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MITTEILUNGEN AUS DEN STAATSBIBLIOTHEKEN IN BERLIN UND MÜNCHEN 2 2010 In dieser Ausgabe M AGAZI N B I B L I O T H E K S Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland Untergang und Neubeginn „We may meet again …“ Der Kunstmäzen Willy Levin Theodor Fontanes Notizbücher Teilnachlass Kaulbach für die BSB Fische, Frösche, Schnecken, Trauben Start ins Veranstaltungsjahr 2010 Archäologennachlässe in der Staatsbibliothek zu Berlin Der Aventinus-Forschungslesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek Wie man Damen zersägt und immer ein Ass im Ärmel hat Russische Weltchronik im Faksimile Die Schere im Kopf und anderswo Bestandsaufbau virtuell „Geist von Clemens und Bettinen“ Natur- und Geisteswissenschaften im Gespräch Judenmission und Bücherraub

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MITTEILUNGENAUS DEN STAATSBIBLIOTHEKENIN BERLIN UND MÜNCHEN

2 2010

In dieser Ausgabe

M A G A Z I NB I B L I O T H E K S

Jüdische Displaced Persons imNachkriegsdeutschland

Untergang und Neubeginn

„We may meet again …“

Der Kunstmäzen Willy Levin

Theodor Fontanes Notizbücher

Teilnachlass Kaulbach für die BSB

Fische, Frösche, Schnecken, Trauben

Start ins Veranstaltungsjahr 2010

Archäologennachlässe in derStaatsbibliothek zu Berlin

Der Aventinus-Forschungslesesaalder Bayerischen Staatsbibliothek

Wie man Damen zersägt und immerein Ass im Ärmel hat

Russische Weltchronik im Faksimile

Die Schere im Kopf und anderswo

Bestandsaufbau virtuell

„Geist von Clemens und Bettinen“

Natur- und Geisteswissenschaftenim Gespräch

Judenmission und Bücherraub

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magazinB I b l i o t h e k s

INHALT

Seite 3„SCHEITE, DEM FEUER ENTRISSEN …“Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland und ihre Bücher:Vom Aufbau einer Sammlung in der Orientabteilung der SBB-PKEva-Maria Thimme

Seite 8UNTERGANG UND NEUBEGINN

Der fotografische Nachlass von Tino Walz (1913–2008)im Bildarchiv der Bayerischen StaatsbibliothekHermann Liebherr

Seite 13„WE MAY MEET AGAIN AND BE TOGETHER AS IN FORMER YEARS“Neue Bonhoeffer-Dokumente für die Staatsbibliothek zu BerlinJutta Weber

Seite 17Ein unbekannter Kunstmäzen der Jahrhundertwende:WILLY LEVIN ZUM 150. GEBURTSTAG

Maximilian Schreiber

Seite 20THEODOR FONTANES NOTIZBÜCHER

Gabriele Radecke

Seite 23BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK ERWIRBT TEILNACHLASS

DER MALERFAMILIE KAULBACH

Maximilian Schreiber

Seite 26FISCHE, FRÖSCHE, SCHNECKEN UND TRAUBEN

Zur Restaurierung naturhistorischer Prachtwerke mit Unterstützung der Ernst von Siemens KunststiftungKatrin Böhme

Seite 30FULMINANTER START IM VERANSTALTUNGSJAHR 2010Bayerische Staatsbibliothek feiert zwei bedeutende EreignissePeter Schnitzlein

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Seite 33GERHART RODENWALDTS PERSÖNLICHE KORRESPONDENZ

Zu den Archäologennachlässen in der Staatsbibliothek zu BerlinHermann Parzinger

Seite 37NEUE ARBEITSUMGEBUNG FÜR DIE GEISTES- UND NATURWISSENSCHAFTEN

Der Aventinus-Forschungslesesaal der Bayerischen StaatsbibliothekPeter Schnitzlein

Seite 40Wie man Damen zersägt, immer ein Ass im Ärmel hat und sein Publikum bezaubert:ZAUBERBÜCHER AUS DER SAMMLUNG FECHNER

Silke Trojahn

Seite 44JAHRESEMPFANG DER GENERALDIREKTORIN UND DES VORSITZENDEN

DER FREUNDE DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN

Seite 46Russische Weltchronik aus dem 16. Jahrhundert im FaksimileGESCHENK AN DIE BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK

Interview mit Charis MustafinGudrun Wirtz / Filip Hlusicka

Seite 51DIE SCHERE IM KOPF UND ANDERSWO

Zeitungen, Zensur und SelbstzensurAlexander Fiebig

Seite 55BESTANDSAUFBAU VIRTUELL

Bibliotheksübergreifende Lizensierung elektronischer RessourcenHildegard Schäffler / Ursula Stanek

Seite 60„GEIST VON CLEMENS UND BETTINEN“Margherita von Brentano und ihr Nachlassin der Staatsbibliothek zu BerlinAngela Holzer

Seite 66GRENZFRAGEN

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften im GesprächPeter Schnitzlein

Seite 69JUDENMISSION UND BÜCHERRAUB

Die Berliner Staatsbibliothek restituiert Drucke aus der „Bibliothekder Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden“Michaela Scheibe / Heike Pudler / Martin Hollender

Seite 75KURZ NOTIERT

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Es war ein schmaler Band, auf schlech-

tem Papier und blass gedruckt, der im

Mai 1950 – Sivan 5710 nach der jüdi-

schen Zählung – in Bergen-Belsen er-

schien. Auf 46 Seiten wurden 58 Publika-

tionen vorgestellt, die zwischen 1945

und 1950 in der britischen Besatzungs-

zone veröffentlicht worden waren. Bei

den Verfassern dieser Bücher und ihren

Lesern handelte es sich ausnahmslos um

jüdische Überlebende der östlichen Kon-

zentrationslager sowie der berüchtigten

Todesmärsche, die in den bestehenden,

unvorstellbar überfüllten KZs der west-

lichen Regionen Deutschlands Ende

1944/Anfang 1945 endeten.

Hier hatten die aus allen besetzten Län-

dern Deportierten die Befreiung durch

amerikanische oder britische Einheiten

und die bedingungslose Kapitulation des

Deutschen Reiches erlebt – das Ende

von Verfolgung und Demütigung, gewiss,

aber was wollte das angesichts des

„Churban“, des Genozids, der Leiden in

Lagern und Ghettos, des hohen Preises

für den militärischen Sieg bedeuten?

„She’erit ha-Pletah“, Rest der Gerette-

ten, nannten sich die jüdischen Überle-

benden mit einem biblischen Begriff (Esra

9, 14; 15. 2K19, 30; 31), deren Anzahl

man auf 50 000 bis 75 000 schätzt. Ins-

gesamt fanden die Alliierten auf dem Ge-

biet der späteren westlichen Besatzungs-

zonen 6,5 bis 7 Millionen „Displaced

Persons“ — Kriegsgefangene, Zwangs-

arbeiter, KZ-Häftlinge – vor, deren Ver-

sorgung die jeweilige Militäradministra-

tion vor ein schier unlösbares Problem

stellte: Sie mussten untergebracht, mit

Lebensmitteln und Kleidung versehen

sowie medizinisch betreut und, sofern

ihre Verfassung es gestattete, in ihre

Herkunftsländer zurückgeführt werden.

Vergleichsweise zügig verlief die Repatri-

ierung in die west- und südeuropäischen

Länder; problematischer war der Fall der

sowjetischen Bürger, die in Scharen aus

der sowjetischen Besatzungszone flohen

bzw. sich weigerten, in ihre Heimat zu-

rückzukehren, nachdem bekannt gewor-

den war, dass kriegsgefangene Armee-

angehörige und Zwangsarbeiter als

Verräter und Kollaborateure vor Militär-

gerichte gestellt und zu hohen Haftstra-

fen in sibirischen Lagern verurteilt wur-

den. Vollends aussichtslos schien die

Lage der jüdischen Überlebenden aus

den ost- und südosteuropäischen Län-

dern, die über Familie und Freunde hin-

Dr. Eva-Maria Thimme

ist Fachreferentin für Judaistik und

Hebraistik in der Orientabteilung

der Staatsbibliothek zu Berlin

„SCHEITE, DEM FEUER ENTRISSEN …“

Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland und ihre Bücher:

Vom Aufbau einer Sammlung in der Orientabteilung der SBB-PK

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Szlojme Mayer

Der Untergang fun Zloczów

München 1947

Nahezu alle in den Camps veröffent-

lichten Bücher waren in den beiden

den osteuropäischen Juden geläufigen

Sprachen verfasst, die säkularen

Werke auf Jiddisch, religiöse Literatur

auf Hebräisch. Gelegentlich waren

nicht genügend hebräische Lettern

vorhanden, dann wurde ein Buch auf

Jiddisch geschrieben und mit lateini-

schen Buchstaben gesetzt.

sen, wann und wohin die Reise weiterge-

hen werde. Denn ein Verbleiben im Land

der Mörder erwog wohl kaum jemand.

Wer nicht auf ein Visum für die USA,

Kanada oder England hoffte, bereitete

sich auf die „Aliyah“, die Einwanderung

nach Palästina, vor.

Beide Optionen waren zunächst nicht

oder nur bedingt realisierbar. Abgesehen

von den genannten Staaten erteilten

nahezu alle Länder nur solchen Personen

Einreise- und Aufenthaltsgenehmigungen,

die sich in einwandfreier physischer und

psychischer Verfassung befanden sowie

wohlhabende Verwandte am Ort besa-

ßen. Hinzu kam, dass England, Mandats-

macht in Palästina, ein striktes Einwande-

rungsverbot über die Region verhängt

hatte: seit den späten 20er-Jahren sah es

sich in einen zusehends härter geführten

Zweifrontenkrieg mit aufständischen

Palästinensern einerseits, jüdischen Immi-

granten und deren Untergrundarmee

andererseits verwickelt. Mit äußerstem

Unbehagen registrierten daher die briti-

schen Behörden in den anglo-amerikani-

schen Besatzungszonen die Umtriebe

zahlreicher zionistischer Gruppierungen

– mehr noch: die erfolgreiche Organisa-

tion der klandestinen Immigration nach

Palästina, die zu unterbinden letztlich

nicht gelang.

Die Mehrheit der jüdischen DPs musste

sich auf einen längeren Aufenthalt im

„Wartesaal“ von „Trizonien“ einstellen.

In Gebäuden ehemaliger Arbeits- und

selbst Konzentrationslager, in Wehr-

machtskasernen und eilends errichteten

Baracken untergebracht, begannen sie,

mit Unterstützung durch das UN-Flücht-

lingswerk und amerikanisch-jüdische

aus auch buchstäblich ihre Heimat ver-

loren hatten. Ihre Häuser, Städte, Kul-

turlandschaften waren restlos zerstört,

weite Teile Polens und der westlichen

Sowjetunion sollten durch die Taktik der

„verbrannten Erde“ auf Jahrzehnte un-

bewohnbar bleiben.

Der „Rest der Geretteten“ befand sich,

wie es Zalman Grinberg, der erste Vor-

sitzende des „Zentralkomitees der

befreiten Juden in der amerikanischen

Zone“ im Herbst 1945 formulierte,

gleichsam „im Wartesaal“, ohne zu wis-

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Hilfsorganisationen, eine provisorische

Existenz aufzubauen.

Ebenso unvermutet wie dramatisch stieg

die Zahl der jüdischen DPs durch meh-

rere Flüchtlingswellen an, die Ende 1946/

Anfang 1947 die west- und südwestdeut-

schen Camps erreichten: Ausgelöst wor-

den war diese neuerliche Fluchtbewe-

gung zum einen durch Pogrome in Kielce

und anderen polnischen Ortschaften,

wohin jüdische Bürger nach ihrer Befrei-

ung aus Lagern, Ghettos und prekären

Verstecken bzw. nach ihrer Demobilisie-

rung aus Armee- und Partisaneneinheiten

zurückgekehrt waren; zum andern durch

Shmuel Galbort

Dos geto in flamen

München 1948

Der Verfasser – Schriftsteller,

Pädagoge und zionistischer Politiker

in Litauen – überlebte das Ghetto

von Kaunas/Kovno. In seinem Doku-

mentarroman schildert er Leben und

Sterben im Ghetto sowie den Beginn

des bewaffneten Widerstands.

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eine rapide sich verschärfende Kampagne

gegen „Kosmopoliten, Zionisten und jü-

dische Reaktionäre“ in der Sowjetunion.

1947 lebten in westdeutschen Lagern

etwa 200 000 ostjüdische DPs – und

paradoxerweise war es hier, dass sich

unter dem Schutz der westlichen Besat-

zungsmächte die spirituelle, intellektuelle

und kulturelle Vielfalt des traditionellen

ostjüdischen „Shtetl“ noch einmal entfal-

tete.

Strenge, aller Mystik abholde Rabbiner,

chassidische Zaddikim, religiöse, sozialis-

tische, militant-„revisionistische“ Zionis-

ten, Angehörige der anti-zionistischen

Arbeiterorganisation „Bund“, „Hebra-

isten“ und „Yiddischisten“, Fromme und

Freidenker – sie alle gehörten zur Ge-

meinschaft der „She’erit ha-Pletah“ mit

einem grundsätzlich identischen Schicksal

in der jüngsten Vergangenheit – und dem

Anspruch, je unterschiedliche Hoffnun-

gen auf eine bessere Zukunft hegen und

propagieren zu dürfen.

Es mutet kaum glaublich an, dass Men-

schen, mit knapper Not Gaskammern

und Erschießungskommandos, Typhus-

epidemien und Hungertod entronnen,

das Herstellen und Lesen von Büchern

ein vordringliches Anliegen war.

Da gab es Werke aus dem reichen Fun-

dus der religiösen Literatur – Bibeln und

Bibelkommentare, Talmudtraktate,

Gebetbücher, Liturgien zu Feiertagen,

Schriften zur religionsgesetzlich vorge-

schriebenen Lebensführung – und kaum

eines von ihnen, das nicht auf diese oder

jene Weise Bezug nahm auf die jüngst

erlittene Katastrophe. Der 1948 in Mün-

chen publizierte 19-bändige „Survivors’

Talmud“ war – ein Unikum unter den

grundsätzlich schmucklos gehaltenen Tal-

mudim – mit einem Titelblatt versehen,

auf dem im unteren Teil dargestellt ist,

wie Häftlinge in einem KZ Leichen auf

einen Karren stapeln; gesprengte Sta-

cheldrahtumzäunungen zeigen, Wegwei-

sern gleich, das Ziel im oberen Teil des

Titels an: die im Sonnenglanz liegende

Burg Zion zu Jerusalem.

Talmud Bavli – Masekhet Bekhorot

Hg. von der Rabbinervereinigung in

der amerikanischen Zone Deutsch-

lands, 19 Bände, München-Heidel-

berg 1948

In zahlreichen, überwiegend religiösen

Werken – so auch hier – wurde das

hebräische Wort für Deutschland,

Germanyah, nicht ausgeschrieben, da

die letzten beiden Buchstaben YH

zum Tetragrammaton, dem unaus-

sprechbaren Gottesnamen gehören.

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Zahlreiche Werke der säkularen Litera-

tur sind mit dem anschaulichen Symbol

eines Baumes versehen, dessen Stamm

gefällt und abgestorben ist, dessen Wur-

zeln aber tief in die Erde reichen; aus sei-

nem Stumpf brechen neue Triebe her-

vor, die die Konturen des Landes Israel

bilden. Neben Ausgaben von „Klassi-

kern“ der modernen hebräischen und

jiddischen Literatur sind in dieser Kate-

gorie die ersten Dokumentationen des

Genozids in Wort und Bild bemerkens-

wert: sie bezeugen Leiden und Sterben,

aber auch Widerstand und Lebenswillen

der Verfolgten. Von besonderer Bedeu-

tung waren Wochenzeitungen und Zeit-

schriften, mit deren Hilfe vermisste An-

gehörige gesucht und gefunden wurden.

Nicht zuletzt kommt jenen Bildbänden

ein hoher dokumentarischer Wert zu,

die das Leben im „Wartesaal“ zeigen:

die Ausbildung von Kindern und Jugend-

lichen, die kulturellen und sportlichen

Veranstaltungen, die Tätigkeit von Rabbi-

nern, Ärzten, Druckern und Schriftstel-

lern. Nicht Stolz, eher melancholisch

gestimmtes Selbstbewusstsein spricht aus

dieser Literatur, zu der auch die eingangs

erwähnte, von B. Kossovski zusammen-

gestellte Bibliographie gehört.

Insgesamt dürften es 400 Werke sein, die

in den Camps zwischen 1945 und dem

Beginn der 50er-Jahre veröffentlicht wur-

den. Mit dem Erwerb des Münchener

Talmuds und weiteren 200 Drucken hat

die Orientabteilung der SBB-PK begon-

nen, diese Literatur zu sammeln und zu

erschließen.

„Ud mutsal me-esh“ – dem Feuer entris-

senes Scheit: das bildhafte Wort der Pro-

pheten (Sacharja 3,2; ähnlich Amos 4,11)

für den Überlebenden von Krieg und

Verfolgung gilt für jedes einzelne Exem-

plar dieser Sammlung gleichermaßen.

ZUR UMSCHLAGABBILDUNG

Dos Judische Wort

Zentralorgan fun Agudat Yisrael in

Deitschland

Nr. 2, 3. März 1946

Feldafing

Die orthodoxe Vereinigung „Agudat

Yisrael“ machte sich in den Lagern ins-

besondere um die religiöse Betreuung

und Ausbildung von Kindern und Jugend-

lichen verdient. Sie unterhielt in jedem

Lager Schulen, Altersheime und Kran-

kenhäuser, vielfach hatte sie auch die Lei-

tung der Lagerküchen inne, um kosche-

res Essen zu garantieren.

Yitshak Perlov

Eksodus 1947 – Poeme

München 1948

Der Dichter Yitshak Perlov (1911–

1980) gehörte zu den 4500 Passa-

gieren der „Exodus 47“, die 1947

von Sète aus Jaffa anlief. Die briti-

schen Behörden verhinderten nicht

nur die Einreise der Immigranten,

sondern erzwangen deren Rückkehr

nach Europa: auf drei mit Stachel-

drahtverhauen umgebene und von

englischer Militärpolizei bewachte

Lager in Norddeutschland verteilt,

konnten die Überlebenden erst nach

der Gründung des Staates Israel zu

ihrer „Aliyah“ aufbrechen.

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Hermann Liebherr

arbeitet in der Abteilung Benutzungs-

dienste und in der Abteilung Karten

und Bilder der Bayerischen Staats-

bibliothek

UNTERGANG UND NEUBEGINN

Der fotografische Nachlass

von Tino Walz (1913–2008)

im Bildarchiv der

Bayerischen Staatsbibliothek

„Untergang und Neubeginn“ – so

betitelte Tino Walz seine 2003

erschienene Autobiografie. Die-

ser Titel umreißt auch das Thema

seiner Fotografien, die er testa-

mentarisch der Bayerischen

Staatsbibliothek vermacht hat.

Der Schweizer Architekt war bei

der Bayerischen Verwaltung der

Staatlichen Schlösser, Gärten und

Seen angestellt und erlebte mit,

wie große Teile Münchens durch

73 alliierte Luftangriffe zerstört

wurden. Trotz erheblicher

Risiken – es drohte eine An-

zeige wegen „Wehrkraft-

zersetzung“ – hielt er die

Bombenschäden in über

200 Bildern fest.

Die Münchner Frauenkirche um 1946.

Die Reste des Dachstuhls sind bereits

entfernt.

unten: Tino Walz im März 1945 auf

der Mensa eines zerstörten Altars der

Heilig-Geist-Kirche in München.

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oben rechts: Haltestelle der

„Bockerlbahn“ auf dem Areal des

Verkehrsministeriums in der Arnulf-

straße 1944.

Mitte: Zwangsarbeiterinnen aus

Osteuropa 1945 auf dem Gewölbe

der Hofkapelle beim Säubern von

Ziegelsteinen. Handschuhe wurden

den Frauen offensichtlich nicht zur

Verfügung gestellt.

oben links: 1944 brachte ein Bom-

bentreffer die Halle im Grottenhof

der Residenz zum Einsturz. Die

zuvor „nur“ ausgebrannten „Rei-

chen Zimmer“ wurden vollständig

zerstört.

links: Blick durch den zerstörten

Steinzimmertrakt am Kaiserhof der

Residenz zur Theatinerkirche um

1945.

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Einer breiteren Öffentlichkeit wurde

Tino Walz durch seine Kulturgüter-

Rettungsaktionen am Ende des Krie-

ges bekannt: Die in Blechkästen ein-

geschweißte Graphiksammlung der

Veste Coburg versenkte er im Te-

gernsee. Die Preziosen der Schatz-

kammer der Residenz verfrachtete

er mit seinem Opel Kadett zunächst

nach Schloss Neuschwanstein, dann

in den Keller eines Bauernhauses bei

Gmund am Tegernsee. Nachdem

er sich einige Wochen lang in die

Schweiz abgesetzt hatte, offenbarte

er den Amerikanern die Verstecke.

Auch diese heiklen Missionen wur-

den im Bild festgehalten.

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Die in Kisten verpackten Kunst-

gegenstände aus der Schatzkammer

der Residenz auf Tino Walz’ Opel

Kadett vor Schloss Neuschwanstein,

23. April 1945.

oben rechts: Auffindesituation der

unter Schutt begrabenen „Patrona

Boiariae“ 1945.

unten: Das gestürzte „Ehrenmal“ für

die Hitlerputschisten von 1923 an

der Feldherrnhalle vor dem Abtrans-

port durch Mitarbeiter der Residenz-

Bauleitung zur Bronzeschrottverwer-

tung. An einem der Haken für Kränze

hängt der geköpfte Reichsadler.

Aus der so gewonnenen Bronze wur-

den Zepter und Reichsapfel der

„Patrona Boiariae“ nachgegossen.

Bis zur Wiederherstellung der Resi-

denzfassade wurde die Madonna im

Brunnenhof aufgestellt (rechts).

Der größte Teil der Sammlung zeigt die

unmittelbar nach Kriegsende aufgenom-

mene erste Wiederaufbauphase der

fast vollständig zerstörten Münchner

Residenz. Wertvolle Rohstoffe wurden

gesichert. Mit einer „Dachaktion“ wur-

den die Ruinen gegen die Witterung

geschützt. Die Innenhöfe wurden vom

Schutt befreit, erste kulturelle Veranstal-

tungen organisiert.

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Weil er sich mit seinen Vorstellungen zur

Gestaltung des neuen Herkulessaals nicht

durchsetzten konnte, verließ Walz 1949

die Residenzbauverwaltung und machte

sich selbständig. Er widmete sich u. a.

der Landesplanung in der Schweiz. Bis zu

seinem Tod blieb er jedoch den „Freun-

den der Residenz“ verbunden und enga-

gierte sich im Münchner Kulturleben.

Auch seine Reiseeindrücke hielt Tino

Walz im Bild fest. So finden sich Motive

oben links: Schon im August 1945

fand das erste „Grottenhofkonzert“

statt. Die Konzerte unter den Not-

dächern fanden regen Publikums-

zuspruch.

unten links: Der damals älteste Bau-

teil der Residenz, das Ballspielhaus

der Neuveste, wurde bis Mai 1946

zum „Theater am Brunnenhof“

umgebaut. 1958 musste es dem

Foyer des in den Apothekenstock ver-

legten Cuvilliéstheaters weichen.

oben rechts: 1946–1947 wurden die

eingestürzten Gewölbe des Antiqua-

riums rekonstruiert. Von den „Kur-

fürstenzimmern“ im oberen Stock

waren nur die Außenmauern stehen

geblieben. Hier befand sich übrigens

1571–1599 der Standort der her-

zoglichen Hofbibliothek, der heutigen

Bayerischen Staatsbibliothek.

unten rechts: Die während des Krie-

ges ausgelagerten Rokoko-Schnitze-

reien des Cuvilliéstheaters wurden

1945 im Schloss Schleißheim ge-

trocknet und sortiert.

Page 13: M BIBLI O THEKS AGAZIN - Bayerische Staatsbibliothek · m. agazi. n. BIbliotheks. 3. Es war ein schmaler Band, auf schlech-tem Papier und blass gedruckt, der im Mai 1950 – Sivan

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Mitte: Der zerstörte Thronsaal in

Klenzes Festsaalbau der Residenz.

Die Gewölbe des Erdgeschosses wur-

den teilweise durchschlagen, einige

Wittelsbacher-Statuen stürzten ab.

Hier entstand 1951–1953 der Neue

Herkulessaal.

u. a. aus Würzburg, Veitshöchheim,

Nürnberg, Bamberg, Berlin, Paris und

natürlich der heimatlichen Schweiz.

