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Max Weber, der Historiker Zweiundzwanzig Beiträge Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 73

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Max Weber, der HistorikerZweiundzwanzig Beiträge

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 73

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Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka

Hans-Ulrich Wehler

Band 73 Jürgen Kocka (Hg.)

Max Weber, der Historiker

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

ISBN E-Book: 978-3-647-35734-8© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Max Weber, der Historiker

Herausgegeben von

Jürgen Kocka

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

ISBN E-Book: 978-3-647-35734-8© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Max Weber, der Historiker / hrsg. von Jürgen Kocka. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1986.

(Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 73) ISBN 3-525-35734-6

NE: Kocka J ü r g e n [Hrsg.]; GT

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986. - Printed in Germany. -Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile

ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags

unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung

in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Bembo auf Linotron 202 System 3 (Linotype).

Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeit: Hubert & Co. , Göttingen.

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Inhalt

Vorwort 7

I. JÜRGEN KOCKA Max Webers Bedeutung für die Geschichtswissenschaft 13

II. PIETRO Rossi Max Weber und die Methodologie der Geschichts­und Sozialwissenschaften 28 WOLFGANGJ. MOMMSEN Max Webers Begriff der Universalgeschichte 51 REINHARD BENDIX Kommentar zu P. Rossis Beitrag 73 JERZY TOPOLSKI Kommentar zu W.J. Mommsens Beitrag 78 ERIC J . HOBSBAWM Weber und Marx: Ein Kommentar 84

III. MOSES I. FINLEY (†) Max Weber und der griechische Stadtstaat 90 TORU YUGE Kommentar zu M. I. Finleys Beitrag 107 WILFRIED NIPPEL Die Kulturbedeutung der Antike. Marginalien zu Weber 112

IV. KLAUS SCHREINER Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus 119 JAROSLAV KUDRNA KommentarzuK. Schreiners Beitrag 151

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MATTI VIIKARI Max Weber, der okzidentale Rationalismus, der Feudalismus und das europäische Mittelalter 158

V. WOLFGANG KÜTTLER u. GERHARD LOZEK Der Klassenbegriffim Marxismus und in der idealtypischen Methode Max Webers 173 HANS-ULRICH WEHLER Max Webers Klassentheorie und die neuere Sozialgeschichte 193 HERTA NAGL-DOCEKAL Kommentar zu den Beiträgen von W. Küttler/G. Lozek undH.-U. Wehler 204 SVEN ELIAESON Kommentar zu den Beiträgen von W. Küttler/G. Lozek undH.-U. Wehler 209 EUGEN STÄNESCU Klasse und Stand bei Karl Marx und Max Weber 213

VI. SURENDRA MUNSHI Max Weber über Indien 221 YOSHINOBU SHIBA Max Webers Beitrag zur Geschichte nicht-europäischer Gesellschaften: China 242 HELWIG SCHMIDT-GLINTZER Kommentar zu den Beiträgen von S. Munshi und Y. Shiba 257 SlU-TONG KWOK Die weberianische Methodologie aus taoistischer Perspektive 260

VII. DETLEV J . K. PEUKERT Die Rezeption Max Webers in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland 264

Abkürzungsverzeichnis 279 Verzeichnis der Autoren 280 Sachregister 282 Personenregister 284

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Vorwort

Es ist keine Frage, daß Webers Schriften gegenwärtig mehr Ausstrahlungs­kraft haben, international mehr Aufmerksamkeit erhalten und mehr Faszi­nation ausüben als vor ein oder zwei Jahrzehnten, mehr auch als 1920, als Weber starb. Urteilt man nach der Häufigkeit der Zitate und Verweise, der Artikel und der Monographien, der Sammelbände und Konferenzen, ist Weber derzeit »in«, unter Sozialwissenschaftlern, Geisteswissenschaftlern und Intellektuellen überhaupt, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik.

