M a n u s k r i p t - deutschlandfunk.de · 3 OT Fumon Nakagawa Roshi: Meditation ist ruhig werden...

22
1 Sonntag, 27. April 2014 (20:05-21:00 Uhr), KW 17 Deutschlandfunk / Abt. Musik und Information FREISTIL Meditation – Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt Von Grace Yoon Regie: die Autorin Redaktion: Klaus Pilger [Produktion RBB/BR 2012] M a n u s k r i p t Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - ggf. unkorrigiertes Exemplar -

Transcript of M a n u s k r i p t - deutschlandfunk.de · 3 OT Fumon Nakagawa Roshi: Meditation ist ruhig werden...

1

Sonntag, 27. April 2014 (20:05-21:00 Uhr), KW 17

Deutschlandfunk / Abt. Musik und Information

FREISTIL

Meditation – Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt

Von Grace Yoon

Regie: die Autorin

Redaktion: Klaus Pilger

[Produktion RBB/BR 2012]

M a n u s k r i p t

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- ggf. unkorrigiertes Exemplar -

2

Sprecher:

Eines Tages schaute unser Meister Jamyang Khyentse sich «Lama -Tänze» vor dem

Tempel des Königspalastes in Gangtok, der Hauptstadt Sikkims, an und amüsierte

sich gerade über die Späße des Atsara, eines Clowns, der zwischen den Tänzen für

Erheiterung sorgt. Doch Apa Pant gab keine Ruhe und fragte wieder und wieder, wie

er meditieren solle. Schließlich antwortete mein Meister, in einem Ton, der Apa Pant

spüren ließ, daß er es ihm nun ein für allemal klarmachen werde:

«Schau, es ist so: Wenn ein vergangener Gedanke aufgehört hat und ein zukünftiger

Gedanke noch nicht entstanden ist, gibt es da nicht eine Lücke?»

«Ja», sagte Apa Pant.

«Nun gut, verlängere sie! Das ist Meditation.»

(Sogyal Rinpoche)

Meditation – Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt

Von Grace Yoon

OT Fumon Nakagawa Roshi:

Um gemeinsam zu meditieren, wird die Klangschale oder der Gong verwendet. Zu

Beginn der Meditation wird dreimal der Gong geschlagen und am Ende nur einmal.

OT Thomas Metzinger:

Was ist Meditation? – Man könnte das jetzt systematisieren, es gibt objektgebundene

Formen der Meditation, bei denen Leuten mit der Aufmerksamkeit immer wieder zu

einem Objekt zurückgehen, zum Beispiel zu dem Atem, oder dem Klang eines

selbstgedachten Mantras, das sie langsam verschwinden lassen in der Stille, zu

Körperempfindungen, Kontaktempfindungen der Haut, es gibt aber auch das

sogenannte »open monitoring«, einfach ein nicht zentriertes Gewahrsein, ein sich

Zuwenden zu dem Moment als Ganzem.

OT Werner Penzel:

Meditation ist Sitzen, in Stille, mit geradem Rücken – das ist Meditation.

3

OT Fumon Nakagawa Roshi:

Meditation ist ruhig werden und klar werden.

OT Ludger Beckmann:

Nach meiner Erfahrung ist der direkteste Zugang über den körperlichen Weg. Also so

wie hier meine linke Hand zeigt, gibt es eine Vorstellung von vollständiger

Tiefenentspannung, vollständiges Gelöstsein, und wie die rechte Hand zeigt, einen

Zustand höchster Konzentration, und ganz wach zu sein; und mit guter Anleitung und

etwas Übung kann man relativ bald durch Meditation in die Erfahrung eintreten, dass

diese beiden Zustände, die sich unser Kopf als getrennt vorstellt, in einen einzigen

Zustand verschmelzen, so wie meine Hände hier zusammenkommen; und dann

erlebst du eine Erfahrung, in der du, wie die koreanischen Mönche sagen, so wach

bist, dass du das Fallen der Asche vom Räucherstäbchen hörst – ohne dass du’s

gesehen hast –, und auf der anderen Seite ein Zustand von vollständiger Gelöstheit.

Du brauchst keinerlei Anstrengung mehr, um konzentriert zu bleiben auf einen Punkt,

und die Gehirnforscher, die Menschen in einem so meditativen Zustand in der Röhre

betrachten, die stellen fest, dass die die gleichen Gehirnwellen haben wie im

absoluten Tiefschlaf. Und insofern erfährst du, dass es eine Vereinigung gibt, und

das ist einer der Punkte, der viele Menschen motiviert, einen meditativen Weg zu

gehen, weil sie das Getrenntsein in Entweder-Oder, das Getrenntsein in Körper und

Geist überwinden wollen, das Getrenntsein mit anderen Menschen oder mit der Welt

überwinden wollen, und sich danach sehnen, ist es wirklich wahr, dass ich eine

Einheitserfahrung machen kann; und die ist in verschiedensten Kulturen auf

unterschiedliche Art und Weise gemacht worden.

OT Thomas Metzinger:

Also ein ganz klares Anzeichen dafür, dass man nicht meditiert ist zum Beispiel ein

Gefühl der Anstrengung, wie subtil auch immer das sein sollte.

OT Ludger Beckmann:

Ist die Meditation mit der Stille verbunden? – Das kann ich mit einem klaren Jein

beantworten. Wir leben in einer Welt, in der es eine große Wohltat ist, die Stille zu

erleben; und sie gibt es immer seltener. Es könnte sein, dass Stille eine Ressource

wird, die noch wertvoller ist als sauberes Wasser, oder noch seltener. Unsere Seele

4

braucht die Stille, und Eckart Tolle sagt dies schöne Wort: »Die Stille ist die

Muttersprache Gottes«. In der Stille können wir die Essenz von dem erfahren, was

unsere Gedanken mit Worten und Begriffen nicht mehr begreifen können. Und wenn

du meditierst, merkst du, dass du Teil dieser Essenz bist. Dass es etwas in dir gibt,

was unergründlich, was unzerstörbar, was unverletzbar, was groß und weit und offen

und friedvoll und frei ist. Das ist das Ja dieser Antwort.