Alle 1003 Aufnahmen sind nun, neben

dem Fotoarchiv Hoffmann, den im Auf-

bau befindlichen Fotoarchiven Timpe,

Johannes und Fruhstorfer und der Por-

trät- und Ansichtensammlung, als JPEGs

in der Datenbank des Bildarchivs der

Bayerischen Staatsbibliothek einsehbar

(www.bsb-muenchen.de ➙ Literatur-

suche ➙ Spezialbestände ➙ Bilder). Auf

Anfrage werden Scans in hoher Auf-

lösung, gegen entsprechende Gebühr, für

Publikationen zum Download bereit-

gestellt.

(Kontakt: [email protected])

Die Nürnberger Altstadt-„Steppe“

1951: Links die Frauenkirche, rechts

das Hans-Sachs-Denkmal auf freiem

Feld.

Reiseimpressionen aus Paris: Am

Stand eines Bouquinisten am Seine-

Quai, Winter 1934/1935.

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Zu den bekanntesten Nachlässen, die die

Handschriftenabteilung der Staatsbiblio-

thek zu Berlin verwahrt, gehört der Nach-

lass Dietrich Bonhoeffers. Es ist im letz-

ten Jahr unter großzügiger finanzieller

Beteiligung zahlreicher durch den Freun-

des- und Förderverein der Staatsbiblio-

thek gewonnener Sponsoren gelungen,

diesen Nachlass restaurieren zu lassen

und ihn um wertvolle Originalbriefe zu

ergänzen.

Noch in diesem Jahr soll der Nachlass

Bonhoeffers durch seine Digitalisierung

einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich

werden. Die Fülle des Materials in die-

sem Nachlass, der Bonhoeffers theolo-

gische Werke, Korrespondenz und Le-

bensdokumente ebenso umfasst wie

Fotos, politisch wichtige Dokumente und

Briefe bedeutender Zeitzeugen, lädt ein,

Lebensgeschichte, Wissenschaft und

menschliches wie politisches Umfeld der

bekanntesten und am meisten verehrten

Persönlichkeit des deutschen Wider-

stands zu studieren.

Als der Nachlass Bonhoeffers 1996 aus

dem Besitz des Schülers und vertrauten

Freundes, Eberhard Bethge, erworben

wurde, enthielt er neben den unzähligen

als Original verwahrten und nach 1945

von Bethge mühevoll zusammengetrage-

nen Briefen, Manuskripten und persön-

lichen Dokumenten auch eine große

Menge an Fotokopien und Abschriften.

Diese hatte Bethge von Verwandten,

Freunden und anderen Briefpartnern

Dietrich Bonhoeffers erbeten, um dessen

Leben und Werk möglichst vollständig

dokumentieren zu können. Gleichzeitig

benötigte er diese Kopien auch zur

Arbeit an der 1999 abgeschlossenen

Bonhoeffer-Werkausgabe. Zu den meist

nur mit Kopien vertretenen Briefen zählt

auch die Korrespondenz Dietrich Bon-

hoeffers mit seiner Familie.

Aus dem Nachlass der 1999 verstorbe-

nen Zwillingsschwester Sabine, die 1926

den Rechtsgelehrten Gerhard Leibholz

heiratete und mit diesem 1938 ins Exil

nach London ging, konnte nun eine die-

ser Lücken im Nachlass geschlossen wer-

den. Mit der Übernahme der Nachlässe

Sabine Leibholz’ und ihrer Tochter Ma-

rianne kamen nicht nur interessante Kor-

respondenzen Sabine Leibholz’ mit den

Eltern, anderen Geschwistern und Freun-

den sowie ihre Manuskripte (Nachl.

479), sondern auch die Originale der an

sie gerichteten Briefe Dietrich Bonhoef-

fers (Nachl. 478) in die Staatsbibliothek.

Die neu erworbenen 70 Briefe und Post-

karten stammen aus den Jahren 1910

Dr. Jutta Weber

ist stellvertretende Leiterin

der Handschriftenabteilung der

Staatsbibliothek zu Berlin

„WE MAY MEET AGAIN

AND BE TOGETHER AS IN FORMER YEARS“

Neue Bonhoeffer-Dokumente für die Staatsbibliothek zu Berlin

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bis 1941. Einer der ersten – noch nicht

eigenhändigen – Briefe ist von Dietrich

und Sabine an die Eltern gerichtet: „In

unserem Garten haben wir Schokoladen-

klöße aus Erde gebacken, die schmeck-

ten sehr schön. Liebe Mama, darf ich Dir

auch einmal einen solchen machen, wenn

Du wiederkommst?“

In einem Brief aus Tübingen, dem ersten

Studienort Bonhoeffers, geht es ebenfalls

um die Familie, doch auch Politisches

spielt hinein: Die Großmutter väterlicher-

seits, Julie Bonhoeffer, die in Tübingen

ein Haus besitzt, will nach Berlin ziehen,

Sabine soll mit den Eltern darüber spre-

chen, wie sie im Haus in der Marienbur-

ger Allee untergebracht werden kann.

Der undatierte Brief endet mit einer Er-

wähnung des Hitler-Putschversuchs am

8./9. November 1923 in München: „Es

gehen schreckliche politische Gerüchte

in der Stadt, und die Zeitungen sind auch

so unzuverlässig und sensationell. Ganz

Süddeutschland soll sich vom Reich los-

gesagt haben!“

Am 11. Oktober 1938 – Familie Leibholz

war am 9. September mit dem Grenz-

übertritt in Basel die Emigration nach

London geglückt, wo Dietrich Bonhoef-

fer in seinen ehemaligen Pfarrgemeinden

ihre Aufnahme vorbereitet hatte –

schreibt er an den Schwager mit konkre-

ten Hinweisen, wie die Familie sich in

London besser zurechtfinden könne. So

gibt er ihm z. B. die Adresse und Telefon-

nummer des Londoner Freundes und

Amtskollegen an der St. Georggemeinde,

Julius Rieger, und nennt weitere „Leute,

die Ihr besuchen könntet.“

Eine Fülle von Informationen lassen sich

aus diesen Briefen herauslesen; sie ver-

dichten das Bild, das Eberhard Bethge in

seiner Biographie des Freundes zeichnet

und das Dietrich Bonhoeffers Charisma

ausmacht: Die uneingeschränkte Zu-

wendung zu den ihm wichtigen Aufgaben,

seien sie auf politischem, sozialem oder

familiärem Gebiet.

Zu den Originaldokumenten gehört auch

eine Postkarte Dietrich Bonhoeffers, ge-

schrieben an seine Schwester am 20. Juni

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1939 aus New York. Dorthin hatte er

auf Betreiben amerikanischer Freunde

eine Einladung zur Teilnahme an einem

Sommer-Kurs der Columbia University

und des Union Theological Seminary

erhalten, durchaus mit dem Plan, dem in

Deutschland zunehmend bedrohten Bon-

hoeffer einen längeren Auslandsaufent-

halt zu ermöglichen. Bonhoeffer kann

und will sich der Verantwortung, die er

im Widerstand als seine Aufgabe erkennt,

nicht entziehen. An jenem Tag, dem

20. Juni 1939, entscheidet er sich: „Im

Blick auf die schauderhafte Lage drüben,

und da ich doch nur bis August geblieben

wäre, habe ich mich entschlossen, schon

mit Karl-Friedrich [dem Bruder, der als

Physiker Vorträge in Chicago gehalten

hatte, J. W.] zurückzufahren.“ – Zu den

neuen Erwerbungen gehört auch ein

Brief, den der amerikanische Theologe

Paul Lehmann, langjähriger Freund Bon-

hoeffers und seiner Familie, 1948 zutiefst

erschüttert von der ihm erst verspätetet

zugegangenen Nachricht des Todes Bon-

hoeffers, an die Eltern Bonhoeffers

schrieb: „Ich war zum letzten Mal mit

Dietrich zusammen, als er 1939 von

New York nach Deutschland zurück-

kehrte.“

Am 19. März 1941 rät Bonhoeffer aus

Zürich, wo er sich im Auftrag der Wider-

standsgruppe um Admiral Canaris auf-

hält und nun offen schreiben kann, der

Schwester von Plänen ab, in die USA zu

übersiedeln: „My personal feeling is that

it is perhaps no more necessary to take

such farreaching decisions.“ Diese hoff-

nungsvolle Stimmung hält auch noch bei

seinem zweiten Schweiz-Aufenthalt an:

Am 1. 9. 1941 schreibt er: „If only there

were a possibility of seeing you and

speaking to you personally. Perhaps the

day is not so far off when we may meet

again and be together as in former years.

I, personally, believe it strongly, and so

do many people here.“

Im Nachlass der Sabine Leibholz finden

sich auch Briefe, die Dietrich Bonhoeffers

Braut Maria von Wedemeyer nach 1945

an sie und die Eltern Bonhoeffer schickte.

Auch diese Originale liegen nun in Berlin.

Eine besonders intensive Faszination

geht dabei von einer eigenhändigen Ab-

schrift aus, die Maria von Wedemeyer

zu Weihnachten 1945 ihren Schwieger-

eltern schickt: Das Gedicht „Von guten

Mächten“, das Dietrich Bonhoeffer zu

Weihnachten 1944 gedichtet und seiner

Braut aus dem Gefängnis geschickt hatte,

liegt in seiner Handschrift als Original in

ihrem Nachlass, der in der Houghton

Library in Harvard verwahrt wird. Die

Staatsbibliothek besitzt nun diese ganz

besondere Abschrift von ihrer Hand.

Maria von Wedemeyer

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Bonhoeffers Gedicht „Von guten

Mächten“ in einer Abschrift von

Maria von Wedemeyer

Sehr erfreulich ist es, dass sich um den

Nachlass herum weitere wichtige Doku-

mente zur Bewahrung des Andenkens an

Bonhoeffer ansammeln: So konnten die

Akten der Stiftung Bonhoeffer-Lehrstuhl

am New Yorker Union Theological Semi-

nary übernommen werden (Nachl. 483),

ebenso die Unterlagen eines Seminars an

der Evangelischen Fachhochschule Han-

nover, das 1996 unter Professor Karl-

Heinz Lehmann die Rechtswidrigkeit des

Hochverrats-Urteils gegen Bonhoeffer

und andere Widerstandskämpfer behan-

delte, und in dessen Folge die Nichtigkeit

des 1945 ergangenen Urteils bestätigt

wurde (Nachl. 470). Von verschiedenen

Seiten erhielt die Handschriftenabteilung

außerdem Bonhoeffers Werke in Über-

setzungen und Publikationen über ihn als

Ergänzung des Nachlasses.

Aus dem Arbeitszimmer des im Jahr

2000 verstorbenen Eberhard Bethge

gelangten neben zahlreichen, bisher hier

nicht vorhandenen Werken zu Dietrich

Bonhoeffer und dem Widerstand vor

allem eine große Anzahl Dissertationen,

Kleinstschrifttum und Manuskripte ande-

rer sowie Bethges eigene Predigten, Vor-

träge und Korrespondenz mit zum Teil

namhaften Historikern und Theologen,

Familienangehörigen und Freunden in die

Bibliothek. Damit vervollständigt sich ein

bereits als Erweiterung des Nachlasses

Bonhoeffers vorhandener Teil des Nach-

lasses Bethges in idealer Weise: Einfluss

des einen, Verarbeitung, Bewertung und

Zuordnung durch den anderen lassen

sich in der Materialfülle beider Nachlässe

studieren wie in wenigen anderen Nach-

lässen.

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Ein unbekannter Kunstmäzen der Jahrhundertwende:

WILLY LEVIN ZUM 150. GEBURTSTAG

Dr. Maximilian Schreiber

arbeitet im Referat für Nachlässe

und Autographen der Bayerischen

Staatsbibliothek

„… ich schreibe gerne an Sie, höre gerne

von Ihnen, wie ich Sie stets und in allen

Situationen gerne sehe und mich allezeit

gerne erinnere, dass ein Mensch Ihrer

Art auf der Welt ist.“ So schrieb der

Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal im

Februar 1913 an den Berliner Kunstför-

derer Willy Levin, der in diesem Jahr sei-

nen 150. Geburtstag hat.

Doch trotz seiner zahlreichen kulturellen

Verdienste ist der Textilkaufmann und

Kommerzienrat Willy Levin völlig unbe-

kannt geblieben. Daran ist er nicht ganz

unschuldig, denn seinen Namen oder

seine Hilfe wollte er nie repräsentiert

sehen. Er hielt sich als ideeller wie mate-

rieller Förderer stets im Hintergrund, in

der Öffentlichkeit wollte er, anders als

viele Kulturmäzene, nie stehen. Gerade

diese Bescheidenheit sowie sein wacher

Sinn für Musik und Literatur ließen ihn zu

einem begehrten Vermittler zwischen

den Künsten und ihren Akteuren wer-

den. Erst nach seinem Tod 1926 wurde

einem weiteren Kreis bekannt, welchen

Einfluss er im Verborgenen auf das künst-

lerische und literarische Leben vor allem

in Berlin, aber auch deutschlandweit aus-

geübt hatte. Besonders die Korrespon-

denzen seines kleinen Nachlasses, der

in der Bayerischen Staatsbibliothek auf-

bewahrt wird, geben ein beredetes Zeug-

nis seines weitreichenden Wirkens.

Zahlreiche Theateraufführungen, Buch-

publikationen, Konzertpremieren, ja

sogar einige Künstlerkarrieren wären

ohne sein ideelles oder finanzielles Zutun

wohl nicht zu Stande gekommen. Nicht

nur berühmten Persönlichkeiten wie

Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt,

Richard Strauss, Hans Pfitzner oder Josef

Ruederer kam er vermittelnd oder mate-

riell zu Hilfe, auch einer großen Zahl

armer, besonders jüdischer Künstler

ermöglichte er das Studium und sorgte

für ihren Lebensunterhalt. Als Gegen-

leistung und um das Selbstbewusstsein

der jungen Künstler zu stärken, erwar-

tete er nur, dass diese bei künstlerischen

Abenden in seinem Haus gelegentlich

Porträtaufnahme von Willy Levin

um 1910 (BSB-Sign. Ana 502)

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Brief von Richard Strauss an Levin

vom 25. 5. 1912 zur Frage der Ur-

aufführung der Oper „Ariadne auf

Naxos“ (BSB-Sign. Ana 502)

ihre Kunst zum Besten

gaben. Oft wirkte er

bei seinen Hilfsaktio-

nen über Mittler, so

dass die Unterstützen

mitunter nicht wuss-

ten, woher die Zu-

wendungen kamen.

Bei so mancher Kom-

ponisten- oder Dich-

terpremiere gab es

rauschende Feiern mit

allgemeiner Bewirtung,

ohne dass den Teil-

nehmern der Spender

des Abends bewusst

war.

Einer seiner Verbin-

dungsmänner war der

Journalist und Litera-

turwissenschaftler

Arthur Eloesser, der

aber auch nach Levins

Tod im Jahr 1926 eisern zu dessen zahl-

reichen philanthropischen Bemühungen

schwieg. Im Nachruf auf Levin in der

Vossischen Zeitung, für die Eloesser vor-

nehmlich schrieb, berichtet er etwa auch

davon, dass von Levin wieder einmal

eine ungewöhnliche Leistung verlangt

wurde, und zwar mit der Begründung,

„daß das deutsche Volk zur Förderung

einer besonders wertvollen Kraft schnell

eingreifen müßte“. Nach einigem Zögern

habe Levin schließlich gesagt: „Na gut, so

werde ich wohl wieder das deutsche

Volk sein müssen …“

Über seine Person ist nicht allzu viel be-

kannt. Levin, 1860 im Pommerschen

Stolp geboren, kam um 1885 als junger

Kaufmann nach Berlin und baute zusam-

men mit seinem Bruder Otto und dem

Unternehmer James Engländer erfolg-

reich ein großes Konfektionshaus auf.

Neben seiner geschäftlichen Tätigkeit ließ

sich der musikbegeisterte Levin an einem

privaten Konservatorium zum Sänger

ausbilden, wodurch er rasch Verbindun-

gen mit anderen Musikern knüpfte. Das

großbürgerliche Haus Levins wurde bald

zu einem Treffpunkt für musikalische

Abende, die von so illustren Persönlich-

keiten wie Richard Strauss, dem jungen

Hans Pfitzner und den Dirigenten Bruno

Walter und Otto Klemperer besucht

wurden. In der Hilfe, die Levin dem im

sozialen Umgang eher schwierigen Pfitz-

ner bei Verhandlungen mit Verlegern,

Bühnen und Sängern leistete, offenbarte

sich bereits sein großes Talent: Seine

offenherzige Art machte ihn zu einem

ausgezeichneten Diplomaten, auf den

sich seine Künstler-Freunde gerne verlie-

ßen. Wenn es galt, einen arroganten

Meister mit einem verärgerten Intendan-

ten zu versöhnen oder einen Verleger

und einen Schriftsteller an einen Tisch zu

bringen, war er der richtige Mann.

LEVIN UND DIE URAUFFÜHRUNG DER OPER

„ARIADNE AUF NAXOS“ 1912

Am Beispiel des Vorspiels zur Urauffüh-

rung der Oper „Ariadne auf Naxos“ am

25. Oktober 1912 zeigt sich gut das

Geschick Levins, die unterschiedlichen

Interessen von Komponist, Autor, Regis-

seur, Intendanten, Schauspielern und

Sängern auszugleichen und eine erfolgrei-

che Uraufführung zu Stande zu bringen.

Die im Münchner Nachlass enthaltenen

Briefe, die Hugo von Hofmannsthal,

Richard Strauss und Levin dabei wechsel-

ten, geben Einblicke in den Vorgang.

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Zunächst standen sich Hofmannsthal und

Strauss in ihren unterschiedlichen Inter-

essen gegenüber. Beide wollten zwar die

Oper unter der Regie Reinhardts zur

Uraufführung bringen, Strauss aber am

Königlichen Opernhaus in Dresden und

Hofmannsthal am Deutschen Theater in

Berlin. Strauss bat daraufhin Levin, „alle

Hebel in Bewegung zu setzen, dass Dres-

den mit Reinhardt zu Stande kommt“.

Levin gelang es schließlich, auch den frei-

lich darüber unglücklichen Hofmannsthal

von dieser Lösung zu überzeugen. Doch

nachdem Levin die Verhandlungen mit

Dresden bereits eingeleitet hatte, kam

es bald zu Streitigkeiten über die Beset-

zung der Oper und den Dirigenten der

Uraufführung. Nikolaus Graf von See-

bach, der Intendant der Dresdner Oper

von 1894 bis 1919, war nämlich nicht

dazu bereit, Strauss bis zum letzten Tag

vor der Uraufführung in Besetzungsfra-

gen mitreden zu lassen, und wollte

zudem die Premiere nicht von Strauss,

sondern von Dresdens Generalmusik-

direktor Ernst von Schuch dirigieren las-

sen.

In Folge dieser Querelen schlug Strauss

kurzer Hand vor, die Oper zur Eröffnung

des neuen Königlichen Hoftheaters in

Stuttgart uraufzuführen. Von dieser Idee

riet aber nun Levin vehement ab: „Das

kann nur ein Lokalerfolg werden […]

Bitte lieber Dr. Strauß hören Sie diesmal

ein wenig auf mich und nehmen Sie Dres-

den wie es ist … bitte verhandeln Sie vor-

läufig nicht mit Stuttgart.“

Auch Hofmannsthal sprach sich nach-

drücklich für Dresden aus. Ein Brief an

Levin zeigte dabei sein fehlendes Ver-

trauen in die Zuverlässigkeit von Strauss.

Er teilte mit, dass er sich zu

nichts zwingen lassen werde

und drohte mit der Möglich-

keit, die Oper konzertant

aufzuführen, wenn kein

geeigneter Aufführungsort

gefunden werden könne.

Letztendlich konnte Levin

die Uraufführung doch noch

erreichen, da er für Stutt-

gart so gute Bedingungen

aushandelte, dass nicht nur

Strauss („Hurrah! Was

sagen Sie jetzt? Ihnen tau-

send Dank für Alles …“)

sondern auch Hofmannsthal

davon überzeugt waren.

Dieser wusste, dass das

Zustandekommen allein Levins Verdienst

war: „… dass wir die endgiltige Lösung,

die ich vortrefflich finde (Strauss am Pult,

Reinhardt mit mir die Regie, Stern als

Decorateur u die Hempel als Zerbinetta)

nur Ihnen, Ihrer unermüdlich aufopfern-

den Freundschaft verdanken, steht für

mich fest und ich danke Ihnen für meinen

Theil aufs herzlichste.“

Wie sehr auch Strauss Levin schätzte,

zeigt die Tatsache, dass er ihm musika-

lische Denkmäler setzte, die unmittelbar

mit dem Skatspiel in Verbindung standen.

Beide liebten nämlich dieses Spiel und

griffen zu den Karten, wann immer sie

sich trafen. Sogar die Hausmusik geriet

darüber ins Hintertreffen. So widmete

Strauss seinem Freund nicht nur einen

kleinen Skat-Kanon, der allerdings so

kompliziert war, dass ihn niemand vor-

tragen konnte, sondern verewigte Levin

auch musikalisch in seiner Oper „Inter-

mezzo“ (1924) als skatspielenden Kom-

merzienrat.

Porträtaufnahme von Hugo von

Hofmannsthal aus dem Jahr 1925

(BSB-Sign. Cgm 8317)

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gen, die weder chronologisch noch the-

matisch angeordnet sind, sondern sich

willkürlich über die Seiten hin verteilen.

Fontane benutzte gewöhnlich einen Blei-

stift. Der unregelmäßige Duktus, die vie-

len Buchstabenverschleifungen und die

häufige Verwendung von Abkürzungen

zeigen, dass die meisten Notizen unter-

wegs geschrieben wurden. Die Notiz-

bücher dokumentieren die Produktivität

und Vielfalt seiner schriftstellerischen

Tätigkeit auf kleinem Schreibraum. Die

Aura des ganzen Fontane ist in allen

Notizbüchern präsent: Fontane als Wan-

derer und Reisender, als Journalist, als

Kriegsberichterstatter, als Theaterkriti-

ker, als Romancier und Lyriker, als Brief-

schreiber und Tagebuchchronist sowie

als Vortragsbesucher und Zeichner. Im

Unterschied zu den anderen Fontane-

Handschriften, die als lose Blätter auf-

bewahrt werden, dokumentieren die

Dr. Gabriele Radecke

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin

am Seminar für Deutsche Philolo-

gie der Universität Göttingen, Lei-

terin der Fontane-Arbeitsstelle und

Mitherausgeberin der Großen

Brandenburger Fontane-Ausgabe.

THEODOR FONTANES

NOTIZBÜCHER

Bei der Auktion der Berliner

Autographenhandlung Hellmut

Meyer & Ernst am 9. Oktober

1933 kamen mit Fontanes Nach-

lass auch 67 Notizbücher zur Ver-

steigerung. Die Notizbücher

gehörten zu den Spitzenstücken

der Auktion. Der Schätzpreis lag

bei 1275 RM, der Zuschlag er-

folgte bei 670 RM. Mit dieser Auk-

tion wurde Fontanes Nachlass end-

gültig auf verschiedene öffentliche

Institutionen und Privatsammlungen ver-

streut. Glücklicherweise gilt das nicht für

die Notizbücher. Obgleich das Auktions-

haus eine Stückelung auf fünf Konvolute

vornahm (Nr. 507 bis 511), wurde durch

den Gesamtankauf der Preußischen

Staatsbibliothek (heute: Staatsbibliothek

zu Berlin) eine Zersplitterung verhindert.

INHALT UND FUNKTION DER NOTIZBÜCHER

Spätestens auf seinen ersten Ausflügen in

die Mark Brandenburg im Jahre 1859 hat

Fontane begonnen, Notizbücher zu füh-

ren, die er dann fast dreißig Jahre bis zum

Ende der 1880er-Jahre benutzte. Es sind

hauptsächlich schmucklose, bei den Berli-

ner Schreibwarenhändlern erworbene

fadengebundene Pappbändchen im For-

mat 10 x 17 cm. Jedes Notizbuch um-

fasst etwa 100 bis 150 Seiten und enthält

eine Fülle unterschiedlicher Aufzeichnun-

Theodor Fontane. Fotoporträt

Atelier Loescher und Petsch (1869)

(Theodor-Fontane-Archiv Potsdam,

AI 158)

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Notizbücher durch ihre Geschlossen-

heit die parallele Entstehung unterschied-

licher Texte.

