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Mangelbedingte Haftung und Regressansprüche im Verhältnis zwischen Hersteller, Händler, Werkunternehmer und Besteller Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil in Sachen Weber und Putz für den Werkunternehmer? von Prof. Dr. Florian Bien, Universität Würzburg A. Einleitung Anlass und Ausgangspunkt meiner heutigen Aus- führungen 1 1 Es handelt sich um das im Hinblick auf das aktuelle Urteil des BGH v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat-, BeckRS 2012, 24126 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) aktu- alisierte und (unter Mithilfe meines wiss. Mitarbeiters Ulrich Pfeffer) um Fußnoten ergänzte Manuskript meines Vortrags auf den Freiburger Baurechtstagen am 14. und 15.09.2012. ist das viel beachtete Urteil des EuGH vom 16.06.2011 in den verbundenen Rechtssa- chen Weber und Putz. 2 2 EuGH, Urteil v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09 und C-87/09 – (Gebr. Weber GmbH und Ingrid Putz), JZ 2011, 110 = BauR 2011, 1490. Besprechungen u.a. von Augenhofer/Appenzeller/ Holm, JuS 2011, 680; Bien, ZEuP 2012, 644; Dietrich/Szalai, DZWIR 2012, 319; Faust, JuS 2011, 744; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489; Harke, ZGS 2011, 536; Höpfner, JZ 2012, 473; Jaensch, NJW 2012, 1025; Kaiser, JZ 2011, 978; Lorenz, NJW 2011, 2241; Maultzsch, GPR 2011, 253; Popescu, BauR 2011, 1734; Purnhagen, EuZW 2011, 626; Rodemann/Schwen- ker, ZfBR 2011, 634; Schulte-Nölke, ZGS 2011, 289; Stöber, ZGS 2011, 346; Chr.A.Weber, ZGS 2011, 539. Der EuGH hat darin zum Umfang des in der Verbrauchsgüterkaufrechts- richtlinie gewährten Anspruchs des Verbraucher- käufers auf Nacherfüllung Stellung genommen. Der Nacherfüllungsanspruch umfasst danach auch den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der Ersatzsache. Beide Posten, Aus- und Einbau, spielen in der werkvertraglichen, speziell der baurechtlichen Pra- xis eine erhebliche Rolle. Ich will das Problem mit zwei kurzen Beispielsfällen illustrieren. I. Granulatfall und Fliesenfall als Beispiele Ich beginne mit dem aktuell vom BGH entschiede- nen Granulatfall 3 3 BGH, Urteil v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat, BeckRS 2012, 24126 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). : Die Werkunternehmerin kaufte bei einer Baustoff- händlerin Granulat eines polnischen Produzenten zur Herstellung von Kunstrasenplätzen. Auftragge- berin war eine Gemeinde. Nach dem Einbau stellte sich die Mangelhaftigkeit des Granulats heraus. Die Gemeinde verlangte von der Werkunterneh- merin den Austausch des Materials. Die Baustoff- händlerin beschränkte sich darauf, Ersatzgranulat zur Verfügung zu stellen, weigerte sich aber, den Ausbau des mangelhaften und den Einbau des Ersatzgranulats vorzunehmen. Für diese Arbeiten, die ein anderes Unternehmen durchführte, fielen Kosten in Höhe von gut 72 000,– an. Der zweite Fall ist eine leichte Abwandlung der vom EuGH diskutierten Rechtssache Wittmer gegen Gebr. Weber (sog. Fliesenfall) 4 4 EuGH, Urteil v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09 und C-87/09 –, JZ 2011, 110 = BauR 2011, 1490; BGH, Urteil v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08 –, JZ 2012, 468 = BauR 2012, 793. : Es sei unterstellt, der Bauherr Wittmer habe die streitgegenständlichen, durch feine Mikroschleif- spuren in ihrem Erscheinungsbild beeinträchtigten Bodenfliesen nicht selbst im Baumarkt erworben, vielmehr habe der vom Bauherrn beauftragte Werkunternehmer, der Fliesenleger, die Fliesen gekauft. Verantwortlich für die Mikroschleifspuren ist wie im Granulatfall der Hersteller. Gemeinde und Bauherr können vom beauftragten Unternehmer gemäß §§633, 634 Nr. 1, 635 BGB Nacherfüllung verlangen. Diese verschuldensunab- hängige Gewährschaftshaftung des Werkunterneh- mers umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs u.a. die Entfernung der mangel- haften, Lieferung einer mangelfreien Ersatzsache sowie deren Einbau. 5 5 Z.B. BGH, Urteil v. 07.11.1985 – VII ZR 270/83 –, BGHZ 96, 221 = NJW 1986, 922 = BauR 1986, 211. Ich will hier der Frage nachge- hen, welche Ansprüche dem gewährleistungspflichti- gen Werkunternehmer gegen den Händler bzw. andere vorgelagerte Glieder der Absatzkette, insbe- sondere den letztverantwortlichen Hersteller zuste- hen und unter welchen Voraussetzungen sie geltend gemacht werden können. agenta Aufsätze Bien · Mangelbedingte Haftung und Regressansprüche im Verhältnis zwischen ... BauR 2a · 2013 341

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Mangelbedingte Haftung und Regressansprüche imVerhältnis zwischen Hersteller, Händler,Werkunternehmer und BestellerKonsequenzen aus dem EuGH-Urteil in Sachen Weber und Putz für denWerkunternehmer?von Prof. Dr. Florian Bien, Universität Würzburg

A. EinleitungAnlass und Ausgangspunkt meiner heutigen Aus-führungen1

1 Es handelt sich um das im Hinblick auf das aktuelle Urteil desBGH v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat-, BeckRS2012, 24126 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) aktu-alisierte und (unter Mithilfe meines wiss. Mitarbeiters UlrichPfeffer) um Fußnoten ergänzte Manuskript meines Vortrags aufden Freiburger Baurechtstagen am 14. und 15.09.2012.

ist das viel beachtete Urteil des EuGHvom 16.06.2011 in den verbundenen Rechtssa-chen Weber und Putz.2

2 EuGH, Urteil v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09 und C-87/09 –(Gebr. Weber GmbH und Ingrid Putz), JZ 2011, 110 = BauR2011, 1490. Besprechungen u.a. von Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011, 680; Bien, ZEuP 2012, 644; Dietrich/Szalai,DZWIR 2012, 319; Faust, JuS 2011, 744; Greiner/Benedix,ZGS 2011, 489; Harke, ZGS 2011, 536; Höpfner, JZ 2012,473; Jaensch, NJW 2012, 1025; Kaiser, JZ 2011, 978; Lorenz,NJW 2011, 2241; Maultzsch, GPR 2011, 253; Popescu, BauR2011, 1734; Purnhagen, EuZW 2011, 626; Rodemann/Schwen-ker, ZfBR 2011, 634; Schulte-Nölke, ZGS 2011, 289; Stöber,ZGS 2011, 346; Chr.A.Weber, ZGS 2011, 539.

Der EuGH hat darin zumUmfang des in der Verbrauchsgüterkaufrechts-richtlinie gewährten Anspruchs des Verbraucher-käufers auf Nacherfüllung Stellung genommen.Der Nacherfüllungsanspruch umfasst danach auchden Ausbau der mangelhaften und den Einbau derErsatzsache.

Beide Posten, Aus- und Einbau, spielen in derwerkvertraglichen, speziell der baurechtlichen Pra-xis eine erhebliche Rolle. Ich will das Problem mitzwei kurzen Beispielsfällen illustrieren.

I. Granulatfall und Fliesenfall als BeispieleIch beginne mit dem aktuell vom BGH entschiede-nen Granulatfall3

3 BGH, Urteil v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat, BeckRS2012, 24126 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

:

Die Werkunternehmerin kaufte bei einer Baustoff-händlerin Granulat eines polnischen Produzentenzur Herstellung von Kunstrasenplätzen. Auftragge-berin war eine Gemeinde. Nach dem Einbau stelltesich die Mangelhaftigkeit des Granulats heraus.Die Gemeinde verlangte von der Werkunterneh-merin den Austausch des Materials. Die Baustoff-händlerin beschränkte sich darauf, Ersatzgranulatzur Verfügung zu stellen, weigerte sich aber, denAusbau des mangelhaften und den Einbau desErsatzgranulats vorzunehmen. Für diese Arbeiten,die ein anderes Unternehmen durchführte, fielenKosten in Höhe von gut 72 000,– a an.

Der zweite Fall ist eine leichte Abwandlung dervom EuGH diskutierten Rechtssache Wittmergegen Gebr. Weber (sog. Fliesenfall)4

4 EuGH, Urteil v. 16.06.2011 – Rs. C-65/09 und C-87/09 –, JZ2011, 110 = BauR 2011, 1490; BGH, Urteil v. 21.12.2011 –VIII ZR 70/08 –, JZ 2012, 468 = BauR 2012, 793.

