen zur Kombination seines Ausflugsschiffes mit Aktien der Regenschirm–fabrik: CAPM nimmt ein am Marktdurchschnitt ausgerichtetes effizientes Portfolio an, das auch die zu betrachtende Anlage enthält. Der von diesem optimalen Portfolio geforderte Ertrag gibt an, welchen Wert ein Investor von der fraglichen Anlage erwarten kann. So berücksichtigt das Modell, dass diversifizierbare Risikoanteile keine höhere Rendite erwarten lassen. – Das einfache Ergebnis ist eine lineare Beziehung,

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festgelegt durch zwei Punkte: die (fast) risikolose Rendite der fragli-chen Investition und die durchschnittliche Rendite am Markt bei Beta = Null bzw. = 1. Wenn wir Beta kennen, gibt das Diagramm die Rendite an. Daraus lässt sich das Risiko der Investition berechnen. Ihr Preis berücksichtige alle insbesondere vergangenen Informationen.20 Obige Kapitalmarktlinie ist nur ein Nebenprodukt des Modells. Seine theoretische Hautpaussage: Auch bei Investitionen lässt sich – ähnlich dem Angebots-Nachfrage–Gleichgewicht - ein Marktgleichgewicht reali-sieren, das der Wirtschaft hysterische Marktschwankungen ersparen sollte. Das Modell wurde und wird vielfach angewendet, hat sich aber als ungenau und kaum verbesserungsfähig erwiesen. Der Betafaktor eines Unternehmens kann aus seiner Geschichte und der der Gesamtwirt-schaft im Nachhinein ermittelt werden. Für Neugründungen ist es unmöglich, ihn genau zu bestimmen. Erstmals versprachen psychologische Ergebnisse eine Verbesserung ökonomischer Theorie. Risikobereitschaft, Risikovermeidung Der Betafaktor ist gewissermaßen das „Gedächtnis des Kapitals“. Das menschliche Gedächtnis arbeitet rekonstruktiv: Erinnerungen verändern sich erheblich unter Einfluss äußerer Informationen, und für die Informationsgesellschaft ist Stabilität der Fakten eine wichtige Bedingung. Experimente: (I) Versuchspersonen, denen man per Video ein und denselben Autounfall gezeigt hatte, sollten nach einer Zwischenbeschäftigung (a) Angaben zum „Zusammenstoß“ oder (b) zum “Frontalzusammenstoß“ machen. Die VP unter (a) schätzten die Geschwindigkeit der Wagen niedriger und beantworten die Frage nach Glasscherben negativ. Die VP (b) schätzten die Geschwindigkeiten höher und wollten Scherben gesehen haben, obwohl dies nicht der Fall war. Neue Bezugspunkte beeinflussen nicht nur unsere Erinnerungen sondern auch unsere Vorlieben: (II) Versuchspersonen sollten zwischen einer Politik (a) hoher Beschäf-tigung, aber hoher Inflation oder (b) niedriger Beschäftigung, dafür auch niedriger Inflation wählen. Ging es dabei um eine Arbeitslosenquote von 10% oder 5%, entschied eine Mehrheit für (a) – Beschäftigung hatte Vorrang. Ging es um 95% oder 90% Beschäftigungsquote, plädierte die Mehrheit für (b) – niedrige Inflation schien wichtiger. (III) Kahneman/Tversky stellten Versuchspersonen mit unterschiedlichen Formulierungen vor die gleiche Alternative, für Medikament A oder B zu entscheiden, um damit 600 Dorfbewohner zu behandeln, die an einer tödlichen Krankheit litten: (Die Prozentzahlen geben an, wie viele Personen die jeweilige Wahl trafen.)

20 Die Anwendung wird hieraus nicht klar: Rendite oder Beta (als Risikomaß?)?

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1 Mit A werden wahrscheinlich 200 Personen gerettet. 72% 2 Mit B ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle 600 überleben 1/3, 28% die Wahrscheinlichkeit, dass niemand überlebt ist 2/3. 3 Mit A sterben wahrscheinlich 400 Personen. 22% 4 Mit B ist die Wahrscheinlichkeit dass niemand stirbt 1/3 und 78% die, dass alle 600 sterben 2/3. Bei 1-2 ging es um Überleben und mehrheitliche Risikovermeidung, bei 3-4 um Verluste und dominierende Risikobereitschaft. (IV) Dasselbe Phänomen unter abstrakteren Bedingungen: 1 4000$ mit 80% Wahrscheinlichkeit und mit 20% W. nichts. 20% 2 Mit Sicherheit 3000$. 80% 3 4000$ Verlust mit 80% Wahrscheinlichkeit, mit 20% W. nichts. 90% 4 Mit Sicherheit 3000$ Verlust. 10% Beim Gewinnen hat Risikovermeidung Vorrang, beim Verlieren dagegen Risikofreudigkeit. – Weitere Versuche zeigten ein verfeinertes Bild: Wir verhalten uns

1. bei relativ hoher Gewinnwahrscheinlichkeit risikofeindlich, 2. bei relativ hoher Verlustwahrscheinlichkeit risikofreudig, 3. bei sehr geringer Gewinnwahrscheinlichkeit risikofreundlich, 4. bei sehr geringer Verlustwahrscheinlichkeit risikofeindlich.

Allerdings mit kleinen Summen hat man diese Experimente auch real ausgeführt – nicht nur durch abstrakte Befragungen - mit gleichem Ergebnis. Die Autoren fassten die Resultate in einer Erwartungstheorie (Prospect Theory, Neue Erwartungstheorie) zusammen. Prospect Theory Der Börsenwert eines Portfolios wird bestimmt von der Gesamtheit der (irrationalen) Urteile von Einzelpersonen. Die Renditebewertung eines Portfolios wäre realistischer, würde man psychologische Faktoren berücksichtigen. Kahnemann/Tversky fanden eine Möglichkeit, die empirisch gefunden Wahrnehmungsverzerrungen und die individuelle Bewertung von Verlusten/Gewinnen im Verhältnis zur objektiven Wahrscheinlichkeit in Diagrammen auszudrücken (s.u.). Aus dem Produkt beider Funktionen ergibt sich der Wert, der einer unsicheren/riskanten Möglichkeit wahrscheinlich beigemessen wird. Allgemein neigen wir dazu, Ausnah- mesituationen zu hoch, durchschnittliche Chancen zu niedrig einzuschätzen. Verlust zu vermeiden ist uns wichtiger als Gewinn zu machen, Status-quo-Erhalt wichtiger als Veränderung.

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Die Beziehung zwischen CAPM und Prospect Theory Beide Theorien sind gut zu verbinden. Die Herleitung der Kapitalmarktgeraden bleibt gültig. Kleine Änderungen beeinflussen die Investorentätigkeit nicht. Für die Wirtschaftswissenschaft bedeutet die Neue Erwartungstheorie aber die Aufgabe des Marktgleichgewichts: Schwankungen der Wirtschaft gibt es, weil unsere psychische Beschaffenheit kein Gleichgewicht garantiert, aber doch – nach neusten Erkenntnissen – Zustände nahe dem Gleichgewicht und geringe Fluktu-ationen impliziert. Traditionelle Ökonomie setzt logisch-rationale Entscheidungen voraus und vermutet andernfalls Chaos. Die Neue Erwartungstheorie sieht, dass Regelhaftigkeit, Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens die Wirtschaft vor Chaos bewahren können. Sie sieht es als vernünftig an, die eigene Unvernunft in Rechnung zu stellen. Irrationale Elemente menschlichen Denkens erweisen sich nur ökonomisch, nicht psychologisch als irrational. Für Kapital als Replikator sind das Umwelttbedingungen. Je besser er daran angepasst ist, um so besser kann er überlebensfähige „ökonomische Lebewesen“ hervorbringen.

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9. Die Motivationswirkung von Geld Vielleicht macht Geld nicht glücklich, aber sicherlich macht langer und großer Geldmangel unglücklich. Die Experimente zur kognitiven Dissonanz zeigten: Geld kann motivieren, und die Qualität einer Arbeit hängt nicht vom dafür bezahlten Geld ab (die Qualität der studentischen Aufsätze unterschied sich nicht). Extrinsische und intrinsische Motivation Bei intrinsischer Motivation liegt die Belohung im Tun, im Spaß an der Sache. Extrinsische Motivation ist leicht manipulierbar durch motivie-rende Elemente (Belohnung, Strafe, Lob, Tadel, Geld,..). Schwierig, weil jeder individuell reagiert und die richtige Dosis schwer bestimmbar ist. Noch schwieriger, weil die extrinsische die intrinsische Motivation beeinflusst. Belohnt man Affen für Spiel mit Bausteinen mit einer Banane, hören sie schnell damit auf. Ist es nur eine Rosine, spielen sie länger. Ein halbes Jahrhundert Untersuchungen über innere und äußere Beweggründe haben noch zu keinen klaren Schlüssen geführt. Trotzdem hier ein typisches Beispiel: In einer Kleinstadt im Süden der USA hatte ein jüdischer Schneider in der Hauptstraße einen Laden aufgemacht. Um ihn zu vertreiben, erhielt ein Haufen Gassenjungen den Auftrag, ihn mit Rufen „Jude! Jude!“ zu vetreiben. Als es dem Mann zuviel wurde, sagte er den Jungs: „Ab heute gebe ich jedem, der mich Jude nennt, einen Zehner“ und tat’s. Am nächsten Tag gab er nur einen Fünfer: „Mehr kann ich mir nicht leisten“. Als sie wieder kamen, gab es nur einen Cent: “Mehr gebe ich nicht“. Sie empörten sich: „Sollen wir sie etwa für einen lausigen Cent als Jude beschimpfen?“ – „Dann lasst es!“ – Damit war Schluss. Wann hat man genug Geld? Häufigste Spontanantwort: Nie! Erfahrung mit Lotteriegewinnern: Bei den wenigsten Hauptgewinnern hat sich ihr Leben auf Dauer radikal verändert. Viele standen nach 20...30 Jahren schlechter da als zuvor. Befragt, was sie mit dem größten Lotteriegewinn in Europa von 23 Mio € anfangen würden, antworteten 20%: „Es ist besser, nicht so viel Geld zu gewinnen.“ Statt der vertrauten fürchtet man vielleicht unbekannte Sorgen. So viel kann man kaum vernünftig ausgeben. Viele Menschen denken: Was im Leben wirklich lohnt, kostet nie etwas. Forschungen zeigen: Nur in bestimmten Fällen und nur in gewissem Ausmaß leisten Menschen um so mehr, je besser die Bezahlung ist. Die Leistungs-Bezahlungskurve überschreitet ein Maximum lange bevor Biologie oder Intellekt eine Grenze setzen. Beispiel: New Yorker Taxifahrer an Regentagen nehmen sich nachmittags frei, weil sie bereits am Vormittag genug verdient haben, statt die gute Verdienstmöglichkeit auszuschöpfen.

