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Mathematik f¨ ur Informatiker 1 Version: 19.07.2012 Gerhard Freiling und Hans-Bernd Knoop bearbeitet von Frank M¨ uller

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Mathematik fur Informatiker 1Version: 19.07.2012

Gerhard Freiling und Hans-Bernd Knoopbearbeitet von Frank Muller

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Inhalt von Teil I

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iii-iv

§ 0 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

0.1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

0.2 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

0.3 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

§ 1 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.1 Die Korperaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.2 Die Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.3 Die reellen Zahlen als vollstandig geordneter Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1.4 Das Induktionsprinzip. Induktive Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.5 Endliche, abzahlbare und uberabzahlbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

1.6 R als metrischer Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

1.7 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

1.8 Gleitpunktarithmetik und Rundungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.8.1 Darstellungen naturlicher Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.8.2 Die p-al-Bruch-Darstellung der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

1.8.3 Gleitpunktzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

1.8.4 Arithmetik von Gleitpunktzahlen: Ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

§ 2 Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66

2.1 Konvergente Folgen. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

2.2 Das Rechnen mit konvergenten Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

2.3 Prinzipien der Konvergenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

2.4 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

2.5 Multiplikation von Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

§ 3 Stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

3.1 Reell- bzw. komplexwertige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

3.2 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

3.3 Stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

3.4 Satze uber stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

3.5 Logarithmus und allgemeine Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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3.6 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

3.7 Uneigentliche Grenzwerte und Grenzwerte im Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . 114

§ 4 Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .118

4.1 Die Ableitung einer differenzierbaren Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

4.2 Relative Extrema. Mittelwertsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

4.3 Hohere Ableitungen. Taylor-Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127

4.4 Konvexe und konkave Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

4.5 Grenzwertbestimmung mittels Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132

§ 5 Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

5.1 Integration und Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

5.2 Integration rationaler Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

5.3 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

5.4 Naherungsweise Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

§ 6 Folgen und Reihen von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

6.1 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

6.2 Gleichmaßige Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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§ 0 Einleitung

Der Studienplan fur das Studium der Angewandten Informatik an der Universitat Duis-burg-Essen sieht im Grundstudium vier mathematische Grundvorlesungen vor. Dies sindneben zwei 3-stundigen Vorlesungen zur Diskreten Mathematik auch zwei 4-stundige Vor-lesungen mit dem Titel Mathematik fur Informatiker. Gegenstand dieser beiden letztge-nannten Vorlesungen sind im Wesentlichen Grundlagen der Analysis und Elemente derStochastik.

Der Autor der ersten Version dieser Vorlesung (Hans-Bernd Knoop) hat im Sommerseme-ster 2003 und dem nachfolgenden Wintersemester 2003/04 den Versuch unternommen, ausdem Stoff der entsprechenden Mathematik-Vorlesungen (Analysis I bis III und Stochastik)im Diplom- bzw. Lehramtsstudiengang Mathematik die Grundlagen zusammenzustellen,die einerseits fur das Informatik-Studium unabdingbar erscheinen und die andererseits furden Besuch mathematisch orientierter Veranstaltungen im Hauptstudium Angewandte In-formatik unbedingt notwendig sind. Gedacht ist dabei an Vorlesungen aus dem Bereich derNumerischen Mathematik wieMathematisches Modellieren, Bildverarbeitung oder Compu-ter Aided Geometric Design bzw. an Veranstaltungen aus dem Bereich der Optimierung.Wegen der in diesen Vorlesungen ublichen mathematischen Strenge haben wir auch indiesen Einfuhrungsvorlesungen fast alle Aussagen bewiesen. Diese Notwendigkeit magvielleicht einem Studierenden der Angewandten Informatik gerade zu Beginn des Studi-ums nicht einsichtig sein; wir sind aber der festen Uberzeugung, dass dies zum Verstandnisim weiteren Verlauf des Studiums nur hilfreich sein kann.

Grundlage fur die Gegenstande aus der Analysis ist eine Vorlesung Analysis I bis IV,die der zweitgenannte Autor in der Zeit zwischen dem Wintersemester 2001/02 und demSommersemester 2003 fur den Diplom- bzw. Lehramtsstudiengang Mathematik gehaltenhat.Ab dem Sommersemester 2004 wurde die Vorlesung von Gerhard Freiling ubernommen;hierbei wurde das Vorlesungsmanuskript uberarbeitet und um einige Themen erganzt,die teilweise dem Vorlesungsmanuskript Analysis I bis IV von G. Freiling bzw. anderenQuellen entnommen wurden; dieses Skript erhebt keinerlei Anspruch auf Originalitat.An dieser Stelle mochten die Autoren Herrn D. Winkler (Karlsruhe) danken, der dieUnterlagen (files) eines von ihm ausgearbeiteten Vorlesungsmanuskripts zur Verfugunggestellt hat - wir haben hier insbesondere einige von ihm angefertigte Abbildungen ver-wandt. Ferner danken wir unserem Kollegen Heinz H. Gonska (Duisburg), der zu diesemSkript die erste Version von §1.8 beigetragen hat.Mit Sicherheit wird diese Vorlesung, die durch einen ungemein umfangreichen Stoffkataloggepragt ist, nicht alle Wunsche der Informatik und der Mathematik, speziell der Studie-renden der Angewandten Informatik erfullen. Deshalb sind uns Anregungen, Erganzungen,Anderungswunsche oder auch Hinweise zu Fehlern in dem nachfolgenden Text sehr will-kommen.

Um die Dinge, die wir beweisen wollen, moglichst eindeutig, klar und dennoch kurz dar-stellen zu konnen, benotigen wir einige Verabredungen, die wir als erstes zusammenstellen.Dabei stellen wir uns auf einen naiven Standpunkt.

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0.1 Aussagenlogik

Wir wollen den Begriff Aussage klaren: Als Aussage soll jeder sprachliche Satz verstandenwerden, der seiner inhaltlichen Bedeutung nach entweder wahr oder falsch ist. Dabeikommt es nicht darauf an, dass man tatsachlich weiß, ob der Satz wahr oder falsch ist.Der Satz Morgen wird es regnen ist schon heute eine Aussage, obwohl sich erst morgenherausstellen wird, ob sie wahr oder falsch ist. Wir legen uns also auf eine zweiwertigeLogik fest und fuhren zur Formalisierung die Wahrheitswerte W (fur wahr) und F (furfalsch) ein. Wenn wir kurz davon sprechen, dass eine Aussage wahr ist, so bedeutet das:Einer Aussage wird der Wahrheitswert W zugeordnet.

Wir verknupfen Aussagen miteinander; dabei kommt es uns nicht auf die neu entstandenenSatze unserer Sprache an, sondern auf die Wahrheitswerte der Aussage-Verknupfungen.Wir verstehen also die Aussage-Verknupfungen als Verknupfungen von Wahrheitswerten:

a) Die Negation (Verneinung, im Zeichen ¬) ordnet jedem Wahrheitswert den entge-gengesetzten W -Wert zu:

A ¬ A

W F

F W

b) Die Konjugation (UND-Verknupfung, im Zeichen ∧) ordnet den Aussagen A und Bgenau dann den Wahrheitswert W zu, wenn sowohl A als auch B wahr sind:

A B A ∧B

W W W

W F F

F W F

F F F

c) Die Disjunktion (ODER-Verknupfung, im Zeichen ∨) ordnet den Aussagen A undB genau dann den Wahrheitswert W zu, wenn A oder B wahr sind:

A B A ∨B

W W W

W F W

F W W

F F F

d) Die Subjunktion (Implikation, im Zeichen A ⇒ B) ordnet den Aussagen A und B

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Wahrheitswerte gemaß der folgenden Tabelle zu:

A B A ⇒ B

W W W

W F F

F W W

F F W

e) Die Bijunktion (Aquivalenz, im Zeichen A ⇔ B) ordnet den Aussagen A und Bgenau dann den Wahrheitswert W zu, wenn A und B denselben Wahrheitswertbesitzen:

A B A ⇔ B

W W W

W F F

F W F

F F W

Mit den so definierten Verknupfungen kann man komplizierte Gebilde, sog. aussagenlogi-sche Ausdrucke aufbauen, z.B.:

(A⇒ B) ∧ (B ∨ (¬A)) = C.

Bei der Ermittlung des Wahrheitswertes eines solchen Ausdrucks verwendet man vorteil-haft Wahrheitstabellen.

A B A⇒ B B ∨ (¬A) C

W W W W W

W F F F F

F W W W W

F F W W W

Der Satz x ist eine Großstadt ist keine Aussage. Erst wenn x durch den Namen einesObjekts ersetzt wird, ergibt sich eine Aussage. Wir nennen x eine Variable und x isteine Großstadt eine Aussageform. Wir schreiben allgemein fur eine Aussageform mit einerVariablen x auch kurz A(x). Wir setzen nun alle zur Verfugung stehenden Objekte aus demVariablenbereich ein und uberprufen die entstandenen Aussagen auf ihren Wahrheitswert.Folgende drei Falle sind moglich:

(i) Alle aus A(x) entstandenen Aussagen sind wahr.

(ii) Mindestens eine der aus A(x) entstandenen Aussagen ist wahr.

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(iii) Keine der aus A(x) entstandenen Aussagen ist wahr.

Die Satze unter (i), (ii) und (iii) sind Aussagen. Untersuchungen dieser Art sind – geradein der Mathematik – so haufig, dass man fur die verwendeten Redewendungen eigeneSymbole zur Abkurzung eingefuhrt hat:

Statt (i) sagt man: Fur alle x gilt A(x)

oder mit der Abkurzung: ∀x : A(x)

oder: ∧x : A(x)

Statt (ii) sagt man: Es existiert ein x, so dass A(x) gilt

oder ∃x : A(x)

bzw. ∨x : A(x)

∀ heißt Allquantor und ∃ heißt Existenzquantor. Fur den Satz in (iii) brauchen wir keineneigenen Quantor, denn die Aussage unter (iii) ist die Verneinung der Aussage unter (ii).Auf einen der beiden anderen Quantoren konnte man noch verzichten, denn es gilt:

(∀x : A(x))⇔ ¬(∃x : ¬A(x))

bzw.(∃x : A(x))⇔ ¬(∀x : ¬A(x)).

Hieraus folgt die bei mathematischen Beweisen oft benutzte Aquivalenz:

¬(∀x : A(x))⇔ ∃x : ¬A(x)

bzw.¬(∃x : A(x))⇔ ∀x : ¬A(x).

Will man nun einen mathematischen Satz beweisen, so reiht man eine Kette wahrer Aus-sagen aneinander. Jedes Glied der Kette ist entweder ein Postulat oder ein bereits fruherbewiesener Satz oder es geht nach gewissen Regeln aus den vorangehenden Gliedern derKette hervor. Diese Regeln heißen Beweisregeln; wir geben einige wichtige Regeln an:

a) Modus ponens (Abtrennungsregel): Wenn man weiß, dass die Implikation A ⇒ Bwahr ist und dass A wahr ist, so ist auch B wahr.

b) Modus tollens (Widerlegungsregel): Wenn man weiß, dass die Implikation A ⇒ Bwahr ist und dass ¬B wahr ist, so ist A falsch.

c) Kontrapositionsregel: (A⇒ B)⇔ (¬B ⇒ ¬A).Diese Regel uberpruft man sofort anhand der zugehorigen Wahrheitswertetafel.

d) Kettenschluß: Wenn man weiß, dass die Implikation A ⇒ B wahr ist und dassB ⇒ C wahr ist, so ist auch A ⇒ C wahr. Diese Regel kann man sofort aus derWahrheitswertetafel fur die Implikation ablesen.

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0.2 Mengen

Wir verstehen unter einer Menge M die Zusammenfassung gewisser wohlunterschiedenerObjekte x unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Die Objekte xnennen wir die Elemente der Menge und schreiben: x ∈M . Es durfen nur solche Mengengebildet werden, bei denen objektiv entscheidbar ist, ob ein gewisses Objekt Elementdieser Menge ist oder nicht. Ist x kein Element der Menge M , so schreiben wir: x ∈ M .Dies ist aquivalent dazu, dass die Aussage x ∈ M falsch ist oder die Aussage ¬(x ∈ M)wahr ist. Die Menge, die kein Element besitzt, bezeichnen wir mit ∅. Sie heißt leere Menge.In der Regel beschreiben wir eine Menge in der Form x | x besitzt die Eigenschaft A,also z.B.:

x | x ist eine naturliche Zahl oder ∅ = x | x = x.

Ausgehend von zwei Mengen konnen wir neue Mengen konstruieren:

Definition 0.1

SindM und N Mengen, so heißenM und N gleich (M = N), wenn gilt: x ∈M ⇔ x ∈ N .Wir schreiben ferner:

M ∪N := x | x ∈M ∨ x ∈ N (Vereinigung)

M ∩N := x | x ∈M ∧ x ∈ N (Durchschnitt)

M \N := x | x ∈M ∧ x ∈ N (Differenzmenge)

M ⊂ N :⇔ (x ∈M ⇒ x ∈ N) (Teilmenge, Inklusion)

P(M) := N | N ⊂M (Potenzmenge)

CMN :=M \N fur N ∈ P(M) (Komplement)

Ist klar, bezuglich welcher Menge M das Komplement zu bilden ist, so lassen wir auchdas M bei CMN weg. Die definierende Eigenschaft fur den Durchschnitt von M und Nkonnen wir dabei folgendermaßen auffassen: Wir schreiben x ∈M∩N , wenn die Aussagenx ∈ M und x ∈ N wahr sind. Diese Interpretation ermoglicht es, Eigenschaften bei derVerknupfung von Mengen auf die Verknupfung von Aussagen zuruckzufuhren.

Wir wollen dies an einem demonstrieren an einem

Beispiel: Sind L,M,N Mengen, so folgt aus L ⊂M und M ⊂ N stets L ⊂ N (Transiti-vitat von ⊂).Beweis: Wir setzen also

L ⊂M ⇔ (x ∈ L⇒ x ∈M)

undM ⊂ N ⇔ (x ∈M ⇒ x ∈ N).

voraus und mussen zeigen, dass x ∈ L⇒ x ∈ N wahr ist. Diese Implikation ist nach derKettenschluß-Regel wahr. 2

Weitere Eigenschaften bei der Verknupfung von Mengen fassen wir zusammen in

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Satz 0.2.

Fur beliebige Mengen L,M,N gilt:

a) M ∩N = N ∩M, M ∪N = N ∪M (Kommutativitat)

b) (M ∩N) ∩ L =M ∩ (N ∩ L) (Assoziativitat)

(M ∪N) ∪ L =M ∪ (N ∪ L) (Assoziativitat)

c) M ∩ (N ∪ L) = (M ∩N) ∪ (M ∩ L) (Distributivitat)

M ∪ (N ∩ L) = (M ∪N) ∩ (M ∪ L) (Distributivitat)

d) M \ (N ∩ L) = (M \N) ∪ (M \ L) (de Morgansche Regel)

M \ (N ∪ L) = (M \N) ∩ (M \ L) (de Morgansche Regel)

e) L ⊂ (M ∩N)⇔ (L ⊂M ∧ L ⊂ N)

Aufgrund der Assoziativitat konnen wir bei Vereinigungs- und Durchschnittsbildung vonmehr als zwei Mengen auf Klammern verzichten. Wir konnen diese Begriffe auch aufbeliebige Mengensysteme ausdehnen:

Definition 0.3:

Es sei I eine nichtleere Menge und Mi, i ∈ I eine Familie von Mengen. Dann heißt∩i∈IMi := x | ∀i ∈ I : x ∈Mi

der Durchschnitt und ∪i∈IMi := x | ∃i ∈ I : x ∈Mi

die Vereinigung der Mengen Mi, i ∈ I.

Die Eigenschaften aus Satz 0.2 ubertragen sich sinngemaß. Wir wollen dies speziell furdie de Morganschen Regeln zeigen:

Satz 0.4.

Es sei Mi, i ∈ I eine Familie von Teilmengen von X. Dann gilt:

CX(∪i∈IMi) =

∩i∈ICXMi

bzw.

CX(∩i∈IMi) =

∪i∈ICXMi.

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Beweis: Wir zeigen eine Gleichheit, z.B.

x ∈ CX(∪i∈IMi)⇔ x ∈

∩i∈ICXMi ;

die andere Gleichheit folgt vollig analog.

x ∈ CX(∪i∈IMi) ⇔ x ∈ X ∧ x ∈

∪i∈IMi

⇔ x ∈ X ∧ (¬(x ∈∪i∈IMi))

⇔ x ∈ X ∧ (¬(∃i ∈ I : x ∈Mi))

⇔ x ∈ X ∧ (∀i ∈ I : ¬(x ∈Mi))

⇔ x ∈ X ∧ (∀i ∈ I : x ∈Mi)

⇔ x ∈ X ∧ (∀i ∈ I : x ∈ CXMi)

⇔ x ∈∩i∈I

(CXMi)

2

0.3 Abbildungen

Definition 0.5.

Gegeben seien zwei nichtleere Mengen M und N . Unter einer Abbildung oder Funktion fvon M nach N verstehen wir eine (Zuordnungs-) Vorschrift, die jedem x ∈ M genau einy ∈ N in eindeutiger Weise zuordnet. Dieses Element y bezeichnen wir auch mit f(x) undnennen es den Wert der Funktion f an der Stelle x oder das Bild von x unter f , wahrendx ein Urbild von f(x) heißt. M heißt Definitionsbereich von f , N Bildbereich von f . Wirschreiben auch

f :M ∋ x 7→ f(x) ∈ Noder

f :M → N, x 7→ f(x).

Bemerkung 0.6.

Jede Abbildung f :M → N konnen wir mit einer Teilmenge von

M ×N = (x, y) | x ∈M, y ∈ N

identifizieren. Ist f gegeben, so konnen wir f die Menge

Gf := G(f) := (x, f(x)) | x ∈M ⊂M ×N

zuordnen. G(f) heißt Graph von f ; wir konnen uns die Elemente von G(f) im cartesischenKoordinatensystem vorstellen.

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Abbildung 1: Beispiel: f0 : [0, 2]→ R, x 7→ x2

Definition 0.7.

Zwei Abbildungen f1 : M1 → N1 und f2 : M2 → N2 heißen gleich, wenn M1 = M2,N1 = N2 und f1(x) = f2(x) fur alle x ∈ M1 gilt. Wir schreiben kurz: f1 = f2. Vermogeeiner Abbildung f :M → N konnen wir Teilmengen von M bzw. N solche in N bzw. Mzuordnen. Fur A ⊂M bzw. B ⊂ N definieren wir

f(A) := f(x) | x ∈ A (Bild von A)

bzw.f−1(B) := x ∈M | f(x) ∈ B (Urbild von B).

Wir erhalten

Satz 0.8.

Gegeben seien eine Abbildung f :M → N sowie Teilmengen Ai ⊂M bzw. Bj ⊂ N . Danngilt:

(a) A1 ⊂ A2 ⇒ f(A1) ⊂ f(A2)

B1 ⊂ B2 ⇒ f−1(B1) ⊂ f−1(B2)

(b) f(∪i∈IAi) =

∪i∈If(Ai)

f(∩i∈IAi) ⊂

∩i∈If(Ai)

(c) f−1(∪j∈J

Bj) =∪j∈J

f−1(Bj)

f−1(∩j∈J

Bj) =∩j∈J

f−1(Bj)

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(d) f−1(CNB0) = CMf−1(B0)

(e) f−1(f(A0)) ⊃ A0, f(f−1(B0)) ⊂ B0.

Beweis:Wir demonstrieren an einem Beispiel, wie die Aussagen bewiesen werden konnen:

x ∈ f−1(∪j∈J

Bj) ⇔ x ∈M ∧ f(x) ∈∪j∈J

Bj

⇔ x ∈M ∧ (∃j ∈ J : f(x) ∈ Bj)

⇔ ∃j ∈ J : x ∈ f−1(Bj)

⇔ x ∈∪j∈J

f−1(Bj).

2

Definition 0.9.

Eine Abbildung f :M → N heißt surjektiv, falls f(M) = N gilt. Eine Abbildungf : M → N heißt injektiv, falls aus x1, x2 ∈ M und x1 = x2 stets f(x1) = f(x2)folgt. (Nach obigen Uberlegungen ist f genau dann injektiv, wenn aus x1, x2 ∈ M undf(x1) = f(x2) stets x1 = x2 folgt.) Fur eine injektive Abbildung f konnen wir die Um-kehrabbildung f−1 : f(M) → M dadurch definieren, dass wir jedem f(x) ∈ f(M) daseindeutig bestimmte x ∈M zuordnen. Es gilt

f−1(f(x)) = x fur alle x ∈M

undf(f−1(y)) = y fur alle y ∈ f(M).

Eine Abbildung f , die injektiv und surjektiv ist, heißt bijektiv.

Beispiele 0.10.

Bezeichnen wir die Menge der naturlichen Zahlen mit N, d.h. N := 1, 2, 3, . . ., so ist

f : N ∋ n 7→ n2 ∈ N

injektiv, aber nicht surjektiv und

g : N ∋ n 7→

n

2, falls n gerade

n+ 1

2, falls n ungerade

∈ N

surjektiv, aber nicht injektiv.

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10

Definition 0.11.

Gegeben seien zwei Abbildungen g :M → N1 und f : N2 → L. Ist g(M) ⊂ N2, so ist dieKomposition f g :M → L definiert durch

M ∋ x 7→ f(g(x)) ∈ L.

Bezeichnen wir die Abbildung M ∋ x 7→ x ∈ M mit idM (Identitat auf M), so erhaltenwir fur injektives f :M → N :

f−1 f = idM

undf f−1 = idf(M).

Beispiel 0.12.

Betrachten wir die Beispiele aus 0.10, so erhalten wir

f(g(n)) =

f(n

2

)=n2

4, falls n gerade

f(n+ 1

2

)=

(n+ 1)2

4, falls n ungerade

,

alson 1 2 3 4 5 6 . . .

f(g(n)) 1 1 4 4 9 9 . . .;

die Abbildung g f ist ebenfalls definiert, und es gilt:

g(f(n)) = g(n2) =

n2

2, falls n gerade

n2 + 1

2, falls n ungerade

,

d.h.n 1 2 3 4 5 6 . . .

g(f(n)) 1 2 5 8 13 18 . . ..

Hieraus liest man ab, dass im Allgemeinen gilt: f g = g f , selbst wenn beide Ver-knupfungen definiert sind.

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11

§ 1 Reelle Zahlen

Wir wollen bei der Einfuhrung der reellen Zahlen, der Grundlage der Differential- undIntegralrechnung, den axiomatischen Weg verfolgen, d.h. dass wir die fundamentalen Re-chenregeln fur den Umgang mit reellen Zahlen als definierende Eigenschaften wahlen.

1.1 Die Korperaxiome

Definition 1.1.

Ein Korper K ist eine Menge mit zwei Abbildungen + : K×K → K und · : K×K → K,Addition bzw. Multiplikation genannt, die den folgenden Axiomen genugen:

(A1) (x+ y) + z = x+ (y + z) fur alle x, y, z ∈ K.

(Die Addition ist assoziativ; hierbei haben wir an Stelle von +(x, y) kurz x + ygeschrieben.)

(A2) x+ y = y + x fur alle x, y ∈ K.

(Die Addition ist kommutativ.)

(A3) Es existiert ein Element 0 ∈ K mit 0 + x = x fur alle x ∈ K.

(Existenz des neutralen Elements bzgl. + .)

(A4) Zu jedem x ∈ K existiert ein Element −x ∈ K mit x+ (−x) = 0.

(Existenz des inversen Elements bzgl. + ; −x heißt auch Negatives zu x.)

(M1) (xy)z = x(yz) fur alle x, y, z ∈ K.

(Die Multiplikation ist assoziativ; hierbei haben wir an Stelle von ·(x, y) kurz xygeschrieben.)

(M2) xy = yx fur alle x, y ∈ K.

(Die Multiplikation ist kommutativ.)

(M3) Es existiert ein Element 1 ∈ K, 1 = 0, mit 1x = x fur alle x ∈ K.

(Existenz des neutralen Elements bzgl. · .)

(M4) Zu jedem x ∈ K \ 0 existiert ein x−1 ∈ K mit xx−1 = 1.

(Existenz des inversen Elements bzgl. · .)

(D) Fur alle x, y, z ∈ K gilt: x(y + z) = xy + xz.

(Distributivgesetz.)

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12

Man sagt, dass K mit der Verknupfung + eine kommutative Gruppe bildet ((A1) - (A4));K \ 0 bildet bzgl. · eine kommutative Gruppe.

Beispiele 1.2.

Die rationalen Zahlen

Q :=m

n| m ∈ Z, n ∈ N

mit Z := z | z = 0 ∨ z ∈ N ∨ −z ∈ N

bilden einen Korper. Der kleinste Korper besteht aus zwei Elementen, mit obigen Bezeich-nungen 0 und 1, die folgendermaßen verknupft werden:

+ 0 10 0 11 1 0

· 0 10 0 01 0 1

Wir halten einige Regeln fur das Rechnen in Korpern fest; diese Regeln sind uns von Qher bekannt.

Satz 1.3.

Die Axiome der Addition ergeben folgende Regeln in einem Korper K:

a) Ist x+ y = x+ z, so folgt y = z. (Kurzungsregel)

b) Ist x+ y = x, so folgt y = 0, d.h. 0 ist eindeutig bestimmt.

c) Ist x + y = 0, so folgt y = −x, d.h. dass das inverse Element bzgl. + eindeutigbestimmt ist.

d) Fur alle x ∈ K gilt −(−x) = x.

Beweis:

Zu a): Aus x+ y = x+ z folgt

y(A3)= 0 + y

(A4)= (−x+ x) + y

(A1)= −x+ (x+ y)

(V or)= −x+ (x+ z)

(A1)= (−x+ x) + z = 0 + z = z.

Zu b): Setze in a) z = 0.

Zu c): Setze in a) z = −x.

Zu d): Aus c) folgt mit −x statt x:Ist −x+y = 0, so ist y = −(−x). Andererseits ist −x+x = 0, also wegen der Eindeutigkeitdes Inversen: x = −(−x). 2

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13

Bemerkung.

Wir schreiben x− y an Stelle von x+ (−y). Wegen

(x+ y) + ((−x) + (−y)) = (x+ y) + ((−y) + (−x))= ((x+ y) + (−y)) + (−x)= (x+ (y + (−y))) + (−x)= (x+ 0) + (−x) = x+ (−x) = 0

ist dann

−(x+ y) = −x+ (−y) = −x− y.

Weiter folgt

x− (y + z) = x+ (−(y + z)) = x+ ((−y) + (−z))= (x+ (−y)) + (−z) = (x− y) + (−z) = x− y − z.

Entsprechend zu Satz 1.3 folgt

Satz 1.4.

Die Axiome der Multiplikation ergeben:

a) Ist x = 0 und xy = xz, dann ist y = z.

b) Ist x = 0 und xy = x, dann ist y = 1 (Eindeutigkeit des neutralen Elements).

c) Ist x = 0 und xy = 1, so folgt y = x−1 (Eindeutigekeit der Inversen).

d) Ist x = 0, so gilt (x−1)−1 = x.

Bemerkung: Wir schreiben fur x = 0 auch1

xan Stelle von x−1 .

Ferner gelten in einem Korper folgende Aussagen:

Satz 1.5.

a) 0x = 0.

b) Ist x = 0 und y = 0, so auch xy = 0.

c) (−x)y = −(xy) = x(−y).

d) (−x)(−y) = xy.

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14

Beweis:

Zu a): Es gilt

0x(A3)= (0 + 0)x

(D,M2)= 0x+ 0x,

also nach Satz 1.3 b): 0x = 0.

Zu b): Angenommen, es gilt x = 0, y = 0 und xy = 0, so folgt

1 = (x−1x)(y−1y) = ((x−1)xy−1)y = (x−1(xy−1))y

= (x−1(y−1x))y = ((x−1y−1)x)y = (x−1y−1)(xy) = 0

also ein Widerspruch zu (M3). Also muß xy = 0 gelten.

Zu c): Es ist

(−x)y + xy(D)= (−x+ x)y = 0 · y (a)

= 0,

also(−x)y = −(xy).

Entsprechend folgt die zweite Gleichheit.

Zu d): Es gilt nach c) und Satz 1.3 d):

(−x)(−y) = −(x(−y)) = −(−(xy)) = xy.

2

Der Korper Q der rationalen Zahlen tragt noch mehr Struktur als wir bisher aus derAddition und der Multiplikation entnehmen konnten.

1.2 Die Anordnungsaxiome

Definition 1.6.

Ein Korper K heißt geordnet, wenn gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet sind (wirschreiben: x > 0), so dass folgende Anordnungsaxiome erfullt sind:

(O.1) Fur jedes x ∈ K gilt genau eine der drei Beziehungen: x > 0, x = 0 oder −x > 0.

(O.2) Sind x > 0 und y > 0, so folgt x+ y > 0.

(O.3) Sind x > 0 und y > 0, so folgt xy > 0.

Wir setzen x > y, falls x − y > 0 gilt, und schreiben x ≥ y, falls x > y oder x = y gilt;statt x > y (bzw. x ≥ y) schreiben wir auch y < x (bzw. y ≤ x).

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Satz 1.7.

Ist K ein geordneter Korper, so gilt:

a) x > 0⇔ −x < 0

b) Aus x < y und y < z folgt x < z.

(Transitivitat der <-Beziehung .)

c) Ist x < y und z ∈ K beliebig, so folgt x+ z < y + z.

d) Ist x < y und z > 0, so folgt xz < yz.

e) Ist x ∈ K \ 0, so folgt x2 = x · x > 0; insbesondere ist 1 > 0.

f) Ist 0 < x < y, so folgt 0 < y−1 < x−1.

Beweis: Zu a): Es gilt: −x < 0⇔ 0 > −x⇔ 0− (−x) > 0⇔ −(−x) = x > 0.

Zu b): Aus y − x > 0 und z − y > 0 folgt nach (O.2):

(y − x) + (z − y) > 0, d.h. z − x > 0.

Zu c): Aus y − x > 0 folgt (y + z)− (x+ z) > 0.

Zu d): Aus y − x > 0 und z > 0 folgt nach (O.3):

(y − x)z > 0, d.h. yz − xz > 0.

Zu e): Ist x ∈ K \ 0, so folgt nach (O.1): x > 0 oder x < 0. Fur x > 0 folgt dieBehauptung aus (O.3). Ist x < 0, so gilt nach Teil a): −x > 0 und damit nach (0.3):(−x)(−x) > 0; nach Satz 1.5 d) bedeutet dies: x2 > 0. Wegen 12 = 1 folgt speziell: 1 > 0.

Zu f): Aus x > 0 folgt x−1 = 0 und damit nach Teil e): (x−1)2 > 0. Teil d) liefert:x(x−1)2 > 0, d.h. (x · x−1)x−1 = x−1 > 0. Entsprechend folgt y−1 > 0. (O.3) liefert:x−1y−1(= (xy)−1) > 0. Multiplikation der Ungleichung x < y mit x−1y−1 > 0 ergibt

y−1 = x(x−1y−1) < y(x−1y−1) = x−1.

2

Der Korper Q der rationalen Zahlen wird durch die ubliche Anordnung zu einem geord-neten Korper. Wir werden an einem Beispiel demonstrieren, dass der geordnete KorperQ einen Nachteil aufweist:

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16

Beispiel 1.8.

Es sei A := p ∈ Q | p > 0, p2 < 2 und B := p ∈ Q | p > 0, p2 > 2.

Wir zeigen, dass A kein großtes und B kein kleinstes Element enthalt, d.h.: zu jedemp ∈ A existiert ein q ∈ A mit p < q und zu jedem p ∈ B existiert ein q ∈ B mit q < p.Um dies einzusehen, betrachten wir zu jedem p ∈ Q mit p > 0 die Zahl

(i) q = p− p2 − 2

p+ 2=

2p+ 2

p+ 2;

dann gilt

(ii) q2 − 2 =2(p2 − 2)

(p+ 2)2.

Ist nun p ∈ A, d.h. p2 − 2 < 0, so folgt aus (i): q > p und aus (ii): q ∈ A.

Ist dagegen p ∈ B, d.h. p2 − 2 > 0, so folgt aus (i): 0 < q < p und aus (ii): q ∈ B.

Wir werden im Folgenden mit einem Korper rechnen, der dieses Manko nicht hat.

1.3 Die reellen Zahlen als vollstandig geordneter Korper

Definition 1.9.

Es sei K ein geordneter Korper und M ⊂ K: Existiert ein b ∈ K derart, dass fur jedesx ∈M gilt: x ≤ b, so heißtM nach oben beschrankt, und wir nennen b eine obere Schrankevon M . Untere Schranken definiert man analog.

Ist M ⊂ K nach oben beschrankt und existiert ein a ∈ K mit folgenden Eigenschaften:

(i) a ist obere Schranke von M ;

(ii) ist b < a, so ist b keine obere Schranke von M ,

so heißt a kleinste obere Schranke oder Supremum von M ; wir schreiben: a = supM .Analog heißt a großte untere Schranke oder Infimum einer nach unten beschranktenMenge M , Schreibweise a = infM , wenn gilt:

(i) a ist untere Schranke von M ;

(ii) ist b > a, so ist b keine untere Schranke von M ,

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Beispiele 1.10.

a) Wir betrachten die Mengen A und B aus Beispiel 1.8 als Teilmengen des geordnetenKorpers Q. A ist nach oben beschrankt; die oberen Schranken von A sind genau dieElemente von B. Da B kein kleinstes Element enthalt, hat A keine kleinste obereSchranke in Q. Entsprechend hat B keine großte untere Schranke in Q.

b) Falls a = supM existiert, kann a ∈M oder a ∈M sein. Z.B. gilt fur die Mengen

M1 := p ∈ Q | p < 0 bzw. M2 := p ∈ Q | p ≤ 0 :

0 = supM1 = supM2.

c) Fur M :=1

n| n ∈ N

ist supM = 1 und infM = 0 mit 1 ∈M und 0 ∈M .

Satz 1.11.

Es existiert ein geordneter Korper, der Q enthalt und in dem jede nichtleere, nach obenbeschrankte Teilmenge ein Supremum besitzt. Diesen Korper bezeichnen wir mit R undnennen seine Elemente reelle Zahlen.

Beweis: vgl. W. Rudin: Analysis. Oldenbourg-Verlag.

Bemerkung.

Ein geordneter Korper, in dem jede nichtleere nach oben beschrankte Teilmenge ein Supre-mum besitzt, heißt vollstandig geordnet. (Man konnte auch fordern, dass jede nichtleerenach unten beschrankte Teilmenge ein Infimum besitzt.) Konstruktiv kann eine reelleZahl als eine Aquivalenzklasse von Cauchy-Folgen rationaler Zahlen definiert werden. DerBeweis bei Rudin verwendet die Methode der Dedekindschen Schnitte. Beide Verfahrengehen auf das Jahr 1872 zuruck.

Wir ziehen einige Folgerungen aus Satz 1.11:

Satz 1.12.

a) Sind x, y ∈ R gegeben mit x > 0, so existiert ein n ∈ N mit

nx > y.

(Archimedisches Prinzip)

b) Sind x, y ∈ R gegeben mit x < y, so gibt es ein p ∈ Q mit

x < p < y.

(Q ist eine dichte Teilmenge von R.)

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18

Beweis: Zu a): Wir nehmen an, die Behauptung sei falsch; dann ist die Menge

A := nx | n ∈ N

nichtleer und nach oben beschrankt (durch y). Aufgrund der Vollstandigkeit von R exi-stiert a = supA (in R). Wegen x > 0 ist a− x < a, also a− x keine obere Schranke vonA. Daher gibt es ein m ∈ N mit a − x < mx, d.h. a < (m + 1)x, im Widerspruch dazu,dass a eine obere Schranke von A ist.

Zu b): Wegen y − x > 0 existiert nach Teil a) ein n ∈ N mit

n(y − x) > 1.

Weiter gibt es m1,m2 ∈ N mit

m1 > nx bzw. m2 > −nx,

d.h.−m2 < nx < m1.

Also existiert ein m ∈ Z (mit −m2 + 1 ≤ m ≤ m1) derart, dass

m− 1 ≤ nx < m

gilt. Zusammenfassen dieser Ungleichungen liefert

nx < m ≤ 1 + nx < ny.

Wegen n > 0 folgt mit p =m

n:

x <m

n= p < y.

2

Bemerkungen.

a) Haufig wird das Archimedische Prinzip in folgender Form benutzt:

Zu jedem ε > 0 existiert ein n ∈ N mit1

n< ε.

Diese Eigenschaft ist aquivalent zu der in Satz 1.12 a) formulierten Eigenschaft.

(Aus Satz 1.12 a) folgt, dass zu ε = 1 und y = 1 ein n ∈ N exisitiert mit nε > 1,

woraus1

n< ε folgt. Fur die Umkehrung seien x > 0 und y ∈ R gegeben. Wir wollen

zeigen, dass ein n ∈ N existiert mit nx > y; o.B.d.A. konnen wir y > 0 voraussetzen,

da sonst die Ungleichung fur jedes n ∈ N richtig ist. Zux

y> 0 finden wir ein n ∈ N

mit1

n<x

y, was zu

n >x

yd.h. nx > y aquivalent ist.)

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b) Wir haben die reellen Zahlen als Oberkorper von Q und damit als Obermenge von Neingefuhrt. Will man darauf verzichten, so fuhrt man R als vollstandig geordnetenKorper ein, in dem das Archimedische Axiom (x, y > 0 ⇒ ∃n ∈ N : nx > y) gilt.(Dabei sind die naturlichen Zahlen induktiv einzufuhren, d.h. 2 := 1 + 1, 3 :=2 + 1, . . . .) Bis auf Isomorphie ist R dann eindeutig bestimmt.

1.4 Das Induktionsprinzip. Induktive Definition.

Gegeben sei eine Zahl n0 ∈ Z; wir betrachten die Aussagen A(n) fur jedes n ≥ n0, n ∈Z. Wir wollen beweisen, dass die Aussagen A(n) fur alle n ≥ n0 wahr sind, ohne dieRichtigkeit einzeln nachzuprufen. Dabei hilft uns

Das Induktionsprinzip

Um die Richtigkeit der Aussagen A(n) fur alle n ≥ n0 zu beweisen, genugt es, Folgendeszu zeigen:

(I) A(n0) ist richtig. (Induktionsanfang)

(II) Fur beliebiges n ≥ n0 gilt: Falls A(n) richtig ist, so ist auch A(n + 1) richtig.(Induktionsschritt)

Bemerkung.

