Market-Engineering

6
1 Begriff Elektronische Ma ¨rkte nehmen bei der Len- kung von Finanz-, Gu ¨ ter- und Dienstleis- tungsstro ¨ men eine zunehmend bedeutende Stellung ein, wenngleich die aktuellen Mel- dungen in den Medien diesen Eindruck auch nicht mehr so deutlich vermitteln wie zu Zeiten des Internet-Booms. Ob bei der Einmalallokation von Bandbreiten im Fall der UMTS-Lizenzversteigerung, in der zwischenbetrieblichen Koordination im Supply-Chain-Management, beim Handel von Wertpapieren oder Emissionszertifika- ten, bei der unternehmensinternen Eigen- kapitalallokation u ¨ berall ist ein versta ¨rk- ter Einsatz von auf Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK) basie- renden Ma ¨rkten zu beobachten. Wie die genannten Beispiele bedu ¨ rfen alle elektronischen Ma ¨rkte, also solche, die mindestens einen Teil der marktlichen Transaktion elektronisch unterstu ¨ tzen [Schm93], einer bewussten Gestaltung. Fu ¨r den jeweiligen Markt werden die Spiel- regeln, d. h. die Transaktionsmo ¨ glichkeiten der Marktteilnehmer, definiert und in Soft- ware implementiert. Market-Engineering widmet sich eben die- ser Gestaltung und der Weiterentwicklung von elektronischen Ma ¨rkten und bezieht sich insbesondere auf die Art und Weise, wie Angebot und Nachfrage in Transaktio- nen zusammengefu ¨ hrt und abgewickelt werden, sowie auf die Umsetzung in tech- nische Infrastrukturen. In den meisten Fa ¨llen wird diese Gestal- tungs- und Umsetzungsaufgabe zwar vom Marktveranstalter wahrgenommen, doch wird sie regelma ¨ßig von den Anforderun- gen vielfa ¨ltiger Anspruchsgruppen beein- flusst. Hierbei sind u. a. die Handelsteil- nehmer als Kunden, die staatlichen Regulatoren, die Lieferanten komplemen- ta ¨rer Dienstleistungen, wie z. B. Zahlung oder Transport, zu nennen. Je nach Rolle und Bedeutung fließen die Anforderungen dieser Stakeholder an den Markt in dessen Gestaltung ein. Einige Beispiele sollen dies erla ¨utern: Han- delsteilnehmer fordern einen mo ¨ glichst kostengu ¨ nstigen Handel, der aber jeweils unterschiedlichen Handelsgewohnheiten bezu ¨ glich gehandelter Produkte, Handels- ha ¨ufigkeit, Volumina oder Zeitna ¨he der Abwicklung Rechnung tragen muss. Staat- liche Institutionen setzen Rahmenbedin- gungen, die im Wesentlichen einen fairen Handel gewa ¨hrleisten sollen. Lieferanten erga ¨nzender Dienstleistungen fordern be- sondere Freira ¨ume und Mitspracherechte, um fu ¨ r die eigene Leistung entsprechende Entlohnung zu erhalten. Der Marktver- anstalter selbst ist an seinem eigenen Fort- bestand und somit einem mindestens kos- tendeckenden Betreiben des Marktes interessiert. Schon diese Beispiele zeigen, dass es sich um vielfa ¨ltige, heterogene Anforderungen handelt, denen eine Vielzahl an Struktur- parametern als „Stellschrauben“ der Markt- gestaltung gegenu ¨ bersteht. Beispiele fu ¨r ga ¨ngige Strukturparameter sind: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635 640 Die Autoren Christof Weinhardt Carsten Holtmann Dirk Neumann Prof. Dr. Christof Weinhardt, Dipl.-Kfm. Carsten Holtmann, Dipl.-Oec. Dirk Neumann, Universita ¨t Karlsruhe (TH), Lehrstuhl fu ¨r Informationsbetriebs- wirtschaftslehre, Englerstraße 14, 76131 Karlsruhe, Tel. 0721 608-8370, E-Mail: {christof.weinhardt| carsten.holtmann|dirk.neumann} @iw.uni-karlsruhe.de, http://www.iw.uni-karlsruhe.de Market-Engineering WI – Schlagwort

Transcript of Market-Engineering

Page 1: Market-Engineering

1 Begriff

Elektronische Markte nehmen bei der Len-kung von Finanz-, Guter- und Dienstleis-tungsstromen eine zunehmend bedeutendeStellung ein, wenngleich die aktuellen Mel-dungen in den Medien diesen Eindruckauch nicht mehr so deutlich vermitteln wiezu Zeiten des Internet-Booms. Ob bei derEinmalallokation von Bandbreiten im Fallder UMTS-Lizenzversteigerung, in derzwischenbetrieblichen Koordination imSupply-Chain-Management, beim Handelvon Wertpapieren oder Emissionszertifika-ten, bei der unternehmensinternen Eigen-kapitalallokation – uberall ist ein verstark-ter Einsatz von auf Informations- undKommunikationstechnologie (IuK) basie-renden Markten zu beobachten.