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Geschäftsleute und Investoren verhalten sich anders. Warum be-gehren sie weitere hundert Millionen, wenn sie bereits einige hundert besitzen und für sich und ihre Urenkel ausgesorgt hätten? Vielleicht aus genau dem gleichen Grunde, weshalb Einstein trotz seines Nobelpreises in jungen Jahren lebenslang Physik erforscht hat. – Wissenschaftler sind von wissenschaftlichen Problemen motiviert, Ge-schäftsleute vom Geld. Ein Ölmilliardär: „Geld hat mir nie etwas bedeutet und lediglich als Maß für die richtige Risikoeinschätzung gedient.“ Andere erklären ihre Motivation komplizierter (mit Innovation, Arbeitsplätzen, Wirtschaft ankurbeln, für Erben sorgen). Abwehrmechanismen Erfolgreiche Geschäftsleute leiden unvermeidlich an kognitiver Disso-nanz: Einerseits wissen sie, dass der Wert des Lebens nicht im Geld liegt, und sie bezahlen, was ihr Leben lebenswert macht, vom Gehalt oder Erträgen ihres Kapitals. Andererseits wissen sie, dass es zum Wesen ihres Berufs gehört, Geld so rasch wie möglich zu vermehren. Um kognitive Dissonanz aufzulösen, gehen wir stufenweise vor und versuchen die nächste Stufe, wenn es mit der vorherigen nicht geht: Zuerst versuchen wir, die Tatsachen zu verändern, dann unsere Mei-nung und schließlich Gefühle und Einstellungen. Wenn all das nicht funktioniert, greifen wir zu Abwehrmechanismen. Nach Freud hindern sie uns am Erkennen persönlich wichtiger Momente, die unser Selbstwertgefühl beeinträchtigen oder uns Angst machen. Die später entwickelte Theorie der kognitiven Dissonanz lässt Freuds Gedanken in neuem Licht erscheinen und hat weitere Abwehrmecha-nismen entdeckt und empirisch bestätigt. Verdrängung (Freud): Triebhafte Gedanken, die uns Verlegenheit, schlechtes Gewissen, Selbstachtungsverlust u.ä. einbringen, werden unbewusst aus dem Bewusstsein verdrängt. Beispiel: Ein Reicher vergisst/unterdrückt Gedanken an frühere eigene Armut, zeigt mit Armen kein Mitgefühl, meidet und hasst sie und macht sich vielleicht glauben, sie hätten genug Geld, wenn sie es nicht verschwenden oder vertrinken würden. Er unterdrückt damit Angst vor eigener Armut. Verdrängung hat eine positive Funktion, gelingt aber selten vollkommen: Verdrängte Inhalte attackieren das Bewusstsein, lösen Angst aus oder machen krank. Weitere Verdrängungsmechanismen sind erforderlich. Reaktion: Man verbirgt inakzeptable verdrängte Impulse vor sich selbst, indem man eine genau entgegen gesetzte Meinung vertritt. Beispiele: Wer vehement Unmoral, Alkohol, Spielsucht geißelt, war früher selbst gefährdet und schützt sich so vor Rückfällen. – Ein Reicher zeigt im Dienste seiner mentalen Gesundheit Anfälle übertriebener Großzügigkeit, stellt sich vor sich und anderen als weder geizig noch neidisch dar, obwohl er nach mehr Geld strebt. Projektion: Sie schreibt eigene unsympathische Wesenszüge oder Begierden ersatzweise anderen zu.

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Beispiele: Der eifersüchtige Ehemann, der selber gerne fremd gehen würde, beschuldigt seine Ehefrau grundlos der Untreue (er schließt von sich auf die Frau). – Ein Reicher beklagt, man sei nur auf sein Geld aus und liebe ihn nur deswegen. Damit verbirgt er vor sich, dass er selbst nur Freunde sucht, die ihm nützen. Distanzierung: Wir führen zwischen uns und den zu unterdrückenden unsympathischen Inhalten einen Mittler ein oder spalten unsere Gefühle und Erkenntnisse ab. Beispiele: Ein verliebtes Mädchen nutzt eine Blume zur Distanzierung, indem es Blütenblätter zupft: „Er liebt mich, er liebt mich nicht.“ – Typisches Distanzierungsverhalten zeigt ein Geschäftsmann, der Privat- und Berufsleben, private und geschäftliche Ausgaben scharf voneinander trennt – womöglich als Voraussetzung überhaupt für Kapitalgewinnung. Rationalisierung: Dabei handeln wir nicht rational, sondern tarnen unsere wahren Handlungsgründe vor uns selbst und anderen, indem wir rational nachvollziehbare Ausreden erfinden. Beispiele: Äsops Fuchs, der auf die (vorgeblich) sauren Trauben verzichtet, weil er sie nicht erreicht. – Der Geschäftsmann, der seinen eigenen Wunsch nach Geld mit dem angestrebten Erbe für seine Kinder tarnt. – Mr. Bookisch und Mr. Fitness im Kap. 6, die nach dem Austausch ihrer Geschichten über Fahrrad und Schachspiel ihren Tauschhandel rationalisieren und dann mit wirtschaftlichem Mehrwert vollziehen konnten. Abwehrmechanismen führen oft zu wirtschaftlichem Mehrwert, weil sie psychologische Voraussetzungen für Verwirklichung diese Wertes schaffen. Intellektualisierung: Schmerzvollen Inhalten wir der Zugang zum Bewusstsein verwehrt, indem sie in abstrakter, intellektueller Form behandelt werden. Beispiele: Ärzte schützen sich so vor allzu viel leidvollem Mitgefühl für ihre vielen Patienten durch medizinische Termini. – Ein Geschäftsmann, der übertrieben emphatisch Arbeitplatzbeschaffung und Wirtschaftsförderung betont, verbirgt damit vor sich selbst, dass es ihm eigentlich um Geld geht. Sublimierung (Verschiebung): Annehmbarste Form der Befriedigung gewisser aggressiver oder sexu-eller Triebe, indem nicht der Trieb verändert wird, sondern das Objekt, worauf er gerichtet ist. Beispiele: Kampfsport, schöpferische Kunstformen, Geschäftsleben, das kämpferisch und schöpferisch ist. Sowohl zu schwache als auch zu starke Abwehrmechanismen können zu Krankheiten von Köper und Geist führen. Die Freud-Schule nahm an, man könne nur mental gesund sein, wenn man sein Unbewusstes kennt. Seither ist klar: Abwehrmechanismen spielen eine wesentlich positivere Rolle. Was im Unterbewusssten gut verankert ist, lässt man oft besser ungestört. In der Psychotherapie geht es heute nicht darum, verdrängte, rationalisierte, sublimierte Inhalte aufzudecken, sondern vielmehr darum, zu schwache Abwehrmechanis-

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men zu stärken. Sie helfen uns, geistig und körperlich gesund zu bleiben. Aber sie machen uns nicht glücklich. Der Flow Der ungarische Psychologe Mihály Csikszentmihály befragte erfolgreiche Künstler, Sportler, Musiker, Schachspieler, Chirurgen nach ihren Erfah-rungen und Gefühlen bei ihren Erfolgen und entwickelte daraus seine „Theorie der Psychologie der optimalen Erfahrung“ (des Glücks), die auf sog. Flow beruht – einem sehr positiv empfundenen psychischen Zustand der Versenkung, in dem die aktuelle Tätigkeit wie von selbst geht und alles andere unwichtig ist. Indem Csikszentmihály viele Versuchspersonen eine Woche lang per Piepser zufallsverteilt durchschnittlich 8-mal täglich befragte, was sie gerade taten, dachten, fühlten, gewann er mehrere hunderttausend Aussagen, aus denen er genau 8 Kennzeichen für diesen Flow-Zustand ermitteln konnte: Verschmelzung von Handlung und Bewusstsein21. Die zu lösende Aufgabe ist an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Klare Zielsetzung. Sofortige und eindeutige Rückmeldung. Volle Konzentration auf die Aufgabe. Verzicht auf Kontrolle. Verlust des Selbstgefühls. Ausblendung des Zeitgefühls. Ein weiteres Kennzeichen scheint zu sein: Tätigkeiten, die zum Flow führen, bereiten Freude, wirken selbstmotivierend22. Geld und Glück Wenn Glück wirklich mit Flow gleichgesetzt werden kann, hat es nicht mit Geld zu tun. Antal Szerb: „Geld kostet nur das, was um das Glück herum ist, all die dummen, langweiligen Nebensachen.“ Geld macht vielleicht nicht glücklich, anhaltender und großer Geldmangel aber macht sicher unglücklich. Geld wir i.A. als externe Motivation angesehen: Wir arbeiten für Geld, damit wir danach tun können, was uns Freude bereitet. Aber auch Arbeit kann Quelle von Flow sein – allerdings nur, wenn sie von der Tatsache getrennt ist, dass wir dafür Gehalt bekommen. Der Autor berichtet, wie er bei einem Quiz in einen Flow-Zustand geriet und daraus gerissen wurde durch die Entscheidungen für das nächste

21 Gefühl, versunken und eins zu sein mit der geistig/köperlich anstrengenden, fast spontan erfolgenden Handlung. – Alle Punkte sind im Buch noch erläutert – wie der Bearbeiter meint, nicht unbedingt erhellend, teils eher verwirrend und darum hier weggelassen. 22 Das bedeutet positive Rückkopplung. Leider wird der physiologische Hintergrund nicht beleuchtet – vermutlich ein Hormonreflex.

