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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Masterstudiengang: Master of Education (GHR) Fächerkombination: Germanistik und Sachunterricht
MASTERARBEIT
Titel: „Beobachtungsstudie zum Vergleich des kognitiven
Lernzuwachses von Grundschulkindern zweier Parallelklassen durch Lernen mit exemplarisch
ausgewähltem Handlungsmaterial der Lernwerkstatt RÖSA und vorwiegend Lernen mit Arbeitsblättern.“
vorgelegt von: Manuela Freese
Betreuende Gutachterin: Prof. Dr. Astrid Kaiser Zweite Gutachterin: Dr. Claudia Schomaker
Oldenburg, 15.08.2009
INHALTSVERZEICHNIS 1. Problemstellung ............................................................................... 3
2. Stand der Forschung ....................................................................... 8
3. Design der eigenen Untersuchung ................................................. 20
3.1 Fragestellung und Umsetzung im Design ................................. 20
3.2 Stichprobe und Modalität der Datenerhebung .......................... 21
3.3 Erhebungsmethoden ................................................................ 25
3.3.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung ....................... 26
3.3.2 Die schriftliche Befragung ........................................... 29
3.3.3 Das Experteninterview ................................................ 31
3.4 Auswertungsmethoden ............................................................. 33
3.4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung ....................... 33
3.4.2 Die schriftliche Befragung ........................................... 33
3.4.2 Das Experteninterview ................................................ 36
4. Darstellung der Ergebnisse ............................................................ 38
4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung .................................... 38
4.2 Die schriftliche Befragung ......................................................... 42
4.3 Das Experteninterview .............................................................. 50
5. Interpretation der Ergebnisse ......................................................... 52
5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung .................................... 52
5.2 Die schriftliche Befragung ......................................................... 58
5.3 Das Experteninterview .............................................................. 61
6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ............................... 62
7. Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................. 66
8. Anhang .............................................................................................. 70
2
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Triangulation verschiedener qualitativer Methoden .................... 25
Abbildung 2: Gebräuchliche Bezugspaare nach ATTESLANDER (2000) ........... 29
Abbildung 3: Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung nach MAYRING ........ 34
Abbildung 4: Tabellarische Übersicht beispielhafter Kategorien und
Ankerbeispiele der Untersuchung .............................................. 36
Abbildung 5: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in
der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Arbeitsblattunterricht) . 43
Abbildung 6: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in
der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“
(Handlungsorientierter Unterricht) ............................................ 44
Abbildung 7: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden
Experimentalgruppen nach der ersten Fragebogenerhebung .... 45
Abbildung 8: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten
Fragebogenerhebung (Arbeitsblattunterricht) ............................ 46
Abbildung 9: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten
Fragebogenerhebung (Handlungsorientierter Unterricht) ........... 47
Abbildung 10: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden
Experimentalgruppen nach der zweiten Fragebogenerhebung... 48
Abbildung 11: Vergleich der Anzahl der Wissenselemente der
Experimentalgruppen (Handlungsorientierter vs.
Arbeitsblattunterricht) bei der 1. und 2. Befragung ..................... 49
Abbildung 12: Tabellarische Übersicht der teilnehmenden Schüler/innen
an der Untersuchung ................................................................. A22
3
1. Problemstellung
Wenn wir uns zurück an unsere Grundschulzeit erinnern und dabei insbesondere an
den Sachunterricht denken, werden wir uns mit großer Wahrscheinlichkeit an die
Situationen erinnern können, in denen wir aktiv gehandelt bzw. praktisch gearbeitet
haben, wie zum Beispiel an das Anlegen eines Schulgartens oder an den Bau von
Vogelnistkästen. Diese aktiven Momente haben sich in unserem Gedächtnis fest
verankert und können auch nach vielen Jahren noch in Erinnerung gerufen werden.
Neben diesen handlungsorientierten Schulstunden werden ehemalige
Grundschüler/innen vielleicht auch an die zahlreichen Arbeitsblätter zurückdenken,
die Stunde für Stunde bearbeitet wurden und oftmals nur das reine Abschreiben von
vorgefertigten Merksätzen oder das stupide Einsetzen von Wörtern in die dafür
vorgesehenen Lücken in den Vordergrund stellten. Doch was in diesen
Schulstunden genau gelernt wurde, geschweige denn, wovon die Arbeitsblätter
gehandelt haben, kann oft nicht mehr wiedergegeben werden. Auch heute noch ist
diese beschriebene Form des „Arbeitsblattunterrichts“ eine weit verbreitete
Methode, um Schülern/innen Wissen anzueignen. Immer noch zu selten erhalten
handlungsorientierte Vorgehensweisen Eingang in den Sachunterricht (siehe 2.
Stand der Forschung: Untersuchung von GIEST, S. 13f.). Die Gründe, die von
Sachunterrichtslehrkräften hervorgebracht werden, sind vielfältig. So wird unter
anderem argumentiert, dass handlungsorientierter Unterricht sehr viel Zeit für die
Vor- und Nachbereitung in Anspruch nähme oder dass das Besorgen oder
Herstellen von Handlungsmaterialien ein erheblich höherer Arbeitsaufwand für
Lehrkräfte bedeute (vgl. JANK & MEYER 2002, S. 333f.). Aus diesem Grund
verwundert es nicht, wenn der eine oder andere Sachunterrichtslehrer auf das
altbewährte vorgefertigte Arbeitsblatt zurückgreift, auch wenn er dadurch seinen
Schülern/innen wertvolle und wichtige Erfahrungen durch Handlungsmaterialien
verwehrt. Und das, obwohl wir in der Praxis doch wissen „wie motivierend es ist,
wenn Kinder handeln dürfen, wenn sie selbst als Person angesprochen sind.“
(KAISER 1998, S. 3). In diesem Falle können sich Schüler/innen mit
Unterrichtsgegenständen besser identifizieren und die Verantwortung für ihren
Lernprozess übernehmen.
Bereits LAO TSE (chinesischer Philosoph) kam zu der Erkenntnis, dass Handeln
entscheidend zum Verstehensprozess beitrage und stellte die
Handlungsorientierung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:
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„Sag es mir, und ich werde es vergessen, Zeige es mir, und ich werde mich daran erinnern,
Beteilige mich, und ich werde es verstehen.“ (LAO TSE )
„Der Handlungsorientierte Unterricht beruft sich auf eine lange Tradition, die bis zu
Rousseaus ganzheitlichem Bildungsideal […] zurückreicht“
(http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at). Neben COMENIUS (1592-1670), der das
Lernen mit allen Sinnen forderte, sprach sich auch PESTALOZZI (1746-1827) für ein
Lernen mit Kopf, Herz und Hand aus (vgl. JANK & MEYER 2002, S. 319). Besonders
viele und wichtige Impulse gingen auch von den Reformpädagogen der
Jahrhundertwende (DEWEY, KERSCHENSTEINER, REICHWEIN usw.) aus. Diese
plädierten für ein tätiges, lebendiges und kindgerechtes Lernen und wollten die
„Schulbuchschule“ aus dem Unterricht verbannen (vgl. KAISER 1998, S. 3).
Heute finden sich in der Theorie neben zahlreichen Konzeptionen auch sehr viele
Definitionen, die einen handelnden, subjektorientierten und erfahrungsbezogenen
Unterricht beschreiben. JANK & MEYER verstehen beispielsweise unter einem
handlungsorientierten Unterricht einen „ganzheitlichen und schüleraktiven
Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten
Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, sodass Kopf-
und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht
werden können“ (2002, S. 315). Diese Definition eines handlungsorientierten
Unterrichts schließt also jene Aspekte mit ein, die bereits von besagten
pädagogischen Klassikern und Reformpädagogen hervorgebracht wurden. ASTRID
KAISER (2004) ging noch einen Schritt weiter und ergänzte vor einigen Jahren ihren
Begriff des „handlungsorientierten Sachunterrichts“ mit dem Attribut „kommunikativ“.
Demnach können sich Bildungs- und Erkenntnisprozesse insbesondere über die
kommunikative Auseinandersetzung mit der Sache entwickeln. Eine Erweiterung,
die zu Recht erfolgte, denn wenn wir einmal an unsere handlungsorientierten
Schulstunden im Sachunterricht zurückdenken, stand das Durchführen eines
Experimentes oder einer Ortsbegehungen immer in Verbindung mit dem
kommunikativen Austausch, der sich oft im Dialog Lehrer/in und Schülern/innen, in
seltenen Fällen jedoch innerhalb der Schülergruppe äußerte (vgl. KAISER 2004,
48f.).
Schon lange wird in Fachkreisen darüber diskutiert, dass handlungsorientierte
Konzepte im Sachunterricht wirksamer und besser sind und die Schüler/innen mit
Hilfe von handlungsorientierten Materialien größere Lernerfolge erzielen. Jedoch
gibt es trotz einer „exponential anwachsenden Zahl an Konzepten, denen
5
Lernrelevanz zugeschrieben wird“ (KAISER & TEIWES 2002) nur wenige empirische
Studien, die die Wirksamkeit eines handlungsorientierten Unterrichts im Vergleich
zu einem konventionellen Unterricht dokumentieren. Daher sollen mit dieser
Interventionsstudie weitere Belege gefunden werden, die die Annahme stützen,
dass handlungsorientierter Unterricht sich positiv auf die Lernentwicklung (bzw. auf
den kognitiven Lernzuwachs) der Schüler/innen auswirkt und zu größeren
Lernerfolgen führt. Zudem soll mit dieser Untersuchung insbesondere Lehrern/innen
vor Augen geführt werden, wie effektiv der Einsatz von Handlungsmaterialien im
Vergleich zu konventionellen Unterrichtsmethoden („Arbeitsblattunterricht“) im
Sachunterricht sein kann und welche aktivierende und motivierende Wirkung der
Umgang mit handelnden Materialien für die Schüler/innen mit sich bringt. Daher soll
mit Hilfe dieser Studie der handlungsorientierte Unterricht, der ein „Konzept
zukünftigen Sachunterrichts“ (KAISER 2002, S. 170) repräsentiert, stärker in das
Bewusstsein der Lehrkräfte gerückt werden, sodass eine Steigerung der
Unterrichtsqualität erfolgen kann und damit ein Beitrag zur Verbesserung des
Bildungssystems geleistet wird.
Dieser Untersuchung liegen die Vermutungen zugrunde, …
� … dass handlungsorientierter Unterricht zu einem höheren kognitiven
Lernzuwachs bzw. zu größeren Lernerfolgen führt als das Lernen mit
Arbeitsblättern.
� … dass die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne der Schülerinnen
und Schüler beim Lernen mit handlungsorientierten Materialien länger ist als
beim Lernen mit Arbeitsblättern.
� … dass Schüler/innen durch eine aktive und selbstbestimmte
Auseinandersetzung mit den Handlungsmaterialien mehr Interesse für das
Unterrichtsgeschehen zeigen und konzentrierter und motivierter mitarbeiten.
In dieser Interventionsstudie soll der kognitive Lernzuwachses von
Grundschulkindern zweier Parallelklassen durch Lernen mit exemplarisch
ausgewählten Handlungsmaterialien und vorwiegendem Lernen mit Arbeitsblättern
verglichen werden.
Die handlungsorientierten Materialien stammen aus der Lernwerkstatt RÖSA, die
1994 an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg gegründet wurde und seit
1995 zahlreiche Handlungsmaterialien an interessierte Lehrer/innen und
Studierende verleiht. „Das Konzept der Regionalen Ökologischen
Sachunterrichtssammlung ist ein Konzept handelnden Unterrichts, welches die
SchülerInnen als selbstständige und handelnde Subjekte in den Mittelpunkt stellt.
Entdecken, Probieren, spielerisches Üben und Erfinden sowie Kreativität und
6
Subjektivität können über zahlreiche Handlungsmaterialien entfaltet werden“
(KAISER 2007). Die Materialien werden in diversen Themenkisten gesammelt und
werden größtenteils aus „Wegwerfartikeln“ hergestellt. Die Handlungsmaterialien
ermöglichen den Kindern vieldimensionale Zugangsweisen zu bestimmten
Themenbereichen, wobei die individuellen Interessen und Fähigkeiten der
Schüler/innen berücksichtigt werden können (vgl. KAISER 2007).1
Wie bereits deutlich wurde, beschäftigt sich die Interventionsstudie
schwerpunktmäßig mit dem kognitiven Lernzuwachs von Schülerinnen und Schülern
zweier Parallelklassen. Die Intervention erfolgt in der Unterrichtseinheit zum Thema
„Zeit“. Außenvorgelassen werden allerdings die Präkonzepte der Kinder.
Folgende Fragestellungsaspekte werden daher bei der Untersuchung
berücksichtigt:
Lernen Kinder mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt
RÖSA oder mit Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher und zeigen
mehr Lernfreude?
Ist der kognitive Lernzuwachs beim Lernen mit handlungsorientierten
Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder beim Lernen mit
Arbeitsblättern am Ende der Stunde bzw. nach einer Wochen höher?
Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der
Lernwerkstatt RÖSA sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten
Unterricht?
Im Hinblick auf die erste Fragestellung soll durch eine passiv teilnehmende
kategoriengeleitete Beobachtung ermittelt werden, bei welchem Unterrichtskonzept
die Schüler/innen konzentrierter, aufmerksamer, ausdauernder, motivierter, aktiver
(„einfacher und leichter“) und mit mehr Freude lernen. Beobachtet wird dabei eine
ausgewählte Schülergruppe beider Parallelklassen.
Des Weiteren erfolgt hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage in beiden
Experimentalgruppen eine Fragebogenerhebung, die unmittelbar nach der
Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung durchgeführt
wird. Die schriftliche Befragung der Grundschüler/innen soll Aufschluss darüber
geben, bei welcher Experimentalgruppe der größere kognitive Lernzuwachs zu
verzeichnen ist. Gezählt werden sollen hierbei die Wissenselemente2, die durch die
Fragebogenerhebung bei beiden Experimentalgruppen ermittelt werden.
1 Weitere Informationen zur Lernwerkstatt RÖSA unter http://www.roesa.uni-oldenburg.de/ 2 Der Begriff „Wissenselemente“ bezieht sich auf die Wiedergabe von Unterrichtsinhalten, subjektiven Erfahrungen sowie dem erlangten Erkenntniszuwachs. Eine umfangreiche Definition dieses Begriffs erfolgt in Kapitel 3.4 (Auswertungsmethoden)
7
Um herauszufinden, wie Lehrkräfte die Handlungsmaterialien der RÖSA respektive
einen handlungsorientierten Unterricht bewerten, soll ein Experteninterview mit der
Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B geführt werden, die mit
exemplarisch ausgewählten RÖSA-Materialien zum Thema „Zeit“ arbeiten wird.
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2. Stand der Forschung
Wie bereits in der Problemstellung erwähnt wurde, gibt es zahlreiche Konzeptionen
für einen handlungsorientierten Sachunterricht „[…] denen Lernrelevanz
zugeschrieben wird, aber umso weniger empirische Untersuchungen, die
überprüfen, ob diese erwarteten Lerneffekte in der Praxis auch tatsächlich
eintreffen“ (KAISER & TEIWES 2002). Die folgende Studie von KAISER & TEIWES aus
dem Jahre 2002 konnte die Effektivität des handlungsorientierten Unterrichts und
insbesondere die aktivierende Wirkung der RÖSA-Materialien (vgl. KAISER 2007) bei
Kindern mit besonderem Förderbedarf belegen.
Im Fokus der Untersuchung, die im Rahmen des Projektes „Prävention von
Lernbehinderung“ stattfand, standen insbesondere „lernschwache“ Kinder, die beim
Umgang mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA
(Regionale Ökologische Sachunterrichtssammlung, Oldenburg) beobachtet wurden.
Ermittelt werden sollte, ob die Schüler/innen durch die Handlungsmaterialien „[…]
zum Lernen motiviert werden, inwieweit ihren Lernbedürfnissen entsprochen wird
und wo mögliche Probleme liegen“ (KAISER & TEIWES 2002). Die Ergebnisse der
Studie wurden durch eine teilnehmende Beobachtung (mit den
Beobachtungsschwerpunkten Attraktion, Motivation, Anforderung und
Qualifizierung) während des handlungsorientierten Unterrichts erhoben.
Die Beobachtungsstudie hat ergeben, dass die Materialien einen hohen Motivations-
und Aufforderungscharakter haben, die Neugierde der Schüler/innen wecken und
sie dazu anregen, sich mit den Materialien handelnd auseinander zu setzen. „Dies
sind elementar wichtige Lernvoraussetzungen, insbesondere bei „lernschwachen“
oder sogenannten lernbehinderten Kindern, da sie oft aufgrund von
Mißerfolgserlebnissen die Lust an Schule und Unterricht verloren haben“ (KAISER &
TEIWES 2002). Insbesondere naturwissenschaftliche Experimente wurden von den
Schülern/innen ausdauernd und intensiv bearbeitet und waren anregender als
sozialwissenschaftliche Themen. Daher nehmen KAISER & TEIWES (2002) an, dass
Experimente, bei denen die Kinder durch ihr Handeln selber Veränderungen
bewirken können „[…] den Bedürfnissen der „lernschwachen“ Kindern eher
entgegenkommt als die doch mehr kognitiven Zugänge der sozialwissenschaftlichen
Materialien“ (KAISER & TEIWES 2002). Des Weiteren wurde bei der
Beobachtungsstudie ermittelt, dass die Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf
erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen der Handlungsanweisungen
zeigten. Diese Probleme äußerten sich in der Form, dass die Anleitungen der
Handlungsmaterialien zu anspruchsvoll, zu lang und mit zu vielen schwierigen
Wörtern gestaltet wurden, sodass sich dieses negativ auf die Selbstständigkeit der
9
Kinder auswirkte. Während einige Schüler/innen Impulse zur Weiterarbeit von der
Lehrerin benötigten, haben andere Kinder die Handlungsmaterialien nach ihren
individuellen Vorstellungen und Ideen bearbeitet und versucht, eigene Lösungswege
zu finden.
Zudem wurde festgestellt, dass die Schüler/innen fast immer in Gruppen oder mit
einem Partner zusammengearbeitet haben. KAISER & TEIWES (2002) schließen
daraus, dass Kinder mit besonderem Förderbedarf eine Bezugsperson
(Mitschüler/innen oder Lehrer/in) suchen, die ihnen Sicherheit und Unterstützung bei
der Bearbeitung von Aufgaben geben.
„Es läßt sich folglich feststellen, dass die Handlungsmaterialien der RÖSA den
Bedürfnissen „lernschwacher“ Kinder sehr entgegenkommen. Dennoch bedarf es
einiger Veränderungen, damit selbständiges Arbeiten besser gewährleistet werden
kann und den besonderen Bedürfnissen noch stärker Rechnung getragen wird“
(KAISER & TEIWES 2002).
Neben der Untersuchung von KAISER & TEIWES (2002) konnte auch in einer
unveröffentlichten Studie von FRERICHS (2009) die Effektivität des RÖSA-Materials
und einem damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht nachgewiesen
werden. In der Untersuchung konnte belegt werden, dass der kognitive
Lernzuwachs bei Grundschülern/innen, die zuvor mit Handlungsmaterialien der
RÖSA gearbeitet hatten, bedeutend höher war als bei einer zweiten Schülergruppe,
die im Vorfeld durch Frontalunterricht zum gleichen Unterrichtsinhalt belehrt wurde.
In einer weiteren Untersuchung hat WAGNER (1997) ausgewählte
Handlungsmaterialien der Oldenburger Sachunterrichts-Lernwerkstatt als Beitrag
zur konzeptionellen Weiterentwicklung handlungsorientierten Sachunterrichts
evaluiert. Das Ziel seiner Studie war folglich, „[…] die Untersuchung der
Beweggründe, mit den Materialien der Lernwerkstatt zu arbeiten (der subjektiv-
theoretische Hintergrund der Lehrerinnen also) und […] inwieweit die Materialien der
Lernwerkstatt zur Umsetzung des Konzeptes überhaupt geeignet sind (also die
Prüfung der Materialien anhand der Praxis)“ (WAGNER 1997, S. 72). Ermittelt
wurden die Daten mit Hilfe eines Fragebogens, wodurch Lehramtsanwärter/innen,
Studierende sowie Lehrer/innen befragt wurden. Diese bewerteten das Material der
Lernwerkstatt zumeist als praxistauglich für einen handlungsorientierten Unterricht.
