Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und...

10

Transcript of Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und...

Page 1: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

Page 2: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

Materialien zu

DIE TANTEN von Roel Adam / aus dem Niederländischen von Sarit Streicher und Matthias Grön Österreichische Erstaufführung am 17. Mai 2018, 18:00 Uhr

Page 3: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

1. ZU DIESEM STÜCK GIBT ES ... 2. INHALT & BESETZUNG 3. HINTER DER BÜHNE 3.1. Das Team stellt sich vor

3.2. IM GESPRÄCH mit der Regisseurin Caroline Richards: „Solche Komödien müssen wie Musik orchestriert werden“

3.3. HINTERGRÜNDE: Über den Autor Roel Adam 3.4. HINTERGRÜNDE: Was ist denn eine „Farce“?

4. AUF DER BÜHNE 4.1. ZU DEN FIGUREN DES STÜCKS I: Joris‘ Familie im Überblick 4.2. Thematische Fragestellungen zur Nachbereitung

5. SCHWERPUNKT: „Ich brauche keine Familie! – Oder?!“ 5.1. TEXTAUSZUG aus dem Stück „DIE TANTEN“ 5.2. ZU DEN FIGUREN DES STÜCKS II: Joris und seine Wut im Bauch 5.3. HINTERGRÜNDE: „Die Macht der Familie“ – Ein Artikel über Familie und

Sozialisation

5.4. Thematische Fragestellungen und Übungen zur Vor- und Nachbereitung 6. ZUR VERTIEFUNG 7. IMPRESSUM

DIE GESAMTE MATERIALMAPPE MIT AUSFÜHRLICHEN ANREGUNGEN UND TIPPS FÜR DIE (PRAKTISCHE) VOR- UND NACHBEREITUNG DES THEATERBESUCHS SOWIE SPANNENDE HINTERGRUNDINFORMATIONEN, WEITERFÜHRENDE LITERATUR- UND MEDIENHINWEISE SCHICKEN WIR IHNEN GERNE BEI ANFRAGE DIGITAL ZU.

Wenden Sie sich bitte an das Redaktionsteam.

INHALTSVERZEICHNIS

Page 4: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

LIEBE PÄDAGOGINNEN UND PÄDAGOGEN, LIEBE THEATERFANS,

wir freuen uns, dass Sie sich für die Begleitmaterialien zur Farce „Die Tanten“ interessieren, das am 17. Mai 2018 im Next Liberty seine Österreichische Erstaufführung feiert. Es ist die Geschichte eines Jungen, der seit einem Jahr – seit dem Tod seiner Mutter – allein in einem heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung seiner Verwandten behaupten muss. So kann man die Handlung dieses Stücks knapp zusammenfassen. Und das soll eine Komödie sein? Ja! Der niederländische Autor Roel Adam hat um diesen an sich tragischen Plot eine Farce, eine Komödie mit absurden Elementen, Verwechslungen und Verkleidungen geschaffen, durch die man sich diesen ernsten Themen und großen Konflikten annähern und dabei auch viel lachen kann. Das Team hat sich vor und während des Probenprozesses mit viel Freude mit diesem exakt komponierten Text, den skurrilen, aber liebenswerten Figuren, den rasanten Dialogen und verflixt vielen Requisiten auseinandergesetzt, um sowohl den echten, ernsten Anliegen aller Familienmitglieder, als auch den eigenen hohen Ansprüchen an eine „echte Komödie“ gerecht zu werden. Für die Materialien haben wir für Sie wieder einige Aspekte herausgegriffen bzw. aufbereitet, um diese Inszenierung möglichst transparent zu machen und eine intensivere Auseinandersetzung im Unterreicht anzuregen sowie auch mit konkreten Übungen und Tipps für die (praktische) Vor- und Nachbereitung des Theaterbesuchs zu unterstützen. Wir freuen uns über Rückmeldungen zu Ihrem Theaterbesuch und Ihrer Arbeit mit diesen Materialien, stehen Ihnen natürlich jederzeit auch gerne darüber hinaus mit Rat und Tat zur Seite und wünschen Ihnen und Ihren SchülerInnen eine anregende Zeit mit und rund um „Die Tanten“. Herzlichst, Pia Weisi, Katharina Jetschgo und Anna Spitzbart (Theaterpädagoginnen) Dagmar Stehring (Dramaturgin) Kontakt: 0316 8008 1129 / [email protected]