Wie die genannten Beispiele bedurfen alleelektronischen Markte, also solche, diemindestens einen Teil der marktlichenTransaktion elektronisch unterstutzen[Schm93], einer bewussten Gestaltung. Furden jeweiligen Markt werden die Spiel-regeln, d. h. die Transaktionsmoglichkeitender Marktteilnehmer, definiert und in Soft-ware implementiert.

Market-Engineering widmet sich eben die-ser Gestaltung und der Weiterentwicklungvon elektronischen Markten und beziehtsich insbesondere auf die Art und Weise,wie Angebot und Nachfrage in Transaktio-nen zusammengefuhrt und abgewickeltwerden, sowie auf die Umsetzung in tech-nische Infrastrukturen.

In den meisten Fallen wird diese Gestal-tungs- und Umsetzungsaufgabe zwar vomMarktveranstalter wahrgenommen, dochwird sie regelmaßig von den Anforderun-gen vielfaltiger Anspruchsgruppen beein-flusst. Hierbei sind u. a. die Handelsteil-nehmer als Kunden, die staatlichenRegulatoren, die Lieferanten komplemen-tarer Dienstleistungen, wie z. B. Zahlungoder Transport, zu nennen. Je nach Rolleund Bedeutung fließen die Anforderungendieser Stakeholder an den Markt in dessenGestaltung ein.

Einige Beispiele sollen dies erlautern: Han-delsteilnehmer fordern einen moglichstkostengunstigen Handel, der aber jeweilsunterschiedlichen Handelsgewohnheitenbezuglich gehandelter Produkte, Handels-haufigkeit, Volumina oder Zeitnahe derAbwicklung Rechnung tragen muss. Staat-liche Institutionen setzen Rahmenbedin-gungen, die im Wesentlichen einen fairenHandel gewahrleisten sollen. Lieferantenerganzender Dienstleistungen fordern be-sondere Freiraume und Mitspracherechte,um fur die eigene Leistung entsprechendeEntlohnung zu erhalten. Der Marktver-anstalter selbst ist an seinem eigenen Fort-bestand und somit einem mindestens kos-tendeckenden Betreiben des Marktesinteressiert.

Schon diese Beispiele zeigen, dass es sichum vielfaltige, heterogene Anforderungenhandelt, denen eine Vielzahl an Struktur-parametern als „Stellschrauben“ der Markt-gestaltung gegenubersteht.

Beispiele fur gangige Strukturparametersind:

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635–640

Die Autoren

Christof WeinhardtCarsten HoltmannDirk Neumann

Prof. Dr. Christof Weinhardt,Dipl.-Kfm. Carsten Holtmann,Dipl.-Oec. Dirk Neumann,Universitat Karlsruhe (TH),Lehrstuhl fur Informationsbetriebs-wirtschaftslehre,Englerstraße 14,76131 Karlsruhe,Tel. 0721 608-8370,E-Mail: {christof.weinhardt|carsten.holtmann|dirk.neumann}@iw.uni-karlsruhe.de,http://www.iw.uni-karlsruhe.de

Market-Engineering

WI – Schlagwort

Page 2: Market-Engineering

& Der Zugang zum Markt, der fur allePersonen offen oder auf ausgewahlte re-duziert sein kann.

& Der Zeitpunkt, an dem Handelsinfor-mationen an die Marktteilnehmer wei-tergeleitet werden. So konnen diese In-formationen sofort, zeitverzogert odernur fur spezielle Teilnehmer in unter-schiedlicher Granularitat bereitgestelltwerden.

& Die Preisfindung: Verhandlungsprozessekonnen uber verschiedene Produkt-eigenschaften ermoglicht oder auf eineinzelnes Attribut wie den Preis be-schrankt werden.

& Das Gebuhrenmodell: Es kann ein ein-heitliches Gebuhrenmodell fur alle Teil-nehmer existieren, oder durch die Exis-tenz mehrerer Gebuhrenmodelle einePreisdifferenzierung fur die einzelnen(Transaktions-)Dienstleistungen undTeilnehmer realisiert werden.

