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3 Armin F. Schwolgin / Egon H. Trump / Frank O. Bayer (Hrsg.) Management von Risiken in der Lieferketten April 2014 Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach Studiengang BWL-Spedition, Transport und Logistik

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Armin F. Schwolgin / Egon H. Trump / Frank O. Bayer (Hrsg.)

Management von Risiken in der Lieferketten

April 2014

Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach Studiengang BWL-Spedition, Transport und Logistik

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ........................................................................................................... 29

2 Ansatz der Parenteral Drug Association zum Risikomanagement .................... 30

2.1 Risk Assessment ........................................................................................ 33

2.2 Risk Control ................................................................................................. 38

2.3 Risk Review ................................................................................................. 41

2.3.1 Behandlung von Abweichungen ............................................................ 43

2.3.2 Beschwerdemanagement ..................................................................... 43

2.3.3 Audit ...................................................................................................... 44

2.3.4 Trendanalyse ........................................................................................ 44

2.4 Re-Assessment of Risk ............................................................................... 46

3 Ausblick ............................................................................................................. 46

Literaturverzeichnis .................................................................................................. 47

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Anforderungen an ein Risikomanagement in der

Pharmalogistik

Dr. Nicola Spiggelkötter

Geschäftsführerin / Inhaberin

Knowledge & Support

1 Einleitung

Pharmalogistiker sind Grenzgänger, denn die Pharmalogistik ist in zwei Welten

beheimatet: in der Pharmaindustrie und in der Logistik. Sie wird geprägt durch die

Bedingungen und Anforderungen, aber auch Praktiken beider Branchen. Gerade auf

der Seite der Logistik ist das oft herausfordernd: der pharmazeutische Hersteller ist

seiner GMP-/GDP-Compliance verpflichtet und der Transportdienstleister hat diese

umzusetzen und zu erfüllen. Die Etablierung und Aufrechterhaltung eines Qualitäts-

risikomanagementsystems, kurz Risikomanagements, ist dabei nur ein Aspekt, wenn

auch ein sehr gewichtiger, den wir nachfolgend betrachten.

Risikomanagement wird in vielen Wirtschaftszweigen und Branchen betrieben, stellt

doch das Abwägen von Risiken eine grundlegende unternehmerische Tätigkeit dar

(1). Jeder Unternehmer wägt Chancen und Risiken ab, bevor er eine Investition

tätigt, ein neues Projekt beginnt, oder eine Kundenbeziehung eingeht. Der Begriff

des Risikomanagements fand seine erste Anwendung in der Finanz- und

Versicherungswirtschaft. Eine systematische Übertragung und Anwendung auf das

pharmazeutische Umfeld erfolgte im Jahr 2005 durch die International Conference on

Harmonisation (ICH) mit der Veröffentlichung der ICH Leitlinie Q9 zum Qualitäts-

risikomanagement. Diese Leitlinie wurde von der Europäischen Kommission im März

2008 als Anhang 20 in den EU-GMP-Leitfaden (Good Manufacturing Practices)

aufgenommen. Als Grundsätze eines pharmazeutischen Qualitätsrisikomanagements

wird im Anhang 20 des EG-Leitfadens zur guten Herstellpraxis folgendes formuliert:

„Die Bewertung der Qualitätsrisiken sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen

beruhen und vor dem Hintergrund des Patientenschutzes gesehen werden und der

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Grad des Aufwands, der Formalitäten und der Dokumentation des Verfahrens zum

Qualitäts-Risikomanagement sollte der Risikostufe angemessen sein.“ (2).

Die Anforderungen an ein Risikomanagement in der Pharmalogistik können auch klar

aus der revidierten EU Good Distribution Guideline (GDP) abgeleitet werden: „Quality

risk management should ensure that the evaluation of risk to quality is based on

scientific knowledge and experience with the process […].“ (3). Nachfolgend stellen

wir einen Ansatz der Parenteral Drug Association (PDA) vor, der diesen Anfor-

derungen gerecht wird (4). Die PDA greift dabei Kernelemente eines ICH Q 9 -

Prozesses auf und integriert diese in ihr Konzept (5).

2 Ansatz der Parenteral Drug Association zum

Risikomanagement

Allgemein wird anerkannt, dass ein Risiko als eine Kombination aus der

Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens und dem Ausmaß des Schadens definiert

ist (siehe Abbildung 1). Das auf die Qualität von Arzneimitteln bezogene Risiko-

management hat das unumstößliche Ziel, einen substantiellen Beitrag zur

Arzneimittelsicherheit zu leisten, indem die Risiken von Arzneimitteln für den

Patienten verringert werden und zwar über die gesamte Supply Chain.