Die Gründe für das wachsende Interesse an Weber sind vielfältig. Sicher­lich hängt es damit zusammen, daß die Faszination der 60er und frühen 70er Jahre für Marx und sein Denken, jedenfalls im Westen, stark rückläufig ist. Sicherlich hängt es auch mit dem Rückgang zukunftsoptimistischer Grund­stimmungen zusammen, der jedenfalls im westlichen Europa unübersehbar ist; damit entsteht eine neue Aufnahmebereitschaft für Webers ungemein ambivalente Einstellung gegenüber dem Fortschritt westlicher Prägung, für seine Skepsis gegenüber den Möglichkeiten von Planung und Wissenschaft, für seine nüchterne Ablehnung aller geschichtsphilosophischen Teleologie.

Aber letztlich und vor allem verweist die zunehmende Ausstrahlungskraft des Weberschen Werkes auf seine Qualität. Die universale Spannweite dieses »Kulturwissenschaftlers« hat wohl nach seinem Tod keiner mehr erreicht. Sein insgesamt unsystematisches, fragmentarisches Werk enthält so viele Themen, Einsichten, Erkenntnisse und Anregungen, daß Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen und Interessenrichtungen darin Lohnendes fin­den, und sei es nur zum Zweck der lohnenden Kritik.

Weber bietet eine seltene Verknüpfung von überwältigender empirischer Fülle und disziplinierter analytischer Durchdringung, von Empirie, Analyse und Reflexion. Eine spezifische Mischung von Nüchternheit und Leiden­schaft ist kennzeichnend für sein Werk. Und vor allem: Im Medium seines Werkes, mit seinen Fragestellungen und Kategorien kann man Grundfragen unserer Wissenschaft und unserer Zeit thematisieren - vom Problem des Praxisbezugs der Wissenschaft über die Auseinandersetzung mit den Phäno­menen des modernen Interventionsstaats und der Bürokratisierung bis hin zu aktuellen Debatten über die Grundlagen der westlichen Modernisierung als Fortschritt, Verlust und Gefahr.

Die im folgenden abgedruckten Beiträge - Referate und Kommentare der Weber-Sektion auf dem Internationalen Historikertag 1985 in Stuttgart1 -beschäftigen sich nur mit einem Teil dieser Problematik: mit Max Weber als

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Historiker und mit seiner Bedeutung für die Geschichtswissenschaft heute. Weber war zwar kein professioneller Historiker, aber auf weite Strecken kann man sein Werk als ein historisches lesen. Und er entwickelte methodi­sche Vorschläge, theoretische Ansätze und komparative Zugriffe, die für die Geschichtswissenschaft heute von größter Bedeutung sind. Historische For­schungen und Reflexionen standen im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit. Insofern ist der Titel dieses Bandes - »Max Weber, der Historiker« -zugespitzt, aber nicht unberechtigt. Die folgenden Beiträge bekommen nicht nur periphere Aspekte des Phänomens Weber in den Blick, sondern nähern sich - von verschiedenen Seiten und teilweise kontrovers - dessen Kern.

Sie beschäftigen sich zum einen mit Webers historisch-sozialwissenschaft­licher Methodologie: mit dem Zusammenhang zwischen Wertungen und empirischer Forschung, also mit dem Problem der Objektivität; mit Eigen­arten, Vorzügen und Grenzen des Idealtypus; mit dem Verhältnis von Ver­stehen und Erklären; mit dem Zusammenhang von Handlungs-, Erfah­rungs- und Strukturgeschichte; mit der Rolle von Theorien in der Geschich­te usw. Dies geschieht zwar auch direkt im Überblick (Beiträge von Rossi, Bendix und Topolski), aber vor allem an ausgewählten Beispielen: Webers empirische Beiträge zu historischen Problemen (seine Untersuchungen zur griechischen Polis, zur mittelalterlichen Stadt, über Feudalismus, seine klas­senanalytischen Ansätze, seine Studien über indische und chinesische Reli­gions- und Gesellschaftsgeschichte) werden auf ihre methodologischen Im­plikationen hin abgeklopft.2

Zum andern befassen sich die folgenden Beiträge mit Max Webers Ge­schichtsbild, seinen Vorstellungen über den Zusammenhang, die treibenden Kräfte, die kritischen Weichenstellungen, die Krisen und Perspektiven der Geschichte der westlichen Zivilisation und, darüber hinaus, der Weltge­schichte. Auch dies geschieht nur zum kleinen Teil im direkten Überblick (in Wolfgang Mommsens Artikel). Vor allem wird versucht, in den Beiträgen über ausgewählte empirische Studien Webers zu zeigen, wie diese von seiner meist unausgesprochen bleibenden Vorstellung über den Gesamtprozeß der Geschichte abhängen.

