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Mathematischer Vorkurs Martin Fluch Sommersemester 2011

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Mathematischer Vorkurs

Martin Fluch

Sommersemester 2011

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Diese Vorkurs basiert auf der gleichnamigen Veranstaltung, die von Herrn ProfessorBux im Wintersemester 2009/10 gehalten wurde sowie auf Vorlesungsmitschriftender Vorlesung Lineare Algebra 1 und Algebra 1 von Herrn Professor Matzat ausden Jahren 1996 und 1997 in Heidelberg.

Anmerkungen und Korrekturen an: [email protected]

Version vom: 31. März 2011

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Inhaltsverzeichnis

1. Mengen, Abbildungen und Verknüpfungen 1

2. Gruppen 7

3. Homomorphismen 11

4. Nebenklassen, Normalteiler und Faktorgruppen 15

5. Zerlegungssatz für Homomorphismen von Gruppen 18

6. Innere Automorphismen 19

7. Operationen von Gruppen 20

8. Isometrien und der Euklidische Raum 21

9. Klassifikation der Isometrien des E2 26

10. Diskrete Untergruppen von Isom(E2) 32

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1. Mengen, Abbildungen und Verknüpfungen

Definition 0 (nach Cantor1). Eine Menge ist eine Zusammenfassung bestimm-

ter wohlunterscheidbarer Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens (die

Elemente genannt werden) zu einem Ganzen.

Interpretation.

• “Objekt” “mathematische Objekte”;

• “Zusammenfassung [. . . ] zu einem Ganzen” “neues mathematisch Objekt”;

• “wohlunterschieden” “Gleichheit und Ungleichheit von Objekten muß

vorab klar sein”.

Schreibweise. Sei M eine Menge und x ein Objekt. Wir schreiben x ∈M wenn x

ein Element der Menge M ist. Andernfalls schreiben wir x /∈M .

Definition 1. Sei M und N Mengen.

• N heißt eine Teilmenge von M (Schreibweise: N ⊆M), wenn gilt: für jedes

m ∈ N gilt m ∈M .

• M und N heißen gleich (Schreibweise: M = N), wenn gilt: N ⊆ M und

M ⊆ N .

• P(M) := {N | N ⊆M} heißt Potenzmenge von M .

• M \N := {m ∈M | m /∈ N} heißt Komplement von N in M .

• M ∪N := {m | m ∈M oder m ∈ N} heißt Vereinigung von M und N .

• M ∩N := {m | m ∈M und m ∈ N} heißt Durchschnitt von M und N .

Beispiele 2. (1) ∅ := {} ist die leere Menge.

(2) N := {0, 1, 2, 3, 4, . . .} ist die Menge der natürlichen Zahlen.

(3) Z := {0,±1,±2,±3, . . .} ist die Menge der ganzen Zahlen.

(4) Q := {r/s | r, s ∈ Z und s 6= 0} ist die Menge der rationalen Zahlen.

(5) R ist die Menge der reellen Zahlen (siehe Analysis).

(6) C := {a+ bi | a, b ∈ R} ist die Menge der komplexen Zahlen.

Definition 3. Sei I 6= ∅ eine Menge und sei für jedes i ∈ I eine Menge Mi gegeben.

Dann definieren wir ⋃i∈I

Mi := {m | ∃i ∈ I: m ∈Mi}⋂i∈I

Mi := {m | ∀i ∈ I: m ∈Mi}

1Georg Cantor (1845–1918) war ein deutscher Mathematiker. Cantor ist bekannt als derBegründer der Mengenlehre.

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Definition 4. Sei I 6= ∅ eine Menge. Ein Mengensystem Mi (i ∈ I) einer Menge

M heißt Partition (Zerlegung) von M , wenn gilt:

(1) ∀i ∈ I: Mi 6= ∅

(2)⋃i∈IMi = M

(3) ∀i, j ∈ I: i 6= j ⇒Mi ∩Mj = ∅

Damit ist M die disjunkte Vereinigung der Mengen Mi.

Bemerkung 5. Eine Partition einer nichtleeren Menge M ist also die Unterteilung

von M in eine Familie von nichtleeren Teilmengen Mi, i ∈ I, sodaß jedes Element

x ∈M in genau einer der Teilmengen Mi enthalten ist.

Definition 6. Seien x und y zwei Objekte. Dann ist (x, y) ein geordnete Paar. Zwei

geordnete Paare (x1, y1) und (x2, y2) heißen gleich, wenn x1 = x2 und y1 = y2.

Seien X und Y zwei Mengen. Dann heißt die Menge

X × Y := {(x, y) | x ∈ X und y ∈ Y }

das direkte Produkt der Mengen X und Y .

Bemerkung 7. Man kann geordnete Paare mit Hilfe von Mengen konstruieren.

Eine mögliche Definition ist

(x, y) := {{x}, {x, y}}.

Definition 8. Seien X, Y Mengen. Eine Relation R zwischen den Mengen X und Y

ist eine Teilmenge R ⊆ X × Y . Wir schreiben xRy, wenn (x, y) ∈ R.

Definition 9. Seien X, Y Mengen. Eine Abbildung (oder auch Funktion)

f : X → Y

ist eine Relation f ⊆ X × Y , welche die folgenden zwei Eigenschaften erfüllt:

(1) ∀x ∈ X: ∃y ∈ Y : xfy

(2) ∀x ∈ X: ∀y1, y2 ∈ Y : xfy1 und xfy2 ⇒ y1 = y2

In anderen Worten, für die Relation f gilt, für jedes x ∈ X gibt es genau ein y ∈ Y

mit xfy. Für dieses eindeutige y ∈ Y mit xfy schreiben wir f(x); es heißt Bild

von x.

Sei A ⊆ X eine Teilmenge von X. Dann heißt die Menge

f(A) := {f(x) | x ∈ A}

die Bildmenge der Menge A unter f . Ist A = X, dann nennen wir f(X) die Bildmenge

von f .2

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Ist B ⊆ Y eine Teilmenge von Y , dann nennen wir die Menge

f−1(B) := {x ∈ X | f(x) ∈ B}

die Urbildmenge von B (kann eventuell leer sein). Ist B = {y} für ein y ∈ Y , dann

ist

f−1[y] := f−1({y})

die Urbildmenge von y. Ein Element m ∈ f−1[y] heißt Urbild von y (nicht unbedingt

eindeutig bestimmt).

Definition 10. Sei f : X → Y eine Abbildung.

• f heißt injektiv wenn gilt

∀x1, x2 ∈ X: f(x1) = f(x2)⇒ x1 = x2

• f heißt surjektiv wenn gilt

∀y ∈ Y : ∃x ∈ X: f(x) = y,

d.h. f(X) = Y .

• f heißt bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist.

Bemerkung 11. Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann gilt:

• f ist injektiv ⇐⇒ die Urbildmenge f−1[y] hat höchstens ein Element für

jedes y ∈ Y .

• f ist surjektiv ⇐⇒ die Urbildmenge f−1[y] hat mindestens ein Element

für jedes y ∈ X.

Also ist f bijektiv ⇐⇒ die Urbildmenge f−1[y] genau ein Element hat für jedes

y ∈ Y .

Definition 12. Sei f : X → Y eine bijektive Abbildung. Dann heißt die Abbildung

f−1: Y → X,

welche jedes y ∈ Y auf das eindeutige Urbild x ∈ f−1[y] abbildet, die Umkehrabbil-

dung von f .

Bemerkung 13. Die Umkehrabbildung einer bijektiven Abbildung ist offensichtlich

auch bijektiv.

Definition 14. Seien f : X → Y und g: Y → Z Abbildungen. Dann heißt die

Abbildung

g ◦ f : X → Z, x 7→ (g ◦ f)(x) := g(f(x))

die Verkettung von g und f .3

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X Y

1

2

3

4

A

B

C

D

(a) Eine bijektive Abbildung.

X Y

1

2

3

A

B

C

D

(b) Eine injektive Abbildung dienicht surjektiv ist.

X Y

1

2

3

4

A

B

C

(c) Eine surjektive Abbildung dienicht injektiv ist.

X Y

1

2

3

A

B

C

D

(d) Eine Abbildung die wederinjektiv noch surjektiv ist.

Abbildung 1. Beispiele zur Injektivität oder Surjektivität vonAbbildungen.

Proposition 15. Die Verkettung von Abbildungen ist assoziativ in dem folgenden

Sinne: sind Abbildungen f : A→ B, g: B → C und h: C → D gegeben, dann gilt

h ◦ (g ◦ f) = (h ◦ g) ◦ f.

Beweis. Wir müssen zeigen, daß für jedes a ∈ A die Gleichheit

(h ◦ (g ◦ f))(a) = ((h ◦ g) ◦ f)(a) (∗)

gilt. Sei also a ∈ A und wir setze b := f(a), c := g(b) und d := h(c).