Aufgrund dessen fordert WAGNER die Materialbestände der Lernwerkstatt weiter
auszubauen, um „[…] vieldimensional handlungsorientierte Zugänge zu der
Thematik […] [zu bieten], damit den Kindern ein selbsttätiges Lernen anhand der
Materialien möglich ist“ (WAGNER 1997, S. 92). Des Weiteren wurde durch die
Fragebogenerhebung deutlich, dass sich die Materialien nach seiner Deutung der
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Aussagen der Befragten nur in begrenzter Weise für Sonderschulen sowie für die
erste und zweite Jahrgangsstufe der Grundschule eignen. WAGNER ist der Ansicht,
dass nicht alle Anleitungen der Handlungsmaterialien umgestaltet und vereinfacht
werden könnten, um den Anspruch jener Schulform bzw. Jahrgangsstufen zu
genügen. Diese Umgestaltung müsse alleine von der jeweiligen Lehrkraft initiiert
werden, so WAGNER. In Anlehnung an die Ergebnisse der Fragebogenerhebung
gelangt WAGNER zu dem Urteil, dass ein handlungsorientierter Sachunterricht…
• ganzheitlich ist
• nach dem exemplarischen Prinzip arbeitet
• forschend und entdeckend arbeitet
• Schüler/innen aktiv werden lässt
• ergebnis- und produktorientiert ist
• und die Kommunikation unter den Schülern/innen fördert (vgl. WAGNER
1997, S. 95).
WELLENREUTHER führt in seinem Buch („ Lehren und Lernen – aber wie? Empirisch-
experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht.“) drei
empirische Untersuchungen von MEYER (1997), MACKENZIE & WHITE (1982) und
AEBLI (1968) an, anhand derer die Effektivität eines handlungsorientierten
Unterrichts diskutiert wird.
MEYER (1997) hat im Rahmen eines Unterrichtsversuchs zum Thema
„Treibhauseffekt“ einen handlungsorientierten Unterricht (Projektarbeit) mit einem
Frontalunterricht verglichen. Dabei kam MEYER zu folgenden Ergebnissen: „In
beiden Versuchsgruppen konnte ein Lernerfolg festgestellt werden, allerdings war
dieser im Frontalunterricht deutlich größer. Vom handlungsorientierten Unterricht
gehen positive Effekte sowohl auf die Einstellungen als auch auf die
Handlungsbereitschaft aus“ (WELLENREUTHER 2004, S. 402f.). Dieser Befund
veranlasst WELLENREUTHER zu der Feststellung, dass der für den Lehrer hohe
Vorbereitungs- und Planungsaufwand in keiner Relation zum Unterrichtsertrag
stehe. Dieser sei nämlich im Vergleich zur direkten Instruktion eher geringer.
WELLENREUTHER ist der Ansicht, dass der „bescheidene Erkenntnisgewinn“ der
Projektgruppe (handlungsorientierter Unterricht) aus der Arbeitsteilung innerhalb der
Gruppen sowie der Herstellung und Präsentation eines Produktes resultieren würde.
Aus diesem Grund schlägt WELLENREUTHER eine Kombination von Projektarbeit und
direkter Instruktion vor, bei der seiner Einschätzung nach „[…] nachhaltiger gelernt
wird, indem das Wissen besser behalten wird und außerdem auch in gewissem
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Umfang sinnvolle Handlungsbereitschaften entwickelt würden […]“
(WELLENREUTHER 2004, S. 403).
Die oben beschriebene Untersuchung, in dem der Projektunterricht mit einem
Frontalunterricht verglichen wurde, entspricht nur in Ansätzen einem
handlungsorientierten Unterricht. In MEYERS (1997) Unterrichtsversuch konnte die
Effektivität dieses Unterrichtskonzepts womöglich aus dem Grunde nicht
nachgewiesen werden, da die Herstellung eines „Umweltdrachens“ nicht gerade das
Interesse jeder Schülerin bzw. jedes Schülers weckte, sodass sich nicht unmittelbar
jedes Kind zur Gruppenarbeitsphase motivieren und einbringen konnte. Zudem
wurde den Schüler/innen durch die kurze Präsentationsphase der
Gruppenergebnisse nur in begrenztem Umfang Wissen präsentiert, wodurch
Informationen nicht vollständig verstanden und behalten werden konnten.
WELLENREUTHERS Vorschlag, die Projektarbeit mit direkten Instruktionen zu
verknüpfen, entspricht allerdings in keiner Weise den Zielen eines
handlungsorientierten Unterrichts, sondern hat eher den Charakter eines
lehrerzentrierten Frontalunterrichts.
Eine weitere empirische Untersuchung wurde von MACKENZIE & WHITE (1982) unter
dem Titel „Feldarbeit in der Geographie und Strukturen des Langzeitgedächtnisses“
veröffentlicht, wobei es zum Vergleich zweier verschiedener Exkursionsformen
(traditionell vs. prozessorientiert) kam. Während den Schülern/innen bei der
traditionellen Exkursion das Wesentliche von der Lehrkraft oder vom Feldführer
erklärt wurde und die Kinder „im Allgemeinen […] Empfänger von Informationen,
und keine Entdecker […]“ (WELLENREUTHER 2004, S. 404) waren, wurde die
prozessorientierte Exkursionsgruppe durch Erkundungsaufgaben von der Lehrkraft
zu einer genauen Erkundung des Feldes angeleitet. MACKENZIE & WHITE gelangten
nach der Durchführung eines Leistungstests zu der Feststellung, dass die
Schüler/innen der prozessorientierten Exkursion im Vergleich zur traditionell
organisierten Exkursionsgruppe bessere Ergebnisse aufwiesen. Insbesondere durch
die Befunde im Behaltenstest wurden erhebliche Unterschiede sichtbar: „Während
hier die Schüler mit prozessorientierter Exkursion sehr wenig verlernt hatten,
halbierte sich bei der anderen Exkursionsform fast das zuvor erzielte Lernergebnis“
(WELLENREUTHER 2004, S. 406). Aufgrund dessen nimmt WELLENREUTHER an, dass
Episoden mit Wissen verbunden werden müssen, damit Wissensstrukturen
langfristig gefestigt werden können. Ferner erachtet er es als wichtig, „dass […] die
Schüler nicht nur Dinge gezeigt und erklärt bekommen, sondern selbst aktiv werden
[…]. Nicht das Durchführen einer Exkursion als solcher ist somit entscheidend,
sondern die Qualität dieser Exkursion“ (WELLENREUTHER 2004, S. 407).
12
Auch die von WELLENREUTHER beschriebene prozessorientierte Exkursion aus der
empirischen Untersuchung von MACKENZIE & WHITE (1982) entspricht nur in
begrenzter Weise den Ansprüchen eines handlungsorientierten Unterrichts. Die
Schülergruppe der prozessorientierten Exkursion machte während der Erkundung
zwar eigene Erfahrungen, jedoch wurde sie durch die Bearbeitung eines
vorgefertigten Aufgabenzettels von der Lehrkraft stark angeleitet. Aufgrund der
Instruktionen der Lehrkraft, die die Aufmerksamkeit der Schüler/innen auf bestimmte
Aspekte der Exkursion richten sollte, wurde das eigenständige und selbstbestimmte
Handeln der Kinder stark eingeschränkt.
In einer weiteren Untersuchung führte AEBLI (1968) einen Vergleich von
handlungsorientiertem und traditionellem Unterricht in zwei sechsten Klassen im
Rahmen der Unterrichtseinheit „Fläche und Umfang von Rechtecken“ durch. In dem
„moderenen“ handlungsorientierten Unterricht wurde von der Lehrkraft die
Erfahrungswelt der Kinder durch das Heranziehen eines lebensweltlichen Beispiels
(Garten) miteinbezogen sowie den Schülern/innen Möglichkeiten zur eigenständigen
Problemlösung eingeräumt. Beim traditionellen Unterricht hingegen wurde ein
Bilderrahmen als Einführungsbeispiel gewählt und eine Skizze sowie die Formel für
die Umfangsberechnung von der Lehrkraft vorgegeben. Die Schüler/innen wurden
erst durch das Abschreiben und Anwenden der Formel an Übungsaufgaben aktiv.
Während AEBLI sieben Stunden für den Unterricht der handlungsorientierten
Versuchsgruppe in Anspruch nahm, benötigte er für den traditionellen Unterricht nur
fünf Schulstunden. AEBLI erklärt diesen Unterschied folgendermaßen: „Es scheint
tatsächlich, dass die Schüler im traditionellen Unterricht rascher vorankommen.
Dieser Anschein beruht vor allem auf der Tatsache, dass man den wahren
Schwierigkeiten ausweicht, indem man die Aufgaben so stellt und anordnet, dass
Verwechslungen zwischen den Operationen ausgeschlossen sind und der Schüler
die Lösung rein mechanisch finden kann“ (WELLENREUTHER 2004, S. 419 zit. aus
AEBLI 1968, S. 128). Allerdings konnte auch festgestellt werden, dass insbesondere
„schwächere“ Schüler/innen in der traditionell unterrichteten Gruppe fast die Hälfte
der Aufgaben nicht richtig gelöst hatten. In der „modernen“ Gruppe konnte hingegen
mehr als 90% der Aufgaben richtig gelöst werden. WELLENREUTHER schließt daraus,
dass die Verwendung abstrakter Begriffe zur Unsicherheit dieser Schülergruppe
führt. AEBLI hält es daher für notwendig, dass „schwächeren“ Schülern/innen
abstrakte Begriffe mit Beispielen aus der Realität näher gebracht werden.
Im Hinblick auf die oben beschriebenen Untersuchungen gelangt WELLENREUTHER
zu der Schlussfolgerung, dass ein effektiver handlungsorientierter Unterricht mit
direkten Instruktionen und einer Verknüpfung von abstrakten Begriffen mit der
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Realität – insbesondere für „schwächere“ Schüler/innen – verbunden sei (siehe
Unterrichtsversuch von AEBLI 1968). Des Weiteren erscheint es ihm nicht
erforderlich, „[…] die äußere Realität direkt durch Exkursionen zu erfahren. Es gibt
vielfältige Möglichkeiten, Realtiät im Unterricht nachzubilden, z.B. durch
maßstabsgerechte Nachbildung, durch Zeigen von Filmen, Modellen […] etc.“
(WELLENREUTHER 2004, S. 435).
Im Hinblick auf den von WELLENREUTHER beschriebenen eigenständig
durchgeführten Unterrichtsversuch von AEBLI (1968) erscheint das Verständnis des
Forschers vom „handeln“ doch recht fragwürdig. So ist er der Meinung, „[…] dass
Schüler in der realen Welt diese Handlungen [nicht unbedingt] ausführen und
erproben [müssen]. Den Möglichkeiten der Schule entsprechend schlägt er vor, dem
Schüler praktische Probleme fiktiv zu stellen“ (WELLENREUTHER 2004, S. 408).
Aufgrund dieser Definition des „Handelns“ lässt sich auch AEBLIS Auffassung eines
handlungsorientierten Unterrichts erklären. Ein objektiver Betrachter würde
möglicherweise den von AEBLI deklarierten „modernen“ handlungsorientierten
Unterricht keinesfalls diesem Unterrichtskonzept zuordnen, sondern als
lehrerzentrierten Frontalunterricht bezeichnen, indem die Selbstbestimmung sowie
das aktive Handeln der Kinder in keiner Weise gefördert wird. In AEBLIS „modernem“
handlungsorientierten Unterricht werden den Schülern/innen direkte Instruktionen
von der Lehrkraft gegeben, wodurch der Unterricht strukturiert und gelenkt wird.
Diese Vorgehensweise widerspricht ganz eindeutig dem Verständnis eines
handlungsorientierten Konzepts, wie es in dieser empirischen Untersuchung
vertreten wird.
Da bereits in der Problemstellung darauf hingewiesen wurde, dass
handlungsorientierte Vorgehensweisen immer noch zu wenig Berücksichtigung im
Sachunterricht finden, soll an dieser Stelle auf eine Studie von GIEST (Universität
Potsdam) aus dem Jahre 1997 eingegangen werden, die sich mit der Fragestellung
„Wie handlungsorientiert ist der Sachunterricht?“ beschäftigte. Die Daten der
Untersuchung wurden im Rahmen einer 67 Sachunterrichtsstunden umfassenden
Hospitation in den 3. und 4. Klassen erhoben. Es wurden detaillierte
Verlaufsprotokolle, in denen insbesondere das Handlungsgeschehen dokumentiert
wurde, „[…] sowie eine auf dieser Basis vorgenommene fragebogengestützte
Unterrichtsanalyse“ (GIEST 1997, S. 65) angefertigt. Die Auswertung der
Hospitationsprotokolle ergab im Hinblick auf die Handlungsplanung, dass
Schüler/innen größtenteils vom Lehrer angeleitet wurden und daher mehrere
Hinweise für ein fehlendes antizipierendes und bewusstes Handeln der
Schüler/innen festgestellt werden konnte. Im Unterricht wurde vermehrt eine
14
Dominanz der Lehrtätigkeit beobachtet. „Von einer eigenständigen
Handlungsregulation in der Lerntätigkeit und damit in unserem Sinne von
handlungsorientiertem Unterricht kann also in unserer Stichprobe kaum die Rede
sein“ (GIEST 1997, S. 69). Zudem wurde überwiegend beobachtet, dass
gemeinsames und kooperatives Handeln und den damit verbundenen sozialen
Interaktionen im Unterricht nicht stattfanden. Des Weiteren wurde festgestellt, dass
Schülern/innen während der Hospitationsstunden kaum die Möglichkeit eingeräumt
wurde, ihr Handeln zu reflektieren. Daher konnten „[…] extern (also durch den
Mitschüler oder Lehrer) und intern (durch den eigenen Handlungserfolg oder -
mißerfolg) induzierte Bewertungsreaktionen bei den Kindern nur in Ausnahmefällen
beobachtet […]“ (GIEST 1997, S. 73) werden. Abschließend gelangt GIEST (1997, S.
73f.) zu der Folgerung, dass eigenreguliertes Handeln der Schüler/innen im
Unterricht sowie die damit einhergehende Förderung und Ausbildung der
Handlungskompetenz immer noch eine Ausnahmestellung im Unterricht einnehme.
GIEST fordert daher, dass bewusst vollzogenes handelndes Lernen eine stärkere
unterrichtliche Berücksichtigung finden muss, „damit Handlungsorientierung zum
Wesensmerkmal modernen Unterrichts wird“ (GIEST 1997, S. 73).
Auch EINSIEDLER hat in seinem Manuskript über die „Empirische
Grundschulforschung im deutschsprachigen Raum“ die defizitäre Forschungslage
des „offenen Unterricht“3 bemängelt. „Obwohl „offener Unterricht“ seit ca. 20 Jahren
das zentrale Thema der deutschen Grundschulpädagogik ist, wurden nur etwa 10
empirisch-quantitative Studien dazu publiziert, und nur in 2 Arbeiten davon wurden
im Vergleich mit Kontrollgruppen Lernerfolgsmaße erhoben“ (EINSIEDLER 1997, S.
6).
HILGENDORF konnte 1979 im Rahmen einer Vergleichsstudie (offenem vs.
konventionellen Unterricht) mit Klassen der dritten Jahrgangsstufe nachweisen,
dass offener Unterricht hinsichtlich der Fächer Deutsch und Mathematik keinerlei
Nachteile für die Schüler/innen mit sich bringt. Vielmehr wurden einige Vorteile des
offenen Unterrichts festgestellt: „Die Gruppenkohärenz war größer, die Schüler
hatten weniger das Gefühl mangelnder Kooperation und des Alleingelassenwerdens
als die Vergleichsschüler, die Einstellungen zu fast allen Schulfächern waren bei
offenem Unterricht positiver“ (EINSIEDLER 1997, S. 7).
Eine weitere Vergleichsstudie wurde 1995 von PETILLON & FLOR durchgeführt, die
einen Schulversuch der „Lern- und Spielschule“ in Rheinland-Pfalz begleiteten.
3 in der Literatur wird der Begriff des „offenen Unterrichts“ oftmals synonym mit dem des „handlungsorientierten Unterrichts“ verwendet
15
Während in den Versuchsklassen (der „Lern- und Spielschule“) nach einem Konzept
der Rhythmisierung des Schulvormittags verfahren wurde, (welches einen
besonders ausgeprägten offenen Unterricht mit vielen spielerischen Lernphasen
beinhaltete,) unterlagen die Kontrollklassen einem „gewöhnlichen“ offenen
Unterricht, der nicht so ausgiebig wie in den Versuchsgruppen praktiziert wurde. Im
Rahmen eines Allgemeinen Schulleistungstest (AST), der im 2. und 4. Schuljahr
durchgeführt wurde, konnte ermittelt werden, dass „die Klassen der Lern- und
Spielschule […] in den Bereichen Kreativität, Selbstständigkeit und Sozialverhalten
signifikant höhere Werte als die Kontrollklassen […]“ (EINSIEDLER 1997, S. 7)
aufwiesen.
HARTINGER (1997) konnte in einer Studie zur Interessensförderung im
Sachunterricht feststellen, „[…] dass ein handlungsorientierter Unterricht, in dem
Lernende die Möglichkeit haben, ihr Lernen in weiten Teilen selbst zu bestimmen,
eine interessensfördernde Wirkung hat“ (www.wwu.de). Beobachtet wurde das
Unterrichtsgeschehen (zum Thema: „Leben am Gewässer“) in drei 3. Klassen
bezüglich der Dimensionen „Autonomieunterstützung“ und „Handlungsorientierung“.
In der Klasse, die als Experimentalgruppe ausgewählt wurde, konnten die
Schüler/innen im Vergleich zu den Kontrollgruppen vermehrt über ihren Lernprozess
entscheiden („autonomes Lernen“) und führten wesentlich mehr biologische
Untersuchungstätigkeiten durch. Drei Wochen sowie fünf Monate („Follow-up“) nach
dem Unterrichtsgeschehen sollten eine Fragebogenerhebung und ein Interview
Aufschluss über die Interessenentwicklung der Schüler/innen geben. „Bei Fragen
nach beliebten Tätigkeiten (z.B. Beschäftigung mit Tieren, Pflanzen bestimmen,
Tierbücher lesen) zeigte die Experimentalklasse signifikant mehr Interesse an den
„gewässerbezogenen“ Tätigkeiten. Ähnliches galt für Fragen nach der Persistenz
des Interesses (themenbezogene Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts)“
(EINSIEDLER 1997, S. 18). Bei mehreren Variablen konnte in der
Experimentalgruppe eine Zunahme des Interesses der Kinder verzeichnet werden.
In einer weiteren Studie (2001) zur Öffnung des Unterrichts hat sich HARTINGER
insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie Schüler/innen ihre
Selbstbestimmungsmöglichkeiten im Unterricht wahrnehmen. Theoretischen
Begründungen zur Folge empfinden Schüler/innen die Möglichkeit der
Selbstbestimmung im Unterricht als ein zentrales psychologisches Bedürfnis. „Wird
dieses psychologische Bedürfnis unterstützt, so ist dies die Basis dafür, dass
intrinsische Motivation aufrechterhalten bleibt bzw. dass das Interesse an den
Themen des Unterrichts gefördert wird“ (HARTINGER 2001, S. 94). Diese
Erwartungen konnten mit der Untersuchung erfüllt werden. Je selbstbestimmter die
16
Schüler/innen sich wahrnahmen, desto motivierter und interessierter waren sie am
Unterricht (vgl. HARTINGER 2001, S. 97).
JÜRGENS (1995) nimmt in seinem Buch� „Die 'neue' Reformpädagogik und die
Bewegung Offener Unterricht. Theorie, Praxis und Forschungslage“ Bezug auf die
Untersuchung von FLYNN/ RAPOPORT (1976), GOETZE (1992), GOETZE/JÄGER
(1991). Diese konnten nachweisen, dass sich ein offener Unterricht bei hyperaktiven
Kindern positiv auf den emotionalen Bereich auswirkte.
FLYNN/ RAPOPORT (1976) konnten in ihrer Studie belegen, dass überaktive
Schüler/innen, die in medikamentöser Behandlung stehen, in offenen
Unterrichtsarrangements ein weitaus geringeres Maß an Hyperaktivität und ein
ausgeglicheneres Verhalten zeigten als in einem traditionell lehrergesteuerten
Unterricht. Auch GOETZE (1992) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. „Als wichtigster
Befund kann festgehalten werden, daß sich nach Einschätzung der Lehrerinnen/ der
Lehrer die Verhaltensstörungen von Schülerinnen/Schülern auffällig verringert hatte“
(JÜRGENS 1995, S. 62). Lehreraussagen zufolge, reduzierten sich die Aggressionen
sowie die Hyperaktivität und die Ängstlichkeit der Schüler/innen im offenen
Unterricht. GOETZE (1992) führte dieses allerdings darauf zurück, dass in offenen
Unterrichtsarrangements Störungen nicht so negativ von Lehrkräften
wahrgenommen werden als im geschlossenen Unterricht.
GOETZE/JÄGER (1991) haben in einer sechsten Klasse einer Schule für
Verhaltensgestörte einen offenen mit einem lehrerzentrierten Unterricht verglichen.