Daß ein enger Zusammenhang besteht zwischen Webers materialer (in­haltlicher) Geschichtsauffassung und seinen methodischen, methodologi­schen Optionen, versuchen die Beiträge im einzelnen herauszuarbeiten. Schließlich geht es immer wieder um den historischen Ort Max Webers, um die Färbung seiner Perspektiven, Thesen und Vergleiche durch seine Erfah­rungen als Zeitgenosse des Kaiserreichs, des Weltkriegs und der beginnen­den Weimarer Republik. In welcher Weise beeinflußte- beeinträchtigte oder schärfte - Webers Zeitgebundenheit seinen Blick, seine Fragen und Ant­worten?

Es lag nicht nur an der Zusammensetzung der Sektion auf diesem in Deutschland stattfindenden Internationalen Historikerkongreß, wenn im-

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mer wieder das Verhältnis von Weber und Marx in den Vordergrund der Diskussion rückte (so in den Beiträgen von Hobsbawm und Topolski, Küttler/Lozek, Wehler, Nagl-Docekal und Eliaeson, aber sporadisch auch in anderen Beiträgen und in der hier nicht abgedruckten Plenumsdiskussion.) Marx und Weber stellten teilweise ähnliche Fragen, auf die sie verschiedenar­tige Antworten gaben. Sie repräsentieren zwei einflußreiche, alternative Varianten des Denkens über Geschichte. Wie sich ihr Verhältnis näher bestimmt und was sie methodisch und inhaltlich für die Arbeit der Histori­ker bedeuten, ist ein wichtiges Thema der folgenden Beiträge.

Wie nützlich und tragfähig sind Webersche Ansätze heute? Wie stehen seine vor vielen Jahrzehnten gewonnenen Einsichten im Licht neuerer For­schungsergebnisse da? Haben sich seine Prognosen und Erwartungen bestä­tigt, oder wurden sie widerlegt? Die Bestandsaufnahme fuhrt zu gemischten Ergebnissen.

Es ist beeindruckend, wie Sachkenner (Schreiner, Viikari, Shiba, Schmidt-Glinzer) bestätigen, daß Webers Fragestellungen die Erforschung wichtiger Teilgebiete wie der mittelalterlichen Stadt oder der chinesischen Bürokratie entscheidend vorangetrieben haben und noch immer vorantrei­ben. Mit der möglichen Ausnahme von Marx (das bleibt umstritten) ist keiner zu sehen, der in ähnlich umfassender und zugleich operationalisierba­rer Weise wie Weber Theorien, Kategorien und Methoden zum großzügigen universalgeschichtlichen Vergleich anbietet - interkulturell und diejahrhun­derte übergreifend. Ein dezidiertes Plädoyer für Weber als unübertroffenen Inspirator moderner gesellschaftsgeschichtlicher Forschung stellt Wehlers Beitrag dar. Und unübertroffen bleibt Weber, wenn es darum geht, eine analytisch und theoretisch orientierte, praktisch engagierte, aber nicht dog­matisch parteiliche Geschichtswissenschaft zu begründen oder zu verteidi­gen: gegen einheitswissenschaftlichen Positivismus, gegen Instrumentali­sierung durch außerwissenschaftliche Dogmatismen, Instanzen und Mäch­te, gegen die neo-historistische Forderung »Zurück zur Erzählung« oder auch gegen die heute gängige Verkürzung der Geschichte auf Erfahrungs­und Betroffenheitshistorie. Und in Peukerts Bestandsaufnahme wird klar, daß Weber auch für die neuesten Versuche, die Gesellschaftsgeschichte kul­turgeschichtlich anzureichern, wichtige Angebote bereithält.