Abbildung 1: Bestimmungsgrößen der Risikoprioritätszahl (eigene Darstellung)

30

Als Beispiel für die Anwendung des geforderten risikobasierten Ansatzes dient uns

ein besonders kritisches Segment der Pharmalogistik - der Transport von

temperaturempfindlichen Arzneimitteln. Diese Auswahl erfolgt aus verschiedenen

Gründen: zum einen wird der Anteil an temperaturempfindlichen Arzneimitteln künftig

stark zunehmen, allein schon durch den wachsenden Anteil an Biosimilars und bio-

technologischen Produkten und zum anderen, weil gerade hier Abweichungen, ein

„Nicht-Einhalten“ von Temperaturkorridoren, fatale Konsequenzen haben kann. So

sind Insuline, die einmal gefroren waren, wirkungslos, was der Patient und Anwender

jedoch durch eine visuelle Kontrolle nicht feststellen kann. Hier ist es daher mehr als

angebracht, Risiken zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten, um diese letzt-

endlich zu verringern - somit eine fundierte Risikoanalyse im Rahmen des Qualitäts-

risikomanagements durchzuführen. Damit komplexe Prozesse wie Transportabläufe

analysiert werden können, erfolgt die Aufgliederung in vier Phasen:

Phase 1: Risk Assessment (Requirements)

Phase 2: Risk Control (Design, Qualification and Quality Management)

Phase 3: Risk Review (CAPA Management)

Phase 4: Re-Assessment of Risk (Change Control)

Abbildung 2: Qualitätsrisikomanagement und temperaturgeführte Logistik (eigene Darstellung)

Diese vier Phasen werden in dem Technical Report mit einem Risikomanagement-

prozess verknüpft (siehe Abbildung 2), der in Anlehnung an die ICH Q9 (Abbildung

3) erfolgt. Die grauen, oberen Felder skizzieren den ICH Q9 Prozess. Die Risiko-

beurteilung (risk assessment) findet hierbei in den 3 Stufen Risikoidentifizierung,

31

Risikoanalyse und Risikobeurteilung statt. Die Risikosteuerung (risk control) besteht

aus den Teilschritten Risikoreduzierung und Risikoakzeptanz. Darauf erfolgt die

Risikoüberwachung (risk review) und ggf. eine erneute Risikobeurteilung. Im

Folgenden werden nun die vier oben benannten Teilschritte näher erläutert.

Abbildung 3: Typischer Ablauf eines Risikoprozesses nach ICH Q9 (5)

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2.1 Risk Assessment

In der Phase des Risk Assessments erfolgt die Ausarbeitung und Festlegung der

Eckdaten und Erfordernisse für den temperaturgeführten Versand. Aus den

individuellen Produktanforderungen mit Lager-/Transportbedingungen, Haltbarkeit

und vorliegenden Stabilitätsdaten ergeben sich die Grundanforderungen. Diese

legen unumstößlich die Eckpunkte für den Transport fest. Bei den Lager- und

Transportbedingungen hat sich eine Gleichsetzung der Lager- mit der Transport-

temperatur durchgesetzt, die man auf den Nenner bringen kann: wie gelagert, so zu

transportieren. Abweichungen von dieser Grundregel kann der pharmazeutische

Versender definieren und zwar auf Grundlage der ihm hierzu vorliegenden

Stabilitätsdaten.

Danach wird der Frage nach den regulatorischen Anforderungen nachgegangen:

Was wird von Seiten der Good Distribution Practice, der Good Importation Practice

und weiteren Sicherheitsauflagen wie Gefahrgutverordnung und/oder TAPA Freight

Security Requirements (FSR) eingefordert (6)? Was besagen hausinterne Standards

zum Versand? Welche nationalen regulatorischen Bestimmungen müssen bedacht

werden (im Land des Versenders und des Empfängers)? Sobald produktspezifische

sowie regulatorische Erfordernisse ermittelt worden sind, können die eigentlichen

Anforderungen an den Transport abgeleitet werden. Dabei gilt es, einen um-

fänglichen Fragenkatalog zu berücksichtigen. Exemplarisch sind wesentliche Leit-

fragen in Tabelle 1 aufgeführt.

Diese Phase der Datenerhebung ist wesentlich, da sie letztendlich auch den Umfang

und die Tiefe der nachfolgenden Schritte bestimmt. Dies entspricht dem Risk

Assessment im Rahmen eines Risikomanagements in Anlehnung an ICH Q9: “Risk

assessment consists of the identification of hazards and the analysis and evaluation

of risks associated with exposure to those hazards (as defined below).” (7).

