Luigi Gatti, Hieronymus Colloredo und die Salzburger...

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Lars E. Laubhold (RISM Arbeitsgruppe Salzburg) Luigi Gatti, Hieronymus Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ihrer Zeit * Abstract In the early modern era the trumpeters’ and kettledrummers’ art at the Salzburg court was esteemed highly amongst the courts in the Holy Roman Empire of the German Nation. Still in the 1760s Salzburg Trumpeters performed artistically on a top level. Ater prince archbishop Hieronymus Colloredo’s inauguration in 1772 conventions in the instrumentation of compositions of the »solemn« type changed remarkably and trumpets lost their exclusiveness as instruments of sa- cred and princely representation. he causes for these alterations were hardly gradual changes in aesthetic values. It is much more plausible to assume a corre- spondent ordinance issued by the archbishop himself. No evidence for such an order has been found yet, however, Colloredos well known Hirtenbrief from 1782 gives a number of hints. Comparison with important contemporary texts of cer- emonial theorists as well as with the most comprehensive source on the art of trumpet playing in the 18 th century reveals cultural interrelations, that help to understand, that (and why) Hieronymus Colloredo actively counteracted the traditional art of trumpet playing. *** Luigi Gattis Leben umschließt eine Zeitspanne, die gemeinhin als »Kri- senzeit der Trompete« 1 gesehen wird. Als Eckdaten dieser Krisenzeit gel- ten an ihrem Beginn die durch Johann Sebastian Bachs Tod markierte Jahrhundertmitte sowie an ihrem Ende die ab ca. 1815 allmählich musik- 1. Edward H. Tarr, Die Trompete. Ihre Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Schott, Mainz 2 1984, S. 98. * Dieser Beitrag entstand im Rahmen des vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschatlichen Forschung (FWF) inanzierten Projekts »Kirchenmusik am Neuen Dom zu Salzburg im Spiegel der Quellen« (P 23195).

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  • Lars E. Laubhold(RISM Arbeitsgruppe Salzburg)

    Luigi Gatti, Hieronymus Colloredound die Salzburger Trompetenmusik ihrer Zeit*

    Abstract

    In the early modern era the trumpeters’ and kettledrummers’ art at the Salzburg court was esteemed highly amongst the courts in the Holy Roman Empire of the German Nation. Still in the 1760s Salzburg Trumpeters performed artistically on a top level. Ater prince archbishop Hieronymus Colloredo’s inauguration in 1772 conventions in the instrumentation of compositions of the »solemn« type changed remarkably and trumpets lost their exclusiveness as instruments of sa-cred and princely representation. he causes for these alterations were hardly gradual changes in aesthetic values. It is much more plausible to assume a corre-spondent ordinance issued by the archbishop himself. No evidence for such an order has been found yet, however, Colloredos well known Hirtenbrief from 1782 gives a number of hints. Comparison with important contemporary texts of cer-emonial theorists as well as with the most comprehensive source on the art of trumpet playing in the 18th century reveals cultural interrelations, that help to understand, that (and why) Hieronymus Colloredo actively counteracted the traditional art of trumpet playing.

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    Luigi Gattis Leben umschließt eine Zeitspanne, die gemeinhin als »Kri-senzeit der Trompete«1 gesehen wird. Als Eckdaten dieser Krisenzeit gel-ten an ihrem Beginn die durch Johann Sebastian Bachs Tod markierte Jahrhundertmitte sowie an ihrem Ende die ab ca. 1815 allmählich musik-

    1. Edward H. Tarr, Die Trompete. Ihre Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Schott, Mainz 21984, S. 98.

    * Dieser Beitrag entstand im Rahmen des vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschatlichen Forschung (FWF) inanzierten Projekts »Kirchenmusik am Neuen Dom zu Salzburg im Spiegel der Quellen« (P 23195).

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    historisch wirksam werdende Erindung von Ventilen für Metall-blasinstrumente, die die Suche nach einem gangbaren Weg der Chroma-tisierung der zuvor weitgehend auf die Naturtonreihe beschränkten Trompeten (und Hörner) einer im Prinzip bis heute gültigen Lösung zu-führte. Die Krisenzeit deiniert sich in dieser Sichtweise durch den mit dem Niedergang der Clarinblaskunst verbundenen Verlust der Melodie-fähigkeit, der schließlich durch technologischen Fortschritt kompensiert wurde. Für den Niedergang der alten Trompeterkunst stehen sich zwei wesentliche Erklärungsmuster - je nach Sichtweise ergänzend oder kon-kurrierend - gegenüber: »Ein verändertes Klangideal«, so Detlef Alten-burg, »wies der Trompete eine untergeordnete Rolle als reiner Klangfar-benträger im Orchester des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu, welche die Clarinblastechnik überlüssig werden ließ. Der Umbruch in der Gesell-schatsordnung Europas entzog den Hotrompeterkorps ihre seit Jahr-hunderten gesicherte Stellung und machte eine weitere Plege der alten Kunst unmöglich.«2

    Wiewohl die Geschichte der Trompete im 18. Jahrhundert demnach von sozio-kulturellen und ästhetischen Aspekten geprägt ist, haben sich diese Einlussfaktoren nicht nur in unterschiedlichem Maße, sondern auch in je verschiedenen und verschieden rezipierten Quellengruppen niedergeschla-gen. Während historische Musikwissenschat ohnehin eher zur Erfor-schung ›großer‹ Komponisten und ›herausragender‹ Werke als zur Be-schätigung mit den Produkten musikalischer Alltagskultur neigt3, stellt sich der Trompetenforschung eine zusätzliche Herausforderung: Frühneu-zeitliche Trompetenmusik entspringt ihrem Wesen nach mündlicher Tra-dition, die naturgemäß kaum Spuren hinterlässt. Die bekannten Quellen

    2. Detlef Altenburg, Untersuchungen zur Geschichte der Trompete im Zeitalter der Clarin-blaskunst 1500–1800, 3 Bde., Bosse, Regensburg 1973 (Kölner Studien zur Musikwissenschat, 75), Bd. i, S. 1; vgl. auch Edward H. Tarr, Translater’s Introduction, in Essay on an Introduction to the Heroic and Musical Trumpeters’ and Kettledrummers’ Art, for the Sake of a Wider Acceptance of the Same. Described Historically, heoretically, and Practically and Illustrated with Examples by Johann Ernst Alten-burg. In Two Parts. Halle, Printed and Published by Joh. Christ. Hendel 1795, complete English translation by Edward H. Tarr, he Brass Press, Nashville 1974, S. V−X: V: »We also witness the decline of clarino playing at irst hand, learning that the primary reason for this decline was change: change in the social order, and change in musical taste.«

    3. Das gilt selbst für anwendungsorientierte Forschung im Dienste Historischer Musikpra-xis, die das Orchesterspiel erst jüngst überhaupt als eigenes Forschungsfeld wahrgenommen hat. Vgl. Kai Köpp, Handbuch historische Orchesterpraxis. Barock - Klassik - Romantik, Bärenreiter, Kassel u.a. 2009, S. 13.

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    komponierter Trompetenmusik geben daher nur einen kleinen Teil des tatsächlich musizierten Repertoires wieder - wahrscheinlich den musika-lisch interessanteren, zugleich aber wohl den für die Gesamtheit der Trom-peterei weniger repräsentativen Teil. Insbesondere das musikalische All-tagsgeschät von Trompetern und Paukern lässt sich nur ungefähr erahnen.

    Einen Ansatzpunkt zur Beurteilung dieser Alltagskultur birgt die Tat-sache, dass spätestens seit dem frühen 17. Jahrhundert die tradierten Mu-sizierweisen der zuvor schon eigenständig agierenden Trompetenensem-bles in Kompositionen integriert wurden.4 Solange Angehörige der insti-tutionell eigenständigen Trompetereien zum musikalischen Dienst her-angezogen wurden, sind auch gewisse Ligaturen zwischen der Alltagskul-tur der Trompeter und dem Komponieren für Trompeten zu vermuten. Insofern können uns manche zunächst unspektakulär erscheinende Ver-änderungen in den alltäglichen Kompositionen mit Trompeten unter Umständen genauere Auskunt über den Allgemeinzustand der Trompe-terei zu einer bestimmten Zeit geben, als es die kunstvollen Solo-Partien vermögen. Sieht man etwa bei der Betrachtung der Schreibweisen für Trompeten von den exzeptionellen Kompositionen für hohe Clarinlage ab, stellt sich der »Niedergang« der alten Trompeterkunst weit weniger dramatisch dar.

    Unter diesem Blickwinkel - und ausgiebig auf die Salzburger Situation Bezug nehmend - hat Klaus Aringer jüngst die Krise der Trompeter- und Paukerkunst in der zweiten Hälte des 18. Jahrhunderts überhaupt in Fra-ge gestellt: »Auklärung und kirchliche Reform«, so Aringer, »haben die traditionelle zeremonielle Bedeutung der Trompeten und Pauken im Gottesdienst des ausgehenden 18. Jahrhunderts zwar mancherorts einge-schränkt, aber prinzipiell doch unangetastet gelassen. Zeugnisse für den in der Literatur vielbeschworenen Niedergang der heroischen Trompe-ter- und Paukerkunst inden sich zwar in organisatorischer Hinsicht, kaum aber in musikalischer. Die Preisgabe des solistischen Clarinstils, gemeinhin als Symptom einer wie immer gearteten ›Krisenzeit‹ missver-standen, steht vielmehr im Kontext allgemeiner Veränderungen in der Musik nach 1750.«5

    4. Vgl. Manfred Hermann Schmid, Trompeterchor und Sprachvertonung bei Heinrich Schütz, »Schütz-Jahrbuch«, xiii, 1991, S. 28-55.

