Magdalena Heuwieser

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Warum „System Change, not Climate Change“? | Magdalena Heuwieser | 2 Landwirtschaft und Klima: Was heißt hier „smart“? | Nyéléni-Bewegung | 4 Landraub für unseren Tank? | Markus Meister | 5 Von Energiekämpfen und Energiedemokratie | Tadzio Müller | 6 Gender und Klima: Kochen für den Klimaschutz? | Sybille Bauriedl | 7 „Hilfe, die Klimaflüchtlinge kommen“? Der Protest der Inselbewohner | Angela Oels | 8 „CO2lonialismo“ oder: Der Preis der Emissionen | Camila Moreno | 9 Die Unterordnung der Natur unter die kapitalistische Verwertungslogik | Christoph Görg | 10 Commons - Wegweiser für eine zukunftsfähige Gesellschaft | Brigitte Kratzwald | 11 Anders handeln statt Klima wandeln – Ein Manifest gegen TTIP und CETA | Alexandra Strickner | 12 Arbeit neu denken | Beate Littig | 13 Zum Weiterschmökern | 14 Nimm die Zukunft selbst in die Hand – Aktiv werden | 16 September 2015 www.systemchange- not-climatechange.at

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Warum „System Change, not Climate Change“? | Magdalena Heuwieser | 2 Landwirtschaft und Klima: Was heißt hier „smart“? | Nyéléni-Bewegung | 4 Landraub für unseren Tank? | Markus Meister | 5 Von Energiekämpfen und Energiedemokratie | Tadzio Müller | 6 Gender und Klima: Kochen für den Klimaschutz? | Sybille Bauriedl | 7 „Hilfe, die Klimaflüchtlinge kommen“? Der Protest der Inselbewohner | Angela Oels | 8 „CO2lonialismo“ oder: Der Preis der Emissionen | Camila Moreno | 9 Die Unterordnung der Natur unter die kapitalistische Verwertungslogik | Christoph Görg | 10 Commons - Wegweiser für eine zukunftsfähige Gesellschaft | Brigitte Kratzwald | 11 Anders handeln statt Klima wandeln – Ein Manifest gegen TTIP und CETA | Alexandra Strickner | 12 Arbeit neu denken | Beate Littig | 13 Zum Weiterschmökern | 14 Nimm die Zukunft selbst in die Hand – Aktiv werden | 16

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WARUM „SYSTEM CHANGE, NOT CLIMATE CHANGE“? Es ist, als säßen wir in einem Auto, das mit voller Geschwindigkeit auf eine Klippe zurast. Statt zu bremsen, drücken wir aufs Gas – in der Hoffnung, dass rechtzeitig vor dem Absturz noch eine Brücke gebaut wird oder das Auto zu fliegen beginnt. Oder dass, wenn wir die Augen nur fest zumachen, der Abgrund vielleicht gar nicht da ist. Der Glaube an die menschliche Fähigkeit, durch technische Lösungen das Weltklima so drastisch zu manipulieren, dass wir weitermachen können wie bisher, ist wirklich erstaun-lich. Milliarden fließen in die gefährliche Geo-Engineering-Forschung, während Methoden wie Schiefergas-Extraktion oder CO2-Speicherung versprechen, die Klippe noch ein wenig nach hinten zu verlegen, das Ende der fossilen Ressourcen hinauszuzögern, die natürlichen Grenzen zu überlisten. Sowohl Regierungen, internationale Institutionen, Konzerne als auch so manche grüne Parteien und Umweltschutzorganisationen befeuern die Hoffnungen, dass es in Zukunft möglich sei, Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und Treibhaus-gasausstoß zu entkoppeln. Die Strategie heißt mal „Green Economy“ oder „Grünes Wachs-tum“, mal „Bioökonomie“.

Klimawandel ist eine Realität Der Vergleich mit der Klippe hinkt ein wenig. Tatsächlich überfährt unser Auto in seinem unverantwortlichen Beschleunigungskurs schon jetzt unzählige Menschen, Tier- und Pflan-zenarten. Der Klimawandel ist spürbar – vor allem in Ländern des Globalen Südens, in de-nen die Häufigkeit der Wetterextreme, Hurrikane und Dürren noch viel stärker zugenom-men hat als bei uns. Fahren wir weiter wie bisher, so geht das IPCC, das internationale Klimaforschungsgremi-um der UNO, davon aus, dass wir auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von vier bis sechs Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts zusteuern. Nicht miteingerechnet, was beim Erreichen von „Tipping Points“, z. B. durch das Schmelzen des Permafrosts und veränderte Meeresströmungen, passieren könnte. Um dem entgegenzusteuern, müssten die Treibhausgasemissionen in industrialisierten Ländern bis zum Jahr 2050 um mindestens 85% und in den sogenannten „Entwicklungsländern“ um rund 50% sinken, um die Erder-wärmung immerhin auf etwa zwei Grad zu begrenzen1 – was für einige Inselstaaten immer noch den Untergang bedeuten würde, die zu Recht auf das 1,5-Grad-Ziel pochen. Der Clinch zwischen Regierungen und Wirtschaftsinteressen aus Zentrum, Peripherie und Schwellenländern ist zentral in der aktuellen Klimapolitik – schließlich geht es um eine he-gemoniale Neuaufteilung der Welt mittels Emissionsrechten. Dürfen Länder im Globalen Süden sich „entwickeln“ und eine westliche Art des Wohlstands und der Konsumweise er-reichen? Ihnen dies aus Klimaschutzgründen zu untersagen, würde bedeuten, Armut einzu-planen und zu akzeptieren. Es würde Kolonialismus mit grünem Deckmantel darstellen und dazu dienen, reichen Ländern ihren Wettbewerbsstatus aufrecht zu erhalten. Doch auch innerhalb von Ländern des Globalen Südens gibt es Widerstand gegen den Entwicklungs-pfad nach westlichem Vorbild, so z. B. ausgehend von indigenen oder kleinbäuerlichen Be-wegungen.

Klimapolitik in der Sackgasse Im Dezember 2015 findet in Paris die 21. Klima-Vertragsstaatenkonferenz der UNO statt: die COP 21. Seit 21 Jahren treffen sich fast alle Staaten, um angemessene Antworten auf den Klimawandel zu finden. In diesen 21 Jahren haben die Emissionen keineswegs abgenom-men, sondern um mehr als 60% zugelegt, Tendenz steigend. Es waren 21 Jahre der Neolibe-ralisierung, der Ausweitung des „freien“ Welthandels, der Industrialisierung in vielen Län-dern, des beschleunigten Wettbewerbs und Finanzmarktkapitalismus. 21 Jahre steigender Fleischkonsum, forcierte Automobilität und Flugverkehr, 21 Jahre Privatisierung und Aus-beutung natürlicher Ressourcen. Denn eben diese Bereiche wurden in den Klimaverhandlungen kaum angetastet. Von An-fang an war klar: Handel und Wirtschaft sollen nicht beeinträchtigt werden2. Und während die Welthandelsorganisation WTO prächtig gedieh und bindende Abkommen die Sanktio-nierung von Regelbrüchen ermöglichten, blieben sämtliche Klima-Entscheidungen freiwil-lig. Das einzige für einige Industrieländer bindende (aber nicht einklagbare) Abkommen zur

MAGDALENA HEUWIESER setzt sich wissenschaftlich, aktivistisch und im Rahmen ihrer Arbeit bei Finance & Trade Watch mit den Themen Klimapolitik, Green Economy, Finanzialisierung der Natur sowie Ernährungssouveränität auseinander. Vor kurzem erschien ihr Buch „Grüner Kolonialismus in Honduras - Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons“.

Politik und Klima

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Treibhausgasreduktion war das Kyoto-Protokoll. Passend zur neoliberalen Logik erschuf es einen Markt für CO2, den Emissionshandel, der nicht nur zu keiner Emissionsverminderung, sondern obendrein zu vielen neuen Problemen führte3. Nach dem kläglichen Scheitern der COP 15 in Kopenhagen im Jahr 2009 stellt Paris nun den dringlichen Versuch dar, doch noch ein bindendes Abkommen zustande zu bringen. Doch schon jetzt ist sichtbar, dass es sich um ein Sammelsurium nationaler, nicht einklagbarer Emissionsziele handelt, die bei weitem nicht ausreichen, um das 1,5- oder 2-Grad-Ziel zu erreichen. Auch die EU ist bei dessen Zielsetzungen kein Vorzeigebeispiel. Die COP 21 wird, wie auch ihre Vorläufer, unter anderem von Erdölkonzernen mitfinanziert, die ihre Interessen bisher erfolgreich repräsen-tiert sehen. Des Weiteren ist zu erwarten, dass bestürzend wenig Geld bereitgestellt wird, um An-passungsmaßnahmen in jenen Ländern zu finanzieren, die am wenigsten Schuld am Klimawandel tragen, jedoch am meisten darunter leiden.