Die Notizbücher waren Fontanes stän-

dige Begleiter auf den Ausflügen in die

Mark Brandenburg, auf den Fahrten durch

Deutschland – bis hinab nach Schlesien –,

in die Schweiz, nach Italien sowie wäh-

rend der Reisen zu den Schlachtfeldern

in Dänemark, Böhmen und Frankreich

von 1864, 1866 und 1870/71. Fontane

notierte nicht nur seine Eindrücke, son-

dern beschrieb auch Kunstwerke, hielt

Gespräche von Mitreisenden fest oder

exzerpierte Bücher und Inschriften; er

fertigte sogar Zeichnungen von Fried-

höfen, Grabdenkmälern, Kirchen und

Schlössern an, skizzierte Übersichts-

pläne und klebte Kartenmaterial und

Zeitungsausschnitte ein. Gelegentlich

schrieb er auch Vorträge mit, wie etwa

am 29. Juni 1870, als er an einer Exkur-

sion zur Pfaueninsel teilnahm und dort

oben:

Notizbuch A3, Blatt 31

Das ehemalige Schloss Oranienburg

(1861)

(Handschriftenabteilung der SBB–PK)

Notizbuch E2, Blatt 53

Zeitungsausschnitt und Literatur-

übersicht zu „Vor dem Sturm“

(Handschriftenabteilung der SBB–PK)

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das Referat des Königlichen Hof-Garten-

Direktors Ferdinand Jühlke hörte. Einen

großen Anteil an den Aufzeichnungen

bilden diejenigen Notizen, die Fontane

als Theaterkritiker zwischen 1870 und

1890 während der Aufführungen im

Königlichen Schauspielhaus am Gendar-

menmarkt festhielt und die er in seinen

wenige Tage später gedruckten Rezen-

sionen in der „Vossischen Zeitung“ ver-

arbeitete. Gelegentlich findet man auch

Briefkonzepte und Tagebuchaufzeichnun-

gen sowie Entwürfe zu seinen Romanen

und Gedichten. Wenngleich die Notiz-

bücher als praktischer Gedächtnisspei-

cher für unterwegs verwendet wurden,

so erschöpft sich ihre Funktion darin bei

weitem nicht. Zahlreiche journalistische

und poetische Texte sowie Fontanes

kriegshistorisches Werk entstanden erst

auf der Grundlage der Notizbuchein-

träge, die Fontane immer wieder neu

gelesen und umgeschrieben hat. Die Nie-

derschriften fungierten also letztendlich

als Ideen- und Stoffsammlung für anschlie-

ßende Projekte; die Notizbücher bilde-

ten somit als Rohmaterialdepot ein wich-

tiges Medium im schriftstellerischen

Arbeitsprozess. Zur Orientierung legte

sich Fontane grob strukturierte, mit

Tinte in lateinischen Buchstaben rein-

geschriebene Inhaltsübersichten an, die

er zum Teil mit Jahreszahlen versehen

auf die äußere Einbanddecke des ent-

sprechenden Notizbuchs aufgeklebt hat.

GRÜNDE FÜR EINE EDITION

Fontanes Notizbücher sind das letzte

noch unveröffentlichte größere Korpus

des Autors. Bis heute gibt es nur wenige

Teilpublikationen, und die übrigen der

noch unpublizierten Notizbuchaufzeich-

nungen sind nur gelegentlich für die wis-

senschaftliche Arbeit ausgewertet wor-

den. Die editorische Vernachlässigung

hat zur Folge, dass eine Rezeption der

Notizbücher als „Werk“, dessen Bedeu-

tung nach wie vor unterschätzt wird,

ausgeblieben ist. Schon die ersten Fon-

tane-Herausgeber, der Wiener Burg-

theater-Direktor Paul Schlenther, der

Kustos und spätere Direktor des Berliner

Märkischen Museums Otto Pniower und

Friedrich Fontane, haben die Notiz-

bücher nicht in die postume Gesamtaus-

gabe der Werke Fontanes aufgenom-

men, obwohl man bereits angefangen

hatte, Nachlasspublikationen vorzulegen

wie beispielsweise den von Josef Ettlinger

1908 herausgegebenen Band „Aus dem

Nachlaß von Theodor Fontane“. 1924

etwa hat Friedrich Fontane begonnen,

eine Bestandsaufnahme der Notizbücher

zu erarbeiten; sie wurde erst 1976 in

Notizbuch C3, Blatt 3

Tagebuchaufzeichnungen „Herms-

dorf“ (1869)

(Handschriftenabteilung der SBB–PK)

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den „Fontane Blättern“ veröffentlicht. Er

legte auf den Rückseiten alter Tages-

kalenderblätter Inhaltsverzeichnisse an

und klebte diese auf die entsprechende

vordere innere Einbanddecke auf. Ob-

wohl Friedrich Fontane als Verleger und

Nachlassverwalter ein exzellenter Ken-

ner der Werke seines Vaters war, gelang

es ihm nicht, alle Notizbuchaufzeichun-

gen zu identifizieren und den einzelnen

Texten zuzuordnen.

In Verbindung mit der Staatsbibliothek zu

Berlin bereitet die Verfasserin eine voll-

ständige und kommentierte Ausgabe der

Notizbücher vor, die auch eine ausführ-

liche Inhaltsübersicht enthalten wird. Der

Gebrauch unterschiedlicher Schreib-

geräte, der Wechsel zwischen flüchtig

hingeworfenen Notizen und reinschrift-

lichen Einträgen sowie die Zeichnungen

und einmontierten Zeitungsausschnitte

erfordern ein anspruchsvolles und kom-

plexes Editionsverfahren. Es ist geplant,

die Notizbücher als kombinierte Buch-

und elektronische Ausgabe vorzulegen,

die im Verlag De Gruyter erscheinen

Notizbuch C4

Inhaltsübersicht Theodor Fontanes

(1872)

(Handschriftenabteilung der SBB–PK)

wird. Mit der Erstveröffentlichung von

Theodor Fontanes Notizbüchern wird

eine der letzten großen Forschungs-

lücken zu einem der bedeutendsten

deutschen Autoren des 19. Jahrhunderts

geschlossen. Es ist zu erwarten, dass

durch die Gesamtveröffentlichung Im-

pulse für die biographische und mentali-

tätsgeschichtliche Forschung sowie Ein-

blicke in Fontanes kreativen Schaffens-

prozess gegeben werden. Außerdem

werden neue Interpretationswege zum

erzählerischen und journalistischen Werk

Fontanes eröffnet. Die Edition gewährlei-

stet nunmehr auch, dass die Notizbücher

als eigenständiges Werk Theodor Fonta-

nes endlich ihren Platz im literarisch-kul-

turellen Gedächtnis finden können.

Literaturhinweis:

Gabriele Radecke: Theodor Fontanes

Notizbücher. Überlegungen zu einer not-

wendigen Edition. In: Gottfried Keller

und Theodor Fontane. Vom Realismus

zur Moderne. Hg. von Ursula Amrein

und Regina Dieterle. Berlin 2008, S. 211

bis 233.

BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK ERWIRBT

TEILNACHLASS DER MALERFAMILIE KAULBACH

Für eine weitere Abrundung ihrer Nach-

lassbestände zur Münchner Malerfamilie

Kaulbach konnte die Bayerische Staats-

bibliothek bei der Herbstauktion 2009

von Zisska & Schauer (München) bedeu-

tende und umfangreiche Materialien hin-

zuerwerben. Im „Kaulbach-Archiv“ der

Bayerischen Staatsbibliothek befinden

sich bereits unzählige Mappen mit Zeich-

nungen, Korrespondenzen, Geschäfts-

papieren sowie weitere Materialien zu

Wilhelm von Kaulbachs Leben und Werk.

Auch ein großer Teilnachlass seines

Sohnes Hermann – in der Bayerischen

Dr. Maximilian Schreiber

arbeitet im Referat für Nachlässe

und Autographen der Bayerischen

Staatsbibliothek

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Undatierte Skizze von Wilhelm von

Kaulbach

Staatsbibliothek unter der Signatur Ana

652 verzeichnet – umfasst umfangreiche

Korrespondenzen, viele Zeichnungen,

Skizzen, literarische Arbeiten, Tage-

bücher und weitere autobiographische

Aufzeichnungen.

Bei der Neuerwerbung handelt es sich

um mehr als 25 Familienalben, Skizzen-

und Tagebücher sowie diverse Schrift-

stücke und Korrespondenzen. Enthalten

sind hochwertige Zeichnungen und Skiz-

zen von Wilhelm und Hermann von

Kaulbach, Familienbriefe und andere

Autographen. Der Teilnachlass umfasst

Materialien der Malerfamilie über vier

Generationen hinweg und deckt damit

den Zeitraum von der Mitte des 19. Jahr-

hunderts bis in die dreißiger Jahre des

20. Jahrhunderts ab. Unter den frühen

Dokumenten ragen zahlreiche Skizzen

des „Malerfürsten“ Wilhelm von Kaulbach

(1805–1874) heraus, die von einfachen

Studien bis hin zu Entwürfen für Monu-

mentalgemälde reichen. Der Münchner

Historienmaler war einer der berühmte-

sten Künstler seiner Zeit und ein bedeu-

tender Vertreter der von „klassizisti-

schen Idealen getragenen Monumental-

kunst“. 1837 ernannte ihn König Ludwig

I. zum Hofmaler und 1849 zum Direktor

der Münchener Kunstakademie.

Den größeren Teil des Nachlasses um-

fassen aber Werke von Hermann von

Kaulbach (1846–1909) sowie persönliche

Dokumente zu seiner Person und seiner

Familie. Der Sohn von Wilhelm wurde

vor allem als Genremaler, speziell mit

Hermann von Kaulbach als Don

Carlos auf dem Münchner „Künstler

Costüm Fest“ 1876

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Darstellungen von Kindern bekannt. Zahl-

reiche Studien und kleine Skizzen in meh-

reren Alben sowie in seinen Reisetage-

büchern zeigen seine Meisterschaft, mit

wenigen Strichen treffend zu charakte-

risieren und alltägliche Situationen auf

seinen zahlreichen Reisen gefühlvoll zu

beschreiben. Hervorzuheben sind beson-

ders die Charakterstudien der Interpre-

ten des Oberammergauer Passionsspiels,

die der Maler während seines dortigen

Aufenthaltes im Jahr 1879 anfertigte.

Die Dokumente umfassen umfangreiche

Manuskriptkonvolute von Hermann

von Kaulbach, etwa Tagebücher, Vor-

träge, Übersetzungen aus dem Italieni-

schen, Erinnerungen an den Vater

und Korrespondenzen. Einige Foto-

alben illustrieren das Familien-

leben vor allem im Ferienhaus

„Villa Lug ins Land“ am Schlier-

see, dokumentieren aber

auch gesellschaftliche

Ereignisse wie das

„Künstler Costüm Fest“

von 1876, auf dem sich

Münchner Persönlichkeiten in histori-

schen Kostümen präsentierten.

Ein großes Familienalbum, das die Jahre

von etwa 1889 bis 1906 umfasst, spiegelt

das private und gesellschaftliche Leben

der Familie wider. Unter den Einträgen

zahlreicher Freunde sind auch die be-

rühmter Persönlichkeiten wie des nor-

wegischen Naturforschers und Staats-

manns Fridtjof Nansen aus dem Jahr

1899 zu finden: eine signierte Kari-

katur und seine Unterschrift auf

einer Menükarte.

„Rom Campagna“, Zeichnung von

Hermann von Kaulbach im römi-

schen Reisetagebuch aus dem Jahr

1880

Humorvolle Miniaturen wie dieser

Putto zeigen eine bislang unbekannte

Seite des „Malerfürsten“ Wilhelm v.

Kaulbach.

Insgesamt handelt es sich

um sehr interessante

und einzigartige Mate-

rialien, deren wissen-

schaftliche Auswer-

tung den Forschungs-

stand zur Malerfamilie

Kaulbach erweitern

und um neue Details

bereichern wird.

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Dr. Katrin Böhme

ist Referentin für den historischen

Druckschriftenbestand zu Natur-

wissenschaften und Medizin in der

Abteilung Historische Drucke der

Staatsbibliothek zu Berlin

Nein, es ist kein kulinarisches Vergnügen,

sondern ein ästhetischer Hochgenuss –

diese Fische und Frösche, Schnecken und

Trauben. Sie laden nicht zum Essen ein,

sondern zum Betrachten und Bewun-

dern. Ihre Abbilder finden wir in bedeu-

tenden Werken der Naturgeschichte; sie

bürgen für große Beobachtungsgabe und

wahre Kunstfertigkeit. Die Bücher, in

denen wir diese kleinen Kunstwerke fin-

den, sind Teil einer Sammlung von natur-

historischen Prachtwerken, die in der

Rara-Sammlung der Abteilung Histori-

sche Drucke der Staatsbibliothek zu Ber-

lin aufbewahrt werden.

Dank der großzügigen Unterstützung der

Ernst von Siemens Kunststiftung war es

im Jahr 2009 möglich, einzelne Titel aus

diesem Bestand, insgesamt elf Bände, zu

restaurieren. Die ausgewählten Drucke

zeigten vielfältige Schadensbilder, welche

durch anspruchsvolle restauratorische

Maßnahmen behoben wurden. Sie kön-

nen damit zukünftig wieder für die Be-

nutzung zur Verfügung gestellt werden.

Einige der Werke seien hier kurz vor-

gestellt.

Der Schweizer Gelehrte Konrad Gesner

(1516–1565) ging als „Vater der Zoolo-

gie“ in die Geschichte ein, indem er nicht

nur tradiertes Wissen kompilierte, son-

dern seine Erkenntnisse auf eigene Beob-

achtungen aufbaute und dieses Wissen in

seiner vierbändigen „Historia animalium“

(1551–1558) enzyklopädisch zusammen-

trug. Im vierten Band dieses Werkes,

dem sogenannten Fischbuch von 1558,

werden all die Tiere zusammengestellt,

die im Wasser leben. So finden sich darin

nicht nur Fische, sondern auch Schildkrö-

ten, Seehunde und Seeungeheuer, die

zur damaligen Zeit noch Bestandteil des

anerkannten Wissens über die Tierwelt

waren. Der ausführliche Text wird von

FISCHE, FRÖSCHE, SCHNECKEN UND TRAUBEN

Zur Restaurierung naturhistorischer Prachtwerke

mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung

Eine Doppelseite mit Fischdarstellun-

gen aus: Conrad Gesner: Historiæ

Animalium Liber IIII. qui est de Pis-

cium & Aquatilium animantium na-

tura. – Tiguri: Froschover, 1558

Signatur: 2° Lk 3600-4<a> : R

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zahlreichen Holzschnitten begleitet, die

in unserem Exemplar von alter Hand

koloriert sind. Der alte Einband bestand

ursprünglich aus schwarzem Samt, war

aber bereits sehr abgeschabt und nur

noch in Fragmenten erhalten. Bei der

Restaurierung kamen Kalenderseiten aus

der Züricher Offizin von Christoph Fro-

schauer d. Ä. (1521–1564) zum Vor-

schein, in der auch das Fischbuch er-

schien. Der stark beschädigte Einband

wurde nun durch einen Ganzlederband

ersetzt und der gepunzte Goldschnitt hat

wieder seinen ursprünglichen Glanz.

Auf wahrhaft kunstvolle Weise sind im

berühmten „Thesaurus“ (1734–1765)

von Albertus Seba (1665–1736) die Na-

turalien zu Papier gebracht. Der Amster-

damer Apotheker schuf durch den erfolg-

reichen Arzneimittelhandel die Basis für

seine umfangreichen Naturaliensammlun-

gen, die wir in diesem großformatigen

Prachtwerk bewundern können. Die

erste seiner Sammlungen verkaufte er

1716 an Zar Peter I.; sie befindet sich

noch heute teilweise in der Eremitage.

Die zweite Sammlung, im Jahre 1752 ver-

steigert, wurde mit den Abbildungen im

„Thesaurus“ der Nachwelt erhalten. Das

vierbändige Werk zeigt Objekte aus allen

drei Naturreichen. Ihre Anordnung rich-

tet sich dabei nur grob nach wissenschaft-

lichen Kriterien (z. B. Schnecken, Schlan-

gen, Korallen, Insekten). In barocker

Manier folgt die Gestaltung der Tafeln

stark ästhetischen Gesichtpunkten, wo-

durch diese einen außergewöhnlichen

links:

Das Bildnis zeigt Albertus Seba vor

seiner Naturaliensammlung, in der

rechten Hand ein Präparateglas hal-

tend. Aus: Albertus Seba: Locupletis-

simi Rerum Naturalium Thesauri. –

Amstelaedami: Janssonio-Waesber-

gios, & Wetstenium, & Smith, 1734–

1765, Signatur: gr. 2° Lg 18472 : R

rechts:

Eine Tafel mit jeweils Ober- und

Unterseite der Schnecken und

Muscheln in streng symmetrischer

Ordnung. Aus: Franz Michael Regen-

fus: Auserlesne Schnecken, Muscheln

und andre Schaalthiere […]. – Ko-

penhagen: Godiche, 1758

Signatur: s. gr. 2° Lq 2626 : R

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Reiz auf den Betrachter entfalten. Der

ursprüngliche rote Halblederband war

mit farblich passendem Marmorpapier

bezogen, das für den Neueinband nach-

empfunden wurde.

Das 18. Jahrhundert ist nicht allein auf

dem Gebiet der Naturgeschichte für

seine Sammler und Sammlungen bekannt.

In der Tradition naturhistorischer Samm-

ler stehen auch die Werke von Franz

Michael Regenfuß (1712–1780) und

Pierre-Joseph Buchoz (1731–1807). Re-

genfuß fertigte als „Königlicher Kupfer-

stecher“ des dänischen Königs in Ko-

penhagen ein Werk über „Auserlesene

Schnecken, Muscheln und andere Schaal-

thiere auf allerhöchsten Befehl Seiner

Königlichen Majestät nach den Originalen

gemalt, in Kupfer gestochen, und mit

natürlichen Farben erleuchtet“ (1758).

Buchoz’ berühmtes Werk „Planches

Enluminées Et Non Enluminées“ zeigt

jede Tafel zwei Mal – schwarz und kolo-

riert. Die Abbildungen beider Werke

präsentieren Sammlungsobjekte von be-

sonderer Schönheit oder Seltenheit und

bestechen durch ihre Ästhetik und Far-

bigkeit. Sie verdeutlichen die Faszination

der Menschen des 18. Jahrhunderts an-

gesichts der Vielfalt der Lebewesen und

zeigen gleichzeitig das große Ansehen,

das umfangreiche und wertvolle Samm-

lungen nicht nur unter Gelehrten genos-

sen.

Im Unterschied zu diesen Werken sind

die Arbeiten von August Johann Rösel

von Rosenhof (1705–1759) ein außer-

ordentlich frühes Zeugnis empirischer

Feldforschung. Bekannt durch seine ab

1746 „monatlich herausgegebene Insec-

ten-Belustigung“, gilt er mit seiner Arbeit

über die einheimischen Frösche „Historia

Naturalis Ranarum Nostratium“ von

1758 unter Fachleuten als Begründer der

Herpetologie. Seinem Werk liegen so-

wohl Beobachtungen in der freien Natur

und im Terrarium als auch anatomische

Untersuchungen zugrunde. Bereits zu

Lebzeiten erntete er für die große Ge-

nauigkeit und besondere Ästhetik der

Darstellungen viel Anerkennung. Die

Vollständige Darstellung der Meta-

morphose des Teichfrosches. Aus:

August Johann Rösel von Rosenhof:

Historia Natvralis Ranarvm Nostra-

tivm = Die natürliche Historie der

Frösche hiesigen Landes. – Norim-

bergae: Fleischmann, 1758

Signatur: 2° Lo 13222 : R

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Tafeln zeigen nicht nur verschiedene

Frosch- und Krötenarten, in kunstvoller

Weise durch Blumen oder Landschafts-

ausschnitte ergänzt, sondern auch ihre

Skelette, inneren Organe und die Ent-

wicklungszyklen der Lurche.

Zu unseren besonderen Seltenheiten

zählt die in 12 Lieferungen von 1803 bis

1815 erschienene Monographie über

Traubensorten „Le Raisin Ses Espèces Et

Variétés, Dessinées Et Colorées D’Après

Nature“ von Johann Simon Kerner

(1755–1830). Kerner war in Stuttgart

zunächst als Professor für Botanik und ab

1795 als Hofrat und Aufseher über den

Botanischen Garten und das Herbarium

tätig. Im Mittelpunkt seines Interesses

standen die nutzbaren Kultur- und Han-

delspflanzen. Die zahlreichen systema-

tisch-ökonomischen Arbeiten belegen

seine kompilatorischen Bestrebungen,

vor allem das Wissen über die Pflanzen-

welt Württembergs zu ordnen und mit

Hilfe anspruchsvoller Abbildungen einer

breiteren Öffentlichkeit anschaulich zu

machen. Ausdruck dieses Bestrebens ist

unter anderem auch der Band über die

Rebsorten. Der rote halblederne Ein-

band war durch Brandschäden teilweise

geschwärzt, konnte aber durch verschie-

dene filigrane Reparaturen erhalten wer-

den.

Die Einbände von Regenfuß und Rösel

von Rosenhof wurden vollständig durch

Halbledereinbände mit Kiebitzpapier

ersetzt – benannt nach der Zeichnung

der Kiebitzeier –, da die originalen Ein-

bände nicht mehr vorhanden waren und

die starken Beschädigungen eine Repa-

ratur oder Restaurierung nicht recht-

fertigten. Mit dem gleichen Argument

erhielten die Bände von Redoutés „Les

Liliacées“ (1802–1816) einen neuen Halb-

lederband. Neben „Les Roses“ (1817 bis

1824) sind die Lilien von Pierre Joseph

Redouté (1759–1840) eines der umfang-

reichsten und bedeutendsten botani-

schen Prachtwerke. Redouté besaß vor

allem eine Begabung für die Illustration

wissenschaftlicher Werke, indem er auf

besondere Weise künstlerische Gestal-

tung mit wissenschaftlicher Genauigkeit

verband. Er verwendete mit dem Einplat-

tenfarbdruck in Kombination mit der

Punktiermanier des Kupferstiches eine

neue anspruchsvolle Drucktechnik. Die

Farbdrucke verzaubern durch die Zart-

heit und Brillanz der Farben und die Fein-

heit und Genauigkeit der Darstellung.

Für alle restaurierten Objekte wurden

umfangreiche Restaurierungsberichte

und eine Fotodokumentation angefertigt.

Der Ernst von Siemens Kunststiftung sei

an dieser Stelle nochmals für ihren will-

kommenen „Ausflug“ in die Welt der

Bücher gedankt, die mit ihren präzisen,

lebendigen und kunstvollen Abbildungen

der Naturobjekte die Verbindung von

Wissenschaft und Kunst einzigartig be-

zeugen.

Darstellung einer Gladiole aus:

Pierre Joseph Redouté: Les Liliacées.

– A Paris, Chez L’Auteur ... De L’Im-

primerie De Didot Jeune, 1802–1816

Signatur: gr. 2° Me 1700 : R

Abbildung einer Traubenart mit Laub,

Stengel und Schnitt durch eine ein-

zelne Traube. Aus: Johann Simon Ker-

ner: Le Raisin, Ses Espèces Et Varié-

tés, Dessinées Et Colorées D’Après

Nature. – Stoutgart : Auteur, Livr.

1.1803 – 12.1815

Signatur: gr.2° Ox 1688-1/6 : R

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DAS NIBELUNGENLIED IM

UNESCO-WELTDOKUMENTENERBE

FESTAKT AM 25. JANUAR 2010

Im Juli 2009 wurde die im Besitz der

Bayerischen Staatsbibliothek befindliche

Handschrift A des Nibelungenliedes zu-

sammen mit den Handschriften B (Stifts-

bibliothek St. Gallen) und C (Badische

Landesbibliothek) in das UNESCO-Welt-

dokumentenerbe aufgenommen. Ein aus-

führlicher Bericht hierzu erschien im letz-

ten Heft.

In einer gut besuchten Schatzkammer-

Ausstellung mit dem Titel „Unsterblicher

Heldengesang. Das Nibelungenlied im

UNESCO-Weltdokumentenerbe“ wurde

Peter Schnitzlein

ist Leiter des Stabsreferats

Öffentlichkeitsarbeit der

Bayerischen Staatsbibliothek

FULMINANTER START

IM VERANSTALTUNGSJAHR 2010

Bayerische Staatsbibliothek feiert zwei bedeutende Ereignisse

die Handschrift A bis 7. Februar in Mün-

chen gezeigt. Am 25. Januar fand im Mar-

morsaal der Bibliothek – sozusagen als

Finissage – der offizielle Festakt mit der

Urkundenübergabe an Generaldirektor

Dr. Rolf Griebel durch den Vizepräsiden-

ten der Deutschen UNESCO-Kommis-

sion, Prof. Dr. Christoph Wulf, statt.

230 Gäste folgten den Ausführungen von

Prof. Joachim Heinzle (Philipps-Universi-

tät Marburg) zur „Europäischen Helden-

dichtung“ und der Vorstellung des

UNESCO-Programms „Memory of the

World“ durch Prof. Joachim-Felix Leon-

hard, den Vorsitzenden des nationalen

Nominierungskomitees der Deutschen

UNESCO-Kommission.

links: Die Handschrift A der

Bayerischen Staatsbibliothek in der

Schatzkammer

v.l.n.r. Prof. Leonhard, Dr. Griebel,

Staatsminister Dr. Wolfgang Heu-

bisch, Dr. Julia Freifrau Hiller von

Gaertringen (Badische Landesbiblio-

thek), Prof. Wulf, Dr. Karl Schmuki

(Stiftsbibliothek St. Gallen) mit der

UNESCO-Urkunde

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Das international renommierte Ensemble

„Estampie“ umrahmte den Festakt musi-

kalisch mit Stücken aus der Carmina

Burana, von Walther von der Vogel-

weide und einem anonymen Künstler.

