Inhalt - bpb.de · Westen und zur Manstein-Rochade im Osten sehr zu danken, ebenso Herrn Dr . ......
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Einführung
Ernst Piper DasZeitalterderWeltkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Stig Förster DertotaleKrieg . GeschichteundWirklichkeiteinesSchlagworts . . . . . . . 24
Kriegführung
Alexander Hoerkens DerSoldat:PreußischesHeer– Reichswehr–Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36
Manfred Jehle DerSeekrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Rolf-Dieter Müller DerGaskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Sönke Neitzel DerBombenkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Helmut R. Hammerich DieGeschichtederPanzerwaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90
Sven Felix Kellerhoff DieEntscheidungsschlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Inhalt
Inhalt
Abseits der Front
Christopher Kopper DieFinanzierungdesKriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Sven Felix Kellerhoff Heimatfront . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Christian Westerhoff ZwangsarbeitinzweiWeltkriegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Uta Hinz KriegsgefangenschaftimZeitalterderWeltkriege . . . . 148
Zwischen den Weltkriegen
Ernst Piper DerKampfumPalästina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Ernst Piper DasDeutscheReichzwischen NovemberrevolutionundHitler-Putsch . . . . . . . . . . . . . . 172
Ernst Piper ItaliensWegindenFaschismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Ernst Piper DerSpanischeBürgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Thomas Weber AdolfHitlerundderErsteWeltkrieg . ErfahrungenundKonsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Ernst Piper DienationalsozialistischeNeuordnungEuropas . VomLebensraumimOstenzumHolocaust . . . . . . . . . 212
Inhalt
Nach dem Krieg
Sven Felix Kellerhoff Kriegsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Ernst Piper DiePariserVorortverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Michael Schwartz FluchtundVertreibung .Ethnische„Säuberungen“ imErstenundZweitenWeltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
Gerd Hankel KriegalsVerbrechen . DieLeipzigerProzesseundderNürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Bildnachweis/ Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
Vorwort
IndieserSituationwolltedieEditionLingenStiftungnichteinweiteresWerküberdenErstenWeltkrieg herausbringen . Ihrem VerlegerWer-nerSchulte istdie Initiativezudemvorliegen-denBuchzuverdanken,dasdasgesamteZeit-alter der Weltkriege zu umspannen versucht .DieBeiträgezudiesemBandversuchenineinerGesamtschauzubeschreiben,wasKriegindie-sem Zeitalter derGewalt zwischen 1914 und1945bedeutete .EswerdennichtinersterLinieSchlachten und Kriegsverläufe beschrieben .VielmehrzeigendieAutoreninsystematischenBeiträgen,wie Krieg geführtwurde und auchwiedieKriegführungsich indieserZeitverän-derte .
EinedergroßenLeistungendes19 .Jahrhun-dertswardieEinhegungderGewalt inEuropagewesen,während indenKolonien technischeNeuerungenwiedasMaschinengewehrunddasFlugzeug zum Einsatz kamen, denen die ein-heimische Bevölkerung nichts entgegenzuset-zenhatte .MitdemErstenWeltkriegkehrtedieexzessiveGewaltvonderPeripherieinseuropä-ische Zentrum zurück . Hochgerüstete Armeentrafen aufeinander . Die Doktrinen des Kabi-nettkriegs mit seinen raschen Entscheidungs-schlachten waren obsolet geworden . Obwohldaszunächstkaum jemand fürmöglichgehal-tenhatte,begann1914einKrieg,dermehralsvierJahredauerteundzurMilitarisierungganzerGesellschaften führte . Neue WaffengattungenwieU-Boote,Großkampfschiffe,FlugzeugeundPanzerkamenzumEinsatz .SieeröffnetenneueAngriffsstrategien,dieimZweitenWeltkriegdannzuihrervollenEntfaltungkamen .EinSonderphä-nomendesErstenWeltkriegswarderGaskrieg,derenormenSchreckenverbreitete,aber letzt-endlichwenigeffektivwarund1925internationalgeächtetwurde .
DerErsteWeltkrieggaltauchvorJahrenschonals sehr gut erforscht . Die „Enzyklopädie Ers-terWeltkrieg“,die2003erstmalserschien, legtdavoneindrucksvollZeugnisab .Zum100 .Jah-restagdesKriegsausbruchssindjetztnochein-malWerkeüberdenErstenWeltkrieg in kaumnochzuüberschauenderZahlerschienen,dar-unter Neuausgaben von Klassikern wie Bar-baraTuchmansnochimmerlesenswertesBuch„August1914“,überarbeiteteNeuauflagenhis-toriografischer Arbeiten, aber auch zahlreicheWerke,dieunseinenreichenErtragneuerFor-schungen präsentieren . Das auflagenstärkstevon ihnen ist Christopher Clarks Buch „DieSchlafwandler“ .