1. ZU DIESEM STÜCK GIBT ES ...

Weitere theaterpädagogische Angebote

zu diesem Stück: In der Freizeit

• Interaktive Theaterwerkstatt am 09.06.2018

Für Schulen

• 2-stündige Workshops zu den Themen Familien und ihre Besonder- bzw. Eigenheiten, schauspielerische Grundlagen (Training in Mimik, Gestik, Körperausdruck)

• Nachbesprechungen im Anschluss an den Vorstellungsbesuch (Termine auf Anfrage)

Page 5: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

„Ich bin kein Neffe. Ich bin Joris. Ich mache, was ich will. Ich werde nicht in die Schule gehen. Ich esse nur Kaugummi und Lakritze. Ich trinke fünf Liter Cola am Tag. Ich bin ich. Und ich habe mit niemandem was am Hut.“ (Joris) Das kommt in den besten Familien vor. Seitdem Joris’ Mutter vor einem Jahr gestorben ist, wohnt er ganz allein in dem Haus, das einmal ein Fischrestaurant gewesen ist. Wenn es nach ihm ginge, könnte das auch so bleiben: Einfach seine Ruhe haben, Chips essen, Cola trinken und Comics lesen, er allein gegen den Rest der Welt. Doch es geht nicht nach ihm und so bricht eines Tages die Welt einfach so mit einer Axt in sein Zuhause ein – und zwar in Gestalt von drei schrägen Frauen, die er noch nie zuvor gesehen hat, die jedoch behaupten, mit ihm verwandt zu sein. Und das ist noch nicht alles: Seine Tanten sind gekommen, um zu bleiben und »Die vier Schwestern« wieder zu einem Top-Restaurant zu machen, inklusive ihres Neffen Joris, der seinen Widerstand aufgeben und ab sofort den gut gelaunten Kellner geben soll – und das alles ausgerechnet an seinem zwölften Geburtstag! Als wäre das nicht schon abstrus genug, taucht plötzlich auch noch ein ominöser Landstreicher auf, der alle in helle Aufregung versetzt und so einiges unter dem Teppich, besser gesagt: aus dem Schrank hervorholt, was dazu beiträgt, einen alleinstehenden Jungen und so manchen egoistischen Erwachsenen doch noch zu einer »Familie« zusammenwachsen zu lassen.

DIE TANTEN Österreichische Erstaufführung am 17. Mai 2018, 18:00 Uhr Joris Christoph Steiner Tante Cunera Helmut Pucher Tante Desiree Yvonne Klamant Tante Jo Michael Großschädl Der Landstreicher Martin Niederbrunner Der Pianist Saša Mutić Inszenierung: Caroline Richards Ausstattung: Ragna Heiny Musik: Saša Mutić Lichtgestaltung: Michael Rainer Video: Reziprok (Andreas Grininger & Roland Renner) Dramaturgie: Dagmar Stehring Regieassistenz: Julia Zach Aufführungsrechte: Verlag der Autoren, Frankfurt am Main Vorstellungsdauer: ca. 95 Min. (ohne Pause)