Nach Definition ist (g ◦ f)(a) = c und (h ◦ g)(b) = d. Da h(c) = d ist, folgt

nach Definition, daß (h ◦ (g ◦ f))(a) = h(c) = d ist. Andererseits ist f(a) = b, und

deswegen folgt, daß ((h ◦ g) ◦ f)(a) = (h ◦ g)(b) = d. Daher gilt die Identität (∗) für

alle a ∈ A. �

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A B C Df g h

g ◦ f

h ◦ (g ◦ f)

(h ◦ g) ◦ f

h ◦ g

Abbildung 2. Zum Nachweis der Assoziativität der Verkettungvon Abbildungen.

Proposition 16. Sei f : X → Y und g: Y → Z Abbildungen. Dann gilt:

(1) Ist g ◦ f injektiv, dann ist f injektiv.

(2) Ist g ◦ f surjektiv, dann ist g surjektiv.

(3) Ist f und g injektiv, dann ist g ◦ f injektiv.

(4) Ist f und g surjektiv, dann ist g ◦ f surjektiv.

Beweis. (1) Sei x1, x2 ∈ X mit f(x1) = f(x2). Dann ist g(f(x1)) = g(f(x2)). Da

g ◦ f injektiv ist, folgt daraus, daß x1 = x2 ist. Da dies für alle x1, x2 ∈ X mit

f(x1) = f(x2) gilt, folgt daraus, daß die Abbildung f injektiv ist.

(2) – (4) Übungsaufgabe. �

Korollar 17. Die Verkettung zweier bijektiver Abbildungen ist eine bijektive Abbil-

dung.

Schreibweise. Sei X eine Menge. Dann bezeichnen wir mit idX die Identitätsab-

bildung

idX : X → X,x 7→ idX(x) := x.

Bemerkung 18. Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann gilt

idY ◦f = f und f ◦ idX = f.

Lemma 19. Sei f : X → Y eine Abbildung von Mengen. Dann ist f bijektiv dann

und genau dann, wenn es eine Abbildung g: Y → X gibt mit

g ◦ f = idX und f ◦ g = idY .

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Beweis. “⇒”: Sei f bijektiv und setze g := f−1. Dann gilt g ◦ f = idX und

f ◦ g = idY .

“⇐”: idX = g ◦ f ist injektiv und somit muß f injektiv sein nach Proposition 16.

idX = f ◦ g ist surjektiv und somit ist f surjektiv nach Proposition 16. Es folgt, daß

f bijektiv ist nach Definition. �

Definition 20. Sei X eine Menge. Eine Verknüpfung auf X ist einen Abbildung

∗: X ×X → X, (x, y) 7→ x ∗ y.

Die Verknüpfung ist assoziativ, wenn gilt

∀x, y, z ∈ X: x ∗ (y ∗ z) = (x ∗ y) ∗ z.

Die Verknüpfung ist kommutativ, wenn gilt

∀x, y ∈ X: x ∗ y = y ∗ x.

Bemerkung 21. Ist eine Verknüpfung assoziativ, dann muß man sich keine Ge-

danken mehr um die Klammerung der zu verknüpfenden Elemente machen.

Definition 22. Sei X eine Menge und ∗ eine Verknüpfung auf X. Eine Teilmenge

A ⊆ X heißt abgeschlossen unter der Verknüpfung ∗ wenn gilt:

∀x, y ∈ A: x ∗ y ∈ A.

Beispiele 23. (1) Sei X eine beliebige Menge mit einer Verknüpfung ∗. Dann

ist die leere Menge ∅ und X abgeschlossen unter der Verknüpfung ∗.

(2) Sei

2Z := {2x | x ∈ Z}

die Menge aller geraden Zahlen. Dann ist 2Z ⊆ Z und da die Summe zweier

geraden Zahlen wieder eine gerade Zahl ist, folgt, daß 2Z abgeschlossen ist

unter der Addition +.

Bemerkung 24. Sei X eine Menge mit einer Verknüpfung ∗ und A ⊆ X eine

Teilmenge, die unter der Verknüpfung ∗ abgeschlossen ist. Dann können wir eine

Verknüpfung

∗: A×A→ A, (x, y) 7→ x ∗ y

definieren. Wir sagen, daß die Verknüpfung auf X eine Verknüpfung auf A induziert.

Bemerkung 25. Ist ∗ eine assoziative (kommutative) Verknüpfung auf einer Menge

X und A ⊆ X eine Teilmenge, die unter der Verknüpfung ∗ abgeschlossen ist, dann

ist die durch ∗ induzierte Verknüpfung auf A ebenfalls assoziativ (kommutativ).

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2. Gruppen

Definition 26. Eine Gruppe G = (G, ∗) besteht aus einer Menge G und einer

Verknüpfung

∗: G×G→ G, (g, h) 7→ g ∗ h,

welche die folgend drei Gruppenaxiome erfüllt:

(G1) Die Verknüpfung ∗ ist assoziativ.

(G2) Die Gruppe G hat ein neutrales Element e ∈ G, d.h., es gilt:

∃e ∈ G: ∀g ∈ G: g ∗ e = g = e ∗ g

(G3) Zu jedem g ∈ G existiert ein inverses Element g−1 ∈ G, d.h., es gilt:

∀g ∈ G: ∃g−1 ∈ G: g ∗ g−1 = e = g−1 ∗ g

Die Gruppe G heißt abelsch2, wenn die Verknüpfung ∗ kommutativ ist.

Die Ordnung |G| der Gruppe G ist die Anzahl der Elemente der Menge G.

Bemerkung 27. Aufgrund des Gruppenaxioms (G2) gilt immer |G| ≥ 1, d.h., jede

Gruppe hat mindestens ein Element.

Beispiele 28. (1) (Z,+), d.h. die ganzen Zahlen mit der Addition, ist eine

abelsche Gruppe. Die Null 0 ∈ Z ist das neutrale Element. Ist x ∈ Z gegeben,

dann ist −x das inverse Element zu x.

(2) (Q \ {0}, ·), d.h. die rationalen Zahlen ohne 0 mit der Multiplikation, ist

eine abelsche Gruppe. Das neutrale Element dieser Gruppe ist 1 ∈ Q \ {0}.

Ist x ∈ Q \ {0} gegeben, dann ist 1/x das inverse Element zu x.

(3) Sei G := {1} eine Menge, die nur ein Element hat. Dann gibt es nur eine

Möglichkeit, eine Verknüpfung auf G zu definieren:

∗: G×G→ G, (1, 1) 7→ 1 ∗ 1 := 1.

Diese Verknüpfung erfüllt offensichtlich alle drei Gruppenaxiome. Diese

einelementige Gruppe wird triviale Gruppe genannt.

(4) Die Symmetrien des gleichseitigen Dreiecks bilden eine Gruppe mit 6 Ele-

menten (siehe Abbildung 3) und wird mit D3 bezeichnet. Diese Gruppe ist

nicht abelsch.

2Niels Henrik Abel (1802–1829) war ein norwegischer Mathematiker. Unter anderem bewies er,daß algebraische Gleichungen fünften Grades nicht durch Adjunktion von Wurzeln gelöst werdenkönnen. Er war ein wichtiger Mitbegründer der Gruppentheorie.

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A B

C

C A

B

B C

A

B A

C

A C

B

C B

A

Abbildung 3. Die Symmetrien des gleichseitigen Dreiecks.

(5) Sei X eine Menge. Eine bijektive Selbstabbildung f : X → X wird Permu-

tation von X genannt. Die Menge aller Permutationen von X bezeichnen

wir mit Perm(X).

Korollar 17 besagt, daß die Verkettung von Abbildungen eine Verknüpfung

◦: Perm(X)× Perm(X), (g, f) 7→ g ◦ f

auf Perm(X) definiert. Proposition 15 besagt, daß diese Verknüpfung das

Gruppenaxiom (G1) erfüllt. Bemerkung 18 besagt, daß idX : X → X

das neutrale Element der Verknüpfung ist. Und Lemma 19 zusammen mit

Bemerkung 13 besagt, daß es zu jeder Permutation f ∈ Perm(X) ein inverses

Element f−1 ∈ Perm(X) gibt.

Also ist (Perm(X), ◦) eine Gruppe. Sie heißt die symmetrische Gruppe

auf X, und wir bezeichnen sie mit SX . Für X := {1, 2, . . . , n} ist die

Bezeichnung Sn für SX gebräuchlich.

Schreibweise. Es gibt zwei bevorzugte Notationen für Verknüpfung für Gruppen:

(1) Ist (G, ·) eine Gruppe, dann spricht man von multiplikativer Schreibweise. Es

ist dann üblich, das neutrale Element von G mit 1 und das inverse Element

von g ∈ G mit g−1 zu bezeichnen. Wenn keine Verwechslungsgefahr besteht,

dann ist es auch üblich gh anstelle von g · h zu schreiben.

(2) Ist (G,+) eine Gruppe, dann spricht man von additiven Schreibweise.3 Es

ist dann üblich, das neutrale Element von G mit 0 und das inverse Element

von g ∈ G mit −g zu bezeichnen.