Die Phasen der Risikoidentifizierung, Risikoanalyse und Risikobewertung lassen sich

durch die folgenden Schlüsselfragen abbilden:

Welche Gefahren oder Risiken könnten eintreten?

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden eintritt?

Was sind dann die Folgen davon?

Wie steht es um die Erkennbarkeit?

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Leitfragen Checkpunkte

Welche Anforderungen stellt das Transportgut?

Konfektionierung & Versandvorbereitung

Versandkarton (Abmessung/Gewicht)

Palettierung (Abmessung/Gewicht)

Sondervorschriften für Stoss & Vibration

Feuchte / Temperatur

Welche Anforderungen stellt der Empfänger?

Haftungsfragen / Gefahrenübergang / INCOTERMS

Zeiten Warenannahme

Dokumentation / Nachweise / Informationsfluss

Warenannahmebeschränkungen (Auslastung Personal, Auslastung Laderampen)

Welche Anforderungen hat der Verlader zu erfüllen?

Transporttemperaturen (zu erwartende)

Transportdauer inkl. Versandvorbereitung, Verladung, Zwischenlagerung, Umschlag

Auswahl Transporteur (Qualität, Performance, Pharmaverständnis/-schulung)

Verlade-/Transportvolumen

Bedingungen Zwischenlagerung/Umschlag

Temperaturüberwachungssystem

Kommunikationsmanagement

Notfallmanagement

Technische Spezifikation Thermotruck (Qualifizierungsstatus, GPS, ATP)

Qualitätsvereinbarung

Servicevertrag

Bei passiven Thermoversandgebinden zusätzlich

• Spezifikation Thermogebinde

• „green logistics“

Tabelle 1: Leitfragen zur Erarbeitung eines Anforderungsprofils (eigene Darstellung)

34

Beim Transport von temperaturempfindlichen Produkten kommen beispielsweise die

folgenden Risiken ins Spiel:

Produktstabilität

Umgebungstemperatur während der Transporte (Sommer, Winter,

historische Daten wie zu erwartende Temperaturen)

Transportart (Luft, Land, See, Teilladung, Vollladung, Stückgut,

Kurierdienst)

Transportdauer

Primär-/Sekundär-/Umverpackung

Temperaturüberwachung

Qualität des Transportdienstleisters

Auswirkung von Produktschaden/-verlust und von Qualitätseinbußen

auf Patient

Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig, weitere Risiken, die die Produkt-

temperatur und/oder die Produktintegrität betreffen, kommen hinzu. Unter letztere

fällt die Untermischung von mutmaßlich gefälschten Arzneimitteln in die legale

Vertriebskette, ein Gesichtspunkt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Die Diversität der Risiken kann nur durch einen systemischen Ansatz identifiziert,

analysiert und evaluiert werden. In den nationalen wie internationalen Regelwerken

ist hier keine besondere Vorgehensweise fest vorgeschrieben. Die einmal gewählte

Vorgehensweise muss allerdings verstanden, geschult und dokumentiert sein.

Durchgesetzt hat sich dabei weitgehend die Failure Mode and Effects Analysis

(FMEA) (8). Die FMEA ist eine Methode, bei der identifizierte Fehler und deren

potenzielle Ursachen quantitativ beurteilt werden hinsichtlich der Faktoren:

Eintrittswahrscheinlichkeit (A)

Bedeutung des Fehlers (B)

Entdeckungswahrscheinlichkeit (E)

Besonders beim Beschwerdemanagement erfolgt die Analyse der Beschwerden seit

geraumer Zeit durch FMEA-Prozesse, wobei die Root-Cause-Analyse im Vorder-

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grund steht, was wir in unseren Ausführungen zu Phase 3 Risk Review und CAPA

vertiefend darstellen werden.

Bei der FMEA werden Risiken in Form von Zahlenwerten widergespiegelt, die sich

aus der Bewertung der genannten Bestimmungsgrößen ergeben (siehe Abbildung 1).

Die Multiplikation dieser drei Faktoren ergibt die Risikoprioritätszahl (RPZ).