:

Es sei unterstellt, der Bauherr Wittmer habe diestreitgegenständlichen, durch feine Mikroschleif-spuren in ihrem Erscheinungsbild beeinträchtigten

Bodenfliesen nicht selbst im Baumarkt erworben,vielmehr habe der vom Bauherrn beauftragteWerkunternehmer, der Fliesenleger, die Fliesengekauft. Verantwortlich für die Mikroschleifspurenist wie im Granulatfall der Hersteller.

Gemeinde und Bauherr können vom beauftragtenUnternehmer gemäß §§ 633, 634 Nr. 1, 635 BGBNacherfüllung verlangen. Diese verschuldensunab-hängige Gewährschaftshaftung des Werkunterneh-mers umfasst nach ständiger Rechtsprechung desBundesgerichtshofs u.a. die Entfernung der mangel-haften, Lieferung einer mangelfreien Ersatzsachesowie deren Einbau.5

5 Z.B. BGH, Urteil v. 07.11.1985 – VII ZR 270/83 –, BGHZ 96,221 = NJW 1986, 922 = BauR 1986, 211.

Ich will hier der Frage nachge-hen,welcheAnsprüchedemgewährleistungspflichti-gen Werkunternehmer gegen den Händler bzw.andere vorgelagerte Glieder der Absatzkette, insbe-sondere den letztverantwortlichen Hersteller zuste-hen und unter welchen Voraussetzungen sie geltendgemacht werden können.

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II. Drei LösungsvariantenHier sind im Wesentlichen drei Antworten mög-lich. Erstens: Man verneint jeden Anspruch desKäufers auf Vornahme des Aus- und Einbaus bzw.Übernahme der entsprechenden Kosten. DerKäufer resp. Werkunternehmer bleibt dann aufseinem Haftungsschaden sitzen. Zweitens: Mangewährt dem Käufer einen Schadensersatzan-spruch. Als Anspruchsgegner kommen der Ver-käufer selbst oder der eigentlich verantwortlicheHersteller in Betracht. Drittens: Man gewährtdem Unternehmerkäufer in Fortführung der vomEuGH im Fall Weber und Putz gefundenenLösung einen Anspruch gegen den Verkäufer aufVornahme des Aus- und Einbaus bzw. Über-nahme der entsprechenden Kosten im Rahmendes § 439 BGB.6

6 Hingewiesen sei ferner auf den Vorschlag von Harke, ZGS2011, 536 ff., der dem (Verbraucher-)Käufer hinsichtlich derAus- und Einbaukosten einen Aufwendungsersatzanspruchnach dem Vorbild von § 478 Abs. 2 BGB gewähren möchte.

Die zuerst genannte Lösung ist nach deutschemRecht bis heute Standard. In Fällen wie den ein-gangs geschilderten stellte und stellt sich für denKäufer das Problem, dass ihm der Verkäufer entge-genhalten kann, ihn treffe mangels Untersuchungs-pflicht kein Verschulden an dem Mangel und dendadurch verursachten Schäden. Der Verkäufer hatlediglich den Mangelschaden selbst zu ersetzen.Mangels Reparaturmöglichkeit beschränkt sich inden beiden Beispielsfällen der Nacherfüllungsan-spruch danach zunächst einmal auf die Lieferungder Ersatzsache (§439 Abs.1 Alt.2 BGB).

Auch der Hersteller, der in den hier interessieren-den Fällen für den Mangel ja eigentlich verantwort-lich ist, haftet dem Werkunternehmer mangelsunmittelbarer Vertragsbeziehung nicht aus § 280Abs. 1 BGB. In Betracht kommt allenfalls einedeliktische Verantwortlichkeit. Sie richtet sich, vonAusnahmen abgesehen, nach § 823 Abs. 1 BGB.Das schließt den Ersatz reiner Vermögensschädengrundsätzlich aus. Dazu gehören insbesondere dievorliegend interessierenden Kosten des Aus- unddes Einbaus.

III. Das EuGH-Urteil Weber und Putz alsAnlass für eine erneute Beschäftigung mitder Frage der Allokation zusätzlicher Aus-und EinbaukostenDas erwähnte EuGH-Urteil Weber und Putz vom16.06.2011 hat erneut den Anstoß gegeben, überdie Frage der Risikoverteilung betreffend Aus- undfrustrierte Einbaukosten nachzudenken.7

7 Siehe nur die vorangegangenen Entscheidungen des BGH,Urteil v. 14.05.1974 – VI ZR 48/73 – Prüfzeichen, NJW 1974,1503 (Ansprüche gegen Hersteller der mangelhaften Bauteile)und Urteil v. 09.03.1983 – VIII ZR 11/82 – Dachziegel,BGHZ 87, 103 (Ansprüche gegen Verkäufer der mangelhaftenBaustoffe).

Nach der

für die deutschen Gerichte verbindlichen Interpre-tation der entsprechenden Richtlinien-Bestim-mung8

8 Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimm-ten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien fürVerbrauchsgüter, ABl.1999 L 171/12.

durch den EuGH gilt: Der Ausbau der man-gelhaften und der Einbau der Ersatzsache sind vondem Anspruch auf Nacherfüllung wie er in derRichtlinie über den Verbrauchsgüterkauf definiertist umfasst. Der für das Kaufrecht zuständigeVIII. Zivilsenat des BGH unterschied in seinemabschließenden Urteil vom 21.12.2011 – damals9

9 Mittlerweile hat der BGH, Urteil v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat, 1.Leitsatz, letztlich in einem obiter dictum, dieNacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache“richtlinienkonform dahingehend ausgelegt, dass sie auch denEinbau der Ersatzsache umfasst.

nur betreffend die Ausbaukosten – zwischen Ver-brauchsgüterkaufverträgen einerseits und sonsti-gen Kaufverträgen andererseits nicht und übertrugdas vom EuGH vorgegebene weite Verständnis desBegriffs Nacherfüllung auf das deutsche Recht.10

10 Siehe BGH, Urteil v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08 –, JZ 2012,468 = BauR 2012, 793, Tz.52.

Betreffend den Unverhältnismäßigkeitseinwand(§439 Abs. 3 BGB) differenzierte der Senat hinge-gen sorgfältig zwischen B2B-Geschäften einerseitsund B2C-Geschäften andererseits und beschränktedie teleologische Reduktion der Norm explizit aufVerbrauchsgüterkaufverträge (B2C).11

11 BGH, Urteil v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08 –, JZ 2012, 468 =BauR 2012, 793, Tz. 35.

Viele Autoren plädierten in der Folge für eineÜbertragung der unionsrechtlich vorgegebenenAuslegung der Nacherfüllung im Verbrauchsgüter-kauf auf den B2B-Bereich und damit eine Gleich-behandlung von Kaufverträgen zwischen zwei

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Unternehmern einerseits und Verbrauchsgüter-kaufverträgen andererseits.12

12 Z.B. Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011 680, 684; Diet-rich/Szalai, DZWIR 2012, 319, 324; Höpfner, JZ 473, 475;Faust, JuS 2011, 744, 748; Jaensch, NJW 2012, 1025, 1027;Rodemann/Schwenker, ZfBR 2011, 634, 639; Stöber, ZGS2011, 346, 352.Der BGH hat diesem Lösungsweg in seinem Urteil v.17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat, zwischenzeitlich eineAbsage erteilt: Die „richtlinienkonforme Auslegung des§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist auf den Verbrauchsgüterkauf(§ 474 BGB) beschränkt und erstreckt sich nicht auf Kaufver-träge zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern.“(2.Leitsatz). Gegen eine Anwendung auf den B2B-Bereich u.a.auch schon S. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244; Maultzsch,GPR 2011, 253, 257. Weitere Nachweise bei BGH, a.a.O.,Tz. 17. Auch das Bundesjustizministerium will die Umsetzungder Vorgaben des EuGH auf Verbrauchsgüterkaufverträgebeschränken. Das folgt aus dem Vorschlag eines neuen§ 474a BGB sowie der entsprechenden Begründung in demReferentenentwurf eines Gesetzes u.a. zur Änderung des Ver-brauchsgüterkaufrechts vom 19.09.2012. Der Entwurf istabrufbar auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums mitBearbeitungsstand 19.09.2012) unter http://www.bmj.de/Sha-redDocs/Downloads/DE/pdfs/RefE_Umsetzung_Verbrau-cherrechterichtlinie.pdf?__blob=publicationFile (14.12.2012).Dazu auch MünchKomm.-H. P. Westermann, BGB, 2012,§439, Online-Aktualisierung vom 10.12.2012 zu Rdnr.14.