2. INHALT & BESETZUNG

Page 6: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

3.1. DAS TEAM STELLT SICH VOR

Caroline Richards (Inszenierung) Die gebürtige Engländerin lebt seit 1991 in Österreich. Studien: Englische Literatur an der Universität Edinburgh, Schauspiel an der Ecole Jacques Lecoq in Paris. Schauspielengagements (Auszug): Salzburger Landestheater, Komödienspiele Porcia, Landestheater Niederösterreich, Stadttheater Mödling, Klagenfurter Ensemble. Regisseurin (Auszug): Landestheater Niederösterreich, Staatstheater Innsbruck, Carinthischer Sommer, Jeunesse Österreich, Musikverein Wien, freie Szene, Schauspielhaus Salzburg. In diesem Jahr sind ihre Inszenierungen, neben „Die Tanten“ im Next Liberty, u. a. im Theater des Kindes (Linz), im Innsbrucker Keller Theater und „Palazzo“ in Stuttgart und Nürnberg zu sehen. Seit 2012 setzt sie jährlich das Salzburger Adventsingen in Szene. Sie ist Teil des Leitungsteams des Kleinen Theaters, Haus der freien Szene in Salzburg und Künstlerische Leiterin der Salzburger Theatergruppe TATU. Prämierungen: Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Kulturfonds der Stadt Salzburg. Ragna Heiny (Bühne&Kostüme) Ragna Heiny studierte Kostüm- und Bühnenbild an der Universität Mozarteum Salzburg bei Herbert Kapplmüller. Bereits während ihrer Studienzeit konnte sie Assistenzen bei Hartmut Schörghofer, Andrea Schmidt-Futterer, Peter Mussbach, Marie-Jeanne Lecca und Robert Wilson u. a. an der Semperoper in Dresden, den Salzburger Festspielen, der Volksoper in Wien, der Staatsoper Hamburg und der Ruhrtriennale übernehmen. Seither hat sie als Bühnen - und Kostümbildnerin zahlreiche eigene Produktionen u.a. am Zimmertheater in Tübingen, am Tiroler Landestheater in Innsbruck, an der Oper Graz, der Oper in Ljubljana, am Theatro Albéniz in Madrid, am Theater Phoenix in Linz, an der Oper Halle, am Kleinen Theater Salzburg, am Schauspielhaus Salzburg und am Toihaus Theater Salzburg übernommen.

Bühnenbildmodell bzw. Bühne „Die Tanten“ / © Ragna Heiny

3. HINTER DER BÜHNE

Der Regisseurin Caroline Richards über eine gute Komödie:

„Eine wirklich gute Komödie braucht für mich eine nachvollziehbare Handlung und ein schnelles Tempo. Auch die menschliche

Tragödie ist ein wichtiger Bestandteil der Komödie und benötigt SchauspielerInnen, die

einen großen körperlichen Einsatz bringen, uneitles Spiel anbieten und unermüdliche