Aufgrund der heterogenen Anforderungender Anspruchsgruppen an die Marktgestal-tung und der vielfaltigen Strukturparame-ter, mit denen im Wesentlichen die Han-delsregeln justiert werden konnen, ist dieKomplexitat des Gestaltungs- und Weiter-entwicklungsprozesses sehr hoch – Mar-ket-Engineering alles andere als trivial[NHWL02].

Wo etablierte Theorien aufgrund der ho-hen Komplexitat an Grenzen stoßen, kon-

nen ingenieurwissenschaftliche Technikenhelfen, weitere Hinweise und Werkzeugefur die Gestaltung von elektronischenMarkten zu bieten. In der jungeren okono-mischen Literatur wird auf die zunehmen-de Bedeutung von okonomischen Simula-tionen als „Pendant des technischenWindkanals“ [ArLe2; Roth02] verwiesen.Experimente, wie sie in den Naturwissen-schaften dazu dienen, isoliert (z. B. physi-kalische) Phanomene zu analysieren, wer-den auch in der �konomie angewandt, umso in einer kontrollierten Umgebung oko-nomische Zusammenhange zu eruierenund zu evaluieren.

In diesem Sinne bezeichnet Market-Engi-neering das systematische und theoretischfundierte Vorgehen zur Analyse, Gestaltung,Einfuhrung, Qualitatssicherung undWeiter-entwicklung elektronischer Markte sowieihrer rechtlichen Rahmenbedingungen aufBasis einer integrierten Sicht von Mikro-struktur, Infrastruktur, Businessstruktur.

Der diesjahrige �konomie-Nobelpreistra-ger Vernon Smith weist auf diesen Begriffbereits in seinen fruheren Arbeiten hinund steht damit stellvertretend fur eineReihe renommierter Wissenschaftler, dieden Forschungs- und Gestaltungsgegen-stand Markt mit ingenieurwissenschaftli-chen Ansatzen und Verfahren in Verbin-dung bringen [McRS93; Roth02].

2 Herausforderungdes Market-Engineering

Grundlage des Market-Engineering ist dieStrukturierung des Problembereiches. DerMarket-Engineer identifiziert und ana-lysiert die Strukturparameter fur eine ziel-gerichtete Gestaltung und Weiterentwick-lung von elektronischen Markten mit demZiel, eine gewisse Marktqualitat zu erzielen.

Gestaltungsempfehlungen setzen dedizier-tes Wissen uber Mittel-Ziel-Beziehungenvoraus. Fur das Market-Engineering er-fordert dies fundierte Kenntnis uber denZusammenhang zwischen Auspragungender Marktstruktur – verstanden als Sum-me aller Strukturparameter fur die Gestal-tung –, dem jeweiligen Marktergebnis undder daraus resultierenden Marktqualitat.

Anders als im Engineering traditionellerProdukte kann der Market-Engineer dieQualitat des Produktes „Marktplatz“ nichtabschließend definieren. Er kann sie ledig-lich mittelbar beeinflussen, indem er ver-sucht, die Strukturparameter so zu kon-figurieren, dass das individuelle Verhaltender Teilnehmer hinsichtlich der angestreb-ten Marktqualitat zieltragend ist. Diesmacht die Aufgabe des Market-Engineer soschwierig, da zu der oben bereits angespro-chenen Komplexitat noch die Unsicherheitdes Verhaltens der Marktteilnehmer hin-

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635–640

Bild 1 Screenshot eBay

636 Christof Weinhardt, Carsten Holtmann, Dirk Neumann

Page 3: Market-Engineering

zukommt. Mit anderen Worten definiertder Market-Engineer mit der Marktstruk-tur Art und Umfang seiner Dienstleistungund legt Anreizstrukturen fur die Markt-teilnehmer fest. Fur die resultierende Allo-kation und das daraus entstehende Markt-ergebnis (Preise) bzw. die Marktqualitat istdas Verhalten der Marktteilnehmer, die alsexogene Faktoren in die Dienstleistungs-erstellung einbezogen sind, verantwortlich.

Das Auktionssystem eBay kann hier zurIllustration dienen.