Die Hinrichtung der englischen Krankenschwester Edith Cavell am 12. Oktober 1915 in Brüssel wurde der Öffentlichkeit in aller Welt als Beweis dafür vermittelt, dass das Deutsche Reich den Krieg und dessen monströse Gewalttätigkeit zu verantworten hatte. Die Tote trägt das weiße Gewand und das Rote Kreuz der Unschuld und Barmherzigkeit. Mit den belgischen und britischen Flaggen bedeckt gilt sie bis heute als Bild für Unschuld und Opfergang auch der alliierten Kriegsgegner. Poster von T. Corbell, ca. 1915.
Vorwort
führte,dassMillionenvonMenschenihreange-stammteHeimatverlassenmussten .Einebeson-dere Bedrohung war die Idee der ethnischen„Säuberung“ für die transnationale Minderheitder Juden . Umso attraktiver erschien das alteProjekt des Zionismus, in Palästina einen jüdi-schen Staat zu schaffen, das auch durch dieerzwungene Auswanderung der deutschenJudenneuenAuftrieberhielt .
DieMonstrositätdesErstenWeltkriegshattedazugeführt,dassdieIdeevomKriegalseinerlegitimenFortsetzungderPolitikmitanderenMit-telngrundlegend inFragegestelltwurde .Erst-malsgabesnachdemKriegeineDebatteüberKriegsschuld,Kriegsverbrechenundderen jus-tizförmige Bewältigung . Zu einemweitreichen-denVersucheinersolchenBewältigungkamesabererstnachdemZweitenWeltkriegmitdemHauptkriegsverbrecherprozess, den Nürnber-gerNachfolgeprozessenundzahllosenanderenGerichtsverfahreninvielenLändern .
DiesesBuchrichtetsichnichtandieakademi-scheFachöffentlichkeit,sondernaneinallgemeingebildetesPublikum .DieBeiträgebefindensichaufderHöhederForschung,verzichtenaberaufdas Referieren von Forschungskontroversen .AuchaufeinenAnmerkungsapparatwurdever-
DerKriegwurdejetztnichtmehrnuraufdemSchlachtfeldgeführt,sondernauchanderHei-matfront .ImtotalenKriegwurdejederzumKom-battanten .DieheimischeWirtschaftwurdeganzindenDienstderRüstungsproduktiongestellt .DieimErstenWeltkriegerstmalszurAnwendungkommendeStrategiederverbranntenErdezieltedaraufab,dieindustriellenundlogistischenVor-aussetzungendesGegnerszuzerstörenundihnsostrukturellkampfunfähigzumachen .MitderlangenDauerdesKriegswurdendieMobilisie-rung aller Kräfte zur Versorgung der FrontmitKriegsmaterialunddieFinanzierungdesKriegszuentscheidendenAufgaben .
EssinddiefürbeideWeltkriegezuersterkenn-barsichentwickelnden,dannausdenErfahrun-gensystematischgestaltetenBedingungendesKriegs imZeitalterderGewalt,die imhier vor-gelegten Band besonders berücksichtigt wer-den .DieZeitzwischendenbeidenWeltkriegenistgekennzeichnetdurcheinenichtabebbendeFüllemilitärischerKonflikte,Bürgerkriegewiezwi-schenstaatlicherKriege,vorallemzwischendenneubzw .wiederentstandenenStaaten,dieumihreGrenzenmiteinander rangen .Damiteinhergeht eine Krise des demokratischen Systems,die zu einem Siegeszug autoritärer Regime inweitenTeilenEuropasführt .InvielenStaatenent-stehenfaschistischeBewegungen .ItalienistdasersteLand,indemderFaschismussichdurch-setzt und bereits 1922 die Regierungsgewaltgewinnt . In Spanien triumphierte der PutschistFranciscoFrancomitdeutsch-italienischerHilfe .Die radikalste Variante des Faschismus ist derNationalsozialismus,der1933inDeutschlandandieMachtkamundindenfolgendenJahrenver-suchte,einenexterminatorischenAntisemitismusmitdemZielderVernichtungdeseuropäischenJudentumszurealisieren .
DerErsteWeltkriegführtezurBildungzahlrei-cherneuerStaatenund indiesemZusammen-hangzuumfangreichenGebietsveränderungen .DemSchutzethnischerMinderheitenkamdes-halbeinegesteigerteBedeutungzu .DiePariserVorortverträgeunddiedamitimZusammenhangstehendenAbkommensuchten,demRechnungzu tragen .Durchgesetzthatsichaber, spätes-tensmitdemVertragvonLausanne1923,dasPrinzipderethnischenEntmischung,dasdazu
Die Rauchwolke nach der Explosion der Atombombe „Little Boy“ über Hiroshima, 6. August 1945, aufgenommen aus einem amerikanischen Flugzeug. Das Bild des Atompilzes steht seitdem für den Erinnerungsort der atomaren Katastrophe.
zichtet .Wersichnochgenauer informierenwill,findetaberamEndedesWerkseineBibliogra-fie mit Empfehlungen für die weitere Lektüre;zugleichenthältdieseBibliografiediewichtigsteLiteratur, die von den Autorinnen und Autorenherangezogenworden ist . Ergänztwerden dieTexte durch eine informative Bebilderung undKarten .