Wenn’s die Politik nicht schafft, dann der Markt? Das Scheitern der bisherigen Klimapolitik veranlasst so manche, den Glauben an Verhandlungen zu verlieren und alle Hoffnung auf die Privatwirtschaft zu richten. Diese hat schließlich das Geld, um schnell Veränderungen herbeizuführen. Man müsse sie nur davon überzeugen, in grüne statt dreckige Wirtschaftszweige zu investieren. Und siehe da, inzwischen kann mensch emissionsfreie Joghurts konsumieren, Elektroautos fahren und sogar klimaneutral fliegen. Wenn nur mehr „Grünes“ konsumiert würde, dann böten wir dem Klimawandel die Stirn, so der Mainstream-Glaube. Doch dieser hat mehrere große Haken. Die marktbasierte und auf individuellen Konsum zielende Strategie ist erstens zu langsam für die Dringlichkeit der Lage. Zweitens gibt sie genau jenen die Macht, die weiterhin vorerst Profit und nicht Umweltschutz als Hauptziel haben. Drit-tens schließt sie eine Mehrheit der Bevölkerung, die sich den „grünen“ Konsum einfach nicht leis-ten kann, aus und ist höchst demokratiefeindlich. Und viertens funktioniert sie bei genauerer Be-trachtung selten. Die proklamierte Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum ist ein Trug-schluss. Der sogenannte Rebound-Effekt beschreibt den direkten Zusammenhang zwischen Effi-zienzsteigerung und zusätzlicher Nachfrage. So wurde die Herstellung ökologischerer Autos durch eine vermehrte Nachfrage locker wettgemacht4. Auch die Existenz klimaneutraler Produkte ist nichts weiter als eine moderne Marketinglüge. Zwar mag sein, dass ein (klitzekleiner) Teil des Profits der Unternehmen in Offsets, sogenannte Ausgleichsmechanismen, investiert wird und z. B. im Regenwald ein paar Bäume mehr geschützt oder klimafreundliche Kocher verteilt werden. Doch Ressourcenverbrauch und Emissionen zur Herstellung des Produkts finden natürlich trotz-dem statt – möglicherweise sogar noch umfangreicher, da das gute Gewissen den Konsum ankur-belt. Abgesehen davon zeigen unzählige Beispiele, dass die Offset-Projekte selbst vielfach nicht funktionieren, kaum Emissionen reduzieren und vor Ort zu sozialen und ökologischen Proble-men führen 5. Die Einführung von Handelsmechanismen wie Biodiversitäts-Offsets oder des Emissionsmarktes führt auch dazu, dass Naturschutzregulierungen und feste Grenzen für Verschmutzung immer weiter aufgeweicht und umgangen werden. Marktbasierter Umwelt- und Klimaschutz heißt kurz gesagt, dass sich Reiche von Naturzerstörung freikaufen können und Zugang zu knapper werden-den Ressourcen haben, während Mittellose immer weiter ausgegrenzt werden. Das Gegenteil von Klimagerechtigkeit.

„Paris and beyond“ Bei den internationalen und österreichweiten Mobilisierungen gegen die Klimakrise gibt es daher viele Stimmen, die fordern: Die Proteste rund um die COP 21 sollten den Widerstand gegen fal-sche Lösungen und Konzerninteressen ins Zentrum stellen. Sie sollen aufzeigen, dass die aktuelle Klimapolitik in der Sackgasse steckt und die tatsächlich relevanten Entscheidungen leider an anderen Orten – z. B. bei den TTIP-Verhandlungen, der WTO, der Energie- oder Agrarpolitik – getroffen werden. Um jedoch weiterhin auf demokratiepolitische Entschei-dungen zu pochen, braucht es notwendige Diskussio-nen und massiven gesellschaftlichen Druck: gegen fal-sche Lösungen, für einklagbare Grenzen von Umwelt-zerstörung. Es braucht viele Neins und Jas, „Blockadia“ und „Alternatiba“. Es ist Zeit, die Augen aufzumachen und das Steuer herumzureißen.

1 IPCC (2007): 4th Assessment Report: http://www.ipcc.ch/publications_and_data/publications_ipcc_fourth_ assessment_report_wg3_report_ mitigation_of_climate_ change.htm 2 Naomi Klein (2015): Die Ent-scheidung – Kapitalismus vs. Klima 3 http://scrap-the-euets.makenoise.org/KV/ 4 Hoffmann (2015): Can Green Growth really work? https://www.boell.de/en/2015/06/12/can-green-growth-really-work 5 vgl. Heuwieser (2015): Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidi-gung der Territorien. Wien: Promedia-Verlag

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WAS HEIßT HIER „SMART“? Erderwärmung, vermehrte Wetterextreme, Wasserknappheit, Biodiversitätsverlust und Ressourcenknappheit beeinträchtigen zunehmend unsere Lebensgrundlagen. Gleichzeitig ist klar, dass die Art und Weise, wie wir Lebensmittel erzeugen, einen starken Einfluss auf das Klima und die Umwelt hat. Beispielsweise ist alleine die Nutztierhaltung laut der UN-Ernährungsorganisation FAO (2006) für 18% aller global ausgestoßener Treibhausgase verantwortlich – immerhin mehr als der gesamte Transportsektor1. Gleichzeitig beruht unser industrialisiertes, exportorientiertes Agrarsystem auf globalem Handel, langen Transportwegen und vielen fossilen Inputs, sei es für Pestizide oder den Diesel für die Maschinerie. Während die Macht multinationaler Agrarkonzerne und Supermärkte stetig zunimmt, werden lokale Produktionsstrukturen und Märkte zerstört und viele Millionen Menschen vom Zugang zu Nahrung, Ressourcen und Mitentscheidung ausgeschlossen. Eine andere Landwirtschaft hätte immenses Potenzial, zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen und viele ökologische, aber auch soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Krisen anzugehen. Doch darüber, was „anders“ heißt, besteht große Uneinigkeit.

„Nachhaltige“ Intensivierung und Produktivitätssteigerung: Lösung oder Problem? Auf globalen Klimagipfeln und in relevanten Institutionen werden derzeit Ansätze wie die der „neuen grünen Revolution“, der „smarten Landwirtschaft“ oder der „Climate Smart Agriculture“ vorangetrieben – ein grün-gewaschenes „Weiter wie bisher“. Dies verdeutlicht bereits ein Blick auf die Akteure und Allianzen, die für diese Konzepte eintreten: Hinter der Alliance for a Green Revolution for Africa (AGRA) stecken neben der Agro-industrie auch die Rockefeller und die Bill&Melinda Gates Foundation. Diese waren Hauptpromoteure der ersten „Grünen Revolution“, welche seit den 1960ern im Globa-len Süden die Industrialisierung, Marktanbindung und Verbreitung gentechnisch ver-änderten Saatguts mit hohem Pestizideinsatz durchsetzte – mit häufig gravierenden Folgen. Die Global Alliance for Climate Smart Agriculture (GACSA) vereinigt unter ihrem Dach sowohl Agrobusiness und Zertifizierungsorganisationen, die vom Emissionshan-del profitieren, als auch große Umweltorganisationen wie The Nature Concervancy, die für ihre enge Beziehung zur Privatindustrie bekannt sind. Was genau „klima-smart“ bedeutet, wird – vermutlich auch absichtlich – nicht defi-niert. So können beispielsweise Projekte zur Förderung von herbizid-tolerantem Saat-gut als klimafreundlich gelten, da sie vorgeben, fossile Brennstoffe bei der mechani-schen Unkrautvernichtung durch erhöhten Gifteinsatz einzusparen. Nicht erwähnt werden dabei: die Umweltschädlichkeit von Glyphosat und anderen Herbiziden, die erzeugte Abhängigkeit von Saatgut, chemischen Düngemitteln sowie Herbiziden und damit die erhöhte Verschuldungsgefahr von Kleinbäuer*innen oder auch die versteckte Nutzung fossiler Brennstoffe durch den vermehrten Transport dieser Industrie-produkte.2 Das Hauptargument für eine „smarte“ oder „grüne“ Landwirtschaft ist, dass steigender Bevölkerungsdruck zur Ausweitung der Agrarfläche und vermehrten Abholzung füh-ren wird – was durch Technisierung und Intensivierung verringert werden könne. Be-völkerungswachstum ist stets eine praktische Legitimation, die ignoriert, dass der Hun-ger in der Welt vor allem durch ungerechte Verteilung entsteht. So wird nicht einmal die Hälfte der globalen Getreide-, Reis- und Maisproduktion als menschliches Nah-rungsmittel verwendet. Der Rest ist für Futtermittel und Agrotreibstoffe bestimmt, um den global rasant zunehmenden Fleischkonsum und Energiebedarf zu decken – für jene, die es sich leisten können 3.

verfasst von Mitgliedern der Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität

1 FAO (2006): “Livestock’s Long Shadow. Environmental Issues and Options” 2 CIDSE (2015): http://www.cidse.org/publications/just-food/food-and-climate/climate-smart-revolution-or-a-new-era-of-green-washing-2.html 3 Weingärtner/ Trentmann (2011): Handbuch Welternährung. Frankfurt/Main: Campus-Verlag 4 IAASTD (2009): Agriculture at a Crossroads. Global Report. Washington, D.C.: IAASTD / International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development.Pretty/ Hine (2001): Reducing Food Poverty with Sustainable Agriculture: A Summary of New Evidence. Colchester: University of Essex, Centre for Environment and Society;

Altieri (2010): Agroecology, Small Farms, and Food Sovereignty. In: Magdoff/ Tokar (Hg.): Agriculture and Food in Crisis. Conflict, Resistance, and Renewal. New York: Monthly Review Press, 253-266.