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Sachgebiet für die Quizfragen und durch einen Seitenblick auf das zu gewinnende Auto. Paradoxon: Geld als äußerer Beweggrund wirkt Flow (und damit Glück) entgegen und ist gleichzeitig notwendige Bedingung. Auflösung: Wir müssen bei der Arbeit vergessen, dass wir für Geld arbeiten. Geld motiviert Gelderwerb Für Unternehmer, Geschäftsleute, Investoren besteht die Arbeit im Gelderwerb. Man stelle sich vor, Geld nicht zu verdienen, um es auszugeben, sondern um es zu vermehren. Die 8 Flow-Kriterien sind dabei leicht erfüllbar. Es liegt im Wesen der menschlichen Psyche, dass Geld leicht von einem äußeren zu einem inneren Beweggrund werden kann – wegen der Eigenschaften des Flow und des Geldes. Ist beides da, kann ein neuer Replikator entstehen – Geld in Form von Kapital. III. Die Logik des Lebens 10. Von der Sphinx zu Gödel Wieso kann eine Enzyklopädie das Stichwort “Enzyklopädie“ enthalten? Menschen wie Tiere werden vielfach von gleichen Beweggründen getrieben: Selbsterhaltung, Fortpflanzung, Gemeinschaft, Neugierde, Erlebnishunger. Für typisch menschlich hielt die Forschung, was nur beim Menschen und nie bei Tieren zu beobachten wäre (bei neueren Forschungen zur Motivation von Schimpansen wurden Anzeichen für Sparen beobachtet, aber nur für unmittelbare Zwecke – s. http://www.springerlink.com/content/xujqfnw3f8tpbrnn/). Menschliche Motivation Versuche, bei denen Affen gegen einen Chip Banane u.a. für sie begehrenswerte Dinge erhalten konnten, zeigten: Geld motiviert Affen wegen der dafür erhältlichen Dinge, aber nicht als Geld. Auch Tauschhandel wurde niemals im Tierreich beobachtet. Zwar säubert ein Tier ein anderes von Parasiten, während dieses seine Feinde vertreibt. Das ist aber kein Tausch wie der auf Verstehen beruhende Tausch Schachspiel gegen Fahrrad (Kap. 6). Die Forschung zeigt: Spezifisch menschlich sind Motivationen, die eine Art Begriff vom Selbst voraussetzen. Damit entsteht eine ganz neue Form von Motivation in Bezug auf Lebewesen, die dem Geld das Wirken als Replikator ermöglicht. Das Rätsel der Sphinx Die Sphinx verschlang jeden Thebaner, der folgendes Rätsel nicht lösen konnte: „Was geht morgens auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen?“ – Die eigentlich leichte Antwort fand Ödipus: Am Morgen seines Lebens krabbelt der Mensch auf allen Vieren, geht dann auf zwei Beinen und braucht an seinem Lebensabend eine Krücke. - Es gab schon damals schwierigere Rätsel. Warum symbolisiert gerade diese Frage die Geisteskraft des Menschen, das Ungeheuer zu besiegen?

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Die Frage konnte nur jemand beantworten, der darüber nachgedacht hatte: „Wer bin ich?“, und der damit ein Selbst erlangt hatte. Das Überleben der Fabel deutet darauf, dass sie in der Zeit entstand, in der das Tabu, „ich“ zu sagen, aufbrach und die Menschen begannen, ein Selbst zu entwickeln. Dass dies für Homo sapiens ein schwieriger Prozess war, mag auch an einem gesunden Selbstschutz gelegen haben: Fragen, die die fragende Person einbeziehen, führen leicht zu unlösbaren Widersprüchen, zu hoffnungslosen Paradoxien, und zum Schutz vor unangenehmen Fragen verfügen wir über raffinierte Abwehrmechanismen. Das Paradoxon des Epimenides Dem Kreter Epimenides wird eine frühe Form des „Lügen-Paradoxons“ zugeschrieben: „Alle Kreter lügen.“ Die Athener riefen: „Du lügst“. Darauf Epimenides: „Wenn mein Satz eine Lüge ist, dann sagen alle Kreter die Wahrheit.“ Die Athener verwirrt: „Wenn die Behauptung, er lüge, eine Lüge ist, ist wahr, was er sagt. Lügt er wirklich, kann er nicht die Wahrheit sagen.“ Logisch Geschulte erkennen den Unsinn: Die Negation von „Alle Kreter sind Lügner“ ist nicht „Alle Kreter sagen die Wahrheit“ sondern „Nicht alle Kreter sind Lügner“. Epimenides war ein lügender Kreter, während andere Kreter nicht lügen. Es gib keinen Widerspruch. Sein Paradoxon war ein mächtiger Impuls für die Entwicklung logischer Qualitäten menschlichen Denkens. Hätte er lediglich gesagt: „Jetzt lüge ich“, wäre das Gegenargument unwirksam, das Paradoxon wäre geblieben, hätte aber kaum noch jemanden interessiert. Sätze wie „Ich lüge“ oder „Dieser Satz ist falsch“ sind wirklich ein Paradoxon, aber sie sagen nur etwas über sich selber aus und sind damit uninteressant, weil sich daraus keinerlei interessante Folgerungen ableiten lassen. Interessant allerdings kann ein formal rein selbstbezüglicher Satz doch sein, wenn er versteckt nicht nur selbstbezüglich, aber eine Lüge ist, weil er sich (formal) nur auf sich selbst bezieht. Es wird erinnert daran, dass jedes Unternehmen zu Beginn eine Art Bluff ist. Auch Kunst ist ihrem Wesen nach in gewissem Maße eine Lüge. Die wirkliche Bedeutung obigen Paradoxons wurde erst klar, als sich die reine Mathematik ähnlichen Fragen stellte. Gödels Satz Gödels berühmter Unvollständigkeitssatz in heutiger Alltagssprache: „Jedes formale System, das a) zum Ausdruck bringt, dass es unendlich viele Zahlen gibt, b) von einer endlichen Anzahl von Axiomen ausgeht, c) rein formal konstruiert und d) widerspruchsfrei ist, enthält Aussagen, die in dem System formuliert, aber in ihm weder bewiesen noch widerlegt werden können. Weniger exakt, aber verständlicher, heißt das: In jedem hinreichend mächtigen Axiomensystem gibt es objektiv wahre Aussagen, die sich im Rahmen des gegebenen Systems formulieren

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lassen (und deshalb im Prinzip herleitbar sein sollten), tatsächlich aber in dem Axiomensystem nicht hergeleitet werden können.“ Martin Hirzel zeigte: Gödel hatte bei seinem Beweis in reinem Hypertext gedacht, ohne davon eine Idee gehabt zu haben. Das erinnert an den Homo sapiens des Steinzeitalters mit seinem Gehirn eines Homo informaticus – ohne Ahnung davon, was das ist. Hofstadter untersucht in seinem Buch „Gödel, Escher, Bach“ (1979) Folgerungen aus Gödels Theorem. Er sieht als Bausteine menschlichen Denkens die chaotischen Schleifen der in sich zurückkehrenden formalen Systeme. Die haben Ähnlichkeit mit dem Paradoxon des Epimenides und seinen komplexeren Varianten – Gödels Satz garantiert unendlichen Vorrat. Gödel in der Rechtssprechung Ein Rechtsgelehrter unterrichtet einen begabten reichen jungen Mann in Jura gegen ein Honorar, das nur gezahlt wird, wenn der seinen ersten Prozess gewinnt. Fertig mit der Ausbildung, denkt der junge Mann überhaupt nicht daran, als Jurist zu arbeiten und der Gelehrte erhebt Klage, um an sein Honorar zu kommen: Wird der Fall zu seinen Gunsten entschieden, bekommt er sein Honorar, andernfalls hat der Junge seinen ersten Prozess gewonnen, und er bekommt es auch. Der pfiffige Schüler argumentiert: Wird zu meinen Gunsten entschieden, brauche ich nicht zu zahlen – andernfalls habe ich meinen ersten Prozess verloren und muss auch nicht zahlen. Der Richter sieht sich vor einer Gödel’schen Situation: Ein Urteil ist nicht herleitbar. Nach Gesetz ist ein Wiederaufnahmeverfahren eine neue Verhandlung – und möglich, wenn nach dem ersten Urteil neue Tatsachen bekannt werden, die das Urteil ändern können. Der weise Richter entschied zugunsten des Schülers. Der Schüler hatte keinen Grund es anzufechten. Der Lehrer nahm es an, verlangte aber wenig später eine Neuaufnahme des Verfahrens: Der Schüler hatte jetzt seinen ersten Prozess gewonnen und musste zahlen. Auf einem Umweg konnte der Richter das Problem lösen. Gödels Satz garantiert, dass nicht alle Situationen dem Richter eine vernünftige Wahl lassen – kein Grund, das Rechtssystem nicht zu verbessern – wie z.B. mit der Regel zur Wiederaufnahme eines Verfahrens geschehen. Gödel in Babylon Nach einer Kurzgeschichte von Borges (1988) werden in Babylon Lose gezogen, die Gutes und Schlechtes bringen können. Ein Sklave stahl ein Los, das ihm bei Ziehung den Anspruch gab, die Zunge verbrannt zu bekommen. Ebendies wurde als Strafmaß für Losdiebstahl ins Gesetz geschrieben. Kein direkter Widerspruch, aber ein Gödel-Problem ohne herleitbare Lösung. Ein formales System lässt sich immer so korrigieren, dass ein konkretes Gödel-Problem darin lösbar wird – am einfachsten, indem die betreffende Gödel-Aussage (oder ihre Negation) als Axiom gesetzt wird.

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Obiges Problem ist gelöst, wenn in Babylons Gesetz verankert wird, dass die Lotterie Vorrang hat vor dem Gesetz (oder umgekehrt). 11. Die Gödel-Struktur Die Macht der Mathematik zeigt sich darin, dass sie gelegentlich ihre eigenen Grenzen beweisen kann. Die von Gödel zum Beweis seines Satzes benutzte Aussage ist im Wesentlichen dieselbe, wie die des Paradoxons von Epimenides: „Ich kann im gegebenen System nicht bewiesen werden.“ Man hoffte, dass Gödels Satz nur mit Formeln bewiesen werden könnte, die ausschließlich etwas über sich selbst sagen und sein Satz daher für Anwendungen der Mathematik auf die reale Welt außerhalb der Mathematik bedeutungslos wäre. Es zeigte sich aber, dass viele mathematische Probleme, die für Aussagen über die reale Welt für wichtig gehalten wurden, Gödel-Probleme sind – wie z.B. die Kontinuumshypothese. Die Kontinuumshypothese23 Trifft die Kontinuumshypothese zu, dann ist „das Gewebe der Unendlichkeiten“ „locker gestrickt“: Zwischen den Unendlichkeiten der natürlichen Zahlen und der mächtigeren Unendlichkeit der rellen Zahlen gibt es einen Sprung. Dazwischen liegen keine weiteren Unendlich-keiten. Es folgen weitere, die wieder durch Sprünge getrennt sind. Ist dagegen die Hypothese falsch, so liegen dazwischen unendlich viele weitere Unendlichkeiten – „das Gewebe der Unendlichkeiten“ wäre „dicht“. Die physikalische Welt kann von der einen oder anderen Art sein. In beiden Fällen bewährt sich die Mathematik. Sowohl Kontinuumshypo-these als auch ihr Gegenteil sind aber erwiesenermaßen im allgemein akzeptierten Axiomensystem nicht beweisbar und damit ein Gödel-Problem. Die Mathematik kann das nicht entscheiden. Die Kontinummshypothese macht nicht nur eines Aussage über sich selbst. Sie war das erste Beispiel einer Gödelaussage, bei der es nicht nur um die eigene Widerlegbarkeit geht sondern um die Struktur der realen physikalischen Welt. Die Welt der Mathematik Bis zu Gödel war man der Ansicht, mit Geschick und Intuition könne alles, was mathematisch formulierbar ist, als wahr oder falsch bewiesen

23 Die Hypothese besagt: Es gibt keine überabzählbare Teilmenge der reellen Zahlen, die in ihrer Mächtigkeit kleiner ist als die der reellen Zahlen. Anders ausgedrückt: Es gibt keine Menge, deren Mächtigkeit zwischen der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und der Mächtigkeit der reellen Zahlen liegt. Zitiert nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Kontinuumshypothese

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werden. Diese Annahme erwies sich nun als unhaltbar: Man muss damit rechnen, dass eine mathematische Aussage zwar wahr, aber Gödel’sch sein kann – d.h., mathematisch nicht beweisbar. Tröstlich dabei ist, dass die Mathematik offenbar gelegentlich ihre eigenen Grenzen beweisen kann. Die Welt der Mathematik ist ziemlich einfach – fast sogar „arm“ zu nennen: Sie benutzt wenige Symbole, Konstruktionsvorschriften, Herleitungsregeln (je wenige Dutzend davon), um aus als wahr vorausgesetzten Axiomen Formeln (Sätze) herzuleiten, und ihr „Trick“ besteht in der Annahme, dass diese Formeln wahre Aussagen machen, wenn nur die Axiome wahr sind. Letzteres zu prüfen ist nicht Aufgabe der Mathematik. Gödel hat diese Sicht erschüttert. Die Systemumgebung der Selbstbezüglichkeit Was über die Welt (das System) der Mathematik gesagt wurde, findet sich in vielfältigsten Lebensform wieder. Dabei haben nicht nur die jeweiligen Systemumgebungen sondern auch die Abläufe der Operationen (Mechanismen) die gleiche Struktur – dargestellt in Tab. 1 und 2 (s. Anhang). Verschiedene Phänomene beruhen auf den gleichen logischen Grundlagen. Die Gödelnummerierung Als erstes nummerierte Gödel alle denkbaren (richtigen wie falschen) mathematischen Formeln: zuerst alle aus nur einem Symbol, dann aus zwei Symbolen usw. Dann nummerierte er ebenso alle Beweise (das sind Folgen mathematischer Formeln): zuerst alle mit einem, dann mit zwei Beweisschritten usw. Da es unendlich viele Zahlen gibt, erhalten alle denkbaren Formeln und Beweise eine Nummer. Diesen „Trick“ benutzte er, um die sog. G-formel in mathematischer Strenge zu beweisen. Sie sagt aus: „Es gibt keine Zahl x so, dass die x-te Herleitung genau die Gödelformel G beweist.“ - Die Aussage der Formel muss wahr sein, denn das Gegenteil würde bedeuten, dass ein falsche Aussage herleitbar wäre – ein Widerspruch. Mechanismen der Selbstbezüglichkeit Tab. 2 (s. Anhang) zeigt u.a. den allgemeinen Mechanismus der formalen Logik aus Gödel’scher Perspektive. Gödels Perspektive hierauf ist für die Praxis nicht die effizienteste, aber möglich und nicht verzerrt. Emergenz von Selbstbezüglichkeit ist nur ein Nebenprodukt dieses Mechanismus’, den sich das (biologische) Leben (mehrfach) zunutze gemacht hat. Gödels Struktur muss auf diese Bereiche nicht übertragen sondern in ihnen nur entdeckt werden, denn sie ist vorhanden. Die Gödel-Struktur als Modell Die Systemumgebung der mathematischen Logik wurde schrittweise von Aristoteles bis heute konstruiert. Gödels Entdeckung entsprechen nur die Zeilen 1.-5. in Tab. 2 (s. Anhang). Selbstbezüglichkeit kommt im System nicht vor – sie steckt nur in Gödels Beweisgang. Die in Zahlen enthaltene Selbstbezüglichkeit wurde nicht von Gödel hineingesteckt, sondern von ihm entdeckt. Wir nennen das ganze Modell eine „Gödel-

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Struktur“. Die Welt des Lebendigen (Biologie, Memetik, Ökonomie) nutzt diese Struktur, um Selbstreproduktion als spezielle Art von Selbstbezüglichkeit zu verwirklichen. Genauer gesagt, wird das nicht eindeutig klar werden, sondern gemeint ist: Wir können die Gödel-Struktur als beschreibendes Modell darauf anwenden und das Modell ersetzen, falls es sich nicht bewährt. 12. Die Gödel-Struktur des biologischen Lebens Die menschliche Genkarte enthält keine Liebesformel. Nach Crick’s Zentraldogma der Molekularbiologie DNA -> RNA -> Proteine können biologische Eigenschaften nur durch die DNA vererbt werden. Neue Entdeckungen, die seine Allgemeingültigkeit in Frage stellen, beeinflussen nicht die Gültigkeit von Ergebnissen/Verfahren, die im Rahmen des Dogmas erreicht wurden. Hofstadters Abbildung des Zentraldogmas Hofstadter fand eine Parallele zwischen dem Zentraldogma der Molekularbiologie und der Gödelstruktur – für uns ein Ausgangspunkt. In jedem „hinreichend mächtigen“ formalen System ist ein Phänomen unvermeidlich, das Hofstadter „seltsame Schleifen“ nannte. Er sieht menschliches Denken als Produkt dieser seltsamen Schleifen und der aus ihnen konstruierten verschränkten Hierarchien. Stimmt das, können Computer menschliches Denken nachvollziehen, weil sie alle Arten verschränkter Hierarchien abbilden können. Die Gödel-Struktur des biologischen Lebens Zellmechanismen, die darüber entscheiden, ob eine von allen möglichen DNA’s in der Zelle hergestellt werden kann oder nicht, werden in Parallele gesetzt zu einem Axiomensystem, das darüber entscheidet, ob in ihm eine bestimmte von allen möglichen Formeln bewiesen werden kann oder nicht. Tab. 1 und 2 (s. Anhang) zeigen im Vergleich der zweiten und dritten Spalte diese Parallele m Detail. Die von der DNA codierten Proteine spielen ein vielfältige aktive Rolle als Enzyme, bei Steuerung und Regulation verschiedenster Funktionen, die aber nicht Teil des formalen Systems ist. DNA ist nur eine Formel Sowohl formale Aussagen als auch DNA bestehen aus langen Folgen von Symbolen – entstanden nach gewissen Regeln. Ihr Enthaltensein im formalen System bzw. in der Zelle bedeutet, dass sie im Axiomensystem herleitbar bzw. in der Zelle herstellbar sind. Das in der formalen Aussage codierte Wissen ist dann wahr. Ähnlich codiert dann die DNA ein theoretisch lebensfähiges Geschöpf. Einzelheiten des „Was“ und „Wie“ sind technische Details – gewissermaßen „Algebra“. Die Außenwelt wirkt auf Formeln durch wissenschaftliches Interesse oder Anwendungsmög-lichkeiten – Formeln können vergessen werden – und auf Geschöpfe durch natürliche Auslese.

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Gödels Satz der Molekularbiologie Nach Hofstadter: In jeder biologischen Zelle gibt es DNA, deren Reproduktion die Zelle nicht verweigert und die im Prinzip reproduzierbar ist, von der Zell jedoch nicht reproduziert werden kann24. Solche DNA ist für die Zelle fatal. Egal, welche Verteidigungs-mechanismen sie gegen Kopieren von DNA entwickelt – früher oder später entwickelt die Evolution schädliche DNA, die das überwindet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass andere Zellen besagte DNA problemlos reproduzieren und das damit codierte Geschöpf nicht ausstirbt. Die Rolle externer Mechanismen Die aufgrund der DNA gegebenen Proteine konstruieren ein Geschöpf nur unter nicht in der DNA codierten notwendigen äußeren Bedingungen25. Was von den Replikatoren nicht codiert wird, bleibt äußeren Mechanismen überlassen (physikalischen, chemischen, psychologischen, ökonomischen Gesetzen). Warum ausgerechnet die Gödel’sche Struktur? Mathematisch war die Gödel-Struktur zwingend aufgrund der Eigen-schaften von Zahlen und der damit verbundenen Unendlichkeit. Für das Leben wären weder Unendlichkeit noch Gödel-Struktur notwendig: Beide gehören nicht zu den je drei Bedingungen für Replikatoren und Darwin’sche Evolution. Möglicherweise sind Gödel-Strukturen (insbesondere Gegenwart eines Mittlers) unverzichtbar für hinreichend stabile und zugleich hinreichend variable Lebensformen26. Evolution und Gödel-Struktur Beide interferieren in unserem Modell nicht, weil danach Evolution auf Replikatorebene abläuft und nur auf diese wirkt. Sie wirkt nicht auf die „Algebra“ – auf mathematische Logik oder technische Einzelheiten der Molekularbiologie. Diese Sicht wird den Überblick bei ökonomischen Phänomenen erleichtern.

24 In jeder Zelle gibt es...?? Jede Zelle kann doch wohl alle in ihre enthaltene DNA reproduzieren? Das kann nicht so gemeint sein, wie es da steht. Übersetzungs-fehler? 25 Dazu gibt der Autor ein zweifelhaftes Beispiel: Es sei nicht vorhersehbar, wie viel Beine ein im Raumschiff aus dem Ei geschlüpftes Geschöpf haben werde. 26 Der Autor gesteht, keine Ahnung zu haben, wie diese Frage theoretisch anzugehen sei und empfiehlt als Vorsichtsmaßnahme, nur solche Formationen als lebend anzusehen, bei denen es einen Replikator gibt und sich Selbstreproduktion mit der Gödel-Struktur beschreiben lässt.

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13. Die Gödel-Strukturen menschlichen Denkens Was in einem Lebensbereich offensichtlich ist, kann in einem anderen Lebensbereich verborgen sein. Gedanken entfalten in unseren Köpfen eine Art Eigenleben und lassen sich in unserem strengen Modell (universaler Darwinismus + Gödel-Struktur) wie Lebewesen betrachten. Für die Evolution des Geldes sind Meme nur interessant, weil sie einen wichtigen externen Mechanismus für das Funktionieren von Geld als Replikator darstellen. Es wird im Buch lediglich angedeutet, wie Meme die Gödel-Struktur nutzen könnten, und warum wir von Darwin’scher Evolution von Gedanken sprechen können. Die Gödel-Struktur des alltäglichen Denkens Die Tabellen 1 und 2 (s. Anhang), Spalte „Meme“, enthalten einen „Besetzungszettel“ mit vielen offenen Fragen, machen aber schon in diesem Stadium der Konzeptualisierung wahrscheinlich, menschliches Denken mit einem auf Replikatoren und Gödel-Struktur beruhenden Modell beschreiben zu können. Meme und kognitive Schemata Kognitive Schemata sind Einheiten unseres Denkens – in sich selbst sinnvoll, aktiv das Denken steuernd, sich während ihres Funktionierens ständig verändernd und komplex organisiert durch eine Vielfalt von Regeln. Aus Sicht der Theorie des egoistischen Gens27 sind sie keine Replikatoren, sondern das Lebewesen selbst – erzeugt von Memen als Replikatoren, die einer Evolution unterliegen. Die kognitiven Schemata erscheinen als Überlebensmaschinen der Meme und die Gödel-Struktur wird in Bezug auf Meme sinnvoll. Gödels Satz vom menschlichen Denken In jedem menschlichen Gehirn gibt es subjektiv interessante Dinge, die im Gehirn gespeichert werden können und deshalb im Prinzip verständlich sein sollten, aber trotzdem vom Gehirn nicht verstanden werden. „Herleitung“ wurde dabei durch „Verständnis“ ersetzt, und „Verständnis“ bedeutet, dass wir das gegebene Ding in ein kognitives Schema einordnen können. Vielleicht können hochintelligente Philologen Mathematik hoffnungslos unbegreiflich finden, weil sich für ihre Gehirne Mathe-Meme als „Gödel’sch“ erweisen. Nicht der Sänger schenkt dem Lied das Leben ... Die kognitiven Schemata, die in unserem Gehirn wie Geschöpfe gedeihen, formen unseren Geist – nicht umgekehrt. Der Dichter Mihály Babits: Nicht der Sänger schenkt dem Lied das Leben: Das Lied vielmehr schenkt Leben dem Sänger. Biologen: Die Henne ist das Mittel, mit dem das Ei mehr Eier erzeugt.

27 Besser: Mems.

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Die Gödel-Struktur der Naturwissenschaft Erfolgreiche Meme sind für Viele subjektiv interessant und werden in deren kognitive Schemata eingebaut. Wissenschaftliche Aussagen (auch Bruchstücke davon) sind keine Meme28, weil sie objektiv sind und in einer anderen Gödel-Struktur funktionieren. Psychologische Forschung hat nachgewiesen, dass Wissenschaftler bei Lösung neuer Probleme nicht im formalen System denken, sondern subjektiv interessante Gedanken als Meme (kognitive Schemata) entwickeln und erst anschließend im formalen System objektivieren. Betrachtet man Wissenschaft als Lebensform, dann agieren Meme als externer Mechanismus. Sie ordnen wissenschaftliche Aussagen zu einem wissenschaftlichen Bild der Welt. Die Macht der Gödel-Struktur Die drei Gödel-Strukturen (Wissenschaft, biologisches und gewöhnliches menschliches Leben) sind identisch. Die Macht der Gödel-Struktur besteht darin, dass der Vergleich der Lebensformen auf ihrer Grundlage helfen kann, in einem Bereich erkannte Phänomene auch im anderen zu entdecken. IV. Das egoistische Geld 14. Geld als Replikator: die Mone Auch die Ökonomie ist ein Produkt der Evolution und keine menschliche Erfindung, die sich durch Besseres ersetzen lässt29. Die Existenz von Geld als Replikator können wir ebenso wenig wie die des Schabeltieres theoretisch folgern sondern nur entdecken. Nach ersten Anzeichen seiner Existenz können wir systematisch danach suchen. Der Begriff des Mons Wir nennen den gesuchten Replikator „Mon“ (von „money“ = Geld oder französisch mon = mein). Er sollte sich ähnlich verhalten wie zu Kapital gewordenes Geld, kann aber nicht Kapital sein, weil dem die Eigenschaft der Langlebigkeit fehlt: Heute kann es Aktie, morgen Anleihe oder eine Bildungsinvestition sein. Er muss im Zusammenwirken mit anderen Monen ökonomische Geschöpfe (Unternehmen) erzeugen können und den Charakter von Information besitzen: Ein Mon ist Information, die ein Merkmal eines Unternehmens beschreibt, zur Investition von Kapital anreizen kann und (zusammen mit anderen Monen) ein Unternehmen erschaffen kann.

28 Ob das eine sinnvolle Einschränkung des Mem-Begriffs ist? – Mag sein, wenn damit formale Aussagen gemeint sind (s. nachfolgender Text). 29 Das dürfte nur bedingt richtig sein: Wir können Produkte der biologischen Evolution gentechnisch zu unseren Gunsten verbessern und evolutionäre Prinzipien in der Technik anwenden – warum nicht perspektivisch auch in der Gesellschaft?

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Niemand investiert in einen Teil eines Unternehmens – eine Aktie ist immer Teil das Ganzen. Mone selbst sind ökonomisch nicht lebensfähig. Ihr Bezug auf Teile eines Unternehmens macht sie sehr effizient, in variablen Gruppierungen lebensfähige Unternehmen zu generieren. Geld wird zu Kapital, wenn es für Effizienzsteigerung der Produktion aufbewahrt wird. Kapital wird zum Mon, wenn festliegt, in welcher speziellen Form es der Produktion nützlich sein kann. Beispiele für Mone Die Elemente von Robinsons Budget (Kap. 7: Schiff, Matrosen, Fischer, Kapitän) sind Mone und konnten Richsons Kapital anziehen – aber nur gemeinsam: Allein in Schiff oder Matrosen hätte er nicht investiert. Zwei weitere Forderungen stellte Richson noch für seine Investition: Kapitalergänzung und Verkaufsklausel. Ersteres ist kein Mon eines Unternehmens sondern eine selbstverständliche Eigenschaft der kapitalistischen Gesellschaft. Die Verkaufsklausel ist ein Mon: ohne sie hätte Richson nicht oder weniger investiert und sie sichert dem Unternehmen Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen. Von einzelnen Monen angezogenes Kapital lässt sich nicht zum Gesamtkapital aufsummieren. Jedes Mon scheint im Verbund wichtiger und wertvoller zu sein als die Kapitalmenge, die es anzieht. Das Mon als Information Mone können offenbar durch sehr unterschiedliche Dinge verkörpert werden. Gemeinsam ist allen: Sie sind Informationen, die als Komplex solcher Informationen Kapital anlocken. So, wie genetische Information nicht alle Information über das von ihr erzeugte Lebewesen enthält und externe biochemische Mechanismen nutzt, so nutzt die Mon-Information natürliche, ökonomische, psychologische Mechanismen, um Kapital zur Erzeugung eines Unternehmens anzuziehen. In beiden Fällen sind das technische Details – gewissermaßen „Algebra“. Das Mon als Replikator Wir müssen jetzt nachweisen, dass das so eingeführte Mon tatsächlich ein Replikator ist und sich von anderen Replikatoren unterscheidet. Erfüllt es die drei Bedingungen Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und nicht perfekte Kopiergenauigkeit? Spezielle Informationen über Details eines Unternehmens, die es zusammen mit anderen für Kapital attraktiv machen, können für lange Zeiten wirksam bleiben – auch wenn sie in wechselnden Gruppierungen auftreten. Unternehmensgründer suchen aktiv nach Informationen, die ihre Inves-tition erfolgreich machen und greifen auf Erfahrungen anderer Unternehmer mit Monen erfolgreicher Unternehmen zurück – Mone breiten sich aus. In Geschäftsplänen, Verträgen, Konventonen erfolgreicher Unternehmen enthaltenen Kapital anziehenden Informationen werden bei Neugründun-

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gen weitgehend unverändert übernommen und ggf. dem neuen Unternehmen angepasst. Mone sind demnach Replikatoren und als solche in gleicher Weise egoistisch, wie Gene. Ein Mon ist eine neue Art Replikator Vergleichen wir das Mon mit anderen Replikatoren: Offensichtlich ist es kein Chemoton, kein Gen und keine wissenschaftliche Aussage – obwohl jedes von ihnen (z.B. bei Gründung eines Forschungsunter-nehmens) auch ein Mon werden könnte. Unterscheidet es sich auch von einem Mem? Hätten viele Robinsons unseres Archipels beim Schoppen Wein mit unserem Robinson geträumt, wie schön es wäre, ein Fischerboot zu bauen, dann wäre das Fischerboot als Mem erfolgreich. Als Mon hätte es scheitern können ohne die Mone Kapitän und Verkaufsklausel. Ein Gedanke kann als Mem erfolgreich sein und niemals Mon werden, weil sich kein Investor findet, der es in den Monbestand eines Unternehmens aufnimmt. Die Verkaufsklausel ist Beispiel für das Umgekehrte: Als Mem ist sie wenig erfolgreich, da nur für Investitions-Spezialisten interessant. Als Mon kann sie in vielen Unternehmen, für die sie Verwendung findet, große Kapitalmengen anziehen. Geld existiert nicht nur als Mem, auch als Mon. In seinen Formen als Zahlungsmittel, Tauschmittel, Wertestandard,... ist es kein Replikator. Als Mem ist Geld kein besonderer Replikator, weil es den allgemeinen Mechanismus der Memfortpflanzung benutzt (wir haben dadurch nicht mehr Geld, nur mehr Gedanken an Geld). Das Mon benutzt einen ganz anderen Reproduktionsmechanismus: Jede Selbsreproduktion benötigt einen autokatalytischen Prozess, der die dafür benötigten Rohstoffe bereit stellt. Bei Gödel-Strukturen mussste dafür die Hardware „stark genug“ sein. Bei Chemotonen und Genen wird sie durch chemische Prozesse realisiert, in der mathematischen Logik durch die unendliche Folge ganzer Zahlen garantiert. In der Ökonomie (Kap. 6) fanden wir einen autokatalytischen Prozess, der auf einer Produzentenrente beruht und fortwährend überschüssiges Kapital erzeugt, das wieder Mon werden kann. Die Vererblichkeit der Mone Gelten die drei Bedingungen Darwin’scher Evolution – Variabilität, Auslese, Vererbung – auch für diese neuen Replikatoren (genauer: für die von ihnen erzeugten ökonomischen Geschöpfe)? – Variabilität ist bei Unternehmen, den Überlebensmaschinen der Mone, offensichtlich. Auslese erfolgt in kapitalistischen Gesellschaften durch den Markt. In kommunistischen Gesellschaften konnte Darwin’sche Evolution von Unternehmen nicht funktionieren mangels Auslese.

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Dass Unternehmenseigentum an biologische Nachkommen vererbt werden kann ist nicht die hier gesuchte Form von Vererbung der Mone sondern nach dem Nobelpreisträger Paul Samuelson ein ökonomischer Skandal (s. Kap. 16). Vererbung ist für Darwin’sche Evolution unverzichtbar, muss aber theoretisch nicht von Eltern an Kinder und auch nicht gebunden an Fortpflanzung erfolgen. Für Vererbung von Monen ist es gleichgültig, ob ein neues Unternehmen mit Kapital gegründet wird, das von einem mit ähnlichen oder anderen Monen ausgestatteten Unternehmen erwirtschaftet wurde30. Anders als Gene eines biologischen Lebewesens können Mone auch zu Lebenszeiten eines Unternehmens ausgetauscht werden, um die durch den Gewinn messbare ökonomische Fitness zu erhöhen. Dadurch entsteht neues Kapital, das wieder zu Mon werden kann, weil findige Investoren erfolgversprechende Unternehmensdetails übernehmen. Dass biologischen Geschöpfe ihre Gene nicht austauschen können, liegt nicht an der Logik der Evolution, sondern an den konkreten genetischen Mechanismen. Wie groß ist ein Mon? Für Gene wie Mone erweist sich eine relativ weiche Definition als sinnvoll: Es sind Informationseinheiten – groß genug, dass sie für die natürliche Auslese relevante Bedeutung tragen und klein genug, das sie weitgehend, aber nicht perfekt fehlerfrei kopiert werden können. Auch im Fall von Unternehmen erscheint die Größenabgrenzung als Problem: Unternehmen können ähnlich komplexe Gemeinschaften entwickeln wie der Regenwald31. Wo leben Mone? Die Mon-Sammlung eines Unternehmens steckt hauptsächlich im Geschäftsplan, der Grundlage für die Investition darstellt und regelmäßig aktualisiert wird. Die Kursnotierungen der Börse beziehen sich nicht auf Mone sondern das ganze Unternehmen, denn das für Investition relevante Gesamtbild von Gewinn und Risiko ergibt aus der Gesamtheit der Mone. Ein Hundekäufer prüft den ganzen Hund – nicht seine Genkarte. Aktien repräsentieren einen Bruchteil des ganzen Unternehmens mit seinen Monen. Ähnlich kann man mit einen Anteil eines Rennpferdes einen Teil seines ganzen „Genparks“ erwerben – nicht einzelne Gene. Die Rolle des Geschäftsmannes Im Alltagsleben eines Unternehmens werden kurzfristige Entschei–dungen vom Management nach Kosten-Nutzen-Analyse getroffen. Geld wirkt dabei als Mem motivierend – gewissermaßen als „Schmiermittel“. 30 Was hier diskutiert wird, ist nach der Energontheorie von Hans Hass längst geklärt: Es gibt bei Energonen artungleiche Vermehrung. 31 Energone bilden eine Art „Ökosystem“.

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Bei Entscheidungen zum Investment dagegen wirkt Geld beim Investor nicht motivierend als Mem sondern als von Monen erzeugtes ökonomisches Geschöpf. Die Mone nutzen unser psychologischen Mechanismen als externe Mechanismen und erreichen dadurch, dass die in den Geschäftsplänen codierten ökonomischen Geschöpfe (Energone) tatsächlich zur Welt kommen und sichern so ihre eigene Reproduktion. Nicht der Geschäftsmann ist es, der den Geschäften zum Leben verhilft, sondern die Gelegenheit zum Geschäft schenkt dem Leben, der es betreibt und lebendig werden lässt – möglich, weil Mone Replikatoren sind. Die Gödel-Struktur der Ökonomie Die in Tab. 1, 2 (s. Anhang) dargestellte Gödelstruktur der Wirtschaft hat einen beschränkten Geltungsbereich. Sie gilt für professionelle (realwirtschaftliche) Investoren im klassischen Kapitalismus. Die Evolution der Mone hat sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt. Supranationale Unternehmen funktionieren anders und 80% der Investitionen werden heute von finanziellen Investoren getätigt. Wirtschaft basiert auf Kapital in Form von Monen, die sich im Rahmen der Gödel-Strukur fortpflanzen und ist somit etwa Natürliches – keine menschliche Erfindung, die leicht ersetzt werden könnte durch etwas, was wir besser finden. Unbedachte Eingriffe in die Wirtschaft können leicht katastrophale Auswirkungen zeitigen – ähnlich wie Eingriffe in das biologische Leben. 15. Leben, Naturwissenschaft, Wirtschaft Biologisches, geistiges, ökonomisches Leben folgen der gleichen Logik. Die Zusammenfassung besteht in der Gesamtschau der Tab. 1, 2 (s. Anhang). Vis vitalis allgemein Das Gen ist nicht deshalb Replikator, weil es eine Art physikalischer oder chemischer „Lebenskraft“ hat, sondern umgkehrt: Weil es Replikator ist (langlebig, fruchtbar, relativ kopiergenau), entwickelt es eine Art physikalischer oder chemischer „Lebenskraft“ und erzeugt Wesen, für die die Bedingungen Darwinscher Evolution (Vielfalt, Auslese, Vererbung) erfüllt sind, die verändernd auf die Replikatoren rückwirkt – so, dass diese eigene Überlebensmachinen bauen können, die sich der Umwelt anpassen – Lebewesen. Es trat eine Folge weiterer Replikatoren (Meme, wissenschaftliche Aussagen, Mone) auf, die nicht nur die physikalischen und chemischen Naturvorgänge als externe Mechanismen nutzen, sondern auch die Prozesse in den Überlebensmaschinen jeweils früher entstandener Replikatoren. Sie konstruierten immer komplexere, Umweltanfor-derungen immer besser gewachsene Überlebensmaschinen – in diesem Sinne Lebewesen.

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Wie Koevolution funktioniert Die vier Gödel-Strukturen stehen miteinander in koevolutionärer Beziehung32. Beispiele: Im England des 17. Jhs. verschob sich der Anteil grau-schwarz gefleckter und schwarzer Birkenspanner durch Vogelfraß aufgrund der industriellen Verrussung zugunsten der fast schon ausgestorbenen schwarzen – Mone hatten Einfluss auf Gene. Mone der Massenmedien beeinflussen Meme, weil sie deren Wettbewerbsbedingungen verändern. – Ein erfolgreiches Mem kann einen neuen Mon-Typ verursachen, der zur Ausbreitung des Mems verhilft. Zusammenfassender Überblick S. Tab. 1 und 2 im Anhang. 16. Die Überlebensmaschine des Geldes Im Wirtschaftsleben ist nicht der Erfinder ein Neuerer, sondern der Unternehmer, der das Neue in die Praxis umsetzt. Wie die Gene haben Mone viele neue Arten erschaffen, deren Geschöpfe den sie erzeugenden Monen dienen. Eine evolutive Kategorisierung dieser Wesen, wie sie in der Biologie üblich ist versuchen wir nicht, weil äußerst schwierig33. Wir betrachten aber einige typische „ökonomische Lebewesen“. Immer auf der gelben Ziegelstraße Das Gelb der Straße steht als Metapher für Gold – seit undenkbaren Zeiten Symbol für Wirtschaftsleben und Macht. Mitte des 19. Jhs. war die Währung der meisten Industrienationen goldgedeckt: Geld konnte – garantiert - von jedem jederzeit in Gold umgetauscht werden und umgekehrt. Da die meisten Menschen der Garantie vertrauten und deshalb ihr Geld nicht in Gold eintauschten, konnten die Banken mehr Geld ausgeben als durch Gold gedeckt war. Wäre es sehr viel mehr Geld als Gold, würde der (Gold-)Wert des Geldes sinken und das Vertrauen gestört. Deshalb wurde die Geldemission auf ein Deckungsverhältnis vom Dreifachen der Goldreserve streng begrenzt. Das ermöglichte Wirtschaftswachstum und gleichzeitig Stabilität – insbesondere der Wechselkurse und das auch bei einer Rezession, bei der die Preise fallen, weil viele Arbeitslose weniger Waren kaufen als angeboten werden. Solche Deflation stört den Geldumlauf. Darlehen müssen teurer bezahlt werden als erwartet – nicht wegen der

32 Die Zeitskalen der Genevolution im Vergleich zu Mem- und Monevolution liegen extrem auseinander, die von Mem- und Monevolution sind untereinander zumindest vergleichbar. Die Konsequenzen werden im Buch nicht diskutiert. 33 Hans Hass hat eine Kategorisierung vorgenommen hinsichtlich der quasi-fraktalen Struktur der Energone.

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eingeplanten Zinsen sondern wegen der unvorhergesehen Entwertung des durch Kredite finanzierten Vermögens. Mehr Geld im Umlauf könnte einer Rezession begegnen, würde aber Inflationsgefahr erzeugen. So kam es in den USA um 1900...1908 zum Streit zwischen Befürwortern der reinen Golddeckung und den sog. „Bimetallikern“, die mehr Geld in Umlauf bringen wollten, indem auch Silber zur Deckung zugelassen werden sollte. Sie verloren, die Golddeckung blieb, bis die Nixon-Regierung den Dollar vom Gold trennte. Damit begann das Zeitalter des Kreditwesens. Kreditgeld trägt keinerlei Wert in sich – weder einen realen, wie eine Goldmünze, noch einen garantierten Tauschwert in Gold- oder Silbereinheiten. Sein Wert wird allein durch die Existenz und Tätigkeit ökonomischer Lebewesen (Unternehmen) gesichert, die für Menschen wertvolle Güter erzeugen. Unternehmer Weder gelang es den Alchimisten aus Gold mehr Gold zu machen, noch es aus anderen Stoffen herzustellen – es bleibt ein knappes Gut, das deswegen seinen Wert behält. Im Wirtschaftsleben gibt es eine Art Autokatalyse, bei der Mone mehr Mone erzeugen können. Deshalb behinderte der Goldstandard zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung. Mone erzwangen Kreditgeld in großem Stil. Grundlage ökonomischer Autokatalyse ist die Produzentenrente (nahezu deckungsgleich mit Profit). Sie sinkt, sobald eine Neuheit von allen angewendet wird und zwingt dadurch zu ständigen Neuerungen. Entrepreneure führen Neuerungen ein, die die Produzentenrente erhöhen. Sie reorganisieren kleine oder größere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind Agenten gesellschaftlicher Veränderung, spüren Lücken zwischen Sein und Möglichen auf sowie Gelegenheiten, vom Schließen dieser Lücken zu profitieren (nach Paul Heyne). Wer beauftragt diese „Agenten“? - Aus kommunistischer Sicht niemand, und die Ausgebeuteten bezahlen sie, bis sie das begreifen und sie vertreiben. Das Ergebnis war wirtschaftlich dysfunktional: Verän-derungen für Entwicklung fehlten. Evolution ist nicht durch menschlichen Weisheit und Voraussicht ersetzbar – weder individuell noch kollektiv. Der Entrepreneur wird von Monen „beauftragt“: Mittler zwischen einer Geschäftsmöglichkeit und dem Unternehmen, das sie verwirklicht, ist Geld in Form von Investitionen. Er wirkt durch typisch menschliche Motivation. Es liegt im Wesen dieser Art von Geld, dass es sich durch die Motivation der Unternehmer reproduzieren kann. Robinsons und Richsons Unternehmen gedeiht Ihr Joint Venture hat Robinson und Richson im ersten Jahr 7200 Stockfische Gewinn eingebracht, und Richson empfiehlt, diesen - statt ihn zu verbrauchen - in ein zweites Boot zu investieren. Dafür sind allerdings 12000 Stockfische nötig – also eine Kapitalaufstockung, durch die Robinson aber seine knappe Mehrheit verlieren würde. Man findet

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eine andere Lösung: Um 40% mehr Gewinn zu machen, wird ein mit 20% zu verzinsendes Darlehen aufgenommen, das ja durch einen prosperierenden Betrieb wie durch Gold gut gedeckt ist. Robinson hat privat ein mit 15% zu verzinsendes Baudarlehen aufgenommen und kann den Gewinn von 40% gut gebrauchen. Das neue Boot ist gebaut und erfolgreich in Betrieb. Weil inzwischen bei anderen 5 Boote in Planung sind, die aber nur 5% der Marktkapazität befriedigen können, fordert Richson eine Betriebsvergrößerung auf 10 Boote. Das verlangt 8X12000 = 96000 Stockfische – nur erhältlich von seriösen Kapitalinvestoren. Von der riesigen Firma besäße Robinson mit seiner Beteiligung von 9300 Stockfischen weniger als 10%. Richson erklärt: Weil das Unternehmen jetzt stabil 40% abwirft, ist das Risiko einer weiteren Investition jetzt geringer, das Beta der Firma so niedrig, dass Investoren mit 15% Gewinn zufrieden sind. Wenn ein Gewinn von 2X7200 = 14400 Stockfischen 15% eines Kapitals ausmachen soll, muss dieses 14400/0,15 = 96000 Stockfische betragen. Die Firma mit zwei Booten ist demnach derzeit 96000 Stockfische wert – soviel, wie als neue Investitionssumme gebraucht wird. Nach Richsons Vorschlag werden von den 14400 Stockfischen des Vorjahres 6000 verwendet, um zu der Investition von 96000 Fischen beizutragen. Fremdkapitalgeber brauchen dann nur noch 90000 Fische beisteuern. Robinsons und Richsons Firmenkapital beträgt dann 9600+6000 = 102000 Stockfische: Sie haben zusammen 53% der Firma, jeder mehr als 25%. Weil Robinson murrt, soll er zum doppelten Gehalt als Geschäftsführer die Koordination der dann 10 Kapitäne übernehmen. Robinson erkennt: Er muss sein Leben radikal verändern. Die Evolution der Mone ist stärker als seine Bedenken. Großunternehmer Zehn Schiffe bedeuten nicht nur eine Verzehnfachung sondern verlangen strukturelle Veränderungen. Organisation, Zusammenarbeit der Schiffe und umorganisierter Fischmarkt werden bedeutender. Sinkende Preise können durch Effizienzmaßnahmen abgefangen werden: Transportschiffe könnten den Markt beliefern während die Fischerboote beim Fischen bleiben. Eine eigene Werft könnte Transportschiffe, besser gleich Handelsschiffe bauen – oder für Beachson Ausflugsschiffe. Eine Fischereischule wäre für effizientere Fangmethoden sinnvoll - aber erst in weit größerem Maßstab. Lehrlingsausbildung galt anfänglich als interne Unternehmensaufgabe, wurde dann von öffentlichen Schulen übernommen. Transnationale Giganten bilde heute ihre Spezialisten in eigenen Universitäten aus34.

34 Beispiel für evolutionäre Schwingungserscheinungen: Dasselbe wiederholt sich auf höherer Stufe.

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Banken und andere Finanzwesen Banken haben durch Nutzung ihnen anvertrauten Geldes einen komparativen Vorteil. Weil ihre Stabilität im Allgemeininteresse liegt, sind ihnen zu hohe Risiken gesetzlich verboten und eine Höchstgrenze an Bankkapital für einen einzelnen Kunden vorgeschrieben. Auch das Finden von Kapital für verheißungsvolle sehr große Geschäftspläne liegt im Allgemeininteresse35 und wird durch Investmentgesellschaften ermöglicht, wenn Banken nicht können oder wollen. Sie können als Konsortien organisiert sein. Für manche Geschäfte hat ein Konsortium zu viele Mitglieder. Dann finden sich andere Formen. Mone haben auch zu Börsen geführt, auf denen zuerst Standardgüter (Baumwolle, Tabak, Diamanten), später auch Aktien gehandelt wurden. Beispiel für in Gödel-Strukturen unvermeidliche Selbstbezüglichkeit: Einige Börsen wurden zu börsennotierten Gesellschaften – ihre Aktien sind auf jeder Börse zu kaufen. Aktienmarktblasen Meme überleben erfolgreich, wenn sie in vielen kognitiven Schemata vorhanden sind, das Denken vieler Menschen beeinflussen. Mone sind erfolgreich, wenn sie möglichst viel Kapital anziehen und möglichst viel große Unternehmen beeinflussen. Dass der Erfolg eines Mons von der Kapitalmenge abhängt, die es anziehen kann, führt mitunter zu völlig unvernünftigen Ergebnissen: Im Interesse von Monen liegt nur die eigene Reproduktion, nicht die dauerhafte Stabilität und Effizienz der von ihnen erzeugten Unternehmen. Die externe Umwelt beschränkt eine irrationale Reproduktion der Mone wie der Gene: Einige Rentiere, ausgesetzt auf einer grünen Insel, vermehrten sich so drastisch, dass die Population zusammenbrach und schließlich um einen der Tragfähigkeit entsprechenden Bestand schwankte. Genau so einem Zyklus folgen nicht nur Gene, sondern bei Aktienmarktblasen auch Mone oder bei Mode-Epidemien die Meme. Das Vererben von Besitz Wir unterscheiden deutlich Vererbung der Mone und Vererbung von Eigentum. Unternehmen können erworbene Mone weitergeben. Erworbene Kondition von Körper und Geist kann biologisch weitergegeben werden wegen der dadurch verbesserten Startbedingungen für die eigene Konditionsentwicklung des Nachwuchses. Vererbung von Eigentum ist aus Mon-Sicht irrational, ist von Memen bestimmt und der Ökonomie fremd. Warum bezeichnet Samuelson sie als ökonomischen Skandal?