Aber auch Grenzen des Weberschen Werkes werden in den folgenden Beiträgen identifiziert. Ich meine damit weniger den Nachweis, daß er das Wissen seiner Zeit nur selektiv rezipierte (so z. Β. Kudrna in seinem Kom­mentar). Gemeint ist schon eher die weiterhin irritierende Vereinbarkeit von Chauvinismus und Scharfsinn, wilhelminischem Imperialismus und kultur­wissenschaftlicher Prägnanz, eine Mischung, deren Möglichkeit Weber be­weist, wenn sie in den folgenden Beiträgen auch kaum thematisiert wird. Die folgenden Beiträge beleuchten jedoch systematische Grenzen von We­bers Werk, Blindstellen und Fehldeutungen, die sich mit gewisser Notwen­digkeit aus seinem theoretischen Ansatz ergaben. Solche werden deutlich

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herausgearbeitet mit Bezug auf Webers Studien über die griechische (Finley, Yuge, Nippel) wie auch über die indische und chinesische (Munshi, Shiba) Stadt. Sie spiegeln sich im Eurozentrismus-Vorwurf gegen Weber, dessen vorwiegendes Interesse an der Eigenart der westlichen Zivilisation ihn zu einer vergleichenden Methode geführt habe, welche außereuropäische Ge­sellschaften gewissermaßen zu negativen Testfällen degradiere und zum Gegenstand einer Analyse ex negativo mache (so vor allem das Argument Munshis, teilweise auch Shibas, dem von Kwok und vor allem von Momm­sen widersprochen wird, der die Pluralisierung und Öffnung von Webers Geschichtsbild im Spätwerk nachzuweisen versucht). Immer wieder beto­nen die Beiträge neben dem Nutzen und der Brauchbarkeit des Idealtypus auch seine Grenzen. Wandel z. Β. lasse sich damit nicht erklären (so Schrei­ner), die ungenaue Bedeutungsfülle des Begriffs wird sicher zu recht mo­niert, oft ist nicht klar, ob man die Flexibilität des idealtypischen Ansatzes loben oder seine Unverbindlichkeit bedauern soll. Sehr grundsätzlich, das wird niemanden wundern, werden Grenzen des Weberschen Zugriffs von DDR-marxistischer Position her bezeichnet und kritisiert (Küttler/Lozek), wobei man diese Kritik auch dann interessiert zur Kenntnis nehmen wird, wenn man ihre Prämissen nicht teilen kann und sich, beinflußt vom Weber­schen Kritizismus, wundert, mit welch vertrauensvoller Sicherheit diese Prämissen vertreten statt befragt werden. In Marxscher Tradition aber mit anderen Akzenten argumentiert Hobsbawm, wenn er die Frage zu beant­worten sucht, warum es so viele marxistische Historiker, aber nur wenige weberianische gibt. Er mischt Hochachtung und Skepsis, Anerkennung und Kritik für Weber, indem er ihn an Marx mißt, ohne diesen als sakrosankt zu behandeln.

Sicher kann es nicht darum gehen, Weber in der historischen Forschung einfach »anzuwenden«. Aber wie die Stuttgarter Weber-Sektion bewies, kann man in der Auseinandersetzung mit Weber die »großen Fragen« der Geschichtswissenschaft diskutieren, ohne von der Empirie einfach abzuhe­ben, intellektuell spannend und empirisch diszipliniert zugleich, über welt­anschauliche und politische Grenzen hinweg, aber ohne diese einzuebnen oder zu leugnen. Was Webers Werk an strategischen Anregungen und empi­rischen Einsichten für die historische Teilforschung und für die großen Synthesen enthält, ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Es empfiehlt sich, hier weiter zu suchen, zu sammeln, zu plündern. Man sollte Webers Werk ruhig als »Steinbruch« benutzen, um mit den Funden eigene Bauten zu errichten, auch wenn das heißt: die Rezeption des »ganzen Weber« den Weber-Spezialisten zu überlassen.