3Die additive Schreibweise wird nur für abelsche Gruppen verwendet! Das liegt daran, daßjeder Mathematiker Kopfschmerzen bekommt, wenn er eine Aussage wie “a+ b 6= b+ a” sieht.

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Lemma 29. Sei G = (G, ·) eine Gruppe. Dann gilt:

(1) Das neutrale Element e ∈ G ist eindeutig bestimmt.

(2) Zu jedem g ∈ G ist das inverse Element g−1 ∈ G eindeutig bestimmt.

Beweis. (1) Sei e0 ∈ G ein weiteres neutrale Element. Dann gilt

e = e · e0 = e0

und somit ist e = e0.

(2) Sei g0 ∈ G mit g · g0 = e = g0 · g. Dann gilt

g−1 = g−1 · e = g−1 · (g · g0) = (g−1 · g) · g0 = e · g0 = g0

und somit ist g0 = g−1. �

Lemma 30. Sei G eine Gruppe und a, b ∈ G. Dann gilt:

(1) Es gibt genau ein x ∈ G für das gilt a · x = b.

(2) Es gibt genau ein y ∈ G für das gilt y · a = b.

Beweis. (1) Existenz: Setze x := a−1b. Dann gilt:

a · x = a · (a−1 · b) = (a · a−1) · b = e · b = b.

Eindeutigkeit: Sei x0 ∈ G so, daß a · x0 = b gilt. Multipliziert man beide

Seiten von links mit a−1, erhält man

a−1 · (a · x0) = a−1 · b.

Die linke Seite dieser Gleichung vereinfacht sich zu x0. Die rechte Seite ist

nach Definition gleich x. Damit ist x0 = x.

(2) Die zweite Behauptung wird analog bewiesen. �

Lemma 31. Sei G eine Gruppe und g, h ∈ G. Dann gilt:

(g · h)−1 = h−1 · g−1 und (g−1)−1 = g.

Beweis. Wir haben einerseits

(g · h) · (h−1 · g−1) = g · (h · h−1) · g−1 = g · e · g−1 = g · g−1 = e

und andererseits nach Definition des inversen Elements

(g · h) · (g · h)−1 = e

Nun folgt (g · h)−1 = h−1 · g−1 wegen Lemma 30.

Die zweite Gleichung folgt sofort, wenn man g−1 · (g−1)−1 = e von links mit g

multipliziert. �

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Definition 32. Sei G eine Gruppe und H ⊆ G eine Teilmenge. Wir sagen, daß H

eine Untergruppe von G ist (Schreibweise: H ≤ G), wenn gilt:

(1) H ist abgeschlossen unter der Verknüpfung von G.

(2) H ist eine Gruppe unter der von G induzierten Verknüpfung.

Beispiel. Sei G = (Z,+). Dann ist sowohl die Menge 2Z der gerade Zahlen als

auch die Menge N der natürlichen Zahlen Teilmengen von G die abgeschlossen sind

unter der Verknüpfung von G. 2Z ist eine Untergruppe von G. Aber N ist keine

Untergruppe von G, da das Gruppenaxiom (G3) wegen

∀x ∈ N : x ≥ 1⇒ −x /∈ N

nicht erfüllt ist.

Lemma 33. Sei G eine Gruppe mit neutralem Element e und H ≤ G eine Unter-

gruppe. Dann ist e auch das neutrale Element von H. Ebenso stimmen die inversen

Elemente der Gruppe H überein mit den inversen Elementen der Gruppe G.

Beweis. Sei e0 das neutrale Element von H. Dann gilt e0 · e0 = e0 in H und somit

auch in G. Andererseits gilt auch e0 · e = e0 in G. Lemma 30 sagt nun, daß e0 = e.

Die verbleibende Aussage des Lemmas wird mit einem ähnlichem Argument

bewiesen. �

Proposition 34 (Untergruppenkriterium). Sei G eine Gruppe und H ⊆ G eine

Teilmenge. Dann ist H eine Untergruppe von G dann und genau dann, wenn die

folgenden drei Bedingungen erfüllt sind:

(1) H 6= ∅

(2) ∀g, h ∈ H: g · h ∈ H

(3) ∀g ∈ H: g−1 ∈ H

Beweis. “⇒”: Klar.

“⇐: Wir müssen nachweisen, daß H mit der von G induzierten Verknüpfung

die drei Gruppenaxiome erfüllt. Hier ist das einzige Problem, zu zeigen, daß (G2)

erfüllt ist. Wegen Lemma 33 genügt es, zu zeigen, daß das neutrale Element e der

Gruppe G auch ein Element von H ist.

Da H 6= ∅, gibt es ein g ∈ H. Damit ist nach Voraussetzung g−1 ∈ H. Wieder

nach Voraussetzung folgt g · g−1 ∈ H. Da aber g · g−1 = e, folgt, daß e ∈ H. �

Beispiel 35. Sei G eine Gruppe. Für jedes g ∈ G definieren wir eine Abbildung

lg: G→ G, h 7→ g · h,10

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genannt Linksmultiplikation mit g.

Es folgt aus Lemma 30, daß lg eine bijektive Abbildung ist. Somit ist lg eine

Permutation der Menge G und somit ein Element der symmetrischen Gruppe SG.

Damit ist

G := {lg | g ∈ G}

eine Teilmenge von SG. Wir wollen zeigen, daß G die drei Bedingungen des Unter-

gruppenkriteriums aus Proposition 34 erfüllt:

(1) Da G nicht leer ist, folgt, daß G 6= ∅.

(2) Wir müssen zeigen, daß die Menge G unter der Verknüpfung von SG, d.h. der

Verkettung von Abbildungen, abgeschlossen ist.

Sei also lg, lh ∈ G. Dann gilt für jedes k ∈ G, daß

(lg ◦ lh)(k) = lg(lh(k)) = lg(hk) = ghk = lgh(k),

d.h. die Verkettung von lg und lh ist die Linksmultiplikation lgh mit gh.

Also gilt lg ◦ lh ∈ G.

(3) Sei lg ∈ G. Wir wissen, daß das zu lg inverse Element unter der Verknüpfung

der Gruppe SG durch die Umkehrabbildung l−1g gegeben ist. Wir müssen

zeigen, daß l−1g ∈ G.

Dazu ist es genug, zu zeigen, daß l−1g = lg−1 gilt. Dazu ist es wiederrum

genug, zu zeigen, daß lg ◦ lg−1 = idG. Dies gilt aber, da für jedes k ∈ G

(lg ◦ lg−1)(k) = lg(lg−1(k)) = gg−1k = k = idG(k)

gilt.

Also sin alle drei Bedingungen von Proposition 34 für die Menge G erfüllt und

somit ist G eine Untergruppe von SG.

3. Homomorphismen

Definition 36. Es sein G und H Gruppen. Eine Abbildung

f : G→ H

heißt ein Homomorphismus von Gruppen, wenn gilt:

∀g, h ∈ G: f(gh) = f(g)f(h)

Die Menge aller Homomorphismen f : G→ H wird mit Hom(G,H) bezeichnet.

Bemerkung 37. Ein Gruppenhomomorphismus ist also eine Abbildung von Grup-

pen, welche mit der Gruppenstruktur verträglich ist.11

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Lemma 38. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann gilt:

(1) f(1) = 1

(2) ∀g ∈ G: f(g−1) = f(g)−1

Beweis. (1) Es gilt f(1) = f(1 · 1) = f(1)f(1). Multipliziert man beide Seiten

von rechts mit f(1)−1, erhält man 1 = f(1).

(2) Es gilt f(g−1)f(g) = f(g−1g) = f(1) = 1. Somit ist f(g−1) = f(g)−1. �

Definition 39. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann ist f ein

• ein Monomorphismus wenn die Abbildung f injektiv ist;

• ein Epimorphismus, wenn die Abbildung f surjektiv ist;

• ein Isomorphismus, wenn die Abbildung f bijektiv ist.

Ist G = H, dann nennen wir f einen Endomorphismus. Ein bijektiver Endo-

morphismus ist ein Automorphismus. Die Menge aller Endomorhismen von G wird

mit End(G) bezeichnet. Die Menge aller Automorphismen von G wird mit Aut(G)

bezeichnet.

Definition 40. Eine Gruppe G heißt isomorph zu einer Gruppe H, wenn es einen

Isomorphismus f : G→ H von Gruppen gibt. Wir schreiben dann G ∼= H.

Lemma 41. Sei f : G → H ein Isomorphismus von Gruppen. Dann ist auch die

Umkehrabbildung f−1: H → G ein Isomorphismus.

Beweis. Wir wissen, daß die Umkehrabbildung f−1: H → G bijektiv ist (siehe

Bemerkung 13) und müssen also nur noch die Homomorphismuseigenschaft von

Definition 36 für die Abbildung f−1 nachweisen.

Sei also g, h ∈ H. Es gilt f ◦ f−1 = idH und deswegen

f(f−1(g))f(f−1(h)) = gh = f(f−1(gh)).