B. Internalisierung der Schadensvermei-dungskosten beim HerstellerErste These: Aus ökonomischer Sicht ist die Haf-tung des Herstellers für sämtliche adäquat kausalverursachten Schäden des Käufers vorzugswürdig.Sie darf nicht allein daran scheitern, dass der Her-steller seine Produkte nicht selbst, sondern übereinen Händler vertreibt.13

13 Zu dieser Konstruktion rät konsequenterweise die Praxis, siehenur Rothermel, GWR 2012, 527: „Händler meiden nach denvorgenannten Überlegungen ihre Haftung, indem sie über Zwi-schenhändler distribuieren, weil dann die verschuldensabhän-gige Haftung bereits in der Vertriebskette steckenbleibt.“

Technisch-dogmatischkommt für solche Haftung, wohlgemerkt: des Her-stellers!, sowohl ein die Absatzkette überspringen-der Direktanspruch des Käufers als auch eine nurmittelbare Haftung im Wege des Händlerregressesin Betracht. Erlauben Sie mir, hinsichtlich der öko-nomischen Analyse auf meinen Beitrag im jüngstenHeft der ZEuP14

14 ZEuP 2012, 644, 656-662. Dort auch Auseinandersetzung mitder gegenteiligen Auffassung von Lorenz, NJW 2011, 2241,2243, und Maultzsch, GPR 2011, 253, 256.

zu verweisen. Ich beschränkemich hier auf den Hinweis, dass regelmäßig derHersteller, nicht der Letztkäufer den zu erwarten-den Schaden mit den geringsten Kosten vermeidenkann, der Hersteller mit anderen Worten cheapestcost avoider ist.

Hingewiesen sei aber noch unter dem Gesichts-punkt der Kohärenz auf Folgendes: Erhielte derKäufer Aus- und Einbaukosten sowie weitere durchden Mangel adäquat kausal verursachte reine Ver-mögensschäden nicht ersetzt, drohte ein Wertungs-widerspruch zur Behandlung anderer Mangelschä-den.15

15 Darauf weist Harke, ZGS 2011, 536, 537 f., hin.

Für reine Vermögensschäden in Form desMangelschadens selbst haftet der Verkäufer ver-schuldensunabhängig auf Nacherfüllung (undkann regelmäßig bei den vorgelagerten Gliedernder Vertriebskette Regress nehmen). Für Mangel-folgeschäden an absolut geschützten Rechtsgüternhat der Hersteller unmittelbar nach § 823Abs.1 BGB einzustehen. Dabei geht die Rechtspre-chung in den Weiterfresserfällen sogar so weit,Schäden an der Kaufsache selbst unter den Schutzdes Deliktsrechts zu stellen.

C. Kritik an der NacherfüllungslösungIm Folgenden will ich der Frage nachgehen, wie sichdie von Teilen der Literatur empfohlene16

16 Siehe die Nachweise oben in Fußn.12.

Verallge-meinerung der vom EuGH vorgenommenen richtli-nienkonformen Auslegung von § 439 Abs. 1 BGBauf die Position des Werkunternehmers auswirkenwürde. Seine Stellung unterscheidet sich von derje-nigen des Verbraucherkäufers, über die in den FällenWeber und Putz gestritten wurde, nicht unerheb-

lich. In den eingangs geschilderten Beispielen über-nimmt er einerseits die Rolle des Käufers der man-gelhaften, nicht vom Händler hergestellten Bauma-terialien, andererseits ist er als Werkunternehmergegenüber dem Besteller, etwa dem Bauherrn,umfassend gewährleistungspflichtig.

I. Kein Ersatzanspruch für sonstige reineVermögensschädenIch komme zu meiner zweiten These: Aus- undEinbaukosten decken nur einen Teil des größerenProblems der Haftung für und der Kompensationvon reinen Vermögensschäden in der Absatzketteab. Sonstige reine Vermögensschäden wären vomAnspruch des Käufers gegen den Verkäufer aufAus- und Einbau von vornherein nicht abge-deckt.17

17 Insoweit vermag der von Harke (Fußn. 6) vorgeschlagene Auf-wendungsersatzanspruch analog § 478 Abs. 2 BGB den vonihm zutreffend beklagten Wertungswiderspruch (Fußn. 15)lediglich abzumildern, nicht aber gänzlich zu beseitigen.

Zu nennen sind insbesondere Nutzungs-

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ausfallschäden. Ein Beispiel ist der von MatthiasWeller18

18 GPR 2012, 173.

kürzlich berichtete englische Fall Smith v.Johnson19

19 16 Times Law Rep. [1899], 179, zit. nach Weller, GPR 2012,173, 175 Fußn.28.

aus dem Jahr 1899. Hier hatte mangel-hafter Mörtel den Abriss eines neu errichtetenHauses und seinen anschließenden Wiederaufbauerforderlich gemacht. Der Käufer des mangelhaf-ten Mörtels machte (vor dem High Court erfolg-reich) nicht nur sämtliche mit dem Abriss und demNeubau verbundenen Kosten, sondern auch dieentgangenen Mieteinnahmen als zu ersetzendenSchaden geltend.20

20 Hintergrund ist das englische Konzept einer verschul-densun-abhängigen Schadensersatzhaftung (strict liability) des Verkäu-fers; vgl. Peel, in: Treitel, The Law of Contract, 2007, S. 839,Rdnr.17-065; Smith, Atiyah‘s Introduction to the Law of Con-tract, 2005, S.167f.

Mindestens letztere, die Miet-einnahmen, sind nach derzeitigem Stand des deut-schen Rechts mangels Vertretenmüssens des Händ-lers nicht zu ersetzen.21

21 Wegen §439 Abs.3 BGB gilt das wohl auch für die Kosten desAbrisses und des Neubaus des Hauses (s.u.).

Das EuGH-Urteil Weberund Putz ändert daran nicht einmal für den Bereichder Verbrauchsgüterkaufverträge etwas. Hinsicht-lich Nutzungsausfallschäden verbleibt eine emp-findliche Haftungslücke bestehen.

II. Leerlaufen des Regressanspruchs desWerkunternehmers wegen der in §439Abs.3 BGB dem Händler eröffneten Einrededer UnverhältnismäßigkeitDritte These: Insbesondere im B2B-Bereich wärennicht einmal die Aus- und Einbaukosten mit dervon EuGH und BGH für den Verbrauchsgüter-kaufvertrag gefundenen Lösung ausreichend abge-deckt. Dem Händler steht gegenüber dem Unter-nehmer nämlich die Einrede der Unverhältnismä-ßigkeit gemäß §439 Abs.3 BGB zu. Danach kannder Händler die Nacherfüllung verweigern, wennsie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglichist verglichen mit dem Wert der Sache in mangel-freiem Zustand sowie der Bedeutung des Mangels.In dem vom BGH endgültig entschiedenen Flie-senfall Wittmer gegen Gebr. Weber war dieseGrenze bereits überschritten. Dem Materialwerti.H.v. knapp 1200,– a standen ca. 5000,– a anKosten für den Aus- und Einbau gegenüber.22

22 BGH, Beschluss v. 14.01.2009 – VIII ZR 70/08 –, JZ 2009,310 = BauR 2009, 812, Tz.1.

Hinzu kam, dass die Fliesen lediglich (geringfü-gige) optische Mängel aufwiesen, ihre Funktionhingegen nicht beeinträchtigt war. Überträgt mandas auf meine eingangs geschilderte Abwandlungdes Falls, stellt sich die Situation folgendermaßendar: Der Fliesenleger ist im Rahmen der werkver-traglichen Nacherfüllungspflicht zum vollständi-gen Austausch der Fliesen verpflichtet. Unterstellt,ihm stünde ein Regressanspruch a la Weber undPutz gegen den Händler zu, könnte dieser sich aufdie Einrede des § 439 Abs. 3 BGB berufen. Eine

Beteiligung des Händlers an den Kosten des Aus-und des erneuten Einbaus könnte der Fliesenlegernicht erreichen.23

23 Gegenüber Verbrauchern hat der Händler diese Einrede nachdem Urteil des EuGH nicht, er kann den Verbraucherkäuferunter denselben Bedingungen (§ 439 Abs. 3 BGB) aber miteinem „angemessenen Beitrag zu den Kosten des Aus- und Ein-baus“ abspeisen. In den Worten des EuGH (Urteil v.16.06.2011 – Rs. C-65/09 und C-87/09 –, JZ 2011, 110 =BauR 2011, 1490, 2. Leitsatz) sind Maßstab einerseits der„Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäßwäre“, und andererseits die „Bedeutung der Vertragswidrig-keit“. Zusätzlich ist nach dem Urteil des EuGH, a.a.O.,Rdnr.76, zu beachten, dass das Recht des Verbrauchers auf Kos-tenerstattung in der Praxis nicht ausgehöhlt wird.

Ihm stünde auch weiterhin nurder Anspruch auf Lieferung mangelfreier Fliesenzu.