Das emotionale Klima innerhalb der Lerngruppen sowie zwischen Lehrkräften und
Schülern/innen sorgte für eine erfolgreiche Einführung des offenen Unterrichts. Mit
Hilfe dieses Unterrichtskonzepts konnte „[…] für die beteiligten Lehrer das
Verständnis für viele Schülerprobleme erheblich erleichtert“ (JÜRGENS 1995, S. 62
zit. aus GOETZE/JÄGER 1991, S. 272) werden.
JÜRGENS (1995) gelangt schließlich zu der Schlussfolgerung: „Offener Unterricht
scheint aufgrund seiner organisatorischen Gestaltung Interaktions- und
Kommunikationsstrukturen hervorzubringen, die es gerade Problemschülerinnen/-
schülern ermöglichen, sich in ihrem emotionalen und sozialen Verhalten
eigenverantwortlich zu entfalten und zu stabilisieren“ (S. 63).
Da es im deutschsprachigen Raum nur wenige Untersuchungen zum offenen
Unterricht gibt, verweist BRÜGELMANN (1997) in seinem Bericht über die „Öffnung
des Unterrichts“ vornehmlich auf Forschungen im angelsächsischen Raum.
WRIGHTSTONE (1938), BAKER (1941) und LEONARD/ EURICH (1942) kamen bei ihren
qualitativen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass der offene Unterricht im
17
Vergleich zum traditionellen Unterricht für die Schüler/innen keinerlei Nachteile in
den Fachleistungen nach sich zieht. So „[…] seien deutliche Vorteile in
verschiedenen Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung (Initiative, soziales
Verhalten, Problemlösen u.ä.) festzustellen. Ähnlich fielen auch die Ergebnisse der
englischen Längsschnittstudie von Gardner (1942; 1950; 1966) aus“ (BRÜGELMANN
1997, S. 3). HORWITZ (1979) hingegen gelangte nach der Zusammenfassung
mehrerer Forschungsergebnisse zum offenen und traditionellen Unterricht zu dem
Urteil, dass es zwar „[…] einen leichten Rückstand offener Ansätze in den
fachlichen Leistungen […]“ BRÜGELMANN 1997, S. 3) gäbe, sich aber hinsichtlich des
Persönlichkeitsbereiches deutliche Vorteile ergaben. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kamen auch PETERSON (1979; 1980), HETZEL (1982) und HEDGES (1981). Diese
konnten feststellen, dass Klassen mit offenen Unterricht leichte Defizite in den
Fachleistungen aufwiesen, „[…] in den Einstellungen (zum Lernen, zu den
Lehrpersonen) und in den Grundqualifikationen dagegen erreich[t]en sie bessere
Ergebnisse“ (BRÜGELMANN 1997, S. 3).
Studien, die im Sachunterricht im Hinblick auf die Öffnung des Unterrichts
durchgeführt wurden, beziehen sich zumeist sowohl auf die Selbstständigkeit der
Schüler/innen als auch auf das entdeckende Lernen als eine Methode zur Öffnung
von Aufgaben (vgl. BRÜGELMANN 1997, S. 3). BREDDERMAN (1983) konnte mit seiner
Meta-Analyse Vorteile eines handlungs-zentrierten gegenüber eines traditionellen
Programms im Hinblick auf naturwissenschaftliche Verfahren, inhaltliches Wissen
sowie für den affektiven Bereich nachweisen.
Eine Untersuchung von LAUS & SCHÖLL (1995) ergab, dass insbesondere
leistungsschwache Schüler/innen im offenen Unterricht eine längere
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne aufwiesen als die Kontrollgruppe. Und
auch WAGNER (1978, 58) kam in seiner Studie zu dem Ergebnis, „dass die
SchülerInnen in offenen Situationen ein deutlich größeres Engagement und eine
höhere Arbeitsintensität zeigen als im normalen Frontalunterricht“ (BRÜGELMANN
1997, S. 18).
PESCHEL konnte in seinem Buch („Offener Unterricht. Idee, Realität, Perspektive und
ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion.“) die Praktikabilität des offenen
Unterrichts durch seine unterrichtspraktischen Erfahrungen belegen und bringt diese
Unterrichtsform in Verbindung mit praktischen Handlungen. In seinem Buch
beschreibt er seinen Unterricht, der von einer regelrechten „Vortragskultur“
(PESCHEL 2005, S. 215) geprägt sei, in dem die Schüler/innen alleine oder in
Kleingruppen Informationen eigenständig in Büchern recherchieren, Materialien
18
mitbringen und ihre Ergebnisse in Form von selbstgestalteten Plakaten vortragen.
Selbst „leistungsschwache bzw. lernbehinderte“ Kinder könnten „[…] sich plötzlich
Informationen beschaffen, diese sichten und auswerten und anderen zugänglich
machen […]. Man sollte also in keinem Fall vorschnell den Glauben an die
Selbststeuerungsfähigkeiten des Kindes verlieren!“ (PESCHEL 2005, S. 217f.).
GÜNTHER vertrat auf einem Vortrag über Projektarbeit und offenen Unterricht an der
Universität Köln die Meinung, „[…] daß der offene Unterricht im Hinblick auf
Konzentration, Lernfähigkeit und Sozialverhalten gerade an der Grundschule große
Probleme aufwirft, die sich in den weiterführenden Schulen besonders bemerkbar
machen“ (http://www.ariplex.com). GÜNTHER ist der Ansicht, dass durch einen
offenen Unterricht als bevorzugte Unterrichtsform, „[…] wichtige Lernfähigkeiten
[von den Grundschülern/innen] nicht erlernt […]“ (http://www.ariplex.com) werden
können und stellt die besagte Unterrichtsform als störungsanfällig dar. So führte er
beispielsweise an, dass der offene Unterricht Schülern/innen die Möglichkeit gäbe,
sich nicht mit den Aufgaben zu beschäftigen, sondern eine Plattform für
gemeinsame Unterhaltungen liefere, durch die motivierte und lernwillige Kinder
abgelenkt werden würden. GÜNTHER spricht sich hingegen dafür aus, dass „[…]
lehrerzentriertes, ruhiges, strukturiertes Lernen den Schülern eine bessere
Grundlage für erfolgreiches Lernen“ (http://www.ariplex.com) biete, als ein offener
Unterricht, der von Reizüberflutungen geprägt sein würde. Aus diesem Grunde
bevorzugt GÜNTHER ein kontinuierliches Lernen, in dem den Schülern/innen die
persönliche Unterstützung des Lehrers zukommt (vgl. http://www.ariplex.com).
GÜNTHER verschließt sich bei seiner Argumentation den positiven und für die
Schüler/innen aktivierenden Aspekten eines offenen Unterrichts und führt keinerlei
empirische Untersuchungen an, die derartige negative Behauptungen belegen. Der
Forscher ist ein entschiedener Gegner des offenen Unterrichtskonzepts und beharrt
auf den Grundsätzen eines lehrerzentrierten Frontalunterrichts.
Aufgrund der mangelhaften Forschungslage zur Wirksamkeit eines
„handlungsorientierten“ respektive „offenen Unterrichts“, kommt dieser
Untersuchung im Hinblick auf seine Forschungsfrage eine große Bedeutung zu.
Denn nur durch derartige Untersuchungen kann überprüft werden, ob dieses
Unterrichtskonzept auch in der Praxis effektiv ist, sodass handlungsorientierte
Vorgehensweisen häufiger im Sachunterricht berücksichtigt werden können. Mit
dieser Interventionsstudie sollen Belege für die Effektivität der RÖSA-Materialien
bzw. eines handlungsorientierten/offenen Unterrichts erhoben werden, wie sie
19
bereits in Studien von KAISER & TEIWES, FRERICHS, WAGNER, PESCHEL etc.
nachgewiesen werden konnten. Zudem soll mit dieser Untersuchung nachgewiesen
werden, dass die RÖSA-Materialien nicht nur für die Jahrgangsstufen drei und vier
geeignet sind (wie es in der Untersuchung von WAGNER behauptet wird), sondern
auch durchaus von Schülern/innen der zweiten Klasse genutzt werden können.
20
3. Design der eigenen Untersuchung
3.1 Fragestellung und Umsetzung im Design
Im Folgenden sollen die Fragestellungen dieser Untersuchung dargelegt und im
Hinblick auf die weitere Vorgehensweise begründet werden.
Da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass sich die Auseinandersetzung mit
handlungsorientierten Materialien positiv auf die Lernentwicklung der Schüler/innen
auswirkt und zu größeren Lernerfolgen führt, sollen mit dieser Untersuchung Belege
für diese Annahme gefunden werden.
Gegenstand dieser Interventionsstudie sind exemplarisch ausgewählte
Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA (Regionale Ökologische
Sachunterrichts-Lernwerkstatt), die mit dem konventionellen Lernen durch
Arbeitsblätter verglichen werden sollen. Schwerpunktmäßig soll insbesondere der
kognitive Lernzuwachs von Grundschülern/innen zweier Parallelklassen verglichen
werden, die jeweils mit einer der oben genannten Methoden arbeiten werden.
Folgende Fragestellungsaspekte sollen in dieser Stichprobe untersucht werden:
1. Mit welchen Lernmaterialien lernen Kinder intensiver, einfacher und leichter
und zeigen mehr Lernfreude?
2. Bei welcher Experimentalgruppe ist der kognitive Lernzuwachs am Ende der
Stunde größer?
3. Bei welcher Experimentalgruppe lässt sich nach einer Woche der größere
kognitive Lernzuwachs erkennen?
4. Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der
Lernwerkstatt RÖSA und einem damit verbundenen handlungsorientierten
Unterricht?
Im Hinblick auf die erste Fragestellung soll eine ausgewählte Schülergruppe beider
Parallelklassen beobachtet werden. Dabei kommt es zum Einsatz eines
eigenständig konstruierten kategoriengeleiteten Beobachtungsbogens, der die
Ausdauer am Arbeitsblatt bzw. Handlungsmaterial, das Instruktionsverständnis und
die Mitarbeit der zu beobachtenden Schüler/innen sowie den Interaktionsmodus und
sonstige Beobachtungen erfassen soll. Die Beobachtung des jeweiligen
Unterrichtsgeschehens in den Experimentalgruppen erfolgt durch passive
Teilnahme. Diese Feldforschungsmethode eignet sich aus dem Grunde besonders
gut, da sie mir ermöglicht, mich insbesondere auf meine Forscherrolle zu
konzentrieren, um hinsichtlich der erwähnten Kategorien möglichst präzise
beobachten zu können. Des Weiteren werde ich bei der Feldarbeit von einer
Kommilitonin unterstützt sowie eine Videokamera zur detaillierten Aufzeichnung der
21
Beobachtungssituation herangezogen. Mit diesem technischen Hilfsmittel sollte eine
möglichst genaue Beobachtung erzielt werden.
Um den kognitiven Lernzuwachs der Schüler/innen beider Experimentalgruppen zu
ermitteln, soll sowohl am Ende der beobachteten Sachunterrichtsstunden als auch
nach einer einwöchigen Unterbrechung ein Fragebogen in beiden Parallelklassen
eingereicht werden. Mit Hilfe der Fragebögen sollen die erlangten Wissenselemente
sowie die Meinung der Schüler/innen zur jeweiligen Unterrichtsstunde erfasst
werden. Der Fragebogen wird als Instrument zur Messung des kognitiven
Lernzuwachses eingesetzt. So soll mit diesem Hilfsmittel die Anzahl der
abgegebenen Wissenselemente der jeweiligen Experimentalgruppen ermittelt und
verglichen werden.
Um herauszubekommen, welches Meinungsbild Lehrkräfte zum RÖSA-Material
und dem damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht haben, soll ein
leitfadenorientiertes Experteninterview mit der betreuenden Sachunterrichtslehrerin
der Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten Materialien aus der RÖSA
gearbeitet hat, herangezogen werden. Neben der Meinung der Schüler (bei der
Fragebogenerhebung) soll also auch die Sichtweise der Lehrkraft zum
Untersuchungsgegenstand berücksichtigt werden.
Des Weiteren soll im direkten Anschluss an die Datenerhebung ein
Forschertagebuch erstellt werden, in dem die wichtigsten Gedanken, Eindrücke und
Erfahrungen der Intervention festgehalten werden und unterstützend zur
Interpretation der Daten herangezogen werden.
3.2 Stichprobe und Modalität der Datenerhebung
Im Vorfeld der Stichprobenerhebung wurde am 29. Mai 2009 ein Pretest des
Beobachtungs- und Fragebogens an der Grundschule Esens-Süd (Standort Dunum,
Landkreis Wittmund, Niedersachsen, Deutschland) in der zweiten Klasse während
der Sachunterrichtsstunde (5. Schulstunde) durchgeführt. Dieser Test sollte
Aufschluss darüber geben, ob im Hinblick auf den Beobachtungs- und Fragebogen
noch Verbesserungen vorgenommen werden mussten. Um den
Beobachtungsbogen zu testen, wurden willkürlich ein Schüler und eine Schülerin
ausgewählt, die in unmittelbarer Nähe voneinander saßen. Während der Pretest des
Beobachtungsbogens ohne größere Probleme durchgeführt werden konnte, wurde
ein Defizit beim Fragebogen entdeckt. Die letzte Frage („Das habe ich heute
gelernt:“) war für die Schüler/innen der zweiten Klasse zu unklar formuliert und
führte während der Bearbeitung zu Rückfragen bei der Lehrerin. Daher wurde die
22
Frage verbessert, indem auf die genaue Unterrichtsstunde verwiesen wurde („Das
habe ich in dieser Unterrichtsstunde gelernt:“). Bis auf diese missverständliche
Formulierung konnten alle anderen Fragen aber problemlos von den Schülern/innen
beantwortet werden. Lediglich das Verfassen eines eigen formulierten Textes
bereitete einigen Kindern große Schwierigkeiten und es kam des Öfteren zu
Rückfragen hinsichtlich der Rechtschreibung einiger Wörter. Aufgrund dieser
Probleme wurden die Schüleraussagen in den meisten Fällen nur sehr kurz
gehalten, waren allgemein formuliert und erschienen oft sehr stichpunktartig. Des
Weiteren wurde festgestellt, dass der Fragebogen mindestens zehn Minuten vor
dem Stundenschluss ausgeteilt werden müsste, damit die Schüler/innen die
Möglichkeit erhielten, in Ruhe die Fragen zu beantworten und nicht unter Zeitdruck
zu geraten.
Somit ließen sich Beobachtungs- und Fragebogen nach entsprechender
Bearbeitung problemlos während der Interventionsstunden an der Grundschule
Esens-Nord durchführen.
Die Stichprobe dieser Untersuchung wurde an der Verlässlichen Grundschule
Esens-Nord (am Standort Esens, Landkreis Wittmund, Niedersachsen,
Deutschland) durchgeführt.
Für den Posttest wurden die Klasse 2c (aus Esens) und 2W (aus Werdum)
ausgewählt. Beide Klassen beschäftigten sich während des
Untersuchungszeitraumes mit dem Thema „Zeit“ und haben sich – nach der
vorangegangen Parallelisierung durch die jeweiligen Lehrkräfte – für diese
Interventionsstudie bereit erklärt. In Absprache mit den Sachunterrichtslehrkräften
wurde die Experimentalgruppe A (Klasse 2c) mit Arbeitsblättern zum Thema „Zeit“
belehrt und die Experimentalgruppe B (Klasse 2W) näherte sich dem gleichen
Themenbereich mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA. Anzumerken ist hierbei,
dass sich die beiden Parallelklassen von der Klassenzusammensetzung und der
Klassenstärke deutlich voneinander unterschieden. Während in der 2c (am Standort
Esens) insgesamt 20 Schüler/innen (13 Mädchen und 7 Jungen) unterrichtet
wurden, bestand die 2W (am Standort Werdum) aus lediglich 13 Kindern und war
vornehmlich mit Jungen besetzt (2 Mädchen und 11 Jungen).
Für die Beobachtung wurden insgesamt acht Schülerinnen und Schüler – vier
Mädchen und vier Jungen – im Alter von acht bis neun Jahren aus beiden
Parallelklassen des zweiten Schuljahres ausgewählt. Eine beobachtete
Schülergruppe bestand jeweils aus vier Kindern, die im Vorfeld von der jeweiligen
Sachunterrichtslehrerin ausgesucht wurden. Die zu beobachtenden Schüler/innen
23
entsprachen in beiden Experimentalgruppen einem heterogenen Leistungsniveau.
So reichte das Beobachtungsspektrum vom leistungsstarken bis zum
leistungsschwachen Kind. Um die beobachteten Ergebnisse besser vergleichen zu
können, wurde bewusst darauf geachtet, dass die zu beobachtenden Schüler/innen
aus beiden Experimentalgruppen einem heterogenen Leistungsbild entsprachen. So
wurden bereits im Vorfeld der Beobachtungen entsprechende Gespräche mit den
betreuenden Sachunterrichtslehrerinnen geführt, die Aufschluss über das
Leistungsniveau der zu beobachtenden Kinder aus beiden Parallelklassen gaben.4
Beide Experimentalgruppen wurden während einer Sachunterrichtsstunde (45
Minuten) in ihren Klassenräumen beobachtet. Da der Pretest gezeigt hatte, dass
eine Person maximal zwei Schüler/innen beobachten konnte, unterstützte mich bei
der kategoriengeleiteten kontinuierlichen Beobachtung eine Kommilitonin.
Die Schülergruppe der Klasse 2c wurde am 3. Juni (2009) in der ersten Schulstunde
beobachtet und sollte zwei Arbeitsblätter (siehe Anhang) aus dem Mobile-
Arbeitsheft bearbeiten. Während zu Beginn der Stunde noch konzentriert gearbeitet
wurde und leise Unterhaltungen mit den Sitznachbarn geführt wurden, erhöhte sich
der Lärmpegel innerhalb der Klasse nach ca. 20 Minuten erheblich. Verursacht
wurde dieses insbesondere dadurch, dass einige Schüler/innen die Arbeitsblätter
beendet hatten, ihre Ergebnisse der Klassenlehrerin vorzeigten und sich schließlich
laut miteinander unterhielten.
Die Schülergruppe der Klasse 2W wurde am Freitag, den 5. Juni 2009, in der
fünften und letzten Schulstunde beobachtet und näherte sich dem Themenbereich
„Zeit“ mit Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA. Die im Vorfeld von der
Klassenlehrerin ausgewählten handlungsorientierten Materialien wurden auf zwei
separaten Tischen in unmittelbarer Nähe der Tafel als „Lernbuffet“ aufgebaut und
konnten von allen Schülern/innen sowohl in Einzel- als auch in Partnerarbeit genutzt
werden. Obwohl die zu beobachtende Schulstunde am Freitag (den 5. Juni 2009) in
der letzten Stunde stattfand und die Klasse überwiegend aus Jungen bestand,
herrschte in der Klasse ein leises angenehmes Arbeitsklima. Nahezu jede Schülerin
und jeder Schüler beschäftigte sich konzentriert sowohl in Einzel- als auch in
Partnerarbeit mit den zur Verfügung gestellten Handlungsmaterialien.
Im Anschluss an die jeweiligen Unterrichtsstunden habe ich in beiden
Parallelklassen einen Fragebogen verteilt, mit dem die Meinung der Schüler/innen
zum jeweiligen Unterrichtsgeschehen sowie das erlangte Wissen erfasst werden
sollten. Der Fragebogen bestand ausschließlich aus offenen Fragen, sodass den
Schülern/innen genügend Raum für ihre eigene Meinung gegeben wurde. 4 Eine Beschreibung der beobachteten Schülergruppe erfolgt im Anhang.
24
Da die meisten Schüler/innen der Experimentalgruppe A (Klasse 2c) nach einer
Beobachtungszeit von 40 Minuten die Bearbeitung der Arbeitsblätter zum Thema
„Zeit“ abgeschlossen hatten und in vielen Fällen das Privatgespräch mit dem
Sitznachbarn gesucht wurde, erklärte die Lehrerin im Folgenden den Fragebogen.
Da die Lehrerin für die Intervention eine Doppelstunde zur Verfügung gestellt hatte,
wurde den Schülern/innen genügend Zeit für das Ausfüllen des Fragebogens
gegeben. Der Fragebogen wurde von insgesamt 19 Schülern/innen beantwortet,
von denen allerdings zwei bei der Auswertung nicht berücksichtigt werden konnten.
Zum Einen wurden keine Ergebnisse ermittelt, da die Handschrift eines Schülers
unlesbar war und zum Anderen konnten keine Daten erfasst werden, da eine
Schülerin Legasthenikerin war und die Lehrerin das Schreiben übernahm. Zudem
konnte ein Schüler krankheitsbedingt nicht an der Befragung teilnehmen.
In der Experimentalgruppe B musste die Beschäftigung mit den
handlungsorientierten Materialien nach 35 Minuten beendet werden, da die
Schüler/innen in den verbleibenden zehn Minuten den Fragebogen ausfüllen
mussten. Da auch in dieser Klasse ein Schüler aufgrund einer Erkrankung fehlte,
nahmen insgesamt 12 Schüler/innen an der Befragung teil.
