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Erkrankungen der Hirnanhangsdrüse und deren Folgen auf die Psyche
Patientenselbsthilfegruppe für Hypophysen-und Nebennierenerkrankungen,
22.09.2011
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Dr. med. Christina DimopoulouInnere Medizin, Endokrinologie und klinische Chemie
Zusammenhänge zwischen Körperund Psyche bei Hypophysenerkrankungen
• vermehrte oder verminderte Ausschüttung von Hormonen kann sogar zu manifesten psychiatrischen Erkrankungen führen
• „endokrines Psychosyndrom“: psychische Veränderungen von Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität oder Stimmung, die durch hormonelle Erkrankungen hervorgerufen sind
Schweizer Psychiater Manfred Bleuler, 1948
Neuropsychiatrische Aspekte bei Hypophysenerkrankungen
Psychopathologie
Persönlichkeit Lebensqualität
Neuropsychologie
Gehirnarchitektur/MRT
Schmerz
Schlaf
Bereiche neuropsychiatrischer Funktionen/Diagnostik
Welche psychischen Symptome können beiErkrankungen der Hirnanhangsdrüse vorliegen?
• Müdigkeit• eingeschränkte Leistungsfähigkeit• Konzentrationsstörungen• Unruhe• Reizbarkeit• Wesensveränderungen• Gedächtnisstörungen
Sind nur hormonelle Störungen immer ursächlich für diese psychiatrischen Symptome???
• Nebenwirkungen der verschiedenen Therapien• Anpassungsstörungen• suboptimale Ersatztherapien• schwer behandelbare Begleiterkrankungen
wie z.B. Schmerzen oder Übergewicht• fehlende soziale Unterstützung• körperliche Symptome mit
außergewöhnlicher psych. Belastung
Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
• Masterdrüse des endokrinen Systems
pituitary stalk
Thirdventricle
Optic chiasm
Anteriorpituitary Posterior
pituitary
Hypophyseal fossa(sella turcica) of the
sphenoid bone
ADH
Oxytocin
PRLFSH
LHTSHGH
ACTH
Gliederung
Zu viel Hormon?1. Akromegalie2. M. Cushing3. Prolaktinom
Zu wenig Hormon?1. HVL-Insuffizienz
- Cortisolmangel- Schilddrüsenhormonmangel- Sexualhormonmangel- Wachstumshormonmangel
Zu viel Hormon?
Akromegalie
Akromegalie
• Akromegalie = ἄκρος akros „Extremität“ + μέγαςmegas „groß“ (altgriechisch)
• seltene endokrinologische Erkrankung
• verursacht in 95% der Fälle durch ein gutartiges Geschwülst der Hirnanhangsdrüse, welches Wachstumshormon ausschüttet
• mittlere Dauer bis zur Diagnosestellung durch die schleichende Veränderung und Seltenheit der Erkrankung 6.6 - 10.2 Jahre1
1 Holdaway et Rajasoorya, 1999
Akromegalie - Klinik
Normalperson
vor nach 10 Jahren
Dehiszenzder Zähne
MakroglossieSchlafapnoesyndrom
KardiomegalieRhythmusstörungen
Hypertonus
AkrenvergrößerungWeichteilverdickung
Karpaltunnelsyndrom
Hypertrichosis
Hyperhidrosis
Vergröberung der Gesichtszüge
Struma
Kopfschmerzen
Normalperson
Akromegalie & Psyche
• etwa 35% der Patienten mit Akromegalie leiden an psychischen Erkrankungen wie der Depression; das ist doppelt so häufig wie bei Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen
• zusätzlich können akromegale Patienten unter Persönlichkeits-veränderungen leiden und Gedächtnisprobleme entwickeln, wahrscheinlich durch eine Veränderung der Gehirnarchitektur bedingt
• bislang ist nicht klar, wie, ob und wenn ja, welche der Therapien der Akromegalie diese psychischen Probleme positiv beeinflussen können
Sievers et al. , 2009 - 2011
Zu viel Hormon?
M. Cushing
M. Cushing
Cushing HW. Bull Johns Hopkins Hosp 1932;50:137‐195.