Da f ein Homomorphismus ist, folgt f(f−1(g))f(f−1(h)) = f(f−1(g)f−1(h)), d.h.

f(f−1(g)f−1(h)) = f(f−1(gh)).

Da f injektiv ist, impliziert dies, daß f−1(g) · f−1(h) = f−1(gh), d.h. die Abbildung

f−1: H → G erfüllt die Homomorphismuseigenschaft von Definition 36. �

Korollar 42. Seien G und H Gruppen. Dann gilt:

G ∼= H ⇐⇒ H ∼= G.

12

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Lemma 43. Seien f1: G → H und f2: H → K zwei Homomorphismen von

Gruppen. Dann ist auch die Verkettung

f2 ◦ f1: G→ K

ein Homomorphismus. Insbesondere ist die Verkettung zweier Isomorphismen wieder

ein Isomorphismus.

Beweis. Sei g, h ∈ G. Dann gilt

(f2 ◦ f1)(gh) = f2(f1(gh)) = f2(f1(g) · f2(h))

= f2(f1(g)) · f2(f1(h)) = (f2 ◦ f1)(g) · (f2 ◦ f1)(h). �

Proposition 44. Sei G eine Gruppe. Dann ist Aut(G) eine Untergruppe der

symmetrischen Gruppe SG.

Beweis. Da jeder Automorphismus von G nach Definition eine Permutation von G

ist, folgt, daß Aut(G) eine Teilmenge von SG ist.

Wir zeigen, daß die drei Bedingungen von Proposition 34 für Aut(G) erfüllt sind:

(1) Die Identität idG : G → G ist nicht nur eine Permutation von G sonder

offensichtlich ein Isomorphismus von G. Daher ist idG ∈ Aut(G) und somit

gilt Aut(G) 6= ∅.

(2) Wir müssen Zeigen, daß die Teilmenge Aut(G) abgeschlossen ist unter der

Verknüpfung der symmetrischen Gruppe SG, d.h. unter der Verkettung von

Abbildungen.

Sei f1, f2 ∈ Aut(G) zwei Automorphismen von G. Dann besagt Lemma 43,

daß die Verkettung f1 ◦ f2 ein Autmorphismus von G ist. Also gilt f1 ◦ f2 ∈

Aut(G), d.h., die Menge Aut(G) ist abgeschlossen unter der Verknüpfung

von SG.

(3) Schließlich müssen wir zeigen, daß für jedes f ∈ Aut(G) gilt, daß das unter

der Verknüpfung von SG zu f inverse Element f−1 zu Aut(G) gehört.

Sei also f ∈ Aut(G). Von Beispiel 28 wissen wir, daß die Umkehrabbil-

dung f−1 das inverse Element zu f in der Gruppe SG ist. Lemma 41 besagt,

daß f−1 ebenfalls ein Automorphismus ist, d.h., es gilt sogar f−1 ∈ Aut(G).

Also ist die Teilmenge Aut(G) ⊆ SG nach Proposition 34 sogar eine Untergruppe,

d.h. Aut(G) ≤ SG. �

Definition 45. Die Gruppe Aut(G) wird Automorphismengruppe von G genannt.13

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Definition 46. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann wird die

Menge

ker(f) := {g ∈ G | f(g) = 1}

der Kern des Homomorphismus f bezeichnet.

Lemma 47. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann ist ker(f)

eine Untergruppe von G und f(G) eine Untergruppe von H.

Beweis. Übungsaufgabe. �

Lemma 48. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann gilt:

f ist ein Monomorphismus ⇐⇒ ker(f) = {1}

Beweis. Übungsaufgabe. �

Satz 49 (Satz von Cayley4). Sei G eine Gruppe. Dann ist G isomorph zu einer

Untergruppe der symmetrischen Gruppe SG.

Beweis. Sei G die Untergruppe von SG von Beispiel 35. Sei

ϕ: G→ G, g 7→ ϕ(g) := lg,

d.h. ϕ bildet ein Gruppenelement g ∈ G auf die Permutation lg ∈ Perm(G) ab. Wir

wollen zeigen, daß dies ein Isomorphismus ist.

In Beispiel 35 habe wir uns überzeugt, daß lg ◦ lh = lgh gilt. Somit gilt

ϕ(gh) = lgh = lg ◦ lh = ϕ(g)ϕ(h)

für jedes g, h ∈ G, d.h., ϕ ist ein homomorphismus von Gruppen.

Die Abbildung ϕ is nach Konstruktion surjektiv, d.h., ϕ ist ein Epimorphismus.

Es bleibt also noch zu zeigen, daß ϕ auch ein Monomorphismus ist. Wir wollen

dazu Lemma 48 anwenden. Sei also g ∈ ker(ϕ), d.h. ϕ(g) = idG. Sei h ∈ G. Dann

gilt gh = lg(h) = idG(h) = h. Daraus folgt, daß g = 1 ist und somit ist ker(ϕ) = {1}

und ϕ ein Monomorphismus nach Lemma 48.

Also ist ϕ: G→ G ein Isomorphismus von Gruppen und so ist G isomorph zu G,

einer Untergruppe von SG. �

4Arthur Cayley (1821–1895) war ein englischer Mathematiker.14

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4. Nebenklassen, Normalteiler und Faktorgruppen

Definition 50. Sei G eine Gruppe und H ≤ G eine Untergruppe. Sei g ∈ G. Dann

heißt die Teilmenge

gH := {gh | h ∈ H} ⊆ G

eine Linksnebenklasse von H in G. Analog heißt die Teilmenge

Hg := {hg | h ∈ H} ⊆ G

eine Rechtsnebenklasse von H in G.

Ein Element k ∈ gH heißt Repräsentant der Linksnebenklasse gH. Analog heißt

ein Element k ∈ Hg ein Repräsentant der Rechtsnebenklasse Hg.

Die Menge aller Linksnebenklassen von H in G bezeichnen wir mit G/H, d.h.

G/H := {gH | g ∈ G}.

Bemerkung 51. (1) Da 1 ∈ H gilt g ∈ gH für jedes g ∈ G.

(2) Für jedes g ∈ G gilt gH = lg(H), d.h., die Linksnebenklasse gH ist die

Bildmenge von H unter dem Automorphismus

lg: G→ G, h 7→ gh.

(3) Es gilt offensichtlich

∀g, g1, g2 ∈ G: g1H = g2H ⇐⇒ gg1H = gg2H.

Lemma 52. Sei G eine Gruppe und H ≤ G und sei g1, g2 ∈ G. Dann gilt:

g1H = g2H ⇐⇒ g−12 g1 ∈ H

Beweis. Es gilt g1H = g2H ⇐⇒ g−12 g1H = g−12 g2H. Da g−12 g2 = 1 folgt, daß

g−12 g2H = H. Somit bleibt zu zeigen, daß g−12 g1H = H ⇐⇒ g−12 g1 ∈ H gilt.

“⇒”: Klar, da nach Voraussetzung g−12 g1 ∈ g−12 g1H = H.

“⇐”: Wenn g−12 g1 ∈ H, dann ist lg−12 g1

nicht nur ein Automorphismus von G

sondern auch ein Automorphismus von H. Damit ist g−12 g1H = lg−12 g1

(H) = H. �

Lemma 53. Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Sei g1, g2 ∈ G. Dann gilt:

g1H ∩ g2H = ∅ oder g1H = g2H

Beweis. Sei g1H ∩ g2H 6= ∅. Dann gibt es ein g ∈ g1H ∩ g2H und somit muß es

h1, h2 ∈ H geben mit g = g1h1 = g2h2. Dann gilt aber

g−11 g2 = h1h−12 ∈ H

und somit ist g1H = g2H aufgrund von Lemma 52. �

15

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Korollar 54. Die Linksnebenklassen von H in G bilden eine Partition5 von G.

Bemerkung 55. Die Aussagen über Linksnebenklassen von Bemerkung 51 bis

Korollar 54 gelten sinngemäß auch für Rechtsnebenklassen. Allerdings ist dann

Hg = rg(H), wobei rh der Automorphismus

rg: G→ G, h 7→ hg

(Rechtsmultiplikation mit g) ist und die Aussage von Lemma 52 dann in der folgenden

Variation gilt:

Hg1 = Hg2 ⇐⇒ g1g−12 ∈ H.

Definition 56. Sei G eine Gruppe. Ein Normalteiler von G ist eine Untergruppe

von G für die gilt

∀g ∈ G: gH = Hg,

d.h., die Linksnebenklassen von H in G stimmen mit den Rechtsnebenklassen von H

in G überein. Ist dies der Fall, dann schreiben wir H E G.

Lemma 57. Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Dann gilt:

H E G ⇐⇒ ∀g ∈ G, h ∈ H: ghg−1 ∈ H

Beweis. “⇒”: Sei H E G. Sei g ∈ G und h ∈ H. Dann ist gh ∈ Hg, d.h., es gibt

ein h′ ∈ H mit gh = h′g. Dann ist ghg−1 = h′ ∈ H.