Der Marktbetreiber hat in diesem Fall ei-ne Veranderung des Strukturparameters„Preisfindungsverfahren“ vorgenommenund damit den Anforderungen speziellerKaufer entsprochen. Dabei ist das neue Re-gelwerk so gestaltet, dass auch die entspre-chenden Verkaufer zu ihrem Recht kom-men (konnen):

Die Einfuhrung einer „Sofort-Kaufen Op-tion“ als Alternative zum Standardauk-tionsverfahren ermoglicht denjenigen Kau-fern, die ein Produkt unmittelbar zu einemdefinierten Preis erwerben wollen, den so-fortigen Kauf und den Verzicht auf einenzeitintensiven Auktionsprozess mit unsiche-rem Ausgang. Dem Verkaufer wird dieMoglichkeit gewahrt, fur den Sofortver-kauf einen hoheren Festpreis als den Aukti-onsmindestpreis zu verlangen. Damit kanner sich fur die entgangene Preissteigerung-schance des kompetitiven Bietprozesseszwischen den Kaufern entschadigen lassen.

Das Verhalten der Verkaufer muss aller-dings teilweise verwundern, weil die Ver-kaufer – wie Bild 1 beispielhaft zeigt –keinesfalls immer hohere Werte fur den So-fort-Kaufen Festpreis als fur das Auktions-mindestgebot festsetzen, wie es rationalware. Eine mogliche Erklarung dafur liegtim mangelnden Verstandnis des Verfahrensauf Seiten der Verkaufer. Das Bietverhal-ten der Verkaufer weicht von dem unter-stellten rationalen Verhalten ab – damitist es unwahrscheinlich, dass sich auf Basisder Annahme rationalen Verhaltens prog-nostizierte Ergebnisse einstellen.

Aus abstrakter Sicht macht folgende Ab-bildung, die sich am Bezugsrahmen vonSmith [Smit02] orientiert, den Zusammen-hang zwischen Marktstruktur, -verhaltenund -ergebnis deutlich: Das regulatorische,sozio-okonomische und technische Um-feld eines Marktes bildet die Basis fur dieGestaltung von Handelsobjekt (Wie wird

ein Produkt handelbar gemacht?) undHandelsdienstleistungen (Welche Funktio-nalitaten wird den Teilnehmern bereit-gestellt?). Die Marktstruktur beeinflusst,wie oben gezeigt, das Verhalten der Teil-nehmer, das dann zu einem konkretenMarktergebnis fuhrt. Der Market-Engi-neer versucht demnach, die Spielregeln desMarktes so festzulegen, dass das von ihmantizipierte Verhalten der Marktteilnehmergewunschte Marktergebnisse hervorbringt.Es besteht also ein nur mittelbarer Zu-sammenhang zwischen Marktstrukturund Marktergebnis, das wiederum durchden Abgleich mit dem Umfeld hinsicht-lich seiner Qualitat zu bewerten ist (sieheBild 2).

Bei den Parametern zur Definition derMarktstruktur handelt es sich im Verstand-nis von Smith vereinfacht gesprochen umeine Menge von Regeln. Diese definieren,„was, wann und mit wem“ ein Marktteil-nehmer kommunizieren kann, um Infor-mationen z. B. in der Form von Gebotenauszutauschen. Der ursprungliche Bezugs-

rahmen von Smith, der auf das traditionelleVerstandnis des Markt-Design-Begriffesund damit die Gestaltung der Elemente derMarkt-Mikrostruktur reduziert ist, wirdim Market-Engineering erweitert. Zusatz-lich zum „wer, was, wann und mit wem“(Mikrostruktur) werden auch Struktur-parameter zur Justierung der Kommunika-tionsmoglichkeiten (Infrastruktur) sowieder Hohe der fur die Zulassung zur oderDurchfuhrung der Kommunikation erho-benen Gebuhren und Entgelte (Business-struktur) erfasst.

Diese Klassifikation in Mikro-, Infra- undBusiness-Struktur deckt sich weitgehendmit dem Ursprung der jeweiligen Struktur-parameter in einzelnen Disziplinen, wieder VWL, Informatik oder BWL. In denunterschiedlichen wissenschaftlichen Dis-ziplinen haben sich vielfaltige Aspekte he-rausgebildet, die als das Marktergebnis be-einflussend und gestaltbar angesehenwerden. Sie sind daher als Strukturparame-ter im Sinne des Market-Engineering zu in-terpretieren.

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635–640

Bild 2 Bezugsrahmen fur das Market-Engineering

Market-Engineering 637

Page 4: Market-Engineering

Da eine vollstandige Enumeration allerStrukturparameter nicht moglich ist undauch nicht sein wird, ermoglicht das Fra-mework des Market-Engineering weiterhin(partialanalytische) Vorgehensweisen in-nerhalb einzelner Theorierichtungen. Esbietet vor allem aber auch die Moglichkeitzur integrierten Betrachtung, die zurSchaffung nachhaltig erfolgreicher Markt-strukturen unerlasslich ist.