III. Leerlaufen des Nacherfüllungsanspruchsin Fällen der persönlichen Leistungspflichtdes WerkunternehmersVierte These: Das Leerlaufen eines etwaigen, demWerkunternehmer zustehenden Nacherfüllungs-anspruchs gemäß § 439 Abs. 1 BGB in den hierinteressierenden Konstellationen24

24 Ich würde von heterogenen Absatzketten mit einem Werkunter-nehmer als vorletztem Glied sprechen.

drohte auchunterhalb der Schwelle des § 439 Abs. 3 BGB. ZuDenken ist an Fälle, in denen der Besteller daraufbesteht, dass der Werkunternehmer die gemäߧ 635 BGB geschuldete Nacherfüllung selbst vor-nimmt. Das kann er, wenn der Werkunternehmerzu persönlicher Leistung verpflichtet ist, also ohneZustimmung des Bestellers keine Subunternehmereinschalten darf. Ob das der Fall ist, lässt sich pau-schal nicht sagen. Entscheidend ist die Vereinba-rung zwischen den Parteien. Soweit sich die Par-teien auf die Geltung der VOB/B geeinigt haben,bedarf der Werkunternehmer für die Einschaltungvon Subunternehmern25

25 Die VOB/B spricht hier von „Nachunternehmern“.

grundsätzlich der schrift-lichen Zustimmung des Auftraggebers. Das folgtaus §4 Abs.8 Nr.1 VOB/B. Im Übrigen gilt es, den

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Vertrag auszulegen.26

26 Im Dienstvertragsrecht findet sich mit §613 BGB eine entspre-chende Auslegungsregel. Im Werkvertragsrecht dürfte diePflicht zur persönlichen Leistungserbringung hingegen eher dieAusnahme sein, vgl. MünchKomm.-Busche, BGB, 2012, §631Rdnr. 71; von Rintelen, in: Messerschmidt/Voit, Privates Bau-recht, 2012, §631 Rdnr.88.

Hat sich der Besteller auf-grund von Referenzwerken dafür entschieden,einen bestimmten Unternehmer zu beauftragen,könnte das etwa für die persönliche Verpflichtungdes Werkunternehmers sprechen.27

27 Vgl. MünchKomm.-Busche, BGB, 2012, §631 Rdnr.71. Aberauch außerhalb der Pflicht des Werkunternehmers zur persönli-chen Leistungserbringung dürfte es gewisse Mindestanforde-rungen geben, die der Besteller an die Qualifikation des vomWerkunternehmer eingeschalteten Subunternehmers stellendarf. Eine Parallelität mit entsprechenden Ansprüchen, die derWerkunternehmer an die Qualifikation der vom Händler fürden Aus- und Einbau eingeschalteten Arbeiter stellen dürfte, istnicht sicher. Damit drohte ein Leerlauf des Werkunternehmer-regresses selbst in Fällen, in denen er gegenüber dem Bestellernicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist.

Gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Bestellerberechtigterweise auf einer Leistung durch denbeauftragten Werkunternehmer selbst besteht,dürfte der etwaige Regress des Werkunternehmersgegen den Händler häufig daran scheitern, dass die-ser gerade nicht zur Kostenübernahme verpflichtetist. Hinsichtlich der Art und Weise der Erfüllungdes Nacherfüllungsanspruchs hat der BGH in sei-nem Urteil vom 21.12.2011 dem Händler viel-mehr ein Wahlrecht eingeräumt. Er kann den Aus-(und Einbau) entweder selbst vornehmen oder diedafür anfallenden Kosten übernehmen.28

28 BGH, Urteil v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08 –, JZ 2012, 468 =BauR 2012, 793, Tz.27.

DerHändler könnte daher einwenden, der Werkunter-nehmer habe ihm die Nacherfüllung durch Selbst-vornahme unmöglich gemacht.

IV. Erfordernis einer Abstimmungslawinemit den vorgeschalteten Gliedern der Ver-triebsketteNebenbei hätte das dem Verkäufer vom BGH zuge-standene Wahlrecht die Konsequenz, dass derjeweils zur Nacherfüllung Verpflichtete gut beratenwäre, vor Übernahme der Kosten des Aus- und Ein-baus bei dem in der Absatzkette vor ihm stehendenKettenglied nachzufragen, ob dieses ebenfalls bereitist, die Kosten zu erstatten. Andernfalls drohte wie-derum die Gefahr, dass ihm von seinem Regress-gegner vorgehalten wird, die Nacherfüllung innatura sei ihm unmöglich gemacht worden.

V. ZwischenergebnisAls Zwischenergebnis ist festzuhalten: Der vomEuGH gewiesene und vom BGH für den Ver-brauchsgüterkauf ins deutsche Recht umgesetzteLösungsweg betreffend den Ersatz von Aus- undEinbaukosten vermöchte insbesondere für das Ver-hältnis zwischen Werkunternehmer und Baustoff-händler kaum zu befriedigen. Ich erinnere nocheinmal an die identifizierten Probleme:1. Aus- und Einbaukosten sind nur ein Teil der

denkbaren reinen Vermögensschäden aufgrundLieferung einer mangelhaften Kaufsache. Auchvon einem weit verstandenen Anspruch aufNacherfüllung nicht erfasst sind insbesondere

Nutzungsausfallschäden wie etwa die Mietaus-fälle im oben erwähnten Fall Smith v. Johnson.

2. Auch hinsichtlich der Aus- und Einbaukostendrohte häufig ein Leerlaufen des erweitertenNacherfüllungsanspruchs. Grund ist in ersterLinie das dem Verkäufer in § 439 Abs. 3 BGBgewährte Verweigerungsrecht im Fall der Unver-hältnismäßigkeit.

3. Wirkungslos bliebe der Anspruch auf Nacherfül-lung auch dann, wenn der Besteller auf persönli-cher Leistungserfüllung durch den beauftragtenWerkunternehmer bestehen kann. Hier könnteder Händler dem Werkunternehmer entgegen-halten, dieser habe durch Selbstvornahme diegemäß § 439 Abs.1 BGB eigentlich geschuldeteNacherfüllung unmöglich gemacht.

D. Kohärente Lösung der identifiziertenProbleme durch Gewährung eines echtenSchadensersatzanspruchs des KäufersFünfte These: Zur Lösung der genannten Pro-bleme bietet sich ein Schadensersatzanspruch desgeschädigten Käufers (hier: des Werkunterneh-mers) an.29

29 Für solche Lösung tritt auch Chr. A. Weber, ZGS 2011, 539,541, ein. Er nimmt einen „unionsrechtlich modifizierten Haf-tungsmaßstab“ an und verzichtet daher auf die Anwendung von§278 BGB.

Er richtet sich entweder gegen denHändler oder direkt gegen den letztverantwortli-chen Hersteller. Mindestens ersteres, eine verschul-densunabhängige Haftung des Verkäufers, scheintauch ein verbreiteter europäischer Standard zu sein.Diesen Nachweis hat jüngst Weller30

30 GPR 2012, 173.

in dem bereitserwähnten Aufsatz geführt. Er weist nicht nur auf

n magenta

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die strict liability des Verkäufers nach englischemRecht hin. (Das für einen deutschen Juristenbemerkenswerte, nämlich in vollem Umfang derKlage des Käufers stattgebende Urteil des HighCourt im Mörtel-Fall habe ich bereits erwähnt.)Daneben findet sich eine verschuldensunabhän-gige Schadensersatzhaftung des Verkäufers (mitlediglich engen Befreiungsmöglichkeiten) auch imWiener Kaufrecht31

31 Art. 45 Abs. 1 lit. b CISG: verschuldensunabhängige Haftungdes Verkäufers mit engen Befreiungsmöglichkeiten in Art. 79Abs.1 CISG, vgl. BGH, Urteil v. 24.03.1999 – VIII ZR 121/98–, BGHZ 141, 129 (Ausfälle von mit mangelhaftem Wachsbehandelten Weinreben), sowie OLG Hamm, Urteil v.09.06.1995 – 11 U 191/94 –, NJW-RR 1996, 179 (Kosten desAus- und Einbaus von zunächst mangelhaft gelieferten Fens-tern).

, den PECLs32

32 Art.8:101 Abs.1, 108 Abs.1 und Art.9:501 Principles of Euro-pean Contract Law (PECL); siehe auch Lando, RabelsZ 2003,231, 239.

, dem DCFR33

33 Art. III. – 3:701 und Art. III. – 3:104 Draft Common Frame ofReference (DCFR).

oder dem Kommissions-Entwurf für ein Gemein-sames Europäisches Kaufrecht34

34 Art.87 Abs.1 lit.c, Art.88, Art.91 lit.c, Art.106 Abs.1 lit.e undArt. 159 Abs. 1 GEKR (Vorschlag für eine Verordnung desEuropäischen Parlaments und des Rates über ein GemeinsamesEuropäisches Kaufrecht vom 11.10.2011,KOM (2011) 635 endg.).

.

Einen Direktanspruch gegen den Hersteller (sowiegegen weitere vorgelagerte Glieder der Absatz-kette), der vertraglichen, nicht deliktischen Grund-sätzen folgt, anerkennt etwa das französische Rechtmit seiner Action directe dans les chaınes de con-trats.35

35 Grundlegend Cass. civ. 25.01.1820, Sirey 1820, 1, 171, in derdem Zweitkäufer die garantie d‘eviction (Art. 1626 Code civil)gegen den Erstverkäufer zugesprochen wurde. Später wurde dieAction directe auf die Garantie des vices caches ausgedehnt(Cass. 12.11.1884, D. 1885,1, 357 = S.1886, 1, 149).