Handwerker ihres Faches sind.“

Page 7: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

3.2. IM GESPRÄCH mit der Regisseurin Caroline Richards: „Solche Komödien müssen wie Musik orchestriert werden“

Liebe Caroline, bei den „Tanten“ handelt es sich um eine sehr ungewöhnliche Familiengeschichte – Worum geht es für dich, was wird da erzählt bzw. verhandelt? Die Geschichte erzählt von Joris, einem Jungen, dessen Mutter vor einem Jahr verstorben ist. Sein Vater hat schon früh die Familie verlassen, also lebte er mit seiner Mutter. Seit ihrem Tod befindet er sich allein in dem Familienrestaurant. Irgendwie hat er es geschafft, der Fürsorge zu entkommen. Die Erwachsenenwelt würde sagen, dass er dadurch „verwahrlost“ ist – er ist aber auch seinem eigenen Willen und seiner Fantasie überlassen worden und hat es geschafft, ein Jahr lang allein zurechtzukommen. Plötzlich tauchen aus heiterem Himmel drei egoistische Familienmitglieder auf und wollen sein Leben aufräumen, Ordnung schaffen und Verantwortung übernehmen – und bringen dadurch seine „Welt“, seine Konstruktion von „Zuhause“ zum Bröckeln. Das Stück erzählt die Geschichte von Joris’ Konflikt mit Erwachsenen, die vermeintlich alle sein „Bestes“ wollen, und davon, wie er es schafft trotz allem seinen eigenen Weg zu gehen. Das Stück ist gar nicht so einfach einzuordnen – es hat einen ernsten Kern, ist aber doch eine pointierte Komödie, es hat ebenso völlig absurde wie berührende Momente. Was hat dich daran gereizt bzw. interessiert, es (für ein junges Publikum) zu inszenieren? Roel Adam hat für das Stück eine Form ausgesucht, die wir sonst nur von Komödien für Erwachsene kennen. Es ist im Grunde eine Farce im Stil von französischen Autoren wie Molière, Feydeau oder Labiche; deren Stücke haben traditionell einen ernsten Kern, sie beschäftigen sich mit menschlichen Verhaltensweisen in der Gesellschaft. Wunderbare Spielsituationen, Missverständnisse, Verkleidungen, Geheimnisse und Verwirrungen sind die Charakteristika solcher Komödien, die wie Musik orchestriert werden müssen. Roel Adams Stück hat alle diese qualitativen Charakteristika – und darüber hinaus steht im Zentrum der Handlung ein Jugendlicher. Die Umsetzung dieser Kombination ist für mich als Regisseurin sehr reizvoll. Der junge Joris wird mir sehr skurrilen Verwandten konfrontiert, die alle eine ganz eigene Geschichte und Motivation mitbringen, dabei unterschiedlicher nicht sein könnten und – trotz aller Überspitzung – einen „wahren Kern“, reale Anliegen, ehrliche Bedürfnisse, Stärken und Schwächen haben. Könntest du die Charaktere und das, was sie für dich aus- bzw. besonders macht, kurz beschreiben? Tante Cunera ist die Chefin der Familie. Sie musste als älteste Schwester offenbar immer die Verantwortung übernehmen und war bitter enttäuscht, als ihre jüngere Schwester, Joris’ Mutter, das Restaurant geerbt hat. Jetzt wirkt sie machtgierig und getrieben von dem Gedanken, das Restaurant durch die Vormundschaft für Joris zu übernehmen, und ist bereit, dafür über Leichen zu gehen. Sie ist schnell, vif und wegen ihrer beiden Schwestern oft am Ende ihrer Geduld. Tante Jo ist nicht die Hellste. Sie war früher beim Militär und funktioniert am besten, wenn sie klare Befehle bekommt, meistens von ihrer Schwester Cunera. Sie ist körperlich stark und es gewohnt, dass sie das, was sie will, nur dann bekommt, wenn sie es aus jemandem herausprügelt. Ihre große Schwäche ist der Alkohol, durch den auch ihre verletzliche und – vor allem in Bezug auf ihr maskulines Aussehen – unsichere Seite zum Vorschein kommt. Tante Desiree ist sehr lieb und auf den ersten Blick naiv. Sie zeigt ihre Gefühle und hat durch ihr Einfühlungsvermögen und ihre Unvoreingenommenheit viel Mitleid mit allen um sich herum. Sie wird in die Küche gesteckt und ständig herumkommandiert, aber im Laufe des Stücks wird sie immer selbstbewusster und angetrieben von der Motivation, den Sohn ihrer Lieblingsschwester zu beschützen. Bereits bei der Uraufführung wurden die Tanten von Männern gespielt, ihr habt euch dafür entschieden, diese Besetzung zum Teil beizubehalten – Warum? Was bewirkt die Veränderung der Geschlechter? Und: Welche besonderen Herausforderungen bringt das für die SchauspielerInnen mit sich?