ZurFreudedesHerausgebers istesgelun-gen, für die verschiedenen Themen hervorra-gende Gelehrte als Mitarbeiter zu gewinnen .Ihnenallen istsehrdafürzudanken,dasssieihreExpertiseundihreArbeitskrafteingebrachthaben,undauchdafür,dasssie ihreBeiträgerechtzeitigabgelieferthaben,sodassdasBuchzeitgerechterscheinenkann .HerrnDr .HelmutR .HammerichunddemZentrumfürMilitärge-schichte und Sozialwissenschaften der Bun-deswehr, Potsdam, ist überdies für dieÜber-lassungvonzweiKartenzumSichelschnitt imWestenund zurManstein-Rochade imOsten
sehr zu danken, ebenso Herrn Dr . ChristianWesterhoff,demLeiterderBibliothekfürZeit-geschichte, Stuttgart, sowie demStadtarchivCrailsheimfürdiekostenloseÜberlassungvonAbbildungen .
MeinbesondererDankgiltHerrnDr .ManfredJehle,Berlin, fürseineengagierteMitarbeitunddieOrganisationderBebilderungderBeiträge .AnderBebilderungderBeiträgezu ItalienundSpanien hat außerdem Herr Wolfgang Hilbermitgewirkt,dieKartenhatHerrGeorgStelznerbearbeitet, den Umbruch besorgte Herr GeertMöbius . Ihnen allen danke ich für das großeEngagementbeidernichtimmerleichtenDurch-führung der Aufgaben . Für die Betreuung desWerksimVerlaggiltderDankdesHerausgebersHerrnHeinrichHengst,derfürdieBedingungengesorgthat,unterdeneneinsolchesWerknurzustandekommenkann .
Berlin,imMai2014 Ernst Piper
Vorwort
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inEuropageprägtvonKabinettskriegen,dievonkleinen stehendenHeerenmit begrenzten Zie-lenuntermöglichstweitgehenderSchonungderZivilbevölkerunggeführtwurden .
Die Sattelzeit um 1800 brachte den Volks-kriegnachEuropazurück .DieDemokratisierungdesKriegsführtezuseinerBrutalisierung .Kriegewurden nicht länger von Söldnern, Berufssol-daten oder Spezialisten geführt, sondern vonVolksheeren .DieKabinettskriegewurdenabge-löst durch eineGeneralmobilmachung, die alleRessourcenindenDienstdesKriegsstellteundnichtsundniemandenschonte .JederAngehö-rigederNationwarpotentiellaucheinKombat-tant .DieseEntwicklungnahmanderSchwelle
Die von Europa ausgehende DurchdringungderWeltseit1500,dieEntstehungdesmoder-nenWeltsystems,warzugleicheineGeschichteder Gewalt . Es entstand eine globale Hierar-chie der Herrschaftsverhältnisse, Kommunika-tionswege und Warenströme, deren imperialeAnsprüchegewaltsamdurchgesetztwurden . InEuropaselbstwardieZeitzwischen1500und1914 gekennzeichnet durch die Entstehungimmer größerer politischer Einheiten, sodassihreGesamtzahlsichvonetwa500aufkaum30reduzierte .Nationalstaatenwurdendieentschei-dendenAkteurebeiderAusbildungvon Impe-rien .Zugleich verlagerte sichdieGewalt indiePeripherien .DieZeitzwischendemDreißigjähri-genKriegundderFranzösischenRevolutionwar
Das Zeitalter der Weltkriege
Ernst Piper
Das Zeitalter der Massenheere und des Massensterbens: Die Grande Armée Napoleons, die am 24. Juni 1812 die russische Grenze überschritt, bestand aus 610.000 Soldaten und Zehntausenden im Tross. Beim Rückzug erreichten im November nur noch 70.000 von ihnen die Beresina, bei deren Überquerung weitere 30.000 durch russische Angriffe und Massenpanik umkamen. Ins Wasser gestürzte Fuhrwerke und Leichen bildeten Inseln und Hügel an den Ufern. Das anonyme zeitgenössische Aquarell (Paris, Musee de l’Armee) zeigt den Übergang über die Beresina auf Pontonieren.