Das Nein dieser Antwort ist: Du meditierst vielleicht in der Straßenbahn, wenn du zur

Arbeit fährst, und hörst die Schienen quietschen und die Menschen sprechen, und du

gehst in deinen Atem oder du visualisierst ein Licht, wie es andere Traditionen

machen; und du kommst mit deiner Aufmerksamkeit nach innen zu dir, und dann

beginnst du die Stille hinter den Geräuschen zu hören. Du beginnst diese Essenz zu

schmecken, die hinter der lärmenden Welt ist, in der lärmenden Welt. Du brauchst

dich in dem Sinne gar nicht von der lärmenden Welt trennen; du richtest einfach

deine Aufmerksamkeit, die bei uns im Westen zu 98 Prozent draussen hängt, nach

innen zu dir und hältst Einkehr bei dir selbst; und diese Einkehr bei dir selbst ist

vollkommen unabhängig von dem Geräuschpegel, der außen um dich drumrum ist,

bis hin an den Punkt, wo du die Stille hinter der Stille hörst und spürst und eins wirst

mit ihr.

Sprecherin:

Das Wort Meditation kommt aus dem Lateinischen und wird von dem Verb

»meditari« abgeleitet, das soviel wie »nachdenken«, »überlegen« bedeutet. So ist

der Begriff schon irreführend, soll doch durch die Meditation der innere Dialog

ausgeblendet werden, um dadurch das reine transzendentale Bewußtsein und seine

schöpferische Kraft zu erfahren. Die hochentwickelten Techniken der Meditation

kamen aus dem Orient und haben ihre eigenen klangvollen Namen. So beschreiben

bereits die indischen Upanishaden 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung Wege zur

Meditation.

Mit »Achtsamkeitspraxis« oder »Erkenntnis-Meditation« wird das aus dem

Buddhismus stammende »Vipassana« erklärt, in China wurde daraus »Chan«, in

Korea »Seon« und in Japan »Zen«.

OT Fred von Allmen:

5

Wenn man über Meditation spricht, muss man sich darüber klar sein, dass das ein

sehr großes Gebiet ist. Es gibt die Möglichkeit von kontemplativer Meditation, die im

christlichen und auch im tibetischen sehr oft angewendet wird: Man denkt über

Themen nach, man denkt über Vergänglichkeit und Tod nach, man denkt über

Leiden und Befreiung vom Leiden nach, man denkt in christlichen Traditionen über

Gott, die Hinwendung zu Gott nach und kontempliert das sehr systematisch über

Stunden, Tage, Jahre.

Eine andere Möglichkeit ist die Meditation der Sammlung, des ruhevollen Verweilens,

und ich glaube, dass man heute, wenn man hier im Westen über Meditation spricht,

dass die Leute meistens Sammlungs- und ruhevolles Verweilen »Meditation«

meinen. Es ist eine Art Meditation, die schon mal äußerlich vorwiegend im Sitzen,

also in einer sehr formalen Haltung, geübt wird, und hier geht es darum, den Geist

wirklich auf ein Objekt oder auf eine Qualität oder eine Vorstellung zu sammeln, und

in dem Maße, wie einem das gelingt, fühlt sich das auch sehr gut an.

OT Thomas Metzinger:

Das Erste, was man lernt in der Meditation ist, dass alles, was auftritt, auch wieder

endet, und das gilt insbesondere für die Achtsamkeit. Das Zweite, was man lernt ist,

dass man eigentlich gar keine Kontrolle über den eigenen Geist hat. Die meisten

Leute denken, das Denken zum Beispiel wäre etwas Vorsetzliches oder

Kontrolliertes, das Erste, was man beim Anfang des Meditierens lernt, ist, dass die

allermeisten Formen des Denkens etwas sind, was einem passiert. Wie die

Peristaltik, wie die Darmbewegungen, dass es in einem denkt oder, wie – glaube ich

- Gottfried Benn mal gesagt hat: »Da unten bildert es«, das heißt, da läuft ein

ständiger Strom von Assoziationen ab. Das hat sehr viel mit dem zu tun, was die

aktuelle Hirnforschung den »default mode«, den Grundzustand nennt.

Es zeigt sich nämlich, dass unser Gehirn dann, wenn es nichts zu tun gibt und keine

Aufgabe zu lösen ist, sehr aktiv wird, meistens indem es nächste Prioritäten plant,

Tasks sortiert, die nächsten Aufgaben, aber auch, indem es sich von unangenehmen

Körpergefühlen ablenkt durch angenehme Phantasien, sexuelle Fantasien, aber

auch agressive Fantasien. Das heißt, wenn man da hinschaut, wird man erstmal

lernen, dass in einem selbst ständig sehr, sehr viel passiert, dass man oft garnicht

mitbekommt, dass da etwas passiert, was man nicht kontrolliert, dass das, was da

passiert, einen aber ganz oft dazu bringt, sofort zu handeln.

6

Sprecher:

»Das ist wahre Meditation. Ganz von vorne anfangen, ohne etwas zu wissen. Wenn

Sie mit Ihrem Wissen beginnen, enden Sie beim Zweifel.« (Krishnamurti)

OT Herbert Blüml:

Am Anfang, wie ich angefangen hab zu meditieren, da war es für mich schon

hilfreich, dass ich Anweisungen hatte. Es war hilfreich, durch eine bestimmte ruhige

Sitzhaltung und durch eine ruhige Umgebung in den Zustand zu kommen, alles, was

geschieht, zu sehen, wahrzunehmen, und zunehmend davon weniger berührt zu

sein. Dazu gibt es auch bestimmte Anweisungen, zum Beispiel: Eine Lehrerin hat es

so genannt, wenn ein Gedanke auftaucht, hängst du einen Zettel dran, wo

draufsteht: »ein Gedanke über«, oder ein Schmerz taucht auf im Knie: »Schmerz im

Knie«. Damit ist die Sache eigentlich erledigt. Und so tauchen die verschiedenen

Ereignisse, ein Vogel, eine Tür schlägt zu, auf. Wenn es dir gegeben ist, dann in

dieser Situation, dass alles geschehen kann und geschehen darf, kein Tun ist, etwas

zu verändern daran, dann kann es geschehen, dass diese Übereinstimmung

passiert. Aber sie ist nicht machbar.