1932 Erstbeschreibung durch den Neurochirurgen Harvey Cushing
(1869 – 1939)
ACTH‐produzierendes
kortikotrophes
Hypophysenadenom
Übermäßige Glukokortikoid‐
Sekretion der Nebennierenrinde
= Cushing‐Syndrom
M. Cushing – Klinik
Vollmondgesicht
Hirsutismus
Striae rubrae
“Büffelnacken“
Proximale Myopathie
M. Cushing & Psyche
• psychische Auffälligkeiten bei M. Cushing sind gut dokumentiert
• etwa 50 - 70 % der Patienten entwickeln ein depressives Syndrom und praktisch alle Patienten berichten von Gedächtnisstörungen
• Selbstmordgedanken treten bei etwa 10 % der Patienten auf
• häufig ist eine Normalisierung der Cortisolwerte als alleinige Therapie nicht ausreichend und viele Patienten benötigen zusätzlich eine Psychopharmakatherapie
Kasuistik I
• 48-jährige, übergewichtige Krankenschwester
• Z.n. transsphenoidaler Hypophysen-OP bei M. Cushing 2006
• Derzeit: unverändert sekundäre NNR-Insuffizienz, Substitution mit Hydrocortison 20mg, antihypertensive Therapie
Beschriebene Symptomatik
• Gewichtszunahme von 3 kg im letzten Jahr (viszeral betont)
• Tagesmüdigkeit, Leistungseinschränkungen
• Schlafstörungen (frühes Erwachen)
• Stimmungsschwankungen
• Libidoverlust
Welches Problem liegt hier vor?
• Suboptimale Substitution bei Hypophyseninsuffizienz?
• Anpassungsstörung nach Diagnose/Hypophysen-OP?
• Depressive Entwicklung?
Prävalenz
Sonino et Fava, 2002
Prävalenz der „major depression“ bei Patienten mit Cushing-Syndrom
• 50-80% der Patienten mit Cushing-Syndrom leiden unter depressiven Symptomen
• keine signifikanten Differenzen zwischen zentralem und peripherem Cushing-Syndrom
• Höheres Alter, weibliches Geschlecht, höhere Urincortisollevel vor Therapie und höherer Schweregrad der Erkrankung sind positive Prädiktoren für das Auftreten einer Depression
Longitudinaler Verlauf
Dorn et al., 1997
• Zeitlicher Verlauf psychiatrischer Symptome von 33 Cushing-Patienten
• Ergebnis: Besserung, jedoch häufig dauerhafte erhöhte Prävalenzen
• 66.7% vor Heilung, 36% nach 6 Monaten, 24.1% nach 12 Monaten Therapie
• Patienten mit zusätzlichen psychiatrischen Symptomen kontaktieren doppelt so häufig Allgemeinmediziner wie Patienten ohne psychiatrische Symptome (Mechanic et al., 1982)
• Depression bei Cushing-Syndrom ist lebensgefährlich (Suizidalität!)
• Depression ist ein Prädiktor für den Verlauf des M. Cushing (Sonino et al., 1998)
Problematik
Probleme der Therapie
Antidepressiva sind schlechter wirksam bei Cushing-Patienten!
Byrne and Rotschild, 1998
Sonino et al., 1993
Zu viel Hormon?
Prolaktinom
Prolaktinom - Klinik
• Hinweise für einen Hypogonadismus
• Infertilität
• Oligomenorrhoe / Amenorrhoe
• Galaktorrhoe
• Libido / Potenzverlust beim Mann
Prolaktinom & Psyche
• obwohl Patienten mit Prolaktinomen bzw. einer Hyperprolaktinämie häufig von emotionalen Schwierigkeiten berichten, ist bisher nicht gut untersucht, wie häufig diese vorkommen
• bei der Therapie von Prolaktinomen mit Dopaminagonistenkann es als Nebenwirkung selten zu psychiatrischen Symptomen wie Wahnvorstellungen und Suchterkrankungen kommen
Zu wenig Hormon?