    5. Klaus Aringer, Zeremonielle, liturgische und musikalische Funktionen der Trompeten und Pauken in der Kirchenmusik der zweiten Hälte des 18. Jahrhunderts, in Mozart und die geistliche Musik in Süddeutschland. Die Kirchenwerke von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart im Spannungsfeld

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    Veränderungen der instrumententypischen Stilistik ereigneten sich auch an Orten und zu Zeiten, da die herkömmlichen Organisationsstruk-turen der Trompetereien noch weitgehend intakt waren. Ob aber die be-obachteten kompositorischen Veränderungen vorrangig einem allgemei-nen Geschmackswandel geschuldet sind, oder ob sie nicht doch zualler-erst Ausdruck gesellschatlichen Wandels sind, lässt sich meines Erach-tens mithilfe ausschließlich musikalischer Quellen gar nicht erörtern und ist jedenfalls zunächst für ganz konkrete historische Einzelfälle zu prüfen. Im Folgenden soll daher überwiegend anhand des Repertoires der Salz-burger Dommusik eine Reihe markanter Änderungen der kompositori-schen Einbindung von Trompeten und Pauken dargestellt und im Kon-text der Reformtätigkeit Hieronymus Colloredos einer kulturhistorischen Einordnung zugeführt werden.

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    Die Anstellung von Trompetern am Hof von Salzburg lässt sich seit dem späten Mittelalter nachweisen.6 Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts dürten Trompeter »stärker als andere Hofangestellte in das repräsentati-ve Gebaren des Hofs eingebunden gewesen«7 sein. An der Etablierung einer exklusiven, vornehmlich auf die Bedürfnisse adeliger Repräsentati-onskultur ausgerichteten und vom jeweiligen Kaiser reichsweit privile-gierten Trompeter- und Paukerkunst hatten auch die Salzburger Hotrom-peter einigen Anteil; der unter Wolf-Dietrich von Raitenau (1559−1617) tätige »Adam Schrofenawer«8 gehörte zu den Initiatoren des 1623 von

    zwischen klösterlicher Musiktradition und auklärerischem Staatskirchentum, hrsg. v. Friedrich Wil-helm Riedel, Studio-Verlag, o. O. [Druck: Bad Langensalza] 2010 (Kirchenmusikalische Studien, 12), S. 195-207: 207.

    6. Grundlegend zu den Anfängen der Trompeterei in Salzburg vgl. Hermann Spies, Die Tonkunst in Salzburg in der Regierungszeit des Fürsten und Erzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau (1587−1612) [1.  Teil], »Mitteilungen der Gesellschat für Salzburger Landeskunde«, lxxii, 1931, S. 1−64, bes. 33-6 sowie Lars E. Laubhold, Die Trompeter- und Paukerkunst zur Zeit Wolf Dietrichs, in Strategien der Macht. Hof und Residenz in Salzburg um 1600 − Architektur, Repräsentation und Verwal-tung unter Wolf Dietrich von Raitenau. 1587 bis 1611/12, hrsg. v. Gerhard Ammerer − Ingonda Han-nesschläger, Gesellschat für Salzburger Landeskunde, Salzburg 2011 (Mitteilungen der Gesell-schat für Salzburger Landeskunde, 28. Ergänzungsband), S. 577−88.

    7. Laubhold, Die Trompeter- und Paukerkunst zur Zeit Wolf Dietrichs, S. 580 f.8. Conirmatio vber. 13. von Irer Matt. [etc.] vnd der ijetzt alhie anwesenden Chur: vnd Fursten Hof.

    und Veldt Tromettern auch Horpaugger vbergebene Articul, Faksimilenachdruck in Altenburg, Unter-suchungen zur Geschichte der Trompete, Bd. ii, S. 47–55: 48.

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    Kaiser Ferdinand ii. (1578−1637) ausgestellten Trompeterprivilegs. Mögli-cherweise den gleichen »Adam« hatte sich Ferdinand von Bayern 1571 leihweise vom Salzburger Hof erbeten, »weil er keinen tauglicheren Pau-ker als ›des Obertrommetters Leonhard (Schrofenauer) Sohn Adam wisse‹.«9

    Bis ins 18. Jahrhundert hinein konnte der Salzburger Hof sich die Stel-lung als eine der führenden Plegestätten der Trompeter- und Pauker-kunst erwerben, zahlreiche Salzburger Musikalien vor allem der ersten Hälte des 18. Jahrhunderts legen davon Zeugnis ab. Den Anfang vom Ende dieser großen Tradition hatte die Salzburger Kameradschat 1757 bereits hinter sich, als es Leopold Mozart (wohl weil es von der bis dahin gültigen Norm abwich) für erwähnenswert hielt, dass »[…] kein Trompe-ter noch Pauker in die Hochfurstl. Dienste genommen [wird], der nicht eine gute Violin spielet«10. Gleichwohl befand sich die Kunst noch min-destens bis in die späten 1760er Jahre11 auf höchstem Niveau: Zwei für den Salzburger Hof geschafene orchesterbegleitete Satzpaare für Clarino solo von Michael Haydn (MH 60 aus dem Jahr 1763 und MH 104 von 1765/6812), die heute gemeinhin als M. Haydns »Trompetenkonzerte« rezipiert wer-den, gehören zum technisch Anspruchsvollsten, was je für die Natur-trompete komponiert wurde.13 Die Kunde vom hohen Stand der Salzbur-

    9. Spies, Die Tonkunst in Salzburg [1. Teil, 1931], S. 36.10. [Leopold Mozart], Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Musik Sr. Hochfürstli-

    chen Gnaden des Erzbischofs zu Salzburg, »Historisch-Kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik«, iii, hrsg. v. Friedrich Wilhelm Marpurg, Berlin 1757, Nachdruck: Olms, Hildesheim – New York 1970, S. 183–98: 197.

    11. Manfred Hermann Schmid, Mozart und die Salzburger Tradition, Schneider, Tutzing 1976, S. 258 gibt unter Verweis auf eine anspruchsvolle Solopartie im Ambitus von zwei Oktaven mit Sechzehntelläufen und Trillern in M. Haydns Josephsmesse (MH 16) das Datum »Anfang der 1770er Jahre« an. Dabei ging er von A. M. Klafskys wohl vom Kremsmünsterer Material (A-KR, A.3.16) abgeleiteter Datierung »1771« aus, die heute nicht mehr zu halten ist. Charles H. Sher-man - T. Donley Thomas, Johann Michael Haydn (1737-1806). A Chronological hematic Catalogue of his Works, Pendragon Press, Stuyvesant NY 1993, S. 8 datieren »Vienna? c. 1758-1760«. Das Mate-rial der Dommusik (Archiv der Erzdiözese Salzburg (AES), A-Sd, A 439) enthält Ripienstimmen des Hokopisten J. J. Rott und kann daher nicht nach dessen Todesjahr 1766 entstanden sein.

    12. Vgl. Sherman - Thomas, Johann Michael Haydn. hematic Catalogue, S. 22 u. 38.13. Während das erste der beiden Konzerte mit einem klingenden a’’’ vom Bläser »Weltre-

    kordhöhe« verlangt, gilt das zweite Konzert als »das virtuoseste Werk, das wir kennen«. Tarr, Die Trompete, S. 101; ausführlicher zu diesen Werken: Klaus Aringer, Clarinpartien im Werk Michael Haydns und seiner Zeitgenossen, in Zur Geschichte von Cornetto und Clarine. Symposium im Rahmen der 25. Tage Alter Musik in Herne 2000, hrsg. v. der Stadt Herne, red. v. Christian Ahrens − Gregor Klinke, Katzbichler, München − Salzburg 2001, S. 122−37, bes. 132-6.

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    ger Trompeterei wurde mit Christian Friedrich Daniel Schubarts Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst noch im frühen 19. Jahrhundert verbreitet: »Die Salzburger glänzen sonderlich in blasenden Instrumenten. Man indet daselbst die trelichsten Trompeter und Waldhornisten […]«14

    Abbildung 1: Melchior Küsel, Innenansicht des Salzburger Doms, Kupferradie-rung um 1675 (Detail).

    Die hohe Spitze virtuosen Könnens hatte sich in Salzburg auf einer breiten Basis entwickelt: Bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts waren am Hof beständig mindestens zehn Trompeter und zwei Pauker ange-stellt - eine Zahl, die die Erfordernisse komponierter Trompetenmusiken bei weitem übersteigt. In der Domliturgie waren die Trompeten und Pau-ken den sogenannten Festa Pallii vorbehalten (benannt nach einem meist ringförmigen, von Metropoliten als Amtszeichen über dem Messgewand

    14. Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, hrsg. v. Ludwig Schubart, Degen, Wien 1806, S. 158.