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DIE FUGGER IM BILD

ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG

AM 9. MÄRZ 2010

Am 9. März wurde die Ausstellung „Die

Fugger im Bild. Selbstdarstellung einer

Familiendynastie der Renaissance“ im

Marmorsaal der Bibliothek in Anwesen-

heit von Fürst Fugger-Babenhausen und

seiner Gattin eröffnet. Im Mittelpunkt

Das Ensemble „Estampie“

links: Bei der an den Festakt

anschließenden Führung durch die

Ausstellung: Staatsminister Dr. Heu-

bisch, Dr. Griebel und Kolleginnen

aus der Abteilung Handschriften und

Alte Drucke

v.l.n.r.: Dr. Fabian (BSB), Fürstin und

Fürst Fugger-Babenhausen, Dr. Grie-

bel, Minsterialdirigent Dr. Weiß

(Bayerisches Staatsministerium für

Wissenschaft, Forschung, Kunst),

Prof. Fischer (Ernst von Siemens

Kunststiftung), Prof. Burkhardt (Uni-

versität Augsburg)

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der Ausstellung standen die 2009 erwor-

benen, spektakulären Fugger-Genealo-

gien. Ausführliche Informationen zu bei-

den Neuwerbungen finden Sie ebenfalls

in Heft 1/2010 des Bibliotheksmagazins.

Im bis auf den letzten Platz belegten Mar-

morsaal hielt Prof. Johannes Burkhardt

(Universität Augsburg) einen Festvortrag

zum Thema „Stillschweigen steht nicht

mehr an. Die Erinnerungskultur der Fug-

ger im Medienwandel der Neuzeit“. Das

ensemble für frühe musik augsburg begeis-

terte mit seinen Interpretationen von

Tilman Susato, Giacomo Fogliano und

Das „ensemble für frühe musik

augsburg“

rechts: Blick in die Schatzkammer

Unermüdlich demonstrierte der

stellvertretende Generaldirektor,

Dr. Klaus Ceynowa, die neue,

gestengesteuerte Präsentationstech-

nik für die Fugger-Digitalisate.

Heinrich Isaak. Großes Interesse fand

während des anschließenden Empfangs

bzw. der Möglichkeit, die Ausstellung zu

besichtigen, neben den beiden ausgestell-

ten Orginalen die berührungslose, ges-

tengesteuerte Präsentationstechnik für

die Fugger-Digitalisate. Die Ausstellung –

zu der ein reich bebilderter, opulenter

Katalog zum Preis von 24,90 Euro er-

schien – war bis 22. Mai zu sehen. Die

Orginale ruhen jetzt wieder im Tresor,

die Digitalisate können selbstverständlich

weiterhin unter www.bayerische-landes-

bibliothek-online.de/fugger bewundert

werden.

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Wissenschaftsgeschichtlich bedeutsame

Nachlässe von renommierten Gelehrten

würde man zunächst in den Archiven ein-

schlägiger Einrichtungen vermuten. Dem

ist jedoch nicht immer so, und Briefe,

Tagebücher und andere persönliche Auf-

zeichnungen von Altertumswissenschaft-

lern finden sich nicht nur an Museen und

Universitäten sowie im Deutschen

Archäologischen Institut, sondern eben

auch in der Handschriftenabteilung der

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer

Kulturbesitz. Das, was dort an Ver-

mächtnissen aus den verschiedenen

altertumswissenschaftlichen Teildiszipli-

nen vorliegt, unterstreicht einmal mehr

Bedeutung und Glanz Berlins als Wissen-

schaftsstandort und als „Weltstadt“ der

Frühzeit archäologischer Forschung. Die

Rolle vieler herausragender Persönlich-

keiten der Altertumskunde kann gar

nicht vollständig erfasst werden, ohne

diese Nachlässe in der Staatsbibliothek

einzubeziehen. Zu ihnen zählen u. a.

Johann Joachim Winckelmann, Richard

Lepsius, Heinrich Schliemann, Robert

Koldewey, Walter Andrae, Wolfgang

Helbig, Felix von Luschan, Otto Weber

und Gerhart Rodenwaldt.

Die Wichtigkeit der Archäologennach-

lässe der Staatsbibliothek zu Berlin soll

hier einmal exemplarisch am Beispiel der

persönlichen Briefsammlung von Gerhart

Rodenwaldt aufgezeigt werden. Der

1886 geborene Rodenwaldt war von

1922 bis 1932 zunächst Generalsekretär

und – nach der Umbenennung des Amtes

1929 – Präsident des Deutschen Archäo-

logischen Instituts (DAI) in Berlin. Noch

vor Beginn der Naziherrschaft verließ er

das Institut und wechselte an die Univer-

sität Berlin, wo er bis kurz vor Kriegs-

ende Klassische Archäologie lehrte.

Nach der Einnahme der Stadt durch die

Rote Armee ging er gemeinsam mit sei-

ner durch den Soldatentod des einzigen

Sohnes gebrochenen und seither stark

depressiven Frau in den Freitod.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger

ist Präsident

der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Gerhart Rodenwaldt (1886–1945)

GERHART RODENWALDTS PERSÖNLICHE KORRESPONDENZ

Zu den Archäologennachlässen in der Staatsbibliothek zu Berlin

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Der gesamte dienstliche Schriftverkehr

Rodenwaldts befindet sich heute – so-

weit noch erhalten – im Archiv des Deut-

schen Archäologischen Instituts in Berlin-

Dahlem. Seine persönliche Korrespon-

denz galt dagegen lange als verschollen

und wurde erst 1971 auf dem Dach-

boden des verlassenen Privathauses

Rodenwaldts in der Holbeinstraße 53 in

Berlin-Lichterfelde entdeckt. Aufgrund

ungeklärter Eigentumsverhältnisse ge-

langten diese Briefe als Nachlassdeposi-

torium in die Handschriftenabteilung

der Staatsbibliothek Preußischer Kultur-

besitz. Anlässlich des 150-jährigen Jubi-

läums des Instituts bemühte sich des-

sen damaliger Präsident Werner Krämer

1979 um eine Überführung dieser Kor-

respondenz in das Archiv des DAI, wobei

sich Stiftung Preußischer Kulturbesitz

und Deutsches Archäologisches Institut

schließlich darauf einigten, dass die Origi-

nale in der Staatsbibliothek verblieben

und das DAI Kopien und Mikrofiches er-

hielt.

Dieser Teil des rodenwaldtschen Nach-

lasses enthält aber eben nicht private

Briefe, sondern nahezu ausschließlich sol-

che dienstlichen bzw. fachlichen Inhalts,

die jedoch mit dem Vermerk „persön-

lich“ gekennzeichnet waren. Es war nur

selten Korrespondenz belanglosen In-

halts, ganz im Gegenteil: In der Regel

ging es um delikate bis brisante Vorgänge,

die Personen des Fachs, die Regelung

von diversen Nachfolgefragen, strategi-

sche Überlegungen im Umgang mit Minis-

terien u. ä. betrafen. Sehr klar offenbart

sich hierbei aber auch das wissenschafts-

und kulturpolitische Netzwerk Roden-

waldts, mit dessen Hilfe er erfolgreich

wirken konnte. Nach seinem Ausschei-

den aus dem Dienst des DAI wollte er

diese mit „persönlich“ gekennzeichneten

Briefe, die er während seiner gesamten

zehnjährigen Tätigkeit am Institut fein

säuberlich von der übrigen Dienstpost

trennte, offenbar nicht in das Archiv des

DAI überführt und damit für seine Nach-

folger und andere Kollegen einsehbar

wissen. Da aber gerade diese Korres-

pondenz viele Entscheidungen Roden-

waldts und seine Denkweise in besonde-

rer Weise nachvollziehbar macht, handelt

es sich um den wissenschaftsgeschichtlich

in vielerlei Hinsicht entscheidenden Teil

seines Nachlasses; nicht auszudenken,

wenn er verloren gegangen wäre! Der

Zeitpunkt der Auffindung dieser Briefe in

einem verlassenen Haus fast 30 Jahre

nach Kriegsende geschah gerade noch

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rechtzeitig, ehe die bereits angegriffe-

nen Papiere dem endgültigen Zerfall aus-

gesetzt gewesen wären.

Die persönliche Korrespondenz Roden-

waldts – neun Archivkartons mit 728

Mappen – bildet eine wahre Fundgrube

für die Entwicklung der archäologischen

Wissenschaften und ihrer Institutionen-

geschichte in den 1920er- und frühen

1930er-Jahren. Schon eine nur flüchtige

Durchsicht ergibt unzählige Ansätze, die

sich gewinnbringend weiterverfolgen lie-

ßen, und es bleibt nur zu wünschen, dass

das Potential und die Fülle der hier ent-

haltenen Informationen eines Tages um-

fassend zur Geltung gebracht werden.

Auf die Person Rodenwaldts bezogen

geschah dies bereits durch Esther Sophia

Sünderhaufs umfangreichen Aufsatz „Am

Schaltwerk der deutschen Archäologie“

– Gerhart Rodenwaldts Wirken in der

Zeit des Nationalsozialismus im Jahrbuch

123 (2008) des Deutschen Archäologi-

schen Instituts.

Eine ausführliche Bewertung des umfang-

reichen Nachlasses von Gerhart Roden-

waldt ist in diesen wenigen Zeilen gewiss

nicht vorzunehmen, und dennoch lässt

sich gleichsam schlaglichtartig sein Poten-

tial aufzeigen. So zeugen etwa seine mit

Margarete Bieber ausgetauschten Briefe

der späten 1920er-Jahre auf sehr an-

schauliche Weise von der schwierigen

Situation, in der sich Frauen zu jener Zeit

noch immer befanden, wenn es darum

ging, eine akademische Karriere zu begin-

nen und einen Ruf an eine deutsche Uni-

versität zu erhalten. Die später in die

USA emigrierte Jüdin Bieber hatte vor

dem Ersten Weltkrieg zusammen mit

Rodenwaldt als erste Frau das Reisesti-

pendium des Deutschen Archäologischen

Instituts erhalten, damals wie heute eine

Art Exzellenzstipendium, das den weite-

ren Aufstieg im Fach beförderte; nicht

jedoch bei Frauen wie Margarete Bieber,

der am Ende, am 20. Januar 1930, selbst

Rodenwaldt resignierend schreiben

musste: „Leider habe ich schon mehrfach

die Erfahrung machen müssen, dass

meine Stellungnahme über Sie nur mit

einem freundlichen Lächeln angenommen

wird, weil unsere Freundschaft eben zu

bekannt ist. Vielleicht wäre eine zeit-

weise Verfeindung der Sache günstig?“

Rodenwaldts Präsidentschaft in den

1920er-Jahren war außergewöhnlich

erfolgreich. Zunächst gelang es ihm, die

besonders von Frankreich betriebene

Isolierung der deutschen Altertumswis-

senschaft nach dem Ersten Weltkrieg

aufzubrechen und die internationalen

Verbindungen auszubauen. Sein größter

Erfolg war dabei zweifellos – trotz der

Weltwirtschaftskrise – die Gründung der

Margarete Bieber

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Abteilungen des DAI in Kairo und Istan-

bul 1929, die das DAI zum weltweit

größten archäologischen Forschungsinsti-

tut machten. Als Rodenwaldt dann 1932

den für viele überraschenden Entschluss

fasste, sein Präsidentenamt niederzule-

gen, um dem Ruf auf ein Ordinariat an

der Berliner Universität zu folgen, waren

Ratlosigkeit und Sorge über die weitere

Zukunft des Instituts groß.

Briefe an und von Rodenwaldt machen

die Schwierigkeiten bei der Suche nach

einem geeigneten Nachfolger offensicht-

lich und enthalten bemerkenswerte Ein-

schätzungen zu Leistung und Charakter-

eigenschaften diverser Kandidaten. Am

Ende blieb nur der bereits 64-jährige

Theodor Wiegand, Direktor der Anti-

kensammlung der Staatlichen Museen zu

Berlin, dem man es aufgrund bester Ver-

bindungen bis in höchste Kreise von Poli-

tik, Wirtschaft und Gesellschaft noch am

ehesten zutraute, das Institut unbescha-

det durch die bereits heraufziehende

neue Zeit zu steuern, übrig. Doch nicht

alle waren über diese Wahl glücklich,

und Ludwig Curtius, Ordinarius in Hei-

delberg, brachte die Vorbehalte gegen-

über Wiegand am 20. Juni 1927 in einem

Brief an Rodenwaldt auf extremste Art

zum Ausdruck. Er konstatierte, „dass

er sich nur für das interessiert, was er

selber tut, und dass ihm alles andere, so-

weit es nicht seinem persönlichen Ehr-

geiz dient, völlig Wurst ist“. Solche Ur-

teile hätte der diplomatische Rodenwaldt

nie zu fällen gewagt, auch das zeigt die

Lektüre seiner persönlichen Korrespon-

denz.

Ludwig Curtius

(Foto: Albert-Ludwig-Universität

Freiburg, Institut für Archäologische

Wissenschaften)

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Das Foyer des neuen Aventinus-

Lesesaals

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Beeindruckende Zahlen melden die Be-

nutzungsdienste alljährlich für den Jahres-

bericht der Bayerischen Staatsbibliothek,

und so auch für 2009: 55.123 einge-

schriebene Nutzer hatte die Bibliothek

Ende 2009, über 1,91 Mio. Entleihungen

wurden verbucht und auf den Katalog

wurde über 5,61 Millionen mal zugegrif-

fen. Die Zahl der Auskunftsanfragen lag

bei rund 152.000. Mit knapp 1.120.000

Besuchern erreichte auch der Allgemeine

Lesesaal der Bibliothek wieder Spitzen-

werte, die allerdings – und auch dies ist

ein seit Jahren sich wiederholender Vor-

gang – mit Unmutsäußerungen mancher

Nutzer angesichts der Vollauslastung, ja

bisweilen sogar Überbelastung der ver-

fügbaren Kapazitäten einhergehen. Dem

interessierten Beobachter stellt sich an-

gesichts dieser Situation immer wieder

die Frage: „Wann und vor allem wie wird

die Bayerische Staatsbibliothek hier Ab-

hilfe schaffen? Ist innerhalb der gegebe-

nen räumlichen und architektonischen

Möglichkeiten überhaupt noch „Luft“ für

die Bereitstellung erweiterter Nutzer-

angebote? Wie lässt sich ein Raum-

gewinn ohne Flächenzuwachs bewerk-

stelligen?“

Der Allgemeine Lesesaal der Bayerischen

Staatsbibliothek leidet seit einigen Jahren

an Überfüllungsphänomenen – ein Zei-

chen für die hohe Attraktivität des Ange-

botes. Selbst die ab 2006 signifikant aus-

geweiteten Öffnungszeiten (täglich 8.00

bis 24.00 Uhr) trugen nicht zur Entspan-

nung der Situation bei. Nicht selten kam

es vor, dass Wissenschaftler, die für ihre

Arbeit auf nur im Lesesaal einsehbare

Bestände angewiesen sind, sich immer

wieder auf eine nervenaufreibende Sitz-

platzsuche begeben mussten.

Die hohe Akzeptanz des Lesesaals kann

übrigens durchaus als Indiz für eine

Renaissance der Bibliotheken gewertet

werden. Während die Bestände der Bib-

liotheken zunehmend in digitaler Form

Peter Schnitzlein

ist Leiter des Stabsreferats

Öffentlichkeitsarbeit der

Bayerischen Staatsbibliothek

NEUE ARBEITSUMGEBUNG FÜR DIE

GEISTES- UND KULTURWISSENSCHAFTEN

Der Aventinus-Forschungslesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek

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Aus der Vogelperspektive:

der Aventinus-Lesesaal bei der Eröff-

nung am 4. Februar 2010

dem Wissenschaftler an seinem Arbeits-

platz weltweit online zur Verfügung

stehen, gewinnt gleichzeitig und komple-

mentär die Bibliothek als Ort des wis-

senschaftlichen Arbeitens und der Inspi-

ration, als Ort der Reflexion und des

Austausches und natürlich als Ort des

Lernens zunehmend an Bedeutung. Die

düsteren Prognosen, dass Bibliotheken

als „physische“ Einrichtungen im digitalen

Zeitalter zunehmend ihre Funktion ver-

lieren, bewahrheiten sich nicht, wie die

Nutzerzahlen belegen.

„Während sich die Bibliothek mit Blick

auf den – zunehmend digitalen und digi-

talisierten – Bestand partiell virtualisiert

und damit gleichsam auflöst, gewinnt der

Ort Bibliothek als Kommunikationstreff-

punkt und Arbeitsplatz im 21. Jahrhun-

dert einen neuen Stellenwert“, so Gene-

raldirektor Rolf Griebel. Herzstücke

sowohl der alten als auch der neuen Bib-

liotheken bildeten und bilden stets die

Lesesäle. Hier bündelt sich alles: digitale

Angebote wie Kataloge, Datenbanken,

elektronische Medien und Volltexte, eine

umfassende Handbibliothek, der Zugang

zu den reichen Bibliotheksbeständen,

bibliothekarische Fachinformation, Scan-

und Repromöglichkeiten und eben der

Austausch mit anderen – ein von vielen

als maßgeblich erachteter Vorteil gegen-

über der „isolierten“ Arbeitssituation

zuhause und erst recht gegenüber dem

„nomadisierenden“, mobilen Arbeiten

mit Notebook und Smartphone.

Edles Holz, moderne Arbeitsplätze,

angenehme Atmosphäre: der neue

Lesesaal

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Der Allgemeine Lesesaal der Bayerischen

Staatsbibliothek vereinigt all diese Vor-

teile in sich. Das Modell war und ist da-

bei so erfolgreich, das es am eigenen

Erfolg – so die Wahrnehmung mancher

Nutzer – schier zu „ersticken“ drohte.

Trotz aller kurzfristigen Maßnahmen wie

der Einrichtung eines separaten Bereichs

für Wissenschaftler im Saal oder der

maximalen Bestückung mit Stühlen und

Tischen konnte die oben beschriebene

Situation nicht grundlegend verbessert

werden. Daher entschloss sich die Biblio-

theksleitung zur Einrichtung eines neuen,

als Arbeitsumgebung exklusiv für die for-

schende Nutzung ausgewiesenen Lese-

saals für die Geschichts- und Altertums-

wissenschaften, für Bavarica und für das

Alte Buch.

Am 4. Februar 2010 wurde der neue –

auf den Namen Aventinus getaufte –

Lesesaal in Anwesenheit von rund 200

Gästen eröffnet. Den Festvortrag hielt

der Landeshistoriker Prof. Dr. Ferdinand

Kramer vom Historischen Seminar der

Ludwig-Maximilians-Universität. Mit der

Einrichtung des Aventinus-Lesesaals mit

64 Arbeitsplätzen verfolgt man das Ziel,

Wissenschaftlern optimale Vorausset-

zungen zu bieten, nicht nur hinsichtlich

des Bestandes der Bibliothek, sondern

auch hinsichtlich des Arbeitsplatzangebo-

tes. Der neue Lesesaal wurde in einem

der wohl schönsten Räume der Bayeri-

schen Staatsbibliothek mit direktem Blick

auf die Münchner Altstadt eingerichtet.

Die Freihandbibliothek mit ca. 20.000

Bänden und die ästhetisch ansprechende,

komfortable und technisch auf dem

neuesten Stand ausgerichtete Innenein-

richtung schaffen die Grundvorausset-

zung für ein effizientes wissenschaftliches

Arbeiten. Bleibt zu hoffen, dass mit dem

neuen Forschungslesesaal der „Benut-

zungsdruck“ auf den Allgemeinen Lese-

saal etwas abnimmt und die kontinuier-

liche Überbelegung des Allgemeinen

Lesesaals zumindest tendenziell zurück-

geht.

Als nächsten Schritt soll die bereits

begonnene Renovierung des Lesesaals

für Musik, Karten und Bilder auch hier

die Arbeitsbedingungen für die Wissen-

schaft deutlich optimieren. Darüber

hinaus ist die bis Juli abgeschlossene

komplette Neugestaltung des Cafeteria-

Bereichs der Bayerischen Staatsbiblio-

thek auch darauf angelegt, durch lounge-

artige Gestaltung nochmals erweiterte

Kommunikations- und Austauschmög-

lichkeiten zu schaffen, dann aber eher für

die studentische Klientel der Bibliothek.

Unbeschadet der laufenden Planungen

für zwingend erforderliche Erweiterungs-

bauten wird so die Optimierung der

Nutzungsmöglichkeiten im vorhandenen

Flächenbestand vorangetrieben.

Bei der Eröffnungsveranstaltung

(v.l.n.r.): Dr. Klaus Ceynowa, Prof.

Dr. Ferdinand Kramer, der den Fest-

vortrag hielt, Dr. Wilhelm Hilpert,

Leiter der Abteilung Benutzungs-

dienste, Dr. Rolf Griebel

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Wie man Geld aus dem Hut zaubern

kann, wird leider in solcher Literatur nicht

erklärt, aber bei dieser spannenden Auk-

tion wäre es vonnöten gewesen: Ein vol-

ler Saal, internationales Publikum, dazu

zahlreiche Bieter am Telefon – am 4. Ok-

tober 2009 wurde bei Hauff & Auver-

mann in Berlin der deutschsprachige Teil

der „Sammlung Christian Fechner / Zau-

berei & Magie“ versteigert.

Christian Fechner (1944–2008) war nicht

nur ein bekannter französischer Film-

produzent, sondern auch ein Sammler

und Zauberkünstler, der seinerseits die

Sammlung des Magiers Adolphe Blind

erworben und erweitert hatte. Adolphe

Blind (1862–1925) verfügte wie nach ihm

Fechner über das nötige Vermögen, um

seiner Leidenschaft nachgehen zu kön-

nen, ohne darin von schnöder Erwerbs-

tätigkeit übermäßig behindert zu werden.

Er trug umfassend Literatur zum Thema

zusammen, was sogar in einer Spezial-

bibliographie mündete – der „Bibliogra-

phy of conjuring and kindred deceptions“

(London 1920, zusammen mit S. W.

Clarke), die gleichzeitig ein Nachweis des

Bestands der Blind’schen Sammlung ist.

Sammelleidenschaft scheint recht häufig

bei Zauberkünstlern vorzukommen, so

beherbergt die Library of Congress in

Washington seit 1927 in ihren Sonder-

sammlungen die „Harry Houdini Collec-

tion“, die der bekannte Zauber- und

Entfesselungskünstler der Bibliothek ver-

macht hatte.

Leider wurde die Sammlung Fechner zer-

schlagen, die englischsprachigen Werke

wurden in den Jahren 2005 bis 2007 in

drei Auktionen bei Swann in New York

versteigert, die französischsprachigen

bereits 2004 bei Drouot Richelieu in Pa-

ris. Bei der Auktion in Berlin konnte die

Abteilung Historische Drucke der Staats-

bibliothek zu Berlin einige Titel für den

von ihr betreuten Zeitraum der „Samm-

lung Deutscher Drucke“, nämlich der

Erscheinungsjahre 1871–1912, erwerben

und damit die bereits im Bestand vorhan-

dene Literatur zum Thema mit seltenen

Stücken ergänzen.

Wie man Damen zersägt,

immer ein Ass im Ärmel hat

und sein Publikum bezaubert:

Dr. Silke Trojahn

ist Erwerbungskoordinatorin in

der Abteilung Historische Drucke

der Staatsbibliothek zu Berlin

ZAUBERBÜCHER AUS

DER SAMMLUNG FECHNER

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Es handelt sich vor allem um praktische

Anleitungen zum Ausführen von Karten-

und anderen Zaubertricks, aber auch um

Hintergrundliteratur, z. B. über das Le-

ben von Varietékünstlern oder die phy-

sikalischen Grundlagen optischer Täu-

schungen.

Sehr interessant sind die Kataloge von

Versandhäusern, die sich auf Zauber-

artikel spezialisiert hatten. Die Firmen

E. Hensel in Hamburg und Berlin, F. W.

Conrad Horster in Berlin und Dresden,

Ficker in Leipzig und Carl Willmann in

Hamburg waren zeitgleich auf diesem

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Gebiet aktiv und machten einander rege

Konkurrenz.