Haufig formuliert man das Induktionsprinzip nur fur n0 = 1. Bei vielen Abschatzungenist es jedoch besser, bei einem anderen n0 zu starten.

Wir fugen einige Beispiele an, bei denen das Induktionsprinzip erfolgreich beim Beweisangewandt werden kann:

Satz 1.13.

Es gilt fur alle n ∈ N

1 + 2 + 3 + . . .+ n =n(n+ 1)

2,

12 + 22 + 32 + . . .+ n2 =n(n+ 1)(2n+ 1)

6,

13 + 23 + 33 + . . .+ n3 =n2(n+ 1)2

4.

Beweis: Wir beweisen die dritte Aussage mit Hilfe des Induktionsprinzips.

(I) Induktionsanfang fur n0 = 1. Die linke Seite ergibt: 13 = 1; die rechte Seite ergibt:12 · 22

4= 1. Also ist die Formel fur n = 1 richtig.

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(II) Induktionsschritt: Es gelte 13 + . . .+ n3 =n2(n+ 1)2

4; zu zeigen ist die Richtigkeit

der Formel fur n+ 1, d.h.

13 + . . .+ n3 + (n+ 1)3 =(n+ 1)2(n+ 2)2

4.

Nun ist

13 + . . .+ n3 + (n+ 1)3 = (13 + . . .+ n3) + (n+ 1)3

=n2(n+ 1)2

4+ (n+ 1)3 =

1

4(n+ 1)2(n2 + 4(n+ 1))

=1

4(n+ 1)2(n+ 2)2.

Das Induktionsprinzip liefert dann die Gultigkeit der Aussage fur alle n ∈ N. 2

Beim Prinzip der induktiven Definition geht man davon aus, dass eine Große fur dienaturliche Zahl n schon definiert ist und sagt, wie sich die Große fur n+ 1 aus der fur nergibt. Allgemein laßt sich das Prinzip folgendermaßen beschreiben:

Prinzip der induktiven Definition

Gegeben seien eine Menge X, eine Abbildung g : X × N→ X und ein a ∈ X. Dann gibtes genau eine Abbildung f : N → X mit f(1) = a und f(n + 1) = g(f(n), n) fur allen ∈ N.

Beispiele 1.14.

a) Sei X = R und g definiert durch g(r, n) = a · r und f(1) = a. Dann ist

f(n) = an = a · a · . . . · a︸ ︷︷ ︸n−mal

∀ n ∈ N.

Dies beweist man mit dem Induktionsprinzip.

b) Sei X = N, a = 1 und g definiert durch g(m,n) = m(n + 1). Dann ist f(n) =1 · 2 · 3 · . . . · n. Dieses spezielle Produkt tragt den Namen n-Fakultat ; wir schreibendafur n! . Wir setzen noch 0! = 1.

Wir konnen auch allgemeinere Produkte bzw. Summen in abgekurzter Form aufschreiben;so setzen wir fur (reelle) Zahlen a1, a2, . . . , an:

n∑k=1

ak := a1 + a2 + . . .+ an

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21

undn∏

k=1

ak := a1 · a2 · . . . · an.

Den Summationsindex k konnen wir auch anders bezeichnen; so gilt z.B.

n∑k=1

ak =n∑

ℓ=1

aℓ =n+10∑m=11

am−10 =n+m∑

k=m+1

ak−m.

Ganz allgemein setzen wir fur n ≥ m, m, n ∈ Z:n∑

k=m

ak := am + am+1 + . . .+ an

bzw.n∏

k=m

ak := am · am+1 · . . . · an;

ist dagegen n < m, so sei

n∑k=m

ak := 0 undn∏

k=m

ak := 1.

Satz 1.15.

Es gilt fur m ≤ n

n∑k=m

(ak − ak−1) = an − am−1,

n∑k=m

(ak − ak+1) = am − an+1

(Teleskop-Summen)

sowien∑

k=1

akbk = Anbn+1 +n∑

k=1

Ak(bk − bk+1) (Abelsche Partielle Summation)

mit Ak =k∑

j=1aj und beliebigem bn+1.

Beweis: Wir beweisen nur die Behauptung uber die Abelsche Partielle Summation. MitA0 = 0 folgt ak = Ak − Ak−1 fur k = 1, . . . , n, also

n∑k=1

akbk =n∑

k=1

(Ak − Ak−1)bk =n∑

k=1

Akbk −n∑

k=1

Ak−1bk

=n∑

k=1

Akbk −n−1∑k=1

Akbk+1

=n∑

k=1

Akbk −n∑

k=1

Akbk+1 + Anbn+1

= Anbn+1 +n∑

k=1

Ak(bk − bk+1). 2

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22

Wir wollen nun an einigen Beispielen den Umgang mit dem Summen- und dem Produkt-zeichen uben.

Es sei A = a1, a2, . . . , an eine n-elementige Menge. Eine Permutation (auf A) ist einebijektive Abbildung von A in sich. Jede solche Abbildung ist eindeutig durch die Bilderder a1, . . . , an festgelegt. Wegen der Injektivitat einer Permutation kommt jedes Elementai unter den Bildern f(a1), . . . , f(an) genau einmal vor. Also beschreibt z.B. das n-Tupel(a2, a3, . . . , an, a1) eine Permutation auf A, wenn man vereinbart, dass an der i-ten Stelledas Bild f(ai) steht. Hier ist

f(ai) =

ai+1 fur i = 1, . . . , n− 1

a1 fur i = n.

Hieraus ist ersichtlich, dass es im Prinzip nur auf die Reihenfolge der Indizes bei denai ankommt; deshalb beschreibt man eine Permutation auch kurz durch ein n-Tupel dernaturlichen Zahlen 1, . . . , n, z.B. (2, 3, . . . , n, 1). Wieviele n-Tupel der Zahlen 1, . . . , n gibtes? Das fuhrt auf eine Aussage der elementaren Kombinatorik (vgl. Vorlesung DiskreteMathematik fur Informatiker), das sog.

Abzahltheorem 1.16.

Es sei k ∈ N und K1, . . . , Kk seien k Kasten, die belegt werden konnen, z.B. mit Kugelnverschiedener Farbe. Gibt es

n1 Moglichkeiten, K1 zu belegen,

nach vorgenommener Belegung

n2 Moglichkeiten, K2 zu belegen,

und daran anschließend

n3 Moglichkeiten, K3 zu belegen,

. . . und schließlich

nk Moglichkeiten, Kk zu belegen,

so gibt es insgesamtk∏

i=1

ni Belegungen der K1, . . . , Kk.

Beweis: Induktion nach k. 2

Wenden wir diesen Satz auf die Frage nach der Anzahl der bijektiven Abbildungen vonA in sich an, so erhalten wir

n−1∏i=0

(n− i) = n!

Permutationen von n Elementen.

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23

Definition 1.17.

Fur k, n ∈ N0 := N ∪ 0 setzen wir(n

k

):=

k∏j=1

n− j + 1

j=n(n− 1) · . . . · (n− k + 1)

1 · 2 · . . . · k

(lies: n uber k). Die Zahlen

(n

k

)heißen Binomialkoeffizienten.

Bemerkung.

Aus der Definition folgt unmittelbar(n

k

)= 0 fur k > n

und (n

k

)=

n!

k!(n− k)!=

(n

n− k

)fur 0 ≤ k ≤ n.

Fur 1 ≤ k ≤ n gilt ferner (n

k

)=

(n− 1

k − 1

)+

(n− 1

k

).

Beweis: Fur k = n ist die Formel richtig. Fur 1 ≤ k ≤ n− 1 erhalten wir(n− 1

k − 1

)+

(n− 1

k

)=

(n− 1)!

(k − 1)!(n− k)!+

(n− 1)!

k!(n− k − 1)!

=k(n− 1)! + (n− k)(n− 1)!

k!(n− k)!=

(n− 1)!n

k!(n− k)!=

(n

k

).

2

Satz 1.18.

Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge A = a1, . . . , an

ist gleich

(n

k

), 0 ≤ k ≤ n. Speziell folgt, dass

(n

k

)∈ Z ist.

Beweis: Mit Cnk bezeichnen wir die Anzahl der k-elementigen Teilmenge von A.

Wir beweisen Cnk =

(n

k

)durch Induktion nach n.

(I) Induktionsanfang: Sei n = 1; dann gibt es eine 0-elementige Teilmenge von A =a1, namlich ∅ und eine 1-elementige Teilmenge, namlich A. Also ist C1

0 = C11 = 1.

Andererseits ist(10

)=(11

)= 1.

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24

(II) Induktionsschritt: Es gelte Cnk =

(nk

). Wegen Cn+1

0 = 1 =(n+10

)und Cn+1

n+1 = 1 =(n+1n+1

)brauchen wir nur den Fall 1 ≤ k ≤ n zu behandeln, d.h. Cn+1

k =(n+1k

)Die k-elementigen Teilmengen von a1, . . . , an+1 zerfallen in zwei Klassen K0 undK1, wobei K0 alle Teilmengen umfasse, die an+1 nicht enthalten, und K1 alle Teil-mengen, die an+1 enthalten. Die Anzahl der Mengen in der KlasseK0 stimmt mit der

Anzahl der k-elementigen Teilmengen von a1, . . . , an uberein, ist also gleich(nk

).

Jede Menge der Klasse K1 enthalt an+1; die ubrigen k− 1 Elemente sind der Menge

a1, . . . , an entnommen. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es(

nk−1

)Moglichkei-

ten dieser Auswahl. Zusammen folgt also mit der Formel aus der vorhergehendenBemerkung

Cn+1k =

(n

k

)+

(n

k − 1

)=

(n+ 1

k

).

2

Beispiel.

Es gibt

(49

6

)= 13983816 6-elementige Teilmengen einer Menge von 49 Elementen.

Also ist die Chance, beim Lotto 6 aus 49 den Hauptgewinn zu erzielen, etwa 1 : 14 Mill.

Satz 1.19. (Binomischer Lehrsatz)

Es seien a, b ∈ R und n ∈ N, dann gilt mit a0 = b0 := 1:

(a+ b)n =n∑

k=0

(n

k

)an−kbk.

Beweis: Durch Induktion nach n.

(I) Es ist (a+ b)1 = a+ b und1∑

k=0

(1

k

)a1−kbk =

(1

0

)a+

(1

1

)b = a+ b; also die Aussage

fur n = 1 richtig.

(II) (a+ b)n+1 = (a+ b)n · (a+ b) =

(n∑

k=0

(n

k

)an−kbk

)(a+ b)

=n∑

k=0

(n

k

)an+1−kbk +

n∑k=0

(n

k

)an−kbk+1

=

(an+1 +

n∑k=1

(n

k

)an+1−kbk

)+

(n−1∑k=0

(n

k

)an−kbk+1 + bn+1

)

= an+1 +n∑

k=1

((n

k

)+

(n

k − 1

))an+1−kbk + bn+1

= an+1 +n∑

k=1

(n+ 1

k

)an+1−kbk + bn+1

=n+1∑k=0

(n+ 1

k

)an+1−kbk

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25

2

Folgerung.

Es giltn∑

k=0

(n

k

)= 2n ; also gibt es 2n Teilmengen einer n-elementigen Menge a1, . . . , an.

Ferner giltn∑

k=0

(−1)k(n

k

)= 0 fur n ≥ 1.

Die Binomialkoeffizienten ergeben sich aus dem sog. Pascal’schen Dreieck

(a+ b)0 : 1

(a+ b)1 : 1 1

(a+ b)2 : 1 2 1

(a+ b)3 : 1 3 3 1

(a+ b)4 : 1 4 6 4 1

(a+ b)5 : 1 5 10 10 5 1

· ·· ·· ·

Satz 1.20. (Bernoullische Ungleichung)

Es seien x ∈ R mit x ≥ −1 und n ∈ N0 gegeben; dann gilt

(1 + x)n ≥ 1 + nx.

Beweis: Durch Induktion nach n.

(I) Fur n = 0 ist die Behauptung klar.

(II) Es gelte also (1+x)n ≥ 1+nx. Durch Multiplikation dieser Ungleichung mit 1+x ≥ 0folgt nach Satz 1.7:

(1 + x)n+1 ≥ (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n+ 1)x+ nx2

≥ 1 + (n+ 1)x.

Ist 1 + x = 0, d.h. x = −1, so gilt die Ungleichung wegen nx = −n ≤ 0, also1 + nx = −n+ 1, und (1 + x)n = 1 fur n = 0 bzw. (1 + x)n = 0 fur n ≥ 1. 2

Folgerung 1.21.

a) Es sei b > 1; dann gibt es zu jedem K > 0 ein n ∈ N mit bn > K.

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b) Ist 0 < b < 1, so existiert zu jedem ε > 0 ein n ∈ N mit bn < ε.

Beweis: Zu a): Sei x := b− 1; Satz 1.20 liefert

bn = (1 + x)n ≥ 1 + nx.

Nach dem Archimedischen Prinzip existiert zu x > 0 und y = K − 1 ein n ∈ N mitnx > K − 1. Fur dieses n gilt:

bn > 1 + (K − 1) = K.

Zu b): Nach Satz 1.7 ist b−1 > 1; also existiert nach Teil a) ein n ∈ N mit(1

b

)n

>1

ε.

Satz 1.7 liefert dann wegen(1

b

)n

=1

bndie Behauptung bn < ε. 2

In engem Zusammenhang hiermit ist die Summenformel fur die geometrische Reihe zusehen.

Satz 1.22.

Es sei x ∈ R \ 1; dann gilt fur jedes n ∈ N0:

n∑k=0

xk =1− xn+1

1− x.

Beweis durch Induktion nach n:

(I) n = 0 ergibt:n∑

k=0

xk = x0 = 1 und1− x0+1

1− x= 1.

(II) n+1∑k=0

xk =n∑

k=0

xk + xn+1 =1− xn+1

1− x+ xn+1

=1− xn+1 + xn+1 − xn+2

1− x=

1− xn+2

1− x.

2

Satz 1.23.

Zu jedem x ∈ R mit x > 0 und jedem n ∈ N existiert genau ein y > 0 mit yn = x. Wirschreiben: y = n

√x oder y = x1/n.

Bemerkung: Es gilt n√x = supt > 0 | tn < x. Dies folgt aus Satz 3.27. Wir geben auch

noch einen direkten Beweis an.

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Beweis: Sei E := t > 0 | tn < x; betrachten wir r :=x

1 + x, so ist 0 < r < 1, also

rn ≤ r < x.

Damit ist r ∈ E; d.h. E = ∅.Fur t > 1 + x gilt tn ≥ t > x, also t ∈ E. Daher ist 1 + x eine obere Schranke von E.Nach Satz 1.11 existiert

y = supE

in R. Wir zeigen, dass yn = x gilt. Dazu beweisen wir, dass die Ungleichungen yn > xund yn < x zu Widerspruchen fuhren.

1. Fall: Sei y > 0 und yn < x; wir wahlen h so, dass 0 < h < 1 und

h <x− yn

n(y + 1)n−1

gilt. Mit b = y und a = y + h > b > 0 folgt dann wegen

an − bn = (a− b)n−1∑k=0

an−1−kbk ,

also

nan−1 ≥ an − bn

a− b=

n−1∑k=0

an−1−kbk ≥ nbn−1

fur a > b > 0 die folgende Abschatzung:

an − bn ≤ nan−1(a− b)

= nan−1h = nh(y + h)n−1

≤ nh(y + 1)n−1 < x− yn.

Also ist(y + h)n − yn < x− yn

oder(y + h)n < x,

d.h.y + h ∈ E.

Wegen y + h > y widerspricht dies der Tatsache, dass y eine obere Schranke von E ist.

2. Fall: Sei y > 0 und yn > x; wir wahlen

0 < k <yn − xnyn−1

.

Dann ist k <yn

nyn−1=y

n≤ y.

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Mit a := y und b := y − k > 0 folgt wie im ersten Fall

an − bn ≤ nan−1(a− b)

= nan−1k < yn − x.

Also ist

yn − (y − k)n < yn − x

oder

(y − k)n > x,

d.h.

y − k ∈ E.

Also ist y− k eine obere Schranke von E im Widerspruch dazu, dass y die kleinste obereSchranke von E ist.

Also muss yn = x gelten; sind y1, y2 ∈ R, etwa 0 < y1 < y2, so folgt 0 < yn1 < yn2 . Alsoexistiert genau ein y mit yn = x. 2

1.5 Endliche, abzahlbare und uberabzahlbare Mengen

Definition 1.24.

Es sei Nn := 1, 2, . . . , n fur n ∈ N und M irgendeine Menge. Wir schreiben M ∼ N(M gleichmachtig wie N , M aquivalent N), wenn eine bijektive Abbildung f : M → Nexistiert. M heißt

a) endlich, wenn ein n ∈ N mit M ∼ Nn existiert. (∅ wird ebenfalls als endlich be-trachtet.)

b) unendlich, falls M nicht endlich ist.

c) abzahlbar, wenn M ∼ N ist.

d) uberabzahlbar, falls M weder endlich noch abzahlbar ist.

e) hochstens abzahlbar, wenn M endlich oder abzahlbar ist.

Bemerkung.

Zwei endliche Mengen M und N sind genau dann gleichmachtig, wenn sie gleichvieleElemente enthalten. Fur unendliche Mengen ist der Begriff gleichviele Elemente recht

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29

undeutlich, wogegen die Definition mit Hilfe der bijektiven Abbildung eindeutig ist. Soist z.B. Z ∼ N vermoge der Abbildung

f : N ∋ n 7→

n

2fur gerades n

−n− 1

2fur ungerades n

∈ Z.

Wir konstruieren nun aus gegebenen unendlichen Mengen neue:

Satz 1.25.

Jede unendliche Teilmenge einer abzahlbaren Menge ist abzahlbar.

Beweis: SeiM abzahlbar und N ⊂M unendlich. Wir ordnen die Elemente vonM in derForm f(1), f(2), f(3), . . . , an, wobei f : N → M bijektiv ist. Sei nun n1 ∈ N die kleinstenaturliche Zahl mit f(n1) ∈ N . Sind nun n1, . . . , nk−1 schon gewahlt, so sei nk ∈ N furk ≥ 2 die kleinste naturliche Zahl mit nk > nk−1 und f(nk) ∈ N . Wir definieren danng : N→ N durch g(k) = f(nk); g ist injektiv, da f injektiv ist; außerdem ist g surjektiv:ist namlich x ∈ N ⊂ M , so existiert ein ℓ ∈ N mit f(ℓ) = x; ist dann k die Anzahl derElemente in f(1), . . . , f(ℓ) mit f(j) ∈ N , so gilt f(ℓ) = g(k). 2

Satz 1.26.

Fur jedes n ∈ N sei En eine abzahlbare Menge. Dann ist auch

M :=∞∪n=1

En :=∪n∈N

En

abzahlbar. (D.h.: Die Vereinigung von abzahlbar vielen abzahlbaren Mengen ist wiederabzahlbar.)

Beweis: Seien En ∼ N vermoge der Abbildungen fn : N→ En, d.h.

En = fn(k) | k ∈ N.

Wir betrachten das folgende unendliche Schema

f1(1) f1(2) f1(3) f1(4) . . .

f2(1) f2(2) f2(3) . . .

f3(1) f3(2) f3(3) . . .

f4(1) . . .

Das Schema enthalt alle Elemente von M . Wir ordnen die Elemente des Schemas gemaßder durch die Pfeile angedeuteten Weise an:

f1(1); f2(1), f1(2); f3(1), f2(2), f1(3); f4(1), . . .

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30

Haben zwei der Mengen En gemeinsame Elemente, so treten diese in der Anordnungmehrfach auf. (Wenn wir dies nicht berucksichtigen, so kann genau angegeben werden,an welcher Stelle in dieser Reihenfolge das Element fk(ℓ) steht.) Streichen wir in dieserAnordnung vom zweiten Auftreten an alle Elemente heraus, so wird durch diese Anord-nung eine bijektive Abbildung von einer Teilmenge N ⊂ N auf M beschrieben. Also istM hochstens abzahlbar; wegen E1 ⊂M und E1 ∼ N folgt, dass M abzahlbar ist. 2

Satz 1.27.

SeiM eine abzahlbare Menge undMn fur n ∈ N die Menge aller n-Tupel (x1, . . . , xn) mitxk ∈M , also

Mn := (x1, . . . , xn) | xk ∈M fur 1 ≤ k ≤ n.

Dann ist Mn abzahlbar.

Beweis: Durch Induktion nach n.

(I) Fur n = 1 ist M1 =M , also M1 abzahlbar.

(II) Sei n > 1 und Mn−1 abzahlbar; dann ist

Mn = (x1, . . . , xn−1, xn) | mit (x1, . . . , xn−1) ∈Mn−1 und xn ∈M

= (y, xn) | mit y ∈Mn−1, xn ∈M,

alsoMn =

∪xn∈M

(y, xn) | y ∈Mn−1

=∪

y∈Mn−1

(y, xn) | xn ∈M.

Fur festes y ∈ Mn−1 ist die Menge (y, xn) | xn ∈ M abzahlbar. Satz 1.26 liefertdann die Abzahlbarkeit von Mn. 2

Folgerung 1.28.

Q ist abzahlbar.

Beweis: Es ist Q = 0 ∪mn| m,n ∈ Z \ 0

. Die Menge M := Z \ 0 ist abzahlbar,

also nach Satz 1.27 auch M2, d.h.: dass die Menge aller Paare (m,n) mit m,n ∈ M und

damit die Menge aller Bruchem

nabzahlbar ist. 2

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31

Satz 1.29.

Es sei F := f | f : N → 0, 1; dann ist F uberabzahlbar. (F enthalt alle Folgen, dieaus Nullen und Einsen gebildet werden konnen.)

Beweis: Sei E ⊂ F eine beliebige abzahlbare Teilmenge von F , etwa E = fk | k ∈ N;wir konstruieren ein f ∈ F mit f ∈ E. Dazu sei

f(k) :=

0 , falls fk(k) = 1

1 , falls fk(k) = 0.

Dann ist f = fk fur alle k ∈ N, denn es gilt f(k) = fk(k). Also ist jede abzahlbareTeilmenge von F eine echte Teilmenge von F . Damit ist F uberabzahlbar, denn andernfallsware F eine echte Teilmenge von F . 2

Bemerkung.

R und R \Q sind uberabzahlbar.

1.6 R als metrischer Raum

Aufgrund der Anordnung von R konnen wir einen Absolutbetrag einfuhren:

Definition 1.30.

Fur x ∈ R heißt

|x| :=

x fur x ≥ 0

−x fur x < 0

Absolutbetrag von x. Wir konnen | · | : R ∋ x 7→ |x| ∈ R als Funktion auffassen; dieseFunktion erfullt folgende Eigenschaften:

Satz 1.31.

Es seien x, y ∈ R; dann gilt:

(B1) |x| ≥ 0 und (|x| = 0⇔ x = 0).

(B2) |xy| = |x| · |y|

(B3) |x+ y| ≤ |x|+ |y| (Dreiecksungleichung)

Beweis: (B1) ist klar; durch Diskussion aller moglichen Falle sieht man (B2) ein.

Zu (B3): Wegen x ≤ |x| und y ≤ |y| folgt aus Axiom (O2) bzw. Satz 1.7:

x+ y ≤ |x|+ |y|.

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32

Wegen −x ≤ |x| und −y ≤ |y| gilt auch

−(x+ y) ≤ |x|+ |y|.

Also ist|x+ y| ≤ |x|+ |y|.

2

Folgerung 1.32.

Fur x, y ∈ R gilt

a)

∣∣∣∣∣xy∣∣∣∣∣ = |x||y| , falls y = 0, und

b) ||x| − |y|| ≤ |x− y| sowie ||x| − |y|| ≤ |x+ y|.

Beweis: Zu a): Wegen x =x

y· y folgt nach (B2):

|x| =∣∣∣∣∣xy∣∣∣∣∣ · |y|, d.h.

|x||y|

=

∣∣∣∣∣xy∣∣∣∣∣

Zu b): Sei u := x+ y und v := −y; dann gilt nach (B3):

|u+ v| ≤ |u|+ |v|,

d.h.|x| ≤ |x+ y|+ |y| wegen | − y| = |y|

oder|x| − |y| ≤ |x+ y|.

Entsprechend folgt mit u := x+ y und v := −x:

|y| ≤ |x+ y|+ |x|

oder−(|x| − |y|) ≤ |x+ y|.

Insgesamt heißt das: ||x|− |y|| ≤ |x+y|. Die erste Ungleichung in b) folgt aus der zweitenwegen | − y| = |y|. 2

Im Zusammenhang mit Abschatzungen sind folgende Aussagen nutzlich:

Satz 1.33.

Seien ε > 0, x0, x ∈ R; dann gilt:

a) |x|(−)< ε⇔ −ε

(−)< x

(−)< ε

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b) |x− x0|(−)< ε⇔ x0 − ε

(−)< x

(−)< x0 + ε.

Beweis: Zu a): Folgt sofort aus x ≤ |x| durch die Fallunterscheidung x ≥ 0 bzw. x < 0.

Zu b): Nach a) gilt

|x− x0| < ε ⇔ −ε < x− x0 < ε

⇔ x0 − ε < x < x0 + ε.

2

Wir fuhren an dieser Stelle Abkurzungen fur spezielle Mengen in R ein:

Definition 1.34.

Seien a, b ∈ R mit a < b gegeben; dann sei

[a, b] := x ∈ R | a ≤ x ≤ b das abgeschlossene Intervall,

(a, b) :=]a, b[ := x ∈ R | a < x < b das offene Intervall,

(a, b] :=]a, b] := x ∈ R | a < x ≤ b das links offene

bzw. [a, b) := [a, b[ := x ∈ R | a ≤ x < b das rechts offene

Intervall mit den Randpunkten a und b. Ist x0 :=a+ b

2der Mittelpunkt und r :=

b− a2

der Radius eines Intervalls mit den Randpunkten a und b, so schreiben wir auch

Kr(x0) :=]a, b[= x ∈ R | |x− x0| < r

bzw.Kr(x0) := [a, b] = x ∈ R | |x− x0| ≤ r.

Schließlich sei noch

(−∞, a) :=]−∞, a[:= x ∈ R | x < a,(−∞, a] :=]−∞, a] := x ∈ R | x ≤ a,(a,∞) :=]a,∞[:= x ∈ R | x > a,[a,∞) := [a,∞[:= x ∈ R | x ≥ a,(−∞,∞) := ]−∞,∞[:= R.

Satz 1.35.

Eine MengeM ⊂ R ist genau dann nach oben und nach unten beschrankt, wenn ein r > 0existiert mit M ⊂ Kr(0).

Beweis:

>: Sei a eine untere Schranke und b eine obere Schranke fur M , so ist r := max(|a|, |b|)eine obere und −r eine untere Schranke fur M ; also gilt nach Satz 1.33 fur allex ∈M : |x| ≤ r. O.B.d.A. konnen wir r > 0 annehmen.

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34

<: Ist M ⊂ Kr(0), so gilt fur alle x ∈M :

−r ≤ x ≤ r;

also ist −r eine untere und r eine obere Schranke von M . 2

Mit Hilfe des Absolutbetrages konnen wir den Abstand d(x, y) zweier reeller Zahlen xund y definieren durch

d(x, y) := |x− y|.Aufgrund der Eigenschaften des Betrages folgt:

d(x, y) = 0 ⇔ x = y

d(x, y) = d(y, x)

sowied(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y)

(|x− y| = |(x− z) + (z − y)| ≤ |x− z|+ |z − y|)

Diese Eigenschaften fordert man ganz allgemein fur eine Abstandsfunktion auf einer be-liebigen (nichtleeren) Menge X:

Definition 1.36.

(i) Ist d : X ×X → R eine Abbildung mit den Eigenschaften:

(Me 1) d(x, y) = 0⇔ x = y

(Me 2) d(x, y) = d(y, x) fur alle x, y ∈ X(Me 3) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) fur alle x, y, z ∈ X (Dreiecksungleichung),

so heißt (X, d) ein metrischer Raum; d heißt Metrik oder Abstandsfunktion undd(x, y) der Abstand der Punkte x und y (bzgl. der Metrik d).

(Bemerkungen:

a) Es gilt stets d(x, z) ≥ 0. Aus (Me 1) bis (Me 3) folgt namlich fur y = x:

0 = d(x, x) ≤ d(x, z) + d(z, x) = 2d(x, z).

b) Mit der oben definierten Abbildung ist (R, d) ein metrischer Raum.)

(ii) Es sei V ein Vektorraum uber K (K = R oder C). Eine Abbildung ∥ · ∥ : V → Rheißt Norm (auf V ), wenn gilt:

(N1) ∥x∥ ≥ 0 ∀x ∈ V , ∥x∥ = 0⇔ x = 0 ∈ V(N2) ∥λx∥ = |λ| ∥x∥ ∀ x ∈ V, ∀ λ ∈ K

(N3) ∥x+ y∥ ≤ ∥x∥+ ∥y∥ ∀ x, y ∈ V .

Ein Vektorraum mit einer Norm heißt normierter Raum . d0(x, y) := ∥x− y∥ heißtAbstand von x und y. Man verifiziere zur Ubung, dass d0 : V × V → R eine Metrikauf V definiert; mann nennt d0 die von der Norm induzierte Metrik .

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35

Wir wollen weitere Beispiele fur metrische Raume kennenlernen. Zuvor halten wir nocheine allgemeine Eigenschaft fest:

Satz 1.37. (Vierecksungleichung)

Sind x1, x2, y1, y2 vier Punkte in einem metrischen Raum (X, d), so gilt:

|d(x1, x2)− d(y1, y2)| ≤ d(x1, y1) + d(x2, y2).

Beweis: Zweimalige Anwendung von (Me 3) liefert:

d(x1, x2) ≤ d(x1, y1) + d(y1, x2)

≤ d(x1, y1) + d(y1, y2) + d(y2, x2),

d.h.

(∗) d(x1, x2)− d(y1, y2) ≤ d(x1, y1) + d(x2, y2)

bzw.d(y1, y2) ≤ d(y1, x1) + d(x1, y2)

≤ d(y1, x1) + d(x1, x2) + d(x2, y2)

oder

(∗∗) d(y1, y2)− d(x1, x2) ≤ d(x1, y1) + d(x2, y2).

(∗) und (∗∗) ergeben die Behauptung. 2

Wegen0 ≤ (a− b)2 = a2 − 2ab+ b2

d.h.4ab ≤ a2 + 2ab+ b2 = (a+ b)2

erhalten wir fur a, b ∈ [0,∞[ folgende Beziehung zwischen dem geometrischen und demarithmetischen Mittel √

ab = (ab)12 ≤ a+ b

2.

Mit Hilfe dieser Ungleichung beweisen wir

Satz 1.38. (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung)

Fur reelle Zahlen a1, . . . , an, b1, . . . , bn gilt:

n∑k=1

|akbk| ≤(

n∑k=1

a2k

) 12

·(

n∑k=1

b2k

) 12

.

Beweis: Sei

A :=

(n∑

k=1

a2k

) 12

, B :=

(n∑

k=1

b2k

) 12

.

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36

Es ist A = 0 ⇔ ak = 0 fur 1 ≤ k ≤ n bzw. B = 0 ⇔ bk = 0 fur 1 ≤ k ≤ n. In diesenFallen ist nichts mehr zu beweisen. Deshalb setzen wir A > 0 und B > 0 voraus. Mit

αk :=|ak|A

bzw. βk :=|bk|B

erhalten wir nach der obigen Ungleichung:

n∑k=1

|akbk| = ABn∑

k=1

αkβk = ABn∑

k=1

√α2kβ

2k

≤ ABn∑

k=1

(α2k

2+β2k

2

)

=AB

2

(n∑

k=1

α2k +

n∑k=1

β2k

)

=AB

2

(1

A2

n∑k=1

a2k +1

B2

n∑k=1

b2k

)

=AB

2(1 + 1) = AB.

2

Bemerkungen.

(i) Aufgrund der Dreiecksungleichung gilt:

n∑k=1

akbk ≤∣∣∣∣∣

n∑k=1

akbk

∣∣∣∣∣ ≤n∑

k=1

|akbk|.

(ii) Setzt man fur die Spaltenvektoren a = (a1, . . . , an)T und b = (b1, . . . , bn)

T aus Rn

(sowie analog fur n-dimensionale Zeilenvektoren a, b)

⟨a, b⟩ :=n∑

k=1

akbk (Skalarprodukt von a und b)

und

∥a∥2 := ∥a∥ :=(

n∑k=1

a2k

) 12

(Euklidische Norm von a),

so lautet die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung

| ⟨a, b⟩ |≤n∑

k=1

|akbk| ≤(

n∑k=1

a2k

) 12

·(

n∑k=1

b2k

) 12

= ∥a∥ · ∥b∥.

Dass die Euklidische Norm eine Norm im Sinne von Definition 1.36 ist ergibt sich wegen∥a∥ ≥ 0 und ∥λa∥ = |λ| ∥a∥ ∀ a ∈ Rn, ∀ λ ∈ R aus

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37

Satz 1.39. (Minkowski-Ungleichung)

Fur reelle Zahlen a1, . . . , an, b1, . . . , bn gilt:

∥a+ b∥ =(

n∑k=1

(ak + bk)2

) 12

≤(

n∑k=1

a2k

) 12

+

(n∑

k=1

b2k

) 12

= ∥a∥+ ∥b∥.

Beweis: O.B.d.A. konnen wirn∑

k=1

(ak + bk)2 > 0 voraussetzen. Dann gilt nach Satz 1.38:

n∑k=1

(ak + bk)2 =

n∑k=1

(ak + bk)ak +n∑

k=1

(ak + bk)bk

≤n∑

k=1

|ak + bk| |ak|+n∑

k=1

|ak + bk| |bk|

≤(

n∑k=1

(ak + bk)2

) 12

( n∑k=1

a2k

) 12

+

(n∑

k=1

b2k

) 12

.

Division durch

(n∑

k=1

(ak + bk)2

) 12

ergibt die Behauptung. 2

Als Anwendungsbeispiel erhalten wir die vom R2 bzw. R3 her bekannte Abstandsfunktion:

Satz 1.40.

Wir definieren auf dem Rn × Rn eine Abbildung d2 durch

d2(x, y) = d2((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) :=

(n∑

k=1

(xk − yk)2) 1

2

= ∥x− y∥2;

dann ist (Rn, d2) ein metrischer Raum und d2 die sog. euklidische Metrik.

Beweis: (Me 1) und (Me 2) sind klar. Sind (x1, . . . , xn)T , (y1, . . . , yn)

T und (z1, . . . , zn)T ∈

Rn, so ergibt sich (Me 3) aus der Minkowski-Ungleichung, wenn wir ak = xk − zk undbk = zk − yk fur 1 ≤ k ≤ n setzen:

(n∑

k=1

(xk − yk)2) 1

2

≤(

n∑k=1

(xk − zk)2) 1

2

+

(n∑

k=1

(zk − yk)2) 1

2

,

d.h.

d2((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) ≤ d2((x1, . . . , xn), (z1, . . . , zn)) + d2((z1, . . . , zn), (y1, . . . , yn)).

2

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38

Bemerkung.

Ist n = 2, so erhalten wir

d2((x1, x2), (y1, y2)) =√(x1 − y1)2 + (x2 − y2)2,

also die nach dem Satz des Pythagoras definierte Entfernung der Punkte (x1, x2) und(y1, y2) im cartesischen Koordinatensystem.

Satz 1.41.

Auf dem Rn werden durch

d1((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) :=n∑

k=1

|xk − yk| =: ∥x− y∥1

bzw.

d∞((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) := max |xk − yk| ; 1 ≤ k ≤ n =: ∥x− y∥∞zwei Metriken definiert.

Beweis: (Me 1) und (Me 2) sind jeweils klar.

Zu (Me 3): Sei x = (x1, . . . , xn), y = (y1, . . . , yn) und z = (z1, . . . , zn); dann folgt

d1(x, y) =n∑

k=1

|(xk − zk) + (zk − yk)|

≤n∑

k=1

(|xk − zk|+ |zk − yk|) =n∑

k=1

|xk − zk|+n∑

k=1

|zk − yk|

= d1(x, z) + d1(z, y)

sowied∞(x, y) ≤ d∞(x, z) + d∞(z, y),

letzteres wegen

max|ak + bk| | 1 ≤ k ≤ n ≤ max|ak| | 1 ≤ k ≤ n+max|bk| | 1 ≤ k ≤ nangewendet auf ak = xk − zk, bk = zk − yk. 2

Beispiel 1.42. (Franzosische Eisenbahnmetrik)

Wir wahlen einen beliebigen, aber festen Punkt P0 aus dem R2 und definierend : R2 × R2 → R durch

d(P1, P2) = d2(P1, P2),

falls P1 und P2 auf einer Geraden durch P0 liegen bzw.

d(P1, P2) = d2(P1, P0) + d2(P2, P0),

falls P1 und P2 nicht auf einer solchen Geraden liegen. Dann ist d eine Metrik auf demR2. Beweis als Ubung.

Um z.B. mit der Eisenbahn von Versailles (P1) nach Reims (P2) zu kommen, muss mandie Entfernungen von Versailles nach Paris (P0) und die von Paris nach Reims addieren.Um von Reims nach Chartres zu gelangen, kann man direkt die Entfernung von Reimsnach Chartres zurucklegen.

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39

ReimsVersailles

Paris

Chartres

Abbildung 2: Franzosische Eisenbahnmetrik

1.7 Komplexe Zahlen

Definition 1.43.

Eine komplexe Zahl ist ein Paar z = (x, y) reeller Zahlen. Dabei ist z1 = (x1, y1) gleichz2 = (x2, y2), wenn x1 = x2 und y1 = y2 gilt. Wir definieren Summe bzw. Produktkomplexer Zahlen durch

z1 + z2 := (x1 + x2, y1 + y2)

und

z1 z2 := (x1x2 − y1y2, x1y2 + x2y1).

Dann gilt

Abbildung 3: Darstellung und Addition komplexer Zahlen

Satz 1.44.

Die Menge C aller komplexen Zahlen bildet mit den Verknupfungen aus Definition 1.43einen Korper mit dem neutralen Element (0, 0) bzgl. + und (1, 0) bzgl. · .