“⇐”: Sei gh ∈ gH mit h ∈ H. Wir setzen h′ := ghg−1. Nach Voraussetzung gilt

h′ ∈ H. Dann ist

gh = ghg−1g = h′g ∈ Hg

und somit haben wir gH ⊆ Hg gezeigt. Die umgekehrte Inklusion gH ⊇ Hg wird

analog bewiesen. Insgesammt gilt somit gH = Hg und dies unabhängig von g ∈ G.

Somit ist H E G. �

Bemerkung 58. Sei G eine Gruppe. Dann sind {1} und G immer Normalteiler

von G. Ist G abelsch, dann gilt H E G für jede Untergruppe H von G.

Lemma 59. Sei f : G→ H ein Homomorphismus von Gruppen. Dann gilt:

ker(f) E G

Beweis. Übungsaufgabe. �

5Siehe Definition 4.16

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Lemma 60. Sei G eine Gruppe und N E G ein Normalteiler. Dann ist durch

· : G/N ×G/N → G/N,

(gN, hN) 7→ gN · hN := ghN

eine wohldefinierte Verknüpfung auf der Menge G/N der Linksnebenklassen definiert.

Beweis. Wir müssen nur zeigen, daß ghN nicht von der Wahl der Repräsentanten g

und h der Nebenklassen gN und hN abhängt.

Sei also g′, h′ ∈ G sodaß g′N = gN und h′N = hN . Dann gilt g−1g′ ∈ N wegen

Lemma 52. Wir setzen n := g−1g′. Dann ist

(gh)−1(g′h′) = h−1g1g′h′ = h−1nh′ = h−1h′︸ ︷︷ ︸∈N

(h′)−1nh′︸ ︷︷ ︸∈N

∈ N

da h−1h′ ∈ N wegen Lemma 52 und (h′)−1nh ∈ N wegen Lemma 57. Also ist

ghN = g′h′N wegen Lemma 52. �

Proposition 61. Sei N ein Normalteiler der Gruppe G. Dann ist die Menge G/N

eine Gruppe unter der Verknüpfung von Lemma 60.

Beweis. Sei gN, hN, kN ∈ G/N . Dann gilt

(gN · hN) · kN = ghN · kN = ghkN = gN · hkN = gN · (hN · kN)

und somit ist die Verknüpfung assoziativ, d.h., das Gruppenaxiom (G1) ist erfüllt.

Sei gN ∈ G/N . Dann gilt gN · 1N = g1N = gN = 1gN = 1N · gN . Somit ist

die Linksnebenklasse 1N = N das neutrale Element der Verknüpfung, d.h., das

Gruppenaxiom (G2) ist erfüllt.

Schließlich ist auch das Gruppenaxiom (G3) erfüllt, da für jedes gN ∈ G/N gilt

gN · g−1N = gg−1N = N = g−1gN = g−1N · gN,

d.h. g−1N = (gN)−1 ist das zu gN inverse Element.

Da alle drei Gruppenaxiome erfüllt sind, ist G/N eine Gruppe unter der Ver-

knüpfung von Lemma 60. �

Definition 62. Sei N ein Normalteiler einer Gruppe G, dann verstehen wir unter

der Faktorgruppe G/N die Menge der Nebenklassen von N in G zusammen mit der

Verknüpfung aus Lemma 60.

Bemerkung 63. Ist G eine abelsche Gruppe, dann ist jede Untergruppe H ≤ G

auch ein Normalteiler von G, und zudem ist die Faktorgruppe G/H ebenfalls abelsch.

17

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5. Zerlegungssatz für Homomorphismen von Gruppen

Lemma 64. Sei G eine Gruppe und N E G ein Normalteiler. Dann ist

π: G→ G/N, g 7→ π(g) := gN

ein Epimorphismus mit ker(π) = N .

Beweis. Sei g, h ∈ G. Dann gilt π(gh) = ghN = gN · hN = π(g)π(h). Also ist π ein

Homomorphismus. Die Surjektivität von π ist offensichtlich.

Sei g ∈ N . Dann gilt π(g) = gN = N und somit ist g ∈ ker(π), d.h. N ⊆ ker(π).

Ist andererseits g ∈ ker(π), dann gilt gN = π(g) = N und somit ist g = 1−1g ∈ N

wegen Lemma 52, d.h. ker(π) ⊆ N . Somit gilt ker(π) = N . �

Definition 65. Der Epimorphismus von Lemma 64 wird kanonischer Epimorphis-

mus oder kanonische Projektion gennant.

Satz 66 (Erster Isomorphie Satz). Sei f : G → H ein Homomorphismus von

Gruppen. Sei N := ker(f). Dann ist

f : G/N → f(G), gN 7→ f(g)

ein wohldefinierter Isomorphismus von Gruppen.

Beweis. Wir müssen zuerst einmal zeigen, daß die Definition der Abbildung f

wohldefiniert ist, d.h., wir müssen zeigen, daß gN = g′N die Gleichheit f(g) = f(g′)

impliziert.

Sei also gN = g′N . Dann gilt g−1g ∈ N und somit f(g−1g) = 1. Also gilt

f(gN) = f(g) = f(g)f(g−1g′) = f(gg−1g′) = f(g′) = f(g′N),

und die Abbildung f ist wohldefiniert.

Sei gN, hN ∈ G/N . Dann gilt

f(ghN) = f(gh) = f(g)f(h) = f(gN)f(hN),

und somit ist f ein Homomorphismus von Gruppen.

Der Homomorphismus f ist offensichtlich nach Konstruktion surjektiv. Es bleibt

also noch zu überprüfen, daß f auch injektiv ist.

Sei also gN ∈ G/N so, daß f(gN) = 1 ist. Dann gilt, daß f(g) = 1, und

somit muß g ∈ ker(f) = N sein. Damit ist gN = N und somit ist ker(f) = {N},

daß heißt, nur das neutrale Element N der Faktorgruppe G/N ist im Kern der

Abbildung f enthalten. Somit ist f auch ein Monomorphismus nach dem Kriterium

von Lemma 48. �18

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Korollar 67 (Zerlegungssatz für Homomorphismen von Gruppen). Sei f : G→ H

ein Homomorphismus von Gruppen. Sei N := ker(f). Dann existiert das folgende

kommutative Diagram

G H

G/N f(G)

f

π

f

ı

wobei π der kanonische Epimorhismus ist, f der Isomorphismus von Satz 66 und

ı: f(G)→ H,x 7→ x

die Inklusion des Bildes f(G) in H.

6. Innere Automorphismen

Definition 68. Sei G eine Gruppe und g ∈ G. Wir nennen die Abbildung

αg: G→ G, h 7→ ghg−1

Konjugation mit g oder den inneren Automorphismus zu g. Die Menge aller inneren

Automorphismen von G bezeichnen wir mit Inn(G).

Lemma 69. Sei G eine Gruppe und g ∈ G. Dann ist der innere Automorphismus

αg: G → G aus Definition 68 tatsächlich ein Automorphismus von G (d.h. die

Namensgebung in der Definition 68 ist gerechtfertigt).

Beweis. Sei h1, h2 ∈ G. Dann gilt

αg(h1h2) = gh1h2g−1 = gh1g

−1gh2g−1 = αg(h1)αg(h2),

d.h. αg ist ein Homomorphismus. Durch einfaches Nachrechnen verifiziert man, daß

αg ◦ αg−1 = idG = αg−1 ◦ αg und somit αg eine bijektive Selbstabbildung von G,

also ein Automorphismus von G ist. �

Lemma 70. Sei G eine Gruppe. Dann gilt:

(1) ∀g ∈ G: (αg)−1 = αg−1

(2) ∀g1, g2 ∈ G: αg1 ◦ αg2 = αg1g2

Beweis. Die erste Aussage wurde schon im Beweis des vorherigen Lemmas indi-

rekt angesprochen. Die zweite Aussge wird gleichfalls durch direktes Nachrechnen

überprüft. �19

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Proposition 71. Sei G eine Gruppe. Dann ist Inn(G) eine Untergruppe von

Aut(G).

Beweis. Lemma 69 besagt, daß Inn(G) ⊆ Aut(G). Die Menge Inn(G) ist nicht

leer, da G 6= ∅. Nun besagt Lemma 70, daß wir das Untergruppenkriterium von

Proposition 34 anwenden können, woraus die Aussage folgt. �

Lemma 72. Sei G eine Gruppe und N eine Untergruppe von G. Dann gilt:

N E G ⇐⇒ ∀g ∈ G: αg(N) ⊆ N

Beweis. Dies ist einfach eine Umformulierung von Lemma 57. �

7. Operationen von Gruppen

Definition 73. Sei G eine Gruppe und X eine Menge. Eine Operation (oder

Wirkung) Φ von G auf X ist eine Abbildung

Φ: G×X → X, (g, x) 7→ gx,

welche die folgenden zwei Eigenschaften erfüllt:

(O1) ∀x ∈ X: 1x = x

(O2) ∀x ∈ X: ∀g, h ∈ G: (gh)x = g(hx)

Eine G-Menge X = (X,Φ) besteht aus einer Menge X und einer Operation Φ

von G auf X.