Die Anleitungsliteratur ist reizvoll durch

die genauen Erläuterungen, wie die

Kunststücke funktionieren. Das raubt

zwar manche Illusion, aber man kommt

dafür in Versuchung, die einfacheren

Tricks selbst auszuprobieren: „57. Ein Ei

auf die Spitze zu stellen. Man schüttelt

das Ei so lange, bis der Dotter gleichför-

mig mit dem Eiweiß vermischt ist und das

Ei wird sich auf die Spitze stellen lassen,

ohne umzufallen“ (aus: „Der jovialste

aller Hexenmeister: eine Quintessenz

der leichtesten, überraschendsten und

unbegreiflichsten Kunststücke“. 10. Auf-

lage, Plauen: Schröter 1881). Oder „Die

rastlose Weintraube. Wenn man gele-

gentlich einer Tischgesellschaft beim

Champagner angelangt ist, macht man

darauf aufmerksam, wie dieser Stoff im-

stande sei, Leben zu verleihen. Um einen

Beweis hierfür zu erbringen, wirft man

eine frische oder getrocknete Wein-

traube in das gefüllte Champagnerglas,

und die Weintraube wird langsam hoch-

steigen. Sie wird wieder nach unten sin-

ken, um von neuem an die Oberfläche

des Champagners zu steigen“ (aus: „Will-

mann’s illustrierte magische Bibliothek“,

Band 3, Leipzig: Hahn 1900). Conradis

„Universum der Magie“ (Berlin 1912) ist

durchgängig mit Fotografien illustriert,

von denen einige vor einem Spiegel auf-

genommen wurden, damit man erkennen

kann, wie der Zauberer einen Ball, eine

Münze oder einen anderen Gegenstand

„palmiert“ (von lat. palma = die Hand-

fläche), also zwischen den Fingern ver-

schwinden lässt. Ein Fotoband ganz ande-

rer Art ist die „Geistersoiree“ (Jacoby-

Harms: „Eine Geistersoiree: illustrirtes

Prachtwerk“, Leipzig: Dorn & Merfeld

1886), in der Geistergedichte adäquat

illustriert werden. Im Nachwort aller-

dings erklärt der Verfasser in seiner

Abrechnung mit dem Spiritismus, dass

alle Geistererscheinungen Täuschungen

des Publikums seien, die von geschäfts-

tüchtigen Medien bewerkstelligt würden.

Und die zersägte Dame? Diese Illusion,

die einem bei dem Thema als erste in

den Sinn kommt, wurde erstmals 1921

vorgeführt und gehört seitdem zum klas-

Palmieren für Anfänger

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sischen Repertoire der Zauberkünstler.

Vorläufer gab es aber durchaus – hier sei

aus dem „Zaubersalon oder Bellachini II:

eine ausgewählte Sammlung leicht aus-

führbarer Zauber- und Kartenkunst-

stücke sowie chemischer und physikali-

scher Zauberexperimente“ (Danzig:

Stuller 1896) zitiert: „Die Enthauptung

einer Dame. Zu diesem Experiment ist

ein verdeckter Tisch erforderlich, wel-

cher oben eine kreisförmig ausgeschnit-

tene Öffnung hat, so daß bequem der

Kopf eines Menschen hindurchgeht. Den

Tisch bedeckt man anfangs mit einem

Tuch, damit die Öffnung nicht bemerkt

wird. Ist die Vorbereitung beendet, so

tritt der Darsteller mit einer Dame vor

und erklärt, daß er derselben den Kopf

abschneiden werde. Da jedoch empfind-

liche Damen sich im Saal befinden dürf-

ten, so wolle er diese Operation hinter

dem Vorhange vornehmen und nur spä-

ter den abgeschnittenen Kopf vorzeigen.

Der Darsteller zieht nun eine vor dem

Tisch befindliche Gardine vor. Das Tuch

vom Tisch wird rasch entfernt. Die Dame

kriecht hinter den Tisch und steckt den

Kopf durch die Öffnung, auf welcher sich

eine Schüssel ohne Boden befindet. Der

Darsteller legt nun der Dame schnell ein

schon bereit gehaltenes bandartig ge-

schnittenes Stück rohes Fleisch um den

Hals, damit es den Anschein hat, es sei

der blutende Hals der enthaupteten Per-

son. Auch kann der besseren Täuschung

halber etwas Ochsenblut rund um den

Rand der Schüssel geträufelt werden.

Hierauf zieht der Darsteller den Vorhang

auf und die Zuschauer sehen mit Erstau-

nen den noch zuckenden blutigen Kopf

auf der Schüssel liegen. Nach kurzer

Pause wird der Vorhang wieder zugezo-

gen und dann die Dame wieder unver-

sehrt dem Publikum zugeführt.“

Sie sehen, bei solcher Lektüre kann ein

Aufenthalt in der Staatsbibliothek zu Ber-

lin ebenso anregend wie ein Besuch im

Varieté sein!

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Jahresempfang 2010der Generaldirektorin und des Vorsitzendender Freunde der Staatsbibliothek zu BerlinFotos: Joerg F. Mueller

Dringender Restaurierungsbedarf: Hallisches patriotisches Wochen-

blatt von 1832 aus der Zeitungssammlung

Barbara Schneider-Kempf vor Bettina Flitners Porträt von Klaus-

Dieter Lehmann

Der Pädagoge Hartmut von Hentig, Lilo Saur, der Literaturwissenschaftler und Publi-

zist Friedrich Dieckmann

Der Vorsitzende des Freundes- und Fördervereins, Klaus G. Saur

Friedrich Dieckmann, Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf, Staatssekretär a. D.

Knut Nevermann, der Historiker Arnulf Baring, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher,

der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger

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Der Schauspieler und Rezitator Hans-Jürgen Schatz; Leiterin der Bibliothek

des Wissenschaftskollegs zu Berlin i. R. Gesine Bottomley

Barbara Schneider-Kempf; Rechtsanwältin und Notarin Angelika Bellinger

Dank allen jenen, die die Patenschaft für die Restaurierung einer Handschrift

oder eines Buches übernommen haben. Insgesamt gingen 60 Finanzierungs-

zusagen im hohen vierstelligen Wert ein.

Die Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Rita Ruoff-

Breuer und Gräfin Schwerin zu Schwanenfeld

Ganz links: der Leiter der Handschriftenabteilung, Eef Overgaauw;

rechts: der stellvertretende Leiter der Benutzungsabteilung, Uwe Schwersky,

mit Gattin Carolyn Greenberg

Christoph Albers, Referent in der Zeitungsabteilung; Imma Hendrix,

stellvertretende Leiterin der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität,

mit Tochter

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Zu den neuen Phänomenen des russi-

schen Buchmarktes gehören zahlreiche

ebenso hochpreisige wie hochwertige

Nachdrucke und Faksimile-Ausgaben

wichtiger Werke der russischen Kultur-

geschichte. Das sicherlich herausragend-

ste Unternehmen dieser Art ist die Faksi-

milierung und zugleich wissenschaftliche

Kommentierung der „Russischen Welt-

chronik“ durch den eigens für dieses Pro-

jekt gegründeten Verlag „Akteon“. Die

Chronik, im Russischen Licevoj Letopisnyj

Svod, ist ein in jeder Hinsicht monumen-

tales Werk russischer Geschichtsschrei-

bung. Sie steht wie die vielen anderen

erhaltenen mittelalterlichen und früh-

neuzeitlichen Chroniken der orthodoxen

Slavia in byzantinischer Tradition, d. h. sie

beginnt in biblischen Zeiten mit der Er-

schaffung der Welt und reicht bis in die

Gegenwart des Schreibers. Als Auftrags-

arbeit Iwans des Schrecklichen entstand

sie im Moskau des 16. Jahrhunderts. Ihr

Umfang beträgt rund 10.000 handschrift-

liche Seiten mit mehr als 17.000 kunst-

historisch wertvollen Miniaturen.

Mit diesem Faksimile steht der Osteuro-

paforschung nun weltweit ein bislang we-

nig erforschtes Zeugnis der Geschichte

und eines der identitätsstiftenden Kultur-

dokumente Russlands zur Verfügung. In

der Bayerischen Staatsbibliothek wird es

den Benutzern dank des persönlichen

Geschenks durch den Generaldirektor

von „Akteon“, Charis Mustafin, ab Mitte

2010 vollständig zugänglich sein. Aus die-

sem Anlass führten Filip Hlusicka und

Dr. Gudrun Wirtz mit dem Verleger fol-

gendes Interview.

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Russische Weltchronik aus dem 16. Jahrhundert im Faksimile

GESCHENK AN DIE BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK

Interview mit Charis Mustafin

Dr. Gudrun Wirtz

ist Leiterin,

Filip Hlusicka

ist Mitarbeiter der Osteuropa-

abteilung der Bayerischen Staats-

bibliothek

Der Generaldirektor des Verlags

„Akteon“, Charis Mustafin

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Einer der originalen Handschriften-

bände

■ Herr Mustafin, die Bayerische Staats-

bibliothek freut sich sehr über das

kostbare Geschenk. Es wird den Be-

stand der Osteuropasammlung sehr

bereichern. Wie entstand die Idee, die

Weltchronik Iwans IV. im Faksimile

herauszugeben?

Vielleicht wissen Sie, dass 2004 die Mos-

kauer Manege völlig ausbrannte und dass

das Feuer auch die Bücher in der benach-

barten Bibliothek der Moskauer Staat-

lichen Universität zu vernichten drohte.

Kurz zuvor waren bei einem Hochwasser

in Sankt Petersburg einige der größten

Bibliotheken überflutet worden. Dabei

wurden viele Bücher in Mitleidenschaft

gezogen. Zur selben Zeit gab es auch

Diebstähle seltener Handschriften. Vor

diesem Hintergrund beschlossen einige

Enthusiasten, zumindest die wichtigsten

Buchdenkmäler aus den russischen Bib-

liotheken zu faksimilieren und sie so für

die Nachwelt zu erhalten. Es war eine

Gruppe von Freunden, die sich aus ihrer

gemeinsamen Studienzeit am Moskauer

Institut für Physik und Technologie kann-

ten, keine Historiker oder Philologen,

aber lebhaft interessiert an Geschichte.

Einer von ihnen, Vadim Jakunin, Chef des

Pharmaunternehmens „Protek“, war be-

reit, das Vorhaben zu finanzieren.

Im Präsidium der Russischen Akademie

der Wissenschaften erzählte man uns

von einer einzigartigen Handschrift: einer

illuminierten russischen Weltchronik aus

der Zeit Iwan des Schrecklichen. Wir

fuhren nach Sankt Petersburg in die Bib-

liothek der Akademie, wo man uns einige

Bände dieser Chronik zeigte. Sie machte

auf uns einen enormen Eindruck: In Russ-

land gibt es keine zweite handschriftliche

illustrierte Chronik dieser Größenord-

nung.

■ Welche Rolle spielte dabei die Schwie-

rigkeit für Forscher, an das Original

heranzukommen?

Das war für uns ein sehr wichtiges Motiv.

Zum einen besteht die Handschrift aus

zehn großformatigen Bänden, die an drei

verschiedenen Orten aufbewahrt wer-

den. Die Bände 1, 9 und 10 befinden sich

in der Handschriftenabteilung des Staat-

lichen Historischen Museums in Moskau,

die übrigen dann in zwei Bibliotheken in

Sankt Petersburg: die Bände 2, 6 und 7 in

der Bibliothek der Akademie der Wis-

senschaften und die Bände 3, 4, 5 und 8

in der Russischen Nationalbibliothek. In

diesen Häusern befinden sie sich erst seit

dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Bis da-

hin waren sie in verstreutem Privatbesitz,

weshalb man sie als eigenständige Werke

betrachtete. Zum anderen hatten, aus

konservatorischen Gründen und auf-

grund des Wertes, den diese Handschrift

darstellt, nur ganz wenige hochkarätige

Forscher die Möglichkeit, das Original

einzusehen. Alle anderen mussten sich

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bestenfalls mit alten unscharfen Schwarz-

weißfotografien begnügen, die es aller-

dings nur von den Teilen gab, die der

russischen Geschichte gewidmet waren.

Infolgedessen blieb die Handschrift rela-

tiv wenig und ungleichmäßig erforscht.

Dies gilt vor allem für die Miniaturen.

Unseren Schätzungen zufolge, die wir

zusammen mit Fachleuten durchgeführt

haben, sind nur ungefähr 7 Prozent wis-

senschaftlich untersucht. 7 Prozent von

über 17.000 Miniaturen! Dabei stellen

Bild und Text eine unzertrennliche Ein-

heit dar, ja zuweilen bietet das Bild, das

jeweils zwei Drittel der Seite ausfüllt,

sogar deutlich mehr Information als der

zugehörige lapidare Text.

Unsere Ausgabe ermöglicht nun allen

Interessierten an einem Ort den Zugang

zum gesamten erhaltenen Text in der

Qualität des Originals.

■ Vor welche technischen Herausforde-

rungen wurden Sie bei der Umsetzung

Ihres Vorhabens gestellt?

Wir mussten einen hochauflösenden

Scanner finden, der beim Ablichten das

Original nicht beschädigt, ein Gewicht

von 15 bis 16 Kilogramm – soviel wiegt

jeder der zehn Bände – aushält und auch

schnell ist: Wir hatten ja vor, 10.000

Blätter großen Formats zu scannen. Wir

haben von April bis Juni 2004 jeden Tag,

sieben Tage die Woche, morgens bis

abends gescannt. Weil wir an drei ver-

schiedenen Orten arbeiteten, verloren

wir einige Zeit durch den Abbau, den

Umzug und den Aufbau der Technik. Da

es unser erklärtes Ziel war, eine maxi-

male Wiedergabetreue zu erreichen,

haben wir jede Seite gleich zweimal ge-

scannt – jeweils die aufgeschlagene Dop-

pelseite und jede Seite einzeln. Dadurch

sollte gewährleistet werden, dass uns bei

der anschließenden Bearbeitung genü-

gend Vergleichsmaterial vorliegt, um

etwaige Scanfehler zu korrigieren. Denn

ist die Handschrift aufgeschlagen, verhält

sie sich, wie wenn sie lebendig wäre, als

würden ihre großen, welligen Blätter

Die ledergebundene Prachtausgabe

in 30 Bänden

Eine Doppelseite aus der Prachtaus-

gabe

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Eine Doppelseite aus der Studienaus-

gabe mit Umschrift und Übersetzung

am Rand

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atmen: beim Scanvorgang können sich

die Seiten minimal bewegen, weshalb die

Aufnahme womöglich verzerrt wird.

Im nächsten Arbeitsschritt bearbeiteten

wir die vom Scanner gelieferten Daten

mit einer von uns entwickelten Techno-

logie, die die Korrektur der Seitenwöl-

bung ohne Datenverlust ermöglicht. Eine

andere, nicht minder komplizierte Auf-

gabe bestand darin, die originalgetreue

Deckung der Vorder- und Rückseite

eines Blattes zu erreichen. Insgesamt

nahm diese Etappe fast zwei Jahre in

Anspruch. Waren die Daten zum ersten

Band bearbeitet, haben wir sogleich mit

dem Druck begonnen. Parallel dazu wur-

den die Daten zum zweiten Band auf-

bereitet usw.

■ Wo wurde das Faksimile gedruckt?

Da wir von Anfang an eine Auflage von

lediglich einigen Dutzend Exemplaren,

dafür aber eine maximale Farbwiederga-

betreue angestrebt hatten, beschlossen

wir – um nichts dem Zufall zu überlassen

– den Druck in eigene Hände zu nehmen.

2006 kauften wir ein hochmodernes

Gerät, das unseren Vorstellungen ent-

sprach und in dessen Feinabstimmung

wir viel Zeit investiert haben. So ist die

gesamte Produktionskette unter einem

Dach geblieben. Denn wir binden die

Bücher in einer eigens dafür eingerichte-

ten Werkstatt, und zwar nach der Tech-

nik des 16. Jahrhunderts.

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■ Eine moderne russische Übersetzung

und ein umfangreicher wissenschaft-

licher Apparat gehören zu Ihrer Edi-

tion. Wer sind die Autoren?

Die Mitarbeiter der Handschriftenabtei-

lungen des Staatlichen Historischen

Museums, der Bibliothek der Russischen

Akademie der Wissenschaften und der

Russischen Nationalbibliothek sowie Mit-

arbeiter der Archäographischen Kom-

mission der Russischen Akademie der

Wissenschaften, der Moskauer Staat-

lichen Universität und des Instituts für

russische Sprache der Russischen Akade-

mie der Wissenschaften. Das Resultat ist

eine Untersuchung, die es in dieser Grö-

ßenordnung bisher nicht gab. Auch eine

Übersetzung der kompletten Handschrift

ins moderne Russisch lag bis dato nicht

vor.

■ Ihre Faksimileausgabe gibt es in meh-

reren Ausführungen. Worin unter-

scheiden sie sich?

Zunächst haben wir eine in Druckquali-

tät, Papier und Einband äußerst aufwän-

dige und hochpreisige Ausgabe produ-

ziert, die in nur 30 Exemplaren erschie-

nen ist. Diese Ausgabe gibt es in zwei

Varianten: 21-bändig mit 19 Faksimile-

bänden und einem zweibändigen wissen-

schaftlichem Apparat oder 30-bändig mit

19 Faksimilebänden, einem zehnbändigen

wissenschaftlichen Apparat und Kom-

mentaren sowie einem Band über die

Wasserzeichen.

Aufgrund der hohen Resonanz haben wir

uns im vergangenen Jahr entschieden,

eine etwas erschwinglichere Ausgabe in

vierzig Bänden zu produzieren. Sie folgt

der Anordnung der Handschrift und be-

steht aus drei Reihen – Russische Ge-

schichtsschreibung, Biblische Geschichte

und Weltgeschichte. Quasi als „Rand-

bemerkungen“ des 21. Jahrhunderts be-

finden sich auf jedem Faksimileblatt die

Transliteration des altrussischen Textes

und seine moderne russische Überset-

zung. Zu jeder der drei Reihen gehört

ein Begleitband mit einem wissenschaft-

lichen Kommentar, Indizes und einer

Bibliographie. Die Bücher haben ein

handliches Format mit durchschnittlich je

500 Seiten. Die Anfangsauflage ist klein,

es wird bei Bedarf nachgedruckt, wobei

die Bände mit einem einfachen hand-

gefertigten Einband versehen sind.

■ Ein Exemplar dieser „Volksausgabe“

haben Sie soeben der Bayerischen

Staatsbibliothek geschenkt. Was hat

Sie dazu bewogen?

Die Bayerische Staatsbibliothek ist eine

der größten europäischen Bibliotheken

und zu ihren Sammelschwerpunkten zählt

die Geschichte Osteuropas. Sie hat als

erste ausländische Bibliothek Interesse

an der Erwerbung unseres Faksimiles

bekundet. Wir sind der Überzeugung,

dass nicht nur russische Wissenschaftler,

sondern auch deutsche Slawisten und

Osteuropahistoriker die Möglichkeit ha-

ben sollten, dieses einzigartige Denkmal

der russischen Geschichtsschreibung und

Buchkunst zu erforschen. Wir schätzen

uns glücklich, unseren bescheidenen Bei-

trag hierzu leisten zu dürfen.

■ Sehr geehrter Herr Mustafin, haben

Sie herzlichen Dank für das Interview.

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Zeitungen tragen ein Schicksal, und in

Zeiten der Not, Verfolgung, Zensur er-

eilt dieses sie manchmal schon vor dem

Druck, aber auf jeden Fall zeitnah. Schon

ein harmloser Druckfehler kann eine

ganze Zeitungsauflage gefährden, und

nicht nur die Auflage. Im „Cottbuser An-

zeiger“ führte ein Druckfehler (ein feh-

lender und ein vertauschter Buchstabe)

zum Einstampfen der gesamten Tagesauf-

lage und zu weitreichenden Konsequen-

zen für den Setzer bis zum Chefredak-

teur: Aus dem Reichsjugendführer Baldur

von Schirach war der Reichsjudenführer

geworden. Da glaubte man nicht an die

fehlende Absicht. Auch bei der „Neuen

Zeit“, der zentralen CDU-Zeitung der

DDR, mochte man kein Versehen unter-

stellen, als durch Vertauschung zweier

Buchstaben Walter Ulbricht zum „1. Se-

kretär des KZ der SED“ wurde.

Dass die Staatsbibliothek zu jeder Zeit

Freunde in benachbarten Redaktionen

oder Druckereien hatte, ist anzunehmen,

wenn auch nicht überliefert. Jedenfalls

ist die besagte, ansonsten generell ein-

gestampfte Nummer der „Neuen Zeit“

in der Zeitungsabteilung der SBB-PK vor-

handen.

Am 16. Mai 1873 erschien der „Neue

Social-Demokrat“. Dem gebundenen

Exemplar der Bibliothek liegt eine ein-

zelne lose Nummer bei. Im ordnungs-

gemäß gebundenen Blatt ist die Titelseite

zu einem Drittel von weißen Flecken

übersät, Anstößiges, das das Missfallen

des Zensors erregt hatte. Das beilie-

gende Exemplar hat den vollständigen

Text – ein erster Andruck der noch un-

zensierten Zeitung.

Alexander Fiebig

ist stellvertretender Leiter der

Zeitungsabteilung der Staatsbiblio-

thek zu Berlin

DIE SCHERE IM KOPF UND ANDERSWO

Zeitungen, Zensur und Selbstzensur

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Die Zensur begleitete die Zeitung von

Anfang an: Schon bei den handgeschrie-

benen Vorläufern, die dem jeweiligen

Fürsten oder König vorgelegt wurden,

gab es eine Auswahl des zu Vervielfälti-

genden. Die Vorgängerin der „Vossischen

Zeitung“ der Postmeister Christoph und

Veit Frischmann, und nach ihnen des

Druckers Runge erhielt Ermahnungen

und Androhungen wegen ihrer zu pro-

evangelischen Berichterstattung. Der

katholische Kaiser ermahnte seinen Kur-

fürsten, der dies dann weitergab. Auch

im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert

waren es hauptsächlich Religionsfragen,

die zensiert wurden. Die herrschaftliche

Ungnade wurde bei aller Liberalität ge-

fürchtet.

Trotzdem war in Berlin, besonders unter

Friedrich II., von dem der Satz stammt

„Gazzetten, sollen sie interessant sein,

dürfen nicht geniret werden“, die Be-

richterstattung (außer in Kriegszeiten)

nur wenig eingeschränkt. Zur Zeit der

Französischen Revolution schreibt Carl

Spener als Pariser Correspondent der

„Berlinischen Nachrichten von Staats-

und gelehrten Sachen“ einen Artikel, in

dem er Verständnis für die Ursachen der

Revolution äußert und optimistisch in die

Zukunft blickt: „Der König hat sich in

die Arme des Volkes geworfen …“. Dem-

gegenüber veröffentlicht die allgemein als

besonders liberal geltende „Kayserlich

privilegirte Zeitung des Hamburgischen

unpartheyischen Correspondenten“ bald

ein Manifest der Kaiserlichen und königli-

chen Hoheiten, in dem es über die Revo-

lution heißt „… ungerecht und gesetz-

widrig in ihrer Grundlage, schrecklich in

den Mitteln …“. Die Hamburger fürch-

teten sehr wohl, dass der Kaiser ihre Pri-

vilegien, insbesondere auf dem Gebiet

des Handels, einschränken könnte. Die

„Deutsche Zeitung“ aus Gotha veröffent-

lichte 1790 ein Pamphlet „Wider das

Revolutionsfieber“.

Nach den Befreiungskriegen wurde in

Preußen die Aufhebung der Zensur ver-

sprochen, aber erst am 19. März 1848

verkündete der König unter dem Schock

seines „Irrtums“, des Schießbefehls vom

18. März: „Die Zensur ist aufgehoben“.

Satirische Blätter wie der „Berliner Kra-

kehler“ von Ernst Litfaß versuchten, dem

„Censur-Kobold“ die Rückkehr zu er-

schweren. Aber 1849 war es mit der

neuen Freiheit vorbei; einer Schriftstel-

ler-Generation, dem „Jungen Deutsch-

land“, darunter auch der Journalist Carl

Gutzkow, wurden alle Werke, auch zu-

künftige (!), verboten. In der „Leipziger

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Zeitung“ wurden Steckbriefe für Richard

Wagner, Gottfried Semper und weitere

prominente Zeitgenossen abgedruckt.

Nach einer partiellen nationalen Eupho-

rie in Folge des gewonnenen Krieges

1870/71 und der daraus folgenden Ein-

heit Deutschlands, zuerst noch ohne

Bayern, wie man aus der „Staatsbürger-

zeitung“ erfährt, kam es bald zu neuen

sozialen Bewegungen, sodass Bismarck

am 21. Oktober 1878 Vater des Sozialis-

tengesetzes wurde. Die Zensur hatte da-

mit wieder ein Hauptziel.

In der Weimarer Republik erstarkte be-

sonders in Berlin eine differenzierte Par-

teipresse. Die immer noch monarchis-

tisch gesinnte „Kreuz-Zeitung“ spielte

nur noch eine Nebenrolle; neben der

russisch indoktrinierten kommunistischen

„Roten Fahne“ gab es Münzenbergs

ebenfalls kommunistische, aber geistrei-

chere „Welt am Abend“. Ganz rechts

tummelten sich die konservativen, den

Großagrariern nahestehenden Blätter

„Deutsche Tageszeitung“, „Deutsche

Warte“, „Fridericus“, die populistischen

Zeitungen des Scherl-Verlages „Der Tag“

und „Berliner Lokal-Anzeiger“; liberal

waren natürlich die Publikationen von

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Ullstein, neben der „Vossischen Zeitung“

besonders die „Berliner Morgenpost“,

das erste Berliner Boulevardblatt „B.Z.

am Mittag“, das anspruchsvolle „Berliner

Tageblatt“ des Mosse-Verlages und viele

andere mehr.