Zu danken habe ich: den Autoren, Referenten und Kommentatoren der Stuttgarter Weber-Sektion dafür, daß sie sich ein ganzes Stück auf gemeinsa­me Fragestellungen eingelassen haben; Adelheid Baker und Marion Kämper vom Zentrum für interdisziplinäre Forschung Bielefeld sowie Heidemarie Bhatti-Küppers, Angelika Brandes und Thomas Göbel für Übersetzungsar-

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beiten und redaktionelle Hilfe; dem Stiftverband für die Deutsche Wissen­schaft für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses; dem Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte (Heidelberg/Bad Homburg) für die Finanzie­rung der Registerarbeit, die Gerd Storm selbständig durchgeführt hat.

Jürgen Kocka

Anmerkungen

1. Siehe Comite international des sciences historiques. XVI, congrès international des sciences historiques. Stuttgart du 25 août au ler septembre 1985, Rapports, Bd. 1, Stuttgart 1985, S. 240-281: Max Weber und die Methodologie der Geschichtswissenschaft (vorläufige Kurz­fassungen der im folgenden abgedruckten Referate, ohne Kommentare); Bd. 3, Stuttgart voraus. 1986 (enthält die im folgenden nicht abgedruckten Beiträge zur Plenumsdiskussion in Kurzfassung). - Der am Schluß abgedruckte Aufsatz von D. Peukert war kein Beitrag zur Weber-Sektion des Historikertags, sondern wurde anschließend angefertigt.

2 Zwei andere historisch-empirische Themen, die in Webers Werk zentral sind, werden im folgenden nicht berücksichtigt: Zur Protestantismus-Kapitalismus-Thematik vgl. C. Seyfarth u. W. M. Sprondel (Hg.), Religion und gesellschaftliche Entwicklung. Studien zur Protestan­tismus-Kapitalismus-These Max Webers, Frankfurt 1973; H. Otsuka, The Spirit of Capitalism. The Max Weber Thesis in an Economic Historical Perspective, o. O. 1982; P. Münch, Welcher Zusammenhang besteht zwischen konfessionellem und ökonomischem Verhlaten? Max We­bers These im Lichte der historischen Forschung, in: H.-G. Wehling (Hg.), Konfession - eine Nebensache? Politische, soziale und kulturelle Ausprägungen religiöser Unterschiede in Deutschland, Stuttgart 1984, S. 58-74. - Zu Webers Studien über das antike Rom vgl. A. Heuß, Max Webers Bedeutung für die Geschichte des griechisch-römischen Altertums, in: HZ 201, 1965, S. 529-556; A. Zingerle, Max Webers historische Soziologie. Aspekte und Materia­lien zur Wirtschaftsgeschichte, Darmstadt 1981; sowie die unten S. 117 in Anm. 1 von Nippels Beitrag genannten Titel.