Page 8: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

Das Stück ist so geschrieben, dass eine absurde Spielebene benötigt wird, durch die letztlich ja auch die zum Teil sehr harten und schweren Themen und Konflikte erträglich werden. Dass Cunera und Jo von Männern gespielt werden, fügt zu dieser Absurdität noch eine gewisse Schärfe hinzu. Aus den englischen „Pantomimes“ (traditionellen Weihnachtsfamilienstücken) kenne ich die Tradition, die „bösen“ Frauenrollen mit Männern zu besetzen, z. B. die Rollen der beiden älteren Schwestern in „Aschenputtel“. Aschenputtel, „die Gute“, wird hingegen von einer Frau gespielt. Das macht in diesem Fall auch total Sinn. Für einen Schauspieler ist es eine tolle Aufgabe, in die Rolle einer Frau zu schlüpfen. Dadurch hat der Schauspieler auch eine Art Vorteil, weil es einfach automatisch lustig ist, einen Mann in Frauenkleidung zu sehen. Wie er sich bewegt, wie er spricht, welche Art von Frau aus gerade diesem Mann entsteht, ist faszinierend und hat uns bei den Proben besonders interessiert. Das Spiel findet permanent auf mehreren Ebenen statt, weil wir immer das Wissen haben, dass wir einen Mann vor uns haben, der eine Frau verkörpert. Jedoch bedeutet dies für einen Schauspieler mindestens genauso viel Arbeit, die Figur zu finden, wie in einer gleichgeschlechtlichen Rolle. Die große Herausforderung für den Schauspieler ist es, die Feinheiten der Figur zu entwickeln, trotz der Geschlechterdifferenz zwischen ihm und der Figur. Man sagt ja, Komödien zu inszenieren sei mitunter das Schwierigste – Was macht deiner Meinung nach eine wirklich gute Komödie aus? Eine wirklich gute Komödie braucht für mich eine nachvollziehbare Handlung und ein schnelles Tempo. Auch die menschliche Tragödie ist ein wichtiger Bestandteil der Komödie und benötigt SchauspielerInnen, die einen großen körperlichen Einsatz bringen, uneitles Spiel anbieten und unermüdliche Handwerker ihres Faches sind. Ich kann mich glücklich schätzen, genau solche DarstellerInnen im Team zu haben. Gibt es einen Unterschied zwischen Komödien für Kinder und für Erwachsene? Natürlich gibt es Komödien, die Kinder gar nicht witzig finden können, weil der Stoff ganz einfach noch nicht in ihre „Welt“ hineinpasst. Aber Dinge, die Kinder lustig finden, finden Erwachsene meistens auch lustig. Deswegen würde ich eher sagen, dass es darauf ankommt, wie man eine Komödie inszeniert: Ich gehe immer davon aus, dass Kinder und Erwachsene angesprochen werden. Bei deiner Inszenierung spielt auch Live-Musik eine wichtige Rolle; der „vergessene“ Pianist ist quasi ein Teil des Restaurants, er kommentiert, begleitet und konterkariert das Geschehen. Wie ist diese Idee entstanden bzw. welche Rolle spielt er im Laufe der Geschichte (u. a. für die einzelnen Figuren)? Ich habe mir überlegt: Welche Elemente sind mir in einem guten Restaurant wichtig? Gutes Essen, ein schönes Ambiente, freundliches Personal ... und Musik! Der Beruf Barpianist/in ist ein etwas einsamer, finde ich. Manche Gäste hören zu während sie essen, manche reden und merken nur in der Stille, dass überhaupt gespielt wird. Aber kaum jemand kommt in ein Restaurant, nur, um die Musik zu hören. Das hat für mich etwas Tragisches an sich. Die Kunst wird nicht gewürdigt. Aber es hat auch etwas sehr Interessantes: Während er/sie spielt, kann der Pianist oder die Pianistin die BesucherInnen des Restaurants und die Angestellten beobachten. Sie kommen, sie gehen, sie streiten, sie lieben, sie haben mal zu viel zu tun, mal zu wenig. Er sieht alles, darf sich aber nicht in ihre Angelegenheiten einmischen. Aus dem absurden Gedanken, dass der Pianist seit einem Jahr unter Staubschichten an seinem Klavier lehnt, habe ich im Stück eine zusätzliche Figur kreiert, die diese Rolle erfüllt: Er beobachtet und kommentiert musikalisch. Das Klavier als Instrument kommt mir entgegen, weil ich die Inszenierung zum Teil an den französischen Stil des Vaudeville anlehne (Feydeaus Komödien gelten als letzter Höhepunkt des Vaudville, danach ist diese Form in Vergessenheit geraten). In diesem Stil habe ich z. B. die Verwechslungs- und Suchsequenzen mit Klaviermusik unterlegt, ein bisschen wie in einem Stummfilm.