Dass diese Vielfalt den 1933 zur Macht

gekommenen Nationalsozialisten ein

Dorn im Auge war, sieht man umgehend

am „Reichsschriftleitergesetz“ vom Okto-

ber 1933. Nahezu einmalig ist wohl eine

angeordnete Demonstration für Zensur

am 25. April 1933 „Die Presse soll nur

dem deutschen Gewissen verantwortlich

sein“.

In der DDR-Zeit erinnern daran Kampa-

gnen, sich positiv zur Biermann-Auswei-

sung zu äußern, wie im Herbst 1976 be-

sonders angesehene Intellektuelle vom

„Neuen Deutschland“ zur Stellungnahme

gedrängt wurden, oder auch schon 1961

geforderte positive Äußerungen zur DDR

unter dem Tenor „Sie ist mein Land“ in

der Kultur-Zeitung „Sonntag“.

Wo der Staat nicht persönlich eingriff,

hatten viele Autoren schon die Zensur-

schere verinnerlicht. Bereits in der 1847

erschienen Zeitung „Leuchtturm“ wan-

dert die „Gute Presse“ durch das Land,

angeführt vom blinden Maulwurf, der der

Zensurschere den Weg weist.

Trotz des ständigen Schwankens zwi-

schen Zensur und Freiheit sind die Zei-

tungen, wie Schopenhauer es ausdrückt,

die Sekundenzeiger der Geschichte.

Dazu gehört die Momentaufnahme des

historischen Augenblicks noch ohne

Kenntnis der späteren Folgen, wie auch

die Abwägung der verschiedenen Sichten

der Presseorgane und Journalisten. Selbst

in Diktaturen und repressiven Regimes

wird schließlich zwar nicht auf der Titel-

seite, wohl aber im Feuilleton, in der

Lokalberichterstattung etc., wenn es

nicht anders geht, „zwischen den Zeilen

geschrieben“. Der Leser versteht es und

manche Zensoren versuchen, wenn sie

es denn deuten können, es doch zu

übersehen.

Auch von der Bundesrepublik braucht

man für ein umfassendes Bild nicht nur

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die „Frankfurter Allgemeine“, sondern

auch die „Bild-Zeitung“, und ohne „Frank-

furter Rundschau“ und „Süddeutsche

Zeitung“ ist das Bild unvollständig, fehlen

immer noch viele Facetten, für die man

in Einzelfällen auch die regionale und

lokale Presse, manchmal sogar die Presse

des Auslandes hinzuziehen muss.

Denn nicht nur Schopenhauers Satz gilt,

der uns die Presse als Möglichkeit, frü-

here Zeiten nachzuerleben, quasi als vir-

tuelle Zeitreise verheißt, sondern ebenso

das Pendant von Karl Kraus „Die Zeitung

ist die Konserve der Zeit“, aber mit der

Ergänzung, dass die Gesamtheit der

Presse, nicht ein einzelner Titel gemeint

ist, denn bei manchen einzelnen Zeitun-

gen gilt auch der Aphorismus des polni-

schen Lyrikers und Satirikers Stanisław

Jerzy Lec: „Den Blick in die Welt kann

man mit einer Zeitung versperren“.

BESTANDSAUFBAU VIRTUELL

Bibliotheksübergreifende Lizenzierung elektronischer Ressourcen

WARUM GEMEINSCHAFTLICHE LIZENZIERUNG?

Der Umgang mit gedruckten Büchern

und Zeitschriften gehört für Bibliotheken

traditionell zu ihrem Kerngeschäft: sie

werden erworben, verzeichnet, Nutzern

zur Verfügung gestellt und aufbewahrt –

manchmal mit der Perspektive der Ewig-

keit. Als in den 1990ern immer mehr

relevante Medien in elektronischer Form

erschienen, ergaben sich für Bibliotheken

neue Anforderungen. Plötzlich mussten

Lizenzen für einen vielfach nur zeitlich

befristeten Zugriff auf die Ressourcen

abgeschlossen und besondere technische

Voraussetzungen für die Benutzung

erfüllt werden. Unterschiedlichste

Geschäftsmodelle wurden entwickelt,

mit denen Bibliotheken sich auseinander-

setzen mussten. Flankiert wurde diese

Entwicklung durch die sich schon länger

anbahnende Kostenexplosion bei Zeit-

schriften, deren Preise durch Verlage

speziell auf dem naturwissenschaft-tech-

Hildegard Schäffler

leitet das Referat Zeitschriften

und elektronische Medien der

Bayerischen Staatsbibliothek

Dr. Ursula Stanek

leitet das Referat Erwerbungs-

koordination und Bestellwesen

in der Abteilung Bestandsaufbau

der Staatsbibliothek zu Berlin und

ist Vorstandsvorsitzende des

Friedrich-Althoff-Konsortiums

„Leuchtturm“, 1847

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nisch-medizinischen Sektor mit enormen

Steigerungsraten in die Höhe getrieben

wurden.

Vor diesem Hintergrund kam es biblio-

theksseitig recht bald zu einer Bündelung

der Kräfte, nicht zuletzt um ein Gegen-

gewicht zu den meist international agie-

renden Großverlagen zu bilden. Nach

dem Motto Gemeinsam sind wir stark bil-

deten sich in den späten 1990ern soge-

nannte Konsortien für elektronische

Medien – Einkaufsgemeinschaften, wel-

che die Lizenzierung insbesondere hoch-

preisiger Ressourcen optimieren. Dabei

geht es nicht nur um die Erzielung von

Kostenvorteilen, sondern auch darum,

ein Forum für den Austausch von Infor-

mationen über Produkte und technische

Lösungen zu bilden wie auch weiterfüh-

rende Dienstleistungen wie beispiels-

weise die Verzeichnung der Ressourcen

zu leisten oder auch Sorge für die Lang-

zeitverfügbarkeit der Medien mit dauer-

haftem Nutzungsrecht zu tragen. Das

Handlungsfeld ist vielfältig.

WELCHE VORTEILE BRINGT DIE

KONSORTIALBILDUNG?

Der Zusammenschluss von Bibliotheken

zu Einkaufsgemeinschaften für elektroni-

sche Medien führt zum einen zur Bünde-

lung von Verhandlungskompetenz bzw.

Spezialwissen und zur Verringerung des

administrativen Aufwands in den Einzel-

bibliotheken, zum anderen lassen sich

durch die erhöhte Marktmacht bessere

Konditionen erzielen. Konkret lässt sich

das anhand unterschiedlicher Produkt-

typen illustrieren.

Bei Datenbanken, also Bibliographien,

Text- oder Faktensammlungen, werden

in der Regel abhängig von der Anzahl der

Teilnehmer zum Teil erhebliche Rabatte

eingeräumt. Diese Nachlässe machen

eine Lizenzierung für viele Bibliotheken

oft überhaupt erst möglich.

Im Zeitschriftenbereich liegt der größte

Vorteil gemeinschaftlicher Lizenzierung

in zusätzlich verfügbaren Inhalten. So

erhalten die beteiligten Bibliotheken typi-

scherweise für einen relativ geringen

Aufpreis in Bezug auf die bisher erbrach-

ten Kosten ihrer eigenen Abonnements

beim so genannten „Cross Access“ Zu-

griff auf die Titel der anderen teilneh-

menden Einrichtungen oder beim „Addi-

tional Access“ auf Titel, für die zuvor

überhaupt keine Abonnements bestan-

den. Hinzu kommt, dass die Verlage

beim Abschluss von Mehrjahresverträgen

meist eine Deckelung der jährlichen

Preissteigerungsraten anbieten, so dass

die Kosten stabil gehalten werden kön-

nen. Während typischerweise ein nicht

unbeträchtlicher Teil der Nutzungen auf

Inhalte abzielt, die zuvor jeweils lokal

nicht verfügbar waren, so haben Zeit-

schriftenkonsortien auch eine problema-

tische Seite. Der Preis für den relativ

günstigen Zugriff auf eine teilweise große

Zahl zusätzlicher Titel liegt zumeist darin,

dass die Standorte ihr bisheriges Umsatz-

volumen in der Regel annähernd beibe-

halten müssen. Der absolute finanzielle

Aufwand wird bei erheblich erweitertem

Titelspektrum also nicht weniger und

bindet unter Umständen einen beträcht-

lichen Teil des Medienetats. Vor diesem

Hintergrund gibt es Diskussionen dar-

über, wie Geschäftsmodelle so gestaltet

werden können, dass das historisch ge-

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wachsene Umsatzvolumen keine Rolle

mehr spielt. Auch dieser Aufgabe müssen

sich Konsortien im Dialog mit den Verla-

gen, die ihrerseits keine Umsatzeinbuße

hinnehmen wollen, stellen.

Seit einigen Jahren spielen die elektroni-

schen Bücher – E-Books – eine immer

größere Rolle, bieten sie doch neue und

bessere Nutzungsmöglichkeiten für die

Endnutzer auch im monographischen

Bereich. Für E-Books befinden sich Kon-

sortialmodelle derzeit in der Entwick-

lung: Rabatte werden hier zumeist anhand

der Zahl der Teilnehmer und des durch

E-Book-Verkäufe im Konsortium erziel-

ten Umsatzvolumens gewährt.

Auf die Angebote mancher Anbieter

oder Verlage können Bibliotheken kaum

verzichten. In diesen Fällen einer quasi

Monopolstellung stoßen Konsortien

manchmal an ihre Grenzen. Um hier eine

Verbesserung der Konditionen zu errei-

chen, ist ein kollektives „Nein“ gegen-

über den Anbietern, für das die explizite

Unterstützung der betroffenen Wissen-

schaftler unerlässlich ist, erforderlich. Es

gibt Beispiele, die zeigen, dass dieser

Weg gelingen kann.

WER SIND DIE AKTEURE UND WIE SEHEN DIE

STRUKTUREN AUS?

Entsprechend der föderalen Tradition in

Deutschland und der damit verbundenen

Finanzierungsströme haben sich in den

späten 1990er Jahren in Deutschland

eine Reihe von regionalen Konsortien

gebildet, die sich teilweise an der Struk-

tur der Bibliotheksverbünde orientieren.

Mittlerweile gibt es 14 solcher Regio-

nalkonsortien, wie beispielsweise das

Konsortium Baden-Württemberg, das

Bayern-Konsortium, das Friedrich-Alt-

hoff-Konsortium (FAK) in Berlin-Bran-

denburg, das hessische HeBIS-Konsor-

tium, das Niedersachsen-Konsortium

und das NRW-Konsortium beim Hoch-

schulbibliothekszentrum (hbz) des Lan-

des Nordrhein-Westfalen. Für die bei-

spielhaft aufgeführten Konsortien gilt,

dass sie vielfach auch über die jeweiligen

Landes- oder Verbundgrenzen hinweg

überregional tätig sind. In einem wech-

selseitigen Geben und Nehmen werden

überregionale Konsortialabkommen ab-

geschlossen, für die jeweils ein Regional-

konsortium verantwortlich zeichnet. Die

Kernklientel dieser Konsortien sind die

Hochschulen und staatlichen Bibliothe-

ken in der Region. In einigen Fällen, ins-

besondere bei hbz und FAK, erstreckt

sich der Teilnehmerkreis auch auf For-

schungseinrichtungen und öffentliche

Bibliotheken, soweit diese an den primär

für die Hochschulen angebotenen Ab-

schlüssen Interesse haben. Auch auf in-

stitutioneller Ebene existieren Konsor-

Für Friedrich Althoff (1839–1908)

spielten Bibliotheken eine zentrale

Rolle in der Informationsversorgung,

weshalb er als Namensgeber für

das Konsortium Berlin-Brandenburg

gewählt wurde.

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tialstrukturen. Dies gilt insbesondere für

die großen Forschungsgemeinschaften

(Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-

Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und

Max-Planck-Gesellschaft).

Die Binnenorganisation der einzelnen

Konsortien kann variieren. So gibt es

Regionalkonsortien, die mit einer eige-

nen Geschäftsstelle ausgestattet sind, wie

beispielsweise das HeBIS-Konsortium,

das Niedersachsen-Konsortium und das

als Verein organisierte FAK. Im Falle des

Bayern-Konsortiums trägt mit der Baye-

rischen Staatsbibliothek die zentrale

Archiv- und Landesbibliothek mit haus-

eigenen Personalressourcen die Verant-

wortung für die Konsortialarbeit; in

Nordrhein-Westfalen ist sie bei der Ver-

bundzentrale angesiedelt. Weitgehend

dezentral organisiert ist das Konsortium

Baden-Württemberg, bei dem die Ver-

handlungsführung arbeitsteilig erfolgt.

Auch bei den institutionellen Konsortien

reicht das Spektrum von grundsätzlich

zentralen Verhandlungen für alle Max-

Planck-Institute durch die Max Planck

Digital Library bis hin zu dem eher losen

Zusammenschluss der recht heterogenen

Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft.

Zentrale Sondermittel zur anteiligen

Finanzierung der eingekauften Ressour-

cen stehen in einigen wenigen Bundeslän-

dern zur Verfügung.

Alle deutschen Regionalkonsortien, die

Konsortien der Forschungsorganisatio-

nen sowie Vertreter aus Österreich und

der Schweiz haben sich in der im Jahr

2000 gegründeten Arbeitsgemeinschaft

deutschsprachiger Konsortien (GASCO:

German, Austrian, Swiss Consortia Or-

ganisation) zusammengeschlossen, einer

informellen Arbeitsgruppe, die sich zwei-

mal jährlich trifft und die überregionale

Zusammenarbeit koordiniert.

Wirft man einen Blick ins Ausland, bei-

spielsweise nach Großbritannien, in die

Niederlande oder nach Österreich, so

findet man dort häufig nationale Konsor-

tien vor. Auch wenn dies mit Traditionen

zentraler Bildungsorganisation oder auch

der überschaubaren Größe von Staaten

zu tun hat, die vielfach kleiner sind als

eine Reihe von deutschen Bundeslän-

dern, so kann man auch für Deutschland

berechtigterweise die Frage stellen, wie

es um die nationale Ebene bestellt ist.

Dabei ist mit Blick auf die Komplexität

der Strukturen und Zahl der wissen-

schaftlichen Einrichtungen vorauszuschi-

cken, dass größer nicht in allen Fällen effi-

zienter bedeutet.

Erfolgsbeispiele für Handeln jenseits der

Regionen sind die nicht wenigen über-

regionalen Abschlüsse der Regionalkon-

sortien. Komplementär hierzu hat die

Im Jahr 2000 schlossen sich die

deutschsprachigen Konsortien in der

GASCO zusammen.

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1 Vgl. dazu auch Schäffler, Hildegard: Deutschland-weiter Zugriff auf digitale Medien: Das National-lizenzprogramm der Deutschen Forschungsgemein-schaft.“ In: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen ausden Staatsbibliotheken in Berlin und München3/2007, S.45–48.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

im Jahr 2004 in der Tradition des seit

Jahrzehnten bewährten Systems der För-

derung überregionaler Literaturversor-

gung Mittel für die Beschaffung umfang-

reicher elektronischer Datensammlungen

für den bundesweiten Zugriff zur Ver-

fügung gestellt. Beschafft wurden seither

ca. 140 Produkte für einen Gesamtwert

von ca. 100 Millionen Euro. Die Ver-

handlungsführung erfolgt nicht durch die

DFG selbst, sondern ist derzeit auf acht

größere Bibliotheken verteilt, die über

entsprechende Kompetenz verfügen,

darunter auch die beiden gleichzeitig kon-

sortial engagierten Staatsbibliotheken

in Berlin und München. Während der

Schwerpunkt zunächst auf Ressourcen

lag, die abgeschlossen sind und in einer

Einmalzahlung für den dauerhaften Zugriff

erworben werden können, wurde in

einer Pilotphase mit einem Beteiligungs-

modell für laufende Zeitschriften experi-

mentiert, bei denen die DFG nur noch

anteilig zur Finanzierung beitrug.1

WIE GEHT ES WEITER?

Ab 2011 wird es keine Vollfinanzierung

durch die DFG mehr geben, sondern nur

noch solche Beteiligungsmodelle. Die

Nationallizenzen werden somit durch

nationale Konsortien abgelöst werden,

ein Prozess, der von der sogenannten

Allianz-Initiative „Digitale Information“

gesteuert wird. Dabei handelt es sich um

einen Zusammenschluss der großen Wis-

senschaftsorganisationen in Deutschland.

Eine der Arbeitsgruppen in dieser Initia-

tive, in der auf Einladung der DFG auch

die verhandlungsführenden Einrichtungen

aus dem Kontext der Nationallizenzen

beteiligt sind, wird den Abschluss solcher

Allianz-Lizenzen steuern. Die Besonder-

heit dieser Initiative liegt nicht zuletzt

darin, dass der Hochschulsektor und der

außeruniversitäre Forschungsbereich

gemeinsam agieren.

Es bleibt festzuhalten, dass auch zehn

Jahre nach Gründung der Arbeitsgemein-

schaft Konsortien das Modell der gemein-

schaftlichen Lizenzierung große Bedeu-

tung für die Versorgung der Wissenschaft

mit elektronischen Ressourcen hat. Kom-

plementär zu den regionalen und institu-

tionellen Konsortien, die angesichts der

Komplexität der Aufgabe auf absehbare

Zeit Bestand haben werden, haben sich

auf der nationalen Ebene Strukturen ent-

wickelt, die in den nächsten Jahren wei-

ter ausgebaut und – so bleibt zu hoffen –

auch auf eine finanziell nachhaltige Basis

gestellt werden können.

Aktuell stehen etwa 140 Produkte

als Nationallizenz zu Verfügung.

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bevor sie 1956 nach Berlin zurückkehrte.

Hier wurde sie Assistentin bei Wilhelm

Weischedel, habilitierte sich und wurde

1972 schließlich Professorin an der

Freien Universität. Als erste Frau über-

nahm Margherita von Brentano 1970 die

Vizepräsidentschaft dieser Hochschule,

welche sie jedoch schon nach zwei Jah-

ren wieder niederlegte – als Zeichen

gegen die Weigerung des Senats, den

Trotzkisten Ernest Mandel an die FU zu

berufen. Für ihr öffentliches Engagement

war die „streitbare Philosophin“

berühmt. Sie setzte sich

lebenslang für einen poli-

tischen Pluralismus ein

und analysierte

undemokratische

Strukturen der

Bundesrepu-

blik sowie die

häufig willkür-

liche Ungleich-

behandlung von

Frauen im Wis-

senschaftssystem.

Seit ihrem Tod 1995

werden an der Freien

Universität engagierte

Der Name Margherita von Brentano ist

eng mit dem geistigen Leben Berlins ver-

bunden. Die Philosophin wurde 1922 auf

der Sauerburg bei Kaub am Rhein gebo-

ren. Sie lebte schon als Kind mit ihrer

Familie in Berlin und machte ihr Abitur

1940 in Charlottenburg. Sie studierte

zunächst an der Berliner Friedrich-Wil-

helms-Universität und schloss ihr Stu-

dium 1948 in Freiburg mit einer von Mar-

tin Heidegger angeregten Dissertation

ab. Im Anschluss arbeitete sie einige

Jahre beim Süd-

westfunk,

Angela Holzer

ist Bibliotheksreferendarin an der

Staatsbibliothek zu Berlin

„GEIST VON CLEMENS UND BETTINEN“

Margherita von Brentano

und ihr Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin

Margherita von Brentano

(Foto: Freie Universität Berlin)

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Persönlichkeiten und herausragende Pro-

jekte in der Geschlechterforschung und

Frauenförderung mit dem Margherita-

von-Brentano-Preis geehrt. Doch sind

das gesellschaftspolitische und feministi-

sche Verantwortungsgefühl nur Facetten

eines Charakters, dessen intellektueller

Reichtum sich im Nachlass von Brentano,

der sich seit 2005 in der Staatsbibliothek

zu Berlin befindet, deutlich abbildet.

Der Nachlass dokumentiert die intime

Verbindung von klarsichtiger Intellektuali-

tät, akademischer Integrität und politi-

schem Pflichtbewusstsein im Leben von

Margherita von Brentano. Als Mitglied

einer illustren Familie von hohen Staats-

beamten und Literaten – neben dem

Romantiker Clemens sei der Außenmi-

nister unter Adenauer, Heinrich von

Brentano genannt – erfuhr sie angesichts

ihres politischen Engagements Publizität

schon lange vor ihrem Rücktritt als Vize-

präsidentin der FU. Anlässlich einer

Demonstration gegen „Antisemitismus

und Neonazismus“ am 18. Januar 1960

berichtete der Spiegel neben einem Bild

der 37-Jährigen: „Kräftig fiel die Nichte

des Bundesaußenministers, Margherita

von Brentano, Assistentin am philosophi-

schen Seminar der Freien Universität, in

das rhythmische Feldgeschrei ein.“ Man

skandierte „Globke, Schröder, Oberlän-

der“, Namen von Männern, „deren

Frühere Philosophische Fakultät der

Freien Universität in der Boltzmann-

straße

(Foto: Bernd Wannenmacher)

Heinrich von Brentano

(Foto: bpk/Kurt Rohwedder)

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Brief Margherita von Brentanos

an ihre Mutter

(Foto: SBB-PK/Taubes)

nationalsozialistische Werdegänge und

bundesrepublikanische Positionen nach

Meinung der Konspiranten in besonders

auffälliger Weise demonstrierten, dass

die deutsche Vergangenheit unbewältigt

ist.“

Im Nachlass von Margherita von Bren-

tano hat sich nicht nur dieser Artikel

erhalten, sondern auch ein Gedicht, das

ihr kurz darauf von dem Schriftsteller

Albrecht Goes zugesandt wurde: „Onkel

Heinrich wird mitnichten/ Diesem Nich-

tenschrei beipflichten: Doch getrost! – es

ist mit Ihnen/ Geist von Clemens und

Bettinen.“ Brentano beantwortete dieses

Gedicht mit einem Gegengedicht, das

wiederum vom Spiegel abgedruckt

wurde – und bat später die Redaktion

des Spiegels mit dem ihr eigenen ironi-

schen Humor, sie doch nicht immer nur

als Nichte Heinrich von Brentanos zu

bezeichnen, sondern, wenn schon nicht

als Person eigenen Rechts, doch zur

Abwechslung auch einmal als Großnichte

des Philosophen Franz Brentano.

Neben saloppen Solidaritätsbekundun-

gen und scharfsichtigen Repliken finden

sich im Nachlass Brentano auch Briefe,

die ein Unverständnis für ihre Position

äußern. Die Dokumente und Briefe des

Nachlasses ermöglichen so nicht nur die

Rekonstruktion der persönlichen Kon-

takte, der politischen und wissenschafts-

politischen Auseinandersetzungen, in die

Margherita von Brentano verwickelt war

und die Erforschung ihrer intellektuellen

Biographie, sondern sie sind in vielerlei

Hinsicht auch ein Spiegelbild der Stim-

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mungslage in den ersten Jahrzehnten der

Bundesrepublik.

Vor allem die Vorlesungsmanuskripte

und Vorträge belegen Brentanos intel-

lektuelle Aktivitäten: Im Protestjahr

1967/68 leitete Margherita von Bren-

tano einen Kurs über „Bruno Bauer und

Karl Marx, Zur Judenfrage“, zu dem ihre

Unterlagen, die Protokolle und Arbeiten

der Studenten sowie die Teilnehmer-

listen erhalten sind. Auf den Listen befin-

det sich der Name Rudi Dutschkes. Auch

zu vielen der anderen Vorlesungen und

Seminare sind handschriftliche Notizen

und Typoskripte erhalten. Die Materia-

lien zu den Vorlesungen lassen nicht nur

eine Rekonstruktion der Unterrichts-

tätigkeit Brentanos zu, sondern zeigen,

dass das Bild von der marxistischen Phi-

losophin, nicht zuletzt ein Ergebnis der

medialen Berichterstattung und der spe-

zifischen Situation im Westberlin der

Siebzigerjahre, einseitig ist. Margherita

von Brentano, die als junge Studentin

gegen Ende des Zweiten Weltkrieges

ihre erste längere Arbeit über den

Reichsgedanken des Nikolaus Cusanus

verfasste und ihre Dissertation über „Die

Bedeutung des ,hen‘ als Grundbegriff der

aristotelischen Metaphysik“ verfasste,

kann sicher nicht einfach als Marxistin

bezeichnet werden, ein Vorwurf, der

ihr Anfang der Siebzigerjahre im Zusam-

menhang mit ihr unterstellten radikalen

Äußerungen bei einer politischen Veran-

staltung, woraus sogar ein Ermittlungs-

verfahren gegen sie resultierte, und wäh-

links: Spiegel-Artikel mit Gedichten

von Goes und Brentano

(Foto: SBB-PK)

rechts: Brentanos Briefentwurf an

den Spiegel

(Foto: SBB-PK/Taubes)

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rend der Querelen um die Eingliederung

des „Internationalen Dokumentations-

zentrums zum Nationalsozialismus“ in

die Freie Universität gemacht wurde.