OT Fred von Allmen:

Wie können wir das unterstützen? – Unterstützt kann das am besten werden, indem

die Leute zusammenkommen und zusammen praktizieren. Das ist schon auch eine

große Kraft, die entsteht, wenn viele Menschen zusammen dasselbe üben und

praktizieren, weil man doch auch immer in Löcher fällt, in Entmutigung oder

Ruhelosigkeit, die einen erwischt und vor der man am liebsten wegrennen würde.

Wenn dann andere dranbleiben, inspiriert das einen, doch selbst auch

weiterzufahren; und in dieser Art ist man dann auch Inspiration für die anderen, die

es schwierig haben oder eine Krise haben.

OT Inge Vogt:

Die meisten Meditationslehrer bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Spenden. Die

Lehre ist nicht käuflich, hat keinen materiellen Preis: Ich gebe, was ich geben kann.

Glück ist nicht käuflich. Glück ist kein persönliches Verdienst, es realisiert sich nur im

Glück aller Wesen. In der Metta-Praxis, der Übung des Mitgefühls heißt es: »Möge

ich glücklich sein«, dann aber immer: »Mögen alle Wesen glücklich sein.«

7

OT Fred von Allmen

In Asien ist mir oft aufgefallen, auch klargeworden, dass Menschen dann in Retreat

gehen, wenn alles okay ist in ihrem Leben, wenn sie gesund sind, wenn die Familie

okay ist, wenn die finanzielle Situation soweit gut läuft, wie sie sollte, niemand große

Probleme oder Krisen hatte; und dann war klar, jetzt ist eine Zeit, in der wir ins

Retreat gehen können, weil es darum geht sich wirklich weiter zu entwickeln,

wirklich in Richtung Erwachen, in Richtung innere Befreiung vorwärts zu gehen.

Und ganz anders sieht man es im Westen. Die Leute, die an Retreats kommen, sind

natürlich sehr verschieden motiviert, sie kommen aus verschiedenen Gründen und

sie haben unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen. Und meistens ist es so,

dass eben zu Beginn, in den ersten Tagen oder in den ersten zwei Wochen, die

Leute in Retreats verbringen, doch viele Schwierigkeiten hochkommen. Es ist nicht

einfach im Retreat zu sitzen, langes Stillsitzen, langes Auf- und Abgehen, langes im

Schweigen, Dasein ist sehr radikal und bringt sehr viele Schwierigkeiten hoch in den

Leuten.

OT Ruth Burchard:

Und dann sitzt man da auf seinem Kissen und ist erschüttert und denkt »Mann,

Mann, Mann, bei mir im Kopf geht’s aber ganz schön rund.« ... Jeder fängt damit an,

dass er ein Problem hat, was er los wird, und in der Meditation stellt er fest, er kann’s

nicht los werden, sondern es ist die Sichtweise auf das Problem, was das Problem

schmerzhaft macht, oder das Leben in dieser Form so schmerzhaft macht.

OT Werner Penzel:

In dem Moment, wo man sozusagen dem Moment nicht mehr entkommen kann, weil

man festgenagelt ist, auf dem Kissen vor der leeren Wand, taucht erstmals meistens

der ganze Wust auf, den jeder so mit sich rumträgt; und dann lernt man, dass man

den einfach kommen und gehen lassen muss, und dann ist das so wie mit dem

verschmutzten Glas Wasser: Wenn man immer mit dem Finger drin rumrührt, dann

bleibt der Schmutz immer im Wasser drin; und wenn man das Glas Wasser einfach

mal ganz ruhig auf den Tisch stellt und zuschaut, dann sinkt alles langsam zu Boden,

und du hast wieder klares Wasser. Das ist das, was bei Meditation passiert.

8

OT Ludger Beckmann:

Die Gehirnforschung erzählt uns, wir haben alle drei Sekunden ungefähr einen

Gedanken, und wir haben zu 98 Prozent ungefähr die gleichen Gedanken am Tag.

Also wir haben ein mahlendes Mühlwerk, ein Räderwerk von Gedanken, was unser

Alltagsbewusstsein erfüllt; und deswegen ist es ein gutes Fahrzeug, ein gutes

Hilfsmittel, sich etwas wie etwa den Atem zu nehmen, um seine Gedanken darauf zu

fokussieren – und dann passiert etwas mit mir, und das beschreibe ich in Summe als

die Möglichkeit für einen körperlichen Weg, wie etwa Yoga oder andere Wege das

auch sind. In der Meditation gehe ich ganz praktisch in die Übung mit meiner

Bewusstheit und meinem Aufmerksamkeitsfokus. Das heißt, ich manipuliere meinen

Atem nicht, sondern ich bleibe nur der wache Beobachter, der mit meiner

Aufmerksamkeit meinen Atem begleitet. Und die Erfahrung zeigt, dass ich dann

irgendwann vollständig damit verschmelzen kann, wo die Trennung zwischen dem

Subjekt »Ludger, der atmet« und »Ludger, der beobachtet« verschwindet. Das heißt,

derjenige, der den Atem bewusst wahrnimmt, ist der Gleiche, wie der, der atmet.

Das ist ein Zustand, der mit Übung erreichbar ist.

OT Fumon Nakagawa Roshi:

Dem Leben das Leben überlassen, dem Tod den Tod überlassen, sich selbst sich

selbst überlassen, Einatmen Einatmen überlassen, Ausatmem Ausatmen überlassen

– das ist gerade Friede geschafft. Versuche niemals Buddha zu werden, versuche

niemals Atem zu kontrollieren.

OT Ludger Beckmann:

Wer diese körperliche Übung beginnt, wird sehr bald feststellen, wahrscheinlich

schon nach zehn Sekunden spätestens, es ist gar nicht so einfach, in der

Konzentration auf diesen Atem zu bleiben. Spätestens wenn ich eine Viertelstunde

gesessen bin, ist irgendein Gedanke dahergekommen und hat meinen

Gedankenfokus auf den Atem verdrängt.