Auch der österreichische Oberste Gerichts-hof36

36 Grundlegend OGH, Urteil v. 04.02.1976 – 1 Ob 190/75 –, JBl.1977, 146. Die Produzentenhaftung erfolgt gegenüber demEndverbraucher nicht nur nach deliktischen Grundsätzen, son-dern aufgrund entsprechender Interpretation des Kaufvertrageszwischen Hersteller (S) und Händler (G) als Vertrag mit Schutz-wirkung zugunsten Dritter.

hat sich für eine Haftung des Warenherstellers(S) gegenüber entfernten Gliedern (D) der Absatz-kette nach Vertragsgrundsätzen entschieden. Ermisst dem zwischen Hersteller und Händlergeschlossen Kaufvertrag drittschützende Wirkun-gen zugunsten der weiter unten in der Absatzkettestehenden Gliedern bei.

I. Vorteile der SchadensersatzlösungWas wären die Vorteile bzw. Konsequenzen der hierempfohlenen Schadensersatzlösung?

Sämtliche vom Käufer erlittenen Schäden, ein-schließlich Aus- und Einbaukosten sowie Nut-zungsausfallschäden würden kompensiert. Min-destens mittelbar, nämlich auf dem Regressweg,käme es letztlich zu einer Haftung des Herstellers.Die Einschaltung eines Zwischenhändlers ver-möchte an diesem Befund nichts zu ändern. DerHersteller hätte damit einen wesentlich stärkerenAnreiz, entsprechende Anstrengungen zur Scha-densvermeidung zu unternehmen.1. Das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 439

Abs.3 BGB wäre obsolet. Ich sehe nicht, weshalbdie für den verschuldensunabhängigen An-spruch auf Nacherfüllung geltende Regel in§439 Abs.3 BGB auf den unter erhöhten Anfor-derungen37

37 Vertretenmüssen (§280 Abs.1 Satz 2 BGB); ggf. Fristsetzungs-erfordernis etwa gemäß §281 Abs.1 Satz 1 BGB.

stehenden Schadensersatzanspruchausstrahlen sollte. In der von mir gebildetenAbwandlung des Fliesenfalls würde also gelten:Anders als nach der Lösung des BGH über §439BGB (mit der Einrede in Abs. 3 der Vorschrift)könnte der Verkäufer auf der Grundlage des vonmir vorgeschlagenen Schadensersatzanspruchs

die Erstattung der vom Werkunternehmer auf-gewendeten Aus- und Einbaukosten nicht ver-weigern.

2. Als weiterer Vorteil sei ergänzend angemerkt,dass es unter Geltung eines Schadensersatzre-gimes auch dogmatisch einfacher wäre, ein even-tuelles Mitverschulden des Käufers (hier derWerkunternehmer38

38 Der im Übrigen §377 HGB zu beachten hat.

) zu berücksichtigen.39

39 Darauf weist auch Chr.A.Weber, ZGS 2011, 539, 543, hin.

Es

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bedarf keiner analogen Anwendung von § 254BGB40

40 Das erwägen etwa Faust, in Bamberger/Roth, BGB, 2012, §439Rdnr. 20, und MünchKomm.-H. P. Westermann, BGB, 2012,§ 439 Rdnr. 16. Vorbild ist der werkvertragliche Nacherfül-lungsanspruch. Hier kann der Werkunternehmer im Fall derMitverursachung durch den Besteller verlangen, dass dieserSicherheit für eine Beteiligung an den Kosten leistet, Palandt/Sprau, BGB, 2012, § 635 Rdnr. 7. Zwischen der Mitverursa-chung im Werkvertragsrecht und der vorliegenden Konstella-tion bestehen allerdings gewichtige Unterschiede. Der Käuferhat lediglich eine Schadensminderungsobliegenheit verletzt,damit also keine Rechtspflicht, die einem andern oder der Allge-meinheit gegenüber besteht, sondern eine Verhaltensanforde-rung im eigenen Interesse. Er hat nämlich nicht alle zumutbarenAnstrengungen unternommen, um den Schaden so gering wiemöglich zu halten. Die „Mitverursachung“ ist daher geringer zuveranschlagen als im Werkvertragsrecht, wo man davon auszu-gehen hat, dass der Besteller, etwa durch eine fehlerhafte Anwei-sung, an der Produktion des mangelhaften Werkes beteiligt war.

bzw. der Heranziehung von §242 BGB.41

41 Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Zuschuss zu denKosten des Aus- und Einbaus, vgl. Stöber, ZGS 2011, 346,350f.Der EuGH verlangt Gutgläubigkeit des Käufers, der Nacherfül-lung in Form des Aus- und Einbaus verlangt. Das dürfte auf einetwas grobschlächtiges Alles-oder-Nichts-Prinzip hinauslaufen.

II. Zurechnung des HerstellerverschuldensIm deutschen Recht ließe sich eine verschuldens-unabhängige Haftung des Verkäufers auf Scha-densersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB dadurchumsetzen, dass man dem Verkäufer ein etwaigesHerstellerverschulden gemäß § 278 BGB zurech-net. Nach überzeugender, wenngleich immer nochüberwiegend bestrittener Ansicht ist der HerstellerErfüllungsgehilfe des Verkäufers im Hinblick aufdessen erfolgsbezogene Pflicht, eine mangelfreieKaufsache zu liefern (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB).42

42 Insbesondere Schröter, JZ 2010, 495, 497.

Ich kann das hier nicht weiter ausführen, verweiseinsoweit auf meine demnächst erscheinende Habi-litationsschrift.43

43 Bien, Haftungskoordination in der arbeitsteiligen Pflichten-kette – Zugleich ein Beitrag zum Dogma von der Relativität derSchuldverhältnisse, Tübingen 2013 (Veröffentlichung in Vor-bereitung), Viertes Kapitel D.Optimisten mögen das Granulat-Urteil des VIII. Zivilsenatsdahingehend deuten, dass die Bundesrichter die Tür in Rich-tung Anerkennung der Zurechnung des Herstellerverschuldensgemäß § 278 BGB wieder ein Stück weit aufgestoßen haben.Der Senat stellt fest, die Pflichtverletzung in Form der mangel-haften Lieferung habe die bekl. Händlerin „nach den tatrichter-lichen Feststellungen“ nicht zu vertreten. Dies habe die Revision„hingenommen“ (BGH, Urteil v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 – Granulat, BeckRS 2012, 24126, Tz. 11). Vielleicht sollteein künftiger Revisionskläger das nicht tun und den Senat anseine Formel im Urteil v. 21.06.1967 – VIII ZR 26/65 – TRE-VIRA, BGHZ 48, 118, 120, erinnern: „Der Revision ist zuzu-geben, daß diese Einengung des Anwendungsbereichs des §278BGB unter Umständen zu Ergebnissen führt, die im Einzelfallwenig billig erscheinen können.“

III. Vertragsähnliche Direkthaftung des Her-stellersÄhnlich kurz muss ich mich hinsichtlich der zwei-ten Lösungsmöglichkeit, einem vertragsähnlichenDirektanspruch des Käufers gegen den letztverant-wortlichen Hersteller fassen. Technisch-dogma-tisch ließe sich dieses Postulat umsetzen, indemman wiederum die Vorschrift §280 Abs.1 BGB alsAnspruchsgrundlage heranzieht. Als Schuldver-hältnis im Sinne dieser Vorschrift müsste mangemäß §311 Abs.3 Satz 1 BGB die den geschädig-ten Käufer und den entfernten Hersteller verbin-dende Absatzkette qualifizieren. Aus ihm resultie-ren die in § 241 Abs. 2 BGB genannten Schutz-pflichten. Ihre Verletzung, vorliegend durch denschuldhaft handelnden Hersteller, löst den genann-ten Ersatzanspruch des Käufers (hier des Werkun-ternehmers) aus.

E. Inhalt, Art und Umfang der Schadenser-satz- bzw. Gewährleistungsansprüche desKäufersIch komme zum letzten Teil meiner Ausführungen:Es geht um die Frage nach Inhalt, Art und Umfangder Schadensersatz- bzw. Gewährleistungsansprü-che in der vom Besteller über den Werkunterneh-mer und den Händler bis zum Hersteller verlaufen-den Absatzkette.

I. Vier Varianten der SchadensersatzleistungVier mögliche Varianten sind zu erörtern:– Erste Variante: Das jeweils verpflichtete Ketten-

glied stellt selbst den vertragsgemäßen Zustand,etwa durch Ausbau der mangelhaften und Ein-bau der Ersatzsache her.

– Zweitens ist der Ersatz der Kosten denkbar, diefür die tatsächlich durchgeführte Herstellungdes vertragsgemäßen Zustands anfallen.

– Eine dritte Variante ist die Erstattung der ledig-lich fiktiven Herstellungskosten.

– Schließlich kommt bloßer Wertersatz inBetracht. Wie im Fall fiktiver Herstellungskos-ten wird auch hier der vertragsgemäße Zustandnicht hergestellt, der Berechtigte allerdings(lediglich) für den eingetretenen Wertverlustentschädigt.