Page 9: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

3.3. HINTERGRÜNDE Über den Autor Roel Adam Roel Adam Geboren 1953 in Den Haag, lebt in Amsterdam. Von 1972 bis 1976 absolvierte er eine Ausbildung an der Akademie voor Ekspressie in Utrecht. Um 1975 gründete er mit anderen die Theatergruppe Lijn Negen, wo er bis 1983 als Schauspieler, Regisseur und Autor aktiv war. Weiterhin war er einer der Mitbegründer und von 1986 bis 1989 Mitglied der künstlerischen Leitung des Theaters El Dorado. Roel Adam ist Hausautor der Jugendtheatergruppe von De Toneelmakerij in Amsterdam. Seine Stücke sind in mehrere Sprachen übersetzt.1 Interview zum Stück „Die Tanten“ mit dem Autor Roel Adam2 Sie schreiben häufig über sehr ernste Themen. Wie kamen Sie auf diese Geschichte, die zwar einen ernsten Kern hat, aber doch eine Komödie ist? Eigentlich denke ich beim Schreiben nie an Themen. In meinen Stücken probiere ich, Personen zu erfinden, die in einer Konfliktsituation sind. Im Theater geht es immer um Konflikte. Dadurch ist das Wesen des Theaters — ob es sich nun auf eine tragische oder komische Art und Weise äußert — immer ernst. Bei den „Tanten“ geht es um die Geschichte eines verwahrlosten Kindes, das im Konflikt mit der erwachsenen, egoistischen Welt steht. Und ich gebe zu, dass ich den Lebenswillen von Joris und seinen Widerstand, sich anzupassen, sehr, sehr liebe. Schon in Amsterdam und zum Teil auch bei uns werden die drei Tanten von Männern und Joris von einer Frau gespielt. Wie finden Sie das? Die Idee, die Tanten von Männern spielen zu lassen und Joris von einer Frau, kam von mir. Es ist nicht zwingend notwendig. Aber die Veränderung der Geschlechter kann das Ganze schärfer und herber machen, also auch komischer. Was ist schwieriger zu schreiben? Eine Tragödie oder eine Komödie? Ich denke, dass es schwieriger ist, eine Komödie zu schreiben als eine Tragödie. Schon das Düstere einer Tragödie scheint seine Existenz zu rechtfertigen. Die Annahme, dass es in einer Tragödie „um etwas geht“ beschönigt viel und gibt einem schnell die Illusion einer bestimmten Bedeutsamkeit. Im Jugendtheater spricht man dann von dem sogenannten pädagogischen Wert. Eine Komödie stellt mit seiner Verspieltheit hohe Anforderungen an das Fachwissen des Schauspielers und Autors. Fällt es Ihnen schwer, Ihre Geschichten an einen Regisseur abzugeben und nicht beeinflussen zu können, wie er sie auf der Bühne inszeniert? Ich probiere keine Geschichten auf die Bühne zu bringen, sondern Geschehnisse. Ein Regisseur ist natürlich ganz frei in der Wahl, wie er inszeniert. Solange er dem Text, der geschrieben wurde, treu ist. Ich sehe die Aufgabe des Regisseurs vor allem darin, die verschiedenen Elemente einer Produktion zusammenzuführen und zum Leben zu erwecken: Text, Spieler, Bühne, Geräusche, Licht, etc. Ein Regisseur, der mit aller Gewalt seinen Stempel auf die Vorstellung drücken möchte, steht zu oft dem Erfolg der Produktion im Weg. Die Spieler wirklich zum Spielen zu bringen ist, was er machen sollte. Denn Schauspielen ist nicht etwas, was man lernen kann, sondern etwas, was man jedes Mal neu erfinden muss. Schauspielen muss man tun. „To act“ sagt man auf Englisch. Ein Regisseur, der seine Spieler dazu bringen kann, ist ein Künstler.

1 Roel Adam. Online unter: www.verlagderautoren.de/theaterverlag/theaterautorinnen/theaterautoren-details/autor/adam-roel/Theater.html [Stand 08.05.2018] 2 Das Interview ist der Website des Staatstheaters Oldenburg entnommen, wo „Die Tanten“ 2016 die deutschsprachige Erstaufführung feierten (http://staatstheater.de/tanten.html; Stand 08.052018).

Page 10: Materialien zu - nextliberty.buehnen-graz.com€¦ · heruntergekommenen Fischrestaurant lebt und sich gegen die Bevormundung und Vereinnahmung ... der Volksoper in Wien, der Staatsoper

Medieninhaber & Herausgeber: Next Liberty Jugendtheater GmbH Kaiser-Josef-Platz 10 8010 Graz Geschäftsführender Intendant: Michael Schilhan Redaktion: Pia Weisi, Bakk. phil., Theaterpädagogin BuT® Mag. Katharina Jetschgo Mag. Dagmar Stehring Mag. Anna Spitzbart Fotos: Lupi Spuma Satz- und Druckfehler vorbehalten! Stand: Mai 2018 Die Vervielfältigung, Bearbeitung und Verbreitung der vorliegenden Materialien außerhalb des Unterrichts oder des privaten Gebrauchs bedarf der schriftlichen Einwilligung der Erstellerinnen.

7. IMPRESSUM