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kam die Monarchie in Frankreich endgültig anihrEnde .JulesFavreundLéonGambettatratenandieSpitzeeinerrepublikanischen„RegierungdernationalenVerteidigung“ .Gambetta,derdenKriegursprünglichabgelehnthatte,proklamiertenuneinenVolkskrieggegendieDeutschen .NachderKriegserklärunganPreußenwardiefranzösi-scheArmeeunerwartetschnell indieDefensivegeraten . Um den Vormarsch der preußischenTruppenzustoppen,hatteschonKaiserNapo-leonIII .dieFreikorpsderFranktireurszudenWaf-fengerufen .GambettaweitetenundieseArtderKriegführung erheblich aus, konnte dieNieder-lageFrankreichsabernichtverhindern .BeidendeutschenSoldatenwurdendieFranktireursden-nochzueinemstarkwirkendenFeindbild,dasiezumTeilohneUniformenundoftausHinterhal-tenundmitSabotageaktendiedeutschenNach-schublinienangriffen .BeidemVersuch,diedeut-schenRepressions-undVergeltungsmaßnahmenimAugust1914inBelgienzurechtfertigen,solltedieErinnerungandiefranzösischenFranktireurseinegroßeRollespielen .
1914kehrtedieexzessiveGewaltvonderPeri-pherieinseuropäischeZentrumzurück .DerErsteWeltkriegmarkiert einenÜbergang . Er steht amBeginn einesZeitalters, dasdurch einbis dahinundenkbaresAusmaßanMassengewaltgekenn-zeichnet ist . Der Historiker Eric Hobsbawm hatdieZeitvon1914bis1991dasZeitalterderExt-remegenannt, für ihnbegann1914das „Zeital-terdesMassakers“ .DochauchindenJahrenvor
zum 19 . Jahrhundert ihren Anfang, sie gingzurückaufdieFranzösischeRevolution .Am23 .August1793wurdedieAnordnungderLevée en massevomWohlfahrtsausschuss,demNational-konventinderZeitderFranzösischenRevolution,verabschiedet,nachdemDantongeforderthatte,jedem Franzosen ein Gewehr in die Hand zugeben .AlleunverheiratetenMännerimAltervon18bis25JahrenwarennunzumKriegsdienstverpflichtet .DieseAnordnunggilt als der ersteFalleinerallgemeinenWehrpflichtindereuropä-ischenGeschichte,siedienteanderenStaatenalsVorbild .1814wurde imZugederHeeresre-formauchinPreußendieWehrpflichtgesetzlichverankert .DieBewaffnungdesVolkestrugmaß-geblichzumSiegFrankreichs imErstenKoaliti-onskrieg1797bei,wurdeabernurwenigeJahrespäter in der Völkerschlacht bei Leipzig, demHöhepunktderdeutschenBefreiungskriege,undauchimSpanischenUnabhängigkeitskriegzumNachteilfürdieFranzosen .
Und doch war eine der großen Leistun-gendes19 .Jahrhunderts inEuropadieEinhe-gungderGewalt .DieDoktrinvomschnellenundüberschaubaren Kabinettskrieg lebte fort undlag auch noch den deutschen Planungen fürden Ersten Weltkrieg, dem Schlieffen-Plan, zuGrunde,wenngleich imDeutsch-FranzösischenKriegvon1870/71Volksbewaffnung,PartisanenundasymmetrischeKriegführungwiederaufderTagesordnunggestandenhatten .MitderGefan-gennahmeNapoleonsIII .am4 .September1870
Das Zeitalter der Weltkriege
Links: Im Kolonialkrieg garantierte das Maschinengewehr die Überlegenheit der Kolonialherren. Amerikanische MG Schützen im Krieg gegen die Philippinen, Dezember 1899.
Rechts: Das Maschinengewehr machte die Feldschlacht zwischen gleich bewaffneten Gegnern zum Grabenkampf: Deutsche MGSchützen, ca. 1917.
Ernst Piper
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ZahldergefallenenSudanesenbetrugdagegenfast10 .000,hinzukamenmindestensnochein-malsovieleGefangene,außerdemgerieten5 .000Soldaten inGefangenschaft, sodass die ArmeedesMahdipraktischvollständigvernichtetwar .
DerGrundfürdieseextremenZahlenverhält-nissewarvorallemeineneueWaffe,dasMaschi-nengewehr,dasderamerikanisch-britischeErfin-derHiramMaxim1885aufdenMarktgebrachthatte . Die Maxim Gun konnte 500 bis 600SchussproMinuteabfeuern,sodasseinekleine,mit Maschinengewehren ausgerüstete TruppeganzeArmeeninSchachhaltenundauchbesie-genkonnte .ImRussisch-JapanischenKriegvon1905/06, der in mancher Hinsicht den großenindustrialisiertenKriegzehnJahrespäterantizi-pierte,kämpftenbeideSeitenmitMaximGuns .ImErstenWeltkriegsetztendiegroßenNationendanneigeneEntwicklungenein, dieDeutschenab1915dasberühmteMG08/15 .