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    getragenen Stoband, dem Pallium).15 Sie bildeten damit ein äußerliches Kennzeichen des vom Erzbischof selbst zelebrierten Hochamtes. Nach der Chorordnung des Hokapellmeisters Karl Heinrich Biber (1681-1749) aus dem Jahr 1746 wurde zu diesen Festa Pallii die Musik im Salzburger Dom mit der größten regelmäßig eingesetzten Besetzung inklusive zweier Trompeterchöre versehen16, so wie es schon der 70 Jahre ältere Kupfer-stich Melchior Küsels zeigt (Abbildung 1). Bei den nächst geringeren Fes-ten, den Festa Praepositi et Decani (zelebriert von Domprobst oder Domde-kan), kam »Eben die obermelte Zahl deren Violinisten, ohne Trompeten und Pauken«17 zum Einsatz. Allerdings enthalten die Bestände des Dom-musikarchivs lediglich eine einzige Komposition, in der zwei vierstimmi-ge Trompetenchöre mit Pauken Verwendung inden.18 Wenn an Festa Pallii dennoch regelmäßig solche Pracht aufgeboten wurde, so kann man vermuten, dass hier noch immer die für die Trompetenensembles der Frühen Neuzeit typische Improvisationspraxis geplegt wurde. Eines der seltenen Dokumente, die relativ konkrete Hinweise auf eine solche Praxis liefern, ist das 1729 entstandene Material zur Ostersequenz »Victimae pa-schali laudes« (HocB A/6/02)19 von Matthias Siegmund Biechteler (ca. 1668−1743), bei dem die Einsätze für das vermutlich improvisierende Trompetenensemble in allen Stimmen lediglich durch die Bemerkung »Trombetti« gekennzeichnet wurde (Abbildung 2).

    15. Grundlegend zur Salzburger Chorordnung vgl. Walter Senn, Beiträge zur Mozartfor-schung. Das angebliche Fugenverbot des Fürsterzbischofs von Salzburg Hieronimus Graf Coloredo. Chorord-nung für den Dom zu Salzburg im 18. Jahrhundert. Zur Missa longa KV 262 (246a) von W. A. Mozart, »Acta Musicologica«, xlviii, 1976, S. 205−27: bes. 205-19.

    16. Vgl. Ernst Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle von 1700−1806. Organisation und Perso-nal, Universität Salzburg (Phil. Diss.) 1972, S. XIII.

    17. Ebd.18. Ex C dur. / Sonata à 11. / 2 Violini / 8 Trombe / 2 par di Timpani. / Organo / Violoncello e Violone.

    / da Carlo Henrico di Bibern / Maestro di Capella di S. A. Eccl:sa Rma / di Salisburgo. A. 1744. A-Sd, A 783.19. A-Sd, A 93; vgl. Thomas Hochradner, Matthias Siegmund Biechteler (~ 1668−1743). Leben

    und Werk eines Salzburger Hokapellmeisters. Studien zur Salzburger Musikgeschichte in der ersten Hälte des 18. Jahrhunderts, 3 Teile, Universität Salzburg (Phil. Diss.) 1991, Teil i, S. 288, Teil ii, S. 104−6.

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    Abbildung 2: M. S. Biechteler, »Victimae paschali laudes« (1729), A-Sd, A 93, Sop-ran 2, S. 2. (Foto: Peter Rohrmoser): In das doppelchörige, abgesehen von der Ge-neralbassgruppe rein vokale Werk sind vier Strophen des deutschen Kirchenliedes »Christ ist erstanden« eingebunden, indem im Stimmenmaterial an den entspre-chenden Stellen der Liedtext notiert wurde. Jeder dieser für den Volksgesang be-stimmten Strophen folgt in den Stimmen die Bemerkung »Trombetti«, durch die ein nicht näher bestimmtes Trompetenstück anzeigt wird.

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    Die Beeinlussung des komponierten vierstimmigen Trompetensatzes durch die traditionelle Improvisationspraxis ist vor allem in Kompositio-nen der ersten Hälte des 18. Jahrhunderts noch gut kenntlich, in denen über einem tief gesetzten Paar Trombe, zwei von diesen rhythmisch un-abhängig geführte konzertierende Clarini meist in Terzen zueinander ge-setzt sind. Nach der Jahrhundertmitte wird dieser Schreibstil allmählich aufgegeben. »In den meisten späteren Kompositionen […] erscheinen die Clarinpartien den beiden Trombe-Partien rhythmisch weitgehend ange-glichen. Die Clarini behalten in der Ensemblefunktion zwar die Position eines höher gelagerten und punktuell auch beweglicheren Trompeten-paars, verlieren aber den Rang von melodisch thematisch geführten Stimmen.«20 Während nun auch die Clarin-Partien im musikalischen Ganzen zunehmend zu bloßen Farbgebern werden, unterliegen sie mit der weiteren Koppelung an das Trombe-Paar nach wie vor engeren har-monischen Einschränkungen als ohne diese.21 Als einziger Vorzug dieser strukturell ungünstigen Konstellation scheint nur eine - aus moderner Sicht - außermusikalische ›Kompensation‹ in Frage zu kommen: Die In-tegrität des Trompetenchors als eigenständiges Ensemble, wie es in einer Residenzstadt mit einiger Regelmäßigkeit im öfentlichen Raum präsent gewesen sein muss, bleibt auch in komponierter Musik erhalten. Erst die in der musikalischen Klassik zum Standard gewordene Reduktion auf ein Trompetenpaar (wobei überdies »[d]urch die Einbeziehung der Prinzi-pallage zwischen 4. und 8. Naturton […] eine völlig neue, gemischte Hauptlage des orchestralen Trompetenspiels im Bereich der Naturtöne 4-12 [entsteht]«22) schneidet die Verbindung zum eigenständigen Trom-petenchor ab und ›degradiert‹ Trompeten zu einem unter verschiedenen anderen ebenfalls paarweise autretenden Blasinstrumenten. Sie können in dieser Konstellation semantisch auf das Hotrompetercorps verweisen, sie sind es aber nicht mehr. Der entscheidende Schritt zu dieser aus musi-kalischer Sicht längst überfälligen Gleichstellung der Trompeten wurde in Salzburg - wie es scheint, mit größter Konsequenz - unter Erzbischof Hieronymus Colloredo gesetzt. Ein Vergleich von vor respektive nach Colloredos Amtsantritt entstandenen Kompositionen mag das veran-schaulichen.

    20. Aringer, Clarinpartien im Werk Michael Haydns und seiner Zeitgenossen, S. 127 f.21. Ebd. S. 128.22. Ebd. S. 129.

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    In den im Salzburger Dommusikarchiv überlieferten Messen des lang-jährigen Hokapellmeisters Johann Ernst Eberlin (1702-1762), kommt acht mal der kleine Trompetenchor aus zwei Clarini vor, zehn23 mal der große vierstimmige. Trompetenstimmung ist für gewöhnlich C, lediglich einmal werden Trompeten in B verlangt. In Kombination mit anderen, über die Basisbesetzung hinausgehenden Blasinstrumenten kommt nur der große Trompetenchor einmal mit Oboen und ein weiteres mal mit Oboen und Flöten vor (eine Besetzungskonvention, die grosso modo auf Eberlins gesamtes Schafen zutrefen dürte24). Die Kombination mit Hör-nern kommt nicht vor.25 Diesen 18 Kompositionen entsprechen jene 18 Messen Eberlins, die im Catalogus musicalis in Ecclesia Metropolitana, dem ältesten erhaltenen Bestandskatalog der Dommusik, als Missae solemnis geführt sind.26 Der liturgische Festrang drückt sich eindeutig und nahezu exklusiv im Trompeteneinsatz aus.

    Anders verhält es sich mit den Werken Luigi Gattis. Der traditionelle vierstimmige Trompetensatz kommt in den im Dommusikarchiv aube-wahrten Werken Gattis nicht mehr vor. Die Bezeichnungen »Clarino« und »Tromba« werden synonym verwendet.27 Bei insgesamt 20 solennen Messen wird in 18 Fällen das Trompetenpaar durch weitere Blasinstru-

    23. Aringer, Clarinpartien im Werk Michael Haydns und seiner Zeitgenossen, S. 125 nennt unter Berufung auf Heinz Josef Herbort, Die Messen des Johann Ernst Eberlin, Kramer, Universität Münster (Phil. Diss.) 1961 nur neun.

    24. »Bei Eberlin gibt es sowohl einfache wie doppelte Trompetenbesetzung, weitere Bläser-paare aber treten nur in Einzelfällen auf.« Schmid, Mozart und die Salzburger Tradition, S. 256 mit Verweis auf Herbort, Die Messen des Johann Ernst Eberlin, S. 269.

    25. Das Material zu einer Messe in D (A-Sd, A 270a) beinhaltet Stimmen für ein Hörner-paar, die jedoch von einem unbekannten, nicht zum engeren Zirkel der für die Dommusik tätigen Kopisten gehörigen Schreiber stammen. Das gleiche Material trägt auf dem von anderer Hand verfassten Titel die Besetzungsangabe »Klarini«.

    26. Vgl. Catalogus Musicalis in Eclesia Metropolitana (Exemplar »Gatti«), S. 32-4. AES, ohne Signatur. Die Einträge zu diesen 18 Messen wurden mit nur einer Ausnahme vom Hokopisten Joseph Richard Estlinger (1720-1791) vorgenommen und gehören damit zur ältesten Schicht des Catalogus musicalis. Zur Geschichte der Bestandskataloge vgl. Lars E. Laubhold - Eva Neumayr, Der Catalogus Musicalis des Salzburger Doms. Anmerkungen zur systematischen Erschließung einer prob-lematischen Quelle, in Jahrbuch des RISM Österreich 2010, hrsg. v. Michael Jahn − Klaus Peter-mayr, Der Apfel, Wien 2010 (Veröfentlichungen des rism-österreich, Reihe A, 14), S. 25−48 sowie Lars E. Laubhold - Eva Neumayr, Luigi Gatti and the Catalogus Musicalis in Ecclesia Metropo-litana of the Salzburg Cathedral, in Proceedings of the Luigi-Gatti-Symposium. Mantua 2010, hrsg.  v. Alessandro Lattanzi, Libreria Musicale Italiana, Lucca [im Druck].