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JÜRGEN KOCKA

Max Webers Bedeutung für die Geschichtswissenschaft*

Max Weber war kein Fachhistoriker. Aber die enge Verknüpfung seines Werkes mit der Geschichtswissenschaft ist unbestreitbar, vor allem in zwei­erlei Hinsicht: 1. Ursprünglich als Jurist ausgebildet, kam er über rechtshi­storische Arbeiten zur mittelalterlichen und antiken Geschichte früh dazu, selbst geschichtswissenschaftliche Studien mit Betonung der Wirtschafts­und Sozialgeschichte zu schreiben.1 Vor allem mit seinen einflußreichen Abhandlungen über die »Protestantische Ethik und den Geist des Kapitalis­mus« wie mit seinen religionssoziologischen Studien überhaupt legte Weber Arbeiten vor, die jedenfalls von den meisten heutigen Historikern als gesell­schafts- und universalgeschichtlich orientierte vergleichende Geschichtsfor­schung bezeichnet werden dürften, wenn sie auch die Kriterien der um 1900 dominanten, historistischen Fachhistorie (mit ihrer Betonung der Politikge­schichte und Quellennähe, der individualisierenden, beschreibenden und erzählenden Methoden) sprengten.2 Jedenfalls in Deutschland waren die systematischen Staats-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, übrigens auch die Sprach-, Kunst- und Geisteswissenschaften jener Zeit historisch ausgerichtet, so daß zwischen ihnen und der Geschichtswissenschaft ein fließender Übergang bestand. Weber ist dafür ein herausragendes Beispiel. Obwohl er vor allem nationalökonomische Professuren innehatte, zu den professionellen Zirkeln der Staats- und Sozialwissenschaftler gehörte (ζ. Β. zum »Verein für Sozialpolitik«) und zu Recht als ein Gründer der wissen­schaftlichen Soziologie gilt, schrieb er doch - unter anderem, in unverwech­selbarer Ausprägung und vor allem in seinem früheren Werk - Geschichte; es sei denn, man ginge von einem engen, bornierten Begriff von Historie aus, der sich nur schwer verteidigen ließe.3

2. In seinen methodologischen Arbeiten setzte sich Weber nicht nur mit historisch arbeitenden Sozialwissenschaftlern und Historikern seiner Zeit (Roscher, Knies, dem Althistoriker Ed. Meyer, Lamprecht, Treitschke) auseinander; er entwickelte auch die Grundlagen einer Theorie und Metho­dologie der »Kulturwissenschaften« (wie er sagte) und bezog sich damit in gleicher Weise auf die Geschichts- wie auf die Sozialwissenschaften. Jeden­falls entsprach das seinem Anspruch bis etwa 1910. Zwar sah er auch später

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noch Soziologie und Geschichte in engstem Gemenge, als zwei »empirische Wissenschaften vom Handeln«, aber seit 1913 betonte er stärker ihre Kom­plementarität. »Die Soziologie . . . bildet . . . Typen-Begriffe und sucht generelle Regeln des Geschehens, im Gegensatz zur Geschichte, welche die kausale Analyse und Zurechnung individueller, kulturwichtiger Handlun­gen, Gebilde, Persönlichkeiten erstrebt.«4 Tatsächlich läßt sich sagen - und diese These wird im folgenden etwas erläutert -, daß Webers methodologi­sche Einsichten, die übrigens stückweise, eher als Nebenprodukte seiner wissenschaftlichen Arbeit entstanden und veröffentlicht wurden, minde­stens so wichtig sind für die Geschichtswissenschaft (auch heute) wie für die systematischen Sozialwissenschaften. Er trug mehr zur Methodologie und Theorie einer modernen Geschichtswissenschaft bei als die meisten Histori­ker seiner Zeit und seitdem. Aus all diesen Gründen ist es nicht unberechtigt, den vorliegenden Band mit dem Titel »Max Weber, der Historiker« zu überschreiben. Fünf Elemente oder Hauptthemen seines Werkes scheinen besonders bedeutsam und wert, in diesem Zusammenhang diskutiert zu werden:

1. Analyse und Wertung

»Das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist es, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung able­sen können, sondern ihn selbst zu schaffen im Stande sein müssen, daß »Weltanschauungen« niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können und daß also die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeiten nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind wie uns die unseren.«5 Diese und ähnliche Aussagen lassen keinen Zweifel daran, daß Weber von der Nicht-Ableitbar­keit normativer Aussagen (über das, was sein soll) aus analytischen Aussa­gen (über das, was ist) zutiefst überzeugt war. Für ihn bestand ein kategoria­ler Spalt, ein Dimensions-Sprung zwischen Wissenschaft, der es um Analyse geht, einerseits und Politik andererseits, insoweit es dieser um die Bestim­mung von Normen und die Festlegung von Handlungszielen geht. Wissen­schaft kann Auskunft über die jeweils besten Mittel zur Erreichung be­stimmter Ziele geben, sie kann die Implikationen von Wertorientierungen und politischen Zielsetzungen herausarbeiten, sie kann auf Unvereinbarkei­ten zwischen verschiedenen Wertorientierungen und Zielen aufmerksam machen, sie kann die Realisierungschancen und wahrscheinlichen Folgen einschließlich nicht-intendierter Nebenfolgen unter gegebenen Bedingun­gen aufdecken. Doch sie kann nicht sagen, was getan werden soll, sie kann nicht Wertorientierungen begründen, Ziele setzen oder die Überlegenheit der einen Wertorientierung/Zielsetzung vor anderen legitimieren.