Das Prinzip der Volksbewaffnung gewann imErstenWeltkriegnochganzandereDimensionenals seinerzeit in den Befreiungskriegen . Es gingnichtmehr umeinenwildenVolkskrieg, sondernumdieMilitarisierungderganzenNation .DerKriegwar ungleich umfassender als die Kriege zuvor,auchdieHeimatwarFront,derFeindkamerstmalsauchausderLuft,erschienüberallzusein .DasäußertesichnichtnurinderallgegenwärtigenSpi-onagehysterie,diezahlreicheMenschendasLebenkostete,sondernebensoinderAusgrenzunginne-rerFeindeundgegenüberethnischenMinoritäten,die man generell der Illoyalität verdächtigte . EinextremesBeispieldafüristderunglaublichbrutaleKrieg,dendieRussengegendieeigeneBevölke-rungführten,soweitsienichtausRussenbestand .
DasZeitalterderWeltkriegeumfasstdieJahrevon1914bis1945 .Manchmal,voralleminEng-landundFrankreich, istdieserZeitraumauchalszweiterDreißigjährigerKriegbetrachtetworden .InDeutschland dagegen dominiert die Einteilung ineinenErstenundeinenZweitenWeltkriegund jenach Temperament kann man den Kalten KriegalsdrittenWeltkrieghinzuzählen,derGottseiDanknichtausgebrochenist .WerdieKriegenummeriert,betontdieUnterschiede,wervoneinemDreißigjäh-rigenKriegspricht,hebtaufdieGemeinsamkeitenab .FürbeideskannmanguteArgumenteanführen .
demAusbruchdesErstenWeltkriegshatesschongewaltigeMassakergegeben,nurebennichtaufdem europäischen Kontinent . Besonders brutalwardasbelgischeKolonialregimeimKongo .DieeinheimischeBevölkerung,die1880noch20Mil-lionenMenschen umfasst hatte, zählte nach 30JahrennurnochdieHälfte .IndenKolonialkriegeninDeutsch-Südwestafrikakamesnach1904zugenozidalenAktionen,dasVolkderHererowurdenahezuausgerottet .NochmehrMenschen,wennaucheingeringererProzentsatzderGesamtbevöl-kerung,kamenbeidem fastgleichzeitigenKrieg
gegendieMaji-MajiinDeutsch-Ostafrikaum .DerersteGenozidaufeuropäischemBoden,diemas-senhafteErmordungder imOsmanischenReichlebenden Armenier, vollzog sich dann bereits1915/16imWindschattendesErstenWeltkriegs .DieSchätzungenderZahlderOpfergehenzumTeilweitübereineMillion .
EinganzentscheidendesCharakteristikumderKolonialkriegewarendieextremunterschiedlichenOpferzahlen auf beidenSeiten .Dass bei einemsolchenKriegvielleichteinDutzendKolonialsolda-teneinereuropäischenMachtumkamen,aufderanderenSeiteabervieleTausendEinheimische,warnicht ungewöhnlich .So starben z .B .1898bei der Schlacht von Omdurman drei britischeOffiziereundfünfundzwanzigbritischeSoldaten,dieÄgypter,dieaufderSeitederBritenkämpften,verlorenzweiOffiziereundachtzehnSoldaten .Die
Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung nahm in den Kriegen des 20. Jahrhunderts Ausmaße an, die es seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gegeben hatte: Exekution armenischer Priester in Jaffa, Palästina, durch osmanische Soldaten, kurz vor der Ankunft britischer Truppen am 18. November 1917.
Das Zeitalter der Weltkriege
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derNiederlage imKrieggegenJapanundnachderbosnischenAnnexionskrisevorallemdasZiel,seinePositioninSüdosteuropazuverbessern .InÖsterreich-Ungarngabesseit langemPlänezurEingliederungSerbiens .AuchübereinenPräven-tivkrieggegenItalienwurdediskutiert .Umgekehrtgab es in Italien dieBewegung der „Irredenta“,diedievonÖsterreichbeherrschten„unerlöstenGebiete“befreienwollte .Und im Italienisch-Tür-kischenKrieg (1911/12) profitierten die ItalienervonderSchwächedesOsmanischenReichsunderzieltenvorallem inNordafrikaerhebliche terri-torialeZugewinne .EineunmittelbareFolgewarendiebeidenBalkankriege,durchdiedasOsmani-scheReichseineeuropäischenTerritoriennahezuvollständigverlor .
Die politischen Akteure der fünf europäi-schenGroßmächtesahenimSommer1914diegewachseneGefahreinesmilitärischenKonflikts,abersiefolgtenauchihrenjeweiligenInteressen .Sie verfolgten weiterhin die Strategie des kal-kuliertenRisikos,wobeiman fürdasDeutscheReichsagenmuss,dassdiesesRisikoseitdemsogenanntenBlankoscheckvom6 .Juli1914fürdieRegierunginWieneigentlichnichtmehrkal-kulierbarwar .