Demgegenüber erfolgt beispielsweise bei der HACCP (Hazard Analysis and Critical

Control Points) die Bewertung des möglichen Risikos eher durch subjektive

Abschätzung, ob sich das Risiko unter Kontrolle befindet oder nicht und deshalb

eventuell zusätzliche Kontrollen und Maßnahmen notwendig werden. Bei der

Klassifizierung von Risiken gibt es unterschiedliche Ansätze, entweder ein

kompaktes System aus einer 3-stufigen Bewertung (tief, mittel, hoch) oder eine

Skalierung von 1 bis 10 oder höher. Je feingliedriger das angesetzte System ist,

umso schwieriger ist es allerdings oft auch, sich im Risikoteam auf eine Bewertung

zu einigen.

Die detaillierte Beschreibung der Transportroute bildet die Basis für die weiteren

Schritte. Dabei werden pro Segment die folgenden Teilschritte durchlaufen, wobei in

Teilschritten die FMEA-Methodik Anwendung findet:

1. Aufteilung der Transportrouten in Segmente und deren Beschreibung

2. Evaluierung der einzelnen Teilsegmente hinsichtlich: Schwere,

Eintrittswahrscheinlichkeit und Erkennbarkeit der Risiken

3. Durchführung der FMEA Analyse der Transporte unter worst case

Bedingungen

4. Berechnung der Risikoprioritätszahl (RPZ)

5. Ausarbeitung und Vorschlag von CAPA-Maßnahmen (korrigierende wie

präventive Maßnahmen)

6. Neuberechnung der Risikoprioritätszahl (RPZ)

Wir greifen exemplarisch den Prozessschritt Laderaumtemperatur bei aktiv tem-

perierten Fahrzeugen auf und veranschaulichen daran diese Schritte (Tabelle 2). Die

unter Punkt 14 berechnete Risikoprioritätszahl sollte unter der in Punkt 09

ausgewiesenen RPZ liegen, anderenfalls haben die getroffenen Maßnahmen, die zu

einer Risikoreduzierung führen sollten, nicht gegriffen und/oder wurden nicht richtig

umgesetzt und praktiziert.

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Nr. FMEA Schritt Kernfrage Beispielantwort

Prozessschritt

Welcher Prozessschritt erfolgt?

Überprüfung Laderaumtemperatur

1. Key Process Input Was beeinflusst den Prozess?

Temperaturlogger

2. Möglicher Fehler Welche Fehler können auftreten?

Ladegut der falschen Temperatur ausgesetzt

3. Auswirkungen Welche Auswirkungen kann dies haben?

Nicht erkannte Temperaturabweichungen

4. Schwere Wie ist die Schwere des Fehlers auf den Patienten einzustufen?

Hoch

5. Klassifizierung Welche Kategorie wird dem Fehler zugewiesen?

Kritisch

6. Eintrittswahrscheinlichkeit Wie ist die Eintrittswahrscheinlichkeit?

Mittel

7. Risikokontrolle Welche Kontrollverfahren sind etabliert?

SOP, Prozess-

beschreibung, Schulung

8. Erkennbarkeit Wie ist die Erkennbarkeit? Mittel

9. Risikoprioritätszahl (RPZ) Berechnung RPZ Wert

10 Vorschlag risikoreduzierender Maßnahmen

Welche Maßnahmen können zur Risikoreduzierung mit welchem Effekt eingeleitet werden?

Handling Temperaturlogger auf dafür besonders geschulte Mitarbeiter eingrenzen

11 Verantwortlichkeiten & Timeline

Wer ist verantwortlich für die Umsetzung und bis wann?

Transportdienstleister

12 Auswirkung der Veränderung

Wie wirkt sich die Veränderung aus?

Hoch

13 Erkennbarkeit Erkennbarkeit des Fehlers nach Veränderung?

Hoch

14 Neuberechnung RPZ Wie hat sich die RPZ verändert?

Wert

Tabelle 2: Prozessschritt Überprüfung Laderaumtemperatur bei aktiv temperierten Fahrzeugen (eigene Darstellung)

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2.2 Risk Control

Nachdem die Exposition von potentiellen Risiken erfasst ist, stellt sich in Phase 2 die

Frage, wie diese kontrolliert bzw. gesteuert werden können (Risk Control). Die

Risikosteuerung kann grundsätzlich auf vier unterschiedlichen Weisen erfolgen:

1. Risikovermeidung (durch Tourenwahl, Wahl der Transportart, Wahl der

Ausrüstung)

2. Risikominimierung (durch Schulung, Personalauswahl, Auswahl des

Transportdienstleisters)

3. Risikoakzeptanz (sollte allerdings nur für „Restrisiken Gültigkeit haben,

wie Naturgewalten und Aschewolken)

4. Risiken bzw. die Verantwortung darüber weitergeben (Beispiel:

vertragliche Weitergabe an einen Dienstleister, Temperaturdaten

auswerten)

Abzuwägen gilt es dabei stets zwischen den Kosten/Folgen, die durch den Verlust

des Produktes entstehen und den Kosten, die für eine Implementierung und

Aufrechterhaltung eines Qualitätssicherungssystems anfallen.