HVL-Insuffizienz
HVL-Insuffizienz: Symptome
Bleiche Haut Schwäche Müdigkeit, Apathie Gewichtsverlust Hypoglykämie
CAVE: Bei Krise -> Übelkeit, Erbrechen, Schock und Delir
ACTH
Wächserne, bleiche HautVerminderte Achsel- und SchambehaarungVermehrte periokuläre und periorale Fältelung der HautBei der Frau: Oligo-Amenorrhoe, Mammaatrophie, InfertilitätBeim Mann: Infertilität,Libido- und Potenzminderung, kleine weiche Testes
LH, FSH
Kälteintoleranz, FrierenTrockene raue HautGewichtszunahmeMüdigkeit, LethargieWesenveränderungBradykardie
TSHReduzierte MuskelmasseVerstärkte abdominelleFetteinlagerungErhöhtes LDL, reduziertes HDLVerminderte LeistungsfähigkeitReduzierte Lebensqualität
GH
Schneider et al. Dtsch Arztebl 2004
HVL-Insuffizienz & Psyche
• beim Zusammentreffen vom Hormonmangel und der Depression können alle Formen der Überlappung vorkommen, wie z. B.:
a) die Depression wird verursacht durch eine hormonelle Ursacheb) Depressionen werden verstärkt durch eine hormonelle Ursachec) sie sind völlig unabhängig davon, oderd) es liegt ein Fortbestehen der psychischen Probleme/der Depression trotz hormoneller Therapie oder auch erst ein Auftreten der Probleme wegen der Therapie der Hormonerkrankung vor
HVL-Insuffizienz & Psyche
Cortisolmangel
• eine Überaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-rinden-Achse spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Depression
• der chronische Cortisolmangel führt zu Problemen wie körperliche Schwäche, Müdigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, Depression, Angst oder paranoiden Gedanken
HVL-Insuffizienz & Psyche
Schilddrüsenhormonmangel
• die Änderung von Stimmung und Antrieb sind ein charakteristisches Symptom bei Funktionsstörungen der Schilddrüse
• erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie Depression oder Angst
• um psychische Problemen positiv zu beeinflussen, kann bei einigen Patienten der Versuch einer Kombinationstherapie aus T4 und T3 anstelle einer Therapie mit T4 alleine versucht werden, obwohl die Datenlage hierzu uneindeutig ist
HVL-Insuffizienz & Psyche
Sexualhormonmangel
• Frauen leiden insgesamt häufiger an psychischen Störungen und Depressionen als Männer; dies gilt auch für Patientinnen mit Hypophysenerkrankungen
• hormonelle Ersatztherapie mit Östrogen und Testosteron hat bei Frauen mit Sexualhormonmangel positive Wirkungen auf Stimmung und Gehirn und scheint daher besonders angeraten
• auch Männer profitieren in ihren „Stimmungswerten“ von einer optimierten Ersatztherapie mit Testosteron
HVL-Insuffizienz & Psyche
Wachstumshormonmangel
• ein Wachstumshormonmangel kann zu reduzierter Lebensqualität, depressiven Verstimmungen, Müdigkeit und sozialer Isolation führen
• die Wachstumshormonersatztherapie kann zu einer Verbesserung des psychischen Befindens und der Stimmung führen, wobei dieser Effekt dosisabhängig ist und vor allem von erwachsenen Patienten mit erworbenem Mangel und nicht so sehr von Kindern bemerkt wird
1.) Screenen/Erkennen mittels Anamnese
2.) Fragebögen verwenden WHO-Screening Fragebogen
Becks Depression Inventory (BDI)
3.) Fremdbeurteilungsinstrumente verwenden Hamilton Rating Scales (HAMD)
4.) Psychiatrisches Interview/Überweisung an Facharzt
Was kann der Endokrinologe diagnostisch tun?
Arzt Patient
Wie sind Ihre Stimmung, Antrieb, Appetit, Schlaf und Sexualverhalten?
Leitsymptome Depression Depressive Verstimmung Angst (Zukunft, Versagen, alltägliche Situationen) Antriebsminderung (Verlust v. Schwung, Initiative bis hin zum Stupor) Psychomotorische Störungen Vitalstörungen Vegetative Störungen (Schlaf, Appetit, Libido) Kognition (Konzentration, Aufmerksamkeit) Psychotische Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen) Suizidalität (15%)
Fragen/Anamnese
Traurigkeit - Depressivität - Depression
• Traurigkeit = „normales Gefühl“
• Emotion wie Zorn, Freude oder Angst
• neurobiologisch bei jedem Menschen angelegt
• in der Regel vorübergehend
• abhängig von Umweltfaktoren oder davon, was wir gerade tun
• lassen sich durch positive Tätigkeiten/Ereignisse unterbrechen
• Für Traurigkeit haben wir fast immer eine Erklärung
Haupt- und Nebensymptome nach ICD-10
• Konzentrationsstörungen• Reduziertes Selbstwertgefühl• Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit• Pessimistisches Gedankengut• Selbstverletzungsideen• Schlafstörungen• Appetitminderung
• Depressive Stimmungslage• Interessen- und Freudverlust• Antriebsminderung und reduziertes Aktivitätsniveau
NebensymptomeHauptsymptome
Therapie Depression
• Schwere depressive Episode
• Chronische Depression
• Früheres schlechtes
Ansprechen auf alleinige
Psychotherapie
• leichte bis mittelschwere
Symptomatik
• Kontraindikationen gegen
Pharmakotherapie
• Ablehnung medikamentöser
Therapie durch Patienten
Medikamentöse TherapieAlleinige Psychotherapie
Hilfe- und Selbsthilfegruppen für Depressive
Hilfe- und Selbsthilfegruppen für Depressive
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit