Lucia kann zaubern

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Leseprobe: Tanja Esche & Miriam Gauder: Lucia kann zaubern, ISBN: 978-3-86196-065-2, Taschenbuch, 76 Seiten. Lucia hat ein Geheimnis: Immer wenn sie wütend wird, wächst sie zu einer Riesin heran. Gerade könnte sie platzen vor Wut. Denn erst trennen sich ihre Eltern und dann muss sie auch noch mit ihrer Mutter wegziehen. Als sie sich im Garten ihres neuen Zuhauses in eine Riesin verwandelt, begegnet ihr die kleine Elfe Elfie, die denkt, Menschen könnten zaubern!

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Sandy Penner

1. Auflage 2011ISBN: 978-3-86196-065-2

Copyright (©) 2011 by Papierfresserchens MTM-Verlag Heimholzer Str. 2, 88138 Sigmarszell, Deutschland

www.papierfresserchen.de [email protected]

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Lucia kann zaubern

Tanja Esche (Text)Miriam Gauder (Illustration)

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Für Paul, Alina, Luna, Priscilla und Carolina.

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Kapitel 1

„Na, Lucia, ist es hier nicht wunderschön?“„Nein!!!“, brüllte Lucia, sodass selbst die winterkalte

Luft, die durch das Küchenfenster wehte, zu knistern be-gann. Ihr Gesicht verfinsterte sich wie die düsterste Nacht, die es auf Erden je gegeben hatte. Kein Stern schien mehr zu scheinen. Kein Vogel mehr zu fliegen. Alles Heitere hatte sich an einen Ort verkrochen, den Lucia nicht kannte.

Sie feuerte ihr Buch in die Ecke, warf die Verandatür hinter sich zu und stapfte wütend hinaus in den Garten. Das Hausinnere wurde ihr zu klein. Ihre Finger quollen an und ihre Hände wuchsen und wuchsen. Ihre Haare wurden zu Wolkenfetzen und ihre Schritte brachten den Boden zum Beben. Sie wuchs an zu einem Riesen. Nein, vielmehr zu einer Riesin. Ihr blondes langes Wol-kenhaar flatterte in den höchsten Höhen und es wurde kalt und kälter, sodass die Luft zu einer dicken Scheibe gefror. Ihre Tränen schneiten und bildeten Tausende von Eis-wassern, ein großes

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blaues Weltenmeer, auf welchem lechzende Schneewölfe auf Eisschollen schwammen. Mit ihren Riesinnenhänden und -armen hätte sie die Sterne und den Mond wie Äp-fel vom Himmel pflücken können. Doch letzterer hatte sich verzogen in noch fernere Fernen.

Ihre Stimme schwoll an zu einem gewittrigen Grollen und eine dicke Zornesfalte, die sich quer über ihre Riesin-nenstirn zog, sandte tageslichtgrelle Blitze in alle Welten-richtungen aus. Ihr Riesinnenmagen grummelte wie der eines ausgehungerten Tyrannosaurus Rex.

Noch zähnefletschend und schäumend, sich aber im Schoße der schneeverzuckerten Natur allmählich wieder beruhigend, hielt sie endlich unter den Obstbäumen des Gartens inne.

Nur langsam traute sich die Sonne wieder hinter der leicht aufgequollenen Querdenkerwolke hervor, hinter der sie sich versteckt hatte.

„Nur zu“, machte ihr die Wolke Mut und ließ noch ein paar Flocken aus ihrem Himmelbett fallen. „Lucia ist eine liebe Riesin. Sie ist einfach wütend. Verdammt wütend auf ihre Eltern.“

„Ach“, blitzte die Sonne, „dann, gerade DANN braucht sie mich doch besonders!“ Und strahlte auf Lucias gülde-nes Haar und streichelte ihr Herz.

„Vögel des Himmels, wo seid ihr?“, rief die Sonne.Die Vögel, die dem Winter tapfer die gefiederte Stirn

boten, ließen sich zunächst etwas Zeit. Bestimmt, um einen großartigen Plan auszuhecken. Und dann: Welch ein Geflatter, welch ein Gefieder!

„Was wünschst du dir? Wir nähen’s dir“, zwitscherten sie im Chor und es klang, als würde der ganze Himmel von Engeln besungen.

„Einen Stern, ich wünsch` mir einen Stern!“, schrie Lu-cia übermütig nach oben.

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Einer der Vögel, sein Gefieder schillerte grau-blau und seine Stimme klang sehr weise, rief: „Holt die Garne, Freunde des Himmels!“

Und seine Gefährten entzogen der Querdenkerwolke wolliges Garn und nähten: EINEN STERN! Mitten in den Himmel hinein.

„Wow“, entfuhr es Lucia. „Fische der sieben Weltmeere, zeigt euch!“, rief die

Wolke. Ehe Lucia sich versah, stoben Abertausende von bunten Fischen in das Meer, das sie eben geweint hatte. Der Mond durchbrach mit seiner Leuchtkraft die luftigen Eisscheiben und ließ sein Licht in den fischigen Schuppen spielen. Die Fischlein zwickten, zwackten, neckten sich und mondglitzerten mit Lucias strahlendem Haar um die Wet-te. Sie knappsten sie in ihre Riesinnenfüße und lachten laut dabei. Und da musste Lucia schließlich mitlachen. Wie das kitzelte!

Die Vögel hatten es sich mittlerweile auf ihrem Kopf ge-mütlich gemacht. Sie hatten sich mit ihren Schnäbeln aus dem restlichen Wolkengarn Kissen für ihre Nester gestrickt und gackerten und naschten und quatschten und sangen. Aber es war kein Lärm. Es klang wunderschön. Die, die des Fliegens niemals müde wurden, flochten noch ein paar Herzens- und Blumenkränze in den Himmel. Und die Sonne putzte dabei ihre Strahlen.

„Ach“, seufzte Lucia, die ihre Mädchengestalt wieder angenommen hatte, „gut, dass ihr da seid. Ich hatte mich eben soooo allein gefühlt.“

„Schnickschnack, allein! Was soll das denn sein?“, kam es plötzlich von unten.

Lucia bückte sich. Ein Vogel konnte es nicht sein. Die tanzten ihr alle auf dem Kopf herum oder flogen noch einen Verdauungsflug am Himmel. Und Fische blubbern. Diese Stimme aber hatte sich hell und sogar ein bisschen

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menschlich angehört. Etwas spitz vielleicht, aber ...„Hey, du, sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“,

kam es wieder von unten. „Hat man da noch Töne. Men-schenskind! Wo ist deine Erziehung, wo dein Anstand? Wo soll das alles noch enden mit euch?!“

„Äh, entschuldige, bitte“, stammelte Lucia. Die singenden Vögel auf ihrem Kopf und das Meer mit

den bunten quirligen Fischen zu ihren Füßen waren ver-schwunden. Aber die Sonne schien noch hell und warm.

„Ich kann dich gar nicht sehen.“„Dann mach gefälligst deine Glotzpickel auf!“, zeterte

das Stimmchen weiter.Und da sah Lucia das Wesen mit dem frechen Plapper-

mäulchen. Es saß auf einem Stein, war kaum größer als ihr Daumen und hatte Flügelchen, die nun eifrig hin und her schlugen.

„Na, endlich, ich dachte schon, du wärst blind! So, nun guckst du mich aber an, wenn ich mit dir rede, ja?“

„Äh, ja“, stotterte Lucia verdutzt.„Wie heißt du,

Menschenkind?“, wurde sie gefragt.

„Lucia.“„Soso. Lucia

also. Dann hör mal zu, Lucia-Menschenkind!“ Das Wesen sprach nun lauter. „Du rennst hier raus wie vom Wild-schwein Hilde gejagt und tram-pelst dabei so mir

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NICHTS, dir NICHTS meine Wohnung platt. Wie findest du das?“ Das Wesen stemmte wütend seine Flügelchen in die Hüften, während es mit den Armen wild in der Luft fuch-telte.

Lucia wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Sie war einfach nur verblüfft. Es kam nicht oft in ihrem Leben vor, aber diesmal fehlten ihr einfach die Worte.

„Was sagt man da?“ Das kleine Wesen musterte sie streng.

„Äh ...“„Nein. Nicht äh. BÄH!!! Man sagt Entschuldigung!“„Ja-jaw-ja-jawohl!“ Lucia kam aus dem Stottern nicht

heraus: ein Flügelwesen, das sich aufführte wie eine Kinder-erzieherin mit strengem Dutt und Schlechte-Laune-Falten?

„Jawohl???“ Die kleine Erzieherin gab aber auch wirk-lich nicht auf.

„Also gut: Entschuldigung!“„Na, also! Warum nicht gleich so?!“ Mit einem Men-

schenkind musste man eine Wahnsinnsgeduld haben. Aber es würde sich auszahlen. Das nörgelige Plappermäulchen schien zufrieden.

„Ja, aber ... ich hab gar nicht gewusst, dass ich was ka-putt gemacht hab. Und ... also, es tut mir schrecklich leid, aber ich hab deine Wohnung nicht gesehen, liebe ... Wie heißt du eigentlich?“, wollte Lucia wissen.

„Elfie. Ich heiße Elfie. Dann sperr demnächst gefälligst deine Glotzpickel weiter auf! Herrschnickschnackherrje, hilf!“

„Ich ... es tut mir wirklich leid, das mit deiner Wohnung, aber ich ... ich war eben wütend. Totaaaal wütend! Da bin ich einfach aus dem Haus gerannt. Kann schon sein, dass ich dabei nicht richtig geguckt hab. Aber …“, Lucia kniff an-gestrengt ihre Augen zusammen, „… ich kann jetzt immer noch NICHTS sehen. Was soll ich denn kaputt gemacht ha-

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ben ... in deiner Wohnung?“„Na, hier das. Ich wohne hier!“ Elfie zeigte in einem

Kreis um sich herum. „Überall! Du hast meinen Teppich schmutzig gemacht! Du hast meine Gardinien verwursch-telt! Du hast mein Sofa zerstört und meinen Kater ver-scheucht! Du hast ...“

„Ich habe ... was?!“„Ja, hier ... siehst du nicht?!“, sagte Elfie und deutete

auf bereits im Herbst vertrocknete Geranien. „Ganz zer-zaust!“ Elfie strich zärtlich die unter der Schneedecke her-vorlugenden Grashalme glatt, versuchte, Lucias Fuß anzu-heben, um auch darunter wieder Ordnung zu machen.

„O-R-D-N-U-N-G I-S-T D-A-S H-A-L-B-E L-E-B-E-N!“ Elfies Stimme klang, als würde sie gerade mit einer kniggeldicken Nickelbrille auf der Nase aus einem Buche vorlesen. Knig-ge. Und sie hüpfte aufgeregt auf und ab, während sie das sagte und ihre Wohnung wieder zu ordnen versuchte.

Da lunzte eine Ameise um die Ecke eines klumpigen Steins. „Kalli, da bist du ja, mein Lieber! Herrje, hat dich der Trampel verscheucht! Komm her, so schlimm ist sie gar nicht. Sie ist ein Menschenkind, weißt du, wir müssen viiiiel Geduld mit ihr haben“, erklärte Elfie ihm.

„Das ist dein KATER???“„Darf ich vorstellen: Kalli, das ist Lucia. Lucia, das ist Kal-

li.“„Aber, das ist doch kein Kater! Das ist eine Ameise!“ Lu-

cia schüttelte sich vor Lachen.„Schnickschnack! Kalli ist MEIN Kater. Und das schon

seit Jahren! Da werd ich mir doch nicht von irgendeinem dahergelaufenen Menschenkind sagen lassen, dass das NICHT mein Kater ist!“

„Aber, ich wollte doch nur ...“ Aber Lucias Erklärungs-versuche nützten NICHTS.