Beweis: Die Axiome (A1) bis (A4) sind fur die Tupel (x, y) erfullt, da R ein Korper istund die Addition komponentenweise definiert ist. Es gilt −z = −(x, y) = (−x,−y).

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40

Zu (M1):

(z1z2)z3 = (x1x2 − y1y2, x1y2 + x2y1) · (x3, y3)

= (x1x2x3 − x3y1y2 − x1y2y3 − x2y1y3, x1x2y3 − y1y2y3 + x1x3y2 + x2x3y1)

z1(z2z3) = (x1, y1)(x2x3 − y2y3, x2y3 + x3y2)

= (x1x2x3 − x1y2y3 − x2y1y3 − x3y1y2, x1x2y3 + x1x3y2 + x2x3y1 − y1y2y3)

(M2) und (M3) sind klar.

Zu (M4): Es ist mit

z−1 = (x, y)−1 =

(x

x2 + y2,− y

x2 + y2

)fur z = 0:

z z−1 =

(x2

x2 + y2+

y2

x2 + y2,−xyx2 + y2

+xy

x2 + y2

)= (1, 0).

(D) ergibt sich durch eine ahnliche Rechnung wie bei (M1). 2

Folgerung 1.45.

Es gilt fur xi ∈ R:(x1, 0) + (x2, 0) = (x1 + x2, 0)

sowie(x1, 0) (x2, 0) = (x1 x2, 0).

Das zeigt, dass die komplexen Zahlen der Form (x, 0) dieselben arithmetischen Eigenschaf-ten wie die entsprechenden reellen Zahlen x haben. Deshalb konnen wir (x, 0) als neueBezeichnung fur x ∈ R auffassen. Vermoge dieser Identifikation ist R ein Unterkorper vonC oder C eine Erweiterung von R. Setzen wir noch i := (0, 1), so gilt

(0, y) = (0, 1) (y, 0) = iy,

i2 = (0, 1) (0, 1) = (−1, 0) = −1,

also(x, y) = (x, 0) + (0, y) = x+ iy.

Da wir beim Beweis des Binomischen Lehrsatzes nur die Korperaxiome benutzt haben,gilt dieser auch fur komplexe Zahlen, d.h.

Satz 1.46.

Fur a, b ∈ C und n ∈ N gilt mit a0 = b0 := 1:

(a+ b)n =n∑

k=0

(n

k

)an−kbk,

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41

also z.B.:(1 + i)2 = 1 + 2i+ i2 = 2i.

Definition 1.47.

Ist z = x+ iy ∈ C, so heißt z := x− iy die zu z konjugiert komplexe Zahl, x der Realteil(x = Re z) und y der Imaginarteil (y = Im z) von z.

Folgerung 1.48.

Fur z, w ∈ C gilt:

a) z + w = z + w

b) zw = z w

c) z + z = 2 Re z, z − z = 2i Im z

d) zz = (Re z)2 + (Im z)2 ≥ 0 und (zz = 0⇔ z = 0)

Beispiele 1.49.

Es ist fur z = x+ iy, w = u+ iv ∈ C und w = 0 auch w = 0, also

z

w=z

w

w

w=zw

ww=

zw

u2 + v2.

Das erleichtert haufig die Berechnung von Quotienten komplexer Zahlen, so ist z.B.:

1

i= −i , 1

1 + i=

1− i2

=1

2− 1

2i

und1 + 2i

(2 + 3i)2=

1 + 2i

−5 + 12i=

(1 + 2i)(−5− 12i)

52 + 122=

19

169− 22

169i.

Definition 1.50.

Ist z ∈ C, so heißt |z| := (zz)12 =√x2 + y2 =

√(Re z)2 + (Im z)2 der Absolutbetrag von

z = x+ iy.

Bemerkung.

Im Allgemeinen gilt fur komplexe Zahlen: |z|2 = z2. Wahle z.B. z = i; dann ist |z|2 = 1und z2 = i2 = −1. Ist z reell, so gilt

(zz)12 = (z2)

12 =

z fur z ≥ 0

−z fur z < 0.

Also stimmt dann der reelle Absolutbetrag mit dem komplexen uberein.

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42

ux 1

v

y

b

a

a + b

w

z

wz

Abbildung 4: Multiplikation komplexer Zahlen

Geometrische Interpretation der Multiplikation komplexer Zahlen

Gehen wir vom naiven Verstandnis der Sinus- bzw. Cosinus-Funktion aus, so gilt fur einTupel z = (x, y) ∈ R2

cosα =x

|z|und sinα =

y

|z|,

alsoz = (|z| cosα, |z| sinα) = |z|(cosα + i sinα) =: |z|eiα := reiα.

Dies ist die Darstellung von |z| in Polarkoordinaten; hierbei ist r = |z| der Betrag von |z|,α heißt Argument von |z| (und ist nur modulo 2π, d.h. bis auf Vielfache von 2π bestimmt).

Hier wollen wir den Winkel zwischen der positiven Realteil-Achse und der Verbindungs-geraden durch z und 0 im Bogenmaß mit 0 ≤ α < 2π gegen den Uhrzeigersinn messen.Ist nun w = (u, v) eine weitere komplexe Zahl, deren Verbindungsgerade durch w undden Nullpunkt mit der positiven Re-Achse den Winkel β einschließt, so folgt aufgrundder Additionstheoreme fur die Sinus- bzw. Cosinus-Funktion

z w = xu− yv + (yu+ xv)i

= |z| |w| [(cosα cos β − sinα sin β) + (cosα sin β + sinα cos β)i]

= |z| |w|[cos(α + β) + i sin(α + β)] .

Zwei komplexe Zahlen werden also miteinander multipliziert, indem man die Absolutbe-trage multipliziert und die Argumente, das sind die Winkel mit der positiven Realteil-Achse, addiert. Daraus erhalten wir induktiv die sog. Moivresche Formel

zn = |z|n[cosnα + i sinnα] = |z|neinα.

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43

Abbildung 5: z = eit = cos t+ i sin t, t = arg z

Auf eine exakte Begrundung dieser Sachverhalte (d.h. ohne naives Verstandnis der trigo-nometrischen Funktionen) gehen wir spater ein.Weiter ist fur z = 0 mit r = |z|:

1

z=

z

zz=

1

r2(|z| (cos(−α) + i sin(−α))

=1

r(cosα− i sinα) ,

woraus sich die Gultigkeit der Moivreschen Formel fur n ∈ Z ergibt.

Sowohl fur das Produkt zweier komplexer Zahlen als auch fur die Kehrwertbildung1

zlassen sich geometrische Konstruktionen mit Hilfe des Strahlen- und des Kathetensatzesangeben. Wir betrachten zunachst die Multiplikation zweier komplexer Zahlen.zw liegt auf dem vom Nullpunkt ausgehenden Strahl, der mit der positiven Realteilachseden Winkel α+ β einschließt. Der Abstand vom Nullpunkt ergibt sich aus dem Strahlen-satz: ziehen wir eine Parallele zu der Geraden durch (1, 0) und w durch den Punkt (|z|, 0),so gilt fur den Schnittpunkt u dieser Geraden mit der Geraden durch (0, 0) und w:

|u||w|

=|z|1

oder|u| = |w||z| = |wz| .

Schlagen wir also einen Kreisbogen um (0, 0) mit Radius |u|, so schneidet dieser Bogenden von (0, 0) ausgehenden Strahl mit Winkel α + β im Punkt zw.

Die Divisionw

zzweier komplexer Zahlen z, w ∈ C konnen wir zuruckfuhren auf die Mul-

tiplikation von w mit1

z. Deshalb beschaftigen wir uns nun mit der Inversenbildung einer

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44

komplexen Zahl z. Es ist1

z=

z

|z|2,

also liegt1

zauf dem vom Nullpunkt (0, 0) ausgehenden Strahl, der mit der positiven Re-

alteilachse den Winkel −α einschließt, d.h. der durch (0, 0) und z geht. Wir unterscheidendie Falle |z| > 1, |z| = 1 und |z| < 1. Sei zunachst |z| > 1 (vgl. Abbildung 6).

z=x+iy

s

w

x-iy

Abbildung 6: Inverse komplexer Zahlen (|z| > 1)

Wir zeichnen uber dem Durchmesser von (0, 0) zu z den Thaleskreis; dieser schneidet denEinheitskreis im Punkt s. Von s fallen wir das Lot auf den Durchmesser; der Lotfußpunktsei w. Dann gilt nach dem Kathetensatz

|w||z| = 12 = 1 ,

woraus

|w| = 1

|z|=

1

|z|folgt.Ist |z| < 1 (vgl. Abbildung 7), so errichten wir in z das Lot auf der Geraden durch (0, 0)und z; dieses Lot schneidet den Einheitskreis in s. Wir zeichnen ein rechtwinkliges Dreieckmit den Eckpunkten (0, 0) und s und dem rechten Winkel im Punkt s. Der freie Schenkelschneidet die Gerade durch (0, 0) und z im Punkt w, fur den nach dem Kathetensatz gilt:

|w||z| = 12 = 1 ,

woraus wie im ersten Fall die Behauptung folgt.

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s

x-iy

w

z

Abbildung 7: Inverse komplexer Zahlen (|z| < 1)

Ist schließlich |z| = 1, so ist1

z= z.

Abschließend halten wir noch einmal die wesentlichen Eigenschaften des Absolutbetragesin C fest:

Satz 1.51.

Im Folgenden seien z, w ∈ C; dann gilt:

a) |z| ≥ 0, |z| = 0⇔ z = 0

b) |z| = |z|

c) |zw| = |z| |w|

d) |Re z| ≤ |z|, |Im z| ≤ |z|

e) |z + w| ≤ |z|+ |w|.

Beweis: a) und b) sind klar. Zu c): Es ist

|zw|2 = zw zw = zw z w = zz ww = |z|2|w|2 .

Daraus folgt durch Wurzelziehen|zw| = |z||w|.

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Zu d): Es ist

|Re z| =√(Re z)2 ≤

√(Re z)2 + (Im z)2 = |z|,

analog folgt die zweite Relation.

Zu e): Es gilt unter Verwendung von d):

|z + w|2 = (z + w)(z + w) = zz + zw + wz + ww

= |z|2 + zw + zw + |w|2

= |z|2 + 2Re(zw) + |w|2

≤ |z|2 + 2 |zw|+ |w|2

= |z|2 + 2 |z| |w|+ |w|2

= |z|2 + 2 |z| |w|+ |w|2 = (|z|+ |w|)2.

2

Erganzende Bemerkungen.

(i) Betrachten wir auf C die durch den Absolutbetrag induzierte Metrik mit

d(z, w) = |z − w|,

so erhalten wir gerade den R2 mit der euklidischen Metrik d2, wenn wir C nur alsMenge und nicht als Korper auffassen.

Sind a1, . . . , an, b1, . . . , bn komplexe Zahlen, so gilt nach Satz 1.51 und Satz 1.38

∣∣∣∣∣n∑

k=1

akbk

∣∣∣∣∣ ≤n∑

k=1

|ak||bk| ≤(

n∑k=1

|ak|2) 1

2

·(

n∑k=1

|bk|2) 1

2

.

k = 0

π

4

π

4+ π

Abbildung 8: Quadratwurzeln aus a = i, i.e. n = 2

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(ii) Multiplikation (in Polarkoordinaten): Sind z1 = r1eiφ1 und z2 = r2e

iφ2 gegeben, soist

z1 · z2 = r1r2eiφ1eiφ2 = r1r2e

i(φ1+φ2).

Also: Multiplikation der Betrage, Addition der Argumente.Aus der Moivre’schen Formel erhalten wir damit z.B. zwei Zahlen z ∈ C mit z2 = i.

Allgemein kann man zeigen: Sei a = |a|eiα = 0. Dann besitzt die Gleichung

zn = a

genau n verschiedene Losungen in C, namlich

ζk =n

√|a| ei(

αn+k 2π

n), 0 ≤ k ≤ n− 1.

Entsprechend gibt es 8 Zahlen z ∈ C mit z8 = 1, die sog. 8-ten Einheitswurzeln.

w

w2

w3

w4

w5

w6

w7

w8 = 12π8 c

cccc

c c c

Abbildung 9: 8-te Einheitswurzeln

Beachte: Es gilt offenbar ζnk = a fur 0 ≤ k ≤ n− 1.

Im Fall a = 1, d.h. α = 0, ergeben sich mit ζk = eik2πn die n-ten Einheitswurzeln .

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1.8 Gleitpunktarithmetik und Rundungsfehler

1.8.1 Darstellungen naturlicher Zahlen

Das Rechnen im Dezimalsystem ist uns so vertraut, dass wir uns nicht in jeder Situationklar machen, dass die Zahl 1654 eigentlich die Bedeutung hat

1 · 103 + 6 · 102 + 5 · 101 + 4 · 100 .

An Stelle der Potenzen der Zahl 10 konnen wir auch Potenzen einer anderen naturlichenZahl p ≥ 2 wahlen. Jede naturliche Zahl kann dann mit Hilfe dieser sog. Basen p dargestelltwerden, z.B. als

Dualzahl (p = 2),Dezimalzahl (p = 10),Oktalzahl (p = 8),Hexadezimalzahl (p = 16).

Wir uberlegen uns zuerst, welche Zahlen als endliche Linearkombination von Potenzeneiner Basis p dargestellt werden konnen.Ist

n =k∑

i=0

ai · pi

eine solche Linearkombination mit 0 ≤ ai < p, so gilt stets

0 ≤ n < pk+1 .

Dies ergibt sich sofort aus folgender Abschatzung

0 ≤k∑

i=0

ai · pi ≤k∑

i=0

(p− 1) · pi = pk+1 − 1 < pk+1.

Um die Umkehrung dieser Aussage zu beweisen, benutzen wir folgende allgemeingultigeAussage uber die ganzzahlige Division mit Rest:Sind a, b ∈ N, so existieren ein x ∈ N0 und ein r ∈ N0 mit 0 ≤ r < b derart, dass

a = x · b+ r

gilt. Unter Verwendung dieser Aussage beweisen wir

Satz 1.52.

Sei p ∈ N, p > 1 gegeben (sog. Basis) und k ∈ N0. Dann besitzt jede Zahl n ∈ N0 mit0 ≤ n < pk+1 eine eindeutig bestimmte Darstellung der Form

n =k∑

i=0

ai · pi

mit 0 ≤ ai < p.Die Zahlen ai heißen Ziffern der Zahldarstellung, jede Darstellung einer Zahl n zur Basisp heißt p-adische Darstellung.

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49

Beweis:

(i) Wir zeigen die Existenz der obigen Darstellung mit Hilfe vollstandiger Induktionuber k.

Induktionsanfang (k = 0):

Fur k = 0 sind alle Zahlen n mit 0 ≤ n < p Ziffern, d.h. n =0∑

i=0ai · pi = a0 mit

0 ≤ a0 < p.

Induktionsschritt (k → k + 1):

Nach der obigen Aussage uber die Division mit Rest laßt sich eine Zahl n ∈ N0 mit0 ≤ n < pk+2 in der Form

n = xpk+1 + n′

mit 0 ≤ n′ < pk+1 darstellen.

Die Annahme x ≥ p fuhrt wegen

n = xpk+1 + n′ ≥ p · pk+1 + n′ ≥ pk+2

zu einem Widerspruch. Also ist x eine Ziffer.

Wegen 0 ≤ n′ < pk+1 liefert die Induktionsvoraussetzung:

n′ =k∑

i=0

ai · pi

woraus insgesamt

n = x · pk+1 +k∑

i=0

ai · pi =k+1∑i=0

ai · pi

mit ak+1 = x folgt. Also gilt die Behauptung fur k + 1.

(ii) Die Eindeutigkeit beweisen wir ebenfalls mit vollstandiger Induktion uber kInduktionsanfang (k = 0):

Aus n = a0 · p0 = a′0 · p0 folgt direkt a0 = a′0(= n)

Induktionsschritt von k auf k + 1:Seien

k+1∑i=0

ai · pi =k+1∑i=0

a′i · pi = n ;

dann ergibt sich aus der Darstellung

n = ak+1 · pk+1 +k∑

i=0

ai · pi = a′k+1 · pk+1 +k∑

i=0

a′i · pi

bei Division durch pk+1 wegen

k∑i=0

ai · pi < pk+1 undk∑

i=0

a′i · pi < pk+1

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50

zunachstak+1 = a′k+1

und damitk∑

i=0

ai · pi =k∑

i=0

a′i · pi .

Die Induktionsvoraussetzung liefert dann

ai = a′i fur 0 ≤ i ≤ k .

Zusammen folgt:ai = a′i, fur 0 ≤ i ≤ k + 1 .

2

Korollar 1.53. (Bestimmung der Ziffern einer p-adischen Darstellung)

Ist n =k∑

i=0ai · pi, 0 ≤ ai < p, so gelten fur 0 ≤ i ≤ k die Beziehungen

(i) ai = (n div pi) mod p = ((n div pi−1) div p) mod p,

(ii) ai = (n mod pi+1) div pi.

Hierzu bezeichnet mod den Rest bei der ganzzahligen Division und div den ganzzahligenAnteil bei der Division. Ist also a = xb + r mit 0 ≤ r < b, so ist a mod b = r unda div b = x.Beweis: Sei i0 ∈ 0, . . . , k fest gewahlt.Zu (i): Aus

n =k∑

i=0

ai · pi =i0−1∑i=0

ai · pi + ai0 · pi0 +k∑

i=i0+1

ai · pi

=i0−1∑i=0

ai · pi + ai0 · pi0 + pi0 ·k∑

i=i0+1

ai · pi−i0

folgt

n div pi0 = ai0 +k∑

i=i0+1

ai · pi−i0 = ai0 + p ·k∑

i=i0+1

ai · pi−i0−1

mit ai0 < p; also ist(n div pi0) mod p = ai0 .

Um die zweite Darstellung in (i) zu beweisen gehen wir von

n div pi0−1 = ai0−1 +k∑

i=i0

ai · pi−i0+1 = ai0−1 + p ·k∑

i=i0

ai · pi−i0

aus, woraus sofort

(n div pi0−1) div p =k∑

i=i0

ai · pi−i0

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51

folgt; hieraus ergibt sich wegen

k∑i=i0

ai · pi−i0 = ai0 + p ·k∑

i=i0+1

ai · pi−i0−1

die Behauptung((n div pi0−1) div p) mod p = ai0 .

Zu (ii): Aus

n =k∑

i=0

ai · pi =i0∑i=0

ai · pi +k∑

i=i0+1

ai · pi

folgt

n mod pi0+1 =i0∑i=0

ai · pi =i0−1∑i=0

ai · pi + ai0 · pi0

miti0−1∑i=0

ai · pi < pi0 .

Also ist(n mod pi0+1) div pi0 = ai0 .

2

Bemerkung

Ist die Zahl p vorgegeben, so schreiben wir die p−adische Darstellung einer Zahl

n =k∑

i=0

ai · pi auch in der Form (akak−1 . . . a0)p .

Beispiel 1.54.

(i) Die Zahl 236 zur Basis p = 8 lasst sich folgendermaßen in das Dezimalsystem um-wandeln:

2368 = 2 · 82 + 3 · 81 + 6 · 80

= ((2 · 8) + 3) · 8 + 6) ← Hornerschema

= 15810 .

(ii) Will man 15810 zur Basis 3 darstellen, so dividieren wir sukzessive nach den Regelnaus Korollar 1.53:

a0 = (158 div 30) mod 3 = 2,

a1 = (158 div 31) mod 3 = 52 mod 3 = 1,

a2 = (158 div 32) mod 3 = ((158 div 31) div 3) mod 3

= (52 div 3) mod 3,

= 17 mod 3 = 2,

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52

a3 = (158 div 33) mod 3 = ((158 div 32) div 3) mod 3

= (17 div 3) mod 3

= 5 mod 3 = 2,

a4 = (158 div 34) mod 3 = ((158 div 33) div 3) mod 3

= (5 div 3) mod 3

= 1 mod 3 = 1

a5 = (158 div 35) mod 3 = ((158 div 34) div 3) mod 3

= (1 div 3) mod 3 = 0.

Also ist

2368 = 15810 = 122123 = (((1 · 3 + 2) · 3 + 2) · 3 + 1) · 3 + 2 .

(iii) Im Hexadezimalsystem verwendet man ublicherweise die Ziffernsymbole

0, 1, . . . , 9, A,B,C,D,E, F.

Dabei ist

A16 = 1010

B16 = 1110...

E16 = 1410

F16 = 1510

Fur 15810 gilt im Hexadezimalsystem fur die Ziffern dann

a0 = 158 mod 16 (= 1410) = E

a1 = (158 div 16) mod 16 = 9

Also

15810 = 9E16 = 9 · 16 + 14 .

1.8.2 Die p–al–Bruch–Darstellung der reellen Zahlen

Wir betrachten nun bei gegebenem p ≥ 2 Zahlen der Form

k∑n=1

cn · p−n

mit 0 ≤ cn < p, etwa im Fall p = 2 die Zahl

1

2+

1

4+

1

16+

1

64=

53

64= 0.828125 .

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53

Wir gehen der Frage nach, welche Zahlen bei gegebenem p ≥ 2 in der obigen Form

dargestellt werden konnen. Betrachten wir z.B. fur p = 10 die Zahl a =1

3, so gilt fur jede

naturliche Zahl k ≥ 1 mit

ak :=k∑

n=1

3 · 10−n = 0.33 . . . 3

und

bk :=k∑

n=1

3 · 10−n + 4 · 10−(k+1)

die Ungleichung

ak <1

3< bk

mitbk − ak = 4 · 10−(k+1) .

Je großer wir k wahlen, umso kleiner wird die Differenz zwischen ak und bk. Man kannaber fur keine endliche Summe der Form

k∑n=1

cn · 10−n

mit 0 ≤ cn < 9 erreichen, dass sich der Wert1

3ergibt. Wir erhalten aber eine Folge (ak)k≥1

von Zahlen, die sich erst in der (k + 1)−sten Stelle von1

3unterscheiden.

Wir konnen uns mit Kenntnissen aus der Zinseszins-Rechnung veranschaulichen, dass wir

bei immer großer werdendem k die Zahl1

3beliebig genau annahern konnen. Es ist namlich

fur q = 1:

1 + q + . . .+ qk =1− qk+1

1− q,

also

q + . . .+ qk = q(1 + . . .+ qk−1) = q1− qk

1− q.

Damit lasst sich die Zahl ak folgendermaßen darstellen:

ak = 3 ·k∑

n=1

(1

10

)n

=3

10·1−

(110

)k1− 1

10

=1

3·(1−

(1

10

)k),

und wir erhalten1

3− ak =

1

3

(1

10

)k

,

also z.B. fur k = 6 einen Unterschied von 3-Millionstel. Da wir die Differenz beliebig kleinmachen konnen, schreiben wir (was wir spater prazisieren werden)

1

3= 3 ·

∞∑n=1

(1

10

)n

.

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54

Mit diesem intuitiven Verstandnis des Zeichens∞∑n=0

beweisen wir folgenden

Satz 1.55 (Entwicklung in p–al–Bruche).

Sei p ≥ 2, p ∈ N. Jede nichtnegative reelle Zahl r besitzt eine eindeutige Darstellung derForm

r =∞∑n=0

cn · p−n = c0 +∞∑n=1

cn · p−n

mit

(i) 0 ≤ cn < p fur n ≥ 1,

(ii) c0 ∈ N0,

(iii) cn ≤ p− 2 fur unendlich viele n.

Beweis: Wir zeigen zuerst die Existenz einer solchen Darstellung; setzen wir

c0 = ⌊r⌋ = maxn ∈ N0 : n ≤ r

so ist (ii) erfullt. Weiter sei

r1 := p · (r − c0) und c1 = ⌊r1⌋ ;

wegen r − c0 < 1 ist dann 0 ≤ r1 < p. Wir definieren nun induktiv fur n ≥ 1

rn+1 := p(rn − cn) und cn+1 = ⌊rn+1⌋.

Wegen 0 ≤ rn − cn < 1 ist0 ≤ rn+1 = p(rn − cn) < p ,

also0 ≤ cn+1 = ⌊rn+1⌋ < p .

Damit gilt stets (i).Zu (iii): Annahme: Es existieren nur endlich viele n mit cn ≤ p− 2.Dann gibt es ein N ∈ N mit cn = p− 1 fur alle n ≥ N . Sei n ≥ N .Dann ist

rn+1 = p · (rn − cn) = p · (rn − (p− 1)) ;

alsorn =

rn+1

p+ p− 1

oder

p− rn =p− rn+1

p.

Stellt man p− rn+1 analog dar, also

p− rn+1 =p− rn+2

p,

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55

so ergibt sich

p− rn =

p−rn+2

p

p=p− rn+2

p2,

und induktiv erhalt man

p− rn =p− rn+m

pmfur alle m ≥ 1 .

Wegen 0 ≤ rn+m < p gilt weiter

p− rn =p− rn+m

pm≤ p

pm=

1

pm−1.

Nun ist fur festes n ∈ N stets p− rn > 0, wogegen

1

pm−1=

(1

p

)m−1

≤(1

2

)m−1

=1

2m−1

fur hinreichend großes m wegen p ≥ 2 beliebig klein gemacht werden kann. Das ist einWiderspruch .

Es ist noch zu zeigen, dass fur hinreichend große k die Summek∑

n=0

cn · p−n der gegebenen

Zahl r beliebig nahe kommt.

Dazu beweisen wir durch vollstandige Induktion uber k, dass gilt

r −k∑

n=0

cn · p−n =rk+1

pk+1(≥ 0) .

Induktionsanfang (k = 0):

r − c0 =r1p, denn r1 = p(r − c0).

Induktionsschritt (k → k + 1):Es ist

r −k+1∑n=0

cn · p−n = r −k∑

n=0

cn · p−n − ck+1 · p−(k+1)

=rk+1

pk+1− ck+1 · p−(k+1) = (rk+1 − ck+1) · p−(k+1) =

rk+2

pk+2

Wegen rk+1 < p und p ≥ 2 istrk+1

pk+1<

1

pk≤ 1

2k,

woraus dann wie oben die Behauptung folgt.Die Eindeutigkeit werden wir spater zeigen. 2

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56

Die p–al–Bruch–Darstellung erweist sich uber die folgende Bemerkung fur die Erfassungder reellen Zahlen im Rechner als wichtig.

Bemerkung 1.56.

Jede reelle Zahl r = 0 besitzt eine eindeutige Darstellung der Form

r = sign (r) ·m · pk,

wobei 0 < p−1 ≤ m < 1 und k ∈ Z gilt.

Hierbei ist

sign (r) =

1 falls r > 00 falls r = 0−1 falls r < 0

.

Beweis: Die Beziehung 0 < p−1 ≤ m < 1 ist aquivalent zu 0 < pk−1 ≤ m · pk < pk.Also ist k so zu bestimmen, dass pk−1 ≤ |r| < pk gilt. Dann folgt mit m = |r · p−k| dieBehauptung. 2

1.8.3 Gleitpunktzahlen

Definition 1.57.

Gleitpunktzahlen sind die 0 und alle Zahlen z = ± m · pi, wobei

m =t∑

k=1

ak · p−k

ein endlicher p–al–Bruch mit m = 0 und i ∈ Z aus dem Intervall I = [−I1, I2] ⊂ Z ist.Die Zahl i sei dabei so gewahlt, dass a1 = 0 ist (d.h. p−1 ≤ m < 1 gilt). m heißt Mantisse,i Exponent von z. Die Menge aller Gleitpunktzahlen mit diesen Parametern bezeichnenwir mit F (p, t, I1, I2).

Bemerkung 1.58.

(i) Gleitpunktzahlen sind spezielle reelle Zahlen (fur p = 10: spezielle real-Zahlen)

(ii) Fur real-Zahlen hat man normalerweise die Normierung 1p≤ m < 1 nicht, sondern

schreibt m als

m =t2∑

k=−t1

ak · p−k, 0 ≤ ak ≤ p− 1, ti ∈ N.

(daher verschiedene Darstellungen einer Gleitpunktzahl als real-Zahl,0.23 · 102 = 2.3 · 101, etc.)

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57

(iii) Wir geben die großte positive Gleitpunktzahl zmax in F (p, t, I1, I2) an:Wahle i = I2, ak = p− 1 fur 1 ≤ k ≤ t; dann erhalten wir die großte Mantisse

mmax =t∑

k=1

(p− 1) · p−k =t∑

k=1

p−k+1 −t∑

k=1

p−k = 1− p−t

alsozmax = +mmax · pI2 = (1− p−t) · pI2 .

Entsprechend berechnen wir die kleinste positive Gleitpunktzahl zminin F (p, t, I1, I2):Wahle i = −I1, a1 = 1, ak = 0 fur 2 ≤ k ≤ t; dann ist

mmin = p−1 ,

alsozmin = +p−1 · p−I1 = p−(I1+1)(= p−I1−1) .

Beispiel 1.59.

Sei p = 2, t = 3, I = [−1, 1]; jede Mantisse m hat die Form

m = a1 · 2−1 + a2 · 2−2 + a3 · 2−3, 0 ≤ ai ≤ 1 .

Wegen 12≤ m < 1 muss stets a1 = 1 gelten. Dann ergeben sich als Moglichkeiten fur die

Mantissen:0.100, 0.101, 0.110, 0.111 .

Als Exponenten treten auf:−1, 0, 1 .

Damit gibt es 4 · 3 + 1 = 13 nichtnegative Gleitpunktzahlen, da die Null ebenfallseine nichtnegative Gleitpunktzahl ist. Nimmt man die strikt negativen Gleitpunktzahlenhinzu, so erhalt man in obigem System insgesamt

2 (4 · 3) + 1 = 25

verschiedene Gleitpunktzahlen in F (2, 3, 1, 1).

Eine Veranschaulichung des obigen Beispiel am Zahlenstrahl zeigt, dass die Gleitpunkt-zahlen nicht aquidistant liegen.

Hilfssatz 1.60.

Seien t, p, I1, I2 wie oben gegeben. Dann gilt:

(i) Es gibt (p− 1) · pt−1 · (I1 + I2 + 1) + 1 nichtnegative Gleitpunktzahlen.

(ii) Fur jedes k ∈ I gilt: Es liegen mindestens (p−1)·pt−1 aquidistante Gleitpunktzahlenim Intervall [pk−1, pk].

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58

Beweis:

(i) a1 kann die Werte 1, . . . , p − 1 annehmen, die restlichen Koeffizienten a2, . . . , atkonnen p verschiedene Werte annehmen.

Also gibt es (p− 1) · pt−1 verschiedene Mantissen.

Wegen −I1 ≤ i ≤ I2 gibt es I1+ I2+1 verschiedene Exponenten. Nach Hinzunahmeder 0 erhalt man insgesamt (p−1)·pt−1(I1+I2+1)+1 nichtnegative Gleitpunktzahlen.

(ii) Sei k ∈ I = [−I1, I2] fest gewahlt. Betrachte

m · pk | m ist Mantisse ;

da es (p−1) ·pt−1 verschiedene Mantissen gibt, liegt die gleiche Anzahl aquidistanterGleitpunktzahlen vor.

Ist k ∈ I \ I2, so kann die Zahl pk hinzugenommen werden.

2

Beispiel 1.61.

Sei I = −1, 0, 1, t = 3, p = 2; dann erhalten wir folgende Gleitpunktzahlen fur

k = 0 :0.100, 0.101, 0.110, 0.111

12

58

34

78

Das sind (p − 1) · pt−1 = 1 · 22 = 4 aquidistante Zahlen. Nach Hinzunahme von 1 = 88

ergeben sich (p− 1) · pt−1 + 1 = 5 aquidistante Zahlen

k = 1 = I2 :12· 2 = 1, 5

8· 2 = 5

4, 3

4· 2 = 3

2, 7

8· 2 = 7

4

Die Hinzunahme von 21 ist nicht moglich, da 2 keine Gleitpunktzahl ist (nur (p−1)·pt−1 =4 aquidistante Zahlen).

k = −1 = I1 :12· 12= 1

4, 5

8· 12= 5

16, 3

4· 12= 3

8, 7

8· 12= 7

16

Die Hinzunahme von 12= 8

16ist moglich; also gibt es 5 aquidistante Zahlen.

Das Verfahren der Rundung besteht darin, die reellen Zahlen auf (die im Rechner dar-stellbaren) Gleitpunktzahlen abzubilden. Dabei sind verschiedene Rundungsmethodenmoglich.

Definition 1.62.

Sei F (t, p, I1, I2) ein Gleitpunktzahlensystem und r ∈ R, r = 0. Dann gibt es nachBemerkung 1.56 eindeutig bestimmte k und m mit

p−1 ≤ m < 1, so dass r = sign (r) ·m · pk .

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59

Fur −I1 ≤ k < I2 oder k = I2 und m < 1− 12p−t sei die gerundete Zahl rR ∈ F (p, t, I1, I2)

definiert durch

(∗) |r − rR| = minr′∈F (p,t,I1,I2)

|r − r′|

Ist rR nicht eindeutig bestimmt, so wahle man die betragsgroßte unter den Gleitpunkt-zahlen mit minimalem Abstand.

Bemerkung 1.63.

(i) Gilt k < −I1, so spricht man von einem Unterlauf (underflow). Setze in diesem FallrR = 0.

(ii) Gilt k > I2 oder k = I2 undm ≥ 1− 12p−t, so setzt man rR = Ω (overflow, Uberlauf).

Hilfssatz 1.64.

Sei F (p, t, I1, I2) ein Gleitpunktzahlensystem und r ∈ R mit

pk−1 ≤ |r| < pk und k ∈ I = [−I1, I2]

bzw. falls k = I2 sei pI2−1 ≤ |r| < pI2 · (1− 12p−t), (so dass rR = Ω ausgeschlossen ist).

Dann gilt:

rR = sign (r) ·⌊|r|pt−k +

1

2

⌋pk−t.

Beweis: Sei r = sign (r) ·m · pl; aus pk−1 ≤ |r| < pk folgt:

pk−1 ≤ m · pl < pk .

Wegen m < 1 ergibt sich pk−1 < pl und wegen m ≥ 1pist

pl = 1 · pl ≤ (mp)pl = p · (mpl) < p · pk = pk+1 .

Demnach ist pk−1 < pl < pk+1 und damit k − 1 < l < k + 1 oder l = k. Also folgt∣∣∣∣r − sign (r) ·⌊|r|pt−k +

1

2

⌋pk−t

∣∣∣∣ = ∣∣∣∣mpk − ⌊mpkpt−k +1

2

⌋pk−t

∣∣∣∣=∣∣∣∣mpt − ⌊mpt + 1

2

⌋∣∣∣∣ · pk−t ≤ 1

2pk−t

Damit ist sign(r) ·⌊|r|pt−k + 1

2

⌋pk−t eine reelle Zahl, deren Abstand von r kleiner oder

gleich 12pk−t ist.

Wir zeigen nun, dass diese Zahl Element von F (p, t, I1, I2) ist.

1. Fall: Ist |r| < pk(1− 12p−t), so gilt:

|r|pt−k +1

2< pk(1− 1

2p−t) · pt−k +

1

2= pt ,

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60

also

⌊|r|pt−k +1

2⌋ =

t−1∑j=0

cj · pj mit 0 ≤ cj < p

und damit

sign (r) · ⌊|r|pt−k +1

2⌋ · pk−t = sign (r) · pk ·

t−1∑j=0

cj · pj−t = sign (r) · pk ·t∑

j=1

ct−j · p−j .

Wegen k ∈ I = [−I1, I2] ist letzteres ein Element von F (p, t, I1, I2).

2. Fall: Fur |r| ≥ pk(1− 12p−t) ist k < I2 , d.h. k ≤ I2 − 1.

Weiter ist

|r|pt−k +1

2< pkpt−k +

1

2= pt +

1

2

und

|r|pt−k +1

2≥ pk(1− 1

2p−t)pt−k +

1

2= pt,

d.h.⌊|r|pt−k + 1

2

⌋= pt. Daraus folgt

sign (r)⌊|r|pt−k +

1

2

⌋pk−t = sign (r)pk

= sign (r)p−1pk+1 = sign (r) ·

t∑j=1

cjp−j

pk+1

mit c1 = 1 und cj = 0 fur j > 1 und k+1 ≤ I2− 1+ 1 = I2, d.h. k+1 ∈ I; also gilt auchin diesem Fall

sign (r)⌊|r|pt−k +

1

2

⌋pk−t ∈ F (p, t, I1, I2) .

Aus Hilfssatz 1.60 (ii) folgt:

Im Intervall [pk−1, pk] liegen fur k < I2 genau (p−1)·pt−1+1 aquidistante Gleitpunktzahlen,die voneinander den Abstand pk−t haben; im Fall k = I2 und m < 1 − 1

2p−t sind es

(p− 1) · pt−1 aquidistante Gleitpunktzahlen.Also hat die r nachstgelegene Gleitpunktzahl, namlich rR, einen Abstand zu r, welcherkleiner oder gleich 1

2pk−t ist. Offensichtlich gibt es hochstens zwei solche Zahlen.

1. Fall: Ist rR eindeutig bestimmt, so ist

rR = sign (r) ·⌊|r| · pt−k +

1

2

⌋· pk−t .

2. Fall: Es existieren zwei Gleitpunktzahlen, die von r den Abstand 12· pk−t haben.

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61

Wir mussen zeigen, dass in der Behauptung angegebene Gleitpunktzahl die großere derbeiden Zahlen ist. Sei o.B.d.A. r > 0; dann ist

r =

t∑j=1

aj · p−j

· pk︸ ︷︷ ︸

kleinere Gleitpunktzahl

+1

2· pk−t︸ ︷︷ ︸

Abstand

Wir zeigen nun, dass t∑j=1

aj · p−j

· pk + pk−t

︸ ︷︷ ︸großere Gleitpunktzahl

!=

⌊r pt−k +

1

2

⌋· pk−t

gilt. Wir erhalten durch Einsetzen, ausgehend von der rechten Seite:

⌊r · pt−k +

1

2

⌋· pk−t =

t∑

j=1

aj · p−j

· pk + 1

2· pk−t

· pt−k +1

2

· pk−t

=

t∑j=1

aj · p−j

pt + 1

2+

1

2

· pk−t =

t∑j=1

aj · pt−j + 1

· pk−t =

t−1∑j=0

at−j · pj + 1

· pk−t

=

t−1∑j=0

at−j · pj + 1

· pk−t =t−1∑j=0

at−j · pj+k−t + pk−t =t∑

j=1

aj · pk−j + pk−t

=

t∑j=1

aj · p−j

· pk + pk−t

Also ist auch im 2. Fall

rR = sign (r)⌊|r| · pt−k +

1

2

⌋· pk−t.