    27. Eine Missa Brevis (A-Sd, A 615) wurde ofenbar aus den ursprünglich separaten Sätzen »Kyrie«, »Gloria«, »Credo« bzw. »Sanctus« u. »Agnus« zusammengestellt. Die Trompetenstim-men des einen Teils sind mit »Clarino« überschrieben, jene des anderen Teils (nur »Agnus«) mit

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    mente ergänzt. Trompeten als alleinige Beifügung zum Streichensemble kommen in den Messen also nur zweimal vor; im gesamten Werk nur zwölfmal. Lediglich drei dieser Werke sind im Catalogus musicalis explizit als »solenn« ausgewiesen. Bei den mit größerer, über das Trompetenpaar hinausgehender Bläserbesetzung ausgestatteten Werken geschieht die Kennzeichnung des besonderen Festranges dagegen regelmäßig, bei den Messen fast ausnahmslos.

    Die ehemals exklusive Stellung der Trompeten ist durch vielfältige Kombination mit anderen Instrumenten gebrochen. Unter 69 mit Trompeten besetzten Werken werden selbige in 17 Fällen mit einem wei-teren Bläserpaar, meistens mit Oboen eingesetzt. In 27 Fällen sind drei Bläserpaare besetzt und in 13 Fällen ist das Doppelquartett aus Oboen, Trompeten, Hörnern und Fagotten komplett. Der bei Eberlin noch ganz eindeutige Zusammenhang von solennem Festrang und Trompetenge-brauch ist bei Gatti also deutlich relativiert. Festlich wird eine Kompo-sition nun ganz allgemein durch Blasinstrumente, nicht mehr exklusiv durch Trompeten. Dem entspricht die Formulierung in einer von Gatti selbst niedergeschriebenen Liste der nach ihrem liturgischen Rang ge-ordneten Feste für das ganze Jahr. In einem »Notandum« zu diesem Ordo Festivitatum et Functionum ist festgehalten, dass »In Fest[is] Pallij I:ae et 2.dae Classis, musica plena cum tota orchestra« vorgesehen, Musik für geringere Feste hingegen »exceptis Clarinis, Hobois et Cornibus«28 aus-zuführen war (Abbildung 3).

    Dazu kommt, dass in Gattis Werken die Trompetenstimmungen von C und B in beide Richtungen auf D und A ausgedehnt werden und die Inst-rumente außer in den gebräuchlichen Tonarten C-Dur (30 x) und B-Dur (16 x) nun auch in D-Dur (6 x), Es-Dur (4 x), F-Dur (4 x), G-Dur (2 x), A-Dur (2 x), c-Moll (2 x) und in einem einzelnen Satz auch in d-Moll Verwendung inden. Die Einstimmung der Trompeten in einer anderen als der Grundtonart ist jedoch keine Verlegenheitslösung: Neben den Stimmungen B in Es-Dur sowie C in F-Dur und G-Dur verlangt Gatti in

    »Tromba«. Ebenso sind in einer Psalmensammlung (A-Sd, A 688) Clarin-Stimmen für das »Bea-tus vir« und Trombe-Stimmen für das »Laudate pueri« enthalten.

    28. Ordo Festivitatum et Functionum in hac Metropolitana Ecclesia Salisburg[e]nsi. Salzburger Lan-desarchiv, Reg. IX/185, fol. 76r-77v: 77v; Edition des Ordo bei Senn, Beiträge zur Mozartforschung, S. 212 f., das »Notandum« separat S. 216; Vollständiges Faksimile im Anhang zu Ernst Hinter-maier − Lars E. Laubhold − Eva Neumayr, Luigi (Maria Baldassare) Gatti (1740−1817). Salzburgs letzter Hokapellmeister im vorliegenden Band.

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    Einzelfällen auch A in D-Dur und D in A-Dur. Im Allgemeinen besetzt Gatti in diesen Fällen Hörner in der Stimmung der Grundtonart. Die Technik, den Tonraum der Blechbläser durch sich ergänzende Stimmun-gen auszuweiten, war in Salzburg von den Mozarts bereits vereinzelt an-gewendet worden ohne aber allgemeine Verbreitung zu inden.29 Michael Haydn dürte das Verfahren erst unter dem Eindruck der Werke Gattis gelegentlich aufgegrifen haben. Gatti, der bezüglich dieser Art ›Musikali-sierung‹ des Trompetengebrauchs der innovativste Musiker am Salzbur-ger Hof war, führte einander ergänzende Stimmungen von Hörnern und Trompeten spätestens 1784 ein.30 Hinsichtlich der Bedeutung für die litur-gische Festrangordnung am eklatantesten zeigt sich das neue Selbstver-ständnis des Bläsereinsatzes jedoch in jenen elf Fällen, in denen Kompo-sitionen im Catalogus musicalis als »solenn« ausgewiesen sind, obwohl in ihnen überhaupt keine Trompeten zum Einsatz kommen.31

    29. Schmid, Mozart und die Salzburger Tradition, S. 257.30. Datierung auf dem Umschlagtitel des Ofertorium »Laetentur coeli« in F-Dur (A-Sd,

    A 642) mit Trombe in C und Corni in F.31. Es handelt sich um sieben Gradualien (MH 350, 365, 374, 379, 382, 383 u. 385), zwei Lita-

    neien (MH 66 u. 228) und eine Sequenz (MH 366) von Michael Haydn sowie um Luigi Gattis Of-fertorium in F »Inveni David« (A-Sd, A 650). Vgl. Laubhold - Neumayr, Luigi Gatti and the Ca-talogus Musicalis [im Druck].

    Abbildung 3: »Notandum« zu Luigi Gatti, Ordo Festivitatum et Functionum (ver-mutl. um 1782/83), SLA, Reg. IX/185, fol. 76r-77v: 77v.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    Die Salzburger Messen von Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Haydn

    (* mit einfachem Trompetenchor; ** mit grossem Trompetenchor; + mit Hörnern)

    Jahr W. A. Mozart Tonart Michael Haydn Tonart

    1768 MH 109 C

    1768 MH 111 ** C

    1768 MH 112 * C

    1769 KV 65 d

    1769 KV 66 **+ C

    1770 ? KV 140 G

    1770 ? MH 119 ** C

    1771 MH 154 *[*] C

    1771 MH 155 ** c

    1772 MH 182 ** C

    1773 KV 167 ** C

    1774 KV 192 (*) F

    1774 KV 194 D

    1775/76 KV 220 * C

    1776 MH 229 ** C

    1775 ? KV 262 *+ C

    1775/76 ? KV 257 * C

    1775/76 ? KV 258 * C

    1775/76 ? KV 259 * C

    1777 KV 275 B MH 254 C

    1777 MH 257 B

    1779 KV 317 *+ C

    1780 KV 337 * C

    1782 MH 322 *+ C

    1786 MH 419 * C

    1794 MH 551 F

    1794 MH 553 d

    Tabelle 1: Die Salzburger Messen von W. A. Mozart und Michael Haydn.32

    32. Nach Manfred Hermann Schmid - Petrus Eder, Leopold Mozart – Wolfgang Amadeus Mozart – Michael Haydn, in Salzburger Musikgeschichte. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, hrsg. v.

  • ∙ Lars E. Laubhold ∙

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    An den Messen W. A. Mozarts und Michael Haydns lässt sich exemp-larisch anhand des Verschwindens des traditionellen vierstimmigen Trompetenchores zeigen, wann der hier angedeutete Umbruch einsetzte. Eine von Manfred Hermann Schmid und Petrus Eder zusammengestellte Übersicht der Salzburger Messen dieser Komponisten (Tabelle  1) zeigt 1776 die letzte Komposition mit dem großen Trompetenchor. Auch Klaus Aringer wies mehrfach auf diesen Umstand hin33 und vermutete »eine (freilich nicht belegbare) Direktive Fürsterzbischof Colloredos«34 als Grund dafür, dass »[…] der groß besetzte Trompetenchor augenschein-lich nach 1776 weitgehend [verschwand]«35. Anlass für Aringers vorsich-tige Formulierung, die das Autreten gelegentlicher Ausnahmen von der neuen Besetzungskonvention einkalkuliert, ist eine später entstandene Komposition des letzten Salzburger Hokapellmeisters: »Zu besonderen Anlässen«, so Aringer, »indet man den vierstimmigen Trompetenchor gleichwohl auch noch später, wie das am 14. Juni 1808 in der Salzburger Universitätskirche musizierte Requiem Luigi Gattis zeigt«36.

    Tatsächlich sind in einem Satz des Werkes (GehG 217.1) - zumindest in einem Teil der überlieferten Quellen37 - vier Trompeten verlangt. Um ein Fortbestehen des großen Trompetenchores handelt es sich gleichwohl nicht. Für den größten Teil der Komposition verwendet Gatti lediglich zwei Trombe, für die übrigens lediglich im ersten Satz »Requiem« die gleiche Stimmung wie für die Hörner verlangt wird, die ansonsten aber stets in anderer Grundstimmung als die Hörner geführt sind. Im »Domi-ne« (Es-Dur) stehen die Trompeten im Quintverhältnis (B) zur Grund-tonart und in den Sätzen in g/G verzichtet Gatti ganz auf ihre Mitwirkung (Tabelle 2). Lediglich in einer Version des »Dies irae« verlangt Gatti vier Trompeten, die jedoch nicht nach den Regeln des traditionellen Satzes geführt sind. Tromba 1 bis 3 (im Übrigen vom tiefen Register beginnend nummeriert) sind in C gestimmt, Tromba 4 dagegen in Es. Das erlaubt

    Jürg Stenzl − Ernst Hintermaier − Gerhard Walterskirchen, Pustet, Salzburg 2005, S. 255-331: 267.