Norberg-Hodge/ Merrifield/ Gorelick (2007): Bringing the Food Economy Home. Local Alternatives to Global Agribusinesss. London: Zed Books. 5 www.foodsovereignty.org/forum-agroecology-nyeleni-2015/ ; www.ernährungssouveränität.at/ernahrungssouveranitat/broschuere-ernaehrungssouveraenitaet/

Landwirtschaft und Klima

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Agrarökologie und Ernährungssouveränität Immer mehr Studien zeigen, dass kleinbäuerliche, agrarökologische Landwirtschaft so-gar produktiver sein kann als die industrialisierte Landwirtschaft, die sich in einem stän-digen Teufelskreis aus Intensivierung, externen Inputs und Verlust von Bodenfrucht-barkeit befindet. Die kleinstrukturierten Anbaumethoden werden vor allem deshalb so stark unterschätzt, weil im dominanten Paradigma „Effizienz“ in erster Linie im Hin-blick auf den Faktor Arbeit gemessen wird und damit Mechanisierung und Industriali-sierung propagiert wird. Die klimarelevante „Energieeffizienz“ spielt dabei keine Rolle: nur so kann sich die erdölabhängige industrielle Landwirtschaft „effizient“ nennen. Auch sollte in der Landwirtschaft vielmehr die Produktivität des Bodens gemessen wer-den, die bei agrarökologischen Anbaumethoden höher ist.4 Die weltweite Bäuer*innenorganisation La Vía Campesina und viele soziale Bewegun-gen erteilen dem dominanten Agrarsystem und dessen „smarten“ Entwicklungen eine klare Absage. Die Lösung der multiplen Krisen erfordert einen Strukturwandel Rich-tung Agrarökologie, also der landwirtschaftlichen Arbeit mit der Natur anstatt gegen die Natur, sowie in Richtung Ernährungssouveränität. Damit ist der Vorrang für das Men-schenrecht auf Nahrung vor den Interessen der globalisierten Agroindustrie gemeint sowie eine möglichst regionale und sozial gerechte Produktion, Verteilung und Kon-sumption der Lebensmittel. Es geht um die demokratische Wiederaneignung unserer Agrar- und Ernährungspolitik! 5

MARKUS MEISTER ist Referent für Anwaltschaft bei Welthaus Graz. Twitter: @markus_meister

LANDRAUB FÜR UNSEREN TANK? Im Kampf gegen den Klimawandel setzt die Europäische Union seit einigen Jahren auf Treibstoffe aus nachwachsenden Pflanzen. Sprit aus Mais, Weizen und Rohrzucker oder Diesel aus Soja und Palmöl sollen dazu beitragen, den gigantischen Ausstoß an Treib-hausgasen zu reduzieren. Um die Beimischungsquoten erfüllen zu können, ist aber auch Österreich auf Importe angewiesen. Bereits die derzeitige Agrotreibstoffbeimengung von rund sechs Prozent benötigt eine Fläche von über 340.000 Hektar, dies entspricht einem Viertel der österreichischen Ackerfläche. In der Alpenrepublik werden aber le-diglich 85.000 Hektar für die Produktion von Rohstoffen für Agrotreibstoffe verwendet1. Somit werden drei Viertel der benötigten Rohstoffe importiert. Doch woher stammen sie? Allein im Jahr 2013 wurden etwa 33.000 Tonnen Agrodiesel aus Palmöl in Österreich in den Verkehr gebracht2. So gelangte 2013 bereits gleich viel Palmöl wie heimischer Raps in österreichische Tanks3. Die verheerenden Folgen des großflächigen, monokulturellen Anbaus von Soja, Palmöl etc. vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern sind längst bekannt: Vertreibungen der lokalen Bevölkerung von ihrem Land, die Zunahme von Hunger in den betroffenen Gebieten oder die Abholzung wichtiger Biodiversitäts-gebiete. Davon abgesehen wird auch der propagierte Nutzen für das Klima gerade bei Agrodiesel durch viele Studien massiv hinterfragt4. Dass die EU nun die Verwendung von Agrotreibstoffen aus Nahrungsmittel- und Ener-giepflanzen nach jahrelangen Debatten begrenzt, kann nur als erster Schritt in die richti-ge Richtung gedeutet werden – weitere müssen zwingend fol-gen. Es braucht umfassende und tatsächlich nachhaltige Konzepte für die Verkehrs- und Klimapolitik, diese müs-sen menschenrechtliche und ökologische Auswirkungen in anderen Ländern ausreichend berücksichtigen.

1 Grüner Bericht (2012): http://www.bmlfuw.gv.at/publikationen/land/gruener_bericht/gruenerbericht2012.html 2 Rupprechter (2015): https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04534/index.shtml 3 Berlakovich (2013): http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_13472/imfname_296279.pdf 4 Transport and Environment (2013): http://www.transportenvironment.org/what-we-do/what-science-says-0

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VON ENERGIEKÄMPFEN UND ENERGIE-DEMOKRATIE

Momentaufnahmen. Deutschland, August 2015: massive Aktion des zivilen Ungehor-sams im Rheinland gegen Braunkohleextraktion. Gewerkschaften halten dagegen, sie fürchten um den Verlust der Kohle-Arbeitsplätze. Bolivien: Die linke Regierung er-möglicht endlich eine starke Verringerung der Armut, indem Sozialprogramme über Erdöl- und Erdgaseinnahmen finanziert werden. Vormalige Unterstützer von Evo Mo-rales kritisieren dessen Neo-Extraktivismus und die damit zusammenhängende Natur-zerstörung. Österreich: Nach jahrelangen Protesten wird das „grüne“ Wasserkraftwerk an der schwarzen Sulm in einem Naturschutzgebiet verhindert. Die gegenwärtige Häufung von Energiekämpfen markiert den Übergang von einem auf fossilen Brennstoffen basierenden Energiesystem hin zu einem postfossilen, in dem erneuerbare Energien eine wachsende Rolle spielen. Heute sind es drei globale Krisen-tendenzen, die ein Ende des kapitalistischen Fossilismus nahe legen bzw. verursachen könnten. Erstens die globale Energiekrise, entfacht durch die steigende Nachfrage ins-besondere der sich rapide industrialisierenden Schwellenländer, sowie durch das sin-kende Angebot sich zu Ende neigender fossiler Brennstoffe. Zweitens die eskalierende Klimakrise und damit die Erkenntnis, dass ein Umbau des Energiesystems notwendig ist. Drittens die ökonomische Krise, auf welche die populärste Antwort der Vorschlag für eine grüne Modernisierung des Kapitalismus ist. Doch auch eine vierte Entwick-lung könnte eine globale Energiewende antreiben: der neue Zyklus von Demokratisie-rungskämpfen, der sich aus den Ruinen der neoliberalen Postdemokratie erhebt. Doch leichter gesagt als getan. Wie wird die lokal kämpfende Bürgerinitiative über-zeugt, dass hier eine Stromtrasse gebaut werden soll? Wie der grüne Kapitalist, dies gerade hier eben nicht zu tun? Wie die Gewerkschaft, wie die Arbeiterin, dass dieser oder jener industrielle Arbeitsplatz wegfallen muss? Wie kann gesellschaftliche Akzep-tanz dafür geschaffen werden, dass weniger (Energie-)Konsum notwendig ist? Was sind gerechte Energiepreise? Die klassisch-grüne Position ist, das Einpreisen ökologi-scher „Externalitäten“ zu fordern, was de facto eine Preiserhöhung für Energie bedeu-tet. Um jedoch Energiearmut (d. h. beschränkter Zugang zu bzw. fehlende Leistbarkeit von Energieressourcen) zu vermeiden, dürfte der Energiekonsum nicht allein über Preise geregelt werden. Eine Möglichkeit wären sozial gestaffelte Strompreise mit rela-tiv niedrigem Grundtarif für alle und rasch steigenden Preisen für Mehrverbrauch. Wie also kann, bei derartig widerstreitenden Interessen und unklaren Positionen, eine breite progressive Koalition gesellschaftlicher Akteure im Kampf für eine soziale und ökologische Energiewende zusammengebracht werden?