Die FU-Vizepräsidentin verfasste damals

ein Memorandum und der Tagesspiegel

schürte Vorurteile, indem er schrieb,

Brentano habe vor allem aus „marxisti-

scher Sicht Probleme des Faschismus

erforscht“, womit die wissenschaftliche

Erforschung des Nationalsozialismus an

der FU als gefährdet galt. Die erhaltenen

Unterlagen zu ihrem Kurs über „Faschis-

mustheorien“ von 1970 zeigen, dass

Brentano mit ihren Studentinnen und

Studenten um eine umfassende theoreti-

sche Analyse des Faschismus bemüht

war; hier wurde Carl Schmitt ebenso dis-

kutiert wie Leo Trotzki oder Ernst Bloch.

Als Professorin der Philosophie behan-

delte Brentano die ganze Geschichte

abendländischen Denkens von Aristote-

les über Descartes, Leibniz und Kant bis

hin zu Sartre, der Kritischen Theorie und

Foucault. Es lag ihr besonders an der

Vermittlung der Eigenart philosophischen

Denkens, dessen Geschichte sie nicht

historisch, sondern als Nachvollzug von

Problemen und Lösungswegen, von

Motiven und Bedürfnissen, betrachtete.

Das philosophische Denken sei in „eigen-

artiger Weise durch Geschichtlichkeit

gekennzeichnet“, heißt es in ihrer Vorle-

sung zur „Einführung in das philosophi-

sche Denken“. Dieses Denken wollte

Brentano erfahrbar machen und ab-

grenzen, doch war es für sie auch nicht

autark oder autonom. Sie betonte, dass

Philosophie grundsätzlich prozessual und

dialogisch, dass sie tätig und theoretisch

sei. Sie lehnte die absolute Selbstreferen-

tialität philosophischen Denkens ab:

„Philosophie ist Streit, sie ist parteilich.

Und sie ist das immer gewesen, nicht

erst heute“, lautet ein zentrales Credo.

Es ging ihr also immer um das philosophi-

sche Verständnis der politischen Pro-

bleme, um den politischen Charakter des

Philosophierens. Auch Brentanos Stel-

lungnahmen im Zusammenhang mit der

Erstellung eines Studienplans im Fach Phi-

losophie zeigen diese genuin philosophi-

sche Haltung – das Zweckdenken heuti-

ger Universitätsumstrukturierung wäre

ihr sicherlich fragwürdig erschienen. Oft

Aus Brentanos Vorlesung über Sartre

(Foto: SBB-PK/Taubes)

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bereicherte sie die damals aktuellen Fra-

gestellungen durch die Reflexion auf die

philosophische Tradition, z. B. in der

Analyse von Kants Gesellschaftskonzep-

tion. Ihre Kurse dienten aber auch der

Diskussion aktueller Theorien. Während

Margherita von Brentano Anfang der

sechziger Jahre Sartres Philosophie in

einen geschichtlichen Zusammenhang

einordnete und Ende der Sechzigerjahre

die Theorien von Habermas und Dutschke

verglich, um eine denkende Distanz zu

bewahren, so forderte sie ihre Studenten

noch in den Achtzigerjahren dazu auf,

kritisch über die Kritische Theorie zu

reflektieren. In dieser Zeit wandte sie

sich zunehmend auch der philosophi-

schen Wissenschaftskritik und der Be-

deutungstheorie zu und las über Philoso-

phische Grundbegriffe. Wolfgang Harich

berichtete ihr 1990, dass er erfahren

habe, sie führe fort, sich zu Tode zu rau-

chen. Fünf Jahre später starb Margherita

von Brentano in Berlin. Sie hatte bis zu-

letzt an aktuellen politischen Debatten

teilgenommen, ging es nun um die „Ab-

wicklung“ des Hochschulsystems der frü-

heren DDR oder um die Errichtung eines

Holocaust-Denkmales.

Der Nachlass ist eine reiche Quelle für

Wissenschaftshistoriker ebenso wie für

Biographen. Brentanos Arbeitsweise, bei

der häufig philosophische Textcollagen

entstanden sind, wird aus ihnen ersicht-

lich. Auch ihre Reaktionen auf institutio-

nelle Querelen lassen sich rekonstruie-

ren, z. B. in dem Streit über den von

ihrem Ehemann Jacob Taubes getragenen

„Fachbereich Hermeneutik“ oder ihre

Positionierung im Historiker-Streit der

Achtzigerjahre. Die umfangreiche Kor-

respondenz belegt eindrücklich Brenta-

nos Verflechtung in das philosophische,

politische und literarische Leben der

zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie

stand unter anderem in Kontakt mit

Theodor und Gretel Adorno, mit Erich

Fried, Martin Heidegger, Aleida Ass-

mann, Ernst Bloch und Hilde Domin, mit

Saul Friedländer, Karl Jaspers, Horst

Mahler und Ludwig Marcuse; in der

ebenfalls umfangreichen Korrespondenz

mit der Familie findet sich neben den

zahlreichen Briefen von Eltern und

Geschwistern und anderen Verwandten

auch ein Brief Gustav Stresemanns an

ihren Vater Clemens von Brentano, den

damaligen Legationsrat im Vatikan und

späteren deutschen Botschafter in Rom.

Brentanos Talent zum prägnanten und

ironischen Erzählen zeigt sich schließlich

in autobiographischen Notizen, die

ebenso familiäre Porträts wie Reflexio-

nen über die „Banalität des Naziregimes“,

die Willkür von Berufungskommissionen

oder „Meine Tiere“ enthalten. Auch Vor-

träge und Sendungen, die Brentano wäh-

rend ihrer frühen Zeit beim Südwestfunk

verfasste, sind erhalten. Eine Edition von

Teilen dieser Materialien, die das Leben

und Arbeiten einer Philosophin in der

deutschen Nachkriegszeit dokumentie-

ren, wird in diesem Frühjahr im Wallstein

Verlag von der ehemaligen Studentin

Brentanos und jetzigen Direktorin des

Einstein Forums in Potsdam, Susan Nei-

man, und der Mitarbeiterin des interna-

tionalen Forscherteams zur Nachlass-

erschließung Brentanos, Iris Nachum,

unter dem Titel „Das Persönliche und

das Politische. Eine Collage“ veröffent-

licht. Einige „Akademische Schriften“

werden von Peter McLaughlin ebenfalls

im Wallstein Verlag herausgegeben.

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Peter Schnitzlein

ist Leiter des Stabsreferats

Öffentlichkeitsarbeit der

Bayerischen Staatsbibliothek

Am 25. November 2009 war es soweit:

Der Generaldirektor der Bayerischen

Staatsbibliothek, Dr. Rolf Griebel, be-

grüßte, gemeinsam mit dem Präsidenten

der Bayerischen Akademie der Wissen-

schaften, Prof. Dr. Dietmar Willoweit, im

Fürstensaal der Bayerischen Staatsbiblio-

thek gut 100 Zuhörer zum Auftakt einer

neu ins Leben gerufenen Gesprächsreihe

mit dem Titel „Grenzfragen. Naturwis-

senschaften und Geisteswissenschaften

im Gespräch“. Gemeinsame Veranstalter

der neuen Reihe sind die Bayerische Aka-

demie der Wissenschaften und die Baye-

rische Staatsbibliothek. Die Gesprächs-

reihe – bis zum Redaktionsschluss fanden

drei Termine statt – stellt einmal mehr

ein Ergebnis der letztlich bereits seit

Gründung der Bayerischen Akademie der

Wissenschaften vor 250 Jahren beste-

henden, intensiven engen Verbindung

beider Institutionen dar. Die Zusammen-

arbeit umfasst heute, ganz abgesehen von

der Tatsache, dass die Bayerische Staats-

bibliothek seit 1759 Akademiebibliothek

ist, vielfältige Kooperationsprojekte, von

denen beispielsweise das zentrale kul-

turwissenschaftliche Portal Bayerns, die

„Bayerische Landesbibliothek Online“

genannt sei.

Die Leitung der Akademie stand der Idee

einer gemeinsamen Gesprächsreihe „Dia-

log zwischen Natur- und Geisteswissen-

schaften“ von Beginn an überaus auf-

geschlossen gegenüber – die Idee konnte

rasch konkrete Gestalt annehmen. So ge-

lang es im Herbst 2009 durch das Enga-

gement von Prof. Willoweit innerhalb

kürzester Zeit, nicht nur drei attraktive

Themen zu identifizieren, sondern auch

einschlägig ausgewiesene, hochrenom-

mierte Wissenschaftler als Dialogpartner

und Moderatoren zu gewinnen.

Den Überlegungen für die Gesprächs-

reihe – so Prof. Willoweit in der Einla-

dung – liegt zugrunde, dass die Dynamik

GRENZFRAGEN

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften im Gespräch

rechts:

Dr. Rolf Griebel bei der Begrüßung

zur Auftaktveranstaltung

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der modernen Forschung zunehmend die

Grenzen der einzelnen Wissenschaften

überwindet. „Neue Methoden eröffnen

neue und immer tiefere Einblicke nicht

nur in den Mikrokosmos des Lebendigen,

sondern auch in die Naturgeschichte des

Menschen und die biologischen Bedin-

gungen seines Verhaltens. Unvermeidlich

geraten damit Fragen in das Blickfeld der

Naturwissenschaften, die bisher allein

von den Geisteswissenschaften beant-

wortet wurden. Die darin liegende Her-

ausforderung trifft die Vertreter beider

Wissenschaftskulturen weitgehend un-

vorbereitet“. Laut Prof. Willoweit soll

die Gesprächsreihe „Grenzfragen“ im

transdisziplinären Dialog den Versuch

unternehmen, Bedeutung und Grenzen

neuer Erkenntnisse für unser Weltver-

ständnis abzuwägen und zur Klärung bei-

tragen.

Die Idee für die Gesprächsreihe „Grenz-

fragen“ ist aus dem Kuratorium des Ver-

eins der Förderer und Freunde der Baye-

rischen Staatsbibliothek erwachsen.

Besonders engagierte sich hierbei der

Präsident des Kuratoriums, Dr. Michael

Albert.

Aus welchen Gründen nahmen sich die

Bayerische Akademie der Wissenschaf-

ten und die Bayerische Staatsbibliothek

in engem Zusammenwirken einer sol-

chen Veranstaltungsreihe an?

Wissenschaftliche Akademien stellen un-

geachtet ihrer traditionellen Gliederung

in Klassen seit jeher Institutionen dar, zu

deren genuinen Aufgaben auch der wis-

senschaftliche Dialog über die Grenzen

von Fächern zählt. Bibliotheken – und

hier insbesondere Forschungsbibliothe-

ken – bieten mit ihren Sammlungen die

Grundlage für erfolgreiche Forschung.

Forschungsbibliotheken sind wie Labore

Geburtsstätten wissenschaftlicher Er-

kenntnis. Eine Forschungsbibliothek wie

die Bayerische Staatsbibliothek fungiert

ungeachtet des in den letzten Jahren auf-

gebauten umfassenden, am Bedarf der

Wissenschaft ausgerichteten digitalen

Dienstleistungsangebots auch als Ort der

Reflexion und des wissenschaftlichen Dis-

kurses. Dass sich die Bayerische Staats-

bibliothek auch im 21. Jahrhundert dieser

Kernaufgabe verpflichtet weiß, wurde in

der Eröffnung des neuen Forschungslese-

saals im Februar 2010 greifbar.

Die Diskutanten der ersten Ver-

anstaltung – v.l.n.r.: Prof. Schrenk,

Prof. Höllmann, Prof. Bolus

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Dadurch, dass jeder Wissenschaftler in

einer Bibliothek auch Denkanstöße in

der Literatur anderer Fächer findet, die

ihm bei seinen Fragestellungen neue Ein-

sichten vermitteln, bietet der Ort Biblio-

thek per se Möglichkeiten zum transdiszi-

plinären Dialog. Ungeahnte Perspektiven

können in dieser Hinsicht insbesondere

innovative Handlungsfelder eröffnen –

wie etwa der Aufbau virtueller For-

schungsumgebungen. Ein gemeinsames

Projekt von Bayerischer Akademie der

Wissenschaften und Bayerischer Staats-

bibliothek wie das der „Grenzfragen“ bot

sich also nachgerade an.

Die Auftaktveranstaltung am 25. Novem-

ber 2009 war dem Thema „Mensch-

werdung und Kultur“ gewidmet, zu der

der Paläobiologe Prof. Dr. Friedemann

Schrenk (Frankfurt/Main) und der Ur-

und Frühzeit-Historiker Prof. Dr. Michael

Bolus (Tübingen) sowie der Sinologe

Professor Thomas O. Höllmann als

Moderator eingeladen waren. Bereits

zwei Wochen später trafen sich – vor

inzwischen bereits knapp 200 Besuchern

– der Neurobiologe Prof. Dr. Benedikt

Grothe (München) und Prof. Dr. Pirmin

Stekeler-Weithofer (Theoretische Philo-

sophie, Leipzig) zum Austausch über

„Gehirn und Geist. Neurobiologie und

Philosophie im Dialog“. Die Moderation

des Abends übernahm Prof. Dr. Hasso

Hofmann (Berlin). Die Schlussveranstal-

tung der ersten Staffel widmete sich

schließlich dem Thema „Warum gibt es

Kriege? Biologische und historische Ur-

sachen“. Durch die Diskussion zwischen

dem Zoologen Prof. Dr. Bernhard Ver-

beek (Dortmund) und dem Historiker

Prof. Dr. Dieter Langewiesche (Tübin-

gen) führte Prof. Dr. Dietmar Willoweit.

Der große Erfolg der ersten drei Veran-

staltungen – mit ungefähr 200 Zuhörern

bei den beiden letzten Terminen war der

Fürstensaal bis auf den letzten Platz be-

legt – bestätigte und bekräftigte die ver-

anstaltenden Partner in ihrem Wunsch,

die Reihe fortzuführen. Ein weiterer

Beleg für die Relevanz der Gesprächs-

reihe war ein längerer Beitrag im Feuille-

ton der Süddeutschen Zeitung.

Die nächsten drei „Grenzfragen“-Ter-

mine werden in der Bayerischen Akade-

mie der Wissenschaften stattfinden

(Juni/Juli 2010). Geplant ist auch der Ein-

stieg eines dritten Partners, des Suhr-

kamp-Verlages. Jedermann ist zu den

„Grenzfragen“-Veranstaltungen herzlich

eingeladen. Termine und Themen wer-

den rechtzeitig auf der Homepage der

Bayerischen Staatsbibliothek unter

www.bsb-muenchen.de ➙ Veranstal-

tungen und Termine veröffentlicht. Herz-

lich willkommen.

v.l.n.r.: Prof. Höllmann, Prof. Willoweit,

Dr. Griebel, Prof. Bolus, Dr. Albert,

Prof. Schrenk

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Die „Gesellschaft zur Beförderung des

Christentums unter den Juden“ in Berlin

war eine der ersten kontinentalen Nach-

folgeeinrichtungen der 1809 in London

gegründeten und als älteste Judenmis-

sionsgesellschaft geltende „Society for

Promoting Christianity amongst the

Jews“. Die Gründung der Berliner „Ge-

sellschaft“ erfolgte 1822 auf Betreiben

des englischen Rechtsanwalts Lewis Way,

einem der Hauptakteure der „London

Society“, und unter Beteiligung des eng-

lischen Gesandten Sir George Rose in

der Wohnung des späteren

preußischen Kriegsministers Job

von Witzleben. Noch im selben Jahr

wurden von Berlin aus weitere Tochter-

gesellschaften („Hilfsgesellschaften“) u. a.

in Posen, Breslau und Königsberg ge-

gründet. Tatsächlich richteten sich die

Missionsbemühungen der Berliner „Ge-

sellschaft“, so auch die von ihr organi-

sierten Missionsreisen, insbesondere auf

die preußischen Provinzen Schlesien,

Posen, Ost- und Westpreußen und den

gesamten ostmitteleuropäischen Raum.

Michaela Scheibe

ist komm. stellvertretende Leiterin

der Abteilung Historische Drucke

der Staatsbibliothek zu Berlin

Heike Pudler

ist Referatsleiterin in der Abteilung

Historische Drucke

Dr. Martin Hollender

ist Referent in der Generaldirektion

JUDENMISSION UND BÜCHERRAUB

Die Berliner Staatsbibliothek restituiert Drucke

aus der „Bibliothek der Gesellschaft zur Beförderung

des Christentums unter den Juden“

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Eintrag vom 19. September 1941

aus dem Zugangsbuch für Geschenke

Die „Gesellschaft“ hatte ihren Sitz später

in der Kastanienallee im Berliner Bezirk

Prenzlauer Berg und verfügte dort mit

der Messias-Kapelle über ein eigenes klei-

nes Gotteshaus. Die Missionstätigkeit,

die in die Christianisierung und Taufe

münden sollte, wurde über Jahrzehnte

hinweg vom preußischen Staat bzw. von

der Evangelischen Kirche subventioniert.

Die sogenannten „Deutschen Christen“,

die nach 1933 innerhalb des deutschen

Protestantismus tonangebend wurden,

hatten indes bereits im Mai 1932 ihre

ablehnende Haltung zur Judenmission

deutlich gemacht: „In der Judenmission

sehen wir eine schwere Gefahr für unser

Volkstum. Sie ist das Eingangstor frem-

den Blutes in unseren Volkskörper. Sie

hat neben der äußeren Mission keine

Daseinsberechtigung. Wir lehnen die

Judenmission in Deutschland ab, solange

die Juden das Staatsbürgerrecht besitzen

und damit die Gefahr der Rassenver-

schleierung und damit der Bastardisie-

rung besteht. […] Insbesondere ist die

Eheschließung zwischen Deutschen und

Juden zu verbieten“ (aus Punkt 9 der

„Richtlinien“ vom 26. Mai 1932).

In den späten dreißiger Jahren geriet die

„Gesellschaft“ zunehmend unter Druck.

Nachdem bereits am 11. November 1938

ein Rollkommando die gesamte Innenein-

richtung demoliert hatte, erschienen am

23. Januar 1941 Gestapobeamte in der

Kastanienallee, die das Büro der „Gesell-

schaft“ schlossen und die Bankkonten

sperrten.

Die „Gesellschaft“ verfügte über eine

eigene Bibliothek vornehmlich zu Fragen

des Judentums in Deutschland, deren

Verbleib über Jahrzehnte hinweg un-

bekannt war. Als sich die „Gesellschaft“

Ende der vierziger Jahre neu gründete,

wurde 1948, im 1. Heft des gesellschafts-

eigenen Nachrichtenblattes „Messias-

bote“, betrübt auf das Jahr 1941 zurück-

geblickt und mitgeteilt: „Dann wurde un-

sere wertvolle Bibliothek weggeschafft,

um verbrannt zu werden. Auf den ener-

gischen Protest des Unterzeichneten,

weil sich wertvolle, wissenschaftliche

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Werke darunter befanden, unterblieb

das zwar. Aber wir wissen heute noch

nicht, was daraus geworden ist.“

Vom ungeklärten „Raub unserer Biblio-

thek“ bzw. ihrer zu vermutenden Ver-

nichtung durch die Nationalsozialisten

ist noch 1955 und 1958 im „Messias-

boten“ die Rede, tatsächlich aber haben

zumindest kleinere Teile der Bibliothek

überlebt – und zwar in der Berliner

Staatsbibliothek. Bei der systematischen

Überprüfung der Zugangsbücher („Akzes-

sionsjournale“) im Rahmen der Ermitt-

lung von NS-Raubgut wurden in mehre-

ren Unterabteilungen Einträge beschlag-

nahmter Bände aus der Bibliothek der

„Gesellschaft“ entdeckt.

Der erste Eintrag erfolgte fast genau acht

Monate nach dem Gestapo-Auftritt in

der Kastanienallee, am 19. September

1941. Zunächst wurden in den Journalen

rund 40 Titel allgemeineren Inhalts ver-

zeichnet, von November 1941 bis März

1942 folgte mit 320 Titeln der Hauptteil

der heute bekannten Bände, die als Ju-

daica bzw. Rabbinica über die Orienta-

lische Abteilung inventarisiert wurden.

Die weitere Bearbeitung geriet seit 1942

wegen der zunehmenden Auslagerung

der Bestände ins Stocken. Dies hatte

zur Folge, dass die bis Kriegsende nicht

endgültig eingearbeiteten Bücher in den

verschiedensten Bearbeitungsstadien

verharrten – vom bloßen Eintragen der

Zugangsnummer über das Stempeln bis

hin zur Signaturenvergabe und Katalogi-

sierung. Ein nicht unerheblicher Teil der

Bände wurde zwar noch mit Zugangs-

nummern der Preußischen Staatsbiblio-

thek versehen, aber erst in ihren Nach-

folgeeinrichtungen in Ost und West

gestempelt und mit einer Signatur ver-

sehen. Diese späteren Einarbeitungen

begannen 1946 und dauerten über die

Aufarbeitung von Geschäftsgangsresten

bis in die neunziger Jahre an.

Darüber hinaus wurden fast 40 Drucke

mit alten Laufzetteln der Preußischen

Staatsbibliothek entdeckt, die im Bestand

bereits vorhanden waren und wohl des-

halb nie inventarisiert oder katalogisiert

wurden, deren Provenienz aber durch

den Bibliotheksstempel der „Gesell-

schaft“ eindeutig nachgewiesen ist. Die

insgesamt rund 400 heute erhaltenen

oder aber über die Zugangsbücher nach-

weisbaren Exemplare aus der Bibliothek

der „Gesellschaft“ wurden – wie der

gesamte Bestand der Preußischen Staats-

bibliothek – durch die Kriegswirren und

die Teilung Deutschlands auseinander-

gerissen. Dies hat zur Folge, dass sich

nur 168 Drucke heute noch im Besitz

der Staatsbibliothek befinden; die übri-

Historischer Laufzettel aus dem Jahr

1941

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gen Drucke müssen zu den Kriegsverlus-

ten gerechnet werden bzw. sind nach

der Akzessionierung eventuell doch noch

an andere Institutionen weitergegeben

worden.

Innerhalb dieser Sammlung stammen –

gekennzeichnet durch Stempel oder

handschriftliche Besitzvermerke – fünf

Bücher ursprünglich aus der Privatbiblio-

thek von Lazarus Goldschmidt. 1871 in

Litauen geboren, lebte Goldschmidt als

Privatgelehrter in Berlin. Er schuf eine

Neuübersetzung der Bibel und des

Koran, beschäftigte sich aber auch mit

der äthiopischen Sprache und Literatur.

Seine umfangreiche Bibliothek mit

modernen Pressendrucken und vielen

hebräischen Inkunabeln war schon in den

Zwanzigerjahren berühmt. Goldschmidt

emigrierte 1933 nach London, wo er

1950 als britischer Staatsbürger starb.

Besonders auffallend ist unter diesen fünf

Büchern Goldschmidts eine Beschrei-

bung jüdischer Zeremonielle aus dem

Jahr 1720 durch einen „Zum Evangelio

Christi bekehrten Rabbiner“. Dieses

Büchlein (Jüdisches Ceremoniel, Das ist:

Allerhand Jüdische Gebräuche […]

Franckfurt / Im Jahr Christi 1720) trägt

auf dem Vorsatzpapier den handschrift-

lichen Vermerk: „Die Unwissenheit des

Verfassers in jüd. Gebräuchen, zeigt dass

er vielleicht ein jüd. Droschkenkutscher

oder Ofenheizer, aber kein Rabbiner

war. Laz. Goldschmidt“.

Wie jene fünf Bücher aus der Privatbib-

liothek Goldschmidts, der bereits 1925

bibliophile Werke in den Auktionshandel

gab und seine eigentliche Bibliothek 1949

an die Königliche Bibliothek nach Kopen-

hagen verkaufte, Einzug fanden in die

Bibliothek der „Gesellschaft“, zumal einer

das Judentum missionierenden Institu-

tion, muss offen bleiben.

Die nach Kriegsende zunächst wieder-

begründete „Gesellschaft zur Beförde-

rung des Christentums unter den Juden“

löste sich zum 1. Mai 1982 auf. In die

Rechtsnachfolge trat zunächst das „Öku-

menisch-Missionarische Zentrum“ (ÖMZ)

ein; als heutigen Rechtsnachfolger konnte

die Abteilung Historische Drucke inzwi-

schen das „Berliner Missionswerk“ ermit-

teln, das nach der Wende mit dem ÖMZ

fusionierte. Die Restitutionsverhandlun-

gen zwischen der Stiftung Preußischer

Kulturbesitz und dem „Missionswerk“ als

dem rechtmäßigen Eigentümer stehen

kurz vor dem Abschluss.