2

Satz 1.65 (uber den relativen Rundungsfehler).

Sei r ∈ R und rR = Ω. Dann gilt

rR = r(1 + δ) mit |δ| ≤ 1

2· p1−t

Beweis: Sei o.B.d.A. r > 0 und k so, dass gilt:

pk−1 ≤ r < pk .

1. Fall: Ist k < I2, so liegen im Intervall [pk−1, pk] insgesamt (p− 1)pt−1 + 1 aquidistanteGleitpunktzahlen (unter denen pk−1 und pk vorkommen). Jedes Teilintervall hat die Langepk−t.

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62

Da r immer zur nachstliegenden Gleitpunktzahl gerundet wird und benachbarte Gleit-punktzahlen den Abstand pk−t haben, gilt

|r − rR| ≤1

2· pk−t ,

also|r − rR|

r≤

12· pk−t

pk−1=

1

2p1−t

oder

|r − rR| ≤ r · 12p1−t

d.h.

−r · 12p1−t ≤ rR − r ≤ r · 1

2· p1−t .

Daraus folgt

rR ≤ r + r1

2· p1−t = r

(1 +

1

2· p1−t

)und rR ≥ r − r · 1

2· p1−t = r

(1− 1

2p1−t

)Also existiert ein δ mit |δ| ≤ 1

2p1−t derart, dass rR = r(1 + δ) gilt.

2. Fall: Ist k = I2, dann liegen im Intervall [pk−1, pk] nur (p− 1)pt−1 aquidistante Gleit-punktzahlen mit dem Abstand pI2−t; die kleinste ist pI2−1 und die großte ist (1−p−t) ·pI2 ,Wegen rR = Ω gilt im Fall r = m · pI2 stets m < 1− 1

2p−t. Ist r ≤ (1− p−t) · pI2 , so ergibt

sich wie im 1. Fall: |r − rR| ≤ 12· pI2−t und damit die Behauptung.

Ist dagegen r > (1− p−t) · pI2 , d.h.

(1− p−t) · pI2 < r < (1− 1

2· p−t) · pI2 ,

so folgt

|r − rR| ≤(1− 1

2p−t

)pI2 − (1− p−t) · pI2

=1

2· p−t · pI2 = 1

2· pI2−t

Daraus folgt die Behauptung wie im 1. Fall. 2

Beispiel 1.66 (Relativer Fehler bei Rundung von π).

Sei p = 10, t = 4, I1 = 0, I2 = 1;

Betrachte π = 3.14159265.... und schreibe

π = +.314159265... · 101

Also ist k = 1. Hilfssatz 1.64 liefert

πR =⌊|π| · 103 + 1

2

⌋· 10−3 =

⌊3141.5 . . .+

1

2

⌋· 10−3

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63

= 3142 · 10−3 = 3.142 = +.3142 · 101 .Damit ist

πR − ππ

=.3142 · 101 − .314159265... · 101

.314159265... · 101≈ 1.28597 · 10−4 = 0.000128597 .

Die Abschatzung von Satz 1.65 liefert

|δ| ≤ 1

2· 101−4 =

1

2· 10−3 = 0.0005.

Bemerkung 1.67.

Die Schranke von Satz 1.65 ist fast scharf. Wahle dazu

r = pk ·(1 +

1

2· p1−t

)=

(p−1 +

1

2· p−t

)︸ ︷︷ ︸

=m

·pk+1 (Gleitpunktdarstellung)

Dann istrR =

(p−1 + p−t

)· pk+1 = pk(1 + p1−t) (vgl. die Mantisse !) .

Daraus folgt

rR − rr

=12· pk+1−t

pk(1 + 12· p1−t)

=1

2· p1−t

1 + 12p1−t

≈ 1

2· p1−t fur große t.

1.8.4 Arithmetik von Gleitpunktzahlen: Ein Ausblick

Da arithmetische Grundoperationen mit Gleitpunktoperanden i.a. nicht zu einer Gleit-punktzahl fuhren, muss dies durch eine Anderung der arithmetischen Operationen er-zwungen werden.

Definition 1.68.

Fur x, y ∈ F (p, t, I1, I2) definiert man fur jede Operation ω ∈ +, ·,−, /:

x ⃝ω y := (x ω y)R.

Bemerkung 1.69.

Nach Satz 1.65 gilt fur ω ∈ +, ·,−, /:∣∣∣∣∣x ω y − x ⃝ω yx ω y

∣∣∣∣∣ ≤ 1

2· p1−t

(Je großer t ist, desto kleiner ist der relative Rundungsfehler.)

Rechenregeln werden durch Rundung beeinflußt:

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64

Beispiel 1.70.

Betrachte F (10, 2, 2, 2) und die Gleitpunktzahlen

x = + 0.10 · 101

y = − 0.99 · 100

z = + 0.10 · 10−2

Dann ist

(x⊕ y) = (1.0− 0.99)R = (0.01)R = + 0.10 · 10−1,

(x⊕ y)⊕ z = (0.01 + 0.001)R = (0.011)R = 0.11 · 10−1.

Andererseits gilt

(y ⊕ z) = (−0.99 + 0.001)R = (−0.989)R = − .99 · 100,x⊕ (y ⊕ z) = (1.0− 0.99)R = (0.01)R = 0.1 · 10−1.

D.h.: Bei der Gleitpunktaddition gilt das Assoziativgesetz nicht.

Andere Rechenregeln bleiben erhalten, die wir unten nur auflisten:

Hilfssatz 1.71 (Rechengesetze fur die Gleitpunktarithmetik).

(i) xR = (xR)R,

(ii) x ≥ x′ ⇒ xR ≥ x′R

(iii) x⊕ x′ = x′ ⊕ x

(iv) x⊙ x′ = x′ ⊙ x

(v) x, x′ ≥ 0⇒ (x⊖ x′)⊕ x′ = x

(vi) x⊖ x′ = x⊕ (−x′) = −(x′ ⊖ x)(−x)⊙ x′ = x⊙ (−x′) = −(x⊙ x′)(−x)⊘ x′ = x⊘ (−x′) = −(x⊘ x′)x⊖ x = 0

(vii) 0 ≤ x ≤ x1, 0 ≤ x′ ≤ x′1 ⇒x⊕ x′ ≤ x1 ⊕ x′1x⊖ x′1 ≤ x1 ⊖ x′x⊙ x′ ≤ x1 ⊙ x′1x⊘ x′1 ≤ x1 ⊘ x′, wenn x′1 = 0 und x′ 0

(viii) x′ ≥ 0⇒ x⊕ x′ ≥ x

(ix) x ≥ x′ ⇒ x⊖ x′ ≥ 0

(x) 0 ≤ x und 0 ≤ x′ ≤ 1⇒ x⊙ x′ ≤ x

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(xi) 0 ≤ x ≤ x′ ⇒ x⊘ x′ ≤ 1, wenn x′ = 0

(xii) x⊕ 0 = x⊖ 0 = x⊙ 1 = x⊘ 1 = x

(xiii) x⊙ 0 = 0

(xiv) x⊘ x = 1, wenn x = 0

(xv) −(x)R = (−x)RWarnung:Die Assoziativgesetze bzgl. ⊕ und ⊙, die Distributivgesetze und die Kurzungsregeln geltennicht (Beispiele: Aufgabe).

Rundungsfehler konnen das Ergebnis einer Rechnung ganz erheblich verfalschen. Ein be-sonders gefahrliches Phanomen ist das der sog. Stellenausloschung bei Differenzen etwagleich großer Zahlen.

Beispiel 1.72.

Lose das folgende Gleichungssystem in F (10, 3, 10, 10):

(I) 0.100 · 10−3 x1 + 0.100 · 101 x2 = 0.100 · 101

(II) 0.100 · 101 x1 + 0.100 · 101 x2 = 0.200 · 101

Als exakte Losung erhalten wir:

x1 =104

104 − 1und x2 =

104 − 2

104 − 1

Ein Programm moge folgendermaßen arbeiten:Gleichung (I) werde mit 104 multipliziert, und davon wird Gleichung (II) subtrahiert. Manerhalt:

(I’) x1 + 104 · x2 = 104

(II) x1 + x2 = 2

Also (I’) - (II) exakt:

(II’) (104 − 1) x2 = 104 − 2

Aber in F (10, 3, 10, 10) wird folgendermaßen gerechnet:

(104 − 1)R · x2 = (104 − 2)R,

also0.100 · 105 x2 = 0.100 · 105 (Ausloschung signifikanter Stellen),

worausx2 = 1

folgt. Setzt man in Gleichung (I) ein, so folgt:

0.100 · 10−3 x1 + 0.100 · 101 · 1 = 0.100 · 101 ,

alsox1 = 0 .

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66

§2 Folgen und Reihen

Haufig werden Großen, die sich nicht durch einen in endlich vielen Schritten berechenbarenAusdruck angeben lassen, durch Naherungen oder Approximationen ersetzt. Dabei mussz.B. in Abhangigkeit der Stellenzahl eines Rechners mit unterschiedlich vielen Schrittengerechnet werden; man ist dann mit einer Naherung zufrieden, wenn die vom Rechnerangezeigten Stellen mit denen der exakten Große ubereinstimmen. Grundlage fur dieUntersuchung solcher Fragen ist der Begriff des Grenzwertes einer Zahlenfolge.

2.1 Konvergente Folgen. Beispiele

Obwohl wir uns im Folgenden fast ausschließlich mit reellen bzw. komplexen Zahlenfolgenbeschaftigen, werden wir den Begriff einer (konvergenten) Folge etwas allgemeiner fassen.

Definition 2.1.

Gegeben sei ein metrischer Raum (X, d); unter einer Folge verstehen wir eine Abbildungf : N → X. Jedem n ∈ N ist also genau ein an := f(n) ∈ X zugeordnet. Statt fschreiben wir auch (an)n∈N, (an)n≥1 oder (a1, a2, . . .). Ist n0 ∈ Z, so bezeichnet (an)n≥n0

oder (an0 , an0+1, . . .) ebenfalls eine Folge. Wir sprechen auch von einer Folge in X; istspeziell (X, d) = (R, d2) bzw. = (C, d2), so reden wir von einer reellen bzw. einer komplexen(Zahlen-)Folge.

Beispiele 2.2.

a) an = a fur alle n ∈ N ergibt die konstante Folge (a, a, . . .) in (X, d).

b) an =1

nergibt

(1,

1

2,1

3,1

4, . . .

).

c) an = (−1)n ergibt (−1, 1,−1, 1, . . .).

d) an = in ergibt (i,−1,−i, 1, i,−1,−i, 1, . . .).

e) a1 = 1, a2 = 1 und an = an−1 + an−2 fur n ≥ 3 ergibt (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, . . .), diesog. Folge der Fibonacci-Zahlen.

f) an =(1

n, (−1)n

)ergibt in (R2, d2) die Folge

((1,−1),

(1

2, 1),(1

3,−1

),(1

4, 1), . . .

).

g) Sei b ∈ C beliebig und an = bn fur n ∈ N0, das ergibt die Folge (1, b, b2, b3, . . .) in C.

Definition 2.3.

Eine Folge (an)n≥1 in (X, d) konvergiert gegen a ∈ X (heißt konvergent gegen a ∈ X),wenn Folgendes gilt:

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67

Zu jedem ε > 0 existiert ein N(ε) ∈ R derart, dass fur alle n ∈ N mit n > N(ε) gilt:

d(an, a) < ε.

Wir schreiben a = limn→∞

an oder an → a fur n → ∞; a heißt Grenzwert oder Limes der

Folge (an)n≥1. Eine Folge konvergiert oder heißt konvergent, wenn ein a ∈ X existiert,gegen das sie konvergiert; sie heißt divergent, wenn sie nicht konvergiert.

Anschaulich bedeutet die Konvergenz, dass in jeder Kugel

Kε(a) := x ∈ X | d(x, a) < ε, ε > 0,

das Endstuck (an(ε), an(ε)+1, . . .) der Folge (an)n≥1 mit n(ε) ∈ N und n(ε) > N(ε) liegt.

Satz 2.4.

Ist (an)n≥1 konvergent, so besitzt (an)n∈N genau einen Grenzwert.

Beweis: Wir nehmen an → a und an → b fur n → ∞ mit a = b an; dann ist ε :=12d(a, b) > 0 und jede der Kugeln Kε(a) bzw. Kε(b) musste ein Endstuck der Folge (an)n≥1

enthalten, was unmoglich ist.

(Zu ε existieren ein N1(ε) und ein N2(ε) mit

d(an, a) < ε fur alle n > N1(ε)

bzw.d(an, b) < ε fur alle n > N2(ε);

fur alle n > max(N1(ε), N2(ε)) gilt dann mit der Dreiecksungleichung

d(a, b) ≤ d(a, an) + d(an, b) < 2ε = 2 · 12d(a, b) = d(a, b).

Das ist ein Widerspruch.) 2

Definition 2.5.

Sei (an)n≥1 eine Folge und n1 < n2 < n3 < . . . eine aufsteigende Folge naturlicher Zahlen;dann heißt (ank

)k∈N = (an1 , an2 , . . .) eine Teilfolge der Folge (an)n≥1.

Direkt aus Definition 2.3 folgt der

Satz 2.6.

Jede Teilfolge einer konvergenten Folge (an)n≥1 konvergiert ebenfalls gegen limn→∞

an.

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68

Definition 2.7.

Eine reelle oder komplexe Zahlenfolge (an)n≥1 heißt beschrankt, wenn ein M > 0 existiertmit |an| ≤M fur alle n ≥ 1.

Satz 2.8.

Jede konvergente Folge in R oder C ist beschrankt.

Beweis: Sei (an)n≥1 eine komplexe Zahlenfolge mit limn→∞

an = a; dann existiert ein N =

N(1) ∈ R mit

|an − a| < 1 fur alle n > N.

Daraus folgt fur alle n ∈ N

|an − a| ≤ max(|a1 − a|, . . . , |aN − a|, 1) =:M ′,

also

|an| ≤ |an − a|+ |a| ≤M ′ + |a| =:M.

2

Wir untersuchen nun die Beispiele aus 2.2 auf Konvergenz:

Beispiele 2.9.

a) (a, a, . . .) konvergiert wegen d(a, a) = 0 gegen a.

b) Es ist limn→∞

1

n= 0, da nach dem Archimedischen Prinzip zu jedem ε > 0 ein m =

N(ε) ∈ N existiert mit1

m< ε (vgl. Bemerkungen im Anschluß an Satz 1.12). Daraus

folgt fur alle n > m wegen1

n<

1

m

d(1

n, 0) =

1

n< ε.

c) Es ist (a2, a4, a6, . . .) = (a2n)n≥1 eine Teilfolge von (an)n≥1 und (a1, a3, a5, . . .) =(a2n−1)n≥1 eine Teilfolge von (an)n≥1. Nach Teil a) gilt wegen a2n = 1 und a2n−1 = −1fur alle n ∈ N:

limn→∞

a2n = 1

limn→∞

a2n−1 = −1.

Nach Satz 2.6 kann (an)n≥1 also nicht konvergieren.

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69

d) Betrachte die Teilfolgen

(a4n+1)n≥0 = (i, i, . . .), (a4n+2)n≥0 = (−1,−1, . . .),

(a4n+3)n≥0 = (−i,−i, . . .), (a4n)n≥1 = (1, 1, . . .),

die gegen vier verschiedene Grenzwerte konvergieren; also konvergiert auch (in)n≥0

nicht.

e) Es gilt an ≥ n fur alle n ≥ 5. (Betrachte die Aussagen A(n) an−1 ≥ 1 und an ≥ nfur n ≥ 5 und wende das Induktionsprinzip an. A(5) ist richtig wegen a5 = 5 unda4 = 3. Der Induktionsschritt liefert aus der Induktionsvoraussetzung an−1 ≥ 1 undan ≥ n sofort an ≥ 1 und an+1 = an + an−1 ≥ n+ 1. )

Also ist die Folge unbeschrankt und damit nach Satz 2.8 divergent.

f) Betrachte die Teilfolgen

a2n =(

1

2n, 1)

und a2n−1 =(

1

2n− 1,−1

).

Es giltlimn→∞

a2n = (0, 1),

denn zu jedem ε > 0 existiert ein m ∈ N mit1

m< ε; daraus folgt fur alle n ≥ m:

d2(a2n, (0, 1)) =

√(1

2n

)2

+ 02 =∣∣∣∣ 12n

∣∣∣∣ = 1

2n≤ 1

2m<

1

2ε < ε .

Entsprechend folgert man:limn→∞

a2n−1 = (0,−1).

Satz 2.6 liefert die Divergenz von (an)n≥1 in (R2, d2).

g) (i) Sei zunachst |b| < 1; dann gilt

limn→∞

bn = 0.

(ii) Ist |b| = 1, so ist (bn)n≥1 divergent fur b = 1 und konvergent fur b = 1.

(iii) Fur |b| > 1 ist (bn)n≥1 divergent.

Zu (i): Nach Folgerung 1.21 (b) existiert zu beliebigem ε > 0 ein m = N(ε) ∈ Nmit |b|m < ε. Es folgt fur alle n ≥ m:

|bn − 0| = |b|n = |b|m|b|n−m < |b|m < ε.

Zu (ii): Die Konvergenz fur b = 1 ist klar; die Divergenz fur die anderen bmit |b| = 1laßt sich anhand der geometrischen Interpretation der Multiplikation komplexerZahlen veranschaulichen. Wir werden spater darauf noch einmal zuruckkommen.

Zu (iii): Nach Folgerung 1.21 (a) ist die Folge (|b|n)n≥1 = (|bn|)n≥1 unbeschrankt;wegen Satz 2.8 ist (bn)n≥1 somit divergent.

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70

Bemerkung 2.10.

Eine Folge (an)n≥1 in einem metrischen Raum (X, d) ist genau dann konvergent gegen a,wenn eine Konstante K > 0 und zu jedem ε > 0 ein N(ε) ∈ R existieren mit

d(an, a) < K ·ε fur alle n > N(ε).

Beweis:

>: Wahle K = 1.

<: Zeige, dass zu jedem ε > 0 ein M(ε) ∈ R mit

d(an, a) < ε fur alle n > M(ε)

existiert. Nach Voraussetzung gibt es zu ε1 :=ε

K> 0 ein N(ε1) ∈ R mit

d(an, a) < K ε1 = ε fur alle n > N(ε1) =:M(ε).

2

Satz 2.11.

Es sei (an)n≥1 eine Folge in (Rm, d2) und an = (a(n)1 , a

(n)2 , . . . , a(n)m ). Es gilt genau dann

limn→∞

an = (a1, . . . , am) =: a ∈ Rm,

wenn fur die m reellen Zahlenfolgen (a(n)j )n≥1 mit 1 ≤ j ≤ m gilt:

limn→∞

a(n)j = aj.

Beweis:

>: Aus an → a fur n→∞ folgt wegen

|a(n)j − aj| =√(a

(n)j − aj)2 ≤

√√√√ m∑i=1

(a(n)i − ai)2 = d2(an, a)

sofortlimn→∞

a(n)j = aj fur 1 ≤ j ≤ m.

<: Umgekehrt existiert zu jedem ε > 0 und jedem j ∈ 1, . . . ,m ein Nj(ε) ∈ R mit

|a(n)j − aj| < ε

fur alle n > Nj(ε). Fur alle n > max(N1(ε), . . . , Nm(ε)) gilt dann m∑j=1

(a(n)j − aj)2

12

<

m∑j=1

ε2

12

=√m · ε

Bemerkung 2.10 liefert die Behauptung. 2

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Folgerung 2.12.

Ist (an)n≥1 eine komplexe Zahlenfolge, so konvergiert (an)n≥1 genau dann, wenn die beidenreellen Zahlenfolgen (Re an)n≥1 und (Im an)n≥1 konvergieren. Im Falle der Konvergenzgilt:

limn→∞

an = limn→∞

Re an + i limn→∞

Im an.

Beispiel:

limn→∞

((1

2

)n

+i

n

)= lim

n→∞

(1

2

)n

+ i limn→∞

1

n= 0.

2.2 Das Rechnen mit konvergenten Folgen

Satz 2.13.

Es seien (an)n≥1 und (bn)n≥1 zwei konvergente (komplexe) Zahlenfolgen mit a = limn→∞

anund b = lim

n→∞bn; dann gilt:

a) Es ist auch die Folge (an + bn)n≥1 konvergent mit

limn→∞

(an + bn) = limn→∞

an + limn→∞

bn.

b) Ist λ ∈ C, so konvergiert auch (λan)n≥1 mit

limn→∞

(λan) = λ limn→∞

an.

c) Die Produktfolge (an · bn)n≥1 konvergiert mit

limn→∞

(an bn) = limn→∞

an · limn→∞

bn.

d) Ist b = 0, so existiert ein n0 ∈ N mit bn = 0 fur alle n > n0. Dann ist(anbn

)n≥n0

konvergent mit

limn→∞

anbn

=limn→∞

an

limn→∞

bn.

Beweis: Zu a): Zu ε > 0 existieren ein N1(ε) ∈ R mit

|an − a| < ε fur alle n > N1(ε),

sowie ein N2(ε) ∈ R mit

|bn − b| < ε fur alle n > N2(ε).

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72

Fur alle n > max(N1(ε), N2(ε)) gilt dann

|(an + bn)− (a+ b)| ≤ |an − a|+ |bn − b| < 2ε.

Zu b): Folgt direkt aus Bemerkung 2.10 mit K = |λ|.

Zu c): Nach Satz 2.8 ist (an)n≥1 beschrankt, also |an| ≤ M fur alle n ∈ N mit einemgeeigneten M > 0. Fur ε > 0 seien N1(ε) ∈ R und N2(ε) ∈ R so, dass

|an − a| < ε fur alle n > N1(ε)

und|bn − b| < ε fur alle n > N2(ε)

gilt. Dann erhalten wir fur alle n > max(N1(ε), N2(ε)):

|anbn − ab| = |an(bn − b) + (an − a)b|≤ |an| |bn − b|+ |an − a| |b|< M ε+ |b| ε = (M + |b|)ε.

Zu d): Wegenanbn

= an·1

bngenugt es zu zeigen, dass die Folge

(1

bn

)n≥n0

gegen1

bkonver-

giert; Teil c) liefert dann die Behauptung. Wegen bn → b fur n → ∞ und b = 0 existiertein n0 ∈ N mit

|bn − b| <|b|2

fur alle n > n0.

Daraus ergibt sich mit Folgerung 1.32:

|bn| ≥ |b| − |bn − b| >|b|2

fur alle n > n0, also speziell bn = 0 fur alle n > n0. Ist nun ε > 0 beliebig und N(ε) ∈ Rso gewahlt, dass |bn − b| < ε fur alle n > N(ε) gilt, so folgt fur alle n > max(N(ε), n0):∣∣∣∣ 1bn − 1

b

∣∣∣∣ =∣∣∣∣∣b− bnbbn

∣∣∣∣∣ = 1

|b| |bn||bn − b| <

2

|b|2ε

2

Beispiel 2.14.

Sei an =3n2 + 13n

n2 − 2fur n ≥ 1; dann gilt auch

an =n2(3 + 13

n

)n2(1− 2

n2

) =3 + 13

n

1− 2n2

.

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73

Nach Satz 2.13 c) gilt wegen limn→∞

1

n= 0 auch lim

n→∞

1

n2= 0, Teil b) liefert lim

n→∞− 2

n2= 0,

Teil a) schließlich limn→∞

(1− 2

n2

)= 1 = 0. Entsprechend folgt

limn→∞

(3 +

13

n

)= 3.

Teil d) liefert dann

limn→∞

an =3

1= 3.

Satz 2.15.

Konvergiert die komplexe Zahlenfolge (an)n≥1 gegen a, so gilt limn→∞

|an| = |a|.

Beweis: Nach Folgerung 1.31 gilt:

||an| − |a|| ≤ |an − a|.

2

Wir halten noch einige Aussagen fest, die nur fur reelle Zahlenfolgen gelten:

Satz 2.16.

a) Es seien (an)n≥1 und (bn)n≥1 zwei konvergente (reelle) Zahlenfolgen mit a = limn→∞

ansowie b = lim

n→∞bn.

(i) Gilt an ≤ bn fur alle n ≥ n0, so folgt auch a ≤ b. (an < bn impliziert nichta < b.) (Vergleichssatz)

(ii) Ist (cn)n≥1 eine Folge mit an ≤ cn ≤ bn fur alle n ≥ n0 und ist a = b, sokonvergiert auch (cn)n≥1 mit lim

n→∞cn = a. (Einschnurungs- oder Sandwich-Satz)

b) Ist (bn)n≥1 eine Nullfolge, d.h. limn→∞

bn = 0, (an)n≥1 eine Folge und a ∈ R mit

|an − a| ≤ bn fur alle n ≥ n0, so konvergiert auch (an)n≥1 mit limn→∞

an = a.

Beweis: Zu a):

(i) Ware a > b, d.h. ε :=1

2(a− b) > 0, so existiert ein N1(ε) mit

|an − a| < ε fur alle n > N1(ε),

und es gibt ein N2(ε) mit

|bn − b| < ε fur alle n > N2(ε).

Fur alle n > max(N1(ε), N2(ε)) gilt dann (vgl. Satz 1.33 b)

bn < b+ ε =a+ b

2= a− ε < an. Widerspruch.

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74

(ii) Ausa− ε < an < a+ ε fur alle n > N1(ε)

unda− ε < bn < a+ ε fur alle n > N2(ε)

folgt fur alle n > max(N1(ε), N2(ε)):

a− ε < an ≤ cn ≤ bn < a+ ε

d.h.|cn − a| < ε.

Zu b): Folgt sofort aus dem Einschnurungssatz wegen −bn ≤ an − a ≤ bn. 2

Beispiele.

a) Nach dem Einschnurungssatz gilt zum Beispiel limn→∞

1

n+ 1= 0 oder

limn→∞

1

2n2 + 3= 0.

b) Es gilt fur jedes feste a > 0:limn→∞

n√a = 1

Beweis: 1. Fall Es sei a > 1; dann gilt auch n√a > 1. Also ist n

√a = 1 + hn mit

hn > 0. Daraus folgt mit der Bernoullischen Ungleichung

a = (1 + hn)n ≥ 1 + nhn

oder

0 ≤ hn ≤a− 1

n.

Der Einschnurungssatz liefert die Behauptung.

2. Fall Ist a < 1, so ist1

a> 1; also existiert nach Fall 1 ein N(ε) ∈ R mit

∣∣∣ n

√1

a− 1

∣∣∣ < ε fur alle n > N(ε).

Wegen n√a < 1 folgt somit

| n√a− 1| = n

√a∣∣∣1− n

√a

n√a

∣∣∣ < ∣∣∣ n

√1

a− 1

∣∣∣ < ε fur alle n > N(ε),

also die Behauptung.

3. Fall Ist a = 1, so ist die Behauptung trivialerweise erfullt. 2

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75

Bemerkung 2.17.

Ist (an)n≥1 eine (komplexe) Nullfolge und (bn)n≥1 eine beschrankte (komplexe) Zahlenfol-ge, so konvergiert auch (anbn)n≥1 gegen Null.

2.3 Prinzipien der Konvergenztheorie

Definition 2.18.

Eine reelle Folge (an)n≥1 heißt (monoton) wachsend, wenn an+1 ≥ an fur alle n ∈ N gilt.Sie heißt (monoton) fallend, wenn an+1 ≤ an fur alle n ∈ N gilt. (an)n≥1 heißt streng(monoton) wachsend bzw. fallend, wenn stets an+1 > an bzw. an+1 < an gilt. (an)n≥1

heißt (streng) monoton, wenn sie (streng) monton wachst oder fallt.

Satz 2.19. (Monotonieprinzip)

Eine monotone Folge konvergiert genau dann, wenn sie beschrankt ist. In diesem Fallekonvergiert sie gegen ihr Supremum, wenn sie wachst, und gegen ihr Infimum, wenn siefallt.

sup an =: a

a1

a2

a3

an0a − ǫ

ǫ

Abbildung 10: Monotonieprinzip

Beweis: Sei (an)n≥1 monoton wachsend und beschrankt; nach Satz 1.11 existiert dasSupremum a = supan | n ∈ N. Zu jedem ε > 0 existiert ein n0 ∈ N mit an0 > a − ε(sonst ware a − ε eine kleinere obere Schranke); fur alle n > n0 gilt dann ebenfalls:an ≥ an0 > a− ε. Da außerdem fur alle n ∈ N gilt: an ≤ a, haben wir fur alle n ≥ n0:

a− ε < an ≤ a.

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76

Umgekehrt ist jede konvergente Folge beschrankt (vgl. Satz 2.8). 2

Beispiel 2.20. (Eulersche Zahl)

Die Folge((

1 +1

n

)n )n≥1

ist streng monoton wachsend, die Folge

((1 +

1

n

)n+1)n≥1

streng monoton fallend.

(Beweis der Monotonie: Nach der Bernoullischen Ungleichung gilt namlich(1− 1

n

)n (1 +

1

n

)n

=(1− 1

n2

)n

≥ 1− 1

n,

also (1 +

1

n− 1

)n−1

=(

n

n− 1

)n−1

=(n− 1

n

)1−n

=(1− 1

n

)1−n

≤(1 +

1

n

)n

,

und(1− 1

n

)n (1 +

1

n

)n

=(1− 1

n2

)n

=

(n2 − 1

n2

)n

≤(

n2

n2 + 1

)n

=1(

1 + 1n2

)n ≤ 1

1 + 1n

,

also (1 +

1

n

)n+1

≤ 1(1− 1

n

)n =(1 +

1

n− 1

)n

.)

Ferner gilt (1 +

1

n

)n

<(1 +

1

n

)n+1

fur alle n ∈ N,

also

2 ≤(1 +

1

n

)n

<(1 +

1

n

)n+1

≤ 4.

Nach dem Monotonieprinzip konvergiert also die Folge((

1 +1

n

)n)n≥1

und ebenso die

Folge

((1 +

1

n

)n+1)n≥1

. Wir nennen den Grenzwert der ersten Folge e (Eulersche Zahl),

d.h.

e = limn→∞

(1 +

1

n

)n

.

Wir zeigen, dass die zweite Folge ebenfalls gegen e konvergiert: Wegen(1 +

1

n

)n+1

≥ e

und(1 +

1

n

)n

≤ e fur alle n ∈ N folgt

0 ≤(1 +

1

n

)n+1

− e ≤(1 +

1

n

)n+1

−(1 +

1

n

)n

=(1 +

1

n

)n (1 +

1

n− 1

)=

1

n

(1 +

1

n

)n

.

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77

Da limn→∞

1

n= 0 gilt, folgt nach Satz 2.13 c) und dem Einschnurungssatz:

limn→∞

(1 +

1

n

)n+1

= e.

Beispiel 2.21. (Heron-Verfahren)

Gegeben sei a ∈ R, a > 0; gesucht ist√a. Definieren wir die Folge (an)n≥1 induktiv durch

a1 := a

an+1 :=1

2

(an +

a

an

)fur n ≥ 1,

so entsteht eine monoton fallende Folge (an)n≥2 mit lauter positiven Gliedern, und es gilt:

limn→∞

an =√a.

Beweis:

(α) Mit dem Induktionsprinzip kann man an > 0 fur alle n ∈ N zeigen.

(β) Fur alle n ≥ 2 gilt: an ≥√a.

Es ist namlich

an+1 −√a =

1

2

(an +

a

an

)− 1

2· 2√a =

1

2

(an − 2

√a+

a

an

)

=1

2an

(a2n − 2an

√a+ a

)=

1

2an

(an −

√a)2≥ 0.

(γ) (an)n≥2 ist monoton fallend wegen

an − an+1 = an −1

2

(an +

a

an

)=

1

2

(an −

a

an

)

≥ 1

2

(√a− a√

a

)= 0.

(δ) Das Monotonieprinzip liefert die Konvergenz der Folge (an)n≥1 gegen g; wegen an ≥√a ist g = 0. Die Grenzwertsatze ergeben dann auch die Konvergenz der Folge(1

2

(an +

a

an

))n≥1

mit dem Grenzwert1

2

(g +

a

g

). Wegen

limn→∞

an+1 = limn→∞

an

folgt hieraus

g =1

2

(g +

a

g

)oder g2 = a, d.h. g =

√a.

2

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78

Beispiel 2.20 laßt sich verallgemeinern zu einer Aussage, die haufig an Stelle des Supre-mumprinzips (Satz 1.11) zur Charakterisierung reeller Zahlen tritt.

Definition 2.22.

Eine Folge abgeschlossener Intervalle In := [an, bn], n ∈ N, definiert eine Intervallschach-telung, wenn Folgendes gilt:

(i) In ⊃ In+1 fur alle n ∈ N, d.h. (an)n≥1 ist monoton wachsend und (bn)n≥1 monotonfallend.

(ii) limn→∞

(an − bn) = 0.

Satz 2.23. (Prinzip der Intervallschachtelung)

Jede Intervallschachtelung (In)n≥1 definiert genau eine Zahl a, die in allen Intervallen Inliegt, d.h.

a =∞∩n=1

In.

Beweis: Nach dem Monotonieprinzip existieren

a = limn→∞

an und b = limn→∞

bn;

Satz 2.13 liefert limn→∞

(an − bn) = a− b und (ii) ergibt a = b. 2

Definition 2.24.

a heißt Haufungspunkt einer Zahlenfolge (an)n≥1, wenn eine Teilfolge von (an)n≥1 existiert,die gegen a konvergiert. (a wird auch Haufungswert der Folge (an)n≥1 genannt.)

Beispiele 2.25

a) Die Folge (an)n≥1 mit an = (−1)n besitzt die Haufungswerte 1 und −1.

b) Die Folge (an)n≥1 = (1, 1, 2, 1, 2, 3, 1, 2, 3, 4, 1, 2, 3, 4, 5, . . .) besitzt jede naturlicheZahl als Haufungswert.

Manchmal kann man die Konvergenz einer Folge beweisen, ohne den Grenzwert der Fol-ge zu kennen – so wie bei einigen Anwendungen des Monotonieprinzips (vgl. z.B. dasHeronverfahren). Um das entsprechende Konvergenzprinzip zu formulieren, benotigen wirDefinition 2.26.

Eine Folge (an)n≥1 in einem metrischen Raum (X, d) heißt Cauchy-Folge, wenn zu jedemε > 0 ein N(ε) ∈ R existiert, so dass fur alle m,n ∈ N mit m > N(ε) und n > N(ε) gilt:

d(an, am) < ε .

Man kann zeigen, dass folgendes Kriterium gilt:

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Satz 2.27. (Cauchysches Konvergenzprinzip)

a) Jede konvergente Folge (in einem metrischen Raum) ist eine Cauchy-Folge.

b) Jede Cauchy-Folge (an)n≥1 in R (oder C) konvergiert.(Eine reelle oder komplexe Zahlenfolge konvergiert also genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.)

Beispiele 2.28.

a) Wir betrachten Beispiel 2.9 g): (bn)n≥0 fur b ∈ C mit |b| = 1 und b = 1. Dann gilt|b− 1| =: ε0 > 0, also fur alle n ∈ N

|bn+1 − bn| = |bn| |b− 1| = |b|n |b− 1| = ε0.

Also ist (bn)n≥0 keine Cauchy-Folge und damit nach Satz 2.27 nicht konvergent.

b) Mit b ∈ C konnen wir fur jedes n ∈ N0 die Summe

sn :=n∑

k=0

bk

betrachten; dadurch erhalten wir eine Folge (sn)n≥0. Gemaß Satz 1.22 – der auch inC richtig ist – gilt fur b ∈ C \ 1:

sn =1− bn+1

1− b.

Beispiel 2.9 g) liefert damit fur |b| < 1:

limn→∞

sn =1− lim

n→∞bn+1

1− b=

1

1− b.

2.4 Reihen

Beispiel 2.28 b) wollen wir zum Anlaß nehmen, Folgen zu betrachten, bei denen sich das(n+1)-te Folgenglied sn+1 aus dem n-ten sn durch Addition von an+1 ∈ R (oder C) ergibt.

Definition 2.29.

Sei (an)n≥0 eine Zahlenfolge in C oder R. Die Folge (sn)n≥0 der Partialsummen

sn :=n∑

k=0

ak, n ≥ 0,

heißt (unendliche) Reihe und wird mit∞∑k=0

ak bezeichnet. Die Zahlen ak heißen Glieder

der Reihe. Konvergiert (sn)n≥0 gegen s, so nennt man s den Wert der Reihe. Man sagtdann, die Reihe konvergiert (gegen s) und schreibt

∞∑k=0

ak = s;

anderenfalls heißt die Reihe divergent.

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80

Bemerkung 2.30.

Jede Folge (an)n≥0 laßt sich als Reihe schreiben; wir setzen b0 = a0 und bn = an − an−1

fur n ≥ 1; dann gilt

an =n∑

k=0

bk.

Weil andererseits jede Reihe eine Folge (von Partialsummen) ist, ist klar, dass jeder Satzuber Folgen auch als Satz uber Reihen formuliert werden kann und umgekehrt.

Satz 2.31.

Es seien∞∑k=0

ak und∞∑k=0

bk zwei konvergente Reihen und λ ∈ C. Dann konvergieren auch

die Reihen∞∑k=0

(ak + bk),∞∑k=0

(ak − bk) und∞∑k=0

λak, und es gilt:

∞∑k=0

(ak ± bk) =∞∑k=0

ak ±∞∑k=0

bk,

∞∑k=0

λak = λ∞∑k=0

ak.

Beweis: Sei

sn :=n∑

k=0

ak, tn :=n∑

k=0

bk;

dann istn∑

k=0

(ak + bk) =n∑

k=0

ak +n∑

k=0

bk = sn + tn.

Nach Satz 2.13 gilt

∞∑k=0

(ak + bk) = limn→∞

(sn + tn) = limn→∞

sn + limn→∞

tn =∞∑k=0

ak +∞∑k=0

bk.

Analog werden die anderen Aussagen bewiesen. 2

Aus Satz 2.27 erhalten wir sofort:

Satz 2.32. (Cauchykriterium)

Die Reihe∞∑k=0

ak mit ak ∈ C konvergiert genau dann, wenn fur jedes ε > 0 ein N(ε) ∈ R

existiert mit

|sm − sn| =

∣∣∣∣∣∣m∑

k=n+1

ak

∣∣∣∣∣∣ < ε

fur alle m > n > N(ε).