Eckpunkte der Energiedemokratie Der Kampf für Energiedemokratie könnte solch eine einigende Klammer sein. Einige Eckpunkte müssten sein: Ökologisierung: Der gesamte Energiesektor (d. h. Strom, Wärme und Transport) muss mit staatlicher Unterstützung auf 100% erneuerbare Energien umgestellt werden. Demokratisierung: Der gesamte Energiesektor muss vergesellschaftet und so weit wie möglich dezentralisiert, d. h. vor allem rekommunalisiert werden. Dies impliziert die Enteignung und Zerschlagung der großen Stromkonzerne sowie eine Rückführung energiepolitischer Handlungskompetenzen zu den Stadtwerken. Reduzierung: Es ist unzureichend, nur eine Umstellung des Energiesektors auf er-neuerbare Energien bei konstant steigendem Output zu fordern. Wachstumskritik muss in die Forderung nach einer Reduktion von Energieproduktion und Energiekon-sum münden – wobei die stoffliche und energetische Reduktion an Barrieren eines kapitalistischen Verwertungs- und Wachstumszwangs stößt. Der Ruf nach Energiedemokratie ermöglicht nicht nur, dass verschiedene Energie-kämpfe sich aufeinander beziehen, er enthält auch die Anerkennung und Legitimie-rung verschiedener und unter Umständen widerstreitender Interessen in diesen Kämp-fen und die Notwendigkeit nicht des Sieges eines Akteurs über den anderen, sondern der Vermittlung zwischen ihnen.

TADZIO MÜLLER ist Politikwissenschaftler und Klimagerechtigkeitsaktivist. Seine Brötchen verdient er als Referent für Klimagerechtig-keit und Energiedemokratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ein ausführlicherer Artikel zum Thema befindet sich hier: www.zeitschrift-luxemburg.de/von-energiekampfen-energiewenden-und-energiedemokratie/

Energie und Klima

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KOCHEN FÜR DEN KLIMASCHUTZ? Klimaschutz soll nicht nur den Klimawandel eindämmen, sondern auch helfen, Armut im Globalen Süden zu bekämpfen und den ökonomischen Wohlstand so-wie Arbeitsplätze im Globalen Norden zu sichern. Dafür sind im Rahmen interna-tionaler Klimaverhandlungen Instrumente entwickelt worden, die den Handel mit Emissionsrechten ermöglichen. Dieser Handel spielt sich zwischen Industrielän-dern und sogenannten Entwicklungsländern ab. Aber wie werden dabei Geschlech-terverhältnisse berührt?

Markt – Macht – Frau Das Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und anderer Institu-tionen internationaler Klimapolitik betonen die Potentiale eines Empowerments und einer verbesserten Lebenssituation von Frauen in Entwicklungsländern gerade durch marktbasierte Klimaschutzmaßnahmen. Eine viel gepriesene Maßnahme, von der Frauen profitieren sollen, sind energieeffi-ziente Kocher, die sowohl den Einsatz von Holz, Kerosin und Holzkohle und damit deren Emissionen reduzieren. Diese ressourceneffiziente Technologie soll Frauen im Nebeneffekt Zeit- und Kostenersparnisse verschaffen – sie müssen weniger Holz sammeln oder Brennstoff bezahlen –, die sie in Bildung oder Erwerbsarbeit investieren können. Diese Bewertung von Klimaschutzinstrumenten sagt viel über die Modernisie-rungsideologie und das Geschlechterbild der UN-Klimapolitik aus. In der Entwick-lungsvorstellung der UN-Klimapolitik ist offensichtlich keine andere Zukunft vor-stellbar als die, in der allein Frauen für die Sorgearbeit in der Familie und der Ge-meinschaft zuständig sind und weiterhin am Boden sitzend einfachste Technolo-gien benutzen. Neue Kocher werden jedoch nicht die Probleme einer patriarchalen Gesellschaft lösen und tragen in dieser Hinsicht nicht zum strukturellen Empower-ment von Frauen bei – im Gegenteil.

Fliegen - für Klima und Empowerment… Dennoch boomt der Markt mit Emissionszertifikaten für die sogenannte „Klimaneutralisierung“ (bei Bedarf mit dem Zusatzzertifikat „Women’s Carbon Standard“). So werden z. B. freiwillig kompensierte Emissionen bei Flugreisen über die Finanzierung von Effizienzkochern „neutralisiert.“ In Ostafrika und Südasien hat diese Emissionsreduktionsstrategie auch in der Entwicklungszusammenarbeit enormen Umfang angenommen. Allein die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit hat in Kenia zwischen 2006 und 2014 1,45 Millionen energiespa-rende Kochherde installiert, die rein rechnerisch 1 t/a Kohlenstoffemissionen pro Kocher „neutralisieren“. Das heißt in der Praxis, über eine Millionen Kenianerin-nen kochen mit technologisch modifizierten Kochgeräten für das Emissionsreduk-tionskonto in Deutschland.

SYBILLE BAURIEDL ist am Geographischen Institut der Universität Bonn tätig und arbeitet mit Ansätzen der politischen Ökologie und der Ge-schlechterforschung zu Stadtentwicklung, Energie-wende, Klimawandel und Entwicklungspolitik.

Gender und Klima

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„HILFE, DIE KLIMAFLÜCHTLINGE KOMMEN“? DER PROTEST DER INSELBEWOHNER 17. Oktober 2014: Unter dem Banner „Wir ertrinken nicht, wir kämpfen!“ legen 30 Bewoh-ner*innen der kleinen pazifischen Inselstaaten mit ihren handgebauten Kanus und Hunderte Unterstützer*innen den größten Kohlehafen der Welt im australischen Newcastle für einige Stunden lahm. Für die meist nur ein bis zwei Meter über dem Meeresspiegel liegenden Inselstaaten ist der Klimawandel kein abstraktes Zukunftsszenario. Schon heute häufen sich die Sturmfluten. Der Staat Papua-Neuguinea hat bereits im Jahr 2009 die 1.500 Bewohner*innen der Insel Carteret auf eine größere Insel umgesiedelt, denn lange bevor die Inseln untergehen, werden sie durch Versalzung des Grundwassers unbewohnbar.

Kein Interesse am Flüchtlingsstatus Die Bevölkerungen der kleinen pazifischen Inselstaaten schauen ihrem schleichenden Unter-gang nicht länger untätig zu, sondern machen Gebrauch von ihrem Recht auf „ökologische Selbstverteidigung“. Mit dem Konzept und der Selbstbetitelung als „Climate Warriors“ treten die Inselbewohner*innen bewusst dem Begriff „Klimaflüchtlinge“ entgegen. In der Vergan-genheit hat z. B. Greenpeace Deutschland die Angst geschürt, dass 200 Millionen Klima-flüchtlinge die Industrieländer überfluten könnten. Die explosive Mischung aus unbeabsich-tigter Fremdenfeindlichkeit und Klimadeterminismus sollte Politiker*innen endlich zum Handeln in Sachen Klimaschutz bewegen.

Solche Forderungen fanden jedoch bei den Regierungen westlicher Industrieländer wenig Gehör, die kaum bereit waren, eine Verantwortung für Klimaflüchtlinge anzuerkennen. Selbst die Betroffenen zeigten sich nicht einverstanden. So gaben häufig Regierungsvertre-ter*innen kleiner Inselstaaten zu Protokoll, nicht das geringste Interesse am Flüchtlingsstatus zu haben. Stattdessen forderten sie drastische Emissionsreduktionen in den Industrielän-dern, um ihre Inseln vor dem Untergang zu bewahren. Und für den Ernstfall beanspruchten sie Arbeitsmigration nach Neuseeland und Australien sowie Entschädigungszahlungen. Aufgrund der Lobbyarbeit vieler Organisationen gelangte das Thema aber doch auf die Agenda der internationalen Klimaverhandlungen. Das „Cancún Rahmenabkommen zur Anpassung an die Klimaabkommen“ (2010) griff Klimaflucht unter dem neuen Begriff „klima-wandelbedingte Migration“ auf, was damit jedoch einen möglichen Rechtsanspruch auf Asyl unterband. Es wurde nur festgehalten, dass zukünftig Gelder der Klimaanpassung auch für Klimamigration verwendet werden könnten. Mit der Publikation des britischen „Foresight Report on Migration and Global Environmen-tal Change“ (2011) wurde klimawandelbedingte Migration gar als rationale Anpassungsstra-tegie an ein sich wandelndes Klima dargestellt. Migration wäre leider für viele „die einzige Option“ – allerdings auch ein geeigneter Weg, um sich „resilient“, sprich widerstandsfähig gegen den Klimawandel zu machen. So könne beispielsweise die Migration Einzelner dazu führen, dass die anderen bleiben könnten, z. B. mithilfe von Auslandsrücküberweisungen. Chris Methmann und ich kritisieren, dass der Untergang der Inselstaaten vom derzeit domi-nanten Resilienz-Diskurs als unvermeidlich dargestellt wird. Natürlich stimmt es, dass es um den internationalen Klimaschutz schlecht bestellt ist. Aber noch besteht Handlungsspiel-raum, die Inselstaaten zu bewahren. Das erklärt auch, warum Resilienz für die Climate Warriors ebenfalls kein akzeptables Konzept ist1.

ANGELA OELS ist Gastprofessorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Lund in Schweden sowie am Lund University Centre for Sustainability Studies. Sie leitet derzeit einen Massive Open Online Course zu „Climate Change: A question of justice?“, den die FernUniversität in Hagen in Kooperation mit der Universität Lund vom 28.09.-23.11.2015 kostenlos und offen für alle durchführt. mooc.umweltwissenschaften.de

1 Methmann, C./Oels, A. (2015) From ‘fearing’ to ‘empowering’ climate refugees: Rendering climate-induced migration governable through resilience. Security Dialogue 46 (1): 51-68.

Die Langfassung dieses Artikels erschien in Politische Ökologie 139 (Dezember 2014), S.79-83.

Migration und Klima

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„CO2LONIALISMO“ ODER: DER PREIS DER EMISSIONEN Im Oktober 2006 wurde unter großer medialer Aufmerksamkeit der „Stern-Report über die Ökonomie des Klimawandels“ veröffentlicht. Er stellte einen wichtigen Wen-depunkt dar und war ausschlaggebend für die Konsolidierung der Green Economy. Dem Bericht gelang es, die Kosten des Klimawandels – aber auch die mit ihm verbun-denen wirtschaftlichen Möglichkeiten und Gewinnchancen – in eine ökonomische Sprache zu übersetzen. Er verwandelte die Umwelt- und Klimaproblematik in ein ernstzunehmendes ökonomisches Thema. Wenn nichts gegen den Klimawandel unter-nommen würde, so führe dies laut Berechnungen zu einer Reduktion von 5% bis schlimmstenfalls 20% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Ausgaben, die getätigt werden müssten, um die Treibhausgasemissionen zu stabilisieren, entsprächen im Vergleich nur 1% des weltweiten BIP pro Jahr bis 2050. (Übrigens: Wenige Jahre später gab Stern zu, sich verrechnet zu haben und sowohl Schaden als auch Ausgaben deutlich höher anzusetzen seien.) Dem Stern-Report zufolge sind die Nutzen schneller Handlung bei Weitem größer als die Kosten. Die wichtigsten Handlungsempfehlungen lauteten: 1) dem Kohlenstoffdioxid einen Preis geben („Carbon Pricing“), 2) Förderung von Technologien und 3) Energieeffizienz. Der Preis für CO2 kombiniert mit Steuern und dem Handel oder der Regulierung von Emissionen würde der Menschheit endlich den „wahren Wert“ ihres Handelns zeigen.

Klimawandel: ein Marktversagen, das vom Markt gelöst wird? Der Bericht erntete viel Beifall, wurde aber auch von verschiedenen Seiten kritisiert: beispielsweise im Hinblick auf den von Stern proklamierten ökonomischen Nutzen der Investitionen in „Technologien mit niedrigem CO2-Verbrauch“ – worunter auch Ag-rotreibstoffe fallen. Diese waren jedoch zentraler Auslöser des Booms an Land Grab-bing, der mit Spekulation, Räumungen, Verbreitung von Monokulturen und Hungers-nöten zusammenhing. Doch die vielleicht größte Kritik am Stern-Report zielt auf den Zeitgeist, den er reprä-sentiert und befördert: die Mentalität der Konsumkultur. Bei der Veröffentlichung sag-te der Autor Sir Nicholas Stern (Ex-Vizepräsident der Weltbank und Mitglied des briti-schen Adels): „Der Klimawandel ist Resultat des größten Marktversagens, welches die Welt je gesehen hat (…): Jene, die anderen Schaden zufügen, indem sie Treibhausgase ausstoßen, zahlen nicht dafür.1“ Aber bedeutet das Prinzip, dass derjenige, der verschmutzt, zahlt, nicht gleichzeitig, dass derjenige, der zahlen kann, auch verschmutzen kann? Gibt es etwas wie ein „Recht auf Verschmutzung“, welches gekauft werden kann? Dieser Logik entspricht die aktuelle Einführung vermehrter flexibler Instrumente, wel-che es Individuen ermöglicht, Verschmutzungsgrenzen legal übertreten zu können. Klassische Sanktionsinstrumente werden durch einen Markt ersetzt. Dies bedeutet, dass in der Umwelt- und Klimapolitik die Bürger*innen und Gemeinschaften kaum mehr als Menschen mit gleichen Rechten anerkannt werden sondern in erster Linie als Konsument*innen. Das Recht auf Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt wird zu einer Ware mehr im Warenkorb. Unter der Metrik des Kohlenstoffdioxids wird Realität auf eine einzige Dimension her-untergebrochen: Klimawandel soll durch CO2-Management und damit zusammenhän-gende technologische Möglichkeiten gestoppt werden. Doch dies führt zu einer Entpo-litisierung der Klimadebatte, zur Verschleierung von Interessenskonflikten, Machtspie-len, Ideologien und Widersprüchen, von struktureller Gewalt und Ungerechtigkeit.

CAMILA MORENO studierte Philosophie und Recht. Sie arbeitet seit 15 Jahren mit NGOs und sozia-len Bewegungen in Brasilien und Lateinamerika zu den Bereichen Biodiversität und Klima. Seit 2011 ist sie Mit-glied der Permanenten Ar-beitsgruppe über Alternati-ven zu Entwicklung. Textausschnitt aus Morenos Artikel „Las ropas verdes del rey“ in dem Buch „Alternativas al Capitalismo/Colonialismo del Siglo XXI“ (2013), übersetzt aus dem Spanischen von Aglaia Gruber und Magdalena Heu-wieser

1 http://www.theguardian.com/environment/2007/nov/29/climatechange.carbonemissions

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CHRISTOPH GÖRG ist Professor für Soziale Öko-logie an der Universität Kla-genfurt.

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DIE UNTERORDNUNG DER NATUR UNTER DIE KAPITALISTISCHE VERWERTUNGSLOGIK Seit Jahren wächst in der Umweltpolitik der Glaube, eine ökonomische Bewertung bzw. eine „Inwertsetzung“ von Natur würde zu einem rationaleren Umgang mit Um-weltproblemen beitragen. Was nicht wertgeschätzt wird, so die dahinter stehende Überzeugung, das wird auch nicht sorgfältig genutzt und erhalten. Und Wertschät-zung wird oft genug mit ökonomischer Bewertung gleichgesetzt – als gäbe es nicht viele andere Formen der sozialen, ethischen oder ästhetischen Wertschätzung, die mit dem Preis eines Gegenstands rein gar nichts zu tun haben. Nicht zuletzt der so-genannte „Stern-Report“, der Bericht des britischen Ökonomen Niklas Stern zu den Kosten des Klimawandels, beförderte diesen Glauben. Stern hatte es geschafft, das Klimaproblem auf eine einfache Formel zu bringen: Die Kosten für Klimaschutz und Klimaanpassung sind zu stemmen, aber wird nichts gegen die Erderwärmung getan, dann wird es angesichts der Folgen noch teurer. Wer kann sich schon der Überzeu-gungskraft dieser einfachen Botschaft entziehen?