OT Fred von Allmen:

Eine der vielbeachteten Lehrreden, die der Buddha gegeben hat, ist die Lehrrede

über die Achtsamkeit des Atems, des Gewahrseins des Atems. Wesentlich dabei ist,

dass wir die Achtsamkeit schulen, nicht der Atem selbst. Aber hilfreich ist es deshalb,

9

weil der Atem immer mit uns ist, so lang wir leben, dass er uns wirklich in einen

direkten Kontakt mit unserem physischen Leben, mit dem Körper bringt, und auch

deshalb weil der Atem doch sehr nahe ist bei den Gefühlen. Wenn wir wirklich beim

Atem sind, sind wir uns auch der Gefühle gewahr und den anderen Erfahrungen, die

da sind.

OT Inge Kuchenreuther:

Ich hab mir gedacht, ich will versuchen die Meditation, die mir so am Herzen liegt, für

Agnostiker zuzubereiten, so dass die Hemmschwelle sich darauf einzulassen,

möglichst niedrig ist. Und so hab ich da auch ganz bescheiden angefangen, mit fünf

Minuten und »Setzt euch ordentlich hin«, erstmal mit dem Körper. Also so ein ganz

langsamer allmählicher Einstieg. ... Der Sitz ist unabdingbar. Es spielt dabei keine

Rolle, ob ich auf dem Boden sitze, im Lotussitz. Aber unabdingbar ist eine absolut

gerade und lockere durchlässige Wirbelsäule, die keine großen Schmerzen hat, nach

Möglichkeit, ein geöffneter Brustkorb, so dass rein äußerlich im Körper schon ein

großer innerer Raum entsteht im Rückenbereich, dass das also wirklich ganz weit

offen ist innerlich, und selbstverständlich der gerade Kopf, so dass die

Durchlässigkeit der Wirbelsäule vom Steiß bis zur Krone des Kopfes immer

vorhanden ist.

OT Thomas Metzinger:

Es gibt aber natürlich auch sehr wichtige Meditationsformen, die Geh-Meditation, Tai-

Chi oder sowas, die mit »Achtsamkeit in Bewegung« zu tun haben, mit Bewusstheit

in körperlicher Bewegung. Und es kann viele Leute geben, für die das der bessere

erste Zugang ist. Es ist zum Beispiel, wie die Forschung zeigt, Meditation auch nicht

bei allen Formen psychiatrischer Erkrankungen angezeigt. Es gibt Leute, die sollten

nicht meditieren, weil ihnen das möglicherweise überhaupt nicht gut tut; und es gibt

auch Leute, für die wäre es besser, mit Yoga-Übungen anzufangen oder Bewusstheit

in Bewegung, als sich direkt konfrontieren im stillen Sitzen. Das heißt, da muss

natürlich ein Raum auch sein für Individualität, für Leute, die aus verschiedenen

Kulturen kommen, verschiedene Geschichten haben, sich in verschiedenen

Lebensphasen befinden. Es wird nicht für jeden alles richtig sein. Ganz wichtig ist,

dass man rausfindet, was funktioniert. Denn es geht ja – genau wie die Aufklärer

10

gesagt haben – um den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Es

geht darum, endlich die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

OT Fred von Allmen:

Man geht auf und ab – was eigentlich an sich sinnlos ist –, aber es macht ganz klar,

es ist nicht eine Meditation, wo wir irgendwo hingehen, um irgendetwas zu sehen

oder zu holen oder zu schauen, sondern es ist einfach Gehen. Und in diesem Gehen

sind wir wieder präsent, aufmerksam und sehen klarer und deutlicher und

unmittelbar, was sich bei uns im Geist und im Herzen abspielt.

Die Geh-Meditation ist auch sehr relevant, weil sie alltagsnäher ist als die

Sitzmeditation. Wir werden wahrscheinlich wenig Zeit verbringen im Alltag, wenn wir

beruflich tätig sind und mit Familie und alles, indem wir still, unbeweglich dasitzen.

Aber gehen tun wir viel, und wenn wir Gewahrsein, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit,

liebevolle Gelassenheit im formalen Gehen üben, dann ist es auch eher möglich, sich

im Alltag daran zu erinnern, wenn wir gehen, und dass dann auch dort wirklich zu

integrieren und zu leben.

Sprecherin:

»Was uns in der westlichen Zivilisation ganz besonders fehlt, ist eine aufrichtige,

unabgelenkte und vorurteilsfreie Geisteshaltung, in der sich Einsichten langsam

entwickeln und zur Reife kommen können. Diese Haltung kann nur durch stetige

Meditation geschaffen werden.« (Sogyal Rinpoche)

OT Ludger Beckmann:

Regelmäßiges Meditieren verhilft uns, unsere tiefen Entscheidungsstrukturen mit

unserer wachen Wahrnehmung und achtsamen Aufmerksamkeit zu verbinden. Und

die Gehirnforschung erzählt uns, dass regelmäßiges Meditieren die Gehirn-Regionen

vergrößert, in denen das Aufmerksamkeitszentrum – im präfrontaler Kortex, also im

Vorderhirn, im Stirnhirn – sitzt, und dass von da aus Verbindungen gebaut werden

zum Amygdala, dem Entscheidungszentrum. Und dieser Bau von neuen neuronalen

Autobahnen in deinem Gehirn, der passiert nicht zufällig, sondern der wird natürlich

unterstützt durch regelmäßiges Üben. Wenn du es machst, dann merkst du, du

meditierst nicht, um es morgens oder abends zu machen, sondern um auf der Arbeit

oder in der Begegnung mit deinen Kindern oder beim Kofferpacken oder

11

Spülmaschine-Ausräumen achtsam sein zu können. Du merkst, dass das eine

Lebensqualität ist, dass das Leben freudvoller wird. Das heißt, die regelmäßige

Übung unterstützt dich da drin, eine neue Qualität von Intensität des Erlebens im

Alltag zu gewinnen. Und dann ist der Alltag selbst die Übung.