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Gewährt man einen Anspruch auf Schadensersatz,bedeutet das grundsätzlich, dass der Geschädigtenicht nur gemäß §249 Abs.1 BGB Naturalherstel-lung durch den Schädiger (erste Variante), sonderngemäß §250 BGB – nach Ablauf einer angemesse-nen Frist – auch den dafür erforderlichen Geldbe-trag verlangen darf (zweite Variante).44

44 Siehe auch Chr.A.Weber, ZGS 2011, 539, 542.

Nach dervon der Rechtsprechung dem Geschädigten zuge-billigten Dispositionsfreiheit ist die tatsächlicheWiederherstellung keine Voraussetzung.45

45 BGH, Urteil v. 16.11.1953 – GSZ 5/53 –, BGHZ 11, 156, 163;OLG Düsseldorf, Urteil v. 19.12.1997 – 22 U 83-97 –, NJW-RR 1998, 1716. Zustimmend die überwiegende Literatur, siehenur MünchKomm.-Oetker, BGB, 2012, § 250 Rdnr. 12m.w.N. A.A. Lange, in: Lange/Schiemann, Schadensrecht,2003, §5 Abs. 5 Satz 1, S.233f. m.w.N.

Häufigkommt es im Rahmen des Schadensersatzes daher –dritte Variante – zum Ersatz bloß fiktiver Herstel-lungskosten.46

46 Im englischen Recht ist umstritten, ob die tatsächliche Vor-nahme der Herstellung Voraussetzung dafür ist, dass derGeschädigte Reparaturkosten behalten darf. Siehe die Wieder-gabe des Meinungsstands bei Schrewe, Der Abhilfeanspruch desKäufers, 2010, S.65 Fußn.299.

Auf den unter Umständen deutlichgeringeren Wertersatz gemäß § 251 Abs. 1 BGB –das entspräche der vierten Variante – kann derSchädiger den Geschädigten nur in Ausnahmefäl-len, nämlich bei Unverhältnismäßigkeit verweisen(§251 Abs.2 Satz 1 BGB).47

47 Es bedarf eines Vergleichs zwischen den Kosten der Naturalres-titution (Reparaturkosten bzw. Wiederbeschaffungswert) unddem Wert der (unbeschädigten) Sache. Zu Vergleichen sind derHerstellungsaufwand und der Wert der beschädigten Sache(Schubert, in: Bamberger/Roth, BGB, 2012, § 251 Rdnr. 14).Bei Palandt/Grüneberg, BGB, 2012, §251 Rdnr.6, finden sichfolgende Beispielsfälle, in denen die Rechtsprechung die Unver-hältnismäßigkeit bejaht hat: Optische Beeinträchtigung einerMarmortreppe mit einer Wertminderung von 1900,– DM beiKosten von 16 600,– DM (OLG Düsseldorf, Urteil v.18.12.2000 – 22 U 166/99 –, MDR 2000, 885); Rotweinfle-cken auf Teppich und Sofa in Form einer Wertminderung von7000,– DM, Kosten von 30 000,– DM (OLG Hamm, Urteil v.13.02.2001– 27 U 183/00 –); Beschädigung von Fliesen: voll-ständige Neuverfliesung 6050,– DM, Ersatz der beschädigtendurch ähnliche kostet nur 2570,– DM plus Wertminderungi.H.v. 1400,– DM, zusammen also 3970,– DM (LG München,Urteil v. 14.02.2005 – 1 T 14345/04 –, NJW-RR 2005, 1546).Siehe außerdem OLG Hamm, Urteil v. 12.01.1995 – 27 U 144/94 –, NZV 1995, 355: Anspruch nur auf Ersatz der Kosten derTeilreparatur einer beschädigten Scheunenwand plus Ersatz desmerkantilen Minderwerts, wenn vollständige Neuverklinke-rung viermal so teuer wäre, sowie OLG Düsseldorf, Urteil v.18.02.2000 – 22 U 166/99 – rechtskräftig, BeckRS 200030097040: Leichte optische Beeinträchtigung von Carrara-Marmorplatten durch tropfenden Apfelsaft: Nur 15 Prozentvon ca. 16 000,–aNeuverlegungs- einschließlich Aus- und Ein-räumkosten geschuldet.

Gewährte man dem Besteller Wittmer in dem ein-gangs geschilderten Bodenfliesenbeispiel dahereinen Schadensersatzanspruch gegen den Fliesenle-ger, könnte er – nach entsprechender Fristsetzung(§ 250 BGB) – die mangelhaften Fliesen auf demFußboden belassen und gleichzeitig den für ihrenAustausch erforderlichen Geldbetrag (knapp1200,– a Materialwert plus ca. 5000,– a Aus- undEinbaukosten) anderweitig verwenden.48

48 Etwas anderes gilt nur, wenn ein Fall der Unverhältnismäßigkeiti. S. von §251 Abs.2 Satz 1 BGB vorliegt (siehe die Beispiele inder vorangehenden Fußn.).

Die werk- und kaufvertragliche Mängelgewährleis-tung geht nicht so weit. Der Besteller bzw. Käuferhat grundsätzlich nur einen Anspruch auf Nacher-füllung in Form des tatsächlichen Austausches derFliesen (§ 635 bzw. 439 BGB in seiner erweitertenAuslegung durch den BGH). Entsprechend kanner im Fall der – tatsächlichen49

49 Palandt/Sprau, BGB, 2012, §637 Rdnr.6.

– Selbstvornahmeggf. Kostenersatz verlangen (§637 BGB).

Faktisch wird es vor allem im werkvertraglichenBereich häufig zu einer dem Wertersatz i.S. von§251 Abs.1 BGB vergleichbaren Lösung kommen:Der – regelmäßig nicht vorleistungspflichtige –Besteller behält einen Teil des versprochenen Werk-lohns ein. Der Werkunternehmer wird diese fakti-sche Minderung in vielen Fällen akzeptieren,jedenfalls wenn der Aufwand der Nacherfüllunggrößer als der einbehaltene Werklohnanteil ist.Entscheidend ist der Unterschied zur richterrecht-lich gewährten Dispositionsfreiheit im Fall von§ 250 BGB. Legt man die Gewährleistungsbehelfedes Bestellers bzw. Käufers zugrunde, kann er maxi-mal, nämlich im Wege der Nacherfüllung, die tat-

sächliche Herstellung des vertragsgemäßenZustands erlangen. Über den für die Herstellungerforderlichen Geldbetrag kann er nicht frei verfü-gen. In der Praxis dürfte er sich häufig, insbeson-dere bei bloß optischen Beeinträchtigungen, imWege der Minderung mit einem geringeren Betrag,diesmal freilich zur freien Verfügung, zufrieden

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geben.50

50 Selbst ein Rücktritt durch den Besteller bzw. eine einvernehmli-che Vertragsaufhebung mit der Folge des vollständigen Verlustsdes Werklohnanspruchs (Schulz, in: Hk-BGB, 2012, § 346Rdnr. 9: Befreiungswirkung des Rücktritts) dürfte für denWerkunternehmer in vielen Fällen günstiger sein als die Vor-nahme der Nacherfüllung. Um sich den Werklohn nämlichnoch zu verdienen, müsste der Werkunternehmer nicht nur dieursprünglich geschuldete Leistung ein zweites Mal erbringen,sondern zusätzlich das mangelhafte Werk beseitigen (hier: diemangelhaften Fliesen ausbauen). Zudem dürften Besteller eineHerabsetzung des Werklohns einem vollständigen Rücktritthäufig vorzuziehen, da sie andernfalls zur Rückgabe des Werks(§346 Abs.1 BGB) verpflichtet wären.

In der Sache läuft das auf eine Art bloßenWertersatzes hinaus.

II. Bewertung der vier VariantenWie sind die vier unterschiedlichen Varianten anBehelfen des Käufers oder Bestellers rechtspolitischzu bewerten?

Die vom BGH im Rahmen von § 250 BGBgewährte Dispositionsfreiheit ist aus ökonomi-schen Überlegungen abzulehnen. Sie zwingt denHersteller dazu, ineffizient hohe Schadensvermei-dungskosten aufzuwenden. Für sie müssen letztlichdie am Ende der Absatzkette stehenden Gliederbezahlen. Die Kosten werden auf die jeweils nach-folgenden Glieder der Absatzkette abgewälzt.

Weshalb sind die Schadensvermeidungskostenineffizient hoch?

Für Durchschnittsbauherrn ist die Einbuße durchMikroschleifspuren wie im Beispielsfall Wittmersehr gering. Der Wiederverkaufswert des Hauses,in dem entsprechend mangelhafte Fliesen verlegtwurden, sinkt lediglich minimal. Kostenersatz fürdie lediglich hypothetischen Aufwendungen desBauherrn für Aus- und Einbau der Fliesen würdehier über das Ziel einer Kompensation des tatsäch-lich erlittenen Schadens weit hinausschießen. Eskäme zu einer Bereicherung des Geschädigten.Angemessen wäre in den meisten Fällen allein einAnspruch auf Wertersatz.

III. Aufgabe der DispositionsfreiheitDas Schadensrecht bedarf daher einer Korrektur:51

51 Siehe dazu neben Lange, in: Lange/Schiemann, Schadensrecht,2003, §5 Abs.5 Satz 1, S.233f. (m.w.N.), auch die eingehendenÜberlegungen von C. Halfmeier, BauR 2013, 320 (im selbenHeft).