Risikosteuerung im Rahmen des ICH Q9-Ansatzes zielt auf die Reduzierung der

Risiken auf ein akzeptables Niveau ab. Auch an diesem Punkt spielt die Ange-

messenheit der Mittel eine tragende Rolle: “Risk control includes decision making to

reduce and/or accept risks. The purpose of risk control is to reduce the risk to an

acceptable level. The amount of effort used for risk control should be proportional to

the significance of the risk.” (9).

Das Design und die anschließende Qualifizierung von Einrichtungen (Lägern), sowie

Gegenständen (Fahrzeugen, Versandgebinden) sind neben dem Qualitätssiche-

rungssystem die zentralen Tools der Risikosteuerung. Ein Blick auf die

internationalen Guidelines zu den guten Vertriebspraktiken (GDP) zeigt ganz klar: der

Einsatz von qualifizierten Fahrzeugen ist darin fest verankert. Die Qualifizierung auch

von aktiven Großsystemen ist ebenfalls eine zentrale Anforderung der Arzneimittel-

und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) §7.5: „Die Verfahren für die

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Lagerung und den Transport sind schriftlich festzulegen. Soweit sie einen Einfluss

auf die Qualität der Ausgangsstoffe und Zwischenprodukte für die Arzneimittel-

herstellung oder für die Arzneimittel haben können, ist die Geeignetheit der

Verfahren nachzuweisen.“ (10).

Diese „Geeignetheit der Verfahren“ bedeutet im Pharmaumfeld nichts anderes als

eine Qualifizierung. Insofern sind Qualifizierungen und Risikokontrolle eng

miteinander verbunden. Die Forderung nach einer Qualifizierung erstreckt sich nicht

ausschließlich darauf, Einrichtungen und Gegenstände einzusetzen, sondern auch

auf Lieferanten und Dienstleister. Da Transportdienstleistungen im Pharmabereich

weitgehend an externe Dienstleister vergeben werden, ist hierbei eine detaillierte

Abstimmung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer erforderlich. Die Quali-

fizierung von Transportdienstleistern ist ein wesentlicher Punkt davon.

Als erste Orientierung zur Qualifizierung von Transporten dienen die in Tabelle 3

formulierten Leitfragen. Durch ein angemessenes Design und die Qualifizierung der

eingesetzten Läger, Thermoverpackungen, Temperaturüberwachung und Transport-

routen, aber auch deren Dienstleister und Transportdienstleister, kann die

Wahrscheinlichkeit von Transportschäden verringert werden. Dies kann allerdings

nur dann greifen, wenn die fraglichen Prozesse in ein umfassendes Qualitäts-

managementsystem eingebettet sind. Das Qualitätsmanagement und seine

Ausgestaltung ist ebenso eine tragende Säule der Risikokontrolle. Kernpunkte eines

so konzipierten Qualitätssicherungssystems sind die Beschreibung aller Prozesse in

Arbeitsanweisungen (Standard Operation Procedures) und deren Schulung,

Kontrolle und Evaluierung durch Schlüsselkennzahlen (Key Performance Indicators).

Die in Tabelle 4 aufgeführten Punkte könnten gleichfalls bei der Lieferanten-

qualifizierung eingesetzt werden, denn auch diese ist Teil der Risikosteuerung.

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Leitfragen Checkpunkte

Lager / Depot

Abmessungen Lager / Fassungsvermögen

Ausstattung (Hochregale, Kühlzellen, BTM Lager)

Qualifizierungsstatus (Sommer/Winter)

Volllast

Access Control / Pest Control/ Notfallpläne

Temperaturüberwachung/ Alarmierung

Dediziertes Pharmalager

Transportumgebung

(aktive oder passive Systeme)

Spezifikation des eingesetzten Systems

Maximale Beladung (Beladungsgrenzen)

Qualifizierungsstatus (Temperaturprofile)

Temperaturmonitoring (Intervall, Anzahl Temperaturfühler)

Temperaturüberwachung

Temperaturmonitoringstrategie

Kalibrierungsstatus

Temperaturüberwachung Einstellungen (Intervall, Grenzwerte, Alarmgebung)