    33. Aringer, Clarinpartien im Werk Michael Haydns und seiner Zeitgenossen, S. 125; Aringer, Funktionen der Trompeten und Pauken in der Kirchenmusik, S. 203.

    34. Ebd.35. Ebd.36. Ebd., Anm. 27 mit Verweis auf Monika Gehmacher, Luigi Gatti. Sein Leben und seine

    Oratorien. Mit thematischem Katalog des Gesamtschafens, Universität Wien (Phil. Diss.) 1959, S. 217.37. Zu Gattis Requiem und dessen Quellenüberlieferung vgl. Eva Neumayr, Die Requiem-

    kompositionen Luigi Gattis (1740–1817) im vorliegenden Band.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    Gatti, die Trompeten des Jüngsten Gerichts nicht nur im Kontext von c-Moll agieren, sondern die Moll-Tonalität tatsächlich mit tragen zu lassen. Gelegentlich ist Tromba 1 (also der tiefsten Trompete) ein h abverlangt – ein Ton, der in der Naturtonreihe nicht vorrätig und daher gänzlich un-üblich in der traditionellen Idiomatik ist (wenngleich er, zumal als Halte-ton, von einem geübten Bläser relativ problemlos durch »Fallenlassen« des c’ bewältigt werden kann). Stimmung, Satzart und Terminologie der vier Trompetenparts im »Dies irae« von Gattis spätem Requiem stehen also dem traditionellen Trompetensatz denkbar fern. Das Werk, das im Übrigen erst sieben Jahre nach Colloredos luchtartigem Weggang von Salzburg und zwei Jahre nach Aulösung des Hofes nachzuweisen ist, gibt mithin ein schlechtes Beispiel für eine Ausnahme von der angenomme-nen Regel.

    Satz Tonart Trompeten in Hörner in

    Requiem C-Dur C C

    Dies irae c-Moll C/Es F

    Liber scriptus (B-Dur-Mittelteil) F-Dur B Es

    Confutatis d-Moll D F

    Lacrimosa c-Moll C F

    Domine Es-Dur B Es

    Hostias g-Moll - -

    Sanctus c-Moll C Es

    Benedictus g-Moll - G

    Agnus Dei (Adagietto) G-Dur - G

    Agnus Dei (Vivace) C-Dur C G

    Tabelle 2: Grundstimmung der Trompeten und Hörner in Gattis Requiem von 1807/08.38 Der Ambitus reicht bei beiden Trombe von Naturton 3-10, ausnahms-weise (in der B-Stimmung) auch bis Naturton 12.

    Wenn unter den von Aringer in Anschlag gebrachten »besonderen An-lässen« je einer gewesen ist, der eine Wiederbelebung des traditionellen vierstimmigen Trompetensatzes gerechtfertigt hätte, so ist dies die aus-giebig zelebrierte Feier des 1200-Jahr-Jubiläums des Erzstites Salzburg im Spätsommer 1782. Die Kompositionen dafür, darunter je eine Ruper-

    38. Nach A-KR, E 6/121.

  • ∙ Lars E. Laubhold ∙

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    tusmesse von Michael Haydn (MH  322) und Luigi Gatti (GehG 213.25), kommen sämtlich mit einem Trompetenpaar aus.

    Zu hinterfragen ist auch das für die Aufgabe des großen Trompeten-chores genannte Datum 1776. Während Haydns Messe MH 229 in min-destens zwei Salzburger Stimmabschriten mit großem Trompetenchor überliefert ist39, enthält ausgerechnet die Abschrit im Dommusikarchiv (A-Sd, A  443) nur zwei Clarin-, aber keine Trombestimmen. Dem ur-sprünglichen Auführungskontext nach handelt es sich auch nicht um eine »Salzburger« Messe, sondern um die für Abt Amandus Schickmayr von Stit Lambach komponierte Missa Sancti Amandi, die sogenannte Lam-bacher Messe. Damit wäre Mozarts Trinitatismesse KV 167 von 1773 die letz-te Salzburger Messe mit großem Trompetenchor. Im Bestand des Dom-musikarchivs ist diese Messe jedoch nicht enthalten und sie scheint auch in den alten Bestandskatalogen nicht auf. Die als Quelle B für die Edition der Neuen Mozart-Ausgabe herangezogene, auf »Ende des 18. Jh.«40 datierte Salzburger Stimmenabschrit überliefert ebenfalls nur die Clarinstimmen. Somit ist Haydns Nepomukmesse MH  182 die letzte von der Dommusik verwendete Messe mit großem Trompetenchor. Sie entstand 1772, weni-ge Wochen nach Colloredos Regierungsantritt. Vorgesehen war sie wohl für die Nepomukkapelle in Schloss Mirabell41, kaum aber für den Dom, wo das Nepomukfest nach einer Aufwertung um die Mitte des 18. Jahrhunderts als Festum Praepositi et Decani, aber nie als Festum Pallii ge-feiert wurde.

    Für die meisten Werke anderer in dieser Zeit am Salzburger Hof wir-kender Komponisten fehlen sichere Datierungen. Für die hier untersuch-te Fragestellung aufschlussreich sind lediglich zwei Werke des seinerzeiti-gen Hokapellmeisters Giuseppe Lolli (1701-1778). Dessen letzte auf dem Umschlagtitel datierte Komposition mit großem Trompetenchor, das Ofertorium »Conirma hoc Deus« (A-Sd, A 733), trägt auf dem Titel die Jahreszahl 1772 sowie den Zusatz: »[…] Sub Trono canendum terminato Te Deum & prò die Electionis […]« und war demnach ofenbar für den Wahltag des neuen Erzbischofs bestimmt.

    39. A-Ssp, Hay 385.1; I-Fc, F.P.Ch. 306.40. Walter Senn, Kritischer Bericht zu Wolfgang Amadeus Mozart […] Messen, Band 2, Bären-

    reiter, Kassel u.a. 1978 (Wolfgnag Amadeus Mozart. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, I/1/1/2), S. b/7.

    41. Schmid - Eder, Leopold Mozart - Wolfgang Amadeus Mozart - Michael Haydn, S. 265 f.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    Undatiert ist dagegen ein mit großem Trompetenchor besetztes »Veni creator spiritus« (A-Sd, A 739), auf dessen originalem Umschlagtitel sich von unbekannter Hand die Bemerkung: »N. B. pro Electione [Archiepi-scopi42]« indet. Demnach war auch dieses Werk für die Wahl des neuen Erzbischofs bestimmt und ist mithin ebenfalls in das Jahr 1772 zu datie-ren. Danach lässt sich im Bestand des Dommusikarchivs der große Trom-petenchor nicht mehr nachweisen.

    Während also im funktionalen Kontext der Musik das Jahr 1776 als Stichdatum an Bedeutung verliert, erhält die von Klaus Aringer vertrete-ne hese, dass der Verzicht auf den großen Trompetenchor von Collore-do selbst angeordnet wurde, durch die sich immer deutlicher abzeichnen-de zeitliche Korrelation mit dessen Regierungsantritt weitere Nahrung. homas Hochradner hat darauf hingewiesen, dass bereits sechs Wochen nach der am 14. März 1772 erfolgten Wahl Colloredos bei dessen Einzug als Erzbischof am 29. April vom tradierten Zeremoniell abgegangen wur-de und die Zahl der beteiligten Trompeter und Pauker gegenüber den Einzügen früherer Fürsterzbischöfe deutlich reduziert war, während der übrigen Musik ein bedeutender Anteil an den Feierlichkeiten beikam.43 Kein anderer als Colloredo selbst kann eine solche Anordnung, die ofen-bar ganz konkret den Einsatz der Trompeterei betraf, getrofen haben. Nicht minder plausibel erscheint daher die Annahme einer ähnlich kon-kreten Anweisung in Bezug auf die Verwendung von Trompeten in der Domliturgie.

    Ein weiteres, wenngleich vages, Indiz für eine fürsterzbischöliche In-tervention liefert schließlich die Eintragung eines Musikers in ein Auf-führungsmaterial am Dom: In der Tenorposaunenstimme einer 1744 von Giuseppe Lolli komponierten aber noch Anfang der 1770er Jahre im Dom verwendeten Litanei mit großem Trompetenchor (A-Sd, A  746) indet sich von einem wie üblich aus den Reihen der »hurner« (=Türmer) bei-gezogenen Posaunisten die Bleistiteintragung: »den 29. Marci 1772 Ma-thias Amritsch das letzte Mahl [!] geblas[en]«. Dass dieser Mathias Am-

    42. Ein zunächst kryptisch erscheinendes Zeichen lässt sich als verkürzte Schreibweise der im Spätmittelalter gebräuchlichen Abbreviatur für »Archiepiscopi« identiizieren. Vgl. Adriano Cappelli, Lexicon Abbreviaturarum. Dizionario di abbreviature latine ed italiane, Hoepli, Mailand 61967, S. 11.

    43. Thomas Hochradner, Repräsentanz und Emblematik. Trompeten und Pauken zu den Ein-zügen der Fürsterzbischöfe von Salzburg, in Kongressbericht Banská Bystrica 1998, hrsg. v. Armin Sup-pan, Schneider, Tutzing 2000 (Alta Musica, 22), S. 195−218: 206.