Die Dispositionsfreiheit des Geschädigten ist auf-zugeben. Damit kann der Geschädigte nur nochdie tatsächliche Herstellung des vertragsgemäßenZustands verlangen. Das macht den Weg frei füreine Verhandlungslösung zwischen den Parteien.Sie könnte darin bestehen, dass der Geschädigteeinerseits auf die Herstellung des vertragsgemäßenZustands verzichtet, sich den durch den Mangeleingetretenen Vermögensschaden aber kompensie-ren lässt. In der Sache ähnelte das dem Wertersatzgemäß § 251 Abs. 1 BGB bzw. dem Ergebnis, dassich regelmäßig einstellt, wenn der Käufer bzw.Besteller auf der einen und der Verkäufer bzw.Werkunternehmer auf der anderen Seite vor demHintergrund eines Gewährleistungsanspruchs aufNacherfüllung über die Abwicklung des Schadens-ereignisses verhandeln (bargaining in the shadow of

law). In letzterem Fall, der kauf- bzw. werkvertragli-chen Gewährleistung, besteht faktisch (wie ausge-führt) schon jetzt die von mir präferierte Alternati-vität zwischen der tatsächlichen Herstellung desvertragsgemäßen Zustands und der Minderung alsÄquivalent zum Wertersatz.

F. Recht des Verkäufers zur zweitenAndienung als ungelöstes ProblemEin weiteres Problem bleibt zunächst ungelöst. Wiesoeben ausgeführt mag die Minderung des Werk-lohns besonders in Fällen, in denen das vom Werk-unternehmer eingebaute Baumaterial lediglichästhetische Mängel aufweist, in vielen Fällen füralle Beteiligten, insbesondere den Besteller, Werk-unternehmer und den letztverantwortlichen Her-steller des mangelhaften Baustoffs die wirtschaft-lich günstigste Option sein. In dieser Situationdroht ein etwaiger, notwendigerweise auf Geldgerichteter Regressanspruch des Werkunterneh-mers wiederum leerzulaufen. Das gilt gleicherma-ßen für den Fall, dass man dem Unternehmerkäu-fer einen weit verstandenen Nacherfüllungsan-spruch oder einen Anspruch auf Schadensersatzgegen seinen Vertragspartner gewährt.

I. Erweitertes Recht zur zweiten AndienungIn ersterem Fall könnte der Händler sich gegenüberdem Werkunternehmer auf sein Recht zur zweitenAndienung berufen. Es liegt nahe anzunehmen,dass die von EuGH und BGH in den RechtssachenWeber und Putz judizierte Erweiterung der Nach-erfüllungspflicht des Verkäufers spiegelbildlich seinRecht zur zweiten Andienung erweitert. Man magdarin eine Kompensation für die Ausweitung desPflichtenkatalogs des Verkäufers sehen. Im Ergeb-

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nis führte das dazu, dass der Werkunternehmer imRahmen seiner Fristsetzungsobliegenheit abzuwar-ten hätte, ob der Händler nicht nur Ersatz für denmangelhaften Baustoff, etwa die Fliesen, verschafft,sondern die mangelhaften Fliesen außerdem nochim Haus des Bestellers ausbaut und die neuen Flie-sen dort verlegt.

II. Entfallen des FristsetzungserfordernissesDie Vorschrift §440 Satz 1 Var.3 BGB stünde demRecht des Verkäufers zur zweiten Anwendung nichtentgegen. Ihre Anwendung dürfte vorliegend amErfordernis der Unzumutbarkeit der dem Käufer(hier: Werkunternehmer) zustehenden Art derNacherfüllung scheitern. Regelmäßig hat sich derWerkunternehmer, der seinerseits von seinemRecht zur zweiten Andienung keinen Gebrauchmacht, den vom Besteller ausgeübten RechtsbehelfMinderung (bzw. Rücktritt) nämlich mindestenszum Teil auch selbst zuzuschreiben.

Helfen würde dem Werkunternehmer in dieserSituation eine Regelung wie § 478 Abs. 1 BGB.Auch sie dispensiert den Gewährleistungspflichti-gen von einem Fristsetzungserfordernis gegenüberdem eigenen Verkäufer. Mindestens unmittelbargriffe sie aber nicht zugunsten des Werkunterneh-mers ein. Die Norm ist zwar auf die besondere Pro-blematik der Gewährleistung in Absatzketten zuge-schnitten. Ihr Anwendungsbereich ist aber schon insachlicher Hinsicht eingeschränkt. Sie gilt nur,wenn die Minderung oder die Rücknahme52

52 Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2012, § 478 Rdnr. 17, weistzutreffend darauf hin, dass die Formulierung „zurücknehmenmusste“ in § 478 Abs. 1 BGB missglückt ist. Es kann nichtdarauf ankommen, ob der Verkäufer zur Rücknahme der man-gelhaften Sache verpflichtet ist. Entscheidende Voraussetzungist vielmehr, ob der Käufer, der einen entsprechenden Rechtsbe-helf ausgeübt hat, seinerseits die Sache dem Verkäufer zurückge-ben musste. Bei eingebauten Baumaterialien wird es hierzupraktisch nur selten kommen. Vgl. schon H. P. Westermann,NJW 2002, 241, 253.

derWare im Rahmen eines zwischen dem Gewährleis-tungspflichtigen und dem Gewährleistungsberech-tigten geschlossenen Kaufvertrages erfolgt ist. Eineentsprechende Anwendung ist ausdrücklich nur fürden Werklieferungsvertrag angeordnet (§ 651BGB), nicht aber zugunsten von Werkunterneh-mern, die im Rahmen echter WerkverträgeGewährleistungsansprüchen ausgesetzt sind. InBetracht käme aber möglicherweise eine analogeAnwendung auf Absatzketten, an deren Ende einWerkvertrag mit Eigentumsverschaffungspflichtsteht. Das ließe sich dogmatisch damit rechtferti-gen, dass der einheitliche Werkvertrag mit Eigen-tumsverschaffungspflicht jedenfalls in den hierinteressierenden Fällen häufig genauso gut in einenKaufvertrag über den Baustoff einerseits und einenWerkvertrag über dessen Einbau andererseits auf-gespalten werden könnte, die Unterscheidung in

der Praxis auch gar nicht immer einfach, häufigohnehin entbehrlich ist.53

53 Beachte in diesem Zusammenhang auch die im Referentenent-wurf (oben Fußn. 12) vorgesehene Einfügung von §474 Abs.1Satz 2 BGB-Entw.: „Um einen Verbrauchsgüterkauf handelt essich auch bei einem Vertrag, der neben dem Verkauf einerbeweglichen Sache die Erbringung einer Dienstleistung durchden Unternehmer zum Gegenstand hat.“

Die hier erwogene Analogie in sachlicher Hinsicht,also die Anwendung der Vorschrift auch in Fällen,in denen der Unternehmer mit dem Letzt-abneh-mer eine werkvertragliche Verbindung eingegan-gen ist, hülfe allerdings noch nicht über die Begren-zungen des persönlichen Anwendungsbereichs von§ 478 BGB hinweg. Die Bestimmung greift nachherrschender Meinung54

54 Saenger, in: Hk-BGB, 2012, §§478, 479 Rdnr. 4; Faust, Bam-berger/Roth, BGB, 2012, § 478 Rdnr. 5. Eine analoge Anwen-dung vorsichtig bejahend hingegen H. P. Westermann, NJW2002, 241, 252. Darstellung des Streitstands bei Jacobs, JZ2004, 225f.

nur ein, wenn am Endeder Absatzkette ein Verbraucher, nicht aber einUnternehmer steht.

III. Fristsetzungserfordernis auch im Fall derSchadensersatzlösungDie hier vorgeschlagene Gewährung eines Scha-densersatzanspruchs des gewährleistungspflichti-gen Werkunternehmers aus §280 Abs.1 BGB ver-möchte das Problem nur geringfügig zu entschär-fen. Das Recht des Händlers zur zweiten Andie-nung träte bei dieser Lösung spätestens in Gestaltdes in § 250 BGB niedergelegten Erfordernisseseiner Fristsetzung (mit Ablehnungsandrohung!) inverschärfter Form wieder hervor.55

55 Zum Verhältnis des Fristsetzungserfordernisses gemäß § 250BGB einerseits und gemäß §281 Abs.1 Satz 1 BGB andererseitsMünchKomm.-Oetker, BGB, 2012, §250 Rdnr.2 und 6.