Bereits während der Datenerhebung wurde deutlich, dass einige Schüler/innen der
Experimentalgruppe B Schwierigkeiten beim Beantworten der letzten Frage („Das
habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:) hatten. In diesen Fällen konnte
das Gelernte noch nicht genügend reflektiert und als Antwort formuliert werden.
Eine Woche nach der Intervention wurde in beiden Parallelklassen ein zweiter
Fragebogen eingereicht. Dieser sollte Aufschluss darüber geben, an welche
Wissenselemente sich die Schüler/innen aus der beobachteten
Sachunterrichtsstunde noch erinnern konnten. Der Fragebogen, der aus zwei
offenen Fragen bestand, wurde jeweils am Anfang der Sachunterrichtsstunde
bearbeitet. Besonders auffällig war hierbei, dass die Schüler/innen der
Experimentalgruppe A, die zuvor mit Arbeitsblättern unterrichtet worden waren, bei
der Beantwortung der Fragen in vielen Fällen die Hilfe der Lehrkraft oder von mir
suchten. Einige Kinder schauten auch hilfesuchend zur Sitznachbarin oder zum
Sitznachbarn herüber oder starrten lange auf ihren unausgefüllten Fragebogen und
versuchten sich mühselig an die Geschehnisse der besagten Unterrichtsstunde zu
erinnern. Aus diesem Grund verwunderte es nicht, dass sich die Mehrheit der
Schüler/innen nicht mehr an die genauen Inhalte der Interventionsstunde erinnern
konnte und sehr allgemein formulierte Antworten lieferten. In einigen Fällen wichen
die Antworten der Schüler/innen auch stark von den Inhalten, die in der
25
Sachunterrichtsstunde thematisiert wurden, ab. Zudem antworteten die Kinder
oftmals nur stichpunktartig oder in kurzen Sätzen.
Um die Meinung der Sachunterrichtslehrerin zum RÖSA-Material sowie dem damit
verbundenen handlungsorientierten Sachunterrichts zu ermitteln, wurde im
Anschluss der Intervention ein Experteninterview mit der Lehrkraft der
Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten Materialien der RÖSA zum
Thema „Zeit“ gearbeitet hatte, geführt. Neben der Bewertung der
Handlungsmaterialien sollten auch individuelle Erfahrungen der Lehrerin sowie eine
Einschätzung des kognitiven Lernzuwachses durch eine handlungsorientierte
Vorgehensweise erörtert werden.
3.3 Erhebungsmethoden
Im Folgenden sollen die kategoriengeleitete, passiv teilnehmende Beobachtung und
die schriftliche Befragung, mit denen die Daten für die Stichprobe dieser
Untersuchung erhoben wurden, vorgestellt werden. Zudem wurde hinsichtlich der
Forschungsfrage, wie Lehrkräfte die RÖSA-Materialien und einen damit
verbundenen handlungsorientierten Sachunterricht bewerten, ein Experteninterview
mit der Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B geführt. Da in dieser
Untersuchung mehrere Methoden zur Datenerhebung zum Einsatz kamen und zwei
unterschiedliche Beobachter im Feld tätig waren, handelt es sich hierbei laut FLICK
(2004, S. 14ff.) sowohl um eine Triangulation der Erhebungsmethoden als auch um
eine Investigator Triangulation.
Die Triangulation verschiedener Methoden erhält die stärkste Beachtung in der
qualitativen Forschung (vgl. FLICK 2004, S. 41). In der vorliegenden Untersuchung
ist damit die Verbindung zweier Erhebungsmethoden (passiv teilnehmende
Beobachtung und Fragebogenerhebung) aus der qualitativen Forschung gemeint,
die im Hinblick auf den Forschungsgegenstand angewendet wurden (siehe
Abbildung 1).
Abbildung 1: Triangulation verschiedener qualitativer Methoden
Quelle: FLICK 2004, S. 41
26
Durch die Kombination zweier Erhebungsmethoden sollen „Erkenntnisse auf
unterschiedlichen Ebenen gewonnen werden, die damit weiter reichen, als es mit
einem Zugang möglich wäre“ (FLICK 2004, S. 12).
Zudem besteht durch den Einbezug eines weiteren Beobachters in die
Interventionsstudie eine Investigator Triangulation. Dieser wird im Feld eingesetzt,
um mögliche Verzerrungen bei der Beobachtung zu minimieren (vgl. FLICK 2004, S.
14).
3.3.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung (qualitativ)
Laut ATTESLANDER „kann eine Typisierung der wichtigsten Beobachtungsformen
nach dem Grad ihrer Strukturiertheit, ihrer Offenheit und ihrer Teilnahme
vorgenommen werden“ (ATTESLANDER 2003, S. 94). Im Folgenden sollen diese drei
Dimensionen auf das dargelegte Beobachtungsverfahren bezogen werden.
Um herausfinden zu können, mit welchen Materialien sich Schüler/innen intensiver
beschäftigen, einfacher und leichter lernen sowie mehr Lernfreude zeigen, habe ich
mich bewusst für eine passiv teilnehmende Beobachtung entschieden, da ich mich
so insbesondere auf meine Rolle als Forscherin konzentrieren und meinen Fokus
auf die Beobachtung der ausgewählten Kinder richten konnte. ATTESLANDER
behauptet, dass „[…] der passiv teilnehmenden Beobachtung […] lange Zeit mehr
Objektivität und intersubjektive Überprüfbarkeit zugestanden [wurde], da bei ihr
quasi von außen, weitgehend unbeteiligt am sozialen Geschehen, beobachtet
wird“ (ATTESLANDER 2003, S. 102).
Obwohl meine Kommilitonin und ich uns dem Unterrichtsgeschehen als „reine
Beobachter“ (LAMNEK 1993 (2), S. 263) vollkommen ferngehalten haben, wurden
uns auch als passiv teilnehmende Beobachterinnen in der Klasse soziale Rollen
zugeschrieben (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 109). Nicht nur wir, sondern auch die
Kinder haben uns während des Unterrichtsgeschehens wahrgenommen. So kam es
währenddessen auch zeitweilig zu Interaktionen mit einigen Kindern, die in
unmittelbarer Nähe von uns saßen. Die Schüler/innen hatten keinerlei
Berührungsängste und interessierten sich beispielsweise für unsere
Beobachtungstätigkeit oder fragten uns um Rat. Ich erklärte in den meisten Fällen
sehr kurz, dass ich bei ihnen wäre, um sie zu beobachten und verwies sie bei
inhaltlichen Fragen an die Lehrerin. Anders als bei einer aktiv teilnehmenden
Beobachtung, bei der der direkte persönliche Kontakt zum Forschungsfeld gesucht
wird, treten passiv teilnehmende Beobachter nur selten bis gar nicht in Interaktion
mit den Untersuchungspersonen (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 102). Nichtsdestotrotz
27
akzeptierten die Schüler/innen meine Kommilitonin und mich auch als
außenstehende Beobachter und ließen uns an ihren Handlungen teilhaben.
Im Vorfeld der Untersuchung wurde ein eigenständig konstruierter
Beobachtungsbogen mit fünf Beobachtungskategorien ausgearbeitet, der die
Ausdauer, das Instruktionsverständnis, die Mitarbeit der Schüler/innen, den
Interaktionsmodus sowie sonstige Beobachtungen erfassen sollte. Diese
Beobachtungskategorien wurden im Hinblick auf die oben genannte
Forschungsfrage aufgestellt und durch „[…] empirisch erfassbare Indikatoren
operationalisiert“ (ATTESLANDER 2003, S. 95).
Der Beobachtungsbogen beschränkte sich auf 45 Minuten (eine Unterrichtsstunde)
und wurde für jede Schülerin bzw. jeden Schüler individuell angefertigt. Die
strukturierte Beobachtung wurde gewählt, da sich hiermit die Forschungsfrage
besonders gut überprüfen ließ. So „[…] wird z.B. erfasst, ob und wie oft die
Verhaltensweisen, die vorab in den Beobachtungskategorien formuliert worden sind,
auftreten“ (ATTESLANDER 2003, S. 95). Ein weiterer Vorteil eines
Beobachtungsschemas ist, dass die erhobenen Daten zu einem hohen Grad
quantifizierbar, kontrollierbar und vergleichbar sind. Daher kann die durchgeführte
Beobachtung auch jederzeit von anderen Personen wiederholt werden. Bei dieser
Form der Beobachtung muss allerdings darauf geachtet werden, dass die
zeitgleiche Protokollierung der Beobachtungssituation sehr präzise erfolgt und die
Kategorien trennscharf voneinander formuliert werden. Ein großer Nachteil einer
strukturierten Beobachtung ist hingegen laut ATTESLANDER (2003, S. 97), dass „[…]
Verhaltensweisen, die im Verlauf der Beobachtung auftreten und nicht durch das
Kategoriensystem abgedeckt sind, entweder nicht wahrgenommen, oder als nicht
beobachtungsrelevant eingeschätzt und folglich nicht aufgezeichnet [werden], selbst
wenn sie für die Forschungsfrage aussagekräftig wären. Die Wahrnehmung ist also
durch das Beobachtungsschema und die -kategorien eingeschränkt
[…]“ (ATTESLANDER 2003, S. 97). Dem Verlust von wichtigen
beobachtungsrelevanten Verhaltensweisen wurde allerdings dahingehend
entgegengewirkt, indem durch die Aufnahme der Beobachtungskategorie
„Sonstiges“ entsprechende Beobachtungen mit aufgeführt werden konnten.
Um möglichen Wahrnehmungs- und Aufzeichnungsfehlern, die durch die
vorgenommenen Verkürzungen bei der Operationalisierung entstehen können, zu
vermeiden, sollte man laut ATTESLANDER, bevor man den kategoriengeleiteten
Beobachtungsbogen im Forschungsfeld verwendet, einen Pretest durchführen (vgl.
ATTESLANDER 2003, S. 97). Aus diesem Grunde wurde der Beobachtungsbogen
28
auch im Vorfeld der Untersuchung in einer zweiten Klasse während einer
Sachunterrichtsstunde vorgetestet.
Zu Beginn der Unterrichtsstunden haben meine Kommilitonin und ich uns beiden
Experimentalgruppen vorgestellt und unser Vorhaben den Schülern/innen der
beiden Klassen geschildert. Ich habe mich bewusst für eine Offenlegung meiner
Forscherrolle entschieden, da somit „[…] ein gleichberechtigtes, soziales Verhältnis
zu den Untersuchungspersonen […]“ (ATTESLANDER 2003, S. 110) geschaffen
wurde, das einen „[…] unkomplizierteren Aufenthalt im Feld und einen
problemloseren Feldrückzug […]“ (ATTESLANDER 2003, S. 110) ermöglichte. Den
Kindern war also bewusst bzw. „transparent“ (ATTESLANDER 2003, S. 99), dass wir
sie während des Unterrichts beobachten würden. Erwähnt wurde allerdings nicht,
welche Kinder einer gezielten Einzelbeobachtung unterlagen und zu welchem
Zweck die Beobachtung durchgeführt wurde. So haben wir die Schüler/innen über
die Forschungsfrage im Unklaren gelassen und die Kinder wussten nicht, welche
Verhaltensweisen im Fokus der Beobachtung lagen (vgl. ATTESLANDER 2003, S.
101). „Obwohl eine offene Beobachtung anfänglich Missvertrauen und
Verhaltensänderung hervorrufen kann, verschwinden diese methodenbedingten
Verzerrungen in vielen Beobachtungsfeldern im Laufe der
Untersuchung“ (ATTESLANDER 2003, S. 101). Dieses Verhalten konnte auch in
beiden Forschungsfeldern festgestellt werden. Die Schüler/innen hatten sich schon
nach kurzer Zeit an uns und die Videokamera gewöhnt und haben sich bei ihren
Handlungen nicht stören lassen.
Laut ATTESLANDER kann die Beobachtungsform nach den oben genannten
Dimensionen als strukturierte, offene, passiv teilnehmende Beobachtung klassifiziert
werden.
Wie bereits oben erwähnt, kam es neben einer Stoppuhr, mit der die Zeit am
Arbeitsblatt bzw. am Handlungsmaterial gemessen wurde, auch zum Einsatz einer
Videokamera, die zur Unterstützung der Beobachtung herangezogen wurde. Die
Verwendung von technischen Hilfsmitteln (Videokamera, Tonband etc.) zur
Protokollierung bezeichnet SUMANSKI (1977, S. 56) als vermittelte Beobachtung.
„Sie bietet im Unterschied zur unvermittelten Beobachtung, die nicht wiederholbar
ist, die Möglichkeit, das Beobachtete zu speichern und beliebig oft zu
reproduzieren“ (SUMANSKI 1977, S. 56). Durch das Heranziehen eines technischen
Gerätes kann man Beobachtungsfehler, die aufgrund von Ermüdungserscheinungen
entstehen können, ausschließen und genauere Beobachtungsergebnisse erzielen
(vgl. SUMANSKI 1977, S. 56). Jedoch steht der Einsatz von technischen Hilfsmitteln
insbesondere bei vielen qualitativ-orientierten Forschern in der Kritik. So wird
29
beispielsweise von LAMNEK angeführt, dass die besagten Aufzeichnungsgeräte zu
einem Misstrauen bei den beobachteten Personen führen könnten und es dadurch
zu einer unnötigen Entfremdung der Beobachtungssituation käme (vgl. LAMNEK
1989, S. 291, vgl. in DEHN 1997, S. 57). Nichtsdestotrotz hält GRÜMER die
Verwendung von audio-visuellen Aufzeichnungsgeräten bei nichtteilnehmenden und
strukturierten Beobachtungen durchaus für sinnvoll. GRÜMER begründet dies, indem
er schreibt, dass es sich hier im Gegensatz zur teilnehmenden Beobachtung um
eine Vorgehensweise handele, wo der methodische Ablauf von vornherein
festgelegt sei und damit unabhängig von den jeweiligen Reaktionen der
Beobachtungspersonen stattfinden könne (vgl. GRÜMER 1974, S. 80, zit. aus DEHN
1997, S. 57).
3.3.2 Die schriftliche Befragung (qualitativ)
Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe ein höherer kognitiver
Lernzuwachs zu verzeichnen ist, wurden sowohl unmittelbar nach der beobachteten
Unterrichtsstunde als auch eine Woche nach der Intervention in beiden Klassen
Fragebögen verteilt. Mit Hilfe des ersten Fragebogens sollten neben den erlangten
Wissenselementen auch die Meinung der Schüler/innen zur jeweiligen
Sachunterrichtsstunde erhoben werden.
Abbildung 2: Gebräuchliche Bezugspaare nach ATTESLANDER (2000)
Quelle: ATTESLANDER 2003, S. 161
Im Folgenden soll auf die von ATTESLANDER (2003, S. 160ff.) erwähnten
„gebräuchlichen Bezugspaare“ (siehe Abbildung 2) eingegangen werden:
Der Fragebogen, der unmittelbar nach der Beobachtung des Unterrichtsgeschehens
verteilt wurde, bestand aus drei offenen Fragen:
1. An der heutigen Stunde hat mir besonders gut gefallen:
2. An der heutigen Stunde hat mir nicht so gut gefallen:
30
3. Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:
Ich habe mich bewusst für die Wahl offener Fragen entschieden, da von den
Schülern/innen unter anderem verlangt wurde, sich an bestimmte Inhalte des
Unterrichts zu erinnern und sich dieser Fragetyp meiner Meinung nach am besten
für diesen Zweck eignete. Hierdurch wurde den Kindern die Möglichkeit gegeben,
ihre Antworten vollkommen selbstständig zu formulieren (vgl. ATTESLANDER 2003, S.
161). Allerdings verlangt das Beantworten dieser Fragen auch bestimmte
Kompetenzen von den Schüler/innen. Denn „Personen, die an einer Befragung
teilnehmen, haben (vgl. Strack und Martin 1987; sehr gut dargestellt auch in
Sudmann u.a. 1996, Kapitel 3) mehrere Aufgaben zu lösen. Sie müssen …
1. die gestellte Frage verstehen,
2. relevante Informationen zum Beantworten aus dem Gedächtnis abrufen,
3. auf der Basis dieser Informationen ein Urteil bilden,
4. dieses Urteil gegebenenfalls in ein Antwortformat einpassen und
ihr „privates“ Urteil vor Weitergabe an den Interviewer bzw. den Fragebogen
gegebenenfalls „editieren““ (PORST 2008, S. 17).
Um herauszubekommen, ob die Fragen für die Schüler/innen verständlich formuliert
waren, wurde im Vorfeld der Untersuchung ein Pretest des Fragebogens in einer
zweiten Klasse der Grundschule Esens-Süd (Standort: Dunum) durchgeführt. Wie
bereits oben erwähnt, offenbarten sich dabei Verständnisschwierigkeiten bei der
letzten Frage, die dann im Folgenden behoben wurden. Zudem wurde schon beim
Pretest deutlich, dass die Schüler/innen zwar in der Lage waren sich an gezielte
Wissenselemente aus der Unterrichtsstunde zu erinnern, diese allerdings nur
bedingt schriftlich formulieren konnten. Einige Schüler/innen hatten erhebliche
Schwierigkeiten bei der Formulierung von Sätzen, sodass oftmals nur
stichpunktartig geantwortet wurde. Aufgrund dieser Erfahrungen und in Anbetracht
dessen, dass die Zweitklässler/innen mit der Beantwortung der Fragen nicht
überfordert werden sollten, beschränkte sich der Fragebogen auf lediglich drei
Fragen, mit denen die wichtigste Forschungsfrage abgedeckt werden konnte.
Insbesondere wurde darauf geachtet, dass die Fragen einfach und präzise
formuliert wurden, damit sie für Schüler/innen der zweiten Klasse verständlich
waren.
Um zu überprüfen, an welche Wissenselemente sich die Schüler/innen auch nach
einer Woche noch erinnern konnten, wurde ein zweiter Fragebogen eingereicht,
dessen offene Fragen diesem Forschungsaspekt gerecht wurden. Die Fragen
lauteten wie folgt:
31
1. Weißt du noch, was du in der Sachunterrichtsstunde am letzten
Mittwoch/Freitag gemacht hast?
2. Was hast du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/Freitag
gelernt?
Während bei der ersten Befragung noch die Meinung der Schüler zum jeweiligen
Unterrichtsgeschehen berücksichtigt wurde, beschränkte sich der zweite
Fragebogen nur noch auf das Überprüfen der Wissenselemente.
Laut ATTESLANDER entsprechen die jeweiligen Fragebögen einem nicht-
standardisierten Erhebungsinstrument. „Bei nicht-standardisierten Fragen wird
entweder auf eine Kategorisierung der Antworten verzichtet oder sie wird später
vollzogen“ (ATTESLANDER 2003, S. 160). Hinsichtlich dieser Untersuchung wurde im
Anschluss an die Datenerhebung eine Kategorisierung der Antworten vorgenommen,
durch die eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglicht wurde und
Häufigkeitsverteilungen gebildet werden konnten (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 161).
Da vor der Feldarbeit ein eigenständig konstruierter Fragebogen entwickelt wurde,
handelte es sich bei dieser Interviewsituation um eine stark strukturierte Befragung.
ATTESLANDER verweist hierbei insbesondere auf die Wichtigkeit einer exakten und
sorgfältigen Vorgehensweise, „[…] da der Fragebogen die Freiheitsspielräume des
Interviewers und des Befragten stark einschränkt […]“ (ATTESLANDER 2003, S.
147f.). Besonders wichtig ist daher, dass die Fragen verständlich und eindeutig
formuliert werden, da diese während der Erhebungsphase nicht mehr verändert
werden können. „Inhalt, Anordnung und Anzahl der Fragen werden durch die
theoretische Problemstellung bestimmt, sodass bezüglich des Untersuchungszieles
eine möglichst vollständige Information erhoben werden kann“ (ATTESLANDER 2003,
S. 148).
3.3.3 Das Experteninterview (qualitativ)
Um zu ermitteln, wie Lehrkräfte Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA
und einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht bewerten, wurde die
Meinung der betreuenden Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B durch
ein im Anschluss an die Interventionsstunde geführtes leitfadenorientiertes
Experteninterview, miteinbezogen. Diese Erhebungsmethode wurde aus dem
Grunde gewählt, da die Lehrerin (als Expertin der Institution Schule) über
Erfahrungen zum Untersuchungsgegenstand verfügt „[…] und stellvertretend für
eine Vielzahl zu befragender Akteure interviewt […]“ (BOGNER, LITTIG & MENZ 2002,
S. 9) wurde. Zudem wurde ausschließlich die Lehrerin der Experimentalgruppe B
32
befragt, da sie den Unterricht mit den Handlungsmaterialien aus der RÖSA begleitet
hatte und eine direkte Stellungnahme geben konnte. Der Expertenstatus wurde der
Lehrerin ausschließlich von mir (als Forscherin) verliehen, da die Interviewpartnerin
„über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen […]
verfügt“ (MEUSER & NAGEL 1991, S. 443) und damit einen entsprechenden Beitrag
zur Beantwortung der Forschungsfrage leisten kann.