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81

Folgerung 2.33 (Notwendiges Konvergenzkriterium fur Reihen).

Konvergiert die Reihe∞∑k=0

ak, so gilt limk→∞

ak = 0 und limn→∞

∞∑k=n+1

ak = 0.

Beweis: Setze in Satz 2.32 m = n+ 1 bzw. betrachte die Folge

m∑k=n+1

ak

m>n

. 2

Satz 2.34.

Eine Reihe∞∑k=0

ak mit ak ≥ 0 fur alle k ∈ N0 konvergiert genau dann, wenn die Folge der

Partialsummen beschrankt ist.

Beweis: Wegen ak ≥ 0 ist die Folge (sn)n≥0 der Partialsummen monoton wachsend. DasMonotonieprinzip liefert dann die Behauptung. 2

Satz 2.35 (Leibniz-Kriterium fur alternierende Reihen).

Es sei (an)n≥0 eine monoton fallende Folge nicht-negativer Zahlen mit limn→∞

an = 0. Dann

konvergiert die Reihe∞∑k=0

(−1)kak.

Beweis: Wir betrachten die Partialsummen sn =n∑

k=0

(−1)kak fur gerades und ungerades

n. Es gilts2m+2 − s2m = a2m+2 − a2m+1 ≤ 0

unds2m+1 − s2m−1 = −a2m+1 + a2m ≥ 0 .

Also ist (s2m)m≥0 monoton fallend und (s2m+1)m≥0 monoton wachsend. Wegen

s2m − s2m+1 = a2m+1 ≥ 0, also s0 ≥ s2m ≥ s2m+1 ≥ s1

ist (s2m)m≥0 nach unten beschrankt und (s2m+1)m≥0 nach oben beschrankt. Damit kon-vergieren die Teilfolgen, d.h. es ist

limm→∞

s2m = s und limm→∞

s2m+1 = t .

Die Grenzwertsatze liefern

s− t = limm→∞

(s2m − s2m+1) = limm→∞

a2m+1 = 0 ,

d.h. s = t. 2

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82

Definition 2.36.

Eine Reihe∞∑k=0

ak heißt absolut konvergent, wenn die Reihe∞∑k=1

|ak| konvergiert.

Bemerkung 2.37.

Wegen

∣∣∣∣∣∣m∑

k=n+1

ak

∣∣∣∣∣∣ ≤m∑

k=n+1

|ak| folgt aus der absoluten Konvergenz einer Reihe sofort

ihre Konvergenz. Fur die Grenzwerte erhalten wir aus dem Vergleichssatz sofort dieAbschatzung ∣∣∣∣∣

∞∑k=0

ak

∣∣∣∣∣ ≤∞∑k=0

|ak|.

Umgekehrt folgt aus der Konvergenz einer Reihe nicht die absolute Konvergenz, wie das

Beispiel∞∑k=1

(−1)k+1 1

kzeigt, das auf die sog. divergente harmonische Reihe

∞∑k=1

1

kfuhrt.

Es ist namlich

2n∑k=1

1

k= 1 +

1

2+

1

3+

1

4︸ ︷︷ ︸≥ 2· 1

4

+1

5+

1

6+

1

7+

1

8︸ ︷︷ ︸≥ 4· 1

8

+ . . .+1

2n−1 + 1+ . . .+

1

2n︸ ︷︷ ︸≥ 2n−1· 1

2n

≥ 1 + n · 12,

also ist die zugehorige Partialsummenfolge unbeschrankt. Nach Satz 2.34 kann die har-monische Reihe damit nicht konvergieren.

Durch die direkte Anwendung von Satz 2.34 erhalten wir einige Konvergenz- bzw. Diver-genzkriterien:

Satz 2.38 (Majorantenkriterium).

Ist∞∑k=0

ak eine unendliche Reihe mit ak ∈ C,∞∑k=0

bk eine konvergente Reihe mit bk ≥ 0 fur

alle k ∈ N0 und gilt fur alle k ≥ n0 : |ak| ≤ bk, so konvergiert∞∑k=0

ak absolut.

Satz 2.39 (Minorantenkriterium).

Ist∞∑k=0

ak eine unendliche Reihe mit ak ∈ R, ak ≥ 0 fur alle k ∈ N0 und gilt fur alle

k ≥ n0 : 0 ≤ bk ≤ ak und ist∞∑k=0

bk divergent, so ist auch∞∑k=0

ak divergent.

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83

Beispiele 2.40.

• Untersuche∞∑k=1

(−1)k2−k k3 − 2k

k5 + 3k2 + 1auf Konvergenz bzw. Divergenz. Fur k ≥ 2 gilt

∣∣∣∣∣(−1)k2−k k3 − 2k

k5 + 3k2 + 1

∣∣∣∣∣ = k3 − 2k

k5 + 3k2 + 1<k3

k5=

1

k2,

und∞∑k=1

1

k2ist konvergent mit

∞∑k=1

1

k2=π2

6.

Die Konvergenz der letzteren Reihe ergibt sich aus folgender Uberlegung: Fur n ≥ 2gilt

n∑k=1

1

k2= 1+

n∑k=2

1

k2≤ 1 +

n∑k=2

1

k(k − 1)= 1 +

n∑k=2

(1

k − 1− 1

k

)= 1+

(1− 1

n

)≤ 2 .

Also ist die Partialsummenfolge beschrankt und damit die Reihe konvergent. DenReihenwert konnen wir mit den bisher gelieferten Hilfsmitteln nicht berechnen.

Das Majorantenkriterium liefert nun die absolute Konvergenz der ursprunglich be-

trachteten Reihe∞∑k=1

(−1)k2−k k3 − 2k

k5 + 3k2 + 1.

• Die Reihe∞∑k=1

1√k

ist divergent, da fur alle k ≥ 1 gilt√k ≤ k und die harmo-

nische Reihe∞∑k=1

1

kdivergent ist.

Satz 2.41 (Quotientenkriterium).

Gegeben sei∞∑k=0

ak mit ak ∈ C, ak = 0 fur alle k ≥ k0. Gilt dann mit einer festen positiven

Zahl q < 1 ∣∣∣∣ak+1

ak

∣∣∣∣ ≤ q fur alle k ≥ k0,

so ist∞∑k=0

ak absolut konvergent.

Ist dagegen ∣∣∣∣ak+1

ak

∣∣∣∣ ≥ 1 fur alle k ≥ k0,

so ist∞∑k=0

ak divergent.

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84

Beweis:Mittels Induktion erhalten wir fur k0 = 0 (dies konnen wir o.B.d.A. voraussetzen,da ein Abandern endlich vieler Summanden das Konvergenzverhalten nicht andert):

|ak| ≤ |a0|qk fur alle k ∈ N0.

Daraus folgt die Behauptung uber die Konvergenz mit dem Majorantenkriterium wegen

∞∑k=0

|a0|qk = |a0|∞∑k=0

qk =|a0|1− q

.

Aus∣∣∣∣ak+1

ak

∣∣∣∣ ≥ 1 folgt, dass |ak+1| ≥ |ak| > 0 fur alle k > k0 gilt, also (ak)k≥0 keine Nullfolge

ist. 2

Beispiele 2.42.

• Fur jedes z ∈ C konvergiert die Reihe∞∑k=0

zk

k!= ez (siehe Beispiel 2.47 unten), denn

nach dem Quotientenkriterium gilt fur alle k ≥ 2|z|:∣∣∣∣∣∣zk+1

(k+1)!

zk

k!

∣∣∣∣∣∣ = |z|k + 1

<|z|2|z|

=1

2.

• Die Reihe∞∑k=0

k2

2kist absolut konvergent, da fur alle k ≥ 4 gilt:

(k + 1)2

2k+1

2k

k2=

1

2

(k + 1

k

)2

≤ 1

2

(5

4

)2

=25

32= q < 1.

• Die Reihe∞∑k=0

kk

k!2kdivergiert, denn es gilt fur alle k ∈ N:

(k + 1)k+1

(k + 1)! 2k+1· k! 2

k

kk=

(k + 1)k!

(k + 1)!

(k + 1

k

)k1

2=

1

2

(1 +

1

k

)k

≥ 1

2· 2

nach Beispiel 2.20.

Satz 2.43 (Wurzelkriterium).

Gegeben sei∞∑k=0

ak mit ak ∈ C. Gilt dann mit einer festen positiven Zahl q < 1

k

√|ak| ≤ q fur alle k ≥ k0,

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85

so ist∞∑k=0

ak absolut konvergent.

Ist jedoch M ⊂ N0 eine unendliche Menge und gilt fur alle k ∈M

k

√|ak| ≥ 1,

so ist∞∑k=0

ak divergent.

Beweis: Aus k

√|ak| ≤ q ergibt sich |ak| ≤ qk fur k ≥ k0 und damit die geometrische

Reihe als konvergente Majorante. Aus der zweiten Bedingung folgt, dass (ak)k∈N0keine

Nullfolge ist. 2

Bemerkung 2.44.

Wir mussen noch zeigen, dass die Entwicklung in p-al-Bruche eindeutig ist (vgl. Satz 1.55).

Dazu uberlegen wir uns zunachst, dass fur eine unendliche Reihe der Form∞∑n=1

anp−n

mit 0 ≤ an ≤ p− 1 fur n ≥ 1 und an0 ≤ p− 2 fur mindestens ein n0 ≥ 1 gilt:

∞∑n=1

anp−n < 1 .

Die Summenformel fur die geometrische Reihe liefert namlich

∞∑n=1

anp−n <

∞∑n=1

(p− 1)p−n = (p− 1)1

p− 1= 1 .

Seien nun

r = c0 +∞∑n=1

cnp−n = d0 +

∞∑n=1

dnp−n

zwei verschiedene p-al-Entwicklungen der nichtnegativen reellen Zahl r gemaß Satz 1.55.Ist m ≥ 0 die kleinste naturliche Zahl mit cm = dm, so erhalten wir

p−m(cm +∞∑n=1

cn+mp−n) = p−m(dm +

∞∑n=1

dn+mp−n)

mit

0 ≤∞∑n=1

cn+mp−n < 1 und 0 ≤

∞∑n=1

dn+mp−n < 1 ,

woraus wegen cm, dm ∈ N0 und

|cm − dm| = |∞∑n=1

cn+mp−n −

∞∑n=1

dn+mp−n| < 1

im Widerspruch zur Voraussetzung cm = dm folgt. Damit ist Satz 1.55 jetzt vollstandigbewiesen.

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86

2.5 Multiplikation von Reihen

Multipliziert man zwei endliche Summen (a1+ . . .+an) und (b1+ . . .+bn) miteinander, sobildet man alle Produkte aibj und summiert sie in einer beliebigen Reihenfolge auf; willman dieses Verfahren auf Reihen ubertragen, so steht man vor dem Problem, dass sich inAbhangigkeit von der Anordnung der Produkte aibj der Reihenwert andern kann.Eine spezielle Anordnung dieser Produkte erhalt man, wenn man sich an der Multiplika-tion zweier Polynome

P1 : R ∋ x 7→n∑

k=0

akxk ∈ R

bzw.

P2 : R ∋ x 7→n∑

k=0

bkxk ∈ R

orientiert. Multipliziert man P1(x) mit P2(x) und sortiert anschließend nach den Potenzenvon x, so gilt:

P1(x)P2(x) =2n∑k=0

ckxk

mitck = a0bk + a1bk−1 + . . .+ akb0 fur 0 ≤ k ≤ 2n,

wobei wir noch ak = 0, bk = 0 fur n < k ≤ 2n gesetzt haben.

Definition 2.45.

Sind zwei absolut konvergente Reihen∞∑k=0

ak bzw.∞∑k=0

bk mit ak, bk ∈ C gegeben, so nennt

man die Reihe∞∑k=0

ck mit

ck =k∑

i=0

aibk−i

das Cauchy-Produkt der Reihen∞∑k=0

ak und∞∑k=0

bk.

Man kann zeigen, dass folgende Aussage richtig ist:

Satz 2.46.

Das Cauchy-Produkt zweier absolut konvergenter Reihen∞∑k=0

ak und∞∑k=0

bk ist absolut

konvergent, und es gilt:∞∑k=0

ck =

( ∞∑k=0

ak

)·( ∞∑

k=0

bk

).

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87

Abbildung 11: Die reelle Exponentialfunktion

Beispiel 2.47 (Die Exponentialfunktion).

Nach Beispiel 2.42 konvergiert die Reihe∞∑k=0

zk

k!fur jedes z ∈ C absolut; den Grenzwert

bezeichnen wir mit exp(z) oder ez. Dadurch definieren wir eine Abbildung

exp : C ∋ z 7→ exp(z) =∞∑k=0

zk

k!∈ C.

Wir berechnen das Cauchy-Produkt der Reihen

exp(z) =∞∑k=0

zk

k!und

∞∑k=0

wk

k!= exp(w).

Es gilt nach dem Binomischen Lehrsatz:

ck :=k∑

i=0

zi

i!

wk−i

(k − i)!=

1

k!

k∑i=0

(k

i

)ziwk−i =

1

k!(z + w)k,

also∞∑k=0

ck =∞∑k=0

1

k!(z + w)k = exp(z + w).

Damit haben wir gemaß Satz 2.46 die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion expbewiesen:

exp(z + w) = exp(z) · exp(w)

fur alle z, w ∈ C. Weiter erhalten wir

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Folgerung 2.48.

a) exp(z) = 0 und exp(−z) = (exp(z))−1 fur alle z ∈ C.

b) exp(z) = exp(z) fur alle z ∈ C.

c) exp(x) > 0 fur alle x ∈ R.

d) exp(n) = en fur alle n ∈ Z.

Beweis: Zu a): Aus der Funktionalgleichung folgt

exp(z)exp(−z) = exp(0) = 1.

Zu b): Sei

sn(z) :=n∑

k=0

zk

k!;

dann gilt gemaß §1.7:

sn(z) =n∑

k=0

zk

k!=

n∑k=0

zk

k!= sn(z).

Grenzubergang n→∞ liefert die Behauptung.

Zu c): Fur x ≥ 0 ist exp(x) ≥ 1 + x ≥ 1 > 0; fur x < 0 ist −x > 0, also exp(−x) > 0,und nach Teil a) ist dann

exp(x) =1

exp(−x)> 0.

Zu d): Fur n ∈ N0 beweisen wir die Behauptung durch Induktion: n = 0 ist klar. Um zuzeigen, dass exp(1) = e gilt, betrachten wir

an =(1 +

1

n

)n

und setzen

sn :=n∑

k=0

1

k!.

Nach Beispiel 2.20 gilt an → e (n → ∞). Weiter konvergiert die Reihe∞∑k=0

1

k!; wir

setzen e′ := limn→∞

sn und zeigen e′ = e: Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt

an =n∑

k=0

(n

k

)1

nk=

n∑k=0

n(n− 1) · . . . · (n− k + 1)

k!nk

= 1 + 1 +n∑

k=2

(1− 1

n

)· . . . ·

(1− k − 1

n

)1

k!≤ sn ;

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89

also ist e ≤ e′ gemaß des Vergleichssatzes. Andererseits gilt fur m ≥ n ≥ 1

am = 1 + 1 +m∑k=2

(1− 1

m

)· . . . ·

(1− k − 1

m

)1

k!

≥ 1 + 1 +n∑

k=2

(1− 1

m

)· . . . ·

(1− k − 1

m

)1

k!

Fur festes n erhalten wir daraus

e = limm→∞

am ≥ sn, also e ≥ e′ .

und damit zusammen e = e′. Nun fuhren wir den Induktionsschritt von n auf n+1 durch:

exp(n+ 1) = exp(n) · exp(1) = en · e = en+1.

Ist n ∈ Z \ N0, so ist −n ∈ N, also

exp(−n) = e−n und damit exp(n) =1

exp(−n)= en.

2

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90

§3 Stetige FunktionenBevor wir uns mit der Definition der Stetigkeit und den Eigenschaften stetiger Funktionennaher beschaftigen, wollen wir im Folgenden ein paar wichtige Beispiele betrachten.

3.1 Reell- bzw. komplexwertige Funktionen

Definition 3.1.

Eine Abbildung von einer nichtleeren Menge X in den Bildbereich R bzw. C heißt reell-bzw. komplexwertige Funktion.

Beispiele 3.2.

Falls X nicht naher spezifiziert ist, handelt es sich um eine beliebige nichtleere Menge.

a) Ist c ∈ R bzw. c ∈ C fest, dann heißt f : X ∋ x 7→ c ∈ K mit K ∈ R,C einekonstante Funktion.

b) Ist X = R bzw. X = C und sind a0, . . . , an ∈ R bzw. a0, . . . , an ∈ C, so heißt

f : X ∋ x 7→n∑

ν=0

aνxν ∈ X

ein Polynom vom Grad ≤ n mit den Koeffizienten a0, . . . , an, n ∈ N0. Ist an = 0,so heißt n der Grad von f . Der Funktion X ∋ x 7→ 0 ∈ X wird der Grad −∞zugeordnet.

c) Ist X = R bzw. X = C, so heißt

f : X ∋ x 7→ |x| ∈ R

die Betragsfunktion.

d) Sind

p1 : X ∋ x 7→n∑

ν=0

aνxν ∈ X

und

p2 : X ∋ x 7→m∑

µ=0

bµxµ ∈ X

mit X = R oder X = C zwei Polynome vom Grad ≤ n bzw. ≤ m und ist

D := x ∈ X | p2(x) = 0,

so wird die rationale Funktion r =p1p2

durch

r : D ∋ x 7→ r(x) =p1(x)

p2(x)∈ X

definiert.

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e) Es sei [a, b] ein Intervall, d.h. a < b, a, b ∈ R; eine Funktion f : [a, b] → K (mitK = R oder K = C) heißt Treppenfunktion, wenn es eine Unterteilung

a = t0 < t1 < . . . < tn−1 < tn = b

von [a, b] und Konstanten c1, . . . , cn ∈ K derart gibt, dass

f(x) = ck fur x ∈ ]tk−1, tk[

und 1 ≤ k ≤ n gilt. In den Unterteilungspunkten tk kann der Funktionswert beliebigsein.

f) Ist ∅ = Y ⊂ X, so heißt

χY : X ∋ x 7→

1 , falls x ∈ Y0 , sonst

∈ R

die charakteristische Funktion der Menge Y . Speziell fur X = R und Y = Q erhaltenwir die Dirichletsche Funktion (auch Dirichletsche Sprungfunktion genannt).

Da der Bildbereich einer reell- bzw. komplexwertigen Funktion ein Korper ist, konnen wirsolche Funktionen additiv und multiplikativ verknupfen.

Definition 3.3.

Ist X = ∅ eine beliebige Menge, so wird die Menge aller reell- bzw. komplexwertigenFunktionen auf X mit Abb (X,R) bzw. Abb (X,C) bezeichnet. Mit K = R oder K = Ckonnen wir fur f, g ∈ Abb (X,K) die Summe f + g, das skalare Vielfache αf fur α ∈ Kund das Produkt fg auf X definieren durch:

f + g : X ∋ x 7→ f(x) + g(x) ∈ K

αf : X ∋ x 7→ αf(x) ∈ K

fg : X ∋ x 7→ f(x)g(x) ∈ K.

Den Quotientenf

gdefiniert man ublicherweise nur auf einer Teilmenge von X, namlich

auf D = x ∈ X | g(x) = 0 durch

f

g: D ∋ x 7→ f(x)

g(x)∈ K.

Definition 3.4.

Eine reell- bzw. komplexwertige Funktion f ∈ Abb(X,K) heißt beschrankt, wenn eineKonstante K > 0 existiert mit |f(x)| ≤ K fur alle x ∈ X, d.h. wenn F (X) ⊂ K eine be-schrankte Menge ist. Die Menge aller beschrankten Funktionen aus Abb(X,K) bezeichnenwir mit B(X,K), K = R oder K = C.

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Definition 3.5.

Ist speziell K = R und f : X → R beschrankt, so existiert nach Satz 1.11 das Infimuumund das Supremum von f(X), etwa

a = inf f(X) und b = sup f(X).

Existiert ein x0 ∈ X mit f(x0) = a, so sagen wir, dass a das Minimum von f auf X istund x0 eine Minimalstelle. Gibt es ein x1 ∈ X mit f(x1) = b, so heißt b das Maximumvon f auf X und x1 eine Maximalstelle. Wir schreiben auch

min f , minx∈X

f(x) oder minf(x) | x ∈ X

bzw.max f , max

x∈Xf(x) oder maxf(x) | x ∈ X.

Ist speziell X ⊂ R und K = R, so konnen wir monotone Funktionen auszeichnen:

Definition 3.6.

Eine Funktion f : R ⊃ X ∋ x 7→ f(x) ∈ R heißt (monoton) wachsend, wenn fur allex1, x2 ∈ X mit x1 < x2 folgt: f(x1) ≤ f(x2). Sie heißt (monoton) fallend, wenn fur allex1, x2 ∈ X mit x1 < x2 folgt: f(x1) ≥ f(x2). Sie heißt streng (monoton) wachsend bzw.fallend, wenn aus x1 < x2, x1, x2 ∈ X, stets f(x1) < f(x2) bzw. f(x1) > f(x2) folgt. fheißt (streng) monoton, wenn f (streng) monoton wachst oder fallt.

Bemerkung 3.7.

Ist f : X → R streng monoton, so ist f injektiv und besitzt damit eine Umkehrabbildungf−1 : f(X)→ R.

3.2 Grenzwerte von Funktionen

Definition 3.8.

Es sei (X, d) ein metrischer Raum und M ⊂ X.

(i) p ∈ X heißt Haufungspunkt der Menge M , wenn zu jedem r > 0 ein xr ∈ M \ pexistiert mit d(xr, p) < r. p ist also genau dann Haufungspunkt von M , wenn eineFolge (pn)n≥1 in M existiert, die gegen p konvergiert, deren Glieder aber alle von pverschieden sind.

(ii) p ∈ X heißt Randpunkt der Menge M , wenn in jeder ε-Umgebung Uε(p) := x ∈X | d(x, p) < ε von p (mit ε > 0) sowohl ein Punkt von M als auch ein Punkt vonX \M liegt. Die Menge aller Randpunkte vom M wird mit ∂M bezeichnet.M :=M \ ∂M heißt Menge der inneren Punkte oder Inneres von M undM :=M ∪ ∂M heißt abgeschlossene Hulle oder Abschluß von M .

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Abbildung 12: Umgebungen Uε(y) und Uδ(a)

(iii) M ⊂ X heißt offene Menge, wenn fur jedes p ∈M ein ε > 0 existiert mit Uε(p) ⊂M .M ⊂ X heißt abgeschlossene Menge , wenn X \M offen ist.

Beispiel 3.9.

Betrachte das Intervall ]0, 1] im metrischen Raum (R, | · |). 0 und 1 sind Haufungspunktevon ]0, 1]. Der Punkt 2 ist aber kein Haufungspunkt von M :=]0, 1] ∪ 2, es giltM=]0, 1[, M = [0, 1] ∪ 2 und ∂M = 0, 1, 2.]0, 1] und auch M sind weder offen noch abgeschlossen.Offenbar ist jedes offene (bzw: abgeschlossene) Intervall aus R eine offene (bzw: abge-schlossene) Menge. Ferner kann man zeigen, dass jede offene Menge aus R abzahlbareVereinigung von offenen Intervallen aus R ist.

Definition 3.10.

Gegeben seien zwei metrische Raume (X, dX) und (Y, dY ), eine nichtleere Menge M ⊂ Xund eine Abbildung f :M → Y . Sei p ein Haufungspunkt von M ; f hat einen Grenzwertq an der Stelle p, wenn fur jede Folge (pn)n≥1 in M \ p mit lim

n→∞pn = p gilt:

limn→∞

f(pn) = q .

Wir schreiben dann: limx→p

f(x) = q.

Beispiele 3.11.

Sei X = Y = R und dX(x, y) = |x− y|.

a) Ist M = ]0, 1] und f : M ∋ x 7→ c ∈ R, so hat f an der Stelle 0 einen Grenzwert,obwohl 0 ∈M . Es gilt:

limx→0

f(x) = c.

b) Ist M = [0, 1] und

g :M ∋ x 7→

0 fur x = 01 sonst

,

so hat g an der Stelle 0 einen Grenzwert, namlich 1, und es ist 1 = g(0) = 0.

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Satz 3.12.

Es seien nun M eine Teilmenge des metrischen Raumes (X, d), p ein Haufungspunkt vonM und f, g ∈ Abb(M,C) mit

limx→p

f(x) = a, limx→p

g(x) = b.

Dann gilt:

a) limx→p

(f + g)(x) = a+ b,

b) limx→p

(λf)(x) = λa fur beliebiges λ ∈ C.

c) limx→p

(fg)(x) = ab,

d) limx→p

(f

g

)(x) =

a

b, wenn b = 0.

Beweis: Die Behauptungen ergeben sich direkt aus Satz 2.13. Wir demonstrieren dies furTeil c): Nach Definition 3.10 genugt es zu zeigen, dass fur jede Folge (pn)n≥1 in M \ pmit lim

n→∞pn = p gilt:

limn→∞

(fg)(pn) = a · b.

Nun ist aber nach Definition 3.3:

(fg)(pn) = f(pn) g(pn).

undlimn→∞

f(pn) = a, limn→∞

g(pn) = b.

Satz 2.13 c) liefert dann die Behauptung. 2

Beispiel 3.13.

Es seien x0 ∈ R und k ∈ N fest, und f : R \ x0 −→ R sei definiert durch

f(x) =xk − xk0x− x0

.

Besitzt f an der Stelle x0 einen Grenzwert? Zunachst ist x0 ein Haufungspunkt des Defi-nitionsbereichs von f . Fur x = x0 ist

xk − xk0x− x0

=k−1∑j=0

xjxk−1−j0 .

Also gilt nach Satz 3.12

limx→x0

f(x) =k−1∑j=0

limx→x0

xjxk−1−j0 = kxk−1

0 .

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3.3 Stetige Funktionen

Definition 3.14.

Seien (X, dX), (Y, dY ) zwei metrische Raume, M ⊂ X, f : M → Y eine Abbildung undp ∈M . f heißt stetig im Punkt p, wenn zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 existiert mit

dY (f(x), f(p)) < ε

fur alle x ∈M , fur diedX(x, p) < δ

gilt. f ist also genau dann stetig im Punkt p, wenn fur jede Folge (xn)n≥1 in M mitlimn→∞

xn = p stets limn→∞

f(xn) = f(p) folgt; ist p Haufungspunkt von M , so ist dies

aquivalent zu limx→p

f(x) = f(p).

Ist f in allen Punkten aus M stetig, so heißt f stetig auf M .Wie bei der Konvergenzdefinition (vgl. Bem. 2.10) reicht es fur die Stetigkeit im Punktp zu zeigen, dass eine Konstante K = K(p) > 0 und zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε, p) > 0existieren mit

dY (f(x), f(p)) < K ·ε

fur alle x ∈M mit dX(x, p) < δ.

Wir betrachten nun ein paar Prozesse, mit denen man aus stetigen Funktionen neuegewinnen kann:

Satz 3.15.

Es seien (X, dX), (Y, dY ) und (Z, dZ) metrische Raume, ∅ = M ⊂ X, f : M → Y ,g : f(M) → Z und h = g f : M → Z. Ist f stetig im Punkt p ∈ M und g stetig imPunkt f(p), so ist h im Punkt p stetig.

Beweis: Sei (xn)n≥1 eine Folge in M mit limn→∞

xn = p; wegen der Stetigkeit von f gilt

limn→∞

f(xn) = f(p). Die Stetigkeit von g im Punkt f(p) liefert dann auch limn→∞

g(f(xn)) =

g(f(p)), d.h. limn→∞

h(xn) = h(p). 2

Direkt aus Satz 3.12 erhalten wir

Satz 3.16.

Seien M eine Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d) sowie f, g : M → C stetigim Punkt p ∈ M und α ∈ C; dann sind auch die Funktionen f + g, αf und fg im

Punkt p stetig. Ist g(p) = 0, so ist auch die Funktionf

g: M ′ → C mit M ′ = x ∈

M | g(x) = 0 im Punkt p stetig. Die Menge aller stetigen reell- bzw. komplexwertigenFunktionen bezeichnen wir mit C(X,R) bzw. C(X,C); manchmal lassen wir auch denKorper weg, wenn aus dem Zusammenhang hervorgeht, ob es sich um komplex- oderreellwertige Funktionen handelt.

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Beispiele 3.17.

a) Jedes Polynom P : C→ C bzw. P : R→ R ist auf C bzw. R stetig.

b) Jede rationale Funktion ist in ihrem Definitionsbereich stetig.

c) Die Dirichlet-Funktion χQ : R → R ist in keinem Punkt x ∈ R stetig. Dagegen istχQ · idR genau im Nullpunkt stetig.

Beweis: Trivialerweise sind π0 : K ∋ x 7→ 1 ∈ K und π1 : K ∋ x 7→ x ∈ K auf Kstetig. Dann liefert Satz 3.16 unter Berucksichtigung von πk(x) = xk = π1(x)

k dieBehauptungen a) und b).

Zu c): Sei p ∈ Q; dann ist

(p+

√2

n

)n≥1

eine Folge in R\Q mit limn→∞

(p+

√2

n

)= p und

limn→∞

χQ

(p+

√2

n

)= 0 = χQ(p).

Ist p ∈ R \Q, etwa p = p0 + a mit p0 ∈ Z und a ∈ ]0, 1], so existiert nach Satz 1.55 eineFolge rationaler Zahlen an mit a = lim

n→∞an; also ist

p = limn→∞

(p0 + an) und p0 + an ∈ Q

sowielimn→∞

χQ(p0 + an) = 1 = χQ(p).

Entsprechend erhalten wir fur p ∈ Q \ 0:

limn→∞

χQ

(p+

√2

n

)·(p+

√2

n

)= 0

undχQ(p) · p = p = 0

sowie fur p ∈ R \Qlimn→∞

χQ(p0 + an)·(p0 + an) = p = 0

undχQ(p) · p = 0.

Ist dagegen p = 0, (pn)n≥1 eine beliebige Folge in R mit limn→∞

pn = 0, so folgt wegen

χQ(pn)·pn = 0 fur pn ∈ R \Q

undχQ(pn)·pn = pn fur pn ∈ Q

auchlimn→∞

χQ(pn)·pn = 0 = χQ(0)·0.2

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3.4 Satze uber stetige Funktionen

Satz 3.18 (Nullstellensatz von Bolzano).Es sei f : [a, b] → R stetig auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] mit f(a) < 0 undf(b) > 0 (oder f(a) > 0 und f(b) < 0). Dann existiert ein x0 ∈ ]a, b[ mit f(x0) = 0.

Beweis: Wir definieren induktiv eine Intervallschachtelung [an, bn] ⊂ [a, b] mit

bn − an = 2−n(b− a)

undf(an) ≤ 0, f(bn) ≥ 0.

a b

f(a)

f(b)

x0

Abbildung 13: Nullstellensatz von Bolzano

Dabei haben wir f(a) < 0 und f(b) > 0 vorausgesetzt. Wir setzen [a0, b0] := [a, b];sei das Intervall [an, bn] mit obigen Eigenschaften schon definiert. Dann betrachten wir

m :=1

2(an + bn); es gibt zwei Falle:

(α) f(m) ≥ 0; dann setzen wir [an+1, bn+1] := [an,m]

(β) f(m) < 0; dann setzen wir [an+1, bn+1] := [m, bn]

Offensichtlich sind die geforderten Eigenschaften fur [an+1, bn+1] erfullt. Sei

x0 = limn→∞

an = limn→∞

bn .

Wegen der Stetigkeit von f folgt

f(x0) = limn→∞

f(an) = limn→∞

f(bn).

Der Vergleichssatz (Satz 2.16) liefert

f(x0) = limn→∞

f(an) ≤ 0 und f(x0) = limn→∞

f(bn) ≥ 0.

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Daraus folgt f(x0) = 0. 2

Folgerung 3.19 (Zwischenwertsatz).

Es sei f : [a, b] → R stetig und c eine reelle Zahl zwischen f(a) und f(b). Dann existiertein x0 ∈ [a, b] mit f(x0) = c.

Abbildung 14: Zwischenwertsatz

Beweis: O.B.d.A. sei f(a) < c < f(b); wir definieren g : [a, b]→ R durch g(x) = f(x)−c.Dann ist g stetig mit g(a) < 0 < g(b). Satz 3.18 liefert die Existenz eines x0 ∈ [a, b] mitg(x0) = 0, d.h. f(x0) = c. 2

Folgerung 3.20.

Ist f : [a, b]→ [a, b] stetig, so existiert ein x0 ∈ [a, b] mit f(x0) = x0; dieser wird Fixpunktvon f genannt.

Beweis: Es ist a ≤ f(x) ≤ b fur alle x ∈ [a, b]. Im Fall a = f(a) oder b = f(b) sind wirfertig. Sei also a < f(a) und f(b) < b; dann besitzt aber die Funktion

g : [a, b] ∋ x 7→ f(x)− x ∈ R

wegen g(a) = f(a) − a > 0 und g(b) = f(b) − b < 0 nach Satz 3.18 eine Nullstellex0 ∈ ]a, b[. Damit hat die Funktion f einen Fixpunkt x0, d.h. ein x0 mit f(x0) = x0. 2

Bevor wir weitere Satze formulieren konnen, benotigen wir noch ein paar Verabredungen:

Definition 3.21.

Es sei (X, d) ein metrischer Raum und K ⊂ X; K heißt kompakt, wenn jede Folge in Keine konvergente Teilfolge besitzt, deren Grenzwert zu K gehort.

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99

Beispiele 3.22.

a) K ⊂ X ist genau dann abgeschlossene Menge, wenn der Grenzwert jeder konver-genten Folge in K zu K gehort.

Ein reelles Intervall ist genau dann abgeschlossen, wenn es von der Form [a, b] mita, b ∈ R und a ≤ b, von der Form ] − ∞, b] mit b ∈ R, [a,∞[ mit a ∈ R oder]−∞,∞[ ist.

b) Eine Teilmenge K ⊂ R bzw. K ⊂ C ist genau dann kompakt, wenn K abgeschlossenund beschrankt ist.

c) Ein reelles Intervall ist also genau dann kompakt, wenn es von der Form [a, b] mita ≤ b ist.

d) Ist ∅ = A ⊂ R kompakt, so existieren x0, x1 ∈ A mit x0 ≤ x ≤ x1 fur alle x ∈ A.

e) Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann ist K ⊂ X genau dann abgeschlossen, wennK = K ist.

Beweis: a), c) und e) sind trivial.Zu b): ⇒: Ware K unbeschrankt, so existierte eine Folge (xn)n≥1 in K mit |xn| > n.Dann ware auch jede Teilfolge hiervon unbeschrankt und damit divergent, Widerspruch;also ist K beschrankt.Ist nun (xn)n≥1 mit xn ∈ K eine konvergente Folge mit lim

n→∞xn = x0 ∈ C, so existiert

wegen der Kompaktheit von K eine Teilfolge von (xn)n≥1, die gegen ein Element aus Kkonvergiert. Da diese Teilfolge ebenfalls gegen x0 konvergiert, folgt: x0 ∈ K, d.h. K istauch abgeschlossen nach a).

⇐: 1) Sei K ⊂ R und (xn)n≥1 eine Folge in K; als beschrankte Folge besitzt (xn)n≥1 einekonvergente Teilfolge (xnk

)k≥1; dies laßt sich mit Hilfe des Prinzips der Intervallschach-telung beweisen. Der Grenzwert sei x0. Wegen der Abgeschlossenheit von K ist x0 ∈ K,d.h. K ist kompakt.

2) Sei K ⊂ C und (zn)n≥1 eine Folge in K; als beschrankte Folge besitzt (Re zn)n≥1 einekonvergente Teilfolge (Re znk

)k≥1 mit Grenzwert x0. Die Folge (Im znk)k≥1 enthalt nun

eine konvergente Teilfolge (Im zmk)k≥1; ihr Grenzwert sei y0. Als Teilfolge von (Re znk

)k≥1

konvergiert (Re zmk)k≥1 ebenfalls gegen x0, und damit ist nach Folgerung 2.12:

limk→∞

zmk= (x0, y0) = z0.

Wegen der Abgeschlossenheit von K ist z0 ∈ K.

Zu d): Als beschrankte Menge besitzt A ein Infimum x0 ∈ R und ein Supremum x1 ∈ R.Dann existieren Folgen (wn)n≥1 und (zn)n≥1 in A mit x0 = lim

n→∞wn und x1 = lim

n→∞zn.

(Ist x0 ∈ A, so wahle wn ∈ A mit x0 < wn < x0 +1n; ist x1 ∈ A, so wahle zn ∈ A mit

x1 − 1n< zn < x1.) Wegen der Abgeschlossenheit von A folgt: x0 ∈ A und x1 ∈ A. 2

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100

Satz 3.23.Sind (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume, K ⊂ X kompakt und f : K → Y stetig, soist auch f(K) kompakt.

Beweis: Sei (f(xn))n≥1 eine Folge in f(K); dann besitzt die Urbildfolge wegen der Kom-paktheit von K eine konvergente Teilfolge (xnk

)k≥1 mit limk→∞

xnk= x0 ∈ K. Die Stetigkeit

von f liefert:limk→∞

f(xnk) = f(x0) ∈ f(K),

d.h. die Kompaktheit von f(K). 2

Folgerung 3.24.

Ist (X, d) ein metrischer Raum, ∅ = K ⊂ X kompakt und f : K → D := f(K) ⊂ Rstetig, so nimmt f Maximum und Minimum aufK an, d.h. es existieren eine Minimalstellex1 ∈ K mit f(x1) = min f , und eine Maximalstelle x2 ∈ K mit f(x2) = max f .

a x1 x2 = b

min D = f(x1)

max D = f(x2)

Abbildung 15: Maximum und Minimum werden auf K = [a, b] angenommen

Beweis: Nach Satz 3.23 und Beispiel 3.22 d) folgt direkt die Behauptung. 2

Folgerung 3.25.

Ist K ⊂ R ein kompaktes Intervall und f : K → R stetig, so ist f(K) entweder eineeinpunktige Menge oder ein kompaktes Intervall.