  • ∙ Lars E. Laubhold ∙

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    ritsch damit lediglich seiner letztmaligen Mitwirkung in der Dommusik Ausdruck verliehen habe ist bei jetziger Quellenlage nicht vollständig auszuschließen, erscheint aber insofern unwahrscheinlich, als selbiger zu einem unbekannten Zeitpunkt (aber frühestens zwei Wochen zuvor) in der Posaunenstimme zu Lollis bereits erwähntem »Veni creator spiritus« (A-Sd, A 739) vermerkte: »Mathias Amritsch daß erste Mal geblasen«. So-fern sich Amritsch je zu einem späteren Zeitpunkt als Musiker in der Domliturgie nachweisen ließe, wäre die Eintragung im Material zur Lita-nei dahingehend zu deuten, dass im März 1772 an die Musiker die Nach-richt ergangen ist, dass das fragliche Werk hinküntig nicht mehr aufzu-führen sei, wofür die von Aringer vermutete Direktive des Erzbischofs gerade so kurz nach dessen Wahl eine plausible Begründung abgäbe.

    Ein entsprechendes Schritstück ist freilich bisher nicht bekannt. Mit Hieronymus Colloredos berühmtem Hirtenbrief von 178244 verfügen wir aber über ein Dokument, das uns - wiewohl Trompeten und Pauken da-rin mit keinem Wort erwähnt sind - dennoch auf das Deutlichste über die ideologischen Hintergründe einer solchen (hypothetischen) Maßnah-me informiert. Um das verstehen zu können, müssen wir kurz die Salz-burger Situation verlassen und einen größeren Bezugsrahmen in den Blick nehmen.

    * * *

    Trompeten wurden nicht nur in Salzburg geblasen. Vielmehr war der Ge-brauch von Trompeten und Pauken reichsweit durch kaiserliches Privileg geregelt seit dem frühen 17. Jahrhundert zum festen Bestandteil höischer Repräsentation geworden. Die umfangreichste zeitgenössische Darstel-lung des Trompeterwesens wurde 1795 von Johann Ernst Altenburg (1734–1801) unter dem Titel Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikali-

    44. Sr. Hochfürstl. Gnaden des Hochwürdigsten Herrn Herrn Hieronymus Joseph Erzbischofs und des H. R. Reichs Fürsten zu Salzburg des heil Stuhls zu Rom gebornen Legaten, und Deutschlands Primatens &c. &c. Hirtenbrief auf die am 1ten Herbstm. dieses 1782ten Jahrs, nach zurückgelegten zwölten Jahrhundert, ein-tretende Jubelfeyer Salzburgs, Waisenhausdruckerei, Salzburg 1782.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    schen Trompeter- und Paukerkunst45 veröfentlicht. Altenburg46, Sohn des erfolgreichen Sachsen-Weißenfelsischen Hotrompeters Caspar Alten-burg (1687–1761), wurde im Alter von zwei Jahren von seinem Vater for-mal in die Trompeterlehre genommen und damit für einen Lebensweg bestimmt, der sich aufgrund der gesellschatlichen Veränderungen in der zweiten Hälte des 18. Jahrhunderts als nicht mehr begehbar erweisen sollte. 1756/57 nahm er Orgelunterricht bei Johann heodor Römhild (1684–1776) und Johann Christoph Altnikol (1719–1759) und legte damit den Grundstein für seinen späteren Berufsweg als Organist in der sachsen-anhaltinischen Provinz. Als Trompeter konnte er hingegen nie eine Anstel-lung erlangen. Aus dieser Situation heraus begann er spätestens 1767 mit der Arbeit an seinem Hauptwerk, für das er 1770 unter dem Titel »Die he-roisch-musikalische Hof- und Feld-Trompeter- und Heerpauckerkunst«47 um Pränumeration warb, aber erst ein Vierteljahrhundert später einen Verleger fand.

    Anders als der nach dem Vorbild bekannterer Instrumentallehrwerke gebildete Titel der Druckfassung suggeriert, ist Altenburgs Versuch einer Anleitung aber keine Trompetenschule im modernen Sinn; Hinweise zur Erlernung des Trompetespiels inden sich darin vergleichsweise spärlich. Breiten Raum nehmen dagegen die ›Geschichte‹ des Trompeterwesens, dessen Organisation und »Vorzüge« vor anderen musikalischen Berufen ein. Altenburgs subjektive, aus der Diskrepanz zwischen einem idealisier-ten Selbstbild der Trompeter und seiner weit weniger glorreichen Lebens-realität gewonnene Sichtweise hat aufgrund der Singularität der Schrit das moderne Bild von dieser Musikergruppe nachhaltig geprägt. Einige aus Altenburgs Rhetorik abgeleitete, in besonderer Weise dem Ge-schichtsverständnis des 19. Jahrhunderts entsprechende Mythen, wie jene

    45. Johann Ernst Altenburg, Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst, zu mehrerer Aufnahme derselben historisch, theoretisch und praktisch beschrieben und mit Exempeln erläutert, Joh. Christ. Hendel, Halle 1795, Faksimileausgabe mit einem Nachwort in Deutsch und Englisch von Frieder Zschoch, VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1972, Neuausgabe hrsg. vom Michaelsteiner Institut für Auführungspraxis, Hofmeister, Hoheim − Leipzig 1993.

    46. Vgl. Lars E. Laubhold, Magie der Macht. Eine quellenkritische Studie zu Johann Ernst Alten-burgs Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst (Halle 1795), Königshausen & Neumann, Würzburg 2009 (Salzburger Stier, 2), S. 32-47.

    47. Musikalische Nachrichten und Anmerkungen auf das Jahr 1770, hrsg. v. Johann Adam Hil-ler, Verlag der Zeitungs-Expedition, Leipzig 1770, Faksimilenachdruck: Olms, Hildesheim 1970, S. 398 f.

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    einer reichsweiten »Trompeterzunt« oder der vielbeschworenen »Privi-legien«, wurden erst in jüngerer Zeit eingehend auf ihre Kompatibilität mit den altbekannten Quellen hinterfragt48 und konnten seither in De-tailstudien anhand zum Teil bisher nicht beachteter Archivalien weiter dekonstruiert werden.49 Trotz der besonderen Problematik, die dem Werk als einer musikhistorischen Quelle anhatet, sind Altenburgs Dar-stellungen von unschätzbarem Wert, weil sie sich bei näherer Betrach-tung als Rückprojektion eines Idealzustandes des Trompeterwesens entpuppen und so über das rein Faktische hinaus den Blick auf übli-cherweise verborgene Bedeutungszusammenhänge ermöglichen.

    Für die hier untersuchten Fragen besonders aufschlussreich sind Al-tenburgs ›historische‹ Ausführungen: Trompetergeschichte versteht Al-tenburg als einen durchgehenden Zug von den alttestamentarischen An-fängen bis in die eigene Gegenwart.50 Die Funktion des Trompetens trägt in seinem Weltbild deutliche Züge einer sakralen Handlung, deren Legi-timität Altenburg aus der göttlichen Einsetzung des Trompetespiels als priesterliche Handlung ableitet. Ausgangspunkt ist eine Schilderung im vierten Buch Mose (Num., X, 1 f.):

    »VND DER HERR REDET MIT MOSE / VND SPRACH / Mache dir zwo Drome-ten von tichtem silber / das du jr brauchest / die Gemeine zu berufen / vnd wenn das Heer aubrechen sol. […] Es sollen aber solch blasen mit den Drometen die söne Aarons die Priester thun / Vnd sol ewr Recht sein ewiglich bey ewrn Nachkomen.«51

    Altenburg fasst diesen Bericht als Beginn der konkreten, bis in seine Gegenwart reichenden Geschichte auf und leitet daraus die Rechtferti-gung52 eines privilegierten Trompeterstandes ab. Es ist daher konsequent

    48. Vgl. Laubhold, Magie der Macht, bes. S. 78-121 (zur »Trompeterzunt«), S. 129-38 (zu den »Privilegien«).

    49. Christian Ahrens, Fiktion und Realität. Die Privilegien der Trompeter und Pauker [Teil 1], »Archiv für Musikwissenschat«, lxviii/3, 2011, S. 227−55, [Teil 2] ebd., lxviii/4, 2011, S. 319−35; Max Röber, Zur Problematik der Begrifsbildung der »Trompeter- und Paukerzunt«, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden (Bachelor-Arbeit), 2010.

    50. Vgl. Laubhold, Magie der Macht, bes. S. 122-9 und passim.51. Biblia: das ist: Die gantze Heilige Schrit: Deudsch Aufs new zugericht. D. Mart. Luth. […] Ge-

    druckt zu Wittemberg Durch Hans Lut. M.D.XLV. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe hrsg. v. Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke, Textredaktion Friedrich Kur, Rogner & Bernhard, Hamburg 1972, Edition Lempertz, Bonn 22004, S. 278.

    52. »In the irst place, Altenburg discusses at length the use of the trumpet in former times, especially among the Hebrews. His central thesis – that trumpeters formerly enjoyed a socially

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    und für unser Verständnis des Trompeterwesens im Sinne Altenburgs von eminenter Bedeutung, dass er als wesentliche Ursache für den Verfall der Trompeterkunst die Trennung des Trompeterberufs vom Priesteramt ansieht.53 Darin zeigt sich eine enge Verzahnung von zeremonieller Hand-lung - als die ich das frühneuzeitliche Trompetespiel seinem Wesen nach verstehe - und ritueller Aufassung dieser Handlung durch die Beteilig-ten; eine Konstellation, die von neueren Strömungen der Ritualforschung als typisch für die Wirksamkeit solcher Vorgänge beschrieben wird:54 Während das idealtypische Zeremoniell einen Autor hat, einen Herrn, der darüber verfügen und es gezielt für seine Zwecke benutzen kann, ge-winnt es seine Wirkung daraus, dass es von den Beteiligten rituell aufge-fasst, d. h. als unverfügbar, unverrückbar, ewig und heilig angesehen wird.