In eine ähnliche Richtung ging der Versuch der G7/8, einen „Stern-Report für Bio-diversität“ ins Leben zu rufen. Doch in den internationalen TEEB-Reports (The Eco-nomics of Ecosystems and Biodiversity), die in den Folgejahren entstanden, findet man bisher weder eine Gesamtberechnung für den Wert der Biodiversität, noch wird die ökonomische Bewertung für den gesamten Bereich der Ökosystemleistungen vorge-legt. Obwohl schon der Begriff der Ökosystemleistungen (Ecosystem Services) oft-mals fälschlicherweise mit einer ökonomischen Bewertung der Natur gleichgesetzt wird, stellt der internationale TEEB-Prozess fest: Viele Leistungen der Natur sind uns noch gar nicht bekannt oder lassen sich nicht quantifizieren und damit erst recht nicht monetär berechnen1. Und trotzdem: Der Glaube an die Überzeugungskraft ökonomischer Argumente wird gerade auch im TEEB-Prozess gepflegt und verbreitert. Auf den ersten Blick scheint es ja auch plausibel zu sein, den Beitrag bestimmter Leistungen der Natur mit ökonomischen Werten zu erfassen und als Argument in Auseinandersetzungen um den Schutz der Biodiversität zu verwenden. Darin spiegelt sich der tiefsitzende Glau-be, eine ökonomische Bewertung könnte zu einem schonenderen Umgang mit der Natur beitragen – als würden nicht ökonomische Werte selbst immer wieder irratio-nalen Kräften ausgesetzt (wie z. B. der Psyche der Anleger an den Aktienmärkten) oder regelmäßig in Krisenprozessen zerstört, was selbst wieder Ausdruck der Irratio-nalität kapitalistischer Verwertungslogik ist.

Die „Inwertsetzung“ der Natur Im Gegensatz zur Mainstream-Ökonomie, bei der Inwertsetzung weitgehend syno-nym mit wirtschaftlicher Nutzbarmachung verwendet wird, hat der Begriff der In-wertsetzung in den Marx’schen Schriften zwei zentrale, andersgelagerte Bedeu-tungen2. Einmal spielt er darauf an, dass sich der (Tausch-)Wert einer Ware gegen-über dem Gebrauchswert verselbstständigt, dass sich also Waren den Gesetzen der Kapitalverwertung unterordnen (als ein Mittel zur Gewinnmaximierung), während ihr konkreter Nutzen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Andererseits bezieht er sich auf die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“, die Entstehung und Durch-setzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse3. Dies geschah und geschieht auch weiterhin häufig durch die Einhegung von Gemeingütern (Commons), beispielswei-se der Privatisierung von Land. In diesem Sinne ist der Begriff der Inwertsetzung ein wichtiges Element einer marxistisch ausgerichteten Zeitdiagnose und wird immer wieder auf aktuelle Prozesse kapitalistischer Globalisierung sowie die damit verbun-denen gesellschaftlichen Strukturveränderungen und sozial-ökologischen Konflikte angewendet. Statt zu einem rationaleren Umgang mit Natur aufgrund steigender ökonomischer Wertschätzung beizutragen, sind Prozesse der Inwertsetzung Aus-druck einer „Neoliberalisierung der Natur“, die diese der kapitalistischen Verwer-tung unterwirft, dabei Gemeingüter bedroht und Konflikte mit anderen Lebenswei-sen erzeugt.

1 TEEB (2010): The economics of ecosystems and biodiversity: Ecological and economic founda-tions. Edited by Pushpam Kumar. London, Washington D.C.: Routledge, S. 21 2 Görg (2006): Inwertsetzung. In: Haug/Haug/Jehle/Küttler (Hg.): Historisch-Kritisches Wörter-buch des Marxismus, Bd. 6/2. Hamburg: Argument-Verlag 3 Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke. (zit. als MEW.) Berlin (Ost): Dietz. Verschiedene Jahre, S. 741 ff

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WEGWEISER FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE GESELLSCHAFT „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“, schreibt der Papst in seiner neuen Umwelt-Enzyklika. Was genau hat die Klimakrise mit den „Commons“ zu tun? Beginnen wir mit dem Klimaschutz: Einige marktförmige Versuche, mit dem Klima-wandel umzugehen, führen zur Privatisierung bzw. Einhegung von Commons. So er-möglichen „Offsets“, Natur an einem Ort zu zerstören, wenn man dafür an einem ande-ren Ort ein „gleichwertiges“ Stück Natur erhält. Oder sie geben das Recht, Treibhausga-se auszustoßen, wenn dafür anderswo Emissionen reduziert werden. In diesem Zusam-menhang kaufen etwa europäische Unternehmen Regenwald, um ihn zu schützen. Indi-gene Gemeinden, die diesen möglicherweise seit Jahrhunderten nachhaltig als Com-mons genutzt haben, werden dann in ihren Nutzungsmöglichkeiten stark eingeschränkt oder sogar vertrieben. Emissionszertifikate wiederum gestehen einzelnen Unternehmen Verschmutzungsrech-te für die Atmosphäre zu, was zumindest diskursiv einer Privatisierung gleich kommt. Aber sind denn Atmosphäre oder Klima überhaupt Commons im klassischen Sinne? Normalerweise „sind“ Commons nicht einfach, sondern müssen gemacht werden. Zu Commons gehören immer Menschen, die sich um diese kümmern und die Regeln für die Erhaltung und Nutzung der Ressourcen selbst aushandeln. Das ist derzeit nicht der Fall. Es bräuchte globale Vereinbarungen darüber, wie wir mit der Erde und dem Klima umgehen wollen. Die Umsetzung dieser Vereinbarungen müsste aber nur regional er-folgen, abhängig von geografischen und klimatischen Bedingungen und von kulturellen und sozialen Kontexten.

Was sind eigentlich Commons? Commons sind mehr als nur Ressourcen. Es handelt sich vielmehr um eine Art und Weise, wie Menschen sich organisieren, um mit den vorhandenen Ressourcen gemein-sam ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Commons können also als politische Systeme ver-standen werden, in denen das Recht auf Überleben Aller im Vordergrund steht, nicht die Profitmaximierung Weniger. Die Idee der Commons könnte deshalb ein Wegweiser für den erforderlichen Systemwandel sein, wie er im Positionspapier „System Change, not Climate Change!“ formuliert ist: „Wir setzen uns für Gesellschaftssysteme ein, in de-nen wir lebensnotwendige Dinge als Gemeingüter teilen und gemeinsam über deren Nut-zung entscheiden. Wasser, Saatgut, Land, Wälder, Seen, Rohstoffe, Luft, Wissen u. ä. sind als Gemeingüter zu behandeln. Diese, ebenso wie öffentliche Dienstleistungen, müssen wir vor Privatisierung schützen.“ Eine Gesellschaft, die auf Commons basiert, könnte wesentlich ressourcenschonender sein, denn sie würde die Produktion an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und diese nicht ins Unendliche wachsen lassen. Sie würde die Erzeugung und Konsumption möglichst regional gestalten. Menschen wissen meist selbst am besten, wie sie ihre Be-dürfnisse in ihrer Region befriedigen können, weil es dafür altes Wissen ebenso gibt, wie neue, kreative Ideen. Beispiele für solche Ansätze sind zahlreich, im globalen Norden wie im Süden. Ob es sich nun um Transition-Towns handelt oder um Nachhaltigkeitsregionen, um den Kar-toffelpark in Peru, wo die indigene Bevölkerung eine weltweit einzigartige Vielfalt an Kartoffeln gegen die Lebensmittelindustrie verteidigt, oder um die Provinz Tigray in Äthiopien, wo die Bewohner*innen mit Hilfe von Permakultur und ganz ohne Chemie oder Gentechnik aus Wüste fruchtbares Land gemacht haben. Die Regeln, die diese Menschen für ihr Commoning finden, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Ihre Formen des Wirtschaftens werfen keine Profite für Investor*innen ab und tragen wenig zum finanziellen Wachstum bei, jedoch viel zur Steigerung der Lebensqualität und zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und Ressourcenverbrauchs, und sind damit wichtige Schritte hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

BRIGITTE KRATZWALD ist Sozialwissenschaftlerin und Commons-Aktivistin und beschäftigt sich in Theo-rie und Praxis mit alternati-ven Wirtschafts- und Gesell-schaftsformen, vor allem mit den Themen Commons, Peer-Produktion und Perma-kultur.

http://blog.commons.at/ Weitere Informationen über Commons in diesem Buch: band1.dieweltdercommons.de

Commons und Klima

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ANDERS HANDELN STATT KLIMA WANDELN – EIN MANIFEST GEGEN TTIP UND CETA Während die Regierungen im Rahmen der UNO ein Klimaschutzabkommen ver-handeln, treiben sie gleichzeitig den Abschluss zahlreicher Freihandelsabkommen voran. Die EU verhandelt derzeit mit den USA das TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership), jenes mit Kanada (CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement) ist fast fertig verhandelt. Viele weitere sind geplant. Die USA wollen bis Ende des Jahres das Transpazifische Ab-kommen (TPP) abschließen, und auch auf der Ebene der Welthandelsorganisation gibt es einen weiteren Versuch, die im Jahr 2001 gestartete Doha-Runde kurz nach der COP 21 zum Abschluss zu bringen. All diese Abkommen würden den Klima-wandel verschärfen und die Möglichkeiten von Regierungen, Maßnahmen für den Klimaschutz zu setzen, einschränken. Warum?