Beweis: Seien K = [a, b], x0 eine Minimalstelle und x1 eine Maximalstelle von f . ImFall f(x0) = f(x1) ist f(K) = f(x0). Im Fall f(x0) < f(x1) existiert nach demZwischenwertsatz zu jedem c ∈ [f(x0), f(x1)] ein x ∈ [a, b] mit f(x) = c. Also istf(K) = [f(x0), f(x1)]. 2

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101

3.5 Logarithmus und allgemeine Potenzen

Bevor wir uns speziellen Funktionen zuwenden, formulieren wir einen Satz uber die Um-kehrfunktion einer stetigen, streng monotonen Funktion:

Satz 3.26.

Ist f : [a, b]→ R stetig und streng monoton mit A := f(a) und B := f(b), so bildet f dasIntervall [a, b] bijektiv auf das Intervall [A,B] bzw. [B,A] ab, und die Umkehrfunktion

f−1 : [A,B]→ R (bzw. f−1 : [B,A]→ R)

ist ebenfalls stetig und im selben Sinne streng monoton.

Abbildung 16: Umkehrfunktion

Beweis: Der erste Teil der Behauptung folgt aus Bemerkung 3.6 und Folgerung 3.25.O.B.d.A. sei nun f streng monoton wachsend. Aus A ≤ y1 < y2 ≤ B folgt dann mitxi ∈ [a, b], f(xi) = yi sofort x1 < x2; also ist f−1 ebenfalls streng monoton wachsend.Bleibt nur noch die Stetigkeit von f−1 zu zeigen. Sei dazu y0 ∈ [A,B] und (yn)n≥1 eineFolge in [A,B] mit lim

n→∞yn = y0; zur Vereinfachung bezeichnen wir f−1 mit g; dann ist zu

zeigen:limn→∞

g(yn) = g(y0).

Angenommen, dies gilt nicht. Dann existieren ein ε > 0 und eine Teilfolge (ynk)k≥1 von

(yn)n≥1 derart, dass|g(ynk

)− g(y0)| ≥ ε

fur alle k ∈ N gilt. Wegen a ≤ g(ynk) ≤ b ist die Folge (g(ynk

))k≥1, beschrankt, besitztalso eine konvergente Teilfolge; o.B.d.A. konnen wir annehmen, dass (g(ynk

))k≥1 selbstgegen c konvergiert. Der Vergleichssatz liefert

|c− g(y0)| ≥ ε.

Wegen f(g(ynk)) = ynk

folgt aber aus der Stetigkeit von f :

y0 = limk→∞

ynk= lim

k→∞f(g(ynk

))

= f(limk→∞

g(ynk))= f(c),

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102

d.h.g(y0) = g(f(c)) = c,

im Widerspruch zu |c− g(y0)| ≥ ε. 2

Satz und Definition 3.27.

Sei n ∈ N. Die Abbildungπn : [0,∞[→ R

mit πn(x) = xn ist streng monoton wachsend und bildet [0,∞[ bijektiv auf [0,∞[ ab. DieUmkehrfunktion

π−1n : [0,∞[→ R

mit π−1n (x) = n

√x ist ebenfalls stetig und streng monoton wachsend und wird als n-te

Wurzel bezeichnet (vgl. Satz 1.23).

Beweis: Die Stetigkeit von πn wurde in Beispiel 3.17 a) gezeigt. Die strenge Monotoniefolgt direkt aus der Binomischen Formel wegen

xn2 = (x1 + h)n =n∑

k=0

(n

k

)xk1h

n−k > xn1

fur h > 0. Nach Satz 3.26 bildet πn das Intervall [0, k] fur jedes k > 0 bijektiv auf [0, kn]ab. Deshalb ist πn eine bijektive Abbildung von [0,∞[ auf sich. π−1

n ist also definiertauf [0,∞[ mit π−1

n ([0,∞[) = [0,∞[. Schließlich ist π−1n nach Satz 3.26 streng monoton

wachsend und stetig auf [0, kn] fur jedes k > 0, also auch stetig in allen Punkten x ≥ 0.2

Satz und Definition 3.28.

Die Exponentialfunktion exp : R → R ist streng monoton wachsend, stetig (sogar alsAbbildung von C nach C) und bildet R bijektiv auf ]0,∞[ ab. Die Umkehrfunktion (exp)−1

wird mit ln bezeichnet, d.h.ln : ]0,∞[→ R,

und ist ebenfalls stetig sowie streng monoton wachsend und heißt der naturliche Logarith-mus. Es gilt fur alle x, y > 0 die Funktionalgleichung

ln(xy) = lnx+ ln y.

Beweis: Die strenge Monotonie ergibt sich wegen

exp(h) =∞∑k=0

hk

k!> 1

fur h > 0 aus der Funktionalgleichung folgendermaßen: sind x1 < x2, d.h. x2 = x1+h mith > 0, so gilt:

exp(x2) = exp(x1 + h) = exp(x1)exp(h) > exp(x1).

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103

–2

–1

0

1

1 2 3e

8cm

Abbildung 17: Der naturliche Logarithmus

Wir beweisen nun die Stetigkeit von exp als Funktion von C nach C. Seien dazu z0 ∈ Cfest und h ∈ C; dann gilt

|exp(z0 + h)− exp(z0)| = |exp(z0)exp(h)− exp(z0)| = |exp(z0)(exp(h)− 1)|

mit

|exp(h)− 1| =∣∣∣∣∣∞∑k=1

hk

k!

∣∣∣∣∣ ≤ |h|∞∑k=0

|h|k

(k + 1)!≤ |h|

∞∑k=0

|h|k

k!≤ exp(|h|)

Wahlen wir zu vorgegebenem ε > 0 die Große δ(ε) := min(1,ε

e

), so folgt fur alle

|h| < δ(ε) wegen der Monotonie:

|h|exp(|h|) < |h|exp(1) = |h|e < ε

und damit|exp(z0 + h)− exp(z0)| < |exp(z0)|·ε .

Nun zeigen wir:exp(R) = ]0,∞[.

Fur alle n ∈ N0 gilt exp(n) ≥ 1 + n sowie exp(−n) = 1

exp(n)≤ 1

1 + nund somit, also

wegen exp(x) > 0

exp(R) =∪n∈N

[exp(−n), exp(n)] ⊃∪n∈N

[1

1 + n, 1 + n

]=]0,∞[.

Wegen exp(x) > 0 fur alle x ∈ R, d.h. exp(R) ⊂ ]0,∞[, folgt die Behauptung.Also existiert die Umkehrfunktion ln : ]0,∞[→ R. Nach Satz 3.26 ist ln auf jedem Intervall[exp(−n), exp(n)] und folglich in jedem Punkt aus ]0,∞[ stetig.

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104

Die Funktionalgleichung folgt schließlich aus der fur die Exponentialfunktion. Dazu setzenwir

v := ln x, w := ln y

d.h.exp(v) = x, exp(w) = y;

dann folgtexp(v + w) = exp(v)exp(w) = xy

und darausln(xy) = v + w = ln x+ ln y.

2

Satz und Definition 3.29.

Fur a > 0 definieren wir die Exponentialfunktion zur Basis a durch

expa : R ∋ x 7→ exp(x · ln a) ∈ R.

expa ist stetig und streng monoton wachsend fur a > 1 bzw. streng monoton fallend fur0 < a < 1 und bildet R bijektiv auf ]0,∞[ ab. Es gilt

a) expa(x+ y) = expa(x)expa(y) fur alle x, y ∈ R,

b) expa(n) = an fur alle n ∈ Z,

c) expa

(p

q

)= q√ap fur alle p ∈ Z und q ∈ N.

Aufgrund dieser Eigenschaften nennt man expa auch die allgemeine Potenz zur Basis a,und schreibt

ax := expa(x)

(Man beachte: expe(x) = exp x = ex.) Ferner gilt fur alle a, b ∈ ]0,∞[ und alle x, y ∈ R

d) (ax)y = axy,

e) axbx = (ab)x,

f)(1

a

)x

= a−x.

Die Umkehrfunktion (expa)−1 : ]0,∞[→ R ist fur a > 0, a = 1, ebenfalls stetig und streng

monoton. Wir erhalten

(expa)−1(x) =

lnx

ln a

und schreiben dafur loga x. Die Funktion loga heißt Logarithmus zur Basis a. Ist a = 10,so schreiben wir kurz log oder lg statt log10 .

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-3 -2 -1 1 2

x

1

2

3

4

2x

Abbildung 18: Beispiel fur allgemeine Potenzen (a > 1), hier a = 2

-1 1 2 3

x

1

2

3

3-x

Abbildung 19: Beispiel fur allgemeine Potenzen ( 0 < a < 1), hier a = 1/3

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106

3.6 Trigonometrische Funktionen

Definition 3.30.

Fur x ∈ R definieren wir

cosx := Re(eix) = Re(exp(ix)),

sinx := Im(eix) = Im(exp(ix));

es ist also

eix = cos x+ i sin x (Eulersche Formel).

Bemerkung 3.31.

Nach Folgerung 2.48 b) gilt fur x ∈ R : e−ix = eix = eix = cosx− i sin x, also

|eix|2 = eix · eix = e0 = 1.

Stellen wir also die komplexe Zahl eix im cartesischen Koordinatensystem dar, so liegteix auf dem Einheitskreis und cos x ist die Abszisse, sin x die Ordinate des Punktes eix.Ferner ergibt sich daraus und aus der Definition gemaß Folgerung 1.48:

a) cosx =1

2(eix + e−ix), sin x =

1

2i(eix − e−ix)

b) cos(−x) = cos x, sin(−x) = − sinx

c) sin2 x+ cos2 x = 1

d) cos(x+ y) = cosx cos y − sin x sin y

sin(x+ y) = sin x cos y + cos x sin yfur alle x, y ∈ R (Additionstheorem)

Aussage d) folgt aus ei(x+y) = eixeiy mit der Eulerschen Formel:

cos(x+ y) + i sin(x+ y) = (cos x+ i sinx)(cos y + i sin y)

= (cosx cos y − sin x sin y) + i(sinx cos y + cos x sin y).

Fur komplexes z ∈ C wird cos z bzw. sin z in Anlehnung an a) definiert durch

cos z =1

2(eiz + e−iz) bzw. sin z =

1

2i(eiz − e−iz).

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107

Satz 3.32.

Die Funktionen cos : C→ C und sin : C→ C sind stetig, und es gilt fur alle z ∈ C:

cos z =∞∑k=0

(−1)k z2k

(2k)!

bzw.

sin z =∞∑k=0

(−1)k z2k+1

(2k + 1)!.

Beide Reihen konvergieren absolut.

Beweis: Die Stetigkeit ergibt sich aus der Stetigkeit der Abbildungen z 7→ iz undz 7→ −iz sowie der der Exponentialfunktion.Wir beweisen die Darstellung fur die sin-Funktion:

sin z =1

2i

( ∞∑k=0

(iz)k

k!−

∞∑k=0

(−iz)k

k!

)

=1

2i

∞∑k=0

(ik − (−i)k)zk

k!.

Ist nun k gerade, etwa k = 2n, so folgt

ik − (−i)k = i2n − (−1)2ni2n = 0;

ist dagegen k ungerade, etwa k = 2n+ 1, so folgt

1

2i(ik − (−i)k) = 1

2i2 · i2n+1 = i2n = (−1)n.

Entsprechend folgt die Behauptung fur die cos-Funktion. Die absolute Konvergenz ergibtsich direkt aus der der Exponentialreihe (vgl. Beispiel 2.47). 2

Satz 3.33.

Die Funktion cos hat im Intervall [0, 2] genau eine Nullstelle.

Beweis:

• Existenz: Zeige m.H. von Satz 3.32 cos 0 = 1, cos 2 < 0 und verwende den Nullstel-lensatz, Satz 3.18.

• Eindeutigkeit: Zeige sin x > 0 in (0, 2] und damit die strenge Monotonie von cos in[0, 2]; letzteres folgt aus Bemerkung 3.31 d).

2

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108

Definition 3.34.π

2ist die (eindeutig bestimmte) Nullstelle der cos-Funktion im Intervall [0, 2].

Satz 3.35.

Wir erhalten spezielle Werte der Exponential-, Sinus- und Cosinus-Funktion, namlich:

eiπ2 = i, eiπ = −1, ei

3π2 = −i, e2πi = 1

und

t

\\

\\ 0π

6

π

4

π

3

π

3

2π 2π

sin t 0

√1

2

√2

2

√3

2

√4

20 −1 0

cos t

√4

2

√3

2

√2

2

√1

20 −1 0 1.

Beweis: Wegen cosπ

2= 0 folgt sin2 π

2= 1 − cos2

π

2= 1, also wegen der Uberlegungen

beim Beweis zu Satz 3.33: sinπ

2= 1 und damit

eiπ2 = cos

π

2+ i sin

π

2= i.

Weiter ist dann

ein·π2 =

(ei

π2

)n= in =

−1 fur n = 2−i fur n = 31 fur n = 4.

Ferner giltsin 0 = Im ei0 = 0

undcos 0 = Re ei0 = 1.

Die Additionstheoreme (oder die Moivresche Formel) liefern (nachrechnen!)

cos 3x = 4 cos3 x− 3 cos x.

Daraus folgt mit y := cosπ

64y3 − 3y = cos

π

2= 0

und daraus wegen y > 0 :

y = cosπ

6=

√3

2.

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Wegen 0 <π

6< 2 ist:

sinπ

6=(1− cos2

π

6

) 12

=

√1

4=

1

2.

Die Beziehung

cos 2x = cos2 x− sin2 x

liefert dann:

cosπ

3= cos2

π

6− sin2 π

6=

1

2

und damit wegen sinπ

3> 0

sinπ

3=

√1− cos2

π

3=

√3

2.

Schließlich erhalten wir aus cos 2x = 2 cos2 x− 1 mit y = cosπ

4:

2y2 − 1 = 0 oder y =

√2

2

und daraus

sinπ

4=

√1− cos2

π

4=

√2

2.

2

Folgerung 3.36.

Fur alle z ∈ C gilt:

a) cos(z + 2π) = cos z, sin(z + 2π) = sin z

b) cos(z + π) = − cos z, sin(z + π) = − sin z

c) cos z = sin(π

2− z

), sin z = cos

2− z

)Die Eigenschaften in a) bezeichnet man als 2π-Periodizitat der cos- bzw. sin-Funktion.

Beweis: Die Beziehungen ergeben sich direkt aus den Additionstheoremen und Satz 3.35.2

Folgerung 3.37. Die Nullstellenmengen von sin bzw. cos sind:

a) x ∈ C | sin x = 0 = kπ | k ∈ Z und

b) x ∈ C | cos x = 0 =π

2+ kπ | k ∈ Z

.

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Beweis: Sei zunachst x ∈ R:

Zu a): Wegen der Definition vonπ

2und wegen cos(−x) = cosx gilt

cos x > 0 fur alle − π

2< x <

π

2.

Die Beziehung sin x = cos(π

2− x

)liefert damit

sinx > 0 fur alle 0 < x < π ,

und wegen sin(x+ π) = − sin x gilt dann

sin x < 0 fur alle π < x < 2π .

Also sind 0 und π die einzigen Nullstellen von sin im Intervall [0, 2π[. Ist nun x ∈ Rbeliebig mit sinx = 0, so schreiben wir

x

2π=[x

]+ t mit

[x

]∈ Z und t ∈ [0, 1[; daraus

folgtx = 2πm+ r

mit m ∈ Z und mit r ∈ [0, 2π[, also

sin r = sin(x− 2πm) = sinx cos 2πm− sin 2πm cos x

= sinx · 1− 0 · cos x = sin x = 0.

Also ist r = 0 oder r = π und damit

x = 2mπ oder x = (2m+ 1)π.

b) folgt aus a) wegen cosx = − sin(x− π

2

).

Ist z ∈ C und cos z = 0, so folgt Re cos z = 0 und Im cos z = 0. Nun ist aber fur z = x+iymit x, y ∈ R:

cos z = 12(eiz + e−iz)

= 12(eix−y + e−ix+y)

= 12(e−y(cosx+ i sinx) + ey(cosx− i sinx))

= 12(e−y + ey) cos x+ 1

2i(e−y − ey) sin x ,

d.h.

Re cos z =1

2(e−y + ey) cos x = 0

und

Im cos z =1

2(e−y − ey) sin x = 0 .

Daraus folgt cos x = 0 und ey = e−y bzw. y = 0 mit x, y ∈ R.Entsprechend folgt, dass die sin-Funktion nur die angegebenen reellen Nullstellen besitzt.

2

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111

-2 p -p p 2 p

x

-1

1

sin x

Abbildung 20: sin-Funktion auf [−2π, 2π]

-2 p -p p 2 p

x

-1

1

cos x

Abbildung 21: cos-Funktion auf [−2π, 2π]

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112

Definition 3.38.

Fur z ∈ C \π

2+ kπ | k ∈ Z

definieren wir die Tangens-Funktion tan durch

tan z =sin z

cos z,

und fur z ∈ C \ kπ | k ∈ Z sei die Cotangens-Funktion cot durch

cot z =cos z

sin z

gegeben.

Bemerkung 3.39.

a) Wegen Folgerung 3.36 b) gilt fur alle z ∈ C \π

2+ kπ | k ∈ Z

bzw. z ∈ C \ kπ |

k ∈ Z:tan(z + π) = tan z, cot(z + π) = cot z.

In ihren Definitionsbereichen sind also der Tangens bzw. der Cotangens π-periodisch.

b) Es istz ∈ C | tan z = 0 = kπ | k ∈ Z

c) und

z ∈ C | cot z = 0 = (2k + 1)π

2| k ∈ Z .

d) Es ist tan :]− π2, π2[→ R stetig, streng monoton wachsend und bildet ]− π

2, π2[ bijektiv

auf R ab. Die zugehorige Umkehrfunktion heißt Arcus tangens; wir schreiben arctan(oder auch Arctan).

e) Aufgrund der Additionstheoreme fur die sin- bzw. cos-Funktion gilt fur alle x, y ∈ C,fur die tanx, tan y, tan(x+ y) definiert sind mit tan x tan y = 1:

tan(x+ y) =tanx+ tan y

1− tanx tan y.

f) Eine entsprechende Aussage gilt fur die cot-Funktion, namlich

cot(x+ y) =cotx cot y − 1

cotx+ cot y.

Hier wird auch fur x, y ∈ C vorausgesetzt, dass cot x, cot y und cot(x+ y) definiertsind mit cot x+ cot y = 0

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113

-2 p -p p 2 p

x

-1

1

tan x

Abbildung 22: tan-Funktion zwischen −2π und 2π

-2 p -p p 2 p

x

-1

1

cot x

Abbildung 23: cot-Funktion zwischen −2π und 2π

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114

3.7 Uneigentliche Grenzwerte und Grenzwerte im Unendlichen

Unter den divergenten Folgen zeichnen wir noch eine Klasse aus in

Definition 3.40.

Eine reelle Zahlenfolge (an)n≥1 heißt bestimmt divergent gegen +∞ (bzw. −∞), wenn eszu jedem K ∈ R ein N(K) ∈ R gibt, so dass

an > K (bzw. an < K) fur alle n > N(K)

gilt. Wir schreiben an → +∞ oder an → −∞ und nennen limn→∞

an = ±∞ einen uneigent-

lichen Grenzwert der Folge (an)n≥1.

Direkt aus der Definition konnen wir folgende Aussagen herleiten:

Satz 3.41.

a) Ist (an)n≥1 eine Folge mit an > 0 (bzw. an < 0) und limn→∞

an = 0, so besitzt die Folge(1

an

)n≥1

den uneigentlichen Grenzwert +∞ (bzw. −∞).

b) Ist (an)n≥1 bestimmt divergent gegen +∞ (bzw. −∞), so existiert ein n0 ∈ N mit

an = 0 fur alle n ≥ n0, und die Folge(1

an

)n≥n0

konvergiert gegen 0.

c) Gegeben seien drei reelle Folgen (an)n≥1, (bn)n≥1, (cn)n≥1 mit limn→∞

an = +∞,

limn→∞

bn = +∞ und limn→∞

cn = c; dann gilt:

an + bn → +∞, an + cn → +∞

αan →

+∞ fur α > 0

−∞ fur α < 0

anbn → +∞

Uber das Verhalten von (an − bn)n≥1 und(anbn

)n≥1

kann keine allgemeine Aussage

hergeleitet werden.

Mit Hilfe der uneigentlichen Grenzwerte erhalten wir

Definition 3.42.

Sei X ⊂ R nach oben unbeschrankt, (Y, dY ) ein metrischer Raum und f : X → Yeine Funktion. Konvergiert fur jede Folge (xn)n≥1 in X mit lim

n→∞xn = +∞ die Folge

(f(xn))n≥1 stets gegen q ∈ Y , so besitzt f fur x → +∞ den Grenzwert q. Wir schreibendann lim

x→+∞f(x) = q. Entsprechend definieren wir lim

x→−∞f(x) = q, wenn X nach unten

unbeschrankt ist.

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115

Defintion 3.43.

(a) Es seien (X, dX) ein metrischer Raum, M ⊂ X und f :M → R eine Funktion. Ist pein Haufungspunkt von M und gilt f(xn)→ +∞ (bzw. −∞) fur jede Folge (xn)n≥1

in M \ p mit xn → p, so heißt +∞ (bzw. −∞) der uneigentliche Grenzwert vonf fur x→ p; wir schreiben

f(x)→ +∞ (bzw. −∞) fur x→ p

oderlimx→p

f(x) = +∞ (bzw. −∞).

Fur +∞ schreiben wir auch einfach ∞.

(b) Sei X ⊂ R und p Haufungspunkt von X mit (p, p+ ε) ⊂ X fur ein ε > 0. Ist (Y, dY )metrischer Raum, f : X → Y beliebig und existiert ein q ∈ Y , so dass fur jede Folge(xn)n≥1 ⊂ (p, p + ε) mit xn → p gilt f(xn) → q, so heißt q rechtseitiger Grenzwertvon f in p und wir schreiben

f(x)→ q fur x→ p+ oder limx→p+

f(x) = q.

Analog definieren wir den linksseitigen Grenzwert q von f im Punkt p, wenn (p −ε, p) ⊂ X gilt und f(xn)→ q fur jede Folge (xn)n≥1 ⊂ (p− ε, p) mit xn → p erfulltist; wir schreiben dann

f(x)→ q fur x→ p− oder limx→p−

f(x) = q.

(c) Schließlich erklaren wir fur Funktionen f : X ⊂ R → R und einen Haufungspunktp von X analog zu (a) die uneigentlichen rechts- bzw. linksseitigen Grenzwerte

limx→p+

f(x) = ±∞ und limx→p−

f(x) = ±∞.

Ist X ⊂ R nach oben bzw. unten unbeschrankt, so konnen wir auch noch die unei-gentlichen Grenzwert

limx→+∞

f(x) = ±∞ bzw. limx→−∞

f(x) = ±∞

definieren.

Beispiele 3.44.

a) Fur alle k ∈ N0 gilt:

limx→∞

ex

xk=∞.

(ex wachst fur x→∞ schneller gegen ∞ als jede Potenz von x.)

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116

b) Fur alle k ∈ N0 ist

limx→∞

xke−x = 0 und limx→0+

xke1x =∞.

c) Es ist limx→∞

lnx =∞ und limx→0+

lnx = −∞.

d) Ist P ein reelles Polynom der Form

P (x) =n∑

k=0

akxk

mit n ∈ N und an = 0, so gilt

limx→∞

P (x) =

∞, falls an > 0

−∞, falls an < 0

und

limx→−∞

P (x) =

∞, falls (−1)nan > 0

−∞, falls (−1)nan < 0.

e) Fur jedes reelle α > 0 gilt

limx→0+

xα = 0 und limx→0+

x−α =∞.

f) Fur alle α ∈ R mit α > 0 ist

limx→∞

x−α lnx = 0.

(Der Logarithmus wachst fur x → ∞ langsamer gegen ∞ als jede positive Potenzvon x.)

Beweis: Zu a): Fur alle x > 0 gilt

ex =∞∑n=0

xn

n!>

xk+1

(k + 1)!,

alsoex

xk>

x

(k + 1)!,

woraus die Behauptung folgt.

Zu b): Die erste Behauptung folgt mit Satz 3.41 direkt aus a) wegen xke−x =(ex

xk

)−1

;

die zweite folgt ebenfalls aus a) wegen limx→0+

f(x) = limy→∞

f

(1

y

), also

limx→0+

xke1x = lim

y→∞

(1

y

)k

ey = limy→∞

ey

yk=∞.

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117

Zu c): Die erste Behauptung ist klar, da ln : ]0,∞[→ R streng monoton wachsend undbijektiv ist. Daraus folgt dann wie in b):

limx→0+

lnx = limy→∞

ln1

y= − lim

y→∞ln y = −∞.

Zu d): Fur x = 0 gilt: P (x) = anxn(1 +

an−1

anx+ . . .+

a0anxn

); ist an > 0,

K := max

(1, 2n

|an−1||an|

, . . . , 2n|a0||an|

)

und x ≥ K, so folgt

P (x) ≥ 1

2anx

n ≥ 1

2anx

und daraus die Behauptung fur x → ∞. Ist an < 0, so betrachte das Polynom Q mitQ(x) = −P (x); dieses hat den positiven Hochtskoeffizienten −an. Satz 3.41 c) liefertdann die Behauptung. Die Behauptung fur x→ −∞ ergibt sich wegen

P (−x) = (−1)nQ(x)

mit

Q(x) =n∑

k=0

bkxk

undbn = an sowie bk = (−1)k−nak fur 0 ≤ k ≤ n− 1.

Zu e): Sei (xn)n≥1 eine reelle Zahlenfolge mit xn > 0 und limn→∞

xn = 0. Nach Teil c) und

Satz 3.41 folgtlimn→∞

α lnxn = −∞.

Nach Teil b) ist limy→−∞

ey = 0, also insbesondere

limn→∞

xαn = limn→∞

eα lnxn = 0,

d.h. limx→0+

xα = 0. Die zweite Behauptung folgt wegen x−α =1

xαaus Satz 3.41.

Zu f): Sei (xn)n≥1 eine reelle Zahlenfolge mit xn > 0 und limn→∞

xn = ∞; dann ist auch

limn→∞

yn =∞ mit yn := α lnxn. Wegen xαn = eα lnxn = eyn erhalten wir

limn→∞

1

xαnlnxn = lim

n→∞

1

eynynα

= limn→∞

1

αyne

−yn = 0

nach Teil b). 2

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118

§4 DifferentiationIn diesem Paragraphen sei der Definitionsbereich X ⊂ R einer reellwertigen Funktion fstets ein Intervall mit den Endpunkten a und b, ein Halbstrahl (also z.B. [a,+∞), (−∞, b),. . . ) oder ganz R.

4.1 Die Ableitung einer differenzierbaren Funktion

Definition 4.1.

Die Funktion f : X → R heißt differenzierbar im Punkt x0 ∈ X, wenn der Grenzwert

limζ→x0

f(ζ)− f(x0)ζ − x0

existiert und endlich ist. Dieser Limes wird mit f ′(x0) bezeichnet und die Ableitung vonf an der Stelle x0 genannt. Ist f in jedem Punkt x0 ∈ X differenzierbar, so heißt fdifferenzierbar auf X.

Abbildung 24: Steigungsdreieck

Es ist moglich, rechts- bzw. linksseitige Ableitungen von f an einer Stelle x0 ∈ X zudefinieren (vgl. dazu Definition 3.43 (b)). Ist x0 ein Randpunkt von X, so ist in Definition4.1 der Grenzwert naturlich als einseitiger Grenzwert zu verstehen.

Ist f : X → R im Punkt x0 ∈ X differenzierbar, so betrachten wir die Funktion g : R→ Rmit

g(x) = f(x0) + f ′(x0)(x− x0) ;dann ist g affin, d.h. es gilt

g(y)− g(x) = c(y − x) fur alle x, y ∈ R

mit der Konstante c = f ′(x0). Ist ferner die Funktion Fx0 : X → R definiert durch

Fx0 : X ∋ x 7→

f(x)− f(x0)

x− x0fur x = x0

f ′(x0) fur x = x0

∈ R ,

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119

so ist Fx0 im Punkt x0 stetig, und es gilt fur alle x ∈ X:

f(x) = f(x0) + (x− x0)Fx0(x).

Daraus erhalten wir

limx→x0

f(x)− g(x)x− x0

= 0.

Deshalb sagt man, dass die Funktion f in x0 durch g linear approximiert wird. Setzen wir

r(x) := f(x)− g(x) ,

so finden wirf(x) = f(x0) + f ′(x0)(x− x0) + r(x)

mit

limx→x0

r(x)

x− x0= 0.

Aus der Stetigkeit der Abbildung X ∋ x 7→ f(x0) + (x− x0)Fx0(x) ∈ R erhalten wir:

Satz 4.2.

Ist f : X → R differenzierbar im Punkt x0 ∈ X, so ist f auch in x0 stetig.

Bezuglich der in Definition 3.3 eingefuhrten Operationen verhalt sich der Differenzierbar-keitsprozeß aus Definition 4.1 folgendermaßen:

Satz 4.3. (Ableitungsregeln)

Es seien f, g : X → R differenzierbar im Punkt x0 ∈ X und c ∈ R. Dann sind auchf + g, c · f, f · g und f

gdifferenzierbar im Punkt x0. (Dabei ist

fgnaturlich nur fur solche

x ∈ X definiert, fur die g(x) = 0 ist; also muß speziell g(x0) = 0 sein.) Ferner gilt:

a) (f + g)′(x0) = f ′(x0) + g′(x0)

b) (cf)′(x0) = cf ′(x0)

c) (f · g)′(x0) = f ′(x0)g(x0) + f(x0)g′(x0) (Produktregel)

d)

(f

g

)′

(x0) =g(x0)f

′(x0)− g′(x0)f(x0)g2(x0)

(Quotientenregel)

Beweis: a) und b) folgen direkt aus Satz 3.12.

Zu c): Es ist unter Beachtung von Satz 4.2 und Satz 3.12:

f(x)g(x)− f(x0)g(x0)x− x0

= f(x)g(x)− g(x0)x− x0

+ g(x0)f(x)− f(x0)

x− x0

→ f(x0)g′(x0) + g(x0)f

′(x0) fur x→ x0.

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120

Zu d): Wir erhalten wie in Teil c):

f(x)g(x)− f(x0)

g(x0)

x− x0=

1

g(x)g(x0)

[g(x0)

f(x)− f(x0)x− x0

− f(x0)g(x)− g(x0)x− x0

]

→ 1

(g(x0))2[g(x0) · f ′(x0)− g′(x0)f(x0)] .

2

Beispiele 4.4.

a) Ist P ein Polynom der Form P (x) =n∑

k=0

akxk, so ist P in jedem Punkt x ∈ R

differenzierbar mit

P ′(x) =n∑

k=1

kakxk−1 =

n−1∑k=0

(k + 1)ak+1xk;

speziell fur n = 0 erhalten wir P ′(x) = 0 fur alle x ∈ R.In Paragraph 6 werden wir sehen, dass sich konvergente Potenzreihen der Form

P (x) =∞∑k=0

akxk analog differenzieren lassen.

b) Die Funktionen exp, sin, cos : R→ R sind in jedem Punkt x ∈ R differenzierbar mit

exp′(x) = exp(x) = ex ,

sin′(x) = cos x ,

cos′(x) = − sinx ,

tan′(x) = 1 + tan2(x) =1

cos2 x.

c) fn : ]0,∞[ ∋ x 7→ x−n ∈ R, n ∈ N, ist in jedem Punkt x ∈ ]0,∞[ differenzierbar mit

f ′n(x) = −nx−n−1 .

Beweis: Zu a): Wir schreiben πk(x) := xk und erhalten direkt π′0(x) = 0 sowie nach

Beispiel 3.13π′k = kπk−1 fur k ∈ N .

Satz 4.3 a) und b) liefern dann die Behauptung fur P .

Zu b): Es gilt mit h = x− x0 aufgrund der Funktionalgleichung der e-Funktion

limh→0

ex0+h − ex0

h= lim

h→0

ex0(eh − 1)

h= ex0 lim

h→0

eh − 1

h

= ex0 · 1

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121

wegen

|eh − (1 + h)| ≤∞∑k=2

|h|k

k!= |h|2

∞∑k=0

|h|k

(k + 2)!≤

|h|2

2

∞∑k=0

(|h|3

)k

≤ |h|2

22 fur |h| ≤ 3

2,

also ∣∣∣∣∣eh − 1

h− 1

∣∣∣∣∣ ≤ |h| fur |h| ≤ 3

2.

Wegen

sin x− sin y = sin(x+ y

2+x− y2

)− sin

(x+ y

2− x− y

2

)

= sinx+ y

2cos

x− y2

+ cosx+ y

2sin

x− y2

−(sin

x+ y

2cos

x− y2− cos

x+ y

2sin

x− y2

)

= 2 cosx+ y

2sin

x− y2

folgt:

limh→0

sin(x0 + h)− sin(x0)

h= lim

h→0

1

h

(2 cos

(x0 +

h

2

)sin

h

2

)

= limh→0

cos

(x0 +

h

2

)· limh→0

sin h2

h2

= cos(x0) · 1

wegen

limx→0

sinx

x= 1 ,

was sich aus der Reihendarstellung der sin–Funktion (vgl. Satz 3.32) und einer Uberlegungzur Fehlerabschatzung bei einer alternierenden Reihe ergibt (siehe aber auch Satz 4.27unten).

Entsprechend erhalten wir

limh→0

cos(x0 + h)− cos x0h

= limh→0−1

h

(2 sin

(x0 +

h

2

)sin

(h

2

))

= − limh→0

sin

(x0 +

h

2

)· limh→0

sin h2

h2

= − sin(x0).

Alternativ kann man diese Ableitungsregeln durch Differentiation der entsprechenden

Potenzreihen berechnen (vgl. Satz 6.13). Die Formel fur tan =sin

cosfolgt nun aus der

Quotientenregel.

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Zu c): Die Quotientenregel liefert nach Teil a):

f ′n(x0) =

xn0 · 0− nxn−10 · 1

x2n0= −n 1

xn+10

.

2

Ein weiteres Hilfsmittel zur Differentiation von Funktionen liefert

Satz 4.5. (Kettenregel)

Seien f : X → R und g : X ′ → R Funktionen mit f(X) ⊂ X ′. Die Funktion f sei imPunkt x0 ∈ X differenzierbar und g sei in y0 := f(x0) ∈ X ′ differenzierbar. Dann ist dieKomposition g f : X → R im Punkt x0 differenzierbar, und es gilt:

(g f)′(x0) = g′(f(x0)) · f ′(x0).

Beweis: Betrachte die Funktion

Gy0 : X′ ∋ y 7→

g(y)− g(y0)y − y0

fur y = y0

g′(y0) fur y = y0

,

dann ist fur alle y ∈ X ′:g(y)− g(y0) = Gy0(y)(y − y0),

und Gy0 ist im Punkt y0 stetig. Daraus folgt:

(g f)′(x0) = limx→x0

g(f(x))− g(f(x0))x− x0

= limx→x0

Gy0(f(x))(f(x)− f(x0))x− x0

= limx→x0

Gy0(f(x)) limx→x0

f(x)− f(x0)x− x0

= Gy0(f(x0))f′(x0) wegen der Stetigkeit von f im Punkt x0

= g′(f(x0))f′(x0).

2

Beispiel 4.6.

Fur a > 0 erhalten wir(ax)′ = exp′

a(x) = ln a · ax.

Beweis: Es ist mit f(x) = x ln a und g(x) = ex nach Satz 4.5 und Beispiel 4.4 b):

(ax)′ = (g f)′(x) = g′(f(x)) · f ′(x)

= ex·ln a · ln a = ln a · ax.

2

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Satz 4.7.

Sei f : X → R stetig und streng monoton auf X. Dann existiert die Umkehrfunktionf−1 : f(X) → R und ist stetig (siehe Satz 3.26). Ist f im Punkt x0 ∈ X differenzierbarmit f ′(x0) = 0, so ist f−1 in y0 = f(x0) differenzierbar mit

(f−1)′(y0) =1

f ′(x0)=

1

f ′(f−1(y0)).

Beweis: Fur y ∈ f(X) mit y = f(x) gilt gemaß Satz 3.12 wegen der Stetigkeit von f−1

und wegen f ′(x0) = 0:

limy→y0

f−1(y)− f−1(y0)

y − y0= lim

f(x)→f(x0)

x− x0f(x)− f(x0)

= limx→x0

1f(x)−f(x0)

x−x0

=1

f ′(x0).

2

Beispiele 4.8.

a) Fur die n-te Wurzel π−1n (mit π−1

n (x) = n√x = x

1n ) gilt

(π−1n )′(x) =

1

nx

1n−1.

b) Fur x > 0 ist

(ln)′(x) =1

x.

c) Fur α ∈ R sei f : ]0,∞[ ∋ x 7→ xα = eα lnx ∈ R; dann gilt

f ′(x) = α · xα−1.

d) Es ist

(arctan)′(x) =1

1 + x2.

Beweis: Zu a): Gemaß Beispiel 4.4 a) und Satz 4.7 gilt

(π−1n )′(y) =

1

π′n(π

−1n (y))

=1

n(π−1n (y))n−1

=1

nyn−1n

=1

ny

1−nn =

1

ny

1n−1.

Zu b): Nach Beispiel 4.4 b) folgt:

ln′(y) =1

exp′(ln y)=

1

exp(ln y)=

1

y.

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Zu c): Die Kettenregel und b) liefern:

f ′(x) = eα lnx(α lnx)′ = αxα1

x= αxα−1.

Zu d): Nach Satz 4.7 und Beispiel 4.4 b) gilt

(arctan)′(x) =1

(tan)′(arctanx)=

1

1 + tan2(arctanx)=

1

1 + x2.

2

4.2 Relative Extrema. Mittelwertsatze.

Wir wenden den Ableitungsbegriff bei der Kurvendiskussion und hier zunachst bei denlokalen oder relativen Extrema an.

Definition 4.9.

Wir sagen, dass die Funktion f : X → R ein relatives ( oder lokales) Maximum bzw.Minimum an der Stelle x0 ∈ X besitzt, wenn eine UmgebungKδ(x0) = x ∈ R | |x−x0| <δ von x0 existiert mit

f(x) ≤ f(x0) (bzw. f(x) ≥ f(x0))

fur alle x ∈ Kδ(x0) ∩X. Lokale Maxima und Minima heißen auch lokale ( oder relative)Extrema.