    Diese Doppelnatur von Zeremoniell und Ritual zeigt sich in Altenburgs Buch mehrfach, so auch in seiner Nacherzählung des biblischen Berichts von der Einsetzung der Trompeten:

    »Moses ließ 2 silberne Trommeten verfertigen und gab sie den beiden Priestern Eleasar und Ithamar, Aarons Söhnen, in der Absicht, daß sie sie als eine beim äus-sern Gottesdienst feierliche Ceremonie einführen sollten. Zugleich überredete er die Israeliten, daß die Trommete ein von Gott geheiligtes Instrument und eben daher nur den Priestern erlaubt sey, darauf zu blasen. Dies that er, um das aber-gläubische Volk, dessen Religionsbegrife nur durch sinnlichen Eindruck aufrecht erhalten werden konnten, desto feuriger, ehrfurchtsvoller, standhater und an-hänglicher an ihre Religion zu machen.«55

    Die Verwendung des Ausdrucks »Ceremonie« in diesem Kontext ist nur das äußerlichste Anzeichen dafür, dass Altenburg hier nur scheinbar einen historischen Bericht gibt, eigentlich aber (wenn auch kaum von ihm so intendiert) zeitgeistiges Denken auf den biblischen Bericht über-trägt. Unter der Oberläche der bekannten Geschichte wirkt - ungleich bedeutsamer als ihr narrativer Inhalt - eine Argumentationsstruktur, die

    exalted position – is employed to justify the elevated position of the trumpeter in the Baroque musical hierarchy. His insistence on the rightness of the trumpeter’s high social standing runs through the entire treatise.« Tarr, Translater’s Introduction, S. v.

    53. Altenburg, Versuch einer Anleitung, S. 43.54. Jügen Martschukat - Steffen Patzold, Geschichtswissenschat und »performative

    turn«. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in Geschichtswissenschat und »perfor-mative turn«. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg.  v. Jürgen Martschukat − Steffen Patzold, Böhlau, Köln - Weimar - Wien 2003 (Norm und Struktur, 19), S. 1-31, bes. 8.

    55. Altenburg, Versuch einer Anleitung, S. 4.

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    exakt einer im 18. Jahrhundert weithin rezipierten Textpassage des Uni-versalgelehrten und Philosophen Christian Wolf (1679-1754) entspricht. In dessen Werk Vernüntige Gedanken von dem gesellschatlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen heißt es:

    »Wenn die Unterthanen die Majestät des Königs erkennen sollen, so müssen sie erkennen, daß bey ihm die höchste Gewalt und Macht sey […] Der gemeine Mann, welcher bloß an den Sinnen hanget, und die Vernunt wenig gebrauchen kann, vermag auch nicht zu begreifen, was die Majestät des Königs ist. Aber durch die Dinge, so in die Augen fallen und seine übrigen Sinne rühren, bekommt er einen obzwar undeutlichen, doch klaren Begrif von der Majestät, oder Macht und Ge-walt […]. Und hieraus erhellet, daß eine ansehnliche Hof=Staat und die Hof=Ceremonien nichts überlüssiges, vielweniger etwas tadelhates sind.«56

    Wie die jüngere Zeremoniellforschung festgestellt hat, »wirkte Wolf mit diesem Diktum bis in den Wortlaut hinein auf Formulierungen, die sich bei den Haupttheoretikern des Zeremonialwesens im frühen 18. Jahr-hundert, bei Johann Christian Lünig (1662–1740) und Julius Bernhard Rohr (1688–1742), wieder inden.«57 Es handelt sich damit um eine zentra-le Position der frühneuzeitlichen Zeremoniellwissenschat, die zwar den Keim zu einer auklärerischen Kritik am Zeremonienwesen als eines Ins-truments zur politischen Steuerung der Untertanen enthält, diese Kritik aber nicht explizit ausformuliert, sondern unter Hinweis auf die geistige Beschränktheit des einfachen Volkes in eine »Rechtfertigung und Ratio-nalisierung des status quo«58 umgeleitet hat.

    Der gemeine Mann kann seinen Geist nicht recht gebrauchen und be-darf daher der »Dinge, so in die Augen fallen und seine übrigen Sinne rühren« (C. Wolf) - strukturell genau so, wie die Religionsbegrife des abergläubischen Volkes Israel in der Lesart Johann Ernst Altenburgs »nur durch sinnlichen Eindruck aufrecht erhalten werden konnten«, was zur Einsetzung der ersten Priester-Trompeter und damit zum Beginn der

    56. Christian Wolff, Vernüntige Gedancken Von dem Gesellschatlichen Leben der Menschen Und insonderheit Dem gemeinen Wesen […] mitgetheilet von Christian Wolfen, Franckfurt - Leipzig 41736, Nachdruck mit einer Einleitung von Hans Werner Arndt, Olms, Hildesheim - New York 1975 (Christian Wolf. Gesammelte Werke, I/5), S. 504 f., hier zitiert nach Andreas Gestrich, Höisches Zeremoniell und sinnliches Volk. Die Rechtfertigung des Hofzeremoniells im 17. und 18. Jahrhun-dert, in Zeremoniell als höische Ästhetik in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hrsg. v. Jörg Jochen Berns − Thomas Rahn, Niemeyer, Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit, 25), S. 57–73: 58.

    57. Gestrich, Höisches Zeremoniell und sinnliches Volk, S. 58.58. Ebd., S. 73.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    konkreten Trompetergeschichte führte, an deren vorläuigem Ende Al-tenburg sich selbst sah. Obwohl es in Altenburgs Werk keinen Hinweis darauf gibt, dass er Wolf oder die Zeremonielltheoretiker gekannt habe59, machte er sich das zentrale Argument zur Apologie des Zeremoniells zu eigen, projizierte es auf das biblische Geschehen und installierte mit die-ser Analogiebildung in einem seltsamen Zirkelschluss Gott als letzt-instanzlichen ›Autor‹ auch des quasirituell verstandenen Hofzeremoni-ells. Dies zeigt, wie erfolgreich Wolf und andere Autoren als »Verteidiger des Obrigkeitsstaates«60 das Denken ihrer Zeitgenossen und nachfolgen-der Generationen prägten. Denn dass Altenburg selbst als der »gemeine Mann« oder »das abergläubische Volk« Adressat der sinnlichen Pracht sein könne, das kommt ihm nicht in den Sinn.

    Vor dem hier skizzierten Hintergrund gewinnt eine Reihe von Formu-lierungen aus Colloredos Hirtenbrief an Relevanz für das Verständnis des Trompeterwesens in Salzburg. Naturgemäß können dabei die Verord-nungen selbst, die sich an alle »in der Ausübung der Seelsorge stehenden Priester […] Unseres fürstlichen Erzstites«61 richten, kaum Hinweise ge-ben, da sie die Belange bei Hof und im Dom, die allenfalls als gutes Bei-spiel zur Nachahmung im Erzstit Erwähnung inden, nicht unmittelbar betrefen. Wohl geben aber deren Begründungen Aufschluss zu hier dis-kutierten Fragen. Für die Künste bedeutsam sind vor allem Colloredos Bestrebungen, das in allen Bereichen religiösen Lebens anzutrefende Übermaß an barockem Prunk einzudämmen.62 Die im Hirtenbrief im Zu-sammenhang mit dem »Verbot des unnöthigen Kirchenputzes«63 vorge-brachten Argumente ökonomischer Rationalität64 bilden einen Leitge-danken in Colloredos Regentschat, der bereits in den Berichten von des-sen Einzug Erwähnung indet.65 Für seine Verordnungen und Anregun-

    59. Allerdings fügen sich die von Altenburg rezipierten, die Trompeterrechte betrefenden Verteidigungsschriten gut in diesen Kontext. Zu der von Altenburg verwendeten Literatur vgl. Laubhold, Magie der Macht, S. 66 f. sowie den Anhang, S. 255-79.