Experteninterviews sind in der Sozialforschung aus dem Grunde sehr beliebt, da
Daten auf eine schnelle, objektive und unproblematische Weise erhoben werden
können (vgl. BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 37). In Anlehnung an MEUSER und
NAGEL unterscheiden BOGNER, LITTIG & MENZ (2002, S. 36ff.) das „explorative“, das
„systematisierende“ und das „theoriegenerierende“ Experteninterview. Hinsichtlich
der oben beschriebenen Untersuchung wurde ein systematisierendes
Experteninterview geführt. „Im Vordergrund steht hier das aus der Praxis
gewonnene, reflexiv verfügbare und spontan kommunizierbare Handlungs- und
Erfahrungswissen“ (BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 9). Bei dieser Form des
Experteninterviews fungiert der Experte als „Ratgeber“, der den Forscher über
„objektive“ Tatbestände informiert und seine Meinung zu einem bestimmten
Themenbereich äußert. Der Forscher erhält durch die Expertenbefragung Einblicke
in ein für ihn nicht alltäglich zugängliches Fachgebiet und kann dadurch wichtige
Erkenntnisse erlangen (vgl. BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 37).
Die offenen Interviewfragen (siehe Anhang) waren anhand eines Interviewleitfadens
stark strukturiert und zielten insbesondere auf die Meinung der befragten
Sachunterrichtslehrerin ab. „Meinungsfragen sollen Einstellungen des Interviewten,
seine Bewertung von Personen, Situationen, Prozessen usw. ermitteln, indem sie
eine subjektive Stellungnahme verlangen“ (GLÄSER & LAUDEL 2004, S. 118). Ein
leitfadenorientiertes Interview wurde aus dem Grunde gewählt, da bestimmte
Informationen benötigt wurden, die mit Hilfe eines Leitfadens am besten erfasst
werden konnten (vgl. MEUSER & NAGEL 1991, S. 443).
Auch beim Experteninterview wurde ein technisches Hilfsmittel eingesetzt. Damit es
zu keinen Informationsverlusten oder -veränderungen kommen konnte, wurde das
Gespräch mit der Lehrerin durch ein batteriebetriebenes Diktiergerät protokolliert
(vgl. GLÄSER & LAUDEL 2004, S. 151ff.).
Neben den bereits beschriebenen Erhebungsmethoden wurde zudem ein
Forschertagebuch geführt, in dem persönliche Erfahrungen und Eindrücke
festgehalten wurden. Diese Aufzeichnungen wurden allerdings nicht ausgewertet,
sondern ausschließlich für Interpretationszwecke herangezogen.
33
3.5 Auswertungsmethoden
Im Folgenden sollen die Auswertungsschritte der passiv teilnehmenden
Beobachtung, der schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews dargelegt
werden, die im Anschluss an die Datenhebung erfolgten. Während die passiv
teilnehmende Beobachtung Aufschluss darüber geben sollte, mit welchen
Materialien Schüler/innen intensiver, leichter, einfacher und mit mehr Freude lernen,
sollte mit der schriftlichen Befragung erhoben werden, bei welcher
Experimentalgruppe der größere kognitive Lernzuwachs unmittelbar nach der
Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung erfolgte. Des
Weiteren sollte mit dem Experteninterview ermittelt werden, wie Lehrkräfte die
RÖSA-Materialien sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht
bewerten.
3.5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung
Das Datenmaterial der Beobachtungsbögen wurde mit dem
Textverarbeitungsprogramm Microsoft Word inhaltsanalytisch ausgewertet. Die
Ergebnisse der individuellen Beobachtungsbögen wurden im Anschluss an die
Interventionsstunden sinngemäß zusammengefasst, miteinander verglichen und im
Hinblick auf die oben genannten Fragestellungen interpretiert. Diese Form der
Auswertung entspricht einer deduktiven Vorgehensweise, da die fünf
Beobachtungskategorien (Ausdauer, Instruktionsverständnis, Mitarbeit,
Interaktionsmodus und Sonstiges) mit der passiv teilnehmenden Beobachtung
überprüft und die Daten anhand dieser Kategorien ausgewertet wurden. Generell
werden in der Literatur kaum Angaben zu standardisierten Auswertungsverfahren
von Beobachtungsbögen gemacht, sodass in der Regel eigene Auswertungsformen
entwickelt werden müssen (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 111).
3.5.2 Die schriftliche Befragung
Das Datenmaterial der Fragebogenerhebung wurde in Anlehnung an die qualitative
Inhaltsanalyse nach MAYRING (2000) ausgewertet. Da aus den erhobenen Daten
schrittweise Kategorien entwickelt wurden, entspricht diese Vorgehensweise einer
induktiven Kategorienbildung bzw. einer „offenen Kodierung“ (MAYRING 2000, S.
76). Dem induktiven Verfahren wird in der qualitativen Forschung eine große
Bedeutung zugewiesen. „Es strebt nach einer möglichst naturalistischen,
gegenstandsnahen Abbildung des Materials ohne Verzerrungen durch
34
Vorannahmen des Forschers, eine Erfassung des Gegenstands in der Sprache des
Materials“ (MAYRING 2000, S. 75).
Das folgende Ablaufmodell (Abbildung 3) veranschaulicht grafisch die
Vorgehensweise bei einer induktiven Kategorienbildung nach MAYRING, auf dessen
Grundlage die Auswertung der Fragebögen erfolgte:
Abbildung 3: Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung nach MAYRING
Quelle: http://www.qualitative-research.net
Im Folgenden sollen die einzelnen Schritte des qualitativ-inhaltsanalytischen
Verfahrens zur induktiven Kategorienbildung im Hinblick auf die durchgeführte
Auswertung der Fragebögen dargestellt werden:
Wie bereits in der Darstellung des Designs erwähnt wurde, sollte bei dieser
Untersuchung festgestellt werden, bei welcher Experimentalgruppe unmittelbar nach
der Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung der größere
kognitive Lernzuwachs bzw. die meisten „Wissenselemente“ aufzuweisen waren.
Dabei soll an dieser Stelle zunächst einmal geklärt werden, was unter diesem
Begriff zu fassen ist:
„Wissenselemente“ beziehen sich im schulischen Kontext nicht nur auf die
Wiedergabe von angeeigneten Unterrichtsinhalten bzw. Informationen,
sondern insbesondere auf die Reproduktion subjektiver Erfahrungen (z.B.
handelnde Auseinandersetzung mit Unterrichtsinhalten) bzw. Bewertungen.
„Erst durch die individuelle Bewertung wird Information zu Wissen. Neues
35
Wissen entsteht durch die Kombination von Wissen, durch Vernetzen,
ungewöhnliche Entscheidungen und Bewertungen“ (http://www.genia-
berlin.de). Auf dieser Basis können schließlich Erkenntnisse gewonnen
werden.
In Anlehnung an die oben genannte Fragestellung wurden die Fragebögen der
jeweiligen Experimentalgruppen ausgewertet. Dafür wurde zunächst einmal das
gesamte erhobene Datenmaterial elektronisch auf dem PC gesichert, um einen
Überblick über die abgegebenen Schülerantworten zu erhalten und die Weiterarbeit
zu erleichtern. Im Folgenden musste laut MAYRING „[…] ein Selektionskriterium
eingeführt werden, das bestimmt, welches Material Ausgangspunkt der
Kategoriendefinition sein soll“ (MAYRING 2000, S. 76). Hierfür wurde insbesondere
das Datenmaterial berücksichtigt, das Aufschluss über den Lernzuwachs und die
Tätigkeiten der Kinder während der Interventionsstunden gab. 5 Die
Schülerantworten, die Informationen darüber gaben, was den Kindern an den
jeweiligen Unterrichtsstunden gefallen oder nicht gefallen hat (erster Fragebogen),
wurden bei der Inhaltsanalyse nicht mit einbezogen. Nach der Selektion des
Datenmaterials musste „[…] das Abstraktionsniveau der zu bildenden Kategorien
festgelegt werden“ (MAYRING 2000, S. 76). Da die erhobenen Schülerantworten in
den meisten Fällen nur sehr kurz gehalten wurden, habe ich darauf geachtet, dass
die zu entwickelnden Kategorien möglichst konkret und nicht zu differenziert
formuliert wurden. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass durch eine zu
starke Zergliederung des Datenmaterials die Aussagekraft der Schülerantworten
verloren gehen würde. Im Anschluss an diese Festlegung wurde mit der „offenen
Kodierung“ begonnen, indem das Datenmaterial Wort für Wort durchgearbeitet
wurde. Bei der Analyse des ausgewählten Datenmaterials „[…] wird möglichst nahe
an der Textformulierung unter Beachtung des Abstraktionsniveaus die erste
Kategorie als Begriff oder Kurzsatz formuliert“ (MAYRING 2000, S. 76). Im Folgenden
musste dann darüber entschieden werden, ob die jeweilige Schüleraussage einer
bereits aufgestellten Kategorie zugeordnet werden konnte („Subsumption“) oder ob
eine neue Kategorie formuliert werden musste. Der nächste Schritt, den MAYRING
bei einer induktiven Kategorienbildung vorsieht, ist die Revision der Kategorien nach
ca. 10-50 % des Textmaterials. Hierbei „[…] muß überprüft werden, ob die
Kategorien dem Ziel der Analyse nahe kommen, ob das Selektionskriterium und das
5 Antworten auf die Fragen: Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt: (1. Fragebogen); Weißt du noch, was du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/ Freitag gemacht hast? Was hast du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/ Freitag gelernt? (2. Fragebogen)
36
Abstraktionsniveau vernünftig gewählt worden sind“ (MAYRING 2000, S. 76). Da die
Kategorien mit den genannten Kriterien übereinstimmten, konnte die Inhaltsanalyse
fortgesetzt werden. Nachdem meine Kodierung beendet war, wurde das
Datenmaterial zusätzlich von mehreren unabhängigen Personen im Hinblick auf die
Kategorienbildung im Sinne einer externen Validierung analysiert. In Anlehnung an
die Ergebnisse der Dritten wurde das Kategoriensystem noch einmal überarbeitet
und die endgültigen Kategorien festgelegt und dem Datenmaterial zugeordnet.
Abschließend erfolgte dann die Auszählung der abgegebenen Wissenselemente.
Die folgende tabellarische Übersicht (Abbildung 4) zeigt vier ausgewählte
Kategorien, die im Hinblick auf die qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING gebildet
wurden, sowie die dazugehörigen Ankerbeispiele der Fragebogenerhebung.
Abbildung 4: Tabellarische Übersicht beispielhafter Kategorien und Ankerbeispiele der Untersuchung
Kategorie Ankerbeispiel
� Allg. Unterrichtsinhalte genannt
„verschidene Uhren geshen“6
„Uhren“
� Lernergebnis nicht erkannt
„ich weis es nicht mer“
„Wie gesagt ich weiß nicht was aber irgentetwas
bestimt.“
� Detaillierte Handlungserinnerung
„Ich hab Zeitloto geschpilt. Ich hab Uhrenmemori
geschpilt. Ich hab ein Jahreszeiten spiel gespielt.“
„Früling Sommer Herpst Wintter spiel.“
� Erkenntnis formuliert „Ich habe gelernt das die Sonne Mittags am höchsten
ist.“
„Das auf der ganzen Welt versiedenen Uhren giebt.“
Quelle: FREESE 2009, Eigene Darstellung
Im Anschluss an die induktive Kategorienbildung nach MAYRING wurden die Daten
der Fragebogenerhebung hinsichtlich der gebildeten Kategorien mit dem Statistik-
und Analyseprogramm SPSS quantitativ ausgewertet, damit eine bessere
Vergleichbarkeit der Schülerantworten erzielt werden konnte.
3.5.3 Das Experteninterview
Da das Experteninterview (wie bereits in Abschnitt 3.3.3 erwähnt) mit einem
batteriebetriebenen Diktiergerät protokolliert wurde, musste im Vorfeld der 6 Orthographie der Schüler/innen wurde nicht verändert
37
Auswertung eine Transkription des aufgenommenen Sprachmaterials angefertigt
werden. Hierfür wurde das gesamte sprachliche Material berücksichtigt (siehe
Anhang), da das Interview lediglich fünf Minuten umfasste. MEUSER & NAGEL (1991,
S. 455) halten „[…] aufwendige Notationssysteme, wie sie bei narrativen Interviews
oder konversations-analytischen Auswertungen unvermeidlich sind, für
überflüssig.“ Aus diesem Grund wurden nur die wichtigsten nonverbalen und
parasprachliche Elemente in die Transkription aufgenommen.
Folgende Transkriptionsregeln (nach ALTRICHTER & POSCH 1998, S. 137f.) wurden
dabei berücksichtigt:
(lacht) = sinngemäße Ergänzung bzw. Charakterisierung nichtsprachlicher
Vorgänge
(?) = Unsichere Zuschreibung
() = Sprechpause unter 5 Sekunden
Begreifen = auffällige Betonung
Da das Experteninterview nur im Hinblick auf eine Forschungsfrage relevant ist,
nimmt es in der durchgeführten Untersuchung nur eine Randstellung ein und dient
vornehmlich zur Ermittlung von Hintergrundinformationen. Diese sollen in der
Darstellung der Ergebnisse zusammenfassend erläutert und im Anschluss
interpretiert werden.
Ethikkodex zur Forschung mit Kindern
Abschließend soll erwähnt werden, dass bei der oben beschriebenen Untersuchung
der Ethikkodex (nach WALTER-LAAGER & PFIFFNER 2009) zur Forschung mit Kindern
berücksichtigt und die Rechte der Schüler/innen gewahrt wurde. So wurde
beispielsweise im Vorfeld der Datenerhebung ein Elternbrief von der Klassenlehrerin
verteilt, indem die Erziehungsberechtigten über die besagte Untersuchung in
Kenntnis gesetzt wurden und eine Einverständniserklärung für Filmaufnahmen der
Kinder von den Eltern unterzeichnet werden musste (vgl. HOLMES 1998, S. 24).
Zudem wurde bei der schriftlichen Befragung darauf geachtet, dass den Kindern
genügend Zeit für die Beantwortung des Fragebogens eingeräumt wurde und keine
Fragen gestellt wurden, die die Schüler/innen dazu bringen, sich selber oder ihre
wichtigsten Bezugspersonen schlecht zu machen (vgl. WALTER-LAAGER & PFIFFNER
2009, S. 197 ff..). Keine Schülerin bzw. kein Schüler wurde gezwungen an der
schriftlichen Befragung teilzunehmen.
38
4. Darstellung der Ergebnisse
In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse der passiv teilnehmenden Beobachtung, der
schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews im Hinblick auf folgende
Fragestellungsaspekte aufgezeigt werden:
Lernen Kinder mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt
RÖSA oder mit Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher und zeigen
mehr Lernfreude?
Ist der kognitive Lernzuwachs beim Lernen mit handlungsorientierten
Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder beim Lernen mit
Arbeitsblättern am Ende der Stunde bzw. nach einer Wochen höher?
Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der
Lernwerkstatt RÖSA sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten
Unterricht?
4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung
Mit Hilfe einer passiv teilnehmenden Beobachtung sollte ermittelt werden, bei
welchen Materialien Schüler/innen intensiver, leichter, einfacher und mit mehr
Freude lernen. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Beobachtungsbögen im
Hinblick auf die oben genannten Kriterien zusammenfassend dargelegt werden.
In der Experimentalgruppe, die sich dem Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern
näherte, wurden die Schüler/innen Leyla, Jennifer, Sarah und Sven7 beobachtet.
Leyla, eine leistungsstarke Schülerin mit türkischem Migrationshintergrund, las zu
Beginn der Unterrichtsstunde die Aufgabenstellung des ersten Arbeitsblattes in der
Klasse laut vor. Nachdem das Mädchen zunächst noch einige Fragen bezüglich der
Aufgabenstellung an die Lehrerin hatte, begann die Schülerin konzentriert und aktiv
mit der Bearbeitung des ersten Arbeitsblattes. Obwohl Leyla ständig von ihrem
Sitznachbarn abgelenkt wurde, hatte sie bereits nach acht Minuten dieses
Arbeitsblatt beendet und wollte mit dem nächsten beginnen. Beim zweiten
Arbeitsblatt schien es zunächst einige Unklarheiten zu geben, sodass die Schülerin
erneut die Lehrerin um Rat fragte. Anschließend bearbeitete das Mädchen
konzentriert und in Einzelarbeit das zweite Arbeitsblatt. Jedoch wurde sie auch
hierbei mehrfach von ihrem Sitznachbarn angesprochen und abgelenkt. Während
Leyla zunächst noch ihrem Mitschüler weiterhalf, fühlte sie sich später jedoch
zusehends gestört und ermahnte ihren Sitznachbarn zur Weiterarbeit an seinem
Arbeitsblatt. Obwohl die Klasse nach ca. 25 Minuten immer unruhiger wurde und 7 Kindernamen sind aus Datenschutzrechten verändert worden
39
sich die Geräuschkulisse erheblich erhöhte, bearbeitete das Mädchen konzentriert
und sorgfältig ihr Arbeitsblatt bis zum Ende der Stunde.
Jennifer begann nach der Besprechung der Aufgabenstellung direkt mit der
Bearbeitung des ersten Arbeitsblattes. Sowohl das erste als auch das zweite
Arbeitsblatt wurden von der Schülerin, die von der Lehrerin als leistungsschwach
beschrieben wurde, konzentriert und zumeist in Einzelarbeit ausgeführt. Nach ca. 25
Minuten konnte jedoch beobachtet werden, dass sich die volle Aufmerksamkeit des
Mädchens nicht mehr ausschließlich auf das Arbeitsblatt richtete, sondern dass sie
sich zunehmend anderen Aktivitäten widmete. So beschäftigte sich die Schülerin
beispielsweise mit ihrem Pflaster, führte Privatgespräche, jonglierte ihren Stift auf
der Nase und interessierte sich auf einmal für die im Klassenraum aufgestellte
Videokamera. Nur noch zeitweilig richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf das
Anmalen des zweiten Arbeitsblattes.
Sarah konnte sich kaum auf die Bearbeitung der Arbeitsblätter konzentrieren. Die
leistungsschwache Schülerin wirkte des Öfteren sehr unaufmerksam, unruhig,
verhaltensauffällig und lenkte ihre Sitznachbarn immer wieder ab. Das Mädchen
hatte insbesondere beim zweiten Arbeitsblatt große Probleme, da sie die Uhr noch
nicht lesen konnte. Aus diesem Grund schaute sie oftmals zu ihren Mitschülern
hinüber oder fragte sie oder die Lehrerin um Rat, sodass sie ihre bisherigen
Aufzeichnungen immer wieder korrigieren musste. Nach ca. 25 Minuten stellte das
Mädchen die Bearbeitung des zweiten Arbeitsblattes vollkommen ein und redete mit
ihren Sitznachbarn. Die nervös und unruhig wirkende Schülerin konnte daher das
zweite Arbeitsblatt in der Unterrichtsstunde nicht beenden.
Sven war während der Bearbeitung der Arbeitsblätter sehr stark auf seine
Sitznachbarin Leyla (siehe oben) angewiesen. Der Schüler, der einem mittleren
Leistungsniveau entsprach, schaute des Öfteren zu dem Mädchen hinüber und bat
um ihre Hilfe. Anfängliche Schwierigkeiten hatte Sven insbesondere bei der
Aufgabenstellung des zweiten Arbeitsblattes, sodass der Junge auf die Erklärungen
seiner Sitznachbarin angewiesen war und dadurch die Aufgabe besser verstehen
konnte. Nachdem er das Arbeitsblatt eigenständig beendet und seine Ergebnisse
mit seiner Mitschülerin verglichen hatte, begann Sven mit dem Anmalen der
Symbole des ersten Arbeitsblattes. Da sich zu diesem Zeitpunkt der Geräuschpegel
an den Nachbartischen zunehmend erhöhte, ließ sich auch der Junge immer stärker
von Privatgesprächen am Gruppentisch ablenken, sodass er nicht mehr
ausnahmslos mit seinem Arbeitsblatt beschäftigt war. Auch wurde er auf einmal,
genauso wie seine Mitschülerin Jennifer, auf die Videokamera im Klassenraum
aufmerksam und fragte mich, warum ich dort filmen würde.
40
Aus der Experimentalgruppe, die mit Handlungsmaterialien der RÖSA gearbeitet
hat, standen Jan, Lars, Laura und Alexander im Fokus der Einzelbeobachtung.