Beispiele 74. (1) Mit

Φ: G×X → X, (g, x) 7→ x

ist immer eine Operation der Gruppe G auf einer Menge X gegeben. Wir

sagen, daß G trivial auf X operiert.

(2) Jede Gruppe G operiert auf sich selbst via Linksmultiplikation:

Φ: G×G→ G, (g, h) 7→ gh

(3) Jede Gruppe G operiert auf sich selbst via Konjugation:

Φ: G×G→ G, (g, h) 7→ ghg−1

(4) Die symmetrische Gruppe SX operiert auf natürliche Weise auf X via

Φ: SX ×X → X, (f, x) 7→ f(x).

20

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α

(0, 0)

(x, y)(x, y)

(x′, y′)

Abbildung 4. Rotation um den Ursprung (0, 0) im R2.

(5) Die Gruppe der ganzen Zahlen Z operiert auf der Menge R der reellen

Zahlen durch Translation:

Φ: Z× R→ R, (k, x) 7→ x+ k

(6) Die Gruppe der rellen Zahlen R operiert auf R2 := R× R durch Rotation

um den Ursprung (0, 0):

Φ: R× R2 7→ R2, (α, x, y) 7→ (x′, y′)

wobei x′ und y′ gegeben sind durch (siehe Abbildung 4):

x′ := (cosα) · x− (sinα) · y

y′ := (sinα) · x+ (cosα) · y

(7) Sei H ≤ G und X eine G-Menge. Dann ist X auf natürliche Weise auch

eine H-Menge.

8. Isometrien und der Euklidische Raum

Definition 75. Ein metrischer Raum X = (X, d) besteht aus einer Menge X und

einer Abbildung

d: X ×X → R ∪ {∞}

welche die folgenden drei Axiome einer Metrik erfüllt:

(M1) ∀x, y ∈ X: d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y

(M2) ∀x, y ∈ X: d(x, y) = d(y, x)

(M3) ∀x, y, z ∈ X: d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) (Dreiecksungleichung)21

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Definition 76. Seien (X, d) und (Y, d′) zwei metrische Räume. Eine Abbildung

f : X → Y

heißt Isometrie, wenn sie Distanzen unverändert läßt, d.h., wenn gilt:

∀x, y ∈ X: d′(f(x), f(y)) = d(x, y).

Definition 77. Sei X ein metrischer Raum. Dann bezeichnen wir mit

Isom(X) := {f : X → X | f ist eine bijektive Isometrie}

die Menge aller isometrischen bijektiven Selbstabbildungen von X.

Lemma 78. Sei f : X → Y eine isometrie von metrischen Räumen (X, d) und

(Y, d′). Dann ist f injektiv.

Beweis. Sei x, y ∈ X mit f(x) = f(y). Dann ist d′(f(x), f(y)) = 0 und somit auch

d(x, y) = 0. Dann muß x = y sein, und deswegen ist f injektiv. �

Lemma 79. Seien f : X → Y und g: Y → Z Isometrien von metrischen Räumen.

Dann ist auch die Verkettung

g ◦ f : X → Z

eine Isometrie.

Beweis. Durch Nachrechnen. �

Lemma 80. Sei (X, d) und (Y, d′) zwei metrische Räume und sei f : X → Y eine

bijektive Isometrie. Dann ist auch die Umkehrabbildung

f−1: Y → X

eine Isometrie.

Beweis. Sei x, y ∈ Y . Dann gilt

d(f−1(x), f−1(y)) = d′(f(f−1(x)), f(f−1(y))) = d′(x, y),

und somit ist f−1 eine Isometrie. �

Proposition 81. Sei X ein metrischer Raum. Dann ist Isom(X) eine Untergruppe

der symmetrischen Gruppe SX .

Beweis. Nach Definition ist Isom(X) eine Teilmenge der Elemente der symmetri-

schen Gruppe SX . Die Identität idX auf X ist offensichtlich eine bijektive isomme-

trische Selbstabbilung von X und somit ist Isom(X) 6= ∅. Lemma 79 besagt, daß

Isom(X) abgeschlossen ist unter der Verknüpfung der Gruppe SX . Und Lemma 8022

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x2

y2

x1 y1

d(x, y)

x

y

Abbildung 5. Die euklidsche Metrik im R2.

besagt, daß für jedes f ∈ Isom(X) gilt, daß die Umkehrabbildung f−1 ebenfalls ein

Element von Isom(X) ist. Somit besagt Proposition 34, daß Isom(X) nicht nur eine

Teilmenge von SX ist, sondern auch eine Untergruppe von SX ist. �

Definition 82. Sei n ≥ 1 eine natürliche Zahl. Dann ist ein Element x ∈ Rn ein

geordnetes n-Tupel

x = (x1, . . . , xn)

von reellen Zahlen x1, . . . , xn ∈ R. Mit −x bezeichnen wir dann das n-Tupel

−x := (−x1, . . . ,−xn).

Der Ursprung von Rn ist das n-Tupel 0 := (0, . . . , 0).

Lemma 83. Sei n ≥ 1 eine natürliche Zahl. Sei eine Abbildung

d: Rn × Rn → R

gegeben durch

d(x, y) :=√

(x1 − y1)2 + . . .+ (xn − yn)2.

Dann erfüllt diese Abbildung die Axiome (M1), (M2) und (M3).

Beweis. Übungsaufgabe. �

Definition 84. Sei n ≥ 1. Die Metrik von Lemma 83 heißt euklidische6 Metrik. Die

Menge Rn zusammen mit der euklidischen Metrik heißt n-dimensionaler euklidischer

Raum. Wir bezeichnen ihn mit En.

6Euklid von Alexandria (ca. 360 v. Chr. – ca. 280 v. Chr.) war ein griechischer Mathematiker.Sein berühmtestes Werk “Die Elemente” ist vermutlich um 325 v. Chr. entstanden.

23

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f(0) = q0

q1 = f(p)Kr(f(0))

r

s

y

y1

Abbildung 6. Zum Beweis, daß eine isometrische Selbstabbildungdes E2 einen Kreis bijektiv auf einen Kreis abbildet (der Fall 0 <s < 2r).

Bemerkung. Isometrien sind nach Lemma 78 immer injektiv. Im allgemeinen ist

eine Isometrie von metrischen Räumen aber nicht surjektiv. Der n-dimensionale

euklidische Raum En hat allerdings die Eigenschaft, daß eine isometrische Selbstab-

bildung

f : En → En

zwingend auch surjektiv sein muß, d.h. isometrische Selbstabbildungen des En,

n ≥ 1, sind automatisch Bijektionen. Um dies für allgemeines n ≥ 1 zu beweisen,

fehlen uns noch die mathematischen Mittel. Für den Fall n = 2 ist der Beweis ein

wenig einfacher. Bevor wir diesen Beweis führen können, benötigen wir noch einen

Hilfssatz.

Definition 85. Sei (X, d) ein metrischer Raum, x ∈ X und r ≥ 0 eine reelle Zahl.

Dann heißt die Menge

Kr(x) := {y ∈ X | d(x, y) = r}

der Kreis um x mit Radius r.

Lemma 86. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie und r ≥ 0 eine reelle Zahl. Dann ist

f(Kr(0)) = Kr(f(0)),

d.h. das Bild eines Kreises von Radius r um den Ursprung 0 unter einer Isometrie

ist wieder ein Kreis mit Radius r.

Beweis. “⊆”: Sei x ∈ Kr(0). Dann ist d(0, x) = r, und da f eine Isometrie ist, folgt,

daß d(f(0), f(x)) = r gilt. Damit ist x ∈ Kr(f(0)) und somit f(Kr(0)) ⊆ Kr(f(0)).

24

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“⊇”: Sei y ∈ Kr(f(0)). Für den Beweis wählen wir einen beliebigen Punkt p ∈

Kr(0) und setzen q0 := f(0) und q1 := f(p). Sei s := d(q1, y). Es können nun

genau drei Fälle eintreten: entweder s = 0 oder 0 < s < 2r oder s = 2r (die

Dreiecksungleichung verbietet, daß s > 2r sein kann).

Ist s = 0, dann ist y = q1 = f(p).

Ist 0 < s < 2r, dann gibt es neben y genau einen weiteren Punkt y1 ∈ Kr(f(0))

mit d(q1, y1) = s (vergleiche mit Abbildung 6). Andererseits gibt es genau zwei

Punkte x, x1 auf dem Kreis Kr(0) mit d(p, x) = d(p, x1) = s. Damit bildet die

Isometrie f die Menge {x, x1} auf {y, y1} ab. Da f nach Lemma 78 injektiv ist, muß

entweder f(x) = y oder f(x1) = y gelten.