Es gibt beachtliche Gemeinsamkeiten zwi-schen beidenKriegen, aber auch nichtminderbeachtliche Unterschiede . Davon abgesehen,dass der erste der beidenWeltkriege ungleicheuropäischerwaralsderzweite,warenauchdieKonstellationen recht unterschiedlich .WährenddasDeutscheReichRusslandam1 .8 .1914denKrieg erklärt hat,war es 1939mit der Sowjet-uniondurchdensogenanntenHitler-Stalin-Paktverbunden .ErstdurchdendeutschenÜberfallimJuni 1941wurde die Sowjetunion zumKriegs-gegner . Japaner und Italiener waren im ErstenWeltkrieg Gegner der Deutschen, im ZweitendagegenihreVerbündeten .InderAchseBerlin–Rom–TokyofandensichdreiautoritäreRegimemiteinerexpansionistischenAgendazusammen,derenInteressensphärenkompatibelwaren .Auchim ErstenWeltkrieg habenDeutschland, ItalienundJapanexpansionistischeKriegszielegehabt,sieabernichtoderjedenfallsnichtimgewünsch-tenUmfangerreicht . IhreAchsewareinBünd-nisvonMächten,derenGroßmachtträumebishernichtinErfüllunggegangenwaren .Ihnengegen-überstandeneinerseitsdieKolonialmächteEng-land und Frankreich, die den Höhepunkt ihrerMacht eher hinter als vor sich hatten, anderer-seitsdieaufstrebendenWeltmächteAmerikaundRussland,diebeideaufeinelangeExpansionsge-schichtebeiderDurchdringungihrerKontinentezurückblickenkonnten .UndderZweiteWeltkriegbegann,andersalsderErste,imGrundegenom-men in Asien,mit dem japanischen Angriff aufChinaam7 .Juli1937,auchwennwirinEuropavorallemaufdasJahr1939schauen .EbenfallsinAsienendetederZweiteWeltkrieg:mitderjapani-schenKapitulationam15 .August1945 .
Wichtiger als die Frage der Nomenklatur istaber noch etwas anderes . Der Erste Weltkriegist gelegentlichalsUrkatastrophedes20 . Jahr-hundertsbezeichnetworden .DiesesBildistnichtwirklich hilfreich . Ein Krieg ist kein Naturereig-nis, das unvermittelt über uns hereinbricht wiezumBeispiel 1908dasErdbebenvonMessina,beidemmehrals80 .000MenschenumsLebenkamen .Erereignetsichnichtvoraussetzungslos .DasgiltgeradeauchfürdenErstenWeltkrieg,des-senVorgeschichteinzwischenaußerordentlichguterforschtist .DemKriegsausbruchgingeinJahr-zehntderdiplomatischenKrisen,derkaltenundheißen Kriege voraus . Russland verfolgte nach
Die Mission der Kolonialherrschaft: Frankreich bringt Marokko uneigennützig Zivilisation, Wohlstand und Frieden. Le Petit Journal, 19. November 1911.
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weiter,Massenelend,Arbeitslosigkeit,Hungers-not und der gesellschaftliche Umsturz folgen .DieseziemlichzutreffendePrognoseprovoziertein den Reihen der Konservativen den bemer-kenswerten Zwischenruf: „Nach jedem Kriegewirdesbesser!“HierartikuliertesichzumeinendieErinnerungandieBefreiungs-undReichs-einigungskriege,zumanderendieÜberzeugung,dasseinweitererKriegohnehinnichtzuvermei-densei .DieDeutschen,mandarfesnichtver-gessen,hatteninden100Jahrenvor1914mitKriegenguteErfahrungengemacht .
Die zweite Marokkokrise war der unmittel-bareAnstoß fürFriedrichvonBernhardisBuch„DeutschlandunddernächsteKrieg“ .Bernhardi,einpensionierterpreußischerGeneral,warb fürdieMilitarisierung des öffentlichen Lebens, umdasDeutscheReichwehrhaftfüreinenkommen-den,seinerAnsichtnachunvermeidlichenKriegzumachen .SeinBuchwarWasseraufdieMüh-lenderjenigen,diedasErgebnisderMarokko-krisealsDemütigungDeutschlandsempfundenund Reichskanzler Bethmann Hollweg im Par-lament entsprechend zugesetzt hatten . SpäterbetriebensieerfolgreichseinenSturz .BernhardiwarderÜberzeugung,DeutschlandmüsseeineRollealsWeltmachtanstreben,andernfallswerdees auch seine Position als europäische Groß-macht auf lange Sicht verlieren . Damit befandersich inEinklangmitder in jenerZeitpopulä-renWeltreichslehre,diedavonausging,dassdieeuropäische Pentarchie nach dem Eintritt derVereinigtenStaaten indieWeltpolitikdurcheinWeltstaatensystemabgelöstwürde,indemsichnureinTeildereuropäischenGroßmächtewürdebehaupten können, weshalb Deutschland dasZielhabenmüsse,zurWeltmachtaufzusteigen .Konkret forderte Bernhardi die NiederwerfungFrankreichs, einenmitteleuropäischenStaaten-bundunterdeutscherFührungunddieErweite-rungdesdeutschenKolonialbesitzes .