Jan hat während der gesamten Unterrichtsstunde mit seinem Sitznachbarn
zusammengearbeitet. Der Schüler, der als besonders leistungsschwach von der
Sachunterrichtslehrerin eingestuft wurde, sowie sein Mitschüler zeigten ein großes
Interesse an den Handlungsmaterialien und beschäftigten sich während des
Unterrichts mit mehreren RÖSA-Materialien. Neben einer intensiven
Auseinandersetzung mit einem Buch über die „Zeit“, haben sich die beiden Jungen
insbesondere für die Spiele (Jahreszeiten-Memory, Jahreszeitenspiel etc.) des
„Lernbuffets“ interessiert. Auffällig war hierbei vor allem, dass die
Handlungsanweisungen der Materialien oftmals nicht von den beiden Schülern
verstanden wurden, sodass einige Spiele schon nach kurzer Zeit wieder zum
„Lernbuffet“ zurückgebracht wurden. Des Weiteren war zu beobachteten, dass die
Handlungsanweisungen einzelner Materialien von den beiden Jungen gar nicht
gelesen wurden, sondern dass es zur selbstständigen Erschließung der
Vorgehensweise kam. Beide Schüler wirkten während der Unterrichtsstunde sehr
aktiv, motiviert und kommunizierten die meiste Zeit leise miteinander.
Lars beschäftigte sich während der gesamten Sachunterrichtssunde vorwiegend in
Einzelarbeit mit zwei Handlungsmaterialien, wobei für den Schüler insbesondere
von der Uhrenkiste eine große Faszination ausging, die sein Interesse sowie seine
Neugierde weckte. Lediglich fünf Minuten der Unterrichtsstunde konnte sich Lars
von den kaputten Uhren der Uhrenkiste entziehen und ordnete an einem
Jahreszeiten-Stoffkreis im Beisein der Lehrerin die zur Jahreszeit passenden
Gegenstände zu. Bei der Zuordnung dieser Objekte hatte der Schüler allerdings
einige Schwierigkeiten, sodass die Lehrerin und ein Mitschüler Lars zum Teil
weiterhelfen mussten. Schnell verlor der Junge aufgrund seines Misserfolgs das
Interesse an dem Handlungsmaterial und begab sich alleine erneut zur Uhrenkiste
ans „Lernbuffet“. Jan nahm nahezu jede Uhr einmal in die Hand, horchte und drehte
an ihr herum und setzte auseinandergefallene Uhren wieder zusammen. Nach
diesem Erfolgserlebnis zeigte er mir stolz und voller Freude eine richtig
zusammengesetzte Uhr. Der technisch interessierte Schüler arbeitete sehr vertieft
an diesen Handlungsmaterialen und ließ sich nicht für die anderen RÖSA-
Materialien am „Lernbuffet“ begeistern. Nachdem Jan auch der Lehrerin seine
eigenständig zusammengesetzte Uhr präsentierte, erklärte diese dem Schüler
anhand der realen Uhr die Uhrzeiten. Hierbei wirkte der Junge sehr interessiert und
ließ sich gerne die Uhrzeit von der Lehrerin erklären. Im Vorfeld der Stunde
41
beschrieb die Lehrerin den Jungen als einen hyperaktiven und leistungsschwachen
Schüler. Dieses konnte während der Beobachtung allerdings zu keinem Zeitpunkt
festgestellt werden.
Laura nahm sich vom „Lernbuffet“ zunächst ein Buch und las mehrere Seiten darin.
Das Mädchen, das als leistungsstarke Schülerin von der Lehrerin beschrieben
wurde, wirkte sehr vertieft in das Buch und verhielt sich während der gesamten
Beobachtung sehr ruhig. Im Anschluss an die Beschäftigung mit dem Buch spielte
Laura zusammen mit ihrer Mitschülerin ein Uhren-Quartett. Hiermit waren die
beiden Mädchen den Großteil der Unterrichtsstunde (ca. 15 Minuten) beschäftigt
und wirkten sehr ausgelassen. Anschließend begab sich Laura alleine zum
„Lernbuffet“ und schaute sich mehrere Handlungsmaterialien an, mit denen sie sich
aber nicht näher beschäftigte.
Alexander hat sich zu Beginn der Stunde einer Jungengruppe angeschlossen, die
ein Zeit-Memory spielte. Während dieser Gruppenarbeitsphase hielt sich der Junge
allerdings stark zurück, war sehr still und wirkte etwas passiv und abwesend. Da der
Schüler ein wenig abseits der Gruppe saß, konnte er sich nur selten in das
Spielgeschehen einbringen und schaute des Öfteren gelangweilt durch den
Klassenraum. Nach dieser Gruppenarbeitsphase begab sich der Junge alleine zum
Jahreszeitenkreis, an dem bereits ein weiterer Mitschüler die zur Jahreszeit
passenden Gegenstände zuordnete. Alexander fand schnell Anschluss und half
dem Mitschüler, den Jahreszeitenkreis mit den vorgegebenen Objekten zu
vollenden. Hierbei wirkte der Junge viel aktiver, motivierter und arbeitete sichtlich
bemüht mit seinem Mitschüler zusammen. Nachdem alle Arbeitsaufträge erfüllt
waren, ging Alexander das erste Mal zum „Lernbuffet“ und betrachtete intensiv eine
kaputte Uhr der Uhrenkiste. Der beobachtete Schüler war stets bestrebt mit seinen
Mitschülern zusammenzuarbeiten. Da sich zunächst allerdings keine Mitschüler zum
Spielen finden ließen, fragte Alexander seine Sachunterrichtslehrerin. Diese riet ihm
allerdings, seine Mitschüler/innen aufzusuchen. Schließlich fand der Junge doch
einen Klassenkameraden, mit dem er zusammen ein weiteres Memory spielte. Auch
bei dieser Partnerarbeit wirkte Alexander sehr aktiv, motiviert, interessiert und hatte
sichtlich Freude.
4.2 Die schriftliche Befragung
Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe der höhere kognitive Lernzuwachs
unmittelbar nach der Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen
Unterbrechung erfolgte, wurden zwei schriftliche Befragungen in beiden
42
Parallelklassen durchgeführt. In der Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)
beteiligten sich an der ersten Fragebogenerhebung 19 Schüler/innen, wobei zwei
Fragebögen aufgrund der Mithilfe der Lehrerin sowie einer unleserlichen Handschrift
nicht berücksichtigt und ausgewertet werden konnten. An der zweiten schriftlichen
Befragung nahmen schließlich 18 Schüler/innen teil, da eine Schülerin
krankheitsbedingt fehlte. In der Experimentalgruppe B, die mit exemplarisch
ausgewählten RÖSA-Materialien gearbeitet hatte, nahmen sowohl an der ersten als
auch an der zweiten Befragung 12 Schüler/innen teil.
Die Schüler/innen der Experimentalgruppe A bezogen sich im Hinblick auf die erste
Frage („An der heutigen Stunde hat mir besonders gut gefallen:“) größtenteils auf
den Unterrichtsinhalt („Das wir wass über Uheren gelernt haben“ 8 ) sowie auf
positive subjektive Erfahrungen (z.B. „Das ich vertisch geworden bin.“) während der
Interventionsstunde. Lediglich ein Schüler äußerte sich kritisch zum
Unterrichtgeschehen und gab zur Antwort, dass ihm „nichts“ an der
Sachunterrichtsstunde gefallen habe. Ein weiterer Schüler nahm auf die oben
genannte Frage keine Stellung und machte stattdessen hinsichtlich der zweiten
Frage („An der heutigen Stunde hat mir nicht so gut gefallen:“) die Aussage, „das
der Unterricht blöt war“. Auch eine weitere Schülerin kritisierte das
Unterrichtsgeschehen. Dem Mädchen war aufgefallen, dass es während der
beobachteten Sachunterrichtsstunde besonders laut in der Klasse war und hatte
dieses auch im Fragebogen angemerkt. Auffällig erschien hingegen, dass acht
Schülern/innen keinerlei Anmerkungen zur Unterrichtsstunde machten und ihnen
demnach alles gefallen haben muss. Auch bei der zweiten Frage wurden
insbesondere subjektive Erfahrungen von den Kindern genannt („Das ich die Urh
nicht so gut kont“). Der Unterrichtsinhalt wurde hingegen nicht negativ bewertet.
Die Schüler/innen der Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten
Materialien der RÖSA gearbeitet hatten, nannten unterschiedliche
Handlungsmaterialien, die ihnen besonders gut gefallen hatten. Insbesondere die
Spiele (z.B. Uhren- bzw. Zeit-Lotto, Uhrenmemory, Quiz) wurden von den Kindern
oft (10x) erwähnt und positiv bewertetet. Des Weiteren fanden die Schüler/innen
großes Gefallen an den Büchern sowie den kaputten Uhren, die von den Kindern
jeweils fünf Mal angegeben wurden. Kritik wurde nur in Anlehnung an einzelne
Handlungsmaterialien geübt, mit denen beispielsweise negative Erfahrungen
gemacht wurden („Das das memorie so lange gedauert hat, das ich beim Lotto nicht
gewonnen habe.“). Fünf Schüler/innen hat die Unterrichtsstunde mit den RÖSA-
Materialien allerdings ausgesprochen gut gefallen, sodass nichts kritisiert wurde. 8 Die Orthografie der Grundschüler/innen wurde nicht verändert.
43
Eine Schülerin begründete ihre Aussage sogar und führte an: „weil es nicht
langweilig war“. 9
Abbildung 5: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Arbeitsblattunterricht)
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
Abbildung 5 zeigt die Gesamtzahl der abgegebenen Schülerantworten der
Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht) bei der ersten Fragebogenerhebung
auf die Frage „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“. Die
Schüleraussagen wurden hinsichtlich des inhaltsanalytischen Verfahrens nach
MAYRING ausgewertet und kategorisiert (siehe Kapitel 3.5.2). Im Hinblick auf dieses
Kategoriensystem wurden die Schülerantworten zusammengefasst und folgende
Ergebnisse ermittelt:
Sieben Schüler/innen gaben auf die oben genannte Frage „allgemeine
Unterrichtsinhalte“ wie zum Beispiel „Die Uhrzeit und verschiedene Uhren.“ oder
„Namen von den Uhren“ zur Antwort. Das „Lernergebnis umrissen“ wurde von sechs
Kindern. Unter dieser Kategorie wurden beispielsweise Antworten gefasst, wie „mit
9 Die vollständige Übersicht der Schülerantworten der 1. und 2. Fragebogenerhebung befindet sich im Anhang.
44
den Uhr zeiten habe ich gelernt“ oder „ein kleines bischen die urh lesen“. Des
Weiteren konnten drei Schüler/innen kein Lernergebnis erkennen, da Aussagen wie
„Ich weiß nicht recht was aber irgent etwas bestimt“ getätigt wurden. Zudem wurden
von zwei Kinder „keine stundenrelevanten Unterrichtsinhalte genannt“ (z.B. „wie
man mit der Uhr umgeht.“).
Abbildung 6: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Handlungsorientierter Unterricht)
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
Abbildung 6 gibt Aufschluss über die abgegebenen Schülerantworten der ersten
Fragebogenerhebung zur oben genannten Frage der Experimentalgruppe B, die mit
Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatte. Im Anschluss an die induktive
Kategorienbildung (nach MAYRING) ergab die Auswertung der Schüleraussagen
folgendes:
Mehr als die Hälfte der Schülerantworten entfielen auf die Kategorie „allgemeine
Handlungserinnerung“. Hierbei wurde unter anderem genannt, dass „Etwas über
Uhren die Kaputt waren“ gelernt wurde oder „Ales selbst zu machen…“. Besonders
auffällig war zudem, dass mehr als ein Drittel der Kinder kein Lernergebnis
formulieren konnten (z.B. „Ich habe nichs gelernt.“). Während in der
45
Experimentalgruppe A von den Schülern/innen keine Erkenntnisse genannt wurden,
gab es in der Experimentalgruppe B immerhin zwei Schüler/innen, die derartige
Feststellungen leisten konnten.
Mit Hilfe der folgenden tabellarischen Gegenüberstellung (Abbildung 7) sollen noch
einmal zusammenfassend die Ergebnisse der ersten Fragebogenerhebung der
beiden Experimentalgruppen dargestellt werden, die einen Überblick über die
Anzahl der kategorisierten Schülerantworten gibt.
Abbildung 7: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden Experimentalgruppen nach der ersten Fragebogenerhebung
Kategorien Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)
Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter Unterricht)
Allgemeine Unterrichtinhalte
genannt
7
0
Lernergebnis
umrissen
6
0
Lernergebnis nicht erkannt/ formuliert
3
5
Nicht stunden- relevante
Unterrichtsinhalte genannt
2
0
Allgemeine
Handlungserinnerung
0
8
Erkenntnis formuliert
0
2
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
46
Abbildung 8: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten Fragebogenerhebung (Arbeitsblattunterricht)
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
In Abbildung 8 wird ersichtlich, welche Aussagen die Schüler/innen der
Experimentalgruppe A bei der zweiten schriftlichen Befragung im Hinblick auf die
Fragen „Weißt du noch, was du in dieser Sachunterrichtsstunde gemacht hast?“ und
„Was hast du in dieser Unterrichtsstunde gelernt?“ getätigt haben. Rund 40 Prozent
der Schüler/innen haben mit Aussagen wie zum Beispiel „Wir haben die Zeit
gelernt.“ oder „Das wir so filh über Uhren gelernd haben!“ das „Lernergebnis
umrissen“. Jeweils sieben Kinder nannten bei der zweiten schriftlichen Befragung
allgemeine Unterrichtsinhalte und konnten keine stundenrelevanten
Unterrichtsinhalte sowie Lernergebnisse formulieren. Lediglich ein Grundschüler ließ
seine subjektiven Erfahrungen („oich kenengelert“) in seine Antwort mit einfließen.
47
Abbildung 9: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten Fragebogenerhebung (Handlungsorientierter Unterricht)
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
Abbildung 9 zeigt die Aussagen der Kinder der Experimentalgruppe B
(Handlungsorientierter Unterricht) bei der zweiten Fragebogenerhebung hinsichtlich
der oben genannten Fragen (siehe Abbildung 7). Auffällig war hierbei insbesondere
die große Bandbreite an verschiedenen Schülerantworten, die entsprechend der
dargestellten Kategorien zusammengefasst wurden. Während sich in der
Experimentalgruppe A keine Schülerin bzw. kein Schüler an die genauen
Unterrichtsinhalte der Interventionsstunde erinnern konnte, wurden in der
Versuchsgruppe die meisten Aussagen (24) im Hinblick auf detaillierte Handlungen
der Kinder gemacht. So äußerten die Schüler/innen beispielsweise: „Ich hab Zeitloto
geschpilt. Ich hab Uhrenmemori geschpilt. Ich hab ein Jahreszeiten spiel gespielt.“
Des Weiteren entfielen 18 Schülerantworten auf die Kategorie „allgemeine
Handlungserinnerung“, wobei folgendes wiedergegeben wurde: „Ich habe mir die
Uhren angekukt. Ich habe ein Spiel gespielt. Ich habe ein Buch gelesen.“ Zwölf Mal
wurde das Lernergebnis von den Schülern/innen umrissen und in fünf Fällen
konnten keine Angaben zum Lernergebnis gemacht werden („Ich hab nichs
gelernt.“). Zudem konnten vier Schüler/innen Erkenntnisse formulieren („Ich habe
48
gelernt das die Sonne Mittags am höchsten ist.“) und es wurden drei affektiv
emotionale Äußerungen getätigt („und die kakuten Uhren waren schön.“).
Die nachfolgende tabellarische Gegenüberstellung (Abbildung 10) der Ergebnisse
der Experimentalgruppen A (Arbeitsblattunterricht) und B (Handlungsorientierter
Unterricht) soll eine Übersicht über die kategorisierten Schülerantworten bei der
zweiten Fragebogenerhebung geben. Hierbei wird unter anderem besonders
deutlich, dass die Experimentalgruppe B, die mit RÖSA-Materialien gearbeitet hatte,
insgesamt gesehen wesentlich mehr Inhaltsaspekte nennt als die
Experimentalgruppe A.
Abbildung 10: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden Experimentalgruppen nach der zweiten Fragebogenerhebung
Kategorien Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)
Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter Unterricht)
Lernergebnis umrissen
14
12
Nicht stunden-relevante
Unterrichtsinhalte genannt
7
0
Lernergebnis nicht
erkannt
7
5
Allgemeine Unterrichtsinhalte
genannt
7
0
Subjektive
Erfahrungen genannt
1
0
Detaillierte
Handlungserinnerung
0
24
Allgemeine
Handlungserinnerung
0
18
Erkenntnis formuliert
0
4
Affektiv emotionale Bewertung
0
3
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
49
Abbildung 11: Vergleich der Anzahl der Wissenselemente der Experimentalgruppen (Handlungsorientierter vs. Arbeitsblattunterricht) bei der 1. und 2. Befragung
Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung
Wie in Abbildung 11 zu erkennen ist, wird die Anzahl der genannten
Wissenselemente, die durch die erste und zweite schriftliche Befragung erhoben
wurde, der beiden Experimentalgruppen (handlungsorientierter Unterricht vs.
Arbeitsblattunterricht) gegenübergestellt und miteinander verglichen.
Während die Schüler/innen der Versuchsgruppe, die mit handlungsorientierten
Materialien aus der RÖSA gearbeitet hatten, bei der ersten Befragung lediglich zehn
Wissenselemente aufzählen konnten, hat sich die Anzahl dieser bei der zweiten
Fragebogenerhebung mehr als versechsfacht. Die Kinder der Versuchsgruppen
konnten insbesondere bei der letzten Befragung nahezu dreimal so viele
Wissenselemente (61) aufzählen, als die Kontrollgruppe (24). Die niedrige Anzahl
der Wissenselemente bei der ersten Befragung in der Versuchsgruppe
(handlungsorientierter Unterricht) lässt sich vor allem dadurch erklären, dass die
Schüler zum Teil nicht in der Lage waren, ein Lernergebnis zu formulieren. Folglich
konnten die Kinder der Kontrollgruppe (Arbeitsblattunterricht) ein wenig mehr
Wissenselemente (13) als die Schüler der Versuchsgruppe nennen.
50
4.3 Das Experteninterview
Im Hinblick auf die Forschungsfrage, wie Lehrkräfte die RÖSA-Materialien und
einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht bewerten, wurde ein
Experteninterview mit der Lehrerin der Versuchsgruppe geführt. Im Folgenden
sollen die erhobenen Ergebnisse dieser Expertenbefragung dargestellt werden:
Die betreuende Sachunterrichtslehrerin der Versuchsgruppe ist der Überzeugung,
dass Grundschüler/innen durch einen handlungsorientierten Unterricht sehr viel
lernen können. Sie ist allerdings auch der Meinung, dass ein handlungsorientierter
Unterricht im Vergleich zu einem traditionellen Unterricht nicht unmittelbar zu einem
größeren kognitiven Lernzuwachs bei den Schülern/innen führen müsse. Aus der
Sicht der Lehrerin könne man dieses nicht verallgemeinern. Denn jedes Kind habe
seinen individuellen Lernweg: So würden einige Schüler am besten lernen, wenn sie
selbstständig arbeiten könnten. Andere Kinder hingegen würden durch den
auditiven Kanal oder durch eine handelnde Auseinandersetzung mit der Sache
besser lernen können. Ob ein kognitiver Lernzuwachs erfolgt, sei immer abhängig
von dem jeweiligen Kind, der Lehrkraft sowie der Unterrichtssituation.
Die Lehrerin empfand die Sachunterrichtsstunde, in der mit Handlungsmaterialien
aus der RÖSA gearbeitet wurde, als sehr animierend für die Kinder. Besonders gut
gefallen haben ihr insbesondere die Spiele, die in Gruppenarbeit durchgeführt
werden konnten, sowie der Stoffkreis über die Jahreszeiten. Hierbei betonte sie vor
allem die Förderung der kommunikativen Kompetenzen der Schüler/innen, die mit
der handelnden Auseinandersetzung der Materialien verbunden sei.
Kritisch angemerkt hat sie allerdings, dass einige Kinder mit den Materialien nicht
das gemacht hätten, was eigentlich vorgesehen wäre. So führte sie beispielsweise
an, dass besonders technisch interessierte Schüler/innen viel lieber mit dem
technischen Material der Uhren beschäftigt gewesen seien, als sich freiwillig mit der
Uhrzeit zu befassen. In diesem Fall, so die Sachunterrichtslehrerin, mussten die
Kinder sehr stark von der Lehrkraft angeleitet werden, um sich entsprechend der
Handlungsanweisungen zu verhalten. Des Weiteren gab die Lehrerin zu Bedenken,
dass womöglich nicht allen Kindern bewusst geworden sei, dass sie in der
Unterrichtsstunde mit den Handlungsmaterialien etwas gelernt haben.
Nichtsdestotrotz bewertete die Lehrerin die handlungsorientierte
Sachunterrichtsstunde mit den RÖSA-Materialien sehr positiv, da auch sie sehr
häufig mit Handlungsmaterialien im Unterricht arbeiteten würde. Aus diesem Grund
würde sie auch jederzeit auf die Handlungsmaterialien der RÖSA zurückgreifen
wollen, da diese dann nicht selber hergestellt werden müssten. Jenen Aspekt sieht
sie auch als Hauptgrund, weshalb handlungsorientierter Unterricht so selten im
51
Sachunterricht stattfinde. Da entsprechende Materialien schlecht zu bekommen
seien und Lehrkräfte zahlreiche Verpflichtungen hätten, erscheint es oftmals
unmöglich, sich auch noch um die Handlungsmaterialien für den Unterricht zu
kümmern.
52
5. Interpretation der Ergebnisse
Im Folgenden sollen die erhobenen Ergebnisse der passiv teilnehmenden
Beobachtung, der schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews im Hinblick
auf die aufgestellten Forschungsfragen interpretiert werden.
5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung
Beim Vergleich der Beobachtungsbögen der Schüler/innen wurden gravierende
Unterschiede im Hinblick auf die Verhaltensweisen der Kinder zwischen
Arbeitsblattunterricht und handlungsorientiertem Unterricht festgestellt. Diese
resultieren womöglich vornehmlich aus dem Desinteresse bzw. Interesse der
Schüler/innen an der jeweiligen Unterrichtsform. Im Folgenden sollen spezifische
Verhaltensauffälligkeiten der jeweils beobachteten Schülergruppe beider
Experimentalgruppen dargelegt und interpretiert werden.
Das „Lernbuffet“ hat bei den Schülern/innen der Versuchsgruppe bereits beim
Hereinkommen in die Klasse eine gewisse Spannung erzeugt und die Kinder
neugierig auf die aufgebauten Handlungsmaterialien gemacht. Daher verwundert es
nicht, dass alle Kinder den Erklärungen der Lehrerin zu Beginn der
Sachunterrichtsstunde mit voller Aufmerksamkeit folgten und sich im Anschluss
größtenteils an das „Lernbuffet“ begaben. Die Kinder waren sichtlich interessiert an
den RÖSA-Materialien und konnten es kaum erwarten, die Lernutensilien
auszuprobieren. Bereits HARTINGER (2001) konnte in einer Studie nachweisen, dass
Schüler/innen umso motivierter und interessierter am Unterricht sind, wenn sie
selbst bestimmen können. Ähnliches konnte auch in dieser Klasse festgestellt
werden.
Die beobachteten Schüler/innen haben die Handlungsmaterialien der RÖSA
größtenteils sehr gut angenommen und dabei ein aktives Arbeitsverhalten gezeigt.
Die unbekannten Materialien haben die Kinder neugierig gemacht, ein großes
Interesse hervorgerufen und die Schüler/innen zu einer motivierten
Herangehensweise animiert. Insbesondere die Uhrenkiste hatte für die Kinder einen
hohen Aufforderungscharakter. Die darin enthaltenen kaputten Uhren haben vor
allem die Neugierde und das Interesse der Jungen geweckt und zur Beschäftigung
herausgefordert. Dieses geschlechtspezifische Interesse ist womöglich auf den eher
technisch ausgelegten Charakter des Handlungsmaterials zurückzuführen. Mehrere
Schüler drehten an den defekten Uhren herum, betrachteten sie intensiv oder
versuchten, auseinandergefallene Uhren wieder richtig zusammenzusetzen.
53
Insbesondere Lars 10 , der von der Lehrerin im Vorfeld der Stunde als ein
leistungsschwacher und hyperaktiver Schüler beschrieben wurde, zeigte großes
Interesse an den kaputten Uhren und richtete seine Aufmerksamkeit immer wieder
auf das besagte RÖSA-Material. Der Junge unternahm Versuche zur aktiven
Problemlösung (Zusammensetzen von Uhren) und wirkte während der
Unterrichtsstunde sehr vertieft, ruhig, ausgeglichen und keinesfalls
verhaltensauffällig. Ein Verhaltensmuster, das bereits in Untersuchung von FLYNN/
RAPOPORT (1976), GOETZE (1992), GOETZE/JÄGER (1991) (siehe Kapitel 2: Stand
der Forschung) festgestellt werden konnte und für die aktivierende und positive
Wirkung eines handlungsorientierten Unterrichts spricht.
Neben den defekten Uhren der Uhrenkiste wurden auch Spiele mit
Wettkampfcharakter häufig von den Schülern/innen ausgewählt und mit der
Partnerin oder dem Partner sowie in Kleingruppen gespielt. Die Spiele schienen
einen besonderen Anreiz für die Schüler/innen zu haben, da diese ihren natürlichen
kindlichen Bedürfnissen entsprachen und für die Kinder mit Spaß, Freude und
Herausforderungen verbunden waren. Hierbei ergaben sich für die Schülern/innen
auch genügend Möglichkeiten, um miteinander zu kommunizieren.
Die Ausdauer der Kinder am Handlungsmaterial war hingegen von Schüler/in zu
Schüler/in unterschiedlich. Während sich einige Kinder (wie zum Beispiel Lars)
intensiv mit einem bestimmten Handlungsmaterial beschäftigten, wechselten andere
Schüler/innen (wie beispielsweise Jan) häufig die RÖSA-Materialien. Letzteres war
oftmals dann der Fall, wenn die Kinder die Handlungsanweisungen (zumeist bei den
Spielen) nicht verstehen konnten. Insbesondere lernschwache Schüler/innen hatten
große Schwierigkeiten, die Handlungsanweisungen zu lesen, zu verstehen und in
Handlung umzusetzen, da diese zum Teil zu umfangreich formuliert waren und die
Kinder infolgedessen das Lesen abgebrochen haben. Diese Befunde konnten auch
in einer Studie von KAISER & TEIWES (2002) erhoben werden: „Häufig sind die Texte
sehr lang, mit vielen sehr expliziten und komplizierten Erklärungen, was die Kinder
meiner Ansicht nach zu oberflächlichem Überlesen des Textes veranlaßt. Dies führt
dazu, dass Handlungsaufträge nur teilweise verstanden werden. Die Kinder können
zwar meistens mit der Arbeit beginnen, wissen aber an einem bestimmten Punkt
einfach nicht mehr weiter“ (KAISER & TEIWES 2002). Die Schüler/innen hatten
oftmals nur das Bedürfnis zu handeln und haben daher die Handlungsanleitungen
des RÖSA-Materials außer Acht gelassen. Insbesondere leseschwache
Schüler/innen wurden durch die zum Teil sehr langen Handlungsanweisungen
entmutigt und haben entweder das handlungsorientierte Material zurück zum 10 Kindernamen sind aus Datenschutzrechten verändert worden
54
„Lernbuffet“ gebracht oder sich ihre Vorgehensweise selber erschlossen. Aus
diesem Grunde schließe ich mich der Ansicht von KAISER & TEIWES (2002) an und
bin der Meinung, dass es „[…] nicht so expliziter Ausführungen [bedarf], die die
einzelnen Handlungsschritte bis ins kleinste Detail erklären. Die Kinder sind häufig
auch in der Lage, mit weniger vorbereiteten und erklärten Materialien Aufgaben
durchzuführen.“
Die Lehrerin hat sich während der Interventionsstunde weitestgehend aus dem
Unterrichtsgeschehen herausgehalten. Sie musste nur selten eingreifen und hat den
Schülern/innen lediglich Hilfestellungen, Anregungen und Impulse zur
Beschäftigung mit den Handlungsmaterialien gegeben. Generell konnte jedoch
festgestellt werden, dass sich die Schüler/innen vielmehr untereinander
ausgetauscht haben und es nur sehr wenige Fragen an die Lehrerin gab. Obwohl
einige Kinder vor allem beim Erlesen der Anleitungen große Schwierigkeiten hatten,
wurde in den meisten Fällen nicht die Hilfe der Lehrerin in Anspruch genommen,
sondern eigene Lösungswege gesucht. Dieses Verhalten lässt sich dahingehend
interpretieren, dass die Schüler/innen sehr bestrebt waren, selbstständig zu
arbeiten. Da die Lehrerin erwähnt hatte, dass sie ausschließlich Wochenplanarbeit
in der Klasse durchführe, lässt sich das selbstständige Arbeitsverhalten der
Schüler/innen erklären.
Während der Interventionsstunde haben sich die Schüler/innen sowohl in Gruppen-,
Partner- als auch in Einzelarbeit mit den Handlungsmaterialien beschäftigt. Jan hat
beispielsweise ununterbrochen mit seinem Sitznachbarn zusammengearbeitet. Der
Junge hat keinen Schritt ohne seinen Mitschüler gemacht und sich während der
Sachunterrichtsstunde immer an seinem Sitznachbarn orientiert. Daher wird
angenommen, dass insbesondere lernschwache Schüler, wie Jan, eine
Bezugspersonen benötigen, die ihnen die Sicherheit geben „[…] sich in das
Handlungsgeschehen besser zu integrieren“ (KAISER & TEIWES 2002). Auch
Alexander war während der beobachteten Unterrichtsstunde sehr bemüht, mit
anderen Mitschülern/innen zusammenzuarbeiten. Daher schloss sich Alexander
zunächst auch einer Jungengruppe an, mit der er ein Memory spielte. Da der
Schüler sich allerdings nicht in die Gruppe einbringen konnte, sehr still war und
passiv und abwesend wirkte, wechselte er das Handlungsmaterial und beschäftigte
sich zusammen mit einem Mitschüler mit der Zuordnung von Gegenständen zum
Jahreszeitenkreis und konnte dabei aktiv an der Problemlösung mitwirken. Und
auch beim Memoryspielen mit einem anderen Klassenkameraden war Alexander
auf einmal viel aktiver, zeigte Interesse, lachte und unterhielt sich angeregt mit
seinem Mitschüler. Der Junge musste sich zunächst, so schien es, an diese
55
Unterrichtsform gewöhnen und hat sich daher einer größeren Gruppe
angeschlossen, in der er sich allerdings sichtlich unwohl fühlte. Erst durch die
Beschäftigung mit dem Handlungsmaterial, das er sich selber ausgesucht hatte und
in Partnerarbeit durchgeführt wurde, zeigte Alexander mehr Aktivität und
Lernfreude. Der Schüler hatte in der Klasse einen leichten Außenseiterstatus und
konnte sich daher in die größere Gruppe nicht integrieren. Um sich besser in das
Handlungsgeschehen einzufinden, war Alexander daher ständig auf der Suche nach
einer Bezugsperson, mit der er sich austauschen konnte. Die Partnerarbeit bot ihm
schließlich eine Schutzatmosphäre, die ihm eine innere Sicherheit gab und in der er
sich sichtlich wohl fühlte. Auch die soziale Strukturierung des handlungsorientierten
Unterrichts scheint eine wichtige Qualitätsbedingung zu sein.
Auffällig war allerdings, dass sich die Schüler/innen überwiegend in Gruppen bzw.
mit der Partnerin oder dem Partner mit den Handlungsmaterialien beschäftigten. So
fanden sich oftmals mehrere Kinder zum gemeinsamen Spielen oder zur
Bearbeitung der Handlungsmaterialien des „Lernbuffets“ zusammen. Hierdurch
konnte das Gruppen- und Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Klasse
gestärkt sowie kommunikative und soziale Kompetenzen gefördert werden.
Obwohl die Interventionsstunde an einem Freitag in der letzten Schulstunde
stattfand und die Klasse vornehmlich aus Jungen bestand, herrschte innerhalb der
Klasse eine sehr ruhige und angenehme Lernatmosphäre. Die beobachteten Kinder
haben größtenteils sehr vertieft bis zum Ende der Sachunterrichtsstunde mit den
Handlungsmaterialien gearbeitet und sich durchgängig beschäftigt. Dieses spricht
dafür, dass die Kinder ein großes Interesse an den RÖSA-Materialien sowie am
handlungsorientierten Unterricht zeigten. Da diese Art von Unterricht nicht alltäglich
für die Kinder war, musste der handlungsorientierte Unterricht daher umso
motivierender und begeisternder auf die Schülern/innen gewirkt haben. Als die
Lehrerin die Sachunterrichtstunde aufgrund der Bearbeitung des Fragebogens
beenden musste, schienen die Schüler/innen sehr enttäuscht zu sein und hätten
sich gerne weiter mit den RÖSA-Materialien beschäftigt.
Im Hinblick auf die erhobenen Beobachtungen kann also zusammenfassend
festgehalten werden, dass Schüler/innen durch einen handlungsorientierten
Unterricht zu einer selbstbestimmten, aktiven und kommunikativen
Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand angeregt und motiviert werden.
Das exemplarisch ausgewählte RÖSA-Material hat das Interesse und die Neugierde
der Kinder geweckt und das Unterrichtsgeschehen stark belebt. Lediglich das
Erlesen der zum Teil ausführlichen Handlungsanleitungen führte zu leichten
Problemen bei lernschwachen Schülern/innen.
56
Im Gegensatz zu den Handlungsmaterialien aus der RÖSA, hatten die Arbeitsblätter
für die Schüler/innen der Experimentalgruppe A keinen hohen Motivations- und
Aufforderungscharakter. Dieses konnte bereits zu Beginn der Unterrichtsstunde
festgestellt werden. Während die Klassenlehrerin die Aufgaben der Arbeitsblätter
erklärte, hörte nicht unmittelbar jedes Kind aufmerksam zu. Bei zwei der zu
beobachtenden Kinder (Sarah und Sven) wurde beispielsweise ein Kippeln mit dem
Stuhl registriert. Daher kann angenommen werden, dass die Bearbeitung der
Arbeitsblätter nicht gerade das Interesse und die Motivation dieser Kinder geweckt
hatte. Dass einige Kinder (wie zum Beispiel Sven) bei der Aufgabenbesprechung
nicht richtig zugehört hatten, wurde zudem daran ersichtlich, dass sich diese
Schüler/innen die Aufgaben von ihren Mitschülern/innen oder von der Lehrerin
abermals erklären lassen mussten. Folglich liegt die Vermutung nahe, dass ein
Arbeitsblattunterricht aufgrund seines nicht genügenden Aufforderungscharakters zu
einem unaufmerksamen Verhalten führt und damit die Ablenkungsbereitschaft
fördert. Zudem wurde beobachtet, dass selbst eine leistungsstarke und engagierte
Schülerin (wie Leyla) leichte Probleme mit den Arbeitsaufträgen der Arbeitsblätter
zeigte und oftmals die Lehrerin um Rat fragen musste. Das Mädchen und auch
andere Schüler/innen waren also in einem hohen Maße von der Lehrkraft abhängig
und hätten womöglich ohne ihre Hilfe größte Schwierigkeiten bei der Bearbeitung
der Aufgaben gehabt. Da es bei einem Arbeitsblatt oftmals nur eine richtige bzw.
eine falsche Lösung gab, waren die Schüler/innen in diesem Falle umso stärker auf
die Hilfestellungen der Lehrkraft angewiesen. Nachdem Leyla die Aufgaben
schließlich verstanden hatte, musste sie ihren Sitznachbarn über die richtige
Bearbeitung der Arbeitsblätter informieren. Sven profitierte von den erarbeiteten
Ergebnissen seiner Klassenkameradin sehr stark und lenkte Leyla des Öfteren
durch Fragen vom Lerngeschehen ab oder schaute zu ihr hinüber, um die richtige
Lösung zu übernehmen. Dieses Verhaltensmuster konnte während der
Interventionsstunde des Öfteren beobachtet werden. Da sich vor allem
leistungsschwache Schüler/innen auf die Hilfe von leistungsstarken Mitschüler/innen
verlassen, sich an ihnen orientieren und gegebenenfalls Ergebnisse „abschreiben“,
reduziert sich oftmals die Eigenleistung von den „schwächeren“ Schülern/innen und
führt zu einem geringeren kognitiven Lernzuwachs.
Während der beobachteten Interventionsstunde hatte es nicht den Anschein, dass
die Kinder die Aufgabe motiviert oder mit Freude bearbeiteten. Das Arbeitsklima
innerhalb der Klasse wurde vielmehr durch ein routiniertes Abarbeiten der
Aufgabenstellungen geprägt. Zudem wurde beobachtet, dass die Aufmerksamkeits-
und Konzentrationsspanne der Kinder beim Arbeitsblattunterricht deutlich geringer
57
war als bei der Experimentalgruppe, die mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA
gearbeitet hatte. Während sich die Kinder der Experimentalgruppe B bis zum Ende
der Interventionsstunde intensiv mit den Handlungsmaterialien beschäftigten,
machten einige Schüler/innen der Kontrollgruppe, wie zum Beispiel Jennifer, bereits
nach der Hälfte der Unterrichtsstunde einen unaufmerksamen und gelangweilten
Eindruck und versuchten, sich unter anderem durch das Führen von
Privatgesprächen von der Bearbeitung der Arbeitsblätter abzulenken. Das Mädchen
zeigte also ein Verhalten, das nicht gerade für einen interessanten und
motivierenden Unterricht spricht. Die beobachteten Schüler/innen konnten sich im
Gegensatz zur Versuchsgruppe nicht bis zum Stundenende mit den Arbeitsblättern
beschäftigen und suchten vermehrt das Privatgespräch. Nach ca. 25 Minuten
erhöhte sich der Lärmpegel in der Klasse erheblich, sodass sich einige Kinder nicht
mehr auf ihr Arbeitsblatt konzentrieren konnten und von Mitschülern/innen abgelenkt
wurden.
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich ein Arbeitsblattunterricht durch
sein geringes Maß an Selbstbestimmung der Schüler/innen negativ auf die
Motivation, das Interesse und das Leistungsverhalten auswirkt. Des Weiteren
konnte durch die passiv teilnehmende Beobachtung ermittelt werden, dass der
Arbeitsblattunterricht häufig eine Plattform für Ablenkungen durch Mitschüler/innen
bietet und damit die Unruhe und Unaufmerksamkeit innerhalb der Klasse fördert.
Zudem sind die Schüler/innen in einem hohen Maße von der Lehrkraft abhängig und
auf ihre Hilfestellungen angewiesen. Aufgrund der dargelegten negativen Aspekte
dieser Unterrichtsform sowie insbesondere durch die Einschränkung der
Selbstständigkeit der Schüler/innen wird die Qualität des Unterrichts stark
beeinträchtigt.
Ein handlungsorientierter Unterricht stellt also eine für die Kinder belebendere
Unterrichtsform dar, weil er gemäß dieser Forschungsergebnissen die
Selbstständigkeit der Schüler/innen fördert, die Motivation sowie die Neugierde der
Grundschulkinder weckt und zur aktiv-handelnden und kommunikativen
Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt. Da die Schüler/innen
eigenständig über ihren Lernprozess bestimmen dürfen, können sie bei einem
handlungsorientierten Unterricht leichter, einfacher, intensiver und mit mehr Freude
lernen.
5.2 Die schriftliche Befragung
Unmittelbar nach der Interventionsstunde erhielten beide Experimentalgruppen
einen Fragebogen, durch den die Schüler/innen die Sachunterrichtsstunde bewerten
58
und Auskunft darüber erteilen sollten, was sie gelernt hatten. Die Schüler/innen der
Experimentalgruppe A, die sich dem Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern
näherte, bewerteten den Unterrichtsinhalt zumeist positiv und nannten positive
subjektive Erfahrungen („Das ich vertisch geworden bin.“) 11 . Kritische Stimmen
wurden allerdings im Hinblick auf den Unterricht laut: So äußerten einige
Schüler/innen, dass ihnen „nichts“ am Unterricht gefallen hat oder „das der
Unterricht blöt war“. Diese ehrlichen Aussagen der Zweitklässler blieben jedoch die
Ausnahme. Es hatte den Anschein, als ob die Kinder nicht den Mut hatten oder
gehemmt waren, eine Bewertung des Unterrichts abzugeben. Daher äußerten sich
womöglich auch die meisten Schüler/innen positiv zum Unterrichtsinhalt („Das wir
wass über Uheren gelernt haben“). Lediglich ein Mädchen berichtete, dass ihr der
Unterricht nicht gefallen hätte, da es während der Sachunterrichtsstunde sehr laut in
der Klasse gewesen wäre. Eine Beobachtung, die womöglich auch von anderen
Kindern gemacht wurde, jedoch nicht im Fragebogen genannt oder als störend
empfunden wurde. Obwohl der Unterricht für die Schüler/innen aufgrund der
Ergebnisse der passiv teilnehmenden Beobachtung sichtlich unmotivierend sowie
durch ein stupides und routiniertes Abarbeiten der Aufgabenstellungen geprägt war,
äußerten sich die meisten Zweitklässler positiv zum Lerngegenstand und hatten
wenig Kritik am Unterricht zu üben. Dieses Verhalten entspricht den Ergebnissen
einiger Forschungen und lässt sich dahingehend interpretieren, dass
Grundschüler/innen ihre Lehrerin sowie ihren Unterricht in hohem Maße schätzen,
sollte diese bzw. dieser auch noch so schlecht sein.