Schließlich, ist s = 2r, dann muß f(−p) = y sein, da y der einzige Punkt von

Kr(f(0)), ist der im Abstand 2r zu q1 ist und −p der einzige Punkt von Kr(0) ist,

der den Abstand 2r von p hat.

Wir haben also in allen drei Fällen gezeigt, daß es für jedes y ∈ Kr(f(0)) ein

x ∈ Kr(0) gibt mit f(x) = y. Somit ist Kr(f(0)) ⊆ f(Kr(0)). �

Proposition 87. Sei f : E2 → E2 eine isometrische Selbstabbildung des euklidischen

Raumes E2. Dann ist f bijektiv.

Beweis. Da wir schon wissen, daß eine Isometrie injektiv ist, müssen wir nur noch

zeigen, daß f surjektiv ist.

Sei y ∈ E2 beliebig und sei q := f(0). Setze r := d(q, y). Dann ist y ∈ Kr(q).

Lemma 86 besagt nun, daß Kr(q) = f(Kr(0)) ist. Da y ∈ Kr(q), muß es also ein

x ∈ Kr(0) geben mit f(x) = y. Somit ist f auch surjektiv. �

Beispiele 88. Beispiele von Isometrien des E2:

(1) Translationen. Bestimmt zum Beispiel durch zwei Punkte p, q ∈ E2.

τp,q(p) = q

(2) Drehungen. Bestimmt durch einen Fixpunkt p ∈ E2 und einen Winkel α ∈ R.

ρp,α

(3) Spiegelung. Bestimmt durch ihre Achse g ⊆ E2.

σg

(4) Gleitspiegelung. Bestimmt durch Achse und gerichteten Betrag (zum Beispiel

zwei Punkte auf der Achse bestimmen die Achse und den Betrag).

25

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Bemerkungen 89. (1) Translationen habe keine Fixpunkte.

(2) Rotationen haben genau einen Fixpunkt.

(3) Spiegelungen haben eine Gerade von Fixpunkten.

(4) Die Identität fixiert die ganze euklidische Ebene E2.

Vereinbarung. Die Identität zählt sowohl als Translation als auch als Rotation.

9. Klassifikation der Isometrien des E2

Satz 90 (Klassifikation der Isometrien des E2). Sei

f : E2 → E2

eine Isometrie. Dann ist f eine Translation, eine Rotation, eine Spiegelung oder

eine Gleitspiegelung.

Der Beweis erfordert einige Vorbereitungen, welche wir in Lemma 92 bis Lemma 99

durchführen.

Definition 91. Sei n ≥ 1 eine natürliche Zahl. Eine Teilmenge h ⊆ En ist eine

Gerade wenn es eine Isometrie

f : E1 → En

gibt mit h = f(E1).

Lemma 92. Sei m,n ≥ 1 zwei natürliche Zahlen und f : Em → En eine Isometrie.

Dann ist das Bild einer Geraden in Em eine Gerade in En.

Beweis. Die Aussage folgt sofort aus Lemma 79. �

Definition 93. Drei Punkte p, q, r ∈ E2 heißen kollinear, wenn sie auf einer Geraden

liegen.

Lemma 94. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie und p, q, r ∈ E2 drei paarweise ver-

schiedene Punkte, die nicht kollinear sind. Dann ist die Isometrie f eindeutig durch

f(p), f(q) und f(r) bestimmt.

Beweis. Wir müssen zeigen, daß wenn g: E2 → E2 eine Isometrie ist mit f(p) = g(p),

f(q) = g(q) und f(r) = g(r), dann ist f = g, d.h., f(x) = g(x) gilt für alle x ∈ E2.

Sei also x ∈ E2 ein beliebiger Punkt.

Sei h ⊆ E2 die Gerade durch p und q. Liegt x auf der Geraden h, dann liegt

wegen Lemma 92 sowohl f(x) und g(x) auf der Geraden f(h) durch f(p) = g(p)26

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p

q

rx1

x2

d(r, x1)

d(r, x2)

H+

H−

Abbildung 7. Zum Beweis von Lemma 94.

und f(q) = g(q). Dann ist aber g(x) eindeutig bestimmt durch d(p, x) und d(q, x).

Es folgt, daß f(x) = g(x) gelten muß.

Die Gerade h teilt E2 in zwei disjunkte Halbebenen H+ und H−. Da r nicht Teil

der Geraden h ist können wir ohne Einschränkung der Allgemeinheit annehmen, daß

r ∈ H+. Ist x /∈ h, gibt es genau zwei Punkte x1, x2 ∈ E2 welche die Gleichungen

d(p, x) = d(p, xi) und d(q, x) = d(q, xi)

für i = 1, 2 erfüllen, siehe Abbildung 7. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit

können wir annehmen, daß x1 ∈ H+ und x2 ∈ H−. Dann gilt d(r, x1) < d(r, x2).

Durch diese Ungleichung werden aber auch die Bildpunkte von f(x1) und f(x2)

eindeutig bestimmt. Und somit muß auch in diesem Fall f(x) = g(x) gelten. �

Lemma 95. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie. Seien p, q ∈ E2 zwei unterschiedliche

Punkte mit f(p) = p und f(q) = q. Dann ist f(r) = r für jeden Punkt r der Geraden

durch p und q.

Beweis. Sei h die Gerade welche durch p und q bestimmt ist. Nach Lemma 92 ist

dann f(h) auch eine Gerade, und da f(p) = p und f(q) = q gilt, muß f(h) = h sein.

Nun ist ein jeder Punkt r ∈ h durch d(r, p) und d(r, q) eindeutig bestimmt. Da

d(f(r), p) = d(f(r), f(p)) = d(r, p) und d(f(r), q) = d(f(r), f(q)) = d(r, q)27

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p = f(p)

q = f(q)

x1

x2

Abbildung 8. Zum Beweis von Lemma 96.

gilt, muß f(r) = r für jeden Punkt r ∈ h gelten. �

Lemma 96. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie mit zwei Fixpunkten p 6= q. Dann ist

f = idE2 oder f ist eine Spiegelung an der Achse pq.

Beweis. Sei x1 ∈ E2 ein Punkt, der nicht auf der Geraden durch p und q liegt. Dann

gibt es genau einen weiteren Punkt x2 ∈ E2 mit

d(p, x1) = d(p, x2) und d(q, x1) = d(q, x2),

siehe Abbildung 8. Da f(p) = p und f(q) = q und eine Isometrie injektiv ist, muß f

eine bijektive Selbstabbildung der Menge {x1, x2} induzieren. Es gibt genau zwei

Möglichkeiten: entweder f(x1) = x1 oder f(x1) = x2. Im ersten Fall stimmt f

auf den drei Punkten p, q und x1 mit der Identität idE2 überein, im zweiten Fall

stimmt f auf den drei Punkten p, q und x1 mit der Spiegelung an der Achse pq

überein. Da p, q und x1 nicht kollinear sind, folgt nun die Aussage des Lemmas

wegen Lemma 94. �

Lemma 97. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie mit genau einem Fixpunkt p. Dann

ist f eine Rotation um p.

Beweis. Sei q ∈ E2\{p}. Dann gilt d(f(q), p) = d(f(q), f(p)) = d(q, p), und deswegen

liegt auch f(q) auf dem Kreis K um p, welcher durch q geht. Wähle ein r ∈ K mit28

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K

p

q

r

f(q)

f(r)

d(p, q)

s

s

s

Abbildung 9. Zum Beweis von Lemma 97.

d(q, r) = d(f(q), r), siehe Abbildung 9, und setze s := d(q, r). Dann sind p, q und r

drei paarweise verschiedene Punkte des E2, welche nicht kollinear sind.

Es gilt f(r) ∈ K und

d(f(q), f(r)) = d(q, r) = s.

Da f(r) 6= r, muß f(r) “auf der anderen Seite” von f(q) liegen. Somit stimmt die

Isometrie f auf den Punkten p, q und r mit einer Rotation um den Punkt p überein.

Da diese Punkte nicht kollinear sind, muß f wegen Lemma 94 eine Rotation um p

sein. �

Lemma 98. Sei f : E2 → E2 eine fixpunktfreie Isometrie. Wenn es ein p ∈ E2 gibt,

sodaß p, f(p) und f(f(p)) kollinear sind, dann ist f eine Translation oder f ist

eine Gleitspiegelung.

Beweis. Da f(p) 6= p, gibt es eine Gerade h, die eindeutig durch p und f(p) bestimm-

te ist. Nach Voraussetzung ist f(f(p)) ∈ h. Wir haben d(p, f(p)) = d(f(p), f(f(p))).

Neben p gibt es genau einen weiteren Punkt r ∈ h mit d(r, f(p)) = d(p, f(p)). Sei

m ∈ h der Mittelpunkt zwischen p und f(p). Wäre f(f(p)) = p, dann wäre m ein

Fixpunkt von f , und wir hätten einen Widerspruch zur Voraussetzung.