OT Fumon Nakagawa Roshi:

Alles als Meditationspraxis verstanden und durchgeführt. Nicht nur bloss meditieren,

auf dem Boden, in der Halle und nichts tun, sondern Alltagssituation in der Küche,

Gartenarbeit. Auch zu sich selbst zurückkehren, in sich selbst verweilend.

Vervollkommnung des eigenen Daseins. Verwirklichung eigener Würde. Da zu sein

ist nicht mehr Methode, sondern Ausdruck. Ausdruck der Vollkommenheit in der

eigenen Existenz.

OT Fred von Allmen:

In dem Maß, wie wir in der direkten Erfahrung sehen und spüren und verstehen,

dass das, was uns ausmacht, was wir sind, was das Leben ist – dieser Prozess ist

von ständiger Veränderung. Dieser Fluss des Daseins – oder vielleicht diese

Symphonie oder manchmal auch Kakophonie des Daseins –, je mehr uns das auf

der Zellebene spürbar bewusst wird, desto eher tendieren wir dazu, die Dinge nicht

mehr ständig kontrollieren zu wollen, festhalten zu wollen, manipulieren zu wollen. Je

tiefer wir da hineinspüren können, desto deutlicher sehen wir: Wenn wir in unserem

Leben die Vorstellung, die Erwartungen so aufbauen, dass sie im Widerspruch sind

zu der Art und Weise, wie das Leben wirklich ist, dann werden wir leiden –

emotionales Leiden, geistiges Leiden, Leiden vieler Art – und beginnen, weil wir das

klar erkennen und sehen, mehr und mehr loszulassen, anzunehmen, mit den Dingen

zu fließen und sozusagen mehr ein Leben, das »in tune« ist, zu leben. Wir werden

auch wirkungsvoller in dem, was wir tun, weil wir nicht nur versuchen, Dinge zu

erreichen, die nicht erreichbar sind, sondern aus dem, was möglich ist, das Beste

machen. Das ist, relativ vereinfacht gesagt, was Erkenntnis-Meditation und

Vipassana tut.

12

Sprecherin:

»Erkenntnis ist wahrlich besser als Übung, Meditation ist besser als Erkenntnis,

Verzicht auf die Früchte des Handelns ist besser als Meditation. Auf Verzicht folgt

Freude.« (Sri Aurobindo)

OT Ludger Beckmann:

Die Meditation, wie ich sie verstehe, und die Naturwissenschaft haben eine

riesengroße Gemeinsamkeit: Das ist der phänomenologisch erforschende Geist. In

den meditativen Wegen des Zen, des Vipassana, des tibetischen Buddhismus gibt es

Anleitungen zur Erforschung der Wesensnatur, zur Erforschung des eigenen

Geistes; und diese Forschungsfragen und diese Forschungsreise hängen ganz eng

zusammen mit der Frage: Wer bin ich denn wirklich? Wenn du dich in die Ruhe

begibst und die Zone entsteht, wo die Gedanken zur Ruhe gekommen sind oder

verschwinden, bleibst du trotzdem in der Wahrnehmung. Nur bekommst du eine

Wahrnehmung von dem, was dein Geist ist, und das führt dich dazu, dass du zu

purer Wahrnehmung werden kannst. Du bist da und du spürst und du siehst und du

hörst, und du bist einfach diese pure nicht bewertende Wahrnehmung, und du

erkennst sie als die Grundstruktur deines Geistes. Und das ist der Punkt, wo die

Wissenschaft, die schaut und betrachtet, was sie sieht, mit der gleichen Methode

vorgeht wie diese Meditation. Und ich als Informatiker habe mich sehr mit den

Fragen der Berechenbarkeit auseinandergesetzt, und es ist ein riesen

Missverständnis, nur das für wissenschaftlich zu halten, was berechenbar ist. Die

Informatik lehrt uns, dass der größte Teil der Wirklichkeit nicht berechenbar ist.

OT Thomas Metzinger:

Also das Hauptproblem in der Meditation, nachdem die ersten Schritte überwunden

sind sozusagen, ist der, der Schritte machen will, der, der gerne ein Ergebnis haben

will, der, der heute eine gute Meditation haben will, eine klare, eine tiefe, der, der

enttäuscht ist, dass das nicht passiert – das heißt: die Struktur in uns, die auf der

Suche nach einer Belohnung ist, nach einem Belohnungserlebnis. Und diese

Struktur, die merkt natürlich, wenn es manchmal eine gute Meditation gegeben hat,

dass sie die gerne wieder hätte; und diese Struktur überlegt, wie sie möglichst

effizient diesen angenehmen Zustand möglichst oft wieder haben könnte, und diese

Struktur ist das Problem. Diese Struktur schafft Anstrengung, die schafft subtile

13

Formen des Vergleichens und Beurteilens, auch in der Meditation. Und so wie die

aktiv ist, findet Meditation gerade nicht statt. Es gibt natürlich so etwas, das nenn ich

manchmal »spirituellen Athletismus«. Also es gibt bestimmte – gerade auch

asiatische – Traditionen, in denen ist die Anwendung von auch Yoga-Atemübungen,

aber auch geistigen Techniken wie Meditation zu einer Art Hochleistungssport

verkommen. Das heißt, es gibt da sehr ausdifferenzierte Anweisungen, Anleitungen,

Ideen von Stufen und so weiter. Das kann sein, dass die vor vielen Jahrhunderten

mal die lebendige Erfahrung von wirklichen Menschen wiedergegeben haben. Aber

wenn heute Leute das Hauptproblem darin sehen, was die richtige Technik ist, dann

haben sie das Grundproblem nicht verstanden. Es geht um den Mechanismus des

Eine-Belohnung-haben-Wollens und um den Mechanismus des Ein-Ziel-erreichen-

Wollens selbst, der steht im Weg.