Abbildung 25: Lokale Extrema

Satz 4.10. (Notwendiges Kriterium fur lokale Extrema)

Seien f : X → R eine Funktion und x0 ∈ X ein innerer Punkt von X, d.h. es gebe einr > 0 mit Kr(x0) ⊂ X. Ist f im Punkt x0 differenzierbar und besitzt f in x0 ein lokalesExtremum, so ist f ′(x0) = 0.

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Beweis: O.B.d.A. nehmen wir an, dass f in x0 ein relatives Maximum besitzt. Wir wahlenδ > 0 so, dass Kδ(x0) ⊂ X gilt und

f(x) ≤ f(x0)

fur alle x0 − δ < x < x0 + δ. Dann erhalten wir fur x0 − δ < x < x0:

f(x)− f(x0)x− x0

≥ 0,

und fur x0 < x < x0 + δ:f(x)− f(x0)

x− x0≤ 0.

Die Differenzierbarkeit in x0 liefert dann einerseits f ′(x0) ≥ 0 und andererseits f ′(x0) ≤ 0,also f ′(x0) = 0. 2

Satz 4.11. (Satz von Rolle)

Es sei f : [a, b] → R (mit a < b) eine stetige Funktion mit f(a) = f(b); ferner sei f in]a, b[ differenzierbar. Dann exisiert ein x0 ∈]a, b[ mit f ′(x0) = 0.

Beweis: Ist f konstant, so ist die Aussage trivial. Ist f nicht konstant, so existiert einx ∈]a, b[ mit f(x) > f(a) oder f(x) < f(a). Also wird das Maximum oder das Minimumvon f in einem Punkt x0 ∈]a, b[ angenommen (Die Existenz ist nach Folgerung 3.24gesichert.). Satz 4.10 liefert dann die Behauptung. 2

Folgerung 4.12. (Mittelwertsatz der Differentialrechnung)

Es sei f : [a, b]→ R (mit a < b) eine stetige Funktion; ferner sei f in ]a, b[ differenzierbar.Dann existiert ein x0 ∈]a, b[ mit

f(b)− f(a)b− a

= f ′(x0).

Abbildung 26: Mittelwertsatz

Beweis: Betrachte die Funktion φ : [a, b]→ R mit

φ(x) = f(x)− f(b)− f(a)b− a

(x− a);

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dann ist φ auf [a, b] stetig und auf ]a, b[ differenzierbar mit φ(a) = f(a) = φ(b). Nach demSatz von Rolle existiert ein x0 ∈]a, b[ mit φ′(x0) = 0, d.h.

f ′(x0)−f(b)− f(a)

b− a= 0.

2

Folgerung 4.13.

Sind fi : [a, b]→ R stetige, in ]a, b[ differenzierbare Funktionen mit f ′1(x) = f ′

2(x) fur allex ∈ ]a, b[ , so ist f1 = f2 + c mit einer Konstanten c ∈ R. Insbesondere ist f1 konstant,wenn f ′

1 auf ]a, b[ verschwindet.

Beweis: Betrachte ein festes x0 ∈ ]a, b[ und f := f1−f2. Ist nun x ∈ [a, b]\x0 beliebig,so erhalten wir aus Folgerung 4.12 mit a = x0, b = x (oder a = x und b = x0):

f(x)− f(x0)x− x0

= f ′(ξ) = 0 fur ein ξ zwischen x0 und x

oderf(x) = f(x0) = f1(x0)− f2(x0) =: c

d.h.f1(x) = f2(x) + c.

Mit f2 = 0 erhalten wir die zweite Behauptung. 2

Folgerung 4.14. (Verallgemeinerter Mittelwertsatz)

Sind f, g : [a, b]→ R stetig und in ]a, b[ differenzierbar, so existiert ein x0 ∈ ]a, b[ mit

(f(b)− f(a))g′(x0) = (g(b)− g(a))f ′(x0).

Beweis: Betrachte die Funktion φ : [a, b]→ R mit

φ(x) = (f(b)− f(a))g(x)− (g(b)− g(a))f(x);dann ist φ auf [a, b] stetig und auf ]a, b[ differenzierbar mit φ(a) = f(b)g(a)− f(a)g(b) =φ(b). Der Satz von Rolle liefert die Behauptung. 2

Folgerung 4.15.

Es sei f : [a, b]→ R stetig und auf ]a, b[ differenzierbar.

a) Ist f ′(x) ≥ 0 (bzw. f ′(x) > 0) fur alle x ∈ ]a, b[, so ist f monoton (bzw. strengmonoton) wachsend.

b) Ist f ′(x) ≤ 0 (bzw. f ′(x) < 0) fur alle x ∈ ]a, b[, so ist f monoton (bzw. strengmonoton) fallend.

Beweis: Betrachte x1, x2 ∈ [a, b] mit x1 < x2; dann existiert nach Folgerung 4.12 einx0 ∈ ]x1, x2[ mit

f(x2)− f(x1) = (x2 − x1)f ′(x0).

Daraus folgen die Behauptungen. 2

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127

Aus Folgerung 4.15 erhalten wir sofort eine hinreichende Bedingung fur das Vorliegeneines relativen Extremwertes in einem inneren Punkt des Definitionsbereiches:

Satz 4.16.

Es sei f : X → R eine Funktion und δ > 0 derart, dass Kδ(x0) ⊂ X gilt und f auf Kδ(x0)differenzierbar ist mit f ′(x0) = 0. f besitzt an der Stelle x0 ein lokales Maximum bzw.Minimum, wenn gilt:

f ′(x) ≥ 0 fur alle x ∈ ]x0 − δ, x0[ und f ′(x) ≤ 0 fur alle x ∈ ]x0, x0 + δ[

bzw.

f ′(x) ≤ 0 fur alle x ∈ ]x0 − δ, x0[ und f ′(x) ≥ 0 fur alle x ∈ ]x0, x0 + δ[.

Beweis: Folgerung 4.15 liefert, dass f auf [x0 − δ, x0] monoton wachsend bzw. fallend istund auf [x0, x0 + δ] monoton fallend bzw. wachsend. Daraus folgt sofort die Behauptung.

2

Beispiel 4.17.

Wenden wir das Kriterium aus Satz 4.16 auf die Funktion f : R ∋ x 7→ x4 ∈ R an,so erhalten wir f ′(0) = 0 und f ′(x) = 4x3 > 0 fur x > 0 sowie f ′(x) = 4x3 < 0 furx < 0. Also liegt im Punkt x0 = 0 ein relatives Minimum vor. Das sonst haufig benutzteKriterium mit Hilfe der zweiten Ableitung versagt in diesem Fall. Um dieses Kriterium zuformulieren, benotigen wir den Begriff der hoheren Ableitung.

4.3 Hohere Ableitungen. Taylor-Polynome

Definition 4.18.

Induktiv definieren wir die n-te Ableitung (n ∈ N) einer Funktion f : X → R. f heißtn-mal differenzierbar im Punkt x0 ∈ X, wenn ein δ > 0 derart existiert, dass

f : Kδ(x0) ∩X → R

auf Kδ(x0) ∩X (n − 1)-mal differenzierbar ist und die (n − 1)-te Ableitung von f in x0differenzierbar ist. Wir schreiben

f (n)(x0) =dnf(x0)

dxn=

(d

dx

)n

f(x0) = Dnf(x0) :=d

dx

(dn−1

dxn−1f

)(x0).

f heißt n-mal differenzierbar auf (in) X, wenn f in jedem Punkt x0 ∈ X n-mal diffe-renzierbar ist. Ist die n-te Ableitung f (n) : X → R noch stetig, so heißt f n-mal stetigdifferenzierbar. Aus formalen Grunden versteht man unter f (0) die Funktion f selbst.

In Verallgemeinerung der Produktregel erhalten wir fur hohere Ableitungen

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128

Satz 4.19. (Leibniz-Regel)

Sind f, g : X → R in X n-mal differenzierbar, so ist auch fg n-mal differenzierbar, undes gilt fur alle x ∈ X

dn

dxn(f(x)g(x)) =

n∑k=0

(n

k

)f (n−k)(x)g(k)(x).

Beweis: Induktion nach n analog zum Beweis des Binomischen Lehrsatzes, Satz 1.19. 2

Beispiele 4.20.

a) Fur alle n, k ∈ N0 gilt

π(n)k (x) = k(k − 1) · . . . · (k − n+ 1)xk−n,

also speziell π(k)k (x) = k! und π

(n)k (x) = 0 fur n > k (vollstandige Induktion uber n).

b) Es ist stets exp(n)(x) = exp(x) = ex.

c) Es ist

d2

dx2(x2 sinx) = π

(2)2 (x) sin x+ 2π′

2(x)ddx(sinx) + x2 d2

dx2 (sinx)

= 2 sin x+ 4x cos x− x2 sin x

= (2− x2) sin x+ 4x cosx

nach Satz 4.19.

Satz 4.21. (Satz von Taylor)

Es seien f : X → R eine Funktion, x0 und x aus X sowie n ∈ N. Mit ⟨x0, x⟩ =: Ibezeichnen wir das kompakte Intervall mit den Eckpunkten x und x0. Es sei f (n−1)-mal

stetig differenzierbar auf I und es existiere f (n) fur alle z aus dem offenen IntervallI.

Dann existiert ein y0 ∈I derart, dass gilt:

f(x) =n−1∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k +

f (n)(y0)

n!(x− x0)n .

y0 ∈I laßt sich in der Form y0 = x0 + ϑ(x− x0) mit ϑ ∈ ]0, 1[ schreiben.

Tn−1(f, x0) : x 7→n−1∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k

heißt Taylorpolynom (n− 1)-ten Grades von f im Punkt x0 undf (n)(y0)

n!(x− x0)n heißt

Lagrange-Restglied.

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129

Beweis: Betrachte F : I ∋ y 7→n−1∑k=0

f (k)(y)

k!(x − y)k; dann ist F auf I stetig und auf

I

differenzierbar mit

F (x0) =n−1∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k, F (x) = f(x)

undd

dyF (y) =

n−1∑k=0

f (k+1)(y)

k!(x− y)k −

n−1∑k=1

f (k)(y)

(k − 1)!(x− y)k−1

=f (n)(y)

(n− 1)!(x− y)n−1.

Der verallgemeinerte Mittelwertsatz liefert mit g(y) = (x− y)n die Existenz eines y0 ∈I

mit(F (x)− F (x0))g′(y0) = (g(x)− g(x0))F ′(y0)

d.h.

f(x)−n−1∑k=0

f (k)(x0)

k!(x− x0)k =

−(x− x0)n

−n(x− y0)n−1

f (n)(y0)

(n− 1)!(x− y0)n−1

=f (n)(y0)

n!(x− x0)n.

2

Wir wenden Satz 4.21 bei einem hinreichenden Kriterium fur das Vorliegen eines relativenExtremums an:

Satz 4.22. (Hinreichendes Kriterium fur lokale Extrema)

Sei f : [a, b]→ R n-mal stetig differenzierbar auf [a, b], und es gelte fur ein x0 ∈ ]a, b[:

f ′(x0) = f (2)(x0) = . . . = f (n−1)(x0) = 0, aber f (n)(x0) = 0.

Dann besitzt f fur gerades n ∈ N in x0 ein relatives Extremum, und zwar

i) ein lokales Minimum, wenn f (n)(x0) > 0 und

ii) ein lokales Maximum, wenn f (n)(x0) < 0 ist.

Ist n ungerade, so ist f in einer Umgebung von x0 streng monoton, besitzt also dort keinrelatives Extremum.

Beweis: Aus Satz 4.21 folgt:

f(x) = f(x0) +(x− x0)n

n!f (n)(x0 + ϑ(x− x0))

mit ϑ ∈ ]0, 1[. Sei nun o.B.d.A. f (n)(x0) > 0; dann existiert ein δ > 0 mit

f (n)(x) > 0 fur alle a ≤ x0 − δ < x < x0 + δ ≤ b

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130

(Stetigkeit von f (n)). Daher ist

f (n)(x0 + ϑ(x− x0)) > 0 fur alle x0 − δ < x < x0 + δ.

1. Fall: Ist n gerade, so ist (x− x0)n ≥ 0 fur alle x, also

f(x) ≥ f(x0) fur alle x0 − δ < x < x0 + δ .

2. Fall: Ist n ungerade, so betrachten wir das Taylorpolynom (n− 2)-ten Grades von f ′

im Punkt x0, d.h.

f ′(x) =n−2∑k=0

f (k+1)(x0)

k!(x− x0)k +

f (n)(x0 + ϑ(x− x0))(n− 1)!

(x− x0)n−1

mit ϑ ∈ ]0, 1[. Daher ist also fur alle x0 − δ < x < x0 + δ

f ′(x) =f (n)(x0 + ϑ(x− x0))

(n− 1)!(x− x0)n−1

> 0 fur x = x0

= 0 fur x = x0.

Somit ist f in [x0 − δ, x0 + δ] gemaß Folgerung 4.15 streng monoton wachsend. 2

4.4 Konvexe und konkave Funktionen

Definition 4.23.

f : X → R heißt (streng) konvex, wenn fur alle x1, x2 ∈ X und alle λ ∈ ]0, 1[ gilt

f(λx1 + (1− λ)x2)(<)

≤ λf(x1) + (1− λ)f(x2).

f heißt konkav, wenn −f konvex ist.Ist x1 < x2, so bedeutet die Konvexitatsbedingung, dass der Graph von f in [x1, x2]unterhalb der Sekante durch (x1, f(x1)) und (x2, f(x2)) liegt (vgl. Abbildung).

Satz 4.24.

Es sei f : X → R stetig und im InnerenX differenzierbar. Ist f ′ auf

X (streng) monton

wachsend bzw. fallend, so ist f auf X (streng) konvex bzw. konkav.

Beweis: Seien x1, x2 ∈ X und λ ∈ ]0, 1[ vorgegeben und o.B.d.A. gelte x1 < x2. Wirsetzen x := λx1 + (1− λ)x2 und beachten

x2 − x1 = (1− λ)(x2 − x1), x2 − x1 = λ(x2 − x1). (∗)

Nach dem Mittelwertsatz existieren nun Punkte y1 ∈ ]x1, x[ und y2 ∈ ]x, x2[ mit

f(x)− f(x1) = f ′(y1)(x− x1), f(x2)− f(x) = f ′(y2)(x2 − x).

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131

Abbildung 27: Konvexe Funktion

Hieraus und aus (∗) folgt

f(x) = λf(x) + (1− λ)f(x)

= λ[f(x1) + f ′(y1)(x− x1)] + (1− λ)[f(x2)− f ′(y2)(x2 − x)]

= λf(x1) + (1− λ)f(x2) + λ(1− λ)(x2 − x1)[f ′(y1)− f ′(y2)].

Aus y1 < y2 folgen nun die Behauptungen. 2

Anwendung von Folgerung 4.15 liefert aus Satz 4.24 sofort

Satz 4.25.

Es sei f : X → R stetig und im InnerenX von X zweimal differenzierbar.

a) Ist f ′′(x)(>)

≥ 0 fur alle x ∈X, so ist f (streng) konvex.

b) Gilt f ′′(x)(<)

≤ 0 fur alle x ∈X, so ist f (streng) konkav.

Beispiele 4.26.

a) π2n, n ∈ N, ist streng konvex auf R, denn π′2n(x) = 2nx2n−1 ist dort streng monoton

wachsend. π2n+1, n ∈ N, ist streng konkav auf ]−∞, 0[ und streng konvex auf [0,∞[.

b) fα : [0,∞[ ∋ x 7→ xα ist streng konvex auf [0,∞[ fur α > 1 und streng konkav fur0 < α < 1 wegen (xα)′′ = α(α− 1)xα−2 fur x > 0.

c) ln : ]0,∞[→ R ist streng konkav wegend2

dx2ln(x) = − 1

x2.

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132

4.5 Grenzwertbestimmung mittels Differentiation

Satz 4.27. (Regel von de l’Hospital)

Es seien f, g : X → R differenzierbar aufX mit g′(x) = 0 fur alle x ∈

X= ]a, b[ (evtl.

a = −∞ oder b =∞). Gilt eine der Voraussetzungen:

a) limx→a+

f(x) = limx→a+

g(x) = 0,

b) limx→a+

f(x) = ±∞, limx→a+

g(x) = ±∞,

dann ist

limx→a+

f(x)

g(x)= lim

x→a+

f ′(x)

g′(x),

falls der rechtsstehende Limes im eigentlichen oder uneigentlichen Sinne existiert.Eine entsprechende Aussage gilt fur x→ b−.

Beweis: 1. Fall: Es treffe a) zu und es sei a ∈ R. Definiere

F (x) :=

f(x) fur x > a

0 fur x = a, G(x) :=

g(x) fur x > a

0 fur x = a,

dann sind F und G stetig auf [a, b[ und differenzierbar auf ]a, b[. Der verallgemeinerteMWS liefert fur x ∈ ]a, b[ :

f(x)

g(x)=F (x)− F (a)G(x)−G(a)

=F ′(a+ ϑ(x− a))G′(a+ ϑ(x− a))

mit ϑ ∈ ]0, 1[

Mit x→ a+ gilt auch a+ ϑ(x− a)→ a+; daraus folgt die Behauptung.Entsprechend folgt die Behauptung fur b ∈ R und x→ b−.

2. Fall: Es treffe a) zu und es sei a = −∞; wir setzen f1(y) := f(1y

)und g1(y) := g

(1y

);

dann gilt mit h(x) = 1x:

f ′(x)

g′(x)=

(f1 h)′(x)(g1 h)′(x)

=− 1

x2 · f ′1

(1x

)− 1

x2 · g′1(1x

) =f ′1

(1x

)g′1(1x

)Mit x→ −∞ gilt 1

x→ 0− und die Behauptung folgt dann aus dem 1. Fall. Ist b =∞, so

fuhrt die Transformation h auf 1x→ 0+ fur x→ +∞.

3. Fall: Es treffe b) zu und es sei a ∈ R. O.B.d.A. sei g(x) = 0 fur alle x ∈ Kδ(a) ∩X.Dann gilt nach dem verallgemeinerten MWS

(∗) f(x)

g(x)=f(x0)

g(x)+

(1− g(x0)

g(x)

)f ′(x0 + ϑ(x− x0))g′(x0 + ϑ(x− x0))

mit ϑ ∈ ]0, 1[ bei festen x, x0 ∈ Kδ(a) ∩X.

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133

(i) Sei limx→a+

f ′(x)

g′(x)= α ∈ R; δ > δ0 > 0 so gewahlt, dass zu vorgegebenem ε > 0

gilt:

∣∣∣∣∣f ′(x)

g′(x)− α

∣∣∣∣∣ < ε fur alle a < x < a + δ0. Mit x, x0 ∈ ]a, a + δ0[ ist dann auch

x0 + ϑ(x− x0) ∈ ]a, a+ δ0[ fur jedes ϑ ∈ ]0, 1[, also wegen (∗):

f(x)

g(x)− α =

f(x0)

g(x)+

(1− g(x0)

g(x)

)(f ′(x0 + ϑ(x− x0))g′(x0 + ϑ(x− x0))

− α)− αg(x0)

g(x)

oder ∣∣∣∣∣f(x)g(x)− α

∣∣∣∣∣ ≤∣∣∣∣∣f(x0)g(x)

∣∣∣∣∣+∣∣∣∣∣1− g(x0)

g(x)

∣∣∣∣∣ ε+ |α|∣∣∣∣∣g(x0)g(x)

∣∣∣∣∣ .Bei nun festgehaltenem x0 konnen wir wegen lim

x→a+|g(x)| =∞ ein δ1 > 0 so wahlen,

dass fur alle x ∈ ]a, a+ δ1[ gilt:∣∣∣∣∣f(x0)g(x)

∣∣∣∣∣ < ε und

∣∣∣∣∣g(x0)g(x)

∣∣∣∣∣ < ε.

Damit ist fur solche x ∣∣∣∣∣f(x)g(x)− α

∣∣∣∣∣ < ε+ (1 + ε)ε+ |α|ε,

d.h.

limx→a+

f(x)

g(x)= α.

(ii) Ist limx→a+

f ′(x)

g′(x)= ∞, so sei δ > δ0 > 0 so gewahlt, dass zu vorgegebenem M > 0

gilt:f ′(x)

g′(x)> M fur alle a > x < a + δ0. δ1 > 0 wird dann so gewahlt, dass fur alle

x ∈ ]a, a+ δ1[ gilt:f(x0)

g(x)> −1 und 1− g(x0)

g(x)>

1

2.

Dann folgt fur solche x:f(x)

g(x)> −1 + 1

2M,

also

limx→a+

f(x)

g(x)=∞.

Vollig analog wird der Fall a = −∞ behandelt.

Ebenso wird der Fall x→ b− bewiesen. 2

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134

Beispiel 4.28.

Betrachte

limx→0

ex − e−x

x;

es istd

dx(ex − e−x) = ex + e−x und

d

dx(x) = 1 ,

also

limx→0

ex − e−x

x= lim

x→0

ex + e−x

1= 2 .

Damit folgt z.B.

limx→0

ex + e−x − 2

x− ln(1 + x)= lim

x→0

ex − e−x

1− 11+x

= limx→0

(1 + x)ex − e−x

x= 2.

In Erganzung zu Abschnitt 3.7 betrachten wir die Umkehrfunktionen der trigonometri-schen Funktionen:

Beispiele 4.29. (Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen)

(i) Die Funktion sin ist in [−π2, π2] streng monton wachsend und bildet [−π

2, π2] bijektiv

auf [−1, 1] ab. Fur die zugehorige Umkehrfunktion, genannt Arcussinus, gilt

d

dyArc sin y =

1√1− y2

(−1 < y < 1).

(ii) Die Funktion cos ist in [0, π] streng monoton fallend und bildet [0, π] bijektiv auf[−1, 1] ab, fur die zugehorige Umkehrfunktion, genannt Arcuscosinus, gilt

d

dyArc cos y =

−1√1− y2

(−1 < y < 1).

Bemerkung.Die in Beispiel 4.29 definierten Funktionen Arcussinus und Arcuscosinus nennt manHauptzweige von arc sin, arc cos, arc tan.Fur beliebige k ∈ Z gilt:

a) sin bildet [−π2+ kπ, π

2+ kπ] bijektiv auf [−1, 1] ab.

b) cos bildet [kπ, (k + 1)π] bijektiv auf [−1, 1] ab.

Die zugehorigen Umkehrfunktionen heißen fur (festes) k = 0 Nebenzweige von arc sin, arc cos.

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135

Abbildung 28: Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen

§ 5 IntegrationVorbemerkungenUnser nachstes Ziel besteht darin, einer krummlinig begrenzten Flache eine Flachen-maßzahl zuzuordnen. Dabei wollen wir uns der Einfachheit halber zunachst auf solcheFlachen einschranken, die durch die x-Achse, zwei zur y-Achse parallele Geraden durchdie Punkte (a, 0) und (b, 0) mit a < b und den Graphen einer beschrankten, auf demIntervall [a, b] definierten, dort nichtnegativen Funktion f eingeschlossen werden.Sei

T ([a, b]) := φ |φ : [a, b]→ R Treppenfunktion der Vektorraum aller Treppenfunktionen auf [a, b]; siehe Beispiel 3.2 e).Sei φ ∈ T [a, b] := T ([a, b]) sowie

Z1 : a = x0 < x1 < . . . < xn = b

eine Zerlegung von [a, b] mit φ(x) = ck ∀ x ∈ (xk−1, xk), 1 ≤ k ≤ n.Dann ist ∫

φ :=∫ b

aφ(x)dx :=

n∑k=1

ck(xk − xk−1)

unabhangig von der Zerlegung Z1 und heißt das Integral von φ.

Bemerkung: Ist φ(x) ≥ 0 ∀ x ∈ [a, b], so ist∫ b

aφ(x)dx die Flache zwischen der x-Achse

und Gf .

Sei f : [a, b]→ R beschrankt. Dann heißt

∫f :=

∫ b

af(x)dx := inf

∫ b

aφ(x)dx | φ ∈ T [a, b], φ ≥ f

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136

Abbildung 29: Integral einer Treppenfunktion

Oberintegral von f und∫f :=

∫ b

a

f(x)dx := sup ∫ b

aφ(x)dx | φ ∈ T [a, b], φ ≤ f

Unterintegral von f .

f heißt (Riemann)-integrierbar (kurz:f ∈ R[a, b]), wenn∫ b

af =

∫ b

a

f , und man setzt in

diesem Fall ∫f :=

∫ b

af(x)dx :=

∫f =: Integral von f (uber [a, b]).

Man kann zeigen: f : [a, b] → R ist genau dann integrierbar, wenn zu jedem ε > 0Treppenfunktionen φ, ψ ∈ T [a, b] existieren mit

φ ≤ f ≤ ψ und∫ψ −

∫φ ≤ ε.

5.1 Integration und Differentiation

Definition und Satz 5.1.

Im Folgenden sei der Definitionsbereich I einer reellwertigen Funktion f : I → R entwederein beschranktes Intervall mit den Eckpunkten a und b oder ein Halbstrahl der Form]−∞, b] , ]−∞, b[ , [a,∞[ bzw. ]a,∞[ oder ganz R.F : I → R heißt Stammfunktion oder unbestimmtes Integral von f in I, wenn fur allex ∈ I gilt:

F ′(x) = f(x) .

Wir schreiben statt F auch∫f(x) dx.

Besitzt f auf I eine Stammfunktion, so ist f (Riemann)-integrierbar (uber jedes Intervall[α, β] ⊂ I); ferner heißt F (β)−F (α), α, β ∈ I beliebig, das bestimmte Integral uber f vonα bis β , und es gilt (sog. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung)∫ β

αf(x) dx = F (β)− F (α) =: F (x)

∣∣∣βα.

Satz 5.2.

Ist F eine Stammfunktion zu f auf I, so ist F + cπ0 | c ∈ R die Gesamtheit allerStammfunktionen von f in I.

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137

Beweis: Mit F ist auch F+cπ0 eine Stammfunktion zu f . Ist umgekehrt F0 eine beliebigeStammfunktion von f , so gilt gemaß Definition: (F0 − F )′(x) = 0 fur alle x ∈ I. GemaßFolgerung 4.13 ist dann F0 − F konstant. 2

Bemerkungen 5.3.

Sind F,G Stammfunktionen von f in I und sind α, β ∈ I beliebig, so gilt nach Satz 5.2mit einer geeigneten Konstanten c ∈ R:

G(x) = F (x) + c fur alle x ∈ I ,

also ∫ β

αf(x) dx = F (β)− F (α) = (F (β) + c)− (F (α) + c) = G(β)−G(α) .

Demnach ist das bestimmte Integral uber f von α bis β unabhangig von der speziellenWahl der Stammfunktion.

Mit den Ableitungen der in §3 und §4 betrachteten Funktionen erhalten wir:

Beispiele 5.4. ∫xr dx =

1

r + 1xr+1 fur r = −1,

∫ 1

xdx = ln |x| auf einem Intervall, das 0 nicht enthalt,

∫ex dx = ex,

∫sinx dx = − cos x,

∫cos x dx = sin x,

∫ 1

cos2 xdx = tan x fur |x| < π

2,

∫ 1

sin2 xdx = − cot x fur 0 < x < π,

∫ 1√1− x2

dx = Arc sinx fur |x| < 1,

∫ 1

1 + x2dx = Arc tan x,

∫ n∑k=0

akxk dx =

n∑k=0

akk + 1

xk+1,

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138

und damit z.B. ∫ 1

−1(1− 2x+ 3x2) dx = x− x2 + x3

∣∣∣ 1−1

= 4.

Wir halten ein paar Eigenschaften des Integrals fest:

Satz 5.5.

Es sei F eine Stammfunktion von f bzw. G eine Stammfunktion von g auf I; ferner seienc, d ∈ R beliebig sowie α, β, γ ∈ I beliebig. Dann gilt:

a) ∫(cf + dg)(x) dx = c

∫f(x) dx+ d

∫g(x) dx

und ∫ β

α(cf + dg)(x) dx = c

∫ β

αf(x) dx+ d

∫ β

αg(x) dx

(Linearitat des Integrals)

b) ∫ β

αf(x) dx =

∫ γ

αf(x) dx +

∫ β

γf(x) dx

(Intervall-Additivitat)

c) ∫ β

αf(x) dx = −

∫ α

βf(x) dx und

∫ α

αf(x) dx = 0 .

Beweis: Zu a): Die Behauptungen folgen aus

(cF + dG)′ = cF ′ + dG′ = cf + dg .

Zu b) und c): Es ist∫ β

αf(x) dx = F (β)−F (α) = (F (γ)−F (α))+ (F (β)−F (γ)) =

∫ γ

αf(x) dx+

∫ β

γf(x) dx

und ∫ β

αf(x) dx = F (β)− F (α) = −(F (α)− F (β)) = −

∫ α

βf(x) dx

2

Bemerkung 5.6.

Das bestimmte Integral ∫ β

αf(x) dx

laßt sich (wie bereits aus den Vorbemerkungen zu §5 folgt) deuten als Inhalt der Flache,die von der x−Achse, dem Graphen von f und den beiden Geraden x = α und x = β

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139

mit α < β berandet wird. Hierbei sind die Maßzahlen der Flachen, die oberhalb derx−Achse liegen, positiv und entsprechend die der Flachen, die unterhalb der x−Achseliegen, negativ.

Wir konnen uns dies auch folgendermaßen klar machen:Ist α < β und f ≥ 0 auf [α, β] integrierbar mit Stammfunktion F , so unterteilen wir [α, β]in Teilintervalle

α = x0 < x1 < . . . < xn−1 < xn = β .

Dann gilt wegen der Intervalladditivitat∫ β

αf(x) dx =

n−1∑k=0

∫ xk+1

xk

f(x) dx =n−1∑k=0

(F (xk+1)− F (xk)) .

Da F auf [α, β] differenzierbar ist, gibt es nach dem Mittelwertsatz der Differentialrech-nung ein tk ∈]xk, xk+1[ mit

F (xk+1)− F (xk) = F ′(tk)(xk+1 − xk) = f(tk)(xk+1 − xk) .

Also folgt ∫ β

αf(x) dx =

n−1∑k=0

f(tk)(xk+1 − xk) ;

dabei nennt man die rechte Seite dieser Identitat eine Riemann-Summe. Liegen die Teil-punkte nahe genug beieinander, so ist der Flacheninhalt der Flache, die von der x−Achse,dem Graphen von f und den beiden Geraden x = xk und x = xk+1 berandet wird, un-gefahr gleich dem Flacheninhalt des Rechtecks der Breite xk+1 − xk und der Hohe f(tk).

Bemerkung 5.7.

Man kann zeigen: Ist I = [a, b] und f auf I stetig, so besitzt f auf I eine StammfunktionF . Mit Hilfe der Uberlegungen aus Bemerkung 5.6 laßt sich F als Flacheninhaltsfunktiondefinieren.

Eine weitere Moglichkeit zur Berechnung von Stammfunktionen bietet die Produktregelder Differentiation.

Satz 5.8. (Partielle Integration)

Es seien f und g auf I = [a, b] stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt fur beliebigeα, β ∈ I: ∫ β

αf(x)g′(x)dx = f(x)g(x)

∣∣∣βα−∫ β

αf ′(x)g(x)dx.

Beweis: Mit h = f · g gilt nach der Produktregel h′ = f ′g + fg′ , also∫ β

αh′(x) dx = h(β)− h(α) = f(x)g(x)

∣∣∣βα

und andererseits wegen der Linearitat des Integrals∫ β

αh′(x) dx =

∫ β

αf ′(x)g(x) dx+

∫ β

αf(x)g′(x) dx .

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140

2

Beispiele 5.9.

Fur 0 < a < b gilt mit g′ = π0 und f = ln∫ b

alnx dx =

∫ b

a1 · lnx dx

= x lnx∣∣∣ba−∫ b

ax · 1

xdx

= x lnx∣∣∣ba− x

∣∣∣ba= x(lnx− 1)

∣∣∣ba.

Fur beliebige a, b ∈ R gilt∫ b

asin2 x dx = − sin x cos x

∣∣∣ba+∫ b

acos2 x dx

= − sin x cos x∣∣∣ba+∫ b

a(1− sin2 x) dx

= (x− sinx cosx)∣∣∣ba−∫ b

asin2 x dx,

in Form einer Stammfunktion also

2∫

sin2 x dx = x− sinx cosx

und damit ∫sin2 x dx =

1

2(x− sinx cosx).

2

Als Umkehrung der Kettenregel erhalten wir

Satz 5.10. (Substitutionsregel)

Es seien I ein Intervall gemaß Definition 5.1, f : I → R stetig und φ : [a, b] → R stetigdifferenzierbar mit φ([a, b]) ⊂ I. Dann gilt

∫ b

af(φ(t))φ′(t)dt =

∫ φ(b)

φ(a)f(x)dx.

Ist φ injektiv (z.B. φ′(t) = 0 fur alle t ∈ ]a, b[ ), so gilt fur alle α, β ∈ φ([a, b]):∫ β

αf(x)dx =

∫ φ−1(β)

φ−1(α)f(φ(t))φ′(t)dt.

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141

Beweis: Ist F eine Stammfunktion von f auf I, so gilt nach der Kettenregel fur dieFunktion F φ : [a, b]→ R:

(F φ)′(t) = F ′(φ(t))φ′(t) = f(φ(t))φ′(t).

Daraus folgt∫ b

af(φ(t))φ′(t)dt = (F φ)(b)− (F φ)(a) = F (φ(b))− F (φ(a))

=∫ φ(b)

φ(a)f(x)dx.

2

Beispiele 5.11.

Ist φ : [a, b]→ R stetig differenzierbar mit φ(t) = 0 fur alle t ∈ [a, b], so gilt mit f(x) =1

x∫ b

a

φ′(t)

φ(t)dt =

∫ φ(b)

φ(a)

dx

x= ln |x|

∣∣∣φ(b)φ(a)

= ln |φ(t)|∣∣∣ba.

Fur 0 < α < β sei∫ β

αe√xdx zu berechnen. Wir setzen x = φ(t) = t2 fur

√α ≤ t ≤

√β,

dann ist wegen der Injektivitat von φ

∫ β

αe√x dx =

∫ √β

√αet2t dt

= 2

tet ∣∣∣√β√α−∫ √β

√αetdt

= 2et(t− 1)

∣∣∣√β√α

= 2e√x(√x− 1)

∣∣∣βα.

Als Merkregel halten wir hier fest:

Ist x = φ(t) = t2, so giltdx

dt= 2t oder dx = 2t dt. Damit folgt

∫e√x dx =

∫et2t dt = 2et(t− 1) = 2e

√x(√x− 1) .

2

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142

5.2 Integration rationaler Funktionen

Wir gehen von einer rationalen Funktion

D ∋ x 7→ R(x) =P (x)

Q(x)∈ R

mit Polynomen P und Q sowie D = x ∈ R | Q(x) = 0 aus. Ist Grad P ≥ Grad Q (alsoR unecht rational ), lasst sich R durch Polynomdivision in der Form

R(x) = P1(x) +P2(x)

Q(x)

mit Polynomen P1, P2 darstellen, wobei Grad P2 < Grad Q ist (P2/Q ist echt rational ).Zu P1 kann gemaß Beispiel 5.4 eine Stammfunktion berechnet werden. Um fur P2/Qeine Stammfunktion zu finden, stellen wir eine Partialbruchzerlegung von P2/Q her. Dazubenotigen wir die Nullstellen von Q. In diesem Zusammenhang halten wir die folgendenSatze fest:

Satz 5.12. (Fundamentalsatz der Algebra)

a) Ist Q =n∑

k=0

akπk mit ak ∈ C und an = 0 ein (komplexes) Polynom vom Grad n ≥ 1,

so lasst sich Q mit Hilfe seiner verschiedenen Nullstellen z1, . . . , zm ∈ C in der Form

Q(z) = anm∏

µ=1

(z − zµ)νµ , z ∈ C,

darstellen, wobei die νµ ∈ N eindeutig bestimmt sind mitm∑

µ=1

νµ = n. ( νµ heißt

Vielfachheit der Nullstelle zµ.)

b) Sind alle Koeffizienten ak von Q reell mit an = 0, so ist mit zµ stets auch zµ eineNullstelle von Q mit gleicher Vielfachheit. Fassen wir die Produkte mit zµ und zµzusammen, so erhalten wir fur x ∈ R die Darstellung

Q(x) = ans∏

j=1

(x− xj)kjr∏

ℓ=1

(x2 + Aℓx+Bℓ)mℓ

mit kj,mℓ ∈ N sowies∑

j=1

kj + 2r∑

ℓ=1

mℓ = n.

Dabei sind x1, . . . , xs die verschiedenen reellen Nullstellen von Q, und keines derunter sich verschiedenen Polynome x 7→ x2+Aℓx+Bℓ mit Aℓ, Bℓ ∈ R hat eine reelleNullstelle.

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143

Satz 5.13. (Partialbruchzerlegung)

Gegeben sei eine rationale Funktion P2/Q mit reellen Polynomen P2 und Q, es gelteGrad P2 < Grad Q. Hat Q die Darstellung aus Satz 5.12 b), so lasst sich P2/Q infolgender Form zerlegen:

anP2(x)

Q(x)=

s∑j=1

kj∑ν=1

Ajν

(x− xj)ν+

r∑ℓ=1

mℓ∑µ=1

Bℓµx+ Cℓµ

(x2 + Aℓx+Bℓ)µ.

Die Berechnung der Koeffizienten Ajν , Bℓµ und Cℓµ ist auf (mindestens) drei Arten mog-lich:

i) durch Koeffizientenvergleich,

ii) durch Einsetzen spezieller Werte,

iii) durch die Grenzwertmethode.

Wir werden diese drei Verfahren an Beispielen erlautern.

Beispiele 5.14.

a) Sei

R(x) =x2 + 2x+ 3

(x− 1)2(x+ 1)2;

dann erhalten wir gemaß Satz 5.13 die Partialbruchzerlegung

(∗) R(x) =A11

x− 1+

A12

(x− 1)2+

A21

x+ 1+

A22

(x+ 1)2,

nach Multiplikation mit dem Hauptnenner N(x) folgt fur alle x ∈ R (!)

(∗∗) R(x)N(x) = A11(x−1)(x+1)2+A12(x+1)2+A21(x−1)2(x+1)+A22(x−1)2.