WasBernhardiformulierte,warnichtdiePoli-tikderdeutschenRegierung,insbesonderenichtbiszumSturzBethmannHollwegsam13 .Juli1917 . Aber seine Positionen waren in alldeut-schenKreisen,einerlautstarkenundeinflussrei-chenMinderheit, populär . ImDeutschenReichgab es damals einen weithin vernehmbarenChorvonNationalisten,dienichtmüdewurden
Vor allem die zweite Marokkokrise 1911erwies sich im Nachhinein als Präludium desErstenWeltkriegs . Sie fand ihren Abschluss ineinemAbkommen,durchdasDeutschlandseineAnsprüche in Marokko zugunsten Frankreichsaufgab,wasdieGemüterderAlldeutschenundandererNationalistennachhaltiginWallungver-setzte,dieohnehinargwöhnten,DeutschlandseibeidemsogenanntenWettlaufumAfrikaunzu-mutbar insHintertreffengeratenund lassesichvondenanderenKolonialmächtenimmerwiederübervorteilen .
In derReichstagssitzung vom9 .November1911überzogendiekonservativenParteiendasvon der Regierung Erreichte mit herber Kritik,währendeinzigdieSozialdemokratendieReichs-regierungunterstützten,diedasSpielmitdemFeuergeradenochrechtzeitigbeendethatte .DerSPD-VorsitzendeAugustBebelsahdieKriegs-gefahrundwarntevoreinerkommendenKatas-trophe,vordem„großenGeneralmarsch“,wieeresnannte,beidem„16bis18MillionenMänner,die Männerblüte der verschiedenen Nationen,ausgerüstet mit den bestenMordwerkzeugen,gegeneinanderalsFeinde insFeldrücken .“Aufden großen Generalmarsch würden, so Bebel
Die Weihnachtsfeier des kleinen Bernhard. Gemeint war Bernhard Dernburg (1865–1937), Staatssekretär des Reichskolonialamts, der den Kolonien die Eisenbahn, Gesundheit und Kultur bringen wollte. Der Wahre Jacob, 17. Dezember 1907.
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hatsiezueinerGemeinschaftwerdenlassen,diespätervondenNationalsozialistenzumFrontso-zialismusumgedeutetwerdensollte .
BernhardiundLamszuszeigen,vonvölligunter-schiedlichenPositionenausgehend,dieStimmung,inderdieMenschensich indenJahrenvordemAusbruch des Ersten Weltkriegs befanden . DerKriegwüteteindenMenschen,langebevorerim
August 1914 erklärtwurde . Er bemächtigte sichderKombattanten, ehediese ihrerRolle gewahrwurden . Und die Kombattanten konnten nichtwissen,wiefurchtbarderKriegseinwürde .1939wusstemanes,dawarvonEuphoriekeineRedemehr .NiewarAdolfHitlerseinemSturzdurcheinenStaatsstreichsonahewiewährendderSudeten-krise1938,alsessoaussah,dasseinneuerKrieg,ausgehend von Deutschland, in Europa begin-nenkönnte,weilHitler seinePolitikderkalkulier-tenProvokationenüberreiztzuhabenschien,undeinflussreicheKreisedesdeutschenMilitärseinenKriegverhindernwollten .DasMünchnerAbkom-men,dasEndeSeptember1938inletzterMinutezustandekam,hatdenAusbrucheineseuropäi-schenKriegsnocheinmalverhindert,wennauchnichtfürlangeZeit .
EinKriegsetztnichtnurArmeeninBewegung,erverändertauchdieMenschen .DerPhilosophTheodorLessinghatangesichtsdesErstenWelt-kriegs ein prägnantes Bild dafür gefunden: „ImAugust1789beschlossendieMenschen,Welt-
zu betonen, Deutschland brauche eine seinerBedeutunggemäßeMachtpositionundeinenderGrößedesVolkesentsprechendenLebensraum .ZielmüssewirtschaftlicheDominanz inEuropa,einederbritischenFlotteebenbürtigeSeemacht,die dauerhafte Ausschaltung der potentiellenKriegsgegnerFrankreichundRusslandundeinausreichendgroßesKolonialreich inAfrikasein .Dies alleswurde imAuslandaufmerksam rezi-
piert . Bernhardis Buch verkaufte in englischerundfranzösischerÜbersetzungmehrExemplarealsdasdeutscheOriginal .