Sei x ∈ E2 ein, Punkt der nicht auf der Gerade h liegt. Es gibt genau zwei Punkte

y1, y2 ∈ E2, für welche

d(f(p), yi) = d(p, x) und d(f(f(p)), yi) = d(f(p), x)

gilt, i = 1, 2, siehe Abbildung 10. Es muß also gelten f(x) = y1 oder f(x) = y2.

Ist f(x) = y1, dann stimmt die Isometrie f auf den drei Punkten p, f(p) und x

mit einer Translation überein. Ist f(x) = x2, dann stimmt die Isometrie f auf

den drei Punkten p, f(p) und x mit einer Gleitspiegelung entlang der Achse pf(p)29

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p m f(p) r = f(f(p))

x y1

y2

Abbildung 10. Zum Beweis von Lemma 98.

überein. Da die Punkte p, f(p) und x nicht kollinear sind, folgt wegen Lemma 94,

daß die Isometrie f eine Translation oder eine Gleitspiegelung ist. �

Lemma 99. Sei f : E2 → E2 eine fixpunktfreie Isometrie. Dann gibt es ein z ∈ E2,

sodaß z, f(z) und f(f(z)) paarweise verschieden und kollinear sind.

Beweis. Sei p ∈ E2 und setze q := f(p) und r := f(q). Da f keinen Fixpunkt hat,

müssen diese Punkte alle paarweise verschieden sein. Sind sie auch kollinear, dann

gibt es nichts zu beweisen. Wir nehmen also an, daß diese Punkte nicht auf einer

Geraden liegen.

Sei z der Mittelpunkt von p und q und hz die Gerade durch z welche senkrecht

zu pq steht. Sei a der Schnittpunkt der Geraden hz mit der Geraden durch q und r.

Es gilt d(p, a) = d(q, a).

Sei z′ der Mittelpunkt von q und r. Es gilt z′ = f(z). Sei hq die Gerade, welche

durch den Mittelpunkt von z und z′ und senkrecht auf der Gerade durch z und

z′ steht. Dann halbiert hq den Winkel, der pq und qr aufgespannt wird, siehe

Abbildung 11. Spiegelt man entlang hq, dann wird p auf r und z auf z′ abgebildet.

Sei b der Punkt, auf den a bei dieser Spiegelung abgebildet wird, und sei hz′ die

Gerade, auf welche hz bei dieser Spiegelung abgebildet wird.

Da a, q und r kollinear sind und hq den Winkel zwischen pq und qr halbiert,

folgt, daß die Punkte p, q und b ebenfalls kollinear sein müssen.

Da d(q, b) = d(q, a) und d(r, b) = d(p, a) ist, folgt, daß b einer der beiden Mög-

lichkeiten für f(a) ist. Wir zeigen, daß dies nicht sein kann. Sei m der Schnittpunkt

der Geraden hz und hq. Dann ist m ein Fixpunkt der Spiegelung um hq und da

m ∈ hz folgt somit, daß m ∈ hz′ . Die Punkte auf hz sind dadurch charakteri-

siert, daß sie die gleiche Distanz von p und q haben und die Punkte auf hz′ sind30

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hz hq

hz′

p

q

r

a

b

z

z′

m

Abbildung 11. Zum Beweis von Lemma 99.

hz′

p

q

r

s

a

b

b′ = f(a)

z

z′

z′′

Abbildung 12. Zum Beweis von Lemma 99.

dadurch charakterisiert, daß sie die gleiche Distanz von q und r haben. Somit

gilt d(m, p) = d(m, q) = d(m, r). Des weiteren gilt, daß d(m, a) = d(m, b). Sei

ρ: E2 → E2 die Drehung um den Punkt m welche z auf z′ abbildet. Dann gilt

ρ(p) = q, ρ(q) = r und ρ(a) = b. Ist nun f(a) = b, dann stimmt f mit der Isometrie

ρ auf den drei nicht kollinearen Punkten p, q und a überein. Somit ist ρ = f

wegen Lemma 94. Dann hat aber f einen Fixpunkt (nämlich m) und dies ist ein

Widerspruch zur Annahme, daß f eine fixpunktfreie Isometrie ist. Also ist f(a) 6= b.31

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Sei s := f(r) und z′′ der Mittelpunkt von r und s. Es gilt z′′ = f(z′). Sei

weiterhin b′ := f(a). Dann liegt b′ auf der Geraden hz′ und es gilt d(q, b) = d(r, b)

und d(q, b′) = d(r, b′), siehe Abbildung 12. Da pq senkrecht auf hq steht und z′ auch

der Mittelpunkt von b und b′ ist, muß d(b′, q) = d(b, q) gelten. Somit beschreiben

die Punkte q, b, r und b′ ein Parallelogram.

Da f die kollinearen Punkte a, q und r auf die Punkte b′, r und s abbildet,

müssen diese ebenfalls kollinear sein. Da p, q und b kollinear sind und qb parallel zu

b′r ist, folgt somit, daß pq parallel zu rs ist. Da d(p, q) = d(r, s), folgt somit, daß die

vier Punkte p, q, s und r ein Parallelogramm bilden. Hierbei sind die Punkte z und

z′′ Mittelpunkte zweier gegenüberliegenden Seiten in diesem Parallelogramm und z′

ist der Mittelpunkt einer Diagonalen in diesem Parallelogramm. Aus der Geometrie

wissen wir, daß dann z, z′ und z′′ kollinear sein müssen.

Somit haben wir ein z ∈ E2 gefunden, sodaß z, f(z) und f(f(z)) kollinear und

offensichtlich paarweise verschieden sind. �

Beweis von Satz 90. Sei f : E2 → E2 eine Isometrie. Es muß genau einer der folgen-

den drei Fälle eintreten:

(1) Die Isometrie f hat keine Fixpunkte. Dann gibt es wegen Lemma 99 ein

z ∈ E2 sodaß z, f(z) und f(f(z)) auf einer Geraden liegen. Somit ist f eine

Translation oder eine Gleitspiegelung nach Lemma 98.

(2) Die Isometrie f hat genau einen Fixpunkt. Dann ist f eine Rotation nach

Lemma 97.

(3) Die Isometrie f hat mindestens zwei Fixpunkte. Dann ist f die Identität

oder eine Spiegelung nach Lemma 96. �

10. Diskrete Untergruppen von Isom(E2)

Definition 100. Sei G eine Untergruppe von Isom(E2). Wir sagen, daß G eine

diskrete Untergruppe von G ist, wenn es eine reelle Zahl ε > 0 gibt, für die gilt:

(1) Ist 1 6= τ ∈ G eine Translation, dann verschiebt τ um mindestens den

Betrag ε.

(2) Ist 1 6= % ∈ G eine Rotation, dann dreht % mindestens um den Winkel ε.

Satz 101. Sei G ≤ Isom(E2) eine diskrete Untergruppe. Sei

T := {τ ∈ G | τ ist eine Translation}.

Dann gilt:32

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(1) T ist ein Normalteiler von G.

(2) Die Faktorgruppe G/T ist endlich.

(3) Genau einer der folgenden drei Fälle trift zu:

(a) T = {1}

(b) T = {τm | m ∈ Z} für ein nicht triviale Translation τ ∈ G (dann ist

G eine Friesgruppe).

(c) T = {τm1 τn2 | m,n ∈ Z} für zwei nicht triviale und nicht parallele

Translationen τ1, τ2 ∈ G (dann ist G eine Ornamentgruppe).

Beweis. Entfällt. �

Definition 102. Zwei Untergruppen G,H ≤ Isom(E2) heißen ähnlich, wenn es eine

winkeltreue Abbildung

s: E2 → E2

gibt, sodaß G = αs(H) gilt, wobei

αs: Isom(E2)→ Isom(E2),

f 7→ αs(f) := s ◦ f ◦ s−1.

Bemerkung 103. Ist s: E2 → E2 eine Isometrie, dann ist αs ein innerer Automor-

phismus von Isom(E2). In diesen Fall heißen G und H konjugiert.

Problem. Klassifikation der Fries- und Ornamentgruppen

(1) bis auf Konjugation;

(2) bis auf Ähnlichkeit;

(3) bis auf Automorphismen von Isom(E2);

(4) bis auf Isomorphie.

feiner

gröber

Proposition 104. Bis auf Ähnlichkeit gibt es genau 7 Friesgruppen und bis auf

Isomorphie gibt es genau 4 Friesgruppen (siehe Abbildung 13).

Beweis. Entfällt. �

Proposition 105. Bis auf Ähnlichkeit gibt es genau 17 Ornamentgruppen.

Beweis. Entfällt. �

Bemerkung 106. Im Gegensatz zu Proposition 104 und 105 gibt es unendlich

viele endliche diskrete Untergruppen von Isom(E2), die paarweise nicht isomorph

sind.

33

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F1 Z

F 11 Z× Z2

F 21 D∞

F 31 Z

F2 D∞

F 12 D∞ × Z2

F 22 D∞

Abbildung 13. Die 7 verschiedenen Friesgruppen.

34