Die Schüler/innen der Experimentalgruppe B, die mit Handlungsmaterialien aus der
RÖSA arbeiteten, zählten diverse RÖSA-Materialien (insbesondere Spiele) auf, die
ihnen besonders gut gefallen hatten. Kritik hatten die Kinder lediglich an einzelnen
Utensilien zu üben, mit denen sie oftmals negative subjektive Erfahrungen während
der Interventionsstunde gemacht hatten (z.B. „…das ich beim Lotto nicht gewonnen
habe.“). Von fünf Schülern/innen – also fast der Hälfte der Klasse – wurde nichts am
Unterricht kritisiert, wobei eine Schülerin im Fragebogen angemerkt hatte, dass der
Unterricht nicht langweilig gewesen sei. Diese Aussage spricht dafür, dass diese
Unterrichtform, in der die Kinder aktiv handeln konnten, im Interesse der
Schüler/innen lag und ihre Motivation sowie ihre Neugierde geweckt haben musste.
Kritik am Unterricht hat hingegen kein Zweitklässler geäußert. Auch diese Tatsache
kann dahingehend interpretiert werden, dass der Unterricht von den Schülern/innen
als durchgehend positiv empfunden wurde und für die Kinder mit mehr Freude am
Lernen verbunden war. 11 Die Orthografie der Grundschüler/innen wurde nicht verändert.
59
Die dritte Frage („Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“) des
Fragebogens sollte Aufschluss darüber geben, bei welcher Experimentalgruppe
unmittelbar nach der Interventionsstunde der größere kognitive Lernzuwachs
erfolgte. Auffällig war hierbei, dass bei beiden Experimentalgruppen vergleichbare
Kategorien nach dem inhaltsanalytischen Verfahren von MAYRING gebildet werden
konnten. Sowohl in der Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht) als auch B
(handlungsorientierter Unterricht) haben die Schüler/innen „allgemeine
Unterrichtsinhalte“ bzw. „allgemeine Handlungserinnerungen“ am häufigsten
genannt, wobei der prozentuale Anteil der Schüleraussagen der
Experimentalgruppe B, die sich auf „allgemeine Handlungserinnerungen“ bezogen,
erheblich höher war als in der Experimentalgruppe A. Die Kinder, die sich zuvor mit
den Handlungsmaterialien der RÖSA beschäftigt hatten, konnten sich zwar
mehrheitlich an ihre Handlungen erinnern, jedoch war ihnen zum Teil nicht bewusst,
was sie in der Sachunterrichtsstunde gelernt hatten. Dies lässt sich möglicherweise
dadurch erklären, dass viele Zweitklässler während der Interventionsstunde durch
die Beschäftigung mit Lernspielen nicht das Gefühl hatten, etwas gelernt zu haben.
Die impliziten Lernprozesse, die durch die kommunikative und aktive
Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand verbunden waren, konnten von den
Kindern nicht wahrgenommen werden und wurden daher auch nicht im Fragebogen
aufgeführt. Das handlungsorientierte Lernen entsprach für die Schüler/innen
womöglich keinem „normalen“ Unterrichtsgeschehen, sodass das Lernziel für die
Kinder womöglich nicht unmittelbar ersichtlich wurde.
Nichtsdestotrotz gab es in der Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter
Unterricht) sogar eine Schülerin und einen Schüler, die direkt nach der
Interventionsstunde eine Erkenntnis („Das eine Sonnenuhr nur fuktioniert wenn die
Sonne scheint.“) formulieren konnten. Derartige Feststellungen wurden nur in
dieser Gruppe geleistet und sprechen für die Effektivität eines handlungsorientierten
Unterrichts.
Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe nach einer Woche ein höherer
kognitiver Lernzuwachs zu verzeichnen war, wurde sieben Tage nach der jeweiligen
Unterrichtung ein weiterer Fragebogen eingereicht. Bei der Auswertung der
Fragebögen konnte festgestellt werden, dass insbesondere die Schülerantworten
der Experimentalgruppe B, die mit RÖSA-Materialien gearbeitet hatte, sehr viel
ausführlicher waren, als bei der ersten schriftlichen Befragung. Die Kinder konnten
sich noch sehr genau an die Handlungsmaterialien erinnern, mit denen sie sich in
der Interventionsstunde beschäftigt hatten und zählten diese im Fragebogen auf.
Durch die aktiv-handelnde Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand konnten
60
sich die Zweitklässler besser an die Details der Sachunterrichtsstunde erinnern als
die Experimentalgruppe A. Die interessengeleiteten und selbstbestimmten
Tätigkeiten der Schüler/innen während des Unterrichts konnten sich fest in den
Köpfen der Zweitklässler verankern und sind möglicherweise auch in Zukunft noch
präsent.
Ein anderes Bild zeigte sich hingegen in der Experimentalgruppe A, die sich dem
Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern genähert hatte. Die Schüler/innen
konnten sich bei der zweiten schriftlichen Befragung nur mit Mühe an das
Unterrichtsgeschehen der letzten Woche erinnern. Die Auswertung der Fragebögen
ergab schließlich, dass lediglich sieben Schüler/innen noch in der Lage waren,
„allgemeine Unterrichtsinhalte“ wiederzugeben. Nahezu die Hälfte der Zweitklässler
(7 Kinder) konnte sich bereits nach einer Woche nicht mehr an das
Unterrichtsgeschehen erinnern und nannte im Fragebogen keine
„stundenrelevanten Unterrichtsinhalte“. Diese erhobenen Ergebnisse sprechen
eindeutig für die Uneffektivität eines „Arbeitsblattunterrichts“ und rücken diese
Unterrichtsform in ein nicht unerwartetes „schlechtes Licht“.
Auch bei der zweiten schriftlichen Befragung konnten einige Schüler/innen beider
Experimentalgruppe kein Lernergebnis formulieren. Während nach der ersten
Fragebogenerhebung lediglich drei Kinder der Experimentalgruppe A
(Arbeitsblattunterricht) kein Lernergebnis erkennen konnten, waren es bei der
zweiten schriftlichen Befragung bereits sieben Zweitklässler. Da die Schüler/innen
zum Teil keine Erinnerung mehr an die Sachunterrichtsstunde hatten, konnten sie
zumeist auch kein Lernergebnis formulieren. In der Experimentalgruppe B
(handlungsorientierter Unterricht) blieb hingegen die Anzahl der Schüler/innen,
denen nicht bewusst war, was sie gelernt hatten, gleich.
Während die Zweitklässler der Experimentalgruppe B, die mit Handlungsmaterialen
aus der RÖSA gearbeitet hatten, unmittelbar nach der Interventionsstunde weniger
Wissenselemente (10) als die Experimentalgruppe A (13) nannten, konnte sich
dieser Wert nach einer Woche mehr als versechsfachen (61). Die relativ geringe
Anzahl der Wissenselemente bei der ersten schriftlichen Befragung resultiert
womöglich vornehmlich daraus, dass einigen Kindern nicht bewusst war, was sie
gelernt hatten und dieses auch im Fragebogen äußerten. Bei der zweiten
schriftlichen Befragung konnten sich die Schüler/innen hingegen viel besser und
detaillierter an ihre Handlungen während der Interventionsstunde erinnern als die
Kinder der Experimentalgruppe A. Der kognitive Lernzuwachs der Schüler/innen der
Experimentalgruppe B ist also mehr als doppelt so hoch gewesen als bei der
Gruppe, die mit Arbeitsblättern zum gleichen Unterrichtsgegenstand belehrt wurde.
61
Daher kann die Effektivität eines handlungsorientierten Unterrichts im Vergleich zu
einem „Arbeitsblattunterricht“ anhand der ermittelten Wissenselemente deutlich
belegt werden.
5.3 Das Experteninterview
Die Lehrerin der Experimentalgruppe B, die den Unterricht mit Handlungsmaterialien
aus der RÖSA gestaltete, zeigte weniger inhaltliche Nähe zum Konzept des
handlungsorientierten Unterrichts. Dieses wurde unter anderem daran deutlich, dass
die Lehrerin die falsche Vorgehensweise der Schüler/innen mit den RÖSA-
Materialien im Interview kritisierte und damit sehr stark auf ihr oberflächliches
Richtlinienwissen beharrte. Es deutete vieles darauf hin, dass die Lehrerin ihr
Hauptaugenmerk lediglich auf das Erlernen der Uhrzeiten richtete und nur in
geringem Maße die Problemlösekompetenz der Kinder anerkannte. So hatte sie
beispielsweise im Interview die interessengeleitete Beschäftigung mit dem
technischen Material der defekten Uhren kritisch angemerkt und den damit
verbundenen Problemlösungscharakter, der mit dem Zusammensetzen der zum Teil
auseinandergefallen Uhren verbunden war, überhaupt nicht wahrgenommen.
Obwohl die Lehrerin den handlungsorientierten Unterricht mit den RÖSA-Materialien
sehr positiv bewertete und auch erwähnte, dass sie selber häufig mit
Handlungsmaterialien im Unterricht arbeiten würde, machten die Äußerungen der
Lehrkraft im Experteninterview deutlich, dass die Lehrerin im Inneren nicht eindeutig
hinter den Zielen dieses Unterrichtskonzepts stand. Trotz dieser skeptischen
Einstellung ist es umso bemerkenswerter, dass der handlungsorientierte Unterricht
mit den RÖSA-Materialien der beobachteten Schülergruppe derart viele positive
Impulse geben konnte und zu einer aktiven, selbstbestimmten Auseinandersetzung
mit dem Unterrichtsgegenstand motivierte.
62
6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
In der dargestellten empirischen Interventionsstudie sollte die Effektivität der RÖSA-
Materialien sowie dem darin materialisierten handlungsorientierten Unterricht
anhand ermittelter Wissenselemente überprüft werden. Diesbezüglich wurde
zunächst mit Hilfe einer passiv teilnehmenden Beobachtung ermittelt, ob Kinder mit
handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder mit
Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher lernen sowie mehr Lernfreude
zeigen. Um herauszufinden, bei welcher Experimentalgruppe der höhere kognitive
Lernzuwachs erfolgte, wurden unmittelbar nach der Interventionsstunde sowie nach
einer Woche in beiden Parallelklassen jeweils zwei Fragebogenerhebungen
durchgeführt. Neben der separat auf Schülerinnen und Schüler bezogenen passiv
teilnehmenden Beobachtung und der Erhebung von Schüleraussagen bei der
schriftlichen Befragung, wurde durch das Experteninterview auch die Meinung der
Lehrkraft zum RÖSA-Material bzw. zur handlungsorientierten Sachunterrichtsstunde
in die Untersuchung miteinbezogen. Folgende aussagekräftige Ergebnisse konnten
im Hinblick auf die oben genannten Fragestellungsaspekte ermittelt werden:
Bei der passiv teilnehmenden Beobachtung wurden gravierende Unterschiede
hinsichtlich der Verhaltensweisen der Schüler/innen der beiden
Experimentalgruppen deutlich. So zeigten die beobachteten Kinder im
handlungsorientierten Unterricht ein aktives Arbeitsverhalten, wirkten sehr motiviert
und waren besonders interessiert an den RÖSA-Materialien. Selbst ein hyperaktiver
und leistungsschwacher Schüler verhielt sich aufgrund der Beschäftigung mit einem
interessengeleiteten Handlungsmaterial (kaputte Uhren aus der Uhrenkiste) sehr
ruhig, vertieft, ausgeglichen und unternahm Versuche zur aktiven Problemlösung
(Zusammensetzen der kaputten Uhren). Ein derartiges Verhaltensmuster konnte
bereits in Untersuchungen von FLYNN/ RAPOPORT (1976), GOETZE (1992),
GOETZE/JÄGER (1991) erhoben werden und spricht für die aktivierende und positive
Wirkung des RÖSA-Materials. Lediglich das Erlesen der zum Teil zu ausführlich
formulierten Handlungsanleitungen bereitete insbesondere leseschwachen
Schülern/innen große Schwierigkeiten. Infolge dessen wurde entweder die
Beschäftigung mit dem Handlungsmaterial abgebrochen oder die weitere
Vorgehensweise von den Schülern/innen eigenständig erschlossen. Derartige
Befunde konnten auch schon in einer Studie von KAISER & TEIWES (2002) erhoben
werden. Ferner wurde beobachtet, dass die Kinder sehr bestrebt waren,
selbstständig zu arbeiten und sehr selten die Hilfe der Lehrkraft in Anspruch
nahmen. Da den Zweitklässler/innen Möglichkeiten zur selbstbestimmten und
aktiven Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand („Zeit“) gegeben
63
wurden, zeigten die Kinder ein großes Interesse am Unterricht und waren während
der handlungsorientierten Sachunterrichtsstunde sehr motiviert (vgl. Studie von
HARTINGER 2001).
Die beobachteten Schüler/innen der zweiten Experimentalgruppe, die sich dem
gleichen Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern näherten, ließen sich nur in
geringem Maße für die Bearbeitung der Aufgabenstellungen während der
Interventionsstunde motivieren und begeistern. Bereits nach der Hälfte der
Unterrichtsstunde erhöhte sich der Geräuschpegel in der Klasse erheblich, sodass
sich die volle Aufmerksamkeit der Zweitklässler/innen nicht mehr auf die
Bearbeitung der Arbeitsblätter richtete, sondern vermehrt das Privatgespräch mit
der Sitznachbarin bzw. dem Sitznachbarn gesucht wurde. Die Aufmerksamkeits-
und Konzentrationsspanne der Schülergruppe im Arbeitsblattunterricht war daher
deutlich geringer als in der Experimentalgruppe, die zuvor mit den
Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatte. Des Weiteren konnte
beobachtet werden, dass die Kinder der Experimentalgruppe A
(Arbeitsblattunterricht) besonders stark auf die Hilfestellungen der Lehrkraft
angewiesen waren und somit oftmals ein sehr unselbstständiges Verhalten zeigten.
Aufgrund der erhobenen Ergebnisse durch die passiv teilnehmende Beobachtung
gelange ich im Hinblick auf die oben genannte Forschungsfrage zu der Erkenntnis,
dass Schüler/innen mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt
RÖSA sehr viel ausdauernder, konzentrierter und selbstständiger lernen konnten
sowie mehr Lernfreude zeigten als die Schülergruppe, die sich mit Arbeitsblättern
dem Unterrichtsgegenstand näherte.
Bei der schriftlichen Befragung der Experimentalgruppen konnte ermittelt werden,
dass bei den Schülern/innen, die im Vorfeld mit Handlungsmaterialien der RÖSA
gearbeitet hatten, nach einer Woche ein erheblich höherer kognitiver Lernzuwachs
zu verzeichnen war als bei den Kindern der Parallelklasse (Arbeitsblattunterricht).
Die Schüler/innen, die sich mit den RÖSA-Materialien beschäftigten, konnten sich
viel detaillierter an das Unterrichtsgeschehen sowie ihre Handlungen erinnern als
die Zweitklässler/innen der Experimentalgruppe A. Letztere nannten überwiegend
allgemeine oder keine stundenrelevanten Unterrichtsinhalte. Zudem konnten
Erkenntnisse lediglich von den Schülern/innen der Experimentalgruppe B gewonnen
werden, die mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatten. Die
erheblich höhere Anzahl der genannten Wissenselemente der Schüler/innen der
Experimentalgruppe B kann als ein deutliches Indiz für die Wirksamkeit der RÖSA-
Materialien bzw. eines handlungsorientierten Unterrichts gewertet werden. Um
64
weitere Belege für die Effektivität eines handlungsorientierten Unterrichts zu finden,
müsste nun eine Langzeituntersuchung an diese empirische Studie anknüpfen, die
die ausgewählte Stichprobe weiterhin untersuchen würde. Hierbei müsste
schließlich überprüft werden, ob sich die Schüler/innen der beiden
Experimentalgruppen auch nach einer längeren Zeitspanne noch an die Inhalte der
Unterrichtsstunde erinnern können. Vermutlich wäre dann der kognitive
Lernzuwachs der Kinder der handlungsorientierten Versuchsgruppe noch erheblich
höher gewesen als der der Vergleichsgruppe.
Aufgrund der Ergebnisse der Fragebogenerhebung konnte daher einigen
empirischen Untersuchungen (vgl. MEYER 1997, HORWITZ 1979, PETERSON
1979;1980, HETZEL 1982 und HEDGES 1981), die Defizite eines
handlungsorientierten bzw. offenen Unterrichts gegenüber einem traditionellen
Unterricht hinsichtlich der Fachleistungen offenbarten, mit dieser Studie deutlich
widersprochen werden. Ähnliches gilt für gegenläufige Ansätze eines
handlungsorientierten Unterrichts, wie sie von WELLENREUTHER und GÜNTHER
vertreten werden. Insbesondere bei den von WELLENREUTHER beschriebenen
Untersuchungen von MEYER (1997), MACKENZIE & WHITE (1982) und AEBLI (1968),
anhand derer die Wirksamkeit eines handlungsorientierten Unterrichts überprüft
wurde, konnte festgestellt werden, dass diese lediglich in begrenzter Weise dem
Konzept eines handlungsorientierten Unterrichts gerecht wurden. Während in dieser
empirischen Untersuchung die Effektivität jenes Unterrichtskonzepts durch die
Verwendung realer Handlungsmaterialien, die die Selbstständigkeit, Aktivität sowie
die Sozial- und Problemlösekompetenz der Schüler/innen umfassend förderten,
eindeutig nachgewiesen werden konnte, erscheinen die von WELLENREUTHER
dargestellten Studien aufgrund ihrer inhaltlichen Ferne dem handlungsorientierten
Unterrichtskonzept deutlich zu widersprechen. WELLENREUTHERS Auffassung
entspricht in keiner Weise dem Verständnis eines handlungsorientierten Unterrichts,
wie es in dieser empirischen Studie verstanden wird.
Im Hinblick auf das Experteninterview wurde deutlich, dass die Lehrerin trotz einer
positiven Bewertung des handlungsorientierten Unterrichts, nicht eindeutig hinter
den Zielen dieses Unterrichtskonzepts stand und sehr stark auf ihr oberflächliches
Richtlinienwissen beharrte. Aufgrund dieser wenig förderlichen Einstellung erschien
es umso bemerkenswerter, dass die Beschäftigung mit den Handlungsmaterialien
der Lernwerkstatt RÖSA den Schülern/innen derart positive Impulse geben konnte.
65
Aufgrund der erhobenen Forschungsergebnisse konnten die im Vorfeld der
Untersuchung aufgestellten Hypothesen daher allesamt bestätigt werden.
� Ein handlungsorientierter Unterricht führt zu einem höheren kognitiven
Lernzuwachs bzw. zu größeren Lernerfolgen als das Lernen mit
Arbeitsblättern.
� Die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne der Schüler/innen beim
Lernen mit handlungsorientierten Materialien ist länger als beim Lernen mit
Arbeitsblättern.
� Schüler/innen zeigen durch eine aktive und selbstbestimmte
Auseinandersetzung mit den Handlungsmaterialien mehr Interesse für das
Unterrichtsgeschehen und arbeiten konzentrierter und motivierter mit.
Abschließend kann aufgrund der ermittelten Forschungsergebnisse festgehalten
werden, dass handlungsorientierte Vorgehensweisen für die Schüler/innen eine
weitaus belebendere, motivierendere, interessantere und effizientere
Unterrichtsform darstellen als ein Arbeitsblattunterricht, der durch ein stupides und
routiniertes Abarbeiten der Aufgabenstellungen geprägt ist. Die Schüler/innen
können durch eine aktiv-handelnde Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen
wertvolle Erfahrungen sammeln, Erkenntnisse gewinnen und sich im Nachhinein viel
detaillierter an das Unterrichtsgeschehen erinnern. Aufgrund der aktivierenden und
motivierenden Wirkung der RÖSA-Materialien sollten handlungsorientierte bzw.
offene Vorgehensweisen daher verstärkt Eingang in den Sachunterricht finden.
Obwohl die Planung eines handlungsorientierten Unterrichts oftmals mit einem
größeren Arbeits- und Zeitaufwand verbunden ist, sollten Lehrkräfte diesen
unbedingt in Anspruch nehmen und ihren Schülern/innen vermehrt die
Möglichkeiten einräumen, sich selbstständig und handelnd mit ihrer Lernumgebung
auseinanderzusetzen. Die Arbeit mit den Handlungsmaterialien der RÖSA hat
gezeigt, dass es sich angesichts der ermittelten Ergebnisse durchaus lohnen würde,
derartige Lernwerkstätten flächendeckend an deutschen Grundschulen oder
Universitäten einzurichten.
Im Hinblick auf die erhobenen Forschungsergebnisse dieser empirischen
Untersuchung kann dem handlungsorientierten Unterricht daher ein hoher
Stellenwert eingeräumt werden.
66
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