Positionierung Temperaturfühler

United States Pharmacopeia (USP) 1118 Compliance

Datenbanken

Warenwirtschaftssystem/ Lagerverwaltungsprogramm

Übersicht Temperaturüberwachungssysteme und Temperaturdaten

Daten Temperaturabweichungen / Abweichungen

Zugriffsrechte / Benutzerprofile

Transportrouten

Destinationen/ Umschläge

Transportart (Kühllaster, Reefer, Envirotainer)

Saisonale Aspekte (Winter-/Sommer-Konfigurationen)

Schutzverpackungen Transportgut

Transportdauer

Auditierung / Qualifizierung Transportdienstleister

Qualitätsvereinbarung Transportdienstleister

Servicevereinbarung Kunde (inkl. INCOTERMS)

Tabelle 3: Leitfragen Phase 2 Risk Control (eigene Darstellung)

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Schwerpunkt Evaluierungspunkte

SOP

Abgrenzung der Verantwortlichkeiten und Aufgaben (Stellenbeschreibungen)

Warenannahme (Prüfpunkte, Prioritäten, Zurückweisungen)

Lagerung

Datenfluss /-verwaltung

Versandvorbereitung (pick & pack, Sommer-/Winterkonfiguration, Vortemperierung)

Umgang mit der Ware während des Transportes

Verhalten bei Abweichungen (CAPA)

Change Control

Versanddokumentation /-papiere

Schulungen Fahrerschulungen

Versandmitarbeiter

Disponenten und weitere am Prozess Beteiligte

Wartung

Kalibrierung der Messsysteme

Präventive Wartung der Gegenstände

Requalifizierungen

Management der Wartungen (Zeitinterval, Ergebnisse, Nachverfolgung der Reparaturen)

Key Performance Indicators

Temperaturüber-/unterschreitungen

Zurückgewiesene Ware

Fehlerhafte Exportdokumentation

Lieferpünktlichkeit

Beschwerden

Tabelle 4: Checkpunkte Qualitätsmanagement eines Transportdienstleisters (eigene Darstellung)

2.3 Risk Review

In der Phase 3 erfolgt die Überprüfung der eingeleiteten Maßnahmen. Dieser

Prozess wird folgendermaßen definiert: “Review or monitoring of output / results of

the risk management process considering (if appropriate) new knowledge and

experience about the risk.” (11).

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Eine regelmäßige Überprüfung der Prozesse, Annahmen und Qualifizierungen ist

eine Voraussetzung für ein greifendes Qualitätsrisikomanagement. Dieser Review-

prozess kann anlassbezogen eingeleitet werden, bei Transportvorfällen, Kunden-

beschwerden, festgestellten Abweichungen bei internen wie externen Audits sowie

bei Ergebnissen von Trendanalysen. Gerade aus realen Vorkommnissen im Rahmen

von Transporten können wichtige Erkenntnisse für die Anpassung der Prozesse und

der Implementierung von erforderlichen Präventivmaßnahmen generiert werden.

Hierin findet dann das grundlegende Prinzip der ICH Q9 aus Daten und

Informationen, Wissen und Erkenntnis zu generieren, seine erneute Bestätigung.

Diese Daten können reaktiv und proaktiv generiert werden. Tabelle 5 zeigt mögliche

Informationsquellen.

Proaktiv Evaluierungspunkte

• Key Performance Indicators

Benchmarking

Trendanalysen

Realdaten (Temperatur, GPS)

Reaktiv Evaluierungspunkte

• Auditberichte /Auditabweichungen / Management Reviews

Abweichungen

Beschwerden

CAPA-Maßnahmen

Risikoprioritätszahl (ursprüngliche)

Risikoprioritätszahl (revidierte nach Abschluss der eingeleiteten CAPA-Maßnahmen)

Transportvorfälle (inkl. Near Miss Events)

Tabelle 5: Informationsquellen (eigene Darstellung)

Ein CAPA-System (Corrective And Preventive Actions) ist längst integraler

Bestandteil eines jeden Qualitätssicherungssystems; dies gilt insbesondere für die

stark regulierte Pharmaindustrie (12). Der Fokus von CAPA liegt auf der syste-

matischen Untersuchung von Diskrepanzen (z.B. Ausfall und/oder Abweichungen)

und auf dem Versuch, das wiederholte Auftreten zu verhindern (corrective action),

oder das Auftreten bereits im Vorfeld zu vermeiden (preventive action). Zielführend

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erweist sich dabei, die erforderlichen CAPA-Maßnahmen strukturiert vier

Themenkomplexen zu zuordnen:

Behandlung von Abweichungen

Beschwerdemanagement

Ergebnisse von internen und externen Audits und

Trendanalysen

Ein CAPA-Verfahren ist einzuleiten, wenn Abweichungen festgestellt wurden,

Beschwerden eingegangen sind, Audits Abweichungen von den Sollvorgaben

aufgedeckt haben, oder Rückrufe eingeleitet werden mussten, um nur einige

exemplarisch anzuführen. Nun muss die Frage beantwortet werden, was exakt

darunter zu verstehen ist.

2.3.1 Behandlung von Abweichungen

Der Umgang mit Abweichungen erfolgt nach der klaren Ermittlung der Gründe, die

hierzu geführt haben. Diese Root-Cause-Analysis bringt immer wieder die Gefahr

von Oberflächlichkeit mit sich. Bei so manchen diesbezüglichen Analysen verbleibt

man leider an der Oberfläche oder erfasst eben nicht alle Faktoren und Umstände,

die für die Ermittlung einer Abweichung herangezogen werden sollten. Um dieser

Tendenz entgegen zu wirken, erweist es sich als hilfreich, auf systemische Tools der

Risikoanalyse zurückzugreifen (Fishbone, Fault Tree, FMEA). Der Einsatz entsprech-

ender Analysetools ist unverzichtbar, um der Anforderung nach Nachvollziehbarkeit

gerecht zu werden. Dies sind wichtige Aspekte, die von behördlichen aber auch

Kundeninspektionen eingefordert werden. Inspektionssicherheit in Bezug auf

Risikoanalysen bedeutet auch, dass die Risikoanalysen für Außenstehende

nachvollziehbar sein müssen.

2.3.2 Beschwerdemanagement

In der Behandlung von Beschwerden wurden CAPA-Verfahren zuerst eingesetzt. Die

Abarbeitung der unterschiedlichen Prozessschritte erfolgt dabei meist auf Basis eines

Flussdiagrammes (siehe Abbildung 4). Im Beschwerdemanagement wird beispiels-

weise unterschieden nach Beschwerden aufgrund von Temperaturabweichungen,

43

nicht termingerechter Belieferung, Lieferung in nicht abgemessener Anzahl,

Lieferung in nicht entsprechender Qualität (qualitätsbezogene Reklamationen), Bruch

der Ware, aber auch mutmaßlich gefälschter Ware. All diese Beschwerdekategorien

verlangen nach unterschiedlichen Vorgehensweisen. Dabei ist ein entsprechender

Entscheidungsbaum für die Vorgehensweise und Abarbeitung, aber auch für die

Nachweiserbringungspflicht sowie Dokumentation hilfreich.

2.3.3 Audit

Die Abarbeitung von Inspektionsmängeln erfolgt ebenso nach CAPA-Vorgaben. Dies

ist nicht nur im Pharmabereich übliche Praxis, auch bei IFS (International Food

Standard) Food Logistik Inspektionen oder ISO Selbstinspektionen gibt CAPA die

Struktur vor, insbesondere für die Überwachung der terminnahen Beseitigung der

entdeckten Mängel.

2.3.4 Trendanalyse

Trendanalysen geben wichtige Informationen über zentrale Leistungsparameter.

Diese werden nicht nur kontinuierlich erhoben, sondern werden auch hinsichtlich

ihrer Entwicklung ausgewertet. Das ist ein zentrales Tool zur Vermeidung von

Abweichungen und Fehlern. Hierbei geht man beispielsweise der folgenden Frage

nach: Wie wirken sich die Jahreszeiten auf die Häufigkeit und die Schwere von

Temperaturabweichungen aus? Sind im Winter mehr Vorfälle mit Temperatur-

unterschreitungen zu verzeichnen. Sollte dies der Fall sein, wäre beispielsweise die

Winterkonfiguration der passiven Thermogebinde zu verändern (Menge Kühlenergie

und/oder Konditionierung der Kühlelemente) oder bei Kühlfahrzeugen müsste die

Einstellung der Kühlmaschine verändert werden (Setpoint).

44

Intern festgestellte

Abweichung

Reklamation

Kunde

nein

ja

Ende

Analyse der Fehler-

ursache (Deviation/

CAPA Report)

Ergreifung

Sofort-

maßnahmen

Dokumentation der

durchgeführten

Maßnahmen

Berichterstattung an die

Geschäftsführung

Festlegung von

Korrekturmaßnahmen

Durchführung von

Korrekturmaßnahmen

Verifizierung der

Durchführung / ggf.

Vorbeugemaßnahmen

nein

ja

Wirksam?