    60. Gestrich, Höisches Zeremoniell und sinnliches Volk, S. 58.61. Sr. Hochfürstl. Gnaden […] Hirtenbrief, S. [1].62. Zu seinem Umgang mit der bildenden Kunst vgl. Andrea Gottdang, Keine Chance für

    Kunst? Bildtheologie und Barockkritik in Salzburg zur Zeit Colloredos im vorliegenden Band.63. Sr. Hochfürstl. Gnaden […] Hirtenbrief, Anhang, S. [110].64. Vgl. ebd., S. 44.65. Vgl. Hochradner, Repräsentanz und Emblematik, S. 206; zu Colloredos Finanzpolitik

    vgl. Thomas Mitterecker, Vom Barock zur Auklärung. Das Erzstit Salzburg unter Hieronymus Graf Colloredo 1772−1803 im vorliegenden Band; zum im 18. Jh. im Deutschen Reich virulenten

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    gen zur Musikausübung im Erzstit66 spielt hingegen der Gedanke der Sparsamkeit ebenso wenig eine Rolle, wie er für nachweisliche (und ver-mutete) Einschränkungen beim Gebrauch von Trompeten in Anspruch genommen werden kann. Explizit verfügte Colloredo, dass den »Musi-kanten an ihren Kirchenbesoldungen das mindeste nicht geschmälert«67 werden sollte und auch für die Trompeterei, die im Sold des Erzbischofs stand, ist bis um 1790 keine personelle Reduzierung festzustellen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts waren konstant zehn Trompeter und zwei Pauker angestellt, woran sich auch mit dem Regierungsantritt Colloredos nichts änderte. Eine Reduktion auf acht Trompeter im Jahr 1778 dürte eher Ausdruck einer natürlichen Fluktuation, denn gezielter Personalpo-litik gewesen sein; die Zahl pegelte sich in den folgenden Jahren wieder auf zehn ein. Erst ab 1791 schrumpte das Trompetercorps allmählich aber kontinuierlich, sodass 1802 ein Tiefststand von vier Trompetern und ei-nem Pauker erreicht war.68

    So einschneidend exekutierbare Verordnungen wie die Puriizierung der Kirchen, verbindliche Einführung eines Gesangbuches oder Verbote gewisser, in der Volksfrömmigkeit verankerter Gebräuche von der Bevöl-kerung wahrgenommen sein werden - für den Erzbischof waren sie Mit-tel zur Förderung des rechten Glaubens seiner Untertanen, zu welchem Ziel er Vernunt und Auklärung predigte. Seine Verurteilung der »Pries-ter des Heidenthums« und deren »abscheuliche[r] Kunst, das arme un-wissende Volk durch ihre fabelhate Götterlehren und Erindungen im-mer tiefer in den Aberglauben hineinzuführen«69, lässt die gedankliche Stoßrichtung erkennen, die konträr zur Argumentation der Zeremoniell-theoretiker des frühen 18. Jahrhunderts ausgerichtet ist. Colloredo baut auf die Vernunt der Gläubigen und eben nicht auf Betörung der Sinne. Entsprechend warnt er »vor einem Seelsorger, der […] schon zufrieden ist, den Augen und Ohren etwas vorgemacht zu haben […]«70.

    Widerstreit von höischer vs. ökonomischer Rationalität siehe Volker Bauer, Zeremoniell und Ökonomie. Der Diskurs über die Hofökonomie in Zeremonialwissenschat, Kameralismus und Hausväter-literatur in Deutschland 1700−1780, in Zeremoniell als höische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Jörg Jochen Berns − Thomas Rahn, Niemeyer, Tübingen 1995 (Frühe Neu-zeit, 25), S. 21−56.

    66. Vgl. Sr. Hochfürstl. Gnaden […] Hirtenbrief, S. 62-71.67. Ebd, S. 65.68. Vgl. die Übersicht in Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle, S. 540-5.69. Sr. Hochfürstl. Gnaden […] Hirtenbrief, S. 55.70. Ebd., S. 86.

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    Was noch wenige Jahrzehnte zuvor von den Zeremonielltheoretikern als einziges Mittel angesehen wurde, das einfältige Volk überhaupt zu er-reichen, wird nun verbannt:

    »Räumet aus dem Hause des majestätisch-ernsthaten Gottes […], was nur die Augen blendet, nur die Einbildungskrat erhitzt, nur ein gedanktenloses Staunen erregt, und ohne bleibende Eindrücke zu hinterlassen, so wie die Sinne nichts mehr vor sich haben, schon verschwunden ist, und Herz und Geist immer leer, dürtig und arm läßt […].«71

    Seine Ablehnung des zeremoniellwissenschatlichen Kerngedankens bringt Colloredo in Abschnitt XXXVIII auf den Punkt:

    »Lehret nur das Volk, das manche mit größtem Unrecht für zu einfältig halten, auf die Beweise dieser herrlichen Weisheit und Güte in der Natur, die es täglich vor Augen hat, die es allenthalben in seiner eignen Lebensgeschichte indet, aufmerk-sam zu seyn; so wird es die herrliche Größe seines Gottes mit einer unendlich tie-feren Ehrerbietigkeit empinden und anbeten, als durch allen Kirchenprunk, Mu-siken, Verkleidungen und Gebräuche zuwegegebracht werden kann […].«72

    Deutlich rekurriert Colloredo auf die Argumentationsformel Christian Wolfs, allerdings setzt er eine entscheidend veränderte Prämisse und ge-langt daher zum gegenteiligen Ergebnis: »das Volk, das manche mit größ-tem Unrecht für zu einfältig halten« wird eben - so glaubt er - durch die von ihm eingeleiteten Reformen in die Lage versetzt, aus eigener Vernunt zu religiöser Erkenntnis zu gelangen, sodass der Umweg über die betörten Sinne entfallen und auf »Kirchenprunk, Musiken, Verkleidungen und Ge-bräuche« verzichtet werden kann. Eine solche Argumentation trit auch das frühneuzeitliche Trompeterwesen ins Herz. Der Prunk, der sich im äu-ßeren Erscheinungsbild der Trompeter und Pauker ebenso manifestiert wie in deren Musik selbst, der Verkleidungscharakter des Trompeterrocks (Ab-bildung 4), der zu Ehren des Erzengels Gabriel mit Flügeln ausgestattet ist, »um dadurch anzudeuten, daß, gleichwie der Engel den Gruß an die Maria gebracht hat, also auch der Trompeter mit seinem Instrument Krieg und Frieden verkündigen soll«73, die vielfältigen Gebräuche, seien es jene der

    71. Ebd., S. 104 f.72. Ebd., S. 80.73. Altenburg, Versuch einer Anleitung, S. 32; ausführlich zu dem im Heiligen Römischen

    Reich Deutscher Nation verbreiteten Brauch der am Trompeterrock getragenen Flügelbänder und dessen alltagskulturellen Implikationen vgl. Laubhold, Magie der Macht, bes. S. 148-56.

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    Herrschat, die von den Trompetenensembles begleitet wurden74, oder jene, die in den Trompeterkameradschaten selbst geplegt und etwa von Mozart als »Handwercks Possen«75 verspottet wurden, - all diese von Colloredo kritisierten Phänomene gehören so unverrückbar zum innersten Wesen der Trompeterei, zum »umgangsmäßigen«76 Charakter ihrer Musik, dass mir deren Unvereinbarkeit mit Colloredos Reformbestrebungen evident erscheint.

    Dass Colloredo auf den zeremoniellen Gebrauch von Trompeten und Pauken direkt Einluss nahm, dürte angesichts der Reduzierung der Trompeterei während seines feierlichen Einzuges als sicher gelten. Klaus Aringers für die vorliegende Studie äußerst fruchtbare hese, dass er dies auch im Bereich komponierter Kirchenmusik tat, indet (ungeachtet des Fehlens eines archivalischen Belegs) eine Reihe stützender Indizien und, wie ich meine, in den hier dargestellten Zusammenhängen eine plausible-re Erklärung als es mir Verweise auf den musikalischen Geschmack des Fürsten oder den »Kontext allgemeiner Veränderungen in der Musik nach 1750« zu sein scheinen. Aringers Aufassung, wonach die Reformpo-litik der Spätauklärung »die traditionelle zeremonielle Bedeutung der Trompeten und Pauken im Gottesdienst des ausgehenden 18. Jahrhun-derts zwar mancherorts eingeschränkt, aber prinzipiell doch unangetastet gelassen«77 habe, glaube ich daher in Bezug auf Salzburg und die Domli-turgie widersprechen zu müssen. Colloredos Reform richtete sich exakt

    74. Einige Beispiele solcher herrschatlicher Gebräuche laut Altenburg, Versuch einer An-leitung, hier in der Zusammenstellung bei Laubhold, Magie der Macht, S. 234, (in Klammern die Seitenzahlen bei Altenburg): »Den ersten Tanz ›bey Haltung ihres Beylagers‹ (33) vollziehen frisch getraute Brautleute selbst zum Klang von Trompeten und Pauken. Trompeten musizieren, ›wenn die Herrschat in Proceßion zur Assemblee kommt‹ (28). Ebenso blasen die Trompeten ›bey ver-schiedenen Solennitäten, Ritterspielen und Tournieren‹ (28), für die es kennzeichnend bleibt bis zuletzt, dass sie sich selbst in ihren ausgefeiltesten Inszenierungen nie als Darbietungen von der tätigen Teilnahme der höischen Gesellschat lösen. Vom militärischen Feldstück bis zum Tusch ›beym Gesundheitstrinken‹ (29) an der fürstlichen Tafel; bei praktisch allen für Trompeter typi-schen Verrichtungen handelt es sich nicht um Darbietungen, sondern um umgangsmäßige Teil-nahme an mehr oder weniger (alltags-) praktischen Handlungen repräsentativer Art.«

    75. Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg.  v. der Internationalen Stitung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer − Otto Erich Deutsch, Bd. 5–7 aufgrund deren Vorarbeiten erläutert von Joseph Heinz Eibl, 7 Bde., Bärenreiter, Kassel u.a. 1962–1975, Bd. iii, S. 168.

    76. Vgl. Heinrich Besseler, Grundfragen des musikalischen Hörens, »Jahrbuch der Musikbi-bliothek Peters«, 1924, hrsg. v. Rudolf Schwartz, Peters, Leipzig 1925, S. 35–52.

    77. Aringer, Funktionen der Trompeten und Pauken in der Kirchenmusik, S. 207.

  • ∙ Gatti, Colloredo und die Salzburger Trompetenmusik ∙

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    gegen das Prinzip zeremonieller Massensuggestion, deren ixer Bestand-teil die höischen Trompeter bis dahin waren.

    Abbildung 4: »Ein Hotrompeter«, Aquarell-Gouache aus der Kuenburg-Samm-lung, zw. 1782 u. 1790 (Privatbesitz). Darstellung der Salzburger Trompetertracht mit Flügelbändern.