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Mit der Betonung dieser Disjunktion zwischen Analyse und Wertung, zwischen Wissenschaft und Politik erfüllte Weber zum einen eine kritische Funktion: Er enthüllte, wie sich durchaus partikularistische Standpunkte, Interessen und Programme, die mit anderen Standpunkten, Interessen und Programmen konkurrieren und kämpfen, als scheinbar notwendige Konse­quenzen richtiger Einsicht, als Frucht von Sachverstand und als Ergebnis wissenschaftlicher Analyse zu legitimieren suchen, so ihre Partikularität verschleiern und konkurrierenden Positionen die Existenzberechtigung ab­sprechen: Kritik an Wissenschaft als Rechtfertigungsideologie. Zum ande­ren beabsichtigte Weber mit seiner Betonung der Disjunktion zwischen Wissenschaft und Politik diese vor dem pseudo-objektivierenden Zugriff der Verwalter von Wissenschaft und Sachverstand abzusichern und so als Sphäre legitimer Auseinandersetzung verschiedener Standpunkte, legitimen Konflikts und Kompromisses zu begründen; denn wäre »das richtige« poli­tische Programm, »die richtige« politische Entscheidung als Ergebnis wis­senschaftlicher Analyse zu gewinnen, dann bliebe kein legitimer Raum für Dissens und Opposition, für Konkurrenz und Kampf, für Konflikt und Kompromiß, dann müßte in letzter Konsequenz ein Stab möglichst kompe­tenter Wissenschaftler das »allgemeine Wohl« unter den jeweiligen Bedin­gungen analytisch bestimmen und damit den politischen Prozeß aushöhlen bzw. ersetzen.

Webers entschiedenes Votum für diese Disjunktion von Wissenschaft und Politik folgte konsequent aus seinem Bild von der Formalstruktur geschicht­licher Wirklichkeit: Im Unterschied zu naturrechtlich, hegelianisch oder marxistisch argumentierenden Autoren sah er keinerlei Grund und vor allem keinerlei Berechtigung anzunehmen, daß die historische Wirklichkeit die Kriterien ihrer vernünftigen Fortentwicklung immer schon in sich trage, daß die Zukunft nur die Verwirklichung der in der Gegenwart bereits angelegten, gerichteten Entwicklungstendenzen sei und damit die angemes­sene Analyse der Gegenwart (einschließlich der bisherigen Vergangenheit) zugleich Leitlinien für die Zukunftsgestaltung erkennen lasse. Vielmehr sah Weber in jeder Gegenwart immer mehrere, verschiedene, konkurrierende Weisen ihrer Veränderung und Weiterentwicklung als möglich an, und welche dieser Weisen realisiert werde, hänge ab von der wertbezogenen Wahl handelnder Menschen, einer Wahl, die angesichts der Existenz ver­schiedener, entgegengesetzter, konkurrierender Wertorientierungen und Interessen in der Regel nur im Konflikt geschehen kann.

Diese Vorstellung vom Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik hat Weber oft den Vorwurf des Dezisionismus eingebracht. Die nüchterne Begrenzung dessen, was der Wissenschaft möglich sei, habe bei ihm zur voluntaristischen Freisetzung und Irrationalisierung der Politik geführt, soweit es in dieser um das Finden und Setzen von Handlungszielen und Enwicklungsperspektiven geht. Wertungen, Prioritätssetzungen und politi­sche EntScheidungsprozesse seien bei ihm so weit von Argumentation und

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