„Schnickschnack!“, kam es nur zurück.

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„Jetzt pass mal auf: Das …“, sagte Lucia mit bestimmen-dem Tonfall, „… ist eine Ameise! Und dein Teppich ist ein-fach ein Rasen! Und deine Gardinien, das sind doch Blu-men, MENSCH!“ Lucia wurde langsam wütend.

Gut, vielleicht hätte sie wirklich etwas besser aufpas-sen und gucken können, aber trotz alledem hatte dieses Wesen kein Recht, sie dermaßen anzuschnauzen! Keine El-fie der Welt und auch sonst – nein, NIEMAND! – hatte das Recht dazu! Jawohl! Lucia schnaubte verächtlich aus ihren Nasenlöchern. Doch bevor sie begann, wieder zu wachsen, kam es leise und traurig, sehr zittrig, von unten: „Nein.“

„Wie?!“ Lucia verstand nicht.„Ich bin kein Mensch ...“Da fing die kleine Elfie an, zu beben und zu schluchzen

und schließlich ihren eigenen kleinen Ozean zu weinen. (Obwohl dieser für Lucia natürlich nur ein Pfützchen war.)

„Hey“, Lucia tätschelte dem kleinen Wesen die winzigen Schulterblättchen, „Elfie, wein doch nicht. Ich hab’s nicht bös gemeint. Mensch! sagt man oft bei uns, wenn man wü-tend ist, weißt du. Mensch Meier, zum Beispiel. Obwohl der Mensch, auf den man wütend ist, vielleicht gar nicht

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Meier heißt. Oder Mann! Das sagt man aber auch, wenn eine Frau vor einem steht. So ganz verstanden habe ich das auch noch nicht ... ich war eben einfach nur ...“

„Wütend?“, fragte Elfie und ein letztes Tränchen rann ihr von der Wange.

Lucia lächelte: „Ja, wütend.“ Und dann erzählte sie El-fie, warum sie so wütend war: Vor Kurzem, sie hatte gerade ihren neunten Geburtstag gefeiert mit all ihren Freunden, der Familie und – klimbamborium! – mit allem, was eben zu einem solch wunderschönen Tag gehört. Ja, sogar das tolle Elfenbuch mit den vielen bezaubernden Bildern da-rin, das sie sich schon so lange gewünscht hatte, hatte sie bekommen. Doch ausgerechnet an diesem Tag hatten ihre Eltern ihr erzählt, dass sie sich gerne eine Auszeit vonein-ander nehmen wollten. Sie würden sich schon seit Länge-rem nicht mehr allzu gut verstehen, sagten sie.

Oh, ja. Das hatte sie mitbekommen! Sie war weder blind, blöd, noch taub.

Aber Papa hatte einmal gesagt, als sie ängstlich und fra-gend auf der Treppe gestanden hatte, als sie wegen der lau-ten Stimmen ihrer Eltern mal wieder nicht hatte einschla-fen können: „Menschen streiten sich eben manchmal.“

„Ach so“, hatte sie gesagt und dann gefragt: „Und war-um streitet ihr?“

Doch die Frage hatte Papa ihr nicht beantworten kön-nen. Und DAS fand sie doof. Gerne hätte sie den beiden geholfen. In der Schule hatte sie schließlich auch schon den ein oder anderen Streit zwischen ihren Freunden schlich-ten können. Das konnte sie sehr gut.

„Man kann doch über alles in Ruhe reden“, hatte sie dann gesagt, weil ihr Papa das auch immer sagte. Und es hatte schon das ein oder andere Mal wahre Wunder be-wirkt. Aber wie zum heiligen Sepplmeier er den Zaubersatz nun selbst vergessen konnte und mit Mama NICHT in Ruhe