Zum Koeffizientenvergleich wird ausmultipliziert

x2+2x+3 = A11(x3+x2−x−1)+A12(x

2+2x+1)+A21(x3−x2−x+1)+A22(x

2−2x+1),

es ist alsoA11 + A21 = 0

A11 + A12 − A21 + A22 = 1

−A11 + 2A12 − A21 − 2A22 = 2

−A11 + A12 + A21 + A22 = 3

Der Gauß-Algorithmus, angewandt auf die erweiterte Koeffizientenmatrix des obigenGleichungssystems mit den Unbekannten A11, A12, A21, A22, liefert die Dreiecksge-stalt:

1 0 1 0 00 1 −2 1 10 0 1 −1 00 0 0 4 2

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144

und damit

A22 =1

2, A21 =

1

2

A12 =3

2, A11 = −

1

2.

Durch Einsetzen von vier verschiedenen Werten (besonders zu empfehlen sind dieNullstellen des Nenners von R) in (∗∗) erhalten wir ebenfalls vier Gleichungen mitvier Unbekannten und dann nach dem Gauß-Algorithmus wieder die obige Losung.

Um die Grenzwertmethode anzuwenden, multipliziere man (∗) mit (x− 1)2, d.h.

x2 + 2x+ 3

(x+ 1)2= A12 + (x− 1)2

[A11

x− 1+

A21

x+ 1+

A22

(x+ 1)2

],

und hieraus folgt

A12 = limx→1

x2 + 2x+ 3

(x+ 1)2=

3

2.

Entsprechend folgt

A22 = limx→−1

x2 + 2x+ 3

(x− 1)2=

1

2.

Durch Substitution der TermeA12

(x− 1)2und

A22

(x+ 1)2von R(x) erhalten wir

R∗(x) = − 1

(x− 1)(x+ 1)=

A11

x− 1+

A21

x+ 1

und hieraus

A11 = limx→1− 1

x+ 1= −1

2

sowie

A21 = limx→−1

− 1

x− 1=

1

2.

b) Sei

R(x) =x− 2

x3 − 3x2 + 4x− 2;

nun giltx3 − 3x2 + 4x− 2 = (x− 1)(x− (1 + i))(x− (1− i))

= (x− 1)(x2 − 2x+ 2).

Damit lautet die Partialbruchzerlegung

R(x) =A11

x− 1+B11x+ C11

x2 − 2x+ 2;

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145

also gilt

x− 2 = A11(x2 − 2x+ 2) + (B11x+ C11)(x− 1)

= (A11 +B11)x2 + (−2A11 −B11 + C11)x+ 2A11 − C11.

Koeffizientenvergleich liefert

A11 + B11 = 0

−2A11 − B11 + C11 = 1

2A11 − C11 = −2

Als Losung erhalten wir

A11 = −1, B11 = 1, C11 = 0.

2

Gemaß Satz 5.13 kann also die Integration (echt) rationaler Funktionen auf die Integrationeiniger einfacher Funktionen zuruckgefuhrt werden; es gilt

i)∫ A

x− xjdx = A · ln |x− xj|,

ii)∫ A

(x− xj)νdx =

A

−ν + 1(x− xj)−ν+1 fur ν > 1,

iii)∫ Bx+ C

(x2 + 2αx+ β)kdx =

B

2

∫ 2x+ 2α

(x2 + 2αx+ β)kdx+ (C −Bα)

∫ dx

(x2 + 2αx+ β)k,

wobei x2 + 2αx+ β > 0 ist fur alle x ∈ R.

Zunachst gilt nach Beispiel 5.11∫ 2x+ 2α

x2 + 2αx+ βdx = ln(x2 + 2αx+ β)

und mittels Substitution y = x2 + 2αx+ β folgt∫ 2x+ 2α

(x2 + 2αx+ β)kdx =

1

−k + 1(x2 + 2αx+ β)−k+1 fur k > 1.

Es bleibt noch das Integral∫ dx

(x2 + 2αx+ β)kzu bestimmen. Wegen x2 + 2αx + β > 0

fur x ∈ R folgt

x2 + 2αx+ β = (β − α2)

( x+ α√β − α2

)2

+ 1

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146

mit β − α2 > 0. Wir substituieren

x = φ(t) = t ·√β − α2 − α

d.h.

t =x+ α√β − α2

;

dann gilt:∫ dx

(x2 + 2αx+ β)k=

∫ 1

((β − α2)(t2 + 1))k

√β − α2dt = K

∫ dt

(t2 + 1)k.

Fur das verbleibende Integral lasst sich eine Rekursionsformel herleiten, es gilt fur k > 1:

Ik :=∫ dt

(t2 + 1)k=

∫ dt

(t2 + 1)k−1−∫ t2

(t2 + 1)kdt

= Ik−1 −∫ t

2· 2t

(t2 + 1)kdt (partielle Integration)

= Ik−1 −(t

2

1

(−k + 1)(t2 + 1)−k+1 − 1

2

1

(−k + 1)

∫ dt

(t2 + 1)k−1

)

=

(1 +

1

2

1

(−k + 1)

)Ik−1 −

t

2

1

(−k + 1)(t2 + 1)−k+1.

Beginn der Rekursion ist

I1 =∫ dt

t2 + 1= arctan t.

Beispiele 5.15.

a) Gemaß Beispiel 5.14 a) gilt:∫ x2 + 2x+ 3

(x− 1)2(x+ 1)2dx = −1

2

∫ dx

x− 1+

3

2

∫ dx

(x− 1)2+

1

2

∫ dx

x+ 1+

1

2

∫ dx

(x+ 1)2

= −1

2ln |x− 1| − 3

2· 1

x− 1+

1

2ln |x+ 1| − 1

2· 1

x+ 1

=1

2ln∣∣∣∣x+ 1

x− 1

∣∣∣∣− 2x+ 1

x2 − 1.

b) Fur das Beispiel aus 5.14 b) folgt∫ x− 2

x3 − 3x2 + 4x− 2dx = −

∫ dx

x− 1+∫ xdx

x2 − 2x+ 2

= − ln |x− 1|+ 1

2

∫ 2x− 2

x2 − 2x+ 2dx+

∫ dx

(x− 1)2 + 1

= − ln |x− 1|+ 1

2ln(x2 − 2x+ 2) +

∫ dt

t2 + 1(t = x− 1)

= − ln |x− 1|+ 1

2ln(x2 − 2x+ 2) + arctan(x− 1).

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147

5.3 Uneigentliche Integrale

Ziel: Integration unbeschrankter Funktionen, Integration uber unendliche Intervalle.

Der Interpretation des bestimmten Integrals als Flachenmaßzahl liegen im Wesentlichenzwei Voraussetzungen zugrunde: Erstens ist der Integrationsbereich [a, b] beschrankt undzweitens ist die zu integrierende Funktion beschrankt. In gewissen Fallen kann auf dieseVoraussetzungen verzichtet werden; dann gelangt man zu den sog. uneigentlichen Inte-gralen. Wir betrachten drei Falle:

(i) Eine Integrationsgrenze ist unendlich.

(ii) Der Integrand ist an einer Integrationsgrenze nicht definiert.

(iii) Beide Integrationsgrenzen sind kritisch.

Abbildung 30: Uneigentliche Integrale

Wir betrachten zunachst drei Beipiele:

Beipiele 5.16.

F (x) :=∫ x

0e−t dt = −e−t

∣∣∣∣x0= 1− e−x =⇒ lim

x→∞F (x) = 1,

G(x) :=∫ 1

x

dt√t= 2√t∣∣∣∣1x= 2(1−

√x) =⇒ lim

x→0+G(x) = 2,

aber

limx→0+

∫ 1

x

dt

t= lim

x→0+log t

∣∣∣∣1x= lim

x→0+(− log x) = +∞.

Definition 5.17.

Es sei f : [a,∞[ → R uber jedem Intervall [a, b] mit b > a integrierbar. Existiert derGrenzwert

limb→∞

∫ b

af(x)dx,

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148

so heißt das Integral∫ ∞

af(x)dx konvergent und man setzt fur dessen Wert

∫ ∞

af(x)dx := lim

b→∞

∫ b

af(x)dx.

Existiert der Grenzwert nicht, so heißt das uneigentliche Integral∫ ∞

af(x)dx divergent.

Existiert limb→∞

∫ b

a|f(x)|dx, so heißt das uneigentliche Integral absolut konvergent. Analog

definiert man im Fall f : ]−∞, b]→ R das uneigentliche Integral∫ b

−∞f(x)dx.

Beispiel 5.18. ∫ ∞

1

dx

xs

konvergiert genau dann, wenn s > 1 ist.

Beweis: Es gilt fur beliebiges b > 1:

∫ b

1

dx

xs=

b1−s

1− s− 1

1− sfur s = 1

ln b fur s = 1

Durch Grenzubergang b→∞ ergibt sich sofort die Behauptung. 2

Zwischen uneigentlichen Integralen und Reihen besteht ein enger Zusammenhang.

Satz 5.19. (Integralkriterium fur unendliche Reihen)

Ist fur ein n0 ∈ N die Funktion f : [n0,∞[ → R nichtnegativ und monoton fallend undbesitzt f auf jedem Intervall [n0, R] mit R > n0 eine Stammfunktion, so konvergiert das

uneigentliche Integral∫ ∞

n0

f(x)dx genau dann, wenn die Reihe∞∑

k=n0

f(k) konvergiert.

Beweis: Aus f(k) ≤ f(x) ≤ f(k − 1) fur k − 1 ≤ x ≤ k folgt

f(k) ≤∫ k

k−1f(x)dx ≤ f(k − 1),

also

(∗)N∑

k=n0+1

f(k) ≤∫ N

n0

f(x)dx ≤N−1∑k=n0

f(k)

fur alle N > n0.

>: Ist∫ ∞

n0

f(x)dx konvergent, so ist nach (∗) die Reihe∞∑

k=n0

f(k) beschrankt, also konver-

gent.

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149

<: Ist∞∑

k=n0

f(k) konvergent, so folgt aus (∗), dass mit einer Konstanten K > 0 fur alle

t ≥ n0 gilt:∫ t

n0

f(x)dx ≤ K. Die Funktion

F (t) :=∫ t

n0

f(x)dx

ist also monoton wachsend und beschrankt. Sei s = supt≥n0

F (t) und ϵ > 0. Dann existiert

ein t0 ∈ R mits− ϵ < F (t0) ≤ s ,

also gilt fur alle t ≥ t0s− ϵ < F (t) ≤ s ,

daher ist s = limt→∞

F (t). 2

Beispiel 5.20.

Wir untersuchen∞∑n=2

1

n · ln(n)auf Konvergenz; zunachst ist f : [2,∞[ ∋ x 7→ x · lnx

monoton wachsend, also g =1

fmonoton fallend, und wir erhalten

∫ ∞

2

dx

x lnx= lim

b→∞

∫ b

2

dx

x lnx= lim

b→∞ln(lnx)

∣∣∣b2

= limb→∞

ln(ln b)− ln(ln 2) =∞.

Also divergiert die obige Reihe.

Wir untersuchen nun den oben angegebenen Fall (ii):

Definition 5.21.

Es sei f : ]a, b] → R eine Funktion, die uber jedem Teilintervall [α, b] mit a < α < bintegrierbar ist. Existiert der Grenzwert

limα→a+

∫ b

αf(x)dx,

so heißt das Integral∫ b

af(x)dx konvergent und man setzt

∫ b

af(x)dx = lim

α→a+

∫ b

αf(x)dx.

Existiert der Grenzwert nicht, so heißt das Integral divergent. Analog definiert man das

Integral∫ b

af(x)dx fur bei b nicht definiertem f .

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150

Beispiele 5.22.

a) Fur α = −1 gilt∫ 1

0xαdx = lim

ϵ→0+

∫ 1

ϵxαdx = lim

ϵ→0+

1

α + 1(1− ϵα+1)

=

1

α + 1fur α > −1

∞ fur α < −1.

Fur α = −1 erhalt man ∫ 1

0

dx

x= − lim

ϵ→0+ln ϵ =∞.

Also konvergiert das Integral∫ 1

0xαdx genau fur α > −1.

b) Es ist∫ 1

0

dx√1− x2

= limϵ→0+

∫ 1−ϵ

0

dx√1− x2

= limϵ→0+

(Arcsin (1− ϵ)− Arcsin 0)

= Arcsin 1 =π

2.

Wir wollen nun auf den vorne erwahnten Fall (iii) naher eingehen:

Definition 5.23.

Sei f : ]a, b[→ R mit a ∈ R ∪ −∞, b ∈ R ∪ ∞ eine Funktion, die auf jedemIntervall [α, β] ⊂ ]a, b[ integrierbar ist, und ferner sei c ∈ [a, b] beliebig. Existieren dieuneigentlichen Integrale ∫ c

af(x)dx = lim

α→a+

∫ c

αf(x)dx

und ∫ b

cf(x)dx = lim

β→b−

∫ β

cf(x)dx,

so heißt das Integral∫ b

af(x)dx konvergent , und wir setzen

∫ b

af(x)dx =

∫ c

af(x)dx+

∫ b

cf(x)dx.

Im Fall a = −∞ bzw. b =∞ fordern wir naturlich die Existenz von∫ c

−∞f(x)dx bzw.

∫ ∞

cf(x)dx.

Wie man sich leicht uberlegt, ist diese Definition von der Wahl des Punktes c ∈ ]a, b[unabhangig.

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151

Beispiele 5.24.

a) Nach Beispiel 5.18 und 5.22 a) ist∫ ∞

0

dx

xsfur jedes s ∈ R divergent.

b) Es ist

∫ ∞

−∞

dx

1 + x2= lim

R→∞

∫ 0

−R

dx

1 + x2+ lim

R→∞

∫ R

0

dx

1 + x2

= − limR→∞

Arctan (−R) + limR→∞

Arctan R =π

2+π

2= π.

Satz und Definition 5.25.

Fur jedes x > 0 konvergiert das uneigentliche Integral∫ ∞

0e−t · tx−1dt =: Γ(x).

Die dadurch definierte Funktion Γ : ]0,∞[→ R heißt Gamma-Funktion .

Abbildung 31: Gamma-Funktion

Beweis: Wir betrachten die beiden Integrale

I1 :=∫ 1

0e−ttx−1dt und I2 :=

∫ ∞

1e−ttx−1dt.

α) Fur x ≥ 1 ist I1 ein eigentliches Integral, und fur 0 < x < 1 und 0 < t ≤ 1 gilt

|e−ttx−1| ≤ tx−1.

Damit ist ∫ 1

ϵe−ttx−1dt ≤

∫ 1

ϵtx−1dt fur 0 < ϵ < 1,

und Beispiel 5.22 a) liefert die Konvergenz von I1.

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152

β) Wegen limt→∞

e−t2 tx−1 = 0 existiert ein t0 > 0 mit e−

t2 tx−1 ≤ 1 fur alle t ≥ t0; damit

ist|e−ttx−1| = e−

t2

(e−

t2 tx−1

)≤ e−

t2

fur alle t ≥ t0. Da das uneigentliche Integral∫ ∞

t0e−

t2dt konvergiert, konvergiert auch

das uneigentliche Integral∫ ∞

t0e−ttx−1dt und damit I2. 2

Satz 5.26.

Fur alle x > 0 gilt die Funktionalgleichung der Gamma-Funktion:

x · Γ(x) = Γ(x+ 1);

es gilt Γ(1) = 1 und Γ(n+ 1) = n! fur alle n ∈ N0.

Beweis: Partielle Integration liefert∫ R

ϵe−ttxdt = −txe−t

∣∣∣Rϵ+ x

∫ R

ϵtx−1e−tdt

= −Rxe−R + ϵxe−ϵ + x∫ R

ϵtx−1e−tdt,

also

Γ(x+ 1) = limϵ→0+R→∞

∫ R

ϵe−ttxdt

= limR→∞

−Rxe−R + limϵ→0+

ϵxe−ϵ + x limϵ→0+R→∞

∫ R

ϵtx−1e−tdt

= x · Γ(x).Ferner ist

Γ(1) = limR→∞

∫ R

0e−tdt = lim

R→∞(1− e−R) = 1.

Durch Induktion nach n folgt daraus der Zusammenhang zur Fakultat. 2

Satz 5.27.

Fur jedes x > 0 gilt:

Γ(x) = limn→∞

n! · nx

x(x+ 1) · . . . · (x+ n).

Wir beweisen zur Vorbereitung des u.a. Satzes 5.29 eine Rekursionsformel fur Im(x) :=∫sinm xdx, die auch fur sich gesehen eine interessante Beziehung liefert. Eine entspre-

chende Formel laßt sich auch fur∫cosm xdx beweisen.

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153

Satz 5.28.

Es gilt fur alle m ≥ 2:

Im(x) = −1

mcos x · sinm−1 x+

m− 1

mIm−2(x)

mitI0(x) = x und I1(x) = − cosx.

Beweis: Partielle Integration liefert

Im(x) = −∫sinm−1 x(− sin x)dx

= − cosx · sinm−1 x+ (m− 1)∫cos2 x sinm−2 x dx

= − cosx · sinm−1 x+ (m− 1)Im−2(x)− (m− 1)Im(x).

2

Satz 5.29. (Wallissches Produkt)

Es giltπ

2=

∞∏n=1

4n2

4n2 − 1:= lim

k→∞

k∏n=1

4n2

4n2 − 1

Beweis:Wir erhalten aus Satz 5.28 folgende Rekursionsformel fur die bestimmten Intgrale

Am :=∫ π

2

0sinm x dx,

namlich

Am =m− 1

mAm−2 mit A0 =

π

2und A1 = 1.

Daraus folgt

A2n =(2n− 1)(2n− 3) · . . . · 3 · 1

2n(2n− 2) · . . . · 4 · 2· π2=

(n∏

k=1

2k − 1

2k

2

und

A2n+1 =2n(2n− 2) · . . . · 4 · 2

(2n+ 1)(2n− 1) · . . . · 5 · 3· 1 =

n∏k=1

2k

2k + 1.

Wegen sin2n+2 x ≤ sin2n+1 x ≤ sin2n x fur x ∈[0, π

2

]gilt

A2n+2 ≤ A2n+1 ≤ A2n.

Also folgt aus

limn→∞

A2n+2

A2n

= limn→∞

2n+ 1

2n+ 2= 1

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154

auch

limn→∞

A2n+1

A2n

= 1.

Nun ist aberA2n+1

A2n

=n∏

k=1

(2k)2

(2k + 1)(2k − 1)· 2π=

2

π

n∏k=1

4k2

4k2 − 1.

2

Als Anwendung liefert das Wallissche Produkt:

Satz 5.30. (Gauß’sches Fehlerintegral)

Es gilt ∫ ∞

−∞e−x2

dx = Γ(1

2

)=√π.

Beweis: Die Substitution x =√t liefert fur ϵ > 0 und R > ϵ:

∫ R

ϵe−x2

dx =1

2

∫ R2

ϵ2t−

12 e−tdt

Grenzubergang ϵ→ 0+ und R→∞ ergibt

∫ ∞

0e−x2

dx =1

2Γ(1

2

)

und damit ∫ ∞

−∞e−x2

dx = 2∫ ∞

0e−x2

dx = Γ(1

2

).

Nun ist nach Satz 5.27:

Γ(1

2

)= lim

n→∞

n!√n

12

(1 + 1

2

)· . . . ·

(n+ 1

2

) = limn→∞

n!√n(

1− 12

) (2− 1

2

)· . . . ·

(n− 1

2

) (n+ 1

2

) ,also nach Satz 5.29

Γ(1

2

)2

= limn→∞

2n

n+ 12

n∏k=1

k2

k2 − 14

= 2 ·∞∏k=1

4k2

4k2 − 1= 2 · π

2= π,

d.h.

Γ(1

2

)=√π.

2

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155

5.4 Naherungsweise Integration

Die geometrische Interpretation des bestimmten Integrals fuhrt zu Naherungsverfahrenzur Berechnung von ∫ β

αf(x) dx ,

wenn das Integral nicht geschlossen berechnet werden kann. Hierzu wahlen wir eineSchrittweite

h :=β − αn

mit n ∈ N

und dann die Punkte

xk := α + kh mit k = 0, 1, . . . , n .

Wir betrachten drei der haufig eingesetzten Verfahren.

(i) Die Mittelpunktsregel:

Wir ersetzen im Intervall [xk, xk+1] den Flacheninhalt unter dem Graphen von fdurch den Flacheninhalt des Rechtecks mit der Breite xk+1 − xk und der Hohef(xk +

h2). So ergibt sich die Mittelpunktsregel

Mh(f) := h

(f(x0 +

h

2) + f(x1 +

h

2) + . . .+ f(xn−1 +

h

2)

)= h

n−1∑k=0

f(xk +h

2) .

Fur f ∈ C2([α, β]) gilt fur den Fehler folgende Abschatzung:

|∫ β

αf(x) dx−Mh(f)| ≤

(β − α)3

24n2||f ′′|| .

Dabei bezeichnet ||.|| die Supremumsnorm, bezogen auf das Intervall [α, β].

(ii) Die Trapez-Regel:

Ersetzen wir im Intervall [xk, xk+1] den Graphen der Funktion f durch die die Punkte(xk, f(xk)) und (xk+1, f(xk+1)) verbindende Gerade, so erhalten wir als Flachenin-halt des sich ergebenden Trapezes

1

2(xk+1 − xk)(f(xk) + f(xk+1)) =

h

2(f(xk) + f(xk+1))

und damit die Trapezregel

Th(f) := h ·(12f(x0) + f(x1) + . . .+ f(xn−1) +

1

2f(xn)

).

Ist f ∈ C2([α, β]), so erhalten wir fur den Fehler folgende Abschatzung:

∣∣∣ ∫ β

αf(x) dx− Th(f)

∣∣∣ ≤ (β − α)3

12n2||f ′′|| .

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156

(iii) Die Simpson-Regel:

Ersetzt man den Graphen in [xk, xk+1] durch die (eindeutig bestimmte) Parabel

durch die Punkte (xk, f(xk)), (xk+h

2, f(xk+

h

2)) und (xk+1, f(xk+1)), so ergibt sich

die Simpson-Regel als Linearkombination der beiden vorhergenannten Regeln, undzwar folgendermaßen:

Sh(f) :=1

3(Th(f) + 2Mh(f)) .

Ausgeschrieben lautet die Simpson-Regel damit

Sh(f) =h

6

(f(x0) + 4f(x0 +

h

2) + 2f(x1) + 4f(x1 +

h

2) + 2f(x2) + . . .

. . .+ 2f(xn−1) + 4f(xn −h

2) + f(xn)

)

Ist f viermal stetig differenzierbar auf dem Intervall [α, β], so gilt:

|∫ β

αf(x) dx− Sh(f)| ≤

(β − α)5

2880n4||f (4)|| .

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157

§ 6 Folgen und Reihen von Funktionen

6.1 Potenzreihen

In diesem Paragraphen sei immer K = C oder K = R. Wir betrachten Funktionen, diesich als Reihe von Potenzfunktionen darstellen lassen:

Definition 6.1.

Eine Reihe der Form

p(x) =∞∑n=0

an(x− x0)n = a0 + a1(x− x0) + a2(x− x0)2 + . . .

mit an ∈ K heißt Potenzreihe mit dem Mittelpunkt x0 und den Koeffizienten an. Furx0 = 0 hat eine Potenzreihe die Form

p(x) =∞∑n=0

anxn.

Durch die Transformation y := x − x0 kann jede Potenzreihe auf diese Form gebrachtwerden. Deshalb beschranken wir uns in den meisten Fallen auf Potenzreihen mit demMittelpunkt x0 = 0.

Wir untersuchen, fur welche x ∈ C eine Potenzreihe konvergiert; fur x = x0 ist dies stetsrichtig.

Satz 6.2. (Formel von Cauchy-Hadamard)

Gegeben sei eine Potenzreihe der Form∞∑n=0

an(x − x0)n; wir definieren r ∈ [0,∞[∪∞

durch

r :=

(lim supn→∞

n

√|an|

)−1

, falls dieser Limes superior existiert und großer als 0 ist.

0 , falls der Limes superior nicht existiert

∞ , falls der Limes superior gleich 0 ist.

Dann konvergiert die obige Potenzreihe fur alle x ∈ C mit |x − x0| < r absolut und siedivergiert fur alle x ∈ C mit |x − x0| > r. r heißt Konvergenzradius und K := x ∈ C ||x− x0| < r Konvergenzkreis der Potenzreihe.

Bemerkung:Sei (xn)n≥1 eine nach oben beschrankte Folge reeller Zahlen und die Menge der Haufungs-punkte sei nicht leer. Dann heißt die Zahl

lim supn→∞

xn := supH

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158

der Limes superior von (xn)n≥1. Entsprechend erklart man fur nach unten beschrankteFolgen den Limes inferior als

lim infn→∞

xn := infH.

Ist xn ≤ K fur alle n ≥ 1 richtig, so gilt offenbar auch lim supn→∞

xn ≤ K.

Umgekehrt folgt aus lim supn→∞

xn < K auch xn < K fur n ≥ n0 mit geeignetem n0 ∈ R.

Beweis von Satz 6.2: Sei r ∈]0,∞[∪∞ und x ∈ K; nach Satz 2.43 konvergiert die

Reihe∞∑n=0

an(x− x0)n absolut, denn es gilt:

lim supn→∞

n

√|an| |x− x0|n = lim sup

n→∞n

√|an||x− x0|

= |x− x0| lim supn→∞

n

√|an| < 1.

Ist dagegen |x− x0| > r ∈ [0,∞[, so folgt analog

lim supn→∞

n

√|an| |x− x0|n > 1,

also gemaß Satz 2.43 Divergenz. 2

Beispiel 6.3.

Die Reihen∞∑n=0

xn,∞∑n=1

xn

nund

∞∑n=1

xn

n2

haben wegen

limn→∞

n√1 = lim

n→∞

1n√n= lim

n→∞

1n√n2

= 1

alle den Konvergenzkreis K = z ∈ C | |z| < 1. Die erste divergiert fur x = ±1,die zweite konvergiert fur x = −1 nach dem Leibniz-Kriterium und divergiert fur x = 1(harmonische Reihe), die letzte konvergiert fur x = ±1.

Wenden wir das Quotientenkriterium fur Reihen an, so folgt

Satz 6.4.

Ist∞∑n=0

an(x − x0)n eine Potenzreihe mit an = 0 fur alle n ≥ n0, so gilt fur den Konver-

genzradius r:

lim infn→∞n≥n0

|an||an+1|

≤ r ≤ lim supn→∞n≥n0

|an||an+1|

.

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159

Beweis: Ist |x− x0| < lim infn→∞

|an||an+1|

, so folgt nach Satz 2.41 die Konvergenz der Potenz-

reihe wegen

lim supn→∞

∣∣∣∣∣an+1(x− x0)n+1

an(x− x0)n

∣∣∣∣∣ < 1;

also ist x ∈ K und damit gilt die linke Halfte der behaupteten Ungleichung. Ist dagegen

|x − x0| > lim supn→∞

|an||an+1|

, so folgt analog die Divergenz der Reihe∞∑n=0

an(x − x0)n und

damit die rechte Halfte der Ungleichung. 2

6.2 Gleichmaßige Konvergenz

An Stelle der Potenzreihen konnen wir auch allgemeinere Reihen oder Folgen von Funk-tionen betrachten.

Definition 6.5.

Es sei X = ∅ eine Menge und (fn)n≥1 eine Folge in Abb(X,K); fur jedes x ∈ X konvergiere(fn(x))n≥1 in K. Nennen wir den Grenzwert f(x), so erhalten wir dadurch eine Abbildung

f : X ∋ x 7→ limn→∞

fn(x) ∈ K.

f heißt Grenzfunktion von (fn)n≥1 und wir sagen (fn) konvergiert punktweise auf X gegen

f . Konvergiert die Reihe∞∑n=1

fn(x) fur jedes x ∈ X, so schreiben wir analog

f(x) :=∞∑n=1

fn(x)

und nennen f die Summe der Reihe∑∞

n=1 fn.

Da sich jede Reihe als Folge auffassen lasst und umgekehrt, genugt es haufig, nur fureinen Fall die Aussagen zu formulieren oder zu beweisen. Wir untersuchen, ob und wiesich die Eigenschaften Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit der fn auf dieGrenzfunktion bzw. die Summe der Reihe vererben.

Dazu fuhren wir noch einen starkeren Konvergenzbegriff als den der punktweisen Kon-vergenz aus Definition 6.5 ein. Unter Zugrundelegung dieser Konvergenz sind dann diegewunschten Vererbungseigenschaften gultig.

Definition 6.6.

Es sei X = ∅ und fn ∈ Abb(X,K) fur n ∈ N. (fn)n≥1 konvergiert gleichmaßig auf Xgegen ein f ∈ Abb(X,K), wenn zu jedem ϵ > 0 ein N(ϵ) ∈ R derart existiert, dass furalle n ∈ N mit n ≥ N(ϵ) und alle x ∈ X gilt:

|fn(x)− f(x)| < ϵ.

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160

Eine Reihe∞∑n=1

fn konvergiert gleichmaßig, wenn die Folge der Partialsummen

(n∑

i=1

fi

)n≥1

gleichmaßig konvergiert.

f(x)fn(x)

ǫ

Abbildung 32: Veranschaulichung der gleichmaßigen Konvergenz

Beispiele 6.7.

(i) Betrachte fn : D = [0, 1]→ R mit D ∋ x 7→ xn ∈ R. Dann gilt

fn(x)→

0 x ∈ [0, 1)1 x = 1

=: f(x),

d.h. fn konvergiert punktweise, aber nicht gleichmaßig gegen f , denn z.B. gilt

fn(

n

√1

2

)=

1

2.

(ii) Sei∞∑n=0

an(x−x0)n eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0.D = (x0−r, x0+r).

fn(x) := an(x− x0)n, s(x) :=∞∑n=0

an(x− x0)n

Dann konvergiert∑fn auf D punktweise gegen s; auf jeder kompakten Teilmenge

von D ist die Konvergenz gleichmaßig, wie sofort aus u.a. Satz 6.8 folgt.

(iii) D = [0,∞),

fn(x) =n · x

1 + n2x2=

xn

1n2 + x2

→ 0

fur n→∞ fur alle x ∈ D.

Also: (fn) konvergiert auf D punktweise, aber nicht gleichmaßig gegen f ≡ 0, denn

z.B. gilt fn( 1n

)=

1

2.

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161

0

1

1

f1(x)

f2(x)

f3(x)

Abbildung 33: Punktweise aber nicht gleichmaßig konvergente Folge (i)

0

0.5

1 2

f1(x)

f2(x)

f3(x)

Abbildung 34: Punktweise aber nicht gleichmaßig konvergente Folge (iii)

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162

Ein nutzliches Kriterium fur die gleichmaßige Konvergenz einer Reihe liefert

Satz 6.8. (Weierstraß’sches Majorantenkriterium)

Es sei (fn)n≥1 eine Folge in Abb(X,K) und es gelte fur alle n ∈ N und alle x ∈ X:

|fn(x)| ≤ cn.

Konvergiert die Reihe∞∑n=1

cn, so konvergiert∞∑n=1

fn gleichmaßig auf X.

Beweis: Das Cauchy-Kriterium fur Reihen liefert zu jedem ϵ > 0 die Existenz einesN(ϵ) ∈ R mit ∣∣∣∣∣∣

m∑k=n+1

fk(x)

∣∣∣∣∣∣ ≤m∑

k=n+1

|fk(x)| ≤m∑

k=n+1

ck < ϵ

fur alle m > n > N(ϵ) und alle x ∈ X. 2

Beispiel 6.9.

Konvergiert die Reihe∞∑n=1

cn absolut, so konvergieren die Reihen

∞∑m=1

cn sinnx und∞∑n=1

cn cosnx

gleichmaßig auf R.

Satz 6.10.

Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Ist (fn)n≥1 eine Folge von stetigen Funktionen auf Xund konvergiert (fn)n≥1 gleichmaßig gegen f auf X, so ist f stetig auf X.

Beweis. Seien x ∈ X und ε > 0 beliebig. Wir wahlen N = N(ε) ∈ N so, dass gilt

|fN(z)− f(z)| <ε

3fur alle z ∈ X;

vgl. Definition 6.6. Da fN stetig ist, existiert ein δ = δ(ε, x) > 0, so dass gilt

|fN(y)− fN(x)| <ε

3fur alle y ∈ X : d(x, y) < δ.

Diese beiden Ungleichungen liefern zusammen mit der Dreiecksungleichung:

|f(y)− f(x)| ≤ |f(y)− fN(y)|+ |fN(y)− fN(x)|+ |fN(x)− f(x)|

3+ε

3+ε

3= ε fur alle y ∈ X : d(x, y) < δ,

d.h. f ist stetig im beliebig gewahlten Punkt x ∈ X. 2

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163

Satz 6.11.

Die Funktionenfolge fn : [a, b] → R sei differenzierbar auf [a, b] und es existiere einx0 ∈ [a, b] derart, dass (fn(x0))n≥1 konvergiert. Konvergiert die Folge (f ′

n)n≥1 gleichmaßigauf [a, b], dann konvergiert auch (fn)n≥1 auf [a, b] gleichmaßig gegen eine auf [a, b] diffe-renzierbare Funktion f , und es gilt fur alle x ∈ [a, b]:

f ′(x) = limn→∞

f ′n(x) .

Satz 6.12.

Es besitze fn : [a, b]→ R fur alle n ∈ N eine Stammfunktion, und es konvergiere (fn)n≥1

gleichmaßig auf [a, b] gegen f . Dann besitzt auch f eine Stammfunktion, und es gilt∫ b

af(x) dx =

∫ b

alimn→∞

fn(x) dx = limn→∞

∫ b

afn(x) dx.

Wir wollen die Satze 6.10-12 speziell auf Potenzreihen anwenden und beginnen mit dem

Satz 6.13.

Besitzt die reelle Potenzreihe∞∑n=0

anxn einen Konvergenzradius r = 0, so konnen wir fur

x ∈]− r, r[ die Funktion f definieren durch f(x) :=∞∑n=0

anxn.

Dann konvergiert die Potenzreihe auf jedem abgeschlossenen Intervall [−ϵ, ϵ] mit 0 < ϵ < rgleichmaßig; die Funktion f ist stetig und differenzierbar in ]− r, r[, und es gilt

f ′(x) =∞∑n=1

nanxn−1

fur alle x ∈]− r, r[.

Beweis.

1. Die gleichmaßige Konvergenz der Potenzreihe auf [−ε, ε] fur jedes ε ∈]0, r[ folgtsofort aus dem Majorantenkriterium; Satz 6.10 angewendet auf die Partialsummen

fn(x) :=n∑

k=0

akxk, n ∈ N,

liefert dann direkt die Stetigkeit von f in ]− r, r[.

2. Zum Beweis der Differenzierbarkeit beachten wir

f ′n(x) =

n∑k=1

kakxk−1, n ∈ N.

Page 168: Mathematik f ur Informatiker 1 - uni-due.dehn213me/mt/s12/minformatik1/SkriptMI1.pdf · ums nicht einsichtig sein; wir sind aber der festen Uberzeugung, dass dies zum Verst¨ ¨andnis

164

Wegen

lim supk→∞

k

√k|ak| = lim

k→∞

k√k · lim sup

k→∞

k

√|ak| = lim sup

k→∞

k

√|ak|

besitzt die Reihe∞∑k=1

kakxk−1 den gleichen Konvergenzradius r wie die Reihe f . Folg-

lich konvergiert auch diese Reihe auf jedem Intervall [−ε, ε] mit ε ∈]0, r[ gleichmaßig;Satz 6.11 liefert somit die Differenzierbarkeit von f und die Relation

∞∑k=1

kakxk−1 = lim

n→∞f ′n(x) = f ′(x),

wie behauptet. 2

Folgerung 6.14.

Mit den Bezeichnungen aus Satz 6.13 ist f beliebig oft differenzierbar in ]− r, r[ mit

(∗) f (k)(x) =∞∑n=k

n(n− 1) · . . . · (n− k + 1)anxn−k;

speziell gilt

f (k)(0) = k!ak fur k ∈ N0.

Die Potenzreihe ist die Taylor-Reihe von f im Punkt 0, d.h. es gilt

f(x) =∞∑k=0

f (k)(0)

k!xk.

Beweis. Sukzessive Anwendung von Satz 6.13 auf f, f ′, f ′′, . . . , f (k−1) ergibt die ersteBehauptung; Einsetzen von x = 0 in (∗) ergibt die zweite Behauptung; Einsetzen von

ak =f (k)(0)

k!in die Potenzreihe ergibt die letzte Behauptung. 2

Satz 6.15.

Wir ubernehmen die Bezeichnungen aus Satz 6.13; f besitzt auf ]− r, r[ eine Stammfunk-tion. Eine solche ist z.B. F mit

F (x) :=∞∑n=0

ann+ 1

xn+1.

Beweis. Analog zu Teil 2 des Beweises von Satz 6.13 durch Anwendung von Satz 6.12.2

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165

Beispiel 6.16.

Es gilt fur alle |x| < 1:

ln(1 + x) =∞∑n=0

(−1)n xn+1

n+ 1.

Beweis. Fur |x| < 1 gilt

d

dxln(1 + x) =

1

1 + x=

1

1− (−x)=

∞∑n=0

(−1)nxn;

nach Satz 6.15 ist F mit

F (x) =∞∑n=0

(−1)n xn+1

n+ 1

eine Stammfunktion von∞∑n=0

(−1)nxn auf ] − 1, 1[. Also gilt mit einer Konstanten c die

Beziehungln(1 + x) = F (x) + c

fur alle x ∈]−1, 1[. Einsetzen von x = 0 liefert c = 0, also die Behauptung fur x ∈]−1, 1[.2

Bemerkung 6.17.

Fur |x| < 1 gilt:

ln(1 + x) = x− x2

2+x3

3− x4

4± . . .

ln(1− x) = −x− x2

2− x3

3− x4

4− . . . .

Subtraktion ergibt:

ln1 + x

1− x= 2

(x+

x3

3+x5

5+ . . .

)= 2

∞∑n=0

x2n+1

2n+ 1.

Fur x =1

3folgt hieraus

ln 2 = 2 ·∞∑n=0

1

2n+ 1

(1

3

)2n+1

= 2(1

3+

1

3

1

33+

1

5

1

35+ . . .

).

Um ln 2 mit einer Genauigkeit von 10−6 zu berechnen, benotigt man nur die ersten 6Glieder; es ergibt sich

ln 2 = 0.693147 . . .