3 Stand der Entwicklung

Wie oben erwahnt, widmet sich eine Viel-zahl von Disziplinen der Gestaltung (elekt-ronischer) Markte und liefert damit dieGrundlage und Beitrage zum Market-En-gineering.

Die volkswirtschaftlich gepragte Theoriedes Mechanismus Design stellt ein Instru-mentarium fur die Gestaltung von Regel-werken im Hinblick auf Anreize fur dieMarktteilnehmer zur Verfugung. Dabeiwerden zwei zentrale Forschungslinien un-terschieden: Unter dem Stichwort optimaleMechanismen bzw. Auktionen werden jeneanalysiert, die die erwarteten Erlose derVerkaufer maximieren [Myer81]. EffizienteMechanismen hingegen fokussieren dieWohlfahrtsmaximierung, d. h. die Maxi-mierung der Summe aller individuellenNutzen [Grov73; Vick61]. Letztere sindinsbesondere bei kombinatorischen odermultidimensionalen Problemen haufig sehrrechenintensiv und deshalb haufig Gegen-stand des Operations Research (OR). Dieresultierenden Theorien werden mithilfevon Experimenten und Simulationen aufihre Validitat hin gepruft [Smit82; Roth02].

Die vomOR gepragte Theorie des rechner-gestutzten Mechanismus Design versucht,durch meist iterative Rechenverfahren dieEffizienzeigenschaften von Markten zu-mindest approximativ zu gewahrleisten[Park01]. Dabei kommen haufig numeri-sche Verfahren zur Evaluierung zum Ein-satz. Aktuelle Ansatze versuchen daruberhinaus, mit Hilfe co-evolutionarer, geneti-scher Programmierung, diese Mechanis-men automatisch generieren zu lassen. Andiesem Beispiel wird besonders deutlich,dass sich zum einen Volkswirtschaftslehre,OR und Informatik bereits intensiv demDesign von Markten annehmen und Me-thoden fur die Evaluierung entwickeln,und zum anderen, dass dazu eine integrier-

te Sicht dieser Disziplinen dringend not-wendig ist.

Der Bereich der informationstechnischenBetrachtung von Markten stellt sich sehrheterogen dar. Eine aktuelle Forschungs-richtung bezieht sich auf den technischenEinsatz von verteilten Strukturen, die et-wa auf dem Konzept von P2P-Architek-turen oder Multi-Agenten-Systemen beru-hen. Fragen der Selbstorganisation inNetzen verdienen in diesem Zusammen-hang eine besondere Beachtung. Beson-ders hier spielen grundsatzliche Problemeder Sicherheit, Skalierbarkeit, der Kom-munikationskanale und der Modellierungeine wichtige Rolle. Abstrakt gesehen,geht es bei diesen Aspekten vor allem umdie Erreichbarkeit der Teilnehmer sowiederen Akzeptanz und Vertrauen in die je-weils genutzten Medien und technischenPlattformen. �hnlich wie Forscher ausdem Bereich des OR beschaftigen sich In-formatiker haufig mit Fragen der Bere-chenbarkeit und Komplexitat des Alloka-tionsproblems [CoSa02].

Aus diesen unterschiedlichen Betrach-tungsweisen wird deutlich, dass ein elektro-nischer Markt gleichzeitig Ressourcenallo-kationsmechanismus [Haye45] und ver-netztes Informationssystem [Bako91] ist.Netze und daraus resultierende Netzwerk-effekte bilden die Schnittstelle zwischen In-formatik und Wirtschaftswissenschaftenund finden besondere Betrachtung in derInformationsokonomie. Wahrend die Infor-matik die technische Grundlage einer In-teraktion uber Netze legt, leitet die Infor-mationsokonomie ab, unter welchen Be-dingungen Netzwerke nachhaltig bestehenkonnen [KaSha85].

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht spielendie strategische Ausrichtung und organisa-torische Aufstellung in Hinblick auf Cor-porate-Governance und die Gestaltungvon Erlosmodellen der Betreiber elektro-nischer Markte eine zentrale Rolle. Diestrategische Ausrichtung befasst sich mitder Positionierung des Betreibers bzgl.Produktprogramm und Zielkundengrup-pen. Dabei ist die jeweilige organisatori-sche Aufstellung des Betreibers entschei-dend, die sich im Spektrum zwischenVerein und notierter Aktiengesellschaft be-wegt. Diese Aufstellung ist nicht nur furdie exakte Verteilung der Entscheidungs-und Verfugungsrechte (Corporate-Gov-ernance) zwischen den Anspruchsgruppenund damit deren Einfluss auf die Gestal-