Entscheidung ob

Information an Kunden

erfolgt

Handlungsbedarf/

Sofortmaßnahmen

Abbildung 4: Flowchart einzuleitende Korrekturmaßnahmen (mit freundlicher Genehmigung der Unitax Pharmalogistik / Berlin)

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2.4 Re-Assessment of Risk

Mit dem letzten und vierten Schritt Re-Assessment of Risk (Change Control) bzw.

Änderungsmanagement wird die abschließende Risk Assessment Phase eingeleitet.

Änderungen, die sich aus Schritt 3 ergaben, werden hier realisiert im Rahmen eines

Änderungsmanagements. Aber zuerst bedarf es einer genaueren Abgrenzung des

Begriffes Change Control. Allgemein versteht man darunter den Prozess, der das

Einführen von Änderungen steuert. Darunter ist aber ein formaler Prozess zu

verstehen, der im GxP-Umfeld dafür sorgt, dass alle Änderungen an Prozessen und

Gegenständen sowie Einrichtungen in der gesamten Prozesslandschaft des

Qualitätsmanagementsystems kommuniziert und umgesetzt werden. Letztendlich

haben alle GxP-relevanten Änderungen aufgrund eines formalen Freigabeprozesses

der zuständigen Quality Unit zu erfolgen. Auf logistische Belange übertragen wäre

beispielsweise der Einsatz eines anderen Transportdienstleisters eine GxP-relevante

Änderung. Der neue Dienstleister kann erst eingesetzt werden, wenn er den Status

„freigegebener“ Lieferant/Dienstleister erlangt hat, also nach einer erfolgreich

durchlaufenen Lieferantenqualifizierung.

3 Ausblick

Eine Risikoanalyse alleine ist noch kein funktionierendes Qualitätsrisikomanagement-

System. Zu einem Risikomanagement-Prozess wird die Risikoanalyse erst, wenn sie

mit den weiteren Elementen wie der Risikokommunikation verbunden wird. Die

Risikokommunikation findet periodisch oder aperiodisch, meist Anlass bezogen, statt.

Bei dem Umgang mit Risiken, deren Identifizierung, Analyse und Evaluierung, darf

der Einfluss von psychologischen Effekten nicht außer Acht gelassen werden:

Verdrängen und Ausblenden von Risiken. Dieses Verhalten tritt besonders dann auf,

wenn die Gefahr und die hiermit assoziierten Risiken über einen längeren Zeitraum

nicht in Form des auftretenden Negativereignisses wahrgenommen werden konnten.

Weiterhin wird vergessen, dass das Nichtauftreten eines Ereignisses auch ein

Ergebnis der statistischen Verteilung sein kann.

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Literaturverzeichnis

(1) Vgl. dazu den Beitrag von Schwolgin in diesem Band

(2) O.V.: Anlage 3 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverord-nung – AMWHV – vom 18. Juli 2008 (BAnz. S. 2798, Anhang 20 zum EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis, Qualitäts-Risikomanagement, S. 4

(3) Guidelines of 5 November 2013 on Good Distribution Practice of medicinal products for human use, 2013/C 343/01, §1.5 Quality Risk Management, S.3

(4) Vgl. o.V.: Parenteral Drug Association, PDA, Technical Report 58, Risk Management for Temperature Controlled Distribution, September 2012

(5) Vgl. o.V.: International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH), Harmonised Tripartite Quality Guideline, Quality Risk Management (Q9), Current Step 4 version dated 9 November 2005

(6) Vgl. dazu o.V.: Transported Asset and Protection Association: Standards, zitiert nach: http://www.tapaonline.org/standards

(7) O.V.: International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH), Harmonised Tripartite Quality Guideline, Quality Risk Management (Q9), Current Step 4 version dated 9 November 2005, S. 2

(8) Vgl. dazu z.B. Eberhardt, O.: Risikobeurteilung mit FMEA, Renningen 2012 sowie Mathe, R.: FMEA für das Supply Chain Management. Prozessrisiken frühzeitig erkennen und wirksam vermeiden mit Matrix-FMEA, Düsseldorf 2012

(9) O.V.: International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH), Harmonised Tripartite Quality Guideline, Quality Risk Management (Q9), Current Step 4 version dated 9 November 2005, S. 4

(10) O.V.: Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV), § 7.5, S. 8

(11)

O.V.: International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH), Harmonised Tripartite Quality Guideline, Quality Risk Management (Q9), Current Step 4 version dated 9 November 2005, S. 9

(12) Vgl. dazu Rodriguez-Pérez, J.: CAPA for the FDA-Regulated Industry, Milwaukee 2011

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