Vor der Restitution werden die Prove-

nienzspuren in den Exemplaren – auch

„Jüdisches Ceremoniel, Das ist: Aller-

hand Jüdische Gebräuche …“ mit

handschriftlichem Eintrag von Laza-

rus Goldschmidt

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die von früheren Vorbesitzern hinterlas-

senen Spuren – zusammen mit den aus

den Zugangsbüchern und anderen Quel-

len gewonnenen Informationen über den

Sachverhalt des NS-Raubguts detailliert

erfasst und über den OPAC der Staats-

bibliothek (StaBiKat) weltweit zugänglich

gemacht.

Die dabei ebenfalls dokumentierten Bib-

liothekssignaturen der „Gesellschaft“, die

offenbar einer sachlichen Aufstellungs-

systematik mit einer aus ein bis zwei

Buchstaben und Zahlen bestehenden

Klassifikation folgten, zeigen deutlich,

dass es sich bei dem erhaltenen Bestand

nur um einen Bruchteil der ursprüng-

lichen Bibliothek der „Gesellschaft“ han-

deln kann. Soweit sich diese Systematik

rekonstruieren lässt, reichten die Buch-

stabengruppen mindestens von A bis H,

es wurden zu den Buchstaben z. T. drei-

stellige Zahlen vergeben. Auch der stark

aktuelle Charakter der Bibliothek – es

handelt sich durchgehend um Drucke des

19. und 20. Jahrhunderts – wird deutlich,

mag aber aufgrund der Bestimmung als

Handbibliothek einer Missionsgesell-

schaft kaum überraschen.

Selbst noch der kleine erhaltene Teil-

bestand läßt die enge Beziehung der

Berliner „Gesellschaft“ zu ihrer „Mutter-

gesellschaft“, der „London Society for

Promoting Christianity amongst the

Jews“, erkennen: Neben zahlreichen in

London gedruckten hebräischen Schrif-

ten, darunter einer Torah-Ausgabe der

„Society“ von 1876, besaß die Berliner

„Gesellschaft“ auch einen erheblichen

Anteil einschlägiger Traktate und

Abhandlungen in englischer Sprache,

schließlich auch interessante Exemplare

jiddischer Drucke aus London wie z. B.

ein 1819 erschienener Missionstraktat

des zum Christentum übergetretenen

Rabbiners Benjamin Nehemiah Salomon.

Dieser hatte in den Jahren 1817/18 Lewis

Way auf seiner zur Förderung der Juden-

mission unternommenen Europareise

u. a. auch nach Berlin begleitet und er-

arbeitete einige Jahre danach die erste

von der „London Society“ verlegte jiddi-

sche Übersetzung des Neuen Testa-

Katalogaufnahme aus dem OPAC der

Staatsbibliothek zu Berlin

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ments. Die Stereotyp-Platten zu der ein

Jahr zuvor von der „Society“ veranlass-

ten, auf der deutschen Luther-Überset-

zung beruhenden Ausgabe des Neuen

Testaments in hebräischer Schrift erhielt

die Berliner Gesellschaft zum Geschenk.

Darüber hinaus hatte die „London So-

ciety“ der Berliner „Gesellschaft“ zur

Gründung neben finanzieller Unterstüt-

zung zahlreiche Bücher und Schriften zu-

kommen lassen, wie die Denkschrift zum

fünfzigjährigen Jubiläum 1872 betont.

Die engen Verflechtungen mit der „Lon-

don Society“ spiegeln sich auch in dem

Aktenbestand der „Gesellschaft“, der

1941 offenbar zusammen mit der Biblio-

thek beschlagnahmt und an die Preußi-

sche Staatsbibliothek überwiesen wurde.

Von dort sind die Akten noch im glei-

chen Jahr an das Geheime Staatsarchiv

weitergeleitet worden. Es handelt sich

um 76 Einzelakten aus den Jahren 1816

bis 1933, die neben Dokumenten zur

Verwaltung und über die Beziehungen zu

anderen Missionsgesellschaften auch

Tagebücher und Reiseberichte der von

der „Gesellschaft“ beschäftigten Missio-

nare enthalten und nun zusammen mit

den Büchern restituiert werden.

links: Torah-Ausgabe der London

Society von 1876

rechts: Jiddischer Traktat von Benja-

min N. Salomon, 1819

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NEU ERSCHIENEN: TAGUNGSBAND

ZUR GESCHICHTE DER BAYERISCHEN

STAATSBIBLIOTHEK

Die Bayerische Staatsbibliothek feierte

2008 ihren 450. Geburtstag. Einen wis-

senschaftlichen Höhepunkt stellte ein

Symposium am 18. April 2008 dar, das

die Gründung der Münchner Hofbiblio-

thek im 16. Jahrhundert eingehend

beleuchtete und deren Hintergründe und

Vorgänge sowie das politische, gesell-

schaftliche und kulturelle Umfeld der

damaligen Zeit thematisierte. Die Vor-

träge der ausgewiesenen Experten des

Symposiums sind Ende 2009 im Verlag

C. H. Beck, München veröffentlicht wor-

den. Der Titel Die Anfänge der Münche-

ner Hofbibliothek unter Herzog Albrecht V.

erscheint als Beiheft 37 der Zeitschrift

für Bayerische Landesgeschichte. Her-

ausgeber des Bandes ist Prof. Dr. Alois

Schmid, Vorsitzender der Kommission

für bayerische Landesgeschichte bei der

Bayerischen Akademie der Wissenschaf-

ten. (ISBN 978-3-406-10678-1)

magazinB I b l i o t h e k s

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PUBLIZISTENPREIS FÜR

JOHAN SCHLOEMANN

Der diesjährige Publizistenpreis der

Deutschen Bibliotheken (Helmut-Sontag-

Preis) geht an Dr. Johan Schloemann,

Redakteur im Feuilleton der Süddeut-

schen Zeitung. Der mit 5.000 Euro

dotierte Preis wurde am 15. März im

Rahmen der Eröffnungsfeier des 4. Leip-

ziger Kongresses für Information und

Bibliothek vom Deutschen Bibliotheks-

verband und der Wissenschaftlichen

Buchgesellschaft übergeben. Die Lauda-

tio hielt Prof. Dr. Ulrich Johannes Schnei-

der, Direktor der Universitätsbibliothek

Leipzig. In der Begründung der Jury hieß

es: „Dr. Johan Schloemann verfolgt auf-

merksam und kontinuierlich bibliotheks-

relevante Themen. Neben Berichten

über aktuelle bibliotheksspezifische

Ereignisse in seinem Umfeld schreibt er

ausführliche Hintergrundartikel mit diffe-

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magazinB I b l i o t h e k s

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renzierter Argumentation zu zentralen

und kontroversen Fragen wie Digitalisie-

rung, E-Books oder Open Access, ohne

dabei einseitig zu informieren. Seine

überregional interessanten Artikel sind

sehr gut recherchiert und von vorbildli-

chem journalistischen Niveau.“

magazinB I b l i o t h e k s

RITTER FÜR KUNST UND LITERATUR

Der Botschafter der Republik Frankreich,

S.E. Bernard de Montferrand, verlieh am

8. Februar in der Französischen Botschaft

am Pariser Platz der Generaldirektorin

der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara

Schneider-Kempf, die Insignien eines Rit-

ters für Kunst und Literatur. Die dama-

lige Ministerin für Kultur und Kommuni-

kation der Republik Frankreich, Christine

Albanel, hatte sie im Juni des vergange-

nen Jahres zum Chevalier dans l’ordre

des Arts et des Lettres ernannt. – Im

Rahmen der Feierstunde übergab der

Leiter des Archivs des französischen

Außenministeriums, Jean Mendelson, der

Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen

Atlas aus den Sammlungen der Preußi-

schen Staatsbibliothek, der kürzlich im

Archiv des französischen Außenministe-

riums aufgefunden worden war.

STAATSSEKRETÄR PSCHIERER IN DER

BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK

Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im

Bayerischen Staatsministerium für Finan-

zen, besuchte am 19. Januar 2010 die

Bayerische Staatsbibliothek. Zentrale

Gesprächsthemen waren das Leistungs-

spektrum der Bibliothek als Schatzhaus

des kulturellen Erbes, als multimedialer

Dienstleister für den Wissenschafts-

standort Bayern und als Innovationszen-

trum für digitale Technologien und

Dienstleistungen sowie die Ressourcen-

ausstattung der Bayerischen Staatsbiblio-

thek im Doppelhaushalt 2011/2012.

Dem Staatssekretär wurden beim Besuch

die zwei neu erworbenen Fugger-Genea-

logien präsentiert.

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magazinB I b l i o t h e k s

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seen und Bibliotheken der SPK entlasten.

Errichtet wird, nach Plänen des Münche-

ner Architekten Eberhard Wimmer, nun

zunächst ein Speichermagazin, dessen

22.000 m2 Nutzfläche ab 2011 für Be-

stände der Staatsbibliothek zu Berlin, des

Ibero-Amerikanischen Instituts und der

bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und

Geschichte zur Verfügung stehen wer-

den. Zu den Gästen sprachen Rita Ruoff-

Breuer, Präsidentin des Bundesamtes für

Bauwesen und Raumordnung; Prof. Dr.

Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger, Prä-

sident der Stiftung Preußischer Kultur-

besitz; Rainer Bomba, Staatssekretär im

Bundesministerium für Verkehr, Bau und

Stadtentwicklung; die Stellvertreterin des

Beauftragten der Bundesregierung für

Kultur und Medien, Ministerialdirektorin

Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel sowie

Barbara Schneider-Kempf, Generaldirek-

torin der Staatsbibliothek zu Berlin. Peter

Salewski, Polier der Firma Schrobsdorff

GmbH & Co. KG, übernahm den Richt-

spruch; der Architekt, Eberhard Wim-

mer, erläuterte den Neubau anhand von

Modell und Plänen.

magazinB I b l i o t h e k s

DAS NEUE MUSEUMSPORTAL

FÜR MÜNCHEN

In der spätgotischen Gewölbehalle im

Burgstock des Alten Hofes in München

wurde am 24. Februar vor Vertretern

der Presse und über 50 Ausstellungshäu-

sern das neue Münchner Museumsportal

präsentiert und frei geschaltet. Die Baye-

rische Staatsbibliothek beteiligt sich am

neuen Internet-Auftritt. Mit mehreren

Ausstellungen pro Jahr reiht sich das

Schatzhaus des schriftlichen Kulturerbes

in der Ludwigstraße in die große Vielzahl

renommierter Münchner Ausstellungs-

häuser ein.

www.museen-in-muenchen.de

RICHTFEST FÜR MAGAZINNEUBAU

Am 28. Januar 2010 erfolgte am Fürsten-

walder Damm in Berlin-Friedrichshagen

das Richtfest für den Neubau des Maga-

zingebäudes der Stiftung Preußischer

Kulturbesitz. Diese „Speicherstadt“ soll

zukünftig die in Berlin zentral gelegenen

Depot- und Magazinkapazitäten der Mu-

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magazinB I b l i o t h e k s

SITZUNG DES HOCHSCHUL-AUSSCHUSSES DES BAYERISCHEN

LANDTAGS

Am 2. Dezember 2009 besuchte der

Ausschuss für Hochschule, Forschung

und Kultur des Bayerischen Landtags die

Bayerische Staatsbibliothek. An die Vor-

stellung des Leistungsspektrums der

Bayerischen Staatsbibliothek, deren

Fokus als multimedialer Informations-

dienstleister für den Wissenschaftsstand-

ort Bayern und eine ausführliche Diskus-

sion auch der Herausforderungen, vor

denen die Bibliothek steht, schloss sich

eine Führung mit dem Schwerpunkt Digi-

talisierungszentrum an.

BERUFUNG INS ZUKUNFTSGREMIUM

Dr. Rolf Griebel wurde in die von der

Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz

des Bundes und der Länder (GWK) ein-

gesetzte Kommission „Zukunft der Infor-

mationsinfrastruktur“ berufen.

SCHLEIERMACHER-MANUSKRIPTE

Die Staatsbibliothek zu Berlin erwarb

drei herausragende Manuskripte für die

Schleiermacher-Forschung: Eine Samm-

lung von elf Predigtnachschriften und

zwei Predigtdrucken aus den Jahren 1817

bis 1822, des Theologen und Philoso-

phen Friedrich Schleiermachers eigen-

händiges Druckmanuskript für die 1806

erfolgte zweite Auflage der Schrift „Über

die Religion. Reden an die Gebildeten

unter ihren Verächtern“, sowie eine

anonyme Vorlesungsnachschrift der

schleiermacherschen Vorlesung aus dem

Wintersemester 1831/32 mit dem Titel

„Theologische Enzyklopädie“. Beteiligt

sind an der Erwerbung neben dem Berli-

ner Verlag De Gruyter, dessen Gründer

1897 den Verlag Georg Reimer über-

nahm, bei dem Schleiermacher publi-

zierte, die Schleiermachersche Stiftung,

die Evangelische Kirche Berlin-Branden-

burg-schlesische Oberlausitz sowie der

Freundes- und Förderverein der Staats-

bibliothek.

rechts:

Generaldirektorin Barbara Schneider-

Kempf und der Kirchenhistoriker und

Präsident der Humboldt-Universität

zu Berlin, Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph

Markschies, mit den Manuskripten

Der Hochschulausschuss des

Bayerischen Landtags zu Besuch in

der Bayerischen Staatsbibliothek

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PORTRÄTSAMMLUNG DES MÜNCHNER

STADTMUSEUMS ONLINE

Seit Dezember 2009 ist ein Teil der Por-

trätsammlung des Münchner Stadtmuse-

ums online. Die Datenbank entstand in

einer Kooperation zwischen Münchner

Stadtmuseum und Bayerischer Staatsbi-

bliothek im Rahmen des kulturwissen-

schaftlichen Informationsportals Bayeri-

sche Landesbibliothek Online (BLO).

Derzeit sind ca. 1.800 von 30.000 Por-

träts des Stadtmuseums digitalisiert und

BAYERISCHER MINISTERPRÄSIDENT IN

DER BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK

Der Festakt „50 Jahre Arbeitsgemein-

schaft Deutscher Familienorganisationen“

am 4. Dezember 2009 in der Bayeri-

schen Staatsbibliothek bot Generaldirek-

tor Dr. Rolf Griebel die Gelegenheit,

dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer

die Bayerische Staatsbibliothek kurz vor-

zustellen. Der Ministerpräsident zeigte

sich von den Leistungen der Bayerischen

Staatsbibliothek als Dienstleistungs- und

Innovationszentrum für den Wissen-

schaftsstandort Bayern wie auch von der

Drittmittelbilanz beeindruckt.

abrufbar. Sie bieten einen repräsentati-

ven Überblick über den Bestand. Die

Porträtgalerie wird kontinuierlich erwei-

tert.

http://stadtmuseum.bayerische-landes-

bibliothek-online.de

MOBILER BIBLIOTHEKSKATALOG DER

BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK

Seit dem 3. März 2010 bietet die Baye-

rische Staatsbibliothek ihren Katalog

OPACplus als Version für mobile End-

geräte an. Er wurde auf der Grundlage

des Standard-OPAC der Bibliothek ent-

wickelt. Der mobile OPACplus wurde

zunächst für das iPhone/Safari-Gespann

angepasst, ist aber auch auf Android-

Smartphones zur Zufriedenheit getestet.

Anpassungen für andere Plattformen sol-

len folgen. Die Anwendung ist unter der

Adresse des klassischen OPACplus der

Bayerischen Staastsbibliothek erreichbar

(s. www.bsb-muenchen.de) und startet

automatisch bei Verwendung einer ge-

eigneten Hardware (iPhone oder iPod-

Touch, bzw. Android-Smartphone) mit

dem entsprechenden Browser.

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magazinB I b l i o t h e k s

IMPRESSUM

Berlin und München 2010

HERAUSGEBER:Dr. Rolf GriebelBarbara Schneider-Kempf

REDAKTION IN BERLIN:Dr. Martin Hollender (Leitung),Cornelia Döhring,Dr. Robert Giel,Carola Pohlmann,Thomas Schmieder-Jappe,Dr. Silke Trojahn

REDAKTION IN MÜNCHEN:Dr. Klaus Ceynowa,Peter Schnitzlein

KONTAKT IN BERLIN:[email protected]

KONTAKT IN MÜNCHEN:[email protected]

GESTALTUNG:Elisabeth Fischbach,Niels Schuldt

GESAMTHERSTELLUNG:Druckerei Conrad GmbH, Berlin

Nachdruck und sonstigeVervielfältigung der Beiträge nur mitGenehmigung der Redaktion.

ISSN 1861-8375

magazinB I b l i o t h e k s

VORTRAGSREISE IN BRASILIEN

Auf Einladung des Goethe-Instituts hielt

sich Dr. Klaus Ceynowa, Stellvertreter

des Generaldirektors der Bayerischen

Staatsbibliothek, vom 20. bis 30. März zu

einer Vortragsreise in Brasilien auf. In Rio

de Janeiro, Sao Paulo, Curitiba und Porto

Alegre sprach er zum Thema: „Bibliothe-

ken in der digitalen Welt: das Beispiel

der Bayerischen Staatsbibliothek“. Die

Vorträge, die an jedem Standort rund

300 Hörer anlockten, behandelten unter

WISSENSCHAFTSJAHR 2010

Mit einer Veranstaltung im Konzerthaus

am Gendarmenmarkt wurde am 22. Ja-

nuar das „Berliner Wissenschaftsjahr

2010“ durch den Regierenden Bürger-

meister von Berlin feierlich eröffnet.

Die Staatsbibliothek zu Berlin mit ihrem

Gründungsjahr 1661 gilt als eine der fünf

Jubilarinstitutionen, die in diesem Jahr

gemeinsam gefeiert werden. Die Jubilarin

Staatsbibliothek war vertreten durch den

Präsidenten der Stiftung Preußischer Kul-

turbesitz, Professor Dr. Dr. h.c. mult.

Hermann Parzinger, sowie die General-

direktorin der Staatsbibliothek, Barbara

Schneider-Kempf.

HARRY POTTER IN DER SBB-PK

Mit Freude und Dankbarkeit konnte die

Staatsbibliothek für ihre Kinder- und

Jugendbuchabteilung kürzlich von einem

Mäzen ein besonderes Geschenk ent-

gegennehmen – ein Exemplar der äußerst

seltenen englischen Erstausgabe von

„Harry Potter and the Philosopher’s

Stone“ (Harry Potter und der Stein der

Weisen). Dies ist das einzige Exemplar in

einer deutschen Bibliothek. Die erste

Ausgabe des ersten Bandes der Septo-

logie von Joanne K. Rowling wurde 1997

im Bloomsbury Verlag in London in

einer Auflage von nur 500 Exemplaren

gedruckt. Die kleine Startauflage und der

spätere Erfolg des Buchs bei Millionen

von Lesern auf der ganzen Welt machen

Exemplare dieses Drucks zu einer beson-

ders gesuchten (und hoch bezahlten)

Rarität auf dem Antiquariatsmarkt. Auf

Auktionen in Großbritannien und den

USA erreichte die Erstauflage Preise von

bis zu 15.000 €, bei einer Christies Auk-

tion im Oktober 2007 erzielte der Band

sogar 19.700 £.

anderem die Themen Digitalisierung,

Technologien der Langzeitarchivierung,

mobile Applikationen, Scanrobotik sowie

die Planungen zur „Deutschen Digitalen

Bibliothek“.

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Haus Unter den Linden 810117 Berlin (Mitte)

Haus Potsdamer Straße 3310785 Berlin (Tiergarten)

Zeitungsabteilung im WesthafenWesthafenstraße 113353 Berlin (Wedding)

www.staatsbibliothek-berlin.de

Ludwigstraße 1680539 München

www.bsb-muenchen.de

ISSN 1861-8375

Verwendete Acrobat Distiller 7.0.5 Joboptions
Dieser Report wurde mit Hilfe der Adobe Acrobat Distiller Erweiterung "Distiller Secrets v3.0.2" der IMPRESSED GmbH erstellt.Registrierte Kunden können diese Startup-Datei für die Distiller Versionen 7.0.x kostenlos unter http://www.impressed.de/DistillerSecrets herunterladen.ALLGEMEIN ----------------------------------------Beschreibung: OFFSET: Erzeugt PDF-Dateien für Offsetdruck (60 L/cm) aus Composite-PostScript von Layoutprogrammen (XPress, InDesign) mit Prozess- und Sonderfarben. Qualität: 300/1200 dpi, JPEG Mittel. Bei heiklen Bilder JPEG-Qualität erhöhen. Bei Feinraster Auflösung erhöhen. Preflight: bei Bildern unter 250/1000 dpi erfolgt eine Warnung; bei fehlenden Schriften wird die Konvertierung abgebrochen. Achtung: kann nur mit Distiller 7.x Professional eingesetzt werden! (050418/StJ. Benutzung auf eigenes Risiko. Weitere Informationen: www.prepress.ch)Dateioptionen: Kompatibilität: PDF 1.3 Komprimierung auf Objektebene: Nur Tags Seiten automatisch drehen: Aus Bund: Links Auflösung: 1200 dpi Alle Seiten Piktogramme einbetten: Nein Für schnelle Web-Anzeige optimieren: NeinPapierformat: Breite: 208.327 Höhe: 294.7 mmKOMPRIMIERUNG ------------------------------------Farbbilder: Neuberechnung: Aus Komprimierung: ZIPGraustufenbilder: Neuberechnung: Aus Komprimierung: ZIPSchwarzweißbilder: Neuberechnung: Aus Komprimierung: CCITT Gruppe 4 Mit Graustufen glätten: AusRichtlinien: Richtlinien für Farbbilder Bei Bildauflösung unter: 250 ppi (Pixel pro Zoll) Warnen und weiter Richtlinien für Graustufenbilder Bei Bildauflösung unter: 250 ppi (Pixel pro Zoll) Warnen und weiter Richtlinen für monochrome Bilder Bei Bildauflösung unter: 1000 ppi (Pixel pro Zoll) Warnen und weiterFONTS --------------------------------------------Alle Schriften einbetten: JaUntergruppen aller eingebetteten Schriften: JaUntergruppen, wenn benutzte Zeichen kleiner als: 100 %Wenn Einbetten fehlschlägt: AbbrechenEinbetten: Schrift immer einbetten: [ ] Schrift nie einbetten: [ ]FARBE --------------------------------------------Farbmanagement: Einstellungsdatei: None Farbmanagement: Farbe nicht ändern Wiedergabemethode: StandardGeräteabhängige Daten: Unterfarbreduktion und Schwarzaufbau beibehalten: Ja Transferfunktionen: Anwenden Rastereinstellungen beibehalten: NeinERWEITERT ----------------------------------------Optionen: Überschreiben der Adobe PDF-Einstellungen durch PostScript zulassen: Nein PostScript XObjects zulassen: Nein Farbverläufe in Smooth Shades konvertieren: Ja Geglättene Linien in Kurven konvertieren: Nein Level 2 copypage-Semantik beibehalten: Nein Einstellungen für Überdrucken beibehalten: Ja Überdruckstandard ist nicht Null: Ja Adobe PDF-Einstellungen in PDF-Datei speichern: Ja Ursprüngliche JPEG-Bilder wenn möglich in PDF speichern: Ja Portable Job Ticket in PDF-Datei speichern: Nein Prologue.ps und Epilogue.ps verwenden: Nein JDF-Datei (Job Definition Format) erstellen: Nein(DSC) Document Structuring Conventions: DSC-Kommentare verarbeiten: Ja DSC-Warnungen protokollieren: Nein EPS-Info von DSC beibehalten: Ja OPI-Kommentare beibehalten: Nein Dokumentinfo von DSC beibehalten: Ja Für EPS-Dateien Seitengröße ändern und Grafiken zentrieren: JaPDF/X --------------------------------------------Standards - Berichterstellung und Kompatibilität: Kompatibilitätsstandard: NeinANDERE -------------------------------------------Distiller-Kern Version: 7050ZIP-Komprimierung verwenden: JaASCII-Format: NeinText und Vektorgrafiken komprimieren: JaFarbbilder glätten: NeinGraustufenbilder glätten: NeinFarbbilder beschneiden: JaGraustufenbilder beschneiden: JaSchwarzweißbilder beschneiden: JaBilder (< 257 Farben) in indizierten Farbraum konvertieren: NeinBildspeicher: 1048576 ByteOptimierungen deaktivieren: 0Transparenz zulassen: NeinICC-Profil Kommentare parsen: JasRGB Arbeitsfarbraum: sRGB IEC61966-2.1DSC-Berichtstufe: 0Flatness-Werte beibehalten: JaGrenzwert für künstlichen Halbfettstil: 1.0ENDE DES REPORTS ---------------------------------IMPRESSED GmbHBahrenfelder Chaussee 4922761 Hamburg, GermanyTel. +49 40 897189-0Fax +49 40 897189-71Email: [email protected]: www.impressed.de