tung des konkreten Regelwerks ausschlag-gebend, sondern auch fur die Ausrichtungdes Betreibers zwischen Kostendeckungund Gewinnorientierung. Da z. B. Gebuh-ren und deren Hohe die Anreizschematafur die Kunden grundsatzlich beeinflussen,ist eine integrierte Analyse mit dem Regel-werk der Orderzusammenfuhrung not-wendig. Insbesondere am Beispiel der Pri-vatisierung von Borsen werden Interessen-konflikte zwischen Kundengruppen, dieuber unterschiedliche Einflussmoglichkei-ten verfugen, diskutiert [Dino99].

Die genannten Stellschrauben konnen je-doch nicht vollkommen frei justiert wer-den; die rechtlichen Rahmenbedingungenspielen eine zentrale Rolle. Der Gesetz-geber mit seinen Regulierungsbehorden isthier ein weiterer wichtiger Akteur, der diekonkrete Ausgestaltung von Markten maß-geblich beeinflusst. Mit zunehmender Glo-balisierung ist diese indirekte Form derMarktgestaltung eine Regulierungsaufgabeim internationalen Kontext. Die aktuellepolitische Diskussion insbesondere bezug-lich Finanz-, Telekommunikations- undStrommarkten zeigt dies deutlich.

In diesem interdisziplinaren Umfeld unter-sucht das Market-Engineering die Parame-ter der Marktstruktur und deren Wirkungauf die gewunschten Ziele. Methoden ausden beteiligten Disziplinen werden in ei-nem integrierten Prozess zusammengefuhrtund informationstechnisch unterstutzt.

4 Methodik und Werkzeuge

Der Prozess der Marktgestaltung folgt inTheorie und Praxis meist einfachem Trial-and-Error. Bisher hat sich noch kein ein-heitlich strukturiertes Vorgehen der Markt-gestaltung etabliert. Durch die geringeStandardisierung des Gestaltungsprozessesist die Marktgestaltung außerst wissens-intensiv, fehleranfallig und durch Werkzeu-ge kaum unterstutzt.

Eine klare Prozessdefinition im Market-Engineering verspricht Abhilfe. Sie hat dasZiel, auf Basis fachubergreifenden Wissensund mithilfe geeigneter Methoden undWerkzeuge, eine moglichst nachhaltigeAusgangslosung sicherzustellen und derenkontinuierliche Weiterentwicklung zu un-terstutzen.

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635–640

638 Christof Weinhardt, Carsten Holtmann, Dirk Neumann

Page 5: Market-Engineering

Die Prozessdefinition berucksichtigt obigeThemengebiete, indem die soziookonomi-schen, technischen und rechtlichen Um-feldbedingungen und die Interessen allerAnspruchsgruppen und insbesondere derKunden umfassend evaluiert werden, be-vor eine Definition der Marktstruktur er-folgt. Die Kenntnis der konkreten Anfor-derungen ermoglicht eine angemesseneFestlegung der Regeln, die Transaktions-objekt und -prozess definieren und Fehl-verhalten sanktionieren [StWe03].

Diese Regeln werden dann als eine konkre-te Marktstruktur implementiert, wobei dieEffekte in und zwischen den oben be-schriebenen Strukturbereichen ex anteweitgehend berucksichtigt werden. DieAnreizwirkung des Regelwerkes auf dasspatere Verhalten der Teilnehmer wird ab-geschatzt.

Da konkrete Anreizwirkungen von denantizipierten abweichen konnen, werdensie empirisch anhand von Experimentenund Simulationen uberpruft. Informations-technische Systeme durchlaufen Tests, be-vor der elektronische Markt zum Einsatzkommt. Zudem konnen den Teilnehmern –etwa im Rahmen von Pilotanwendungenoder Planspielen – die Moglichkeiten,Auswirkungen und Grenzen ihrer Hand-lungsmoglichkeiten erlebbar gemacht wer-den.

Die folgende Abbildung illustriert das ty-pische Vorgehensmodell des Market-Engi-neering und zeigt, dass nicht nur zwischenden einzelnen Gestaltungsschritten undAufgabenblocken Sprunge in vor- odernachgelagerte moglich sind; insbesondereauch wahrend des Betriebes ist eine kon-tinuierliche Evaluation vorgesehen und einRe-Design jederzeit moglich.

Durch den Ansatz kontinuierlicher Ver-besserung kann die Evolution, die fur tra-ditionelle Institutionen typisch und inHinblick auf deren Qualitat notwendig ist,auch in technischen Systemen ihre selektie-rende Wirkung erzielen.