Sprecher:

»In der Welt geht es stets um Gewinn oder Verlust, Plus oder Minus. Doch im Zazen

geht es um nichts. Es bringt nichts! Deshalb ist es die größte und umfassendeste

Sache, die es gibt.« (Kodo Sawaki)

OT Thomas Menzinger:

Meditation ist eine Bewusstseinstechnologie, die zwar nachhaltig ist, sagen wir mal

im Gegensatz zu Drogen oder Medienkonsum, die aber sehr subtil ist und die

langsam wirkt.

OT Ludiger Beckmann:

Meditation und Religion, was haben die miteinander zu tun? – Die Religionen sind

für mich die Kirchenfenster, und erst durch die Kirchenfenster können wir in ihren

Formen und den Farben, die wir sehen, das Licht erkennen. Das Licht als solches ist

für uns nur wahrnehmbar in der Form, in der es sich bricht. Und so verstehe ich die

Religionen; dass sie uns Bilder liefern, Parabeln liefern, Erfahrungen liefern, die mit

dem jeweiligen Kulturkreis verbunden sind. Und die Religionen, insbesondere die

Theologie, halten sich damit aber im Raum des Rationalen auf. Und alle die

genannten fünf großen Weltreligionen haben Zonen, in denen sie in die mystische

Einheitserfahrung eingedrungen sind. Die Menschen, die mystische Erfahrung

gemacht haben – ob nun als Yogi, als Sufi, als christlicher Heiliger oder als

14

buddhistischer Lama –, wenn die sich treffen, dann wissen sie, dass sie vom

Gleichen sprechen. Und da sehe ich auch die weltpolitische Perspektive und

Aufgabe der Religionen, dass sie sich nicht untereinander bekriegen, was leider an

vielen Stellen wie zum Beispiel im nahen Osten der Grund für die blutigen

Auseinandersetzungen ist, sondern dass sie erkennen, dass sie einen gemeinsamen

Urgrund haben; und dieser Urgrund, der ist durch Meditation zu erfahren, und in dem

Sinne ist Meditation etwas sehr anderes als die Religion.

Sprecherin:

1893 tagte das Weltparlament der Religionen, eine internationale Versammlung

religiöser Führer und Lehrer und asiatische Meister, präsentierten ihre Lehren

erstmals der westlichen Welt. Vor allem der Zen-Mönch Soyen Shaku und später

Nyogen Senzaki bereisten die USA und lehrten. In den Zwanziger Jahren ließ sich

der Yogi Yogananda dort nieder und gründete die »Self-Realization Fellowship«. Es

folgte in den Vierziger Jahren der hinduistische Philosoph Krishnamurti. Aldous

Huxley, einer seiner berühmtesten Schüler, half bei der Verbreitung hinduistischer

Schriften. In den Fünfziger Jahren lehrte der japanische Zen-Mönch Daisetsu Teitaro

Suzuki, zu dessen Schülern der Psychoanalytiker Erich Fromm, der Komponist John

Cage und der Autor und Mönch Thomas Merton gehörten, an der Columbia

University.

(Orignal: »TANZ DEN MEDITATIONSROCK« von Allen Ginsberg)

Sprecher:

Willst du Meditieren lernen?

Ich sag’s dir gleich

Es ist nie zu spät

Ich sag’s dir sofort

Wie das wohl geht

Denn es ist einfach toll

Dass es nie ist zu spät

Bist du ein alter Schwindler

So einer wie ich

15

Oder auch ein Lama

Der lebt ewiglich

Ist das erste was du tust

Wenn du meditierst

Dass du gerade sitzt

du hockst dich hin

Mit geradem Rückgrat

Und eingezogenem Kinn

Auf ein Kissen auf dem Boden

Oder auch auf einen Stuhl

Ich sage dir

Das ist beides cool

Meditiere Mann

Jetzt ist es so weit

Lern ein bisschen Geduld

Und Großzügigkeit.

Sprecherin:

Jack Kerouac porträtierte 1958 in seinem Kultbuch »The Dharma bums« die

meditierenden Dichter Gary Snyder, Allen Ginsberg und Alan Watts, die einen

grossen Einfluss auf die Beat-Generation und ihren Nachfolgern, der Hippie und der

Flower-Power-Bewegung hatten. Ein regelrechter Boom wurde schließlich Ende der

Sechziger Jahre dadurch ausgelöst, dass die Beatles nicht nur Elemente indischer

Musik in ihre Songs integrierten sondern auch die transzendentale Meditation

ausübten. In den Siebziger Jahren erschien »Be here now« von Richard Alpert und

die indischen Meditationslehrer Bhagwan Rajneesh und Meher Baba zogen weltweit

Schüler in ihren Bann. Jon-Kabat Zinn entwickelte die MBSR-Methode, das heißt

»mindfullness- based stress reduction«, in der Therapie und Meditation zu einem

Konzept verbunden wurden. – »Du kannst die Wellen nicht aufhalten, aber du kannst

lernen zu surfen!«

16

Sprecher:

Folge deinem Atem

Wie er geht rein und raus

Und sitze stabil

Sitze weise, altes Haus

Folge deinem Atem

Durch die Nase raus

Folge ihm hinaus

So weit es geht, altes Haus

Folge deinem Atem

Ganz ohne Atemnot

Aber hänge dich nicht

An Gedanken an den Tod

Im alten Saigon

Folge deinem Atem

Wenn Gedanken kommen

Was immer du denkst

Das sei dir unbenommen

Es ist immer überraschend.

Meditiere Mann

Jetzt ist es soweit

Lern ein bisschen Geduld

Und Großzügigkeit

Ja Großzügigkeit

Ja Großzügigkeit

Ich sagte Großzügigkeit.

OT Thomas Metzinger:

Ich glaube, Spiritualität ist so ziemlich genau das Gegenteil von Religion. Das heißt,

das hat nichts mit Glauben zu tun, und auch nichts mit Beten. Also Meditation hat

nichts mit Beten zu tun.

17

Sprecher:

»Zu beten heißt, Gott zu sehen. Zu meditieren heißt, Gott zu werden.« (Sri

Chinmoys)

OT Thomas Metzinger:

Beten ist ein Vorgang, in dem man sich ja meistens ein Gegenüber konfabuliert,

indem man eine – oft als Person gedachte – Gottheit erst mal vorstellt und dann

anspricht, und irgendwie versucht, die zu manipulieren, das zu tun, was man gerne

hätte. Meditation würde bedeuten, diesen Zustand zu durchschauen für das, was er

ist und ihn wieder loszulassen.

Sprecherin:

»Solange wir versuchen, das Reich der Spiritualität mittels Moralität zu erreichen,

setzen wir die Ich-Kraft ein, und gerade diese Ich-Kraft muss ausgelöscht werden.«

(D. T. Suzuki)

Sprecher:

Es ist nie zu spät

Auch wenn das Karussell

Der Gedanken sich dreht

Geht dein Atem immer weiter

Und du sitzt still und heiter

Und denkst nicht daran

Was du von diesem hältst

Und von jenem, oh Mann

Und kommt dir ne Vision

Sagst du Hello Goodbye

Mit leerem Auge

Stellst du dich einfach dumm

Und schon ist sie vorbei

Sehnst du dich mal

Nach dem großen Knall

Erinnere dich daran

18

Auch dieser Fall

Flog einfach vorbei

Mit dem westlichen Wind.

Meditiere Mann

Jetzt ist es soweit

Lern ein bisschen Geduld

Und Großzügigkeit.

Sprecherin:

»Der östliche Geist bezieht alle Dinge auf das transzendente Ich, wenn auch nicht

immer bewusst, er sieht sie letztendlich in ihm begründet, während der westliche

Geist sich an das relative Ich hält und von ihm ausgeht.« (D.T. Suzuki)

OT Inge Kuchenreuther:

Ich hab angefangen mit dem Mantra »Om«, also im hinduistischen Bereich. Durch

die hinduistische Meditation sind mir plötzlich Wahrheiten aus dem neuen Testament

bewusst geworden, und ich hab es mit der Zeit als zu exotisch empfunden und hab

nach etwas gesucht, was näher ist zu meiner Kultur und meiner inneren Prägung,

und da hab ich in einem Buch vom Dalai Lama gelesen, man könnte so meditieren,

wie es für das Herz richtig ist; dass man das Gefühl hat, das stimmt mit mir und mit

meiner Prägung, mit meinem ganzen Sein überein. Und da hab ich eine katholische

Schwester gefragt nach einem Rosenkranz und hab ihr gesagt, ich möchte gerne

üben damit. Und seitdem, das ist jetzt über 15 Jahre her, bete ich den Rosenkranz

jeden Morgen; und es ist für einen Menschen, der christlich geprägt ist letzten Endes,

der mit der Matthäus-Passion groß geworden ist, die ideale Form zu meditieren –

das Gebet. Es ist so, dass der Gebetcharakter immer mehr in den Hintergrund tritt,

und der Meditations-Charakter immer mehr an Bedeutung gewinnt, so dass es am

Schluss so ist, dass die Worte wirklich nur noch Automatismen sind, und im Grunde

die Weite und Stille entsteht wie bei einer wortlosen idealen Meditation.

OT Thomas Metzinger:

Wenn man mal voraussetzt, dass es eine absolut ideologiefreie und säkulare Form

von Meditationspraxis gibt, das heißt, wenn man erstmals anerkennt, dass diese

19

spezifische und wirklich über Jahrhunderte getestete Form des inneren Handelns im

Nichthandeln – ohne Glaubens-Systeme und ohne metaphysischen Überbau – auch

funktioniert, dann eröffnet sich eine zweite Perspektive. Und zwar ist es ja so, dass

wir im Moment sehr viel aus der Hirnforschung aus den Neuro- und

Kognitionswissenschaften, aber auch aus der modernen Philosophie des Geistes

über die Grundlagen des menschlichen Bewusstseins erfahren; und es entstehen

jetzt aus der Hirnforschung auch die ersten Neuro-Technologien, neue Substanzen,

Hirn-Implantate, direkte Stimulation mit Elektroden; das heißt es ist auf der

wissenschaftlichen Seite abzusehen, dass wir sehr bald wesentlich genauere

Einsichten über die Struktur des menschlichen Bewusstseins haben werden, und

auch immer bessere Möglichkeiten, ihn technisch zu beeinflussen. Und dadurch stellt

sich eine alte philosophische Frage jetzt langsam für viele Leute neu, und das ist die

Frage, was ist überhaupt ein guter Bewusstseinszustand.

Sprecherin:

»Zum Erkennen der Wahrheit tragen intellektuelle Bemühungen ebenso wenig bei

wie zum Aufgehen in der Liebe. So gilt es alles Ich-bezogene Streben und alle

vorgefassten religiösen Standpunkte aufzugeben. Es gilt, das Bewusstsein rein zu

halten, in einem Zustand vollkommener Neutralität oder Unbesetztheit. Der Verstand

muss so einfältig wie der eines Kindes werden, frei von papiernem Wissen und von

Hochmut.« (D. T. Suzuki)

OT Thomas Metzinger:

Also welche Bewusstseinszustände wollen wir unseren Kindern zeigen, welche

werden wir fördern und kultivieren? – Und da zeigt sich, dass es erstens so etwas

gibt wie ein nicht akademisches Bildungsideal, also gebildet zu sein heißt nämlich

wesentlich mehr als einen bestimmten Kanon an Wissen aufsagen zu können.

Gebildet zu sein heißt die Autonomie entwickelt zu haben, überhaupt mit seinem

eigenen Geist umzugehen. Zu sehen, was tut mir da überhaupt gut, was will ich

überhaupt – überhaupt solche Fragen im eigenen Leben aufzuwerfen wie: Was für

Erlebniszustände möchte ich denn haben? Welche möchte ich gerne nicht mehr

haben in meinem Leben? Und wenn man diesen Fragen so ein bisschen nachgeht,

dann sieht man auf einmal, dass das, was eine Kultur auch ausmacht und einen

zivilisatorischen Standard, sehr viel mit Bewusstheit zu tun hat, das heißt mit nicht

20

intellektuellen Tugenden, mit einer bestimmten Sensibilität sich selbst gegenüber, die

auch im Alltag funktioniert, vor allen politischen Diskussionen oder vor dem äußeren

Handeln, und dass wir da teilweise einen sehr geringen zivilisatorischen Standard

haben.