Weite Transportwege oder lokale Kreisläufe? Freihandelsabkommen zielen u. a. darauf ab, den Güterhandel zu erleichtern. So werden TTIP, CETA und andere Abkommen zu einer Zunahme der Handelsströ-me führen und somit auch zu zusätzlichen Emissionen. Mit wachsenden Handels-strömen geht oftmals auch die Zerstörung von lokalen Produktionsstrukturen und Wirtschaftskreisläufen einher. Gerade im Bereich der Landwirtschaft gibt es eine Vielzahl von Beispielen – von NAFTA (der Nordamerikanischen Freihandelszone) bis hin zum WTO-Agrarabkommen – die zur Zerstörung lokaler, kleinbäuerlicher Lebensmittelproduktion geführt haben. Gestärkt wurde dabei vor allem die klima-schädliche, stark industrialisierte Landwirtschaft. Ernsthafte Antworten auf die Klimakrise brauchen jedoch genau das Gegenteil: die Stärkung lokaler, wider-standsfähiger, sozial gerechter und ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsformen, die letztlich ohne fossile Energieträger funktionieren können.

Gefahr für Demokratie und Klimaschutz Handelsabkommen wie TTIP, CETA und Co schränken auch den Gestaltungs-spielraum für ambitionierte Klimapolitik und nachhaltige Wirtschafspolitik massiv ein. Ein zentrales Element der Klimapolitik ist die Förderung der Energieeffizienz. Das geschieht in der Regel durch das Setzen von Mindeststandards, die z. B. Autos, Maschinen, Gebäude oder Geräte einhalten müssen, um für den Markt zugelassen zu werden. Wenn jede Verschärfung solcher Standards in Zukunft zunächst mit dem Handelspartner abgestimmt werden muss – so wie das im Rahmen der Regu-latorischen Kooperation vorgesehen ist – könnte der Klimaschutz ausgebremst werden. Auch das Investorenklagerecht würde Möglichkeiten, das Klima zu schützen, stark einschränken. Gegenwärtig setzen Öl-, Gas- und Bergbaukonzerne immer stärker auf riskante Fördertechniken, von den Ölsanden über die Hochsee-Ölförderung bis zum Fracking. Immer öfter kommt es dort, wo gefördert wird oder werden soll, zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung, die versucht, Verbote zu erwirken. Inves-torenklagerechte werden schon jetzt in Nordamerika genutzt, um solche Verbote auszuhebeln oder sich zumindest den vermeintlich entgangenen Gewinn mit Steu-ergeld ausbezahlen zu lassen. So hat Lone Pine, ein kanadisches Unternehmen, über eine US-Tochter Kanada auf 250 Mio. USD Schadenersatz für das Fracking-Moratorium in Quebec geklagt. Eine Entscheidung ist noch ausständig. Der Widerstand gegen Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA ist somit ein wichtiger Beitrag für den Klimaschutz.

ALEXANDRA STRICKNER ist Mitbegründerin und Ob-frau von Attac Österreich sowie in der österreichischen und europäischen TTIP-Stoppen-Kampagne aktiv. http://ttip-stoppen.at

Handel und Klima

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ARBEIT NEU DENKEN Arbeit neu zu denken ist unabdingbar, wenn es um den Einsatz für eine nachhaltige klimafreundliche Gesellschaft und Wirtschaft geht. Das wird auch getan – auf unter-schiedliche Art und Weise. Vor allem zwei Richtungen lassen sich dabei ausmachen:

Alternative Arbeitsmodelle: Mischarbeit, Umverteilung, Arbeitszeitverkürzung Eine Strategie setzt auf die sozial abgesicherte Umverteilung von (Erwerbs-)Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung (auf 25 – 30 Stunden pro Woche). Dazu gehört sowohl eine Er-weiterung dessen, was unter Arbeit verstanden wird, als auch die Aufwertung nicht-bezahlter, aber gesellschaftlich notwendiger Arbeitsleistungen. Dieser Entwurf der sogenannten Mischarbeit hat vor allem im Kontext der wissenschaft-lichen Nachhaltigkeitsforschung inzwischen einige Beachtung gefunden. Doch die poli-tische und öffentliche Resonanz für diese Überlegungen zur Transformation der gegen-wärtigen (Erwerbs-)Arbeitsgesellschaften in Richtung nachhaltiger Tätigkeitsgesell-schaften ist eher gering, selbst, wenn prominente Persönlichkeiten wie Frigga Haug in jüngerer Zeit mit ihrer sogenannten Vier-in-Einem-Perspektive (je vier Stunden Er-werbsarbeit, Care, bürgerschaftliches Engagement und Eigenarbeit) vergleichbare Ideen verbreitet. Möglicherweise erscheinen derartige Strategien zu voraussetzungsvoll, denn die Umset-zung von Mischarbeit als deren Leitkonzept bedarf vielfacher politischer Maßnahmen. Dazu zählt prominent eine sozial-ökologische Steuerreform, also eine erhöhte Ressour-cenbesteuerung und verringerte Besteuerung des Faktors Arbeit. Die Förderung ver-schiedener Lebensführungsmodelle erfordert außerdem eine entsprechende rechtliche Absicherung neuer Beschäftigungsformen und verlangt nach kollektiven Interessensver-tretungen sowie einer Reihe von sozialen Innovationen (durch die Schaffung von Infra-strukturen wie Förderungen, Projekte, Experimente, Stiftungen).

Green Jobs? Die andere Strategie propagiert die Schaffung von sogenannten Green Jobs, neuen sozial- und umweltverträglichen Arbeitsplätzen bzw. der entsprechenden Konversion bestehender Arbeitsplätze. Letztere geschieht jedoch auch durch eine statistische Defini-tionserweiterung dessen, welche Arbeitsmarktsegmente als grüne Arbeitsplätze gel-ten. Green Jobs sind für unterschiedliche politische Akteur*innen lukrativ, angefangen von den Nachhaltigkeitsstrateg*innen der Vereinten Nationen (UNO), einigen umwelt-politischen Organisationen, über die Gewerkschaften bis hin zur EU und den nationalen Umweltministerien. Jedenfalls kommt der Schaffung von „grünen Arbeitsplätzen“ im Rahmen einer wachs-tumsorientierten „grünen Ökonomie“ derzeit einige mediale Aufmerksamkeit zu. Aber die internationale Green-Job-Initiative bietet substanziell nicht viel Neues. Sie kann viel-mehr als Neuauflage einer bereits länger dauernden Auseinandersetzung um Umwelt und Arbeit interpretiert werden, die offensichtlich immer wieder neue Konjunkturen erlebt; scheinbar immer dann, wenn akute Wirtschaftskrisen zu bewältigen sind. Be-trachtet man die Bestrebungen für die Green Economy und die Green Jobs aus einer globalen Perspektive, sind umso mehr grundlegende Bedenken anzumelden – aufgrund der Verschärfung sozialer Ungerechtigkeit sowie ökologisch problematischer Folgen. Auch wenn die zwei Ansätze viele Fragen offen lassen und unterschiedliche Zielsetzun-gen verfolgen, so müssen sich beide mit Blick auf die Gestaltung einer nachhaltigen Ar-beitsgesellschaft nicht gegenseitig ausschließen. Selbstverständlich muss Erwerbsarbeit in vielen Bereichen sozial und ökologisch verträglich gestaltet werden. Angesichts der gegenwärtigen multiplen Krise – allen voran schwankende und hohe Arbeitslosigkeit, unsichere Wachstumsprognosen, hohe Staatsverschuldung und Klimawandel – reichen die alten Rezepte, sprich „Wachstum bringt Arbeit, bringt Wohlstand“ – auch wegen der Rebound-Effekte – nicht aus. Es bedarf einer grundlegenden sozial-ökologischen Trans-formation. Nachhaltige Arbeit, die die gesamte gesellschaftlich notwendige Arbeit in den Blick nimmt und neuverteilt, ist einer ihrer zentralen Bausteine.

BEATE LITTIG

Abteilungsleiterin am Institut für Höhere Studien in Wien. Arbeitsschwerpunkte: Sozialwissenschaftliche Umweltforschung, qualitative Forschungsmethoden, Theorien sozialer Praktiken, Gender Studies.