Market-Engineering bedient sich analyti-scher, konstruktiver, experimenteller undnumerischer Methoden bei der Markt-gestaltung.

& Analytische MethodenAnalytische Methoden, wie etwa forma-le Modelle, dienen z. B. der Reprasenta-tion des Verhaltens der Marktteilnehmer

mithilfe mathematischer Funktionen.Mithilfe der mathematischen Logik kon-nen Aussagen und Vorhersagen uber dasGesamtsystem getroffen werden.

& Konstruktive MethodenDer Prototypenbau, als konstruktiveMethode, ist im Market-Engineeringvon zentraler Bedeutung. Die am „Reiß-brett entworfene“ Marktstruktur wirdals Software implementiert, um Er-kenntnisse uber die Benutzerakzeptanzund die Wirkung auf das Marktergebnisabzuleiten. Mit Hilfe der Prototypenkonnen Experimente und Simulationendurchgefuhrt werden.

& Experimentelle und numerische Metho-denDurch den Einsatz von Laborexperi-menten und Simulationen lassen sicheinzelne Effekte der Marktstruktur iso-lieren. Mit numerischen Simulationensteht dem Market-Engineer eine ArtWindkanal zur Verfugung, mithilfe des-sen er alle Facetten der Mittel-Ziel-Be-ziehung exakt kontrollieren kann. Ummogliche Verhaltensreaktionen der Teil-nehmer zu analysieren, bieten sich hin-gegen Experimente an. Die Wirkungeinzelner Strukturparameter auf Verhal-ten und Ergebnis wird gemessen undbeurteilt.

5 Bedeutung fur dieWirtschaftsinformatik

Zentrale Aufgabe der Wirtschaftsinforma-tik ist gemaß der Darstellungen von Mer-tens und Heinrich [MeHe02] die „Be-schreibung, Erklarung, Prognose undGestaltung von Informations- und Kom-munikationssystemen“.

Der Begriff des Market-Engineering lehntsich an diese Aufgabe der Wirtschaftsinfor-

matik an und kennzeichnet das systemati-sche und theoretisch fundierte Vorgehenzur Analyse, Gestaltung, Einfuhrung, Qua-litatssicherung und Weiterentwicklungelektronischer Markte sowie deren Rah-menbedingungen. Aufgrund der integrier-ten Sicht auf okonomische, informations-technische und rechtliche Aspekte erfordertes gelebte Interdisziplinaritat. Wie keineandere Disziplin verfugt die Wirtschafts-informatik uber Zugang, Verstandnis undinsbesondere auch uber umfassende Vor-arbeiten, Sprachen und Werkzeuge fur dieModellierung und Umsetzung okono-mischer und technischer Informations-und Kommunikationssysteme, um dieserAufgabe gewachsen zu sein.

Market-Engineering ist das Paradebeispieleines Betatigungsfeldes der WI: Elektro-nische Markte basieren nicht nur auf IuK,sondern sie sind ihrem ganzen Wesen nachokonomische Systeme zur Verarbeitungverteilter Informationen [Haye45].

Literatur

[ArLe02] Arifovic, J.; Ledyard, J.: Computer Test-beds: The Dynamics of Groves-Ledyard Me-chanisms. In: Working Paper Department ofEconomics, Simon Fraser University, Burnaby,Canada 2002.

[Bako91] Bakos, J. Y.: A Strategic Analysis of Elec-tronic Marketplaces. In: MIS Quarterly 15(1991) 3, S. 295–310.

[CoSa02] Conitzer, V.; Sandholm, T.: Complexityof Mechanism Design. 18th Conference on Un-certainty in Artificial Intelligence (UAI). Ed-monton, Canada 2002.

[Dino99] Di Noia, C.: The Stock-Exchange Indus-try: Network Effects, Implicit Mergers, andCorporate Governance. Rome: CONSOB –Commissione Nazionale per le Societa e la Bor-sa, No. 33, 1999.

[Grov73] Groves, T.: Incentives in teams. In: Econ-ometrica 41 (1973), S. 617–631.

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 6, S. 635–640

Bild 3 Vorgehensmodell des Market-Engineering

Market-Engineering 639

Page 6: Market-Engineering

[Haye45] Hayek, F.: The Use of Knowledge in So-ciety. In: American Economic Review 35 (1945)4, S. 519–530.

[KaSh85]Katz, M. L.; Shapiro, C.:Network Extern-alities, Competition and Compatibility. In: Amer-ican Economic Review 75 (1985) 3, S. 424–440.