35 Inwieweit das so generell zutrifft wäre zu prüfen.

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Ähnlich wäre aus Gen-Sicht Adoption irrational, von Memen bestimmt und der Biologie fremd. Trotzdem kann das Adoptionsmem überleben, denn ihm ist es egal, ob es an eigene oder adoptierte Kinder weitergegeben wird. Jeder egoistische Replikator baut seine eigene Überlbensmaschine und schert sich nicht darum, ob diese aus Sicht eines anderen Replikators ein „Skandal“ ist. Wissenschaftler sind es, die so etwas für skandalös halten, weil sie die Phänomene nicht voll verstehen. Investitionen in Humankapital Blinde Vererbung von Vermögen ist also nicht wirklich ein ökonomisches Problem. Wesentliche Investitionen haben den Menschen selbst zum Gegenstand, seine Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft. Kapital kann auf zwei Wegen zur Entwicklung menschlicher Fähigkeiten und künftiger Produktion beitragen und dadurch zum Mon werden: Ökonomische Geschöpfe entstehen, die gebildete Menschen produ-zieren. Sie werden erzeugt durch Mone der verschiedenen Schulen. Daneben gib es Mone des Lernens, die immer mehr Kapital mobilisieren. Wer Fähigkeit und Bereitschaft für lebenslanges Lernen entwickelt, bekommt besser bezahlte Jobs. Nobelpreisträger Theodore W. Schultz hat Aufwand und Gesamtergeb-nis von Bildung analysiert: Der Teil der Bildung, der zu persönlichem Glück, zu Lebensqualität durch Bildung führt, ist nicht als Investition in die Arbeitkraft sondern als Konsum zu sehen. Der Gewinn durch Bildung liegt nach seiner Schätzung in der Nähe des Gewinns durch nichtmenschliches Kapital. 17. Globales Geld Das Aufbegehren gegen die Globalisierung ist ebenso unsinnig wie ein Aufbegehren gegen den Gencode, weil es Mücken gibt. Globalisierung hängt mit Kapital und Informationsgesellschaft zusammen – insbesondere nachdem die kapitalistische Wirtschaft ihren kommu-nistischen Rivalen verloren hatte. Globalisierung in der Biologie und in der Wirtschaft Kein physikalisches/chemisches Gesetz fordert den (fast) universellen genetischen Code. Von ihm entwickelten sich anfänglich viele Varianten. Seine erfolgte Globalisierung hat rein mathematischen Grund: Wenn sich aus irgendeinem Grunde ein Codierungsverfahren weiter ausbreitet als andere, kommt es zu stärkerer Genvermischung, beschleunigter Evolution und fitteren Geschöpfen, andere Verfahren sterben aus – bis auf solche, die eine besonders lebensfähige Art hervorbringen, wie z.B. Mitochondrien. Anscheinend vereinheitlicht sich auch der monetische Code – vermutlich aus gleichem Grunde: Investoren stellen überall auf der Welt und in jedem Industriezweig dieselben Bedingungen. Globalisierung gehört nach Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz – trotz negativer Wirkungen – zum Leben.

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Glokalisierung Einheitlicher genetischer/monetischer Code ist kein Hindernis für erstaunliche Vielfalt: Es gibt global existierende Arten (Schaben, Ratten, Menschen, supranationale Firmen). Die Mehrzahl biologischer und ökonomischer Geschöpfe haben aber eine lokale Nische gefunden. Neben der Zerstörung lokaler Eigenheiten hat Globalisierung auch die umgekehrte Tendenz einer Lokalisierung. Wir sprechen deshalb von „Glokalisierung“ – mit zwei radikal unterschiedlichen Bedeutungen: - Anpassung von Produkten globaler Firmen an lokale Besonderheiten, - Übernahme globaler Spielregeln in lokalen Wirtschaftsbereichen. Beispiel: Als 1968 die Computersprache ALGOL 60 in Erscheinung trat, gab es 2200 verschiedene Programiersprachen für viele verschiedene Computerarten – jedes mit jedem kaum kompatibel – eine babylonische Verwirrung. – Heute sind Computer und Programmiersprachen weitgehend standardisiert. Wir schreiben auf unseren Tastaturen in unseren lokalen Sprachen, stellen eine riesige Vielfalt nur Wenige interessierender Homepages ins Netz. Gödels Satz der Ökonomie Es gibt in jeder kapitalistischen Gesellschaft ein Gut, für das sich im Rahmen der gegebenen Gesellschaft ein Geschäftsplan aufstellen lässt und das deshalb im Prinzip herstellbar ist, aber nicht hergestellt werden kann. Ein begehrtes, Profit versprechendes, trotzdem nicht herstellbares, also Gödel’sches Gut? Kommunistische Gehirnwäsche predigte, der Kapitalismus sei nicht fähig, alle mit lebenswichtigen Gütern zu versorgen. Sie können aber erzeugt werden – nur nicht überall – unterschiedlich im schwedischen Kapitalismus mit engem Wohlfahrtnetz und im reichtumsorientierten USA-Kapitalismus. Verhindert z.B. eine transnationale Gesellschaft die Verwendung einer in einem Land entwickelten Technologie dort, so kann das theoretisch herstellbare Gut dort nicht produziert werden36. Die Evolution von Gesellschaften Gödels Satz der Ökonomie garantiert jeder Gesellschaft Menschen, die unzufrieden sind, weil einige für sie wertvolle Güter nicht produziert werden, obwohl theoretisch möglich. Oft kann der freie Handel helfen, manchmal auch Ersatz. Ein Wohlfahrtssystem etwa könnte durch Versicherungen ersetzt werden. Man könnte auch umziehen. Unser Modell und die identische logische Struktur von Biologie und Ökonomie machen klar, warum es so viele verschieden kapitalistische Gesellschaften gibt: Der universelle genetische Code ermöglicht riesige Vielfalt von Zellen. Zellen entsprechen in der parallelen ökonomischen

36 Der Autor räumt ein, dass Gründe für ein „Gödels’sches Gut“ selten benennbar sein dürften.

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Gödel-Struktur Gesellschaften. Der globale monetische Code garantiert Vielfalt der Gesellschaften. Unser Modell, aus dem Gödels Satz der Ökonomie folgt, zeigt: Die Evolution verfügt möglicherweise über Antriebskräfte, die sich von Darwins drei Bedingungen unterscheiden und aber unablässig und machtvoll wirken – zum Beispiel die Gödel-Natur eines Produkts, das in einer Gesellschaft als Mem für wichtig gehalten wird. Evolution, deren Antriebkraft Gödels Satz der Ökonomie ist, kann keine Darwin’sche Evolution sein. Ein Beispiel genügt für die Behauptung: Evolution der Gesellschaft ist nicht-darwinistisch. Die Richtung der sozialen Evolution Wenn schon bloßer Tausch Werte schafft (Kap. 6), war die Menschheit gezwungen, irgendwann Geld zu erfinden. Das Prinzip komparativer Vorteile im Wirtschaftsleben führt zwangsläufig aufgrund der Produzentenrente zu ökonomischen autokatalytischen Prozessen. Wenn Menschen Zeitpräferenz besitzen, musste es irgendwann zu einer Form von Kapital kommen. Psychologische Grundmechanismen (Kap. 9) bedingen, dass Kapital eine neue Art von Replikator wird und eine Evolution von Monen erzeugter ökonomischer Geschöpfe in Gang kommt. Wie Biologen haben wir uns mit den Resultaten bisheriger Evolution befasst und nicht nach möglichen anderen Evolutionsverläufen gefragt, die im TIERRA-Projekt modellhaft verschiedenste Geschöpfe und Ökosysteme hervorbrachten – z.B. Parasitenprogramme. Immer können Gene und Mone Geschöpfe hervorbringen, die – von Memen bestimmt – entweder gemocht oder nicht gemocht sind. Die heutige Welt formt sich ständig durch Koevolution von Genen, Memen und Monen. Mit Memen haben wir viele Tier- und Pflanzenarten ausgerottet, aber auch begriffen, dass wir nicht alle Mücken ausrotten dürfen, um selbst zu überleben. Antikapitalismus-Meme haben sich lange Zeit als überlebensfähig erwiesen. Entwicklung von Gesellschaften ist nicht allein als Darwin’sche Evolution von Replikatoren zu verstehen, darf aber nicht auf Dauer im Konflikt mit ihnen verlaufen – wie das kommunistische Beispiel zeigt. Darwin’sche Evolutionen sind ziellose Zufallsprozesse – unumkehrbar und absichtlich schwer beeinflussbar. Prognose: Mone werden immer neue Formen des Kapitalismus hervorbringen, Meme zur Vollentwicklung des Homo informaticus führen. Die Finanzgeschäfte des Homo informaticus Evolution der Mone und Entwicklung der Informatik hängen aus zwei Gründen eng zusammen und haben sich gegenseitig in Richtung Globalisierung und gleichzeitiger Glokalisierung beschleunigt: - Verlassen des Goldstandards führte zum modernen Kreditwesen, - Kreditwesen setzt große Informationsverarbeitungskapazität voraus.

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Kapital als Mon hat so komplexe Überlebensmaschinen gebaut, dass es als Macht empfunden, aber nicht mehr von einer Person oder Gruppe personifiziert wird und deshalb als bedrohlich erlebt wird, wie jede undurchschaute Naturgewalt. Zunehmend nutzen viele Menschen Computer, Internet (zum Handel), virtuelles Geld. Den sich entwickelnden Homo informaticus wird das alles nicht mehr schrecken. Theater ohne Regisseur Heutige Menschen sind Produkte der Koevolution egoistischer Gene, Meme und Mone37. Er liefert den Schauplatz für den Überlebenskampf dieser Replikatoren, die sich in immer neuen Kombinationen erproben. In dem Spiel gibt es keinen Regisseur. Allein38 natürliche Auslese wählt unter den spontan erschaffenden Geschöpfen. Wir dienen Genen, mit unseren Gehirnen auch Memen, und Monen als Überlebensmaschinen, um unseren Lebensunterhalt zu erwerben39. Dazu zwingen uns nicht nur unsere Grundbedürfnisse; dass möglichst viele Menschen in ihrer Arbeit Flow finden sollten, hat sich als erfolgreiches Mon erwiesen: Viele Unternehmen stellen sich darauf ein und investieren in Bildung40. Als bewusste Wesen können wir uns für Regisseure halten. Damit droht uns eine Hybris – eine Katastrophe, ausgelöst durch Überheblichkeit gegenüber der Darwin’schen Evolution.

37 Hans Hass hat erkannt, dass wir nicht den „nackten Menschen“ als evolutionäres Ergebnis betrachten dürfe sondern Energone (Mensch + künstliche Organe, zu denen auch Finanzinstrumentarien gezählt werden müssen). 38 Das hält der Bearbeiter für falsch: Schon in der Biologie gibt es Auslese durch Partnerwahl. 39 Auch hier ist Hans Hass weiter: Er unterscheidet zwischen dem Lebensunterhalt des nackten Menschen und dem von Energonen. 40 Widerspricht das nicht der Feststellung, Investition in Lebensqualität sei reine Konsumsache?

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