Arbeit und Klima

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ZUM WEITERSCHMÖKERN

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SYBILLE BAURIEDL (Hg.):Wörterbuch Klimadebatte

Was ist eigentlich Bioökonomie? Und was steckt hinter dem Begriff

Klimaneutralität? Das „Wörterbuch Klimadebatte“ stellt über 40 Schlüssel-begriffe zur Diskussion und gibt damit eine Anleitung zur kritischen Reflexion

(Erscheinung im November 2015).

http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3238-5/

woerterbuch-klimadebatte

MAGDALENA HEUWIESER:Grüner Kolonialismus in Honduras

Die Autorin begibt sich auf Spurensuche zwischen Schein und Sein „grüner“ Projekte. Das Buch entlarvt den Mythos der Green Economy und zeigt Wider-sprüche, Gefahren und koloniale Muster einer Klima- und Umweltschutzstrategie auf, die zur „Finanzialis-ierung der Natur“ führt und von den eigentlich notwen-digen Maßnahmen ablenkt.

http://www.ftwatch.at/gruener-kolonialismus/

EMMANUEL MBOLELA: Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Wider-stand, Flucht und Exil

Jean Ziegler schreibt dazu: „Emmanuel Mbolelas Buch ist deshalb so beeindruckend, weil es nicht nur ein Buch der mutigen, detailgenauen Brandmarkung ist, sondern auch ein Buch der unausrottbaren Hoffnung. Ein Buch des Widerstandes, des Aufstandes des Gewissens.“ http://www.mandelbaum.at/books/767/7589

JUTTA KILL:Ökonomische Bewertung von Natur. Der Preis für Naturschutz?

Eine kritische Untersuchung des Arguments, dass Natur einen Preis brauche, um geschützt zu werden. Die Broschüre bietet einen guten Überblick über verschie-dene marktbasierte Instrumente – von Biodiversitäts-Off-sets über Payments for Ecosystem Services bis REDD+.

http://rosalux-europa.info/publikationen/buecher/finanzialisierung-natur/ (Printversion bestellbar bei [email protected])

NAOMI KLEIN: Die Entscheidung:

Kapitalismus vs. Klima

Das neue Werk der renommierten Globalisierungskritikerin ist eine umfassende und unterhaltsame,

wenn auch schockierende Geschichte über Ursachen des

Klimawandels und der scheitern-den Klimapolitik. Bewegungsna-

he schildert sie notwendige Ansatzpunkte: Blockadia und

Alternatiba. Ebenfalls empfehlenswert: Der

neue Dokumentarfilm zum Buch.

http://thischangeseverything.org/

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FILM: Disruption

„When it comes to climate change, why do we do so little when we know so much?“ 52 hochbrisante Minuten für den privaten oder öffentlichen Filmabend. Ein motivierender Überblick über eine Geschichte der Klimaforschung, scheitern-den Klimapolitik und beginnenden Mobilis-ierung. http://watchdisruption.com

WEGE AUS DER KRISE:Weniger arbeiten, mehr leben

Das Büchlein legt dar, warum Arbeit-szeitverkürzung eine Alternative zu

Wachstumszwang bei steigender Arbeitslosigkeit ist. Es erklärt Fakten

zur Verteilung von Arbeit und die Chancen, die eine Arbeitszeitverkür-

zung bedeutet.

www.wege-aus-der-krise.at/fileadmin/dateien/Neu_2014/Materialien/

PixibuchAZV_Final_PDF.pdf

FILM: Natur – Spekulationsobjekt mit Zukunft

Die Arte-Dokumentation klärt auf über aktuelle Entwicklungen der Inwertsetzung und Finanzialisierung der Natur. Lebhafte Beispiele machen die Gefahren deutlich, die mit diesem neuen Zugang zu „Natur“ und der dominanten Art des Umwelt- und Klimaschutzes einhergehen.

Verleihbar über [email protected]

WWF – GLOBAL 2000 – GREENPEACE:Energiezukunft Österreich. Szenario für 2030 und 2050

Das im Juni 2015 erschienene Szenario berechnet, wie Österreich bis 2050 eine Vollversorgung mit erneuer-baren Energien und eine Treibhausgasreduktion um 80-95% erreichen kann – mittels ab jetzt umzusetzen-den Veränderungen insbesondere in den Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Ernährung. https://www.global2000.at/sites/global/files/Energiezukunft%20%C3%96sterreich_.pdf

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AGRAR-ATTAC:Die Zeit ist reif für Ernährungssou-veränität!

46 Seiten voll knackiger Artikel, Ideen, Ansatzpunkte und Alternativen für eine sozial gerechte, agrarökologische und demokratische Form von Land-wirtschaft und Ernährung.

http://www.ernährungssouveränität.at/ernahrungssouveranitat/broschuere-ernaehrungssouveraenitaet/

VCÖ – Mobilität mit Zukunft:Klima und Energie – Potenziale im Verkehr

Der Verkehr ist Österreichs größtes Klima-schutzproblem. Die Publikation zeigt Hintergründe und Zusammenhänge auf und nennt die Maßnahmen, die dringend umzusetzen sind – von der Erhöhung der Mineralölsteuer bis hin zum Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrr-adverkehr.

http://www.vcoe.at/de/publikationen/vcoe-schriftenreihe-mobilitaet-mit-zukunft/details/items/klima-und-energie-potenziale-im-verkehr

AUSTRIAN PANEL ON CLIMATE CHANGE:Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014

Ein umfassender Bericht sowie eine kürzere Synthese zu den Ursachen und Auswirkungen von Klimawandel in Österreich, inklusive Anregungen für notwendige Veränderungen aus wissenschaftlicher Perspektive.

http://www.apcc.ac.at/4%20-%20Report.html

FILM: Just Do It

Die kurzweilige Dokumentation gibt Einblicke in den Klima-Aktivismus und gibt Anregungen für direkte Aktionen und zivilen Ungehorsam.

http://justdoitfilm.com FINANCE & TRADE WATCH:

Weitere Informationen und Filmezu Green Economy, Finanzialisierung

der Natur und problematischen Klimaschutzinstrumenten befinden

sich auf:

www.ftwatch.at/finanzialis-ierung-der-natur

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NIMM DIE ZUKUNFT SELBST IN DIE HAND - AKTIV WERDEN

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Schließe dich einer regionalen Gruppe an oder gründe gerne selbst eine. Fragen dazu z. B. bei [email protected]

Diskutiere und unterzeichne mit deiner Gruppe/ Organisation/ Initiative das Positionspapier „System Change, not Climate Change!“ und verbreite es:www.systemchange-not-climatechange.at/aktiv-werden/positionspapier

„Like“ und verbreite die Klima-Face-book-Seite:https://www.facebook.com/systemchangenotclimatechange.A

Komme zur Veranstaltungs-reihe „Klimapolitik in der Sackgasse?“ oder sehe dir die Vorlesungs-Videos online an – 6. Oktober bis 26. Jänner jeden Dienstag von 18:30 – 20:00 Uhr, Hauptuniversität Wien (NIG, HS II). www.systemchange-not-climatechange.at/aktiv-werden/veranstaltungsreihe

Impressum Sustainable Austria 69a Medieninhaber, Herausgeber: SOL - Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil.1140 Wien, Penzinger Str. 18/2. DVR 0544485. ZVR Nr. 384533867.Redaktionsanschrift: 1100 Wien, Sapphogasse 20/[email protected], www.nachhaltig.atChefredaktion: Magdalena Heuwieser. Layout: Vera Besse, Valentin Heuwieser.Namentlich gezeichnete Artikel stellen die Meinung des Autors/der Autorin dar. Bildnachweis: Much Comics, S. 3, 5, 7.Druck: gugler* cross media, Melk.

Öfter NEIN sagen! Nein zu Braun-kohle-Extraktion. Nein zu sozial ungerechten Klimainstrumenten. Nein zu Rassismus. Nein zu falschen ‚grünen‘ Lösungen … und JA zu sozial-ökolo-gischen Transformationen!

Pilgere mit beim ökumenischen

Klimapilgerweg, 17. Oktober bis 8. November

2015 von Wien nach Salzburghttp://www.koo.at/

index.php?id=klimapilgern

Downloade oder bestelle Info-Material (Broschüren, Flyer, Sticker, …) und verbreite sie: www.systemchange-not-climatechange.at/infos

Unterzeichne und verbreite die Petitionen

gegen Klimawandel:www.systemchange-not-cli-

matechange.at/aktiv-werden/petition

http://www.wwf.at/de/klima-petition/

Beteilige dich am Markt der Alternativen (2./3. Oktober in Wien):http://alternatiba.at

Engagiere dich bei den neugegründeten Omas und

Opas gegen Klimawandel oder mache deine Eltern/ Großeltern

darauf aufmerksam: www.systemchange-not-

climatechange.at/aktiv-werden/omas-und-opas

Informiere dich über Termine und komme zu Veranstaltungen:www.systemchange-not-climatechange.at/termine

Trag dich im Klima-mobilisierungs-Mail-Verteiler

ein, komme zu Vernetzungstref-fen, organisiere selbst Treffen und Veranstaltungen in deiner Region und engagiere dich bei Aktionen:

www.systemchange-not-climatechange.at/

aktiv-werden/aktionen