Sprecherin:

»Die wahre Größe der Meditation ist nicht in irgendeiner Methode zu finden. Sie liegt

in einer kontinuierlichen und lebendigen Erfahrung von Präsenz und Glückseligkeit,

in Klarheit, Frieden und – am wichtigsten von allem – in der völligen Abwesenheit

jeden Greifens.« (Sogyal Rinpoche)

OT Ludger Beckmann:

Es gibt einen Jahrtausende Jahre alten Satz der Chinesen: Wer länger am Tag als

drei Minuten auf einem Bein steht, der wird nicht dement. Die Gehirnforscher

bestätigen uns, dass körperliche Gleichgewichtsübungen zusammen mit mittelmäßig

komplexen Bewegungsabläufen mit eine der wirksamsten Präventionsmaßnahmen

sind, um einer Altersdemenz vorzubeugen. Wer mal durch das Peking von 2012

gefahren ist und durch die Parks geht, der sieht viele ganz alte Menschen, die

dastehn und ihr Tai-Chi oder ihr Chi-Gong machen, was Übungen dieser Art sind, wo

man oft auf einem Bein steht und balancieren muss.

OT Heiner Stadler:

»TV Buddha« hab ich in Berlin bei einer Ausstellung gesehen und hatte schon vorher

darüber gelesen und gehört und hab mir das Ganze viel größer vorgestellt.

Ich dachte fast, der Buddha sei lebensgroß, und ein richtig großer Bildschirm davor.

In Wirklichkeit ist es ganz klein. Es war auf einem Podest montiert, und das

Fernsehgerät – für damalige Zeiten ein avantgardistisches Teil – gegenüber einer

klassischen Buddha-Figur. Jenseits von dem Sockel, auf dem beides montiert war,

stand die kleine Videokamera. Das heißt, Buddha sitzt, betrachtet das Fernsehgerät,

sieht auf dem Fernsehgerät sich selbst, stimmt aber gar nicht ganz. Weil es ist nicht

sein subjektiver Blick auf dem Fernsehgerät, sondern die Kamera ist ein bisschen

höher, guckt über ihn weg, also guckt über den Bildschirm weg auf Buddha. Und ich

habe hinterher ganz viele Interpretationen, mögliche Lesarten von dieser Video-

Installation gehört, gelesen, mit anderen Leuten drüber gesprochen, und eigentlich

21

glaube ich, ist es tatsächlich so einfach, wie’s aussieht: Jemand sitzt, meditiert, ist in

Meditationshaltung, guckt aber nicht nach innen, sondern guckt nach aussen, guckt

auf ein Fernsehgerät. Und jetzt kann man natürlich sagen, das Ganze ist eine

Versinnbildlichung von östlichem Denken mit westlicher Medienwelt, man kann es in

Beziehung setzen zu Nam June Paiks eigener Biographie, man kann unheimlich viel

rein-interpretieren. Das wiederum, denk ich, ist die große Kunst, die in diesem

kleinen Teil enthalten ist, dass es offen ist. Es ist nicht einfach ein Bild von jemand,

der sitzt und meditiert, der reflektiert, was sein Leben bedeutet, sondern sich

gleichzeitig nach außen öffnet.

Sprecherin:

»Bei einem Maler ist jeder Pinselstrich Schöpfungswerk - und er kann nicht noch

einmal gemacht werden, weil Schöpfung keine Wiederholung erlaubt.

Wenn auch nur ein einziger seiner Pinselstriche absolut ist, vollkommen - wie sollte

dann die ganze Bildstruktur oder Komposition wiederholt werden können? Genauso

ist jede Minute eines Menschenlebens – so lange dieses Ausdruck seines inneren

Selbst ist – original, göttlich, schöpferisch und kann nicht wiederholt, nicht korrigiert

werden. So ist jedes individuelle Leben ein großes Kunstwerk. Ob man daraus ein

unnachahmliches Meisterwerk macht oder nicht - das hängt davon ab, wie bewußt

uns das Wirken von sunyata (Nicht-Selbst) in uns ist.« (D.T. Suzuki)

Sprecher:

Es ist nie zu spät

Gar nichts zu tun

Einfach zu meditieren

Wie der Atem geht

Das ist dir unbenommen

So lässt du Geist und Körper

Mal zur Ruhe kommen

Meditiere Mann

Jetzt ist es soweit

Lern ein bisschen Geduld

Und Großzügigkeit.

22

Sitzt du für eine Stunde

Oder eine Minute jede Nacht

Dann kannst du’s ihr zeigen

Dieser Supermacht

Wie man einfach dasitzt

Als Supermacht

Und stillhält und wartet

Und einfach hat Acht

Du zeigst ihr wie’s geht

Es ist nie zu spät

Meditiere Mann

Jetzt ist es soweit

Und hole sie dir

Eine Menge Energie

Und Großzügigkeit

OT Ludiger Beckmann:

Mein Lieblingssatz in der Meditation, den hab ich einmal an einem Abend 1984

gehört, und seitdem ist er bei mir geblieben. Er ist von Dogen Senchi, und Dogen

Senchi hat das Zen von China nach Japan gebracht. Und ich hatte dreimal eine

halbe Stunde gesessen, und dann kam ein Freund ins Zendo und sagte folgenden

Satz – und ich war zutiefst erschüttert; es war wie wenn ein Strudel oder eine

Explosion in mir stattfindet: »Dieses unser Leben – wem gleicht es? Dem

Wiederschein des Mondes in einem Tropfen Tau am Schnabel einer fliegenden

Ente.«

Sprecherin:

»Das ist Meditation. Das heißt, es geht bei der Meditation darum, die Wahrheit in

jedem Augenblick zu sehen - nicht die absolute Wahrheit, sondern in jedem Moment

das Wahre und Unwahre.« (Krishnamurti)

Absage und Ende