Die Fristsetzunggilt hier zwar unter denselben Voraussetzungen alsentbehrlich wie in § 281 Abs. 2 BGB geregelt.56

56 Schiemann, in: Staudinger, BGB, 2005, §250 Rdnr.7 m.w.N.

Möglicherweise könnte man sogar so weit gehen zusagen, eine sofortige Geltendmachung des Scha-densersatzes sei schon dann gerechtfertigt, „wenn

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der Schaden in der Praxis üblicherweise im Wegedes Geldersatzes ausgeglichen wird.“57

57 MünchKomm.-Oetker, BGB, 2012, §250 Rdnr.7 m.w.N.

Mangelseinschlägiger Erfahrungswerte mit dem bislangnicht anerkannten Schadensersatzanspruch dürftedieser Ansatz vorliegend aber kaum weiterhelfen.Erwägenswert erscheint es jedoch, den in § 478Abs.1 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsge-danken eines vereinfachten Regresses desjenigen,der – unverschuldet – für Leistungsstörungen inder Absatzkette gewährleistungspflichtig wird58

58 Andere Autoren wie z.B. MünchKomm.-Lorenz, BGB, 2012,§ 478 Rdnr. 1, betonen einen engeren Normzweck des § 478Abs. 1 BGB, nämlich die Kompensation der strengen Haftungdes Unternehmers gegenüber dem Verbraucherkäufer.

inKonstellationen wie der vorliegenden auch auf dasin § 250 BGB aufgestellte Fristsetzungserfordernisausstrahlen zu lassen.59

59 Vgl. schon H.P.Westermann, NJW 2002, 241, 252.

IV. Umgang der Praxis mit dem Fristset-zungserfordernisUnterstellt, man gewährte dem Unternehmerkäu-fer einen Regressanspruch gegen den Verkäufer,dürfte es in der Praxis bis zu einer endgültigen(höchstrichterlichen) Klärung des Umfangs desRechts zur zweiten Andienung bei folgender trans-aktionskostenträchtigen Lösung bleiben: Dergewährleistungspflichtige Werkunternehmer tätegut daran, sich mit dem etwa regresspflichtigenKettenglied (z.B. dem Baustoffhändler) abzustim-men, bevor er sich im Verhältnis zum Besteller aufdie Minderungslösung einlässt. Wie ausgeführt60

60 Oben Ziff.C IV.

drohte er, auf diese Weise eine „Abstimmungsla-wine“ loszutreten, die entsprechend den Regressan-sprüchen in der Absatzkette bis hinauf zum letzt-verantwortlichen Hersteller führte.

Der von mir ebenfalls vorgeschlagene die Absatz-kette überspringende Direktanspruch des gewähr-leistungspflichtigen Werkunternehmers (oder garBestellers) auf Ersatz seines Schadens vermöchteden Aufwand zu vermindern. Er ermöglichte eineKonzentration der erforderlichen Abstimmungüber die Art und Weise, in der Schadensersatz bzw.Nacherfüllung geleistet werden – Naturalherstel-lung oder Geldersatz –, auf wenige, im Idealfallsogar nur zwei Beteiligte.

G. Zusammenfassung1. Anzustreben ist eine Internalisierung der Scha-denskosten beim Hersteller. Dieses rechtspolitischeZiel lässt sich nicht nur über einen die Absatzketteüberspringenden Direktanspruch, sondern auchauf dem Regressweg erreichen.

2. Die Urteile von EuGH und BGH in SachenWeber und Putz weisen daher in die richtige Rich-tung. Der erweiterte Nacherfüllungsansprucherlaubt es, die Regresskette in Richtung Herstellerhäufiger als bisher anzustoßen.

3. Der Ansatz, die Aus- und Einbaukosten in denkaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruch gemäߧ 439 BGB einzubeziehen, bleibt aber auf halberStrecke stehen. Sonstige reine Vermögensschädenwie Nutzungsausfallschäden sind von dieserLösung nicht erfasst.

4. Einer Verallgemeinerung dieser Lösung hat derBGH im aktuellen Granulat-Urteil zu Recht eineAbsage erteilt. Sie erweist sich als besonders unzu-länglich im Fall heterogener Absatzketten, an derenEnde kein weiterer Kaufvertrag, sondern ein Werk-vertrag mit seinen umfangreichen Gewährleis-tungspflichten zu Lasten des Werkunternehmerssteht. Es drohte aus verschiedenen Gründen einLeerlaufen des Werkunternehmerregresses. Erin-nert sei an die Einrede der Unverhältnismäßigkeitgemäß § 439 Abs. 3 BGB und die Fälle einer per-sönlichen Leistungspflicht des Werkunternehmers.

5. Vorzugswürdig gegenüber der von EuGH undBGH für den Verbrauchsgüterkauf kreiertenLösung über einen kaufrechtlichen Nacherfül-lungsanspruch ist die Gewährung eines Schadens-ersatzanspruchs. In Betracht kommen sowohl einAnspruch auf Schadensersatz gegen den unmittel-baren Vertragspartner als auch ein die Absatzketteüberspringender Direktanspruch gegen den letzt-verantwortlichen Hersteller bzw. weitere zwischen-geschaltete Glieder der Vertragskette.

6. Dieser Schadensersatzanspruch ist allerdings umdie so genannte Dispositionsfreiheit des Geschä-digten zu bereinigen. Damit hätte der Geschädigteeinen Anreiz, sich gegenüber dem Schadensereignisressourcenschonend zu verhalten. So könnte er sichmit dem Schädiger darauf einigen, dass an die Stelleder kostenträchtigen tatsächlichen Herstellung ein

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– selbstverständlich geringer zu veranschlagender –bloßer Entschädigungsanspruch tritt.

7. Zu erwägen ist schließlich eine entsprechendeAnwendung von § 478 Abs. 1 BGB auf sämtlicheAbsatzkettensachverhalte, in denen der Letztveräu-

ßerer (einschließlich des zur Eigentumsverschaf-fung verpflichteten Werkunternehmers) wegeneines vom Hersteller (oder von einem sonstigenvorgeschalteten Kettenglied) verschuldeten Man-gels der Kaufsache gewährleistungspflichtig wird.

Anerkannte Regeln der Technik undGebäudeschallschutzvon Prof. Rainer Pohlenz, Aachen

Seit über dreißig Jahren wird in Deutschland inunregelmäßigen Abständen über den werkver-traglich geschuldeten Schallschutz diskutiert undvor Gerichten gestritten; belegt durch eine Vielzahlvon – zum Teil höchstrichterlichen – Urteilen undungezählte Veröffentlichungen von Technikern,Juristen und Journalisten. Immer wieder ging undgeht es dabei um die Frage, ob die diesbezüglichenAusführungen der Norm DIN 4109 die Grundlagefür werkvertraglich geschuldete Leistungen bildenund/oder ob andere Regelwerke hierfür inAnspruch genommen werden können oder sogarmüssen. Es sind in dieser Hinsicht für die Praxissehr wohl brauchbare Hinweise erarbeitet wor-den. Leider führen aber auch von wirtschaftlichbegründeten Interessen geleitete Diskussionsbei-träge immer wieder in die Irre oder geben nichtausreichend differenziert zitierte bzw. nicht ausrei-chend kritisch hinterfragte Leitsätze von Gerichts-Urteilen falsche Impulse [24], eine Tatsache, dieauch in früheren Zeiten bereits gerügt wurde [14].

Nachfolgend1

1 Erstveröffentlichung Tagungsband Aachener Bausachverständi-gentage 2009, Vieweg-Teubner-Verlag; überarbeitete Fassung.

soll ein weiterer Versuch unternom-men werden, die Schallschutznormen und -regel-werke in Bezug zu den allgemein anerkanntenRegeln der Technik zu stellen. Unter diesem Aspektsollen folgende Themenbereiche erörtert werden:– Anforderungen an den Gebäudeschallschutz– Nachweis des Gebäudeschallschutzes– Beurteilung des nachgewiesenen Schallschut-

zes

A. Kriterium: SachmängelfreiheitSowohl gemäß BGB §633 als auch gemäß VOB/B§ 13 wird ein sachmängelfreies Werk geschuldet.Das Kriterium der Sachmängelfreiheit ist selbstver-

ständlich auch auf den Schallschutz von Gebäudenanzuwenden. Seit vielen Jahren vertritt der Verfas-ser dieser Ausführungen die Auffassung, dass sichunter Bezug auf die Kriterien der Sachmängelfrei-heit eine Regelung für die Festlegung des geschul-deten Schallschutzes eindeutig herleitenlässt [26]-[30]. Er findet sich in seiner Auffassungdurch die Veröffentlichung des sogenannten „Drei-stufigen Prüfungsschemas für die Festlegung desSchallschutzes“ von Locher-Weiß und der Deut-schen Gesellschaft für Akustik DEGA [15] in vol-lem Umfang bestätigt. Auch entsprechende Darle-gungen von Liebheit [23]und Wirth [34]zumThema „Funktionaler Mangelbegriff“ zielen in diegleiche Richtung.

Sachmängelfreiheit im Sinne von BGB undVOB/B liegt vor, wenn die fünf nachfolgendgenannten Kriterien umgesetzt wurden:1. Eine vereinbarte Konstruktion oder Bauweise

muss die damit bei fehlerfreier Ausführungerzielbare Schallschutzqualität erreichen.

Dies bedeutet, dass hier gegebenenfalls ein Schall-schutz erfüllt werden muss, der über den Anforde-rungen der DIN 4109, möglicherweise auch überdem üblichen oder gar erhöhten Schallschutz liegt,weil dies die vereinbarte Konstruktion eben zu leis-ten vermag.

Es ist natürlich auch denkbar, dass der mit der ver-einbarten Konstruktion verbundene Schallschutzhinter einer üblichen Qualität vergleichbarerGebäude zurückbleibt oder unter der vom Nutzer

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