[McRS93] McCabe, K. A.; Rassenti, S.; Smith, V.:Designing a Uniform-Price Double Auction: AnExperimental Evaluation. In: D. R. Friedman, J.(Hrsg.): The Double Auction Market: Institu-tions, Theory, and Evidence. Perseus Publishing,Cambridge, MA 1993, S. 307–332.

[MeHe02] Mertens, P.; Heinrich, L. J.: Wirtschafts-informatik – Ein interdisziplinares Fach setztsich durch. In: E. Gaugler; R. Kohler (Hrsg.):Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre. 100Jahre Fachdisziplin – zugleich eine Verlags-geschichte. Schaffer-Poeschel, Stuttgart 2002, S.475–489.

[Myer81] Myerson, R.: Optimal Auction Design.In: Mathematics of Operations Research 6(1981), S. 58–73.

[NHWL02] Neumann, D., C. Holtmann, H. Welt-zien, C. Lattemann, C. Weinhardt: Towards AGeneric E-Market Design. In: J. Monteiro, P. M.C. Swatman, L. V. Tavares (Hrsg.): Towards theKnowledge Society: e-Commerce, e-Businessand e-Government. Kluwer Academic Publish-ers, Lisboa 2002, S. 289–305.

[Park01] Parkes, D. C.: Iterative CombinatorialAuctions: Achieving Economic and Computa-tional Efficiency. Philadelphia 2001.

[Roth02] Roth, A. E.: The Economist as Engineer:Game Theory, Experimental Economics andComputation as Tools of Design Economics. In:Econometrica 70 (2002) 4, S. 1341–1378.

[Schm93] Schmid, B.: Elektronische Markte. In:Wirtschaftsinformatik 35 (1993) 5, S. 465–480.

[Smit82] Smith, V.: Microeconomic Systems as anExperimental Science. In: American EconomicReview 72 (1982) 5, S. 923–955.

[Smit02] Smith , V.: Markets, Institutions and Ex-periments. In: L. Nadel (Hrsg.): Encyclopedia ofCognitive Science. Nature Publishing Group,London 2002.

[StWe03] Strobel, M.; Weinhardt, C.: The MontrealTaxonomy for Electronic Negotiations. In: Jour-nal of Group Decision and Negotiation 12(2003) 2, S. 143–164.

[Vick61] Vickrey, W.: Counterspeculation, Auc-tions, and Aompetitive Sealed Tenders. In: Jour-nal of Finance 16 (1961) Marz, S. 8–37.

Management - SchlUssel zur erfolgreichen Gestaltung von Anwendungslandschaften

Gernot Oem

Management von IT-Architekturen InfOfmatiDnssysteme im F(lkus von ArchitektutplanunK und -ilntwic/dunK

2003. XIII , 285 S. Mit 80 Abb. (Edi t ion CIO, hrsg. von Schmitz, Andreas / Seeger, Heinrich) Br. f 49,90 ISBN 3-528-05816-1

Die Architekturpyramide: Grundlage des Architekturmanagement ­Informationsarchitektur: Governing Principle der IT - Architekturpla­nung: vom IS-Portfolio zu Architekturdomanen und Anwendungstypen­Wege zur Analyse, Bewertung und Planung eines IS-Portfolios - Inte­gration yon Architektur- und IS-Portfolio management - Zur Einflihrung

des Architekturmanagement-Prozesses - Kritische Erfolgsfaktoren des Architekturmanagement - Integrierte Workflows zur Planung und Ent­wicklung von IT-Architekturen - Fallstudie Multikanalplattform eines Versicherungsunternehmens

Endlich eine praxiserprobte Vorgehensweise, die ausgehend Yon der Informationsarchitektur die Schritte einer integrierten Architektur­planung und -entwicklung definiert. Workflows werden beschrieben, die die Integration mit dem Software Entwicklungsprozess und die

Ausrichtung auf die Informationsarchitektur sicherstellen.

FAX-Bestellung 0611.7878-439

Ja, hiermit bestelle ich:

Gernot Dern

M anagem ent von IT-Archltekturen 2003. € 4 9,90 (u gl. Yersand € 3,26) ISBN 3-528-05816-1

VOnlame/N ame

I I Firma

Stralle

I I I I'll/Or!

T eleron/F~.

LJnler,;ctuiU

~ vleweg

AbleihJ ng

Da tum

Anderungen vorbehallen

Abraham-Lincoln-Str.46

65189 Wiesbaden www.Yieweg.de Fax: 061 1.7878-439

32103005