1912erschieninDeutschlandaucheinBuchgänzlich anderer Art, der Jugendroman „DasMenschenschlachthaus“ des sozialdemokrati-schen VolksschullehrersWilhelm Lamszus . DerKrieg von 1870/71 erschien ihm wie ein „Vor-postengefecht“ .Deshalb trägtseinRomandenUntertitel „Bilder vom kommenden Krieg“ . DerPazifist Lamszus versuchte, die Realität deseigentlichenKriegszuschildern,vomLebeninderKaserneüberdieMobilisierunggegenFrankreichbis zumEinsatz an der Front .Das letzteKapi-tel„WirarmenToten“ istdenGefallenengewid-met .EsnimmtinallerDrastikdieSchreckendesStellungskriegsvorwegundbeschreibt,wiedieGefalleneneinträchtignebeneinanderinderErdeliegen,einArbeiternebendemabgerissenenBeineines Briefträgers, daneben der Rumpf einesMannes, der seinen Kopf verloren hat, sodassdieLuftröhrehervorschaut .DerTodanderFront
Links: Anfang August 1914 war Europa nur in der Begeisterung über den Krieg vereint: Versammlung vor der Station Montparnasse in Paris, 3. August 1914.
Rechts: Begeisterung auch in London vor dem Buckingham Palace, 4. August 1914.
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für den Krieg verbreitete sich im August 1914geradezuexplosionsartig .DieerbittertenAusein-andersetzungenzwischendertraditionellenaka-demischenSchule,diedieSympathiedesKaisersgenoss,unddenverschiedenenRichtungenderModernespieltenplötzlichkeineRollemehr .
Dasgaltnatürlichnichtnur fürDeutschland .SowiedieDeutschendieKulturgegendiefran-zösischeZivilisationverteidigenwollten,riefderfranzösischePhilosophundAkademiepräsidentHenriBergsonseineLandleutedazuauf,dieZivi-lisationgegendiedeutscheBarbarei zuvertei-digen,undderenglischeSchriftstellerRudyardKipling sprach in einem populären Gedichtdavon,dassdieHunnenvordenTorenstünden .InallenkriegführendenStaatengabesStrategiendergeistigenMobilmachung,wobeieserhebli-cheUnterschiedezwischendenverschiedenenKriegsgesellschaftengab .
Die anfängliche Begeisterung verflog rasch,dennoch endete der ErsteWeltkrieg erst nachmehr als vier Jahren, im November 1918 . ErentließdieMenschen ineinefriedloseWelt .DerKrieg ließ nicht nur neun Millionen militärischeundsechsMillionenzivileTodesfällezurück,son-dernauchachtMillionenKriegsinvaliden .DieselebendenKriegsdenkmäler,wieJosephRothsienannte, verwiesen auf die Schutzlosigkeit derSoldaten, ihre zerstörten Leiber spiegelten dieVerletzungen der nationalenGemeinschaft . DiepolitischeLandkartewarvollkommenumgestal-tetworden .Zwischen1917und1923entstan-denmitderUkraine,Finnland,Litauen,Estland,Polen,derTschechoslowakei,demStaatderSlo-wenen,KroatenundSerben(demspäterenJugo-slawien),Ungarn,Österreich,Lettland,IrlandundderTürkei einDutzendNationalstaaten–man-
bürgerzuwerden .ImAugust1914beschlossensiedasGegenteil .“Niemalswaren sichdie kul-turellen undwissenschaftlichenEliten inEuropanäher gewesen und hatten einander bessergekanntals inderZeitvordemKriegsausbruch .UnddochsetztensichnationaleEgoismenradi-kalüberdiesegewachsenenVerbindungenhin-weg .DieübervieleJahreaufgebautenNetzwerkehielten dem nationalistischen Furor nicht stand .Eswar frappierend,mitwelcherVehemenzvieledeutscheKunstfreunde,PublizistenundKünstler,die in den Jahren zuvor begeistert nach Frank-reichund Italiengereistwaren, umsichandenSchönheiten dieser Länder zu berauschen undumneuekünstlerischeEntwicklungenzustudie-ren,diegegendieEngeunddenStarrsinndeskaiserlichenKunstverstandesundfürdieModernegekämpft hatten, die Sezessionen und SalonsgegründetundaufsehenerregendeAusstellungenorganisierthatten,nunmehrdienationaleSachezu der ihrenmachten . Siewandten ihren FurornichtmehrgegenTraditionundKonvention,son-derngegendenLandesfeind .DieBegeisterung
Kriege und „ethnische Säuberungen“ brachten nach dem Ersten Weltkrieg für Millionen Menschen Flucht und Vertreibung, vor allem in Ost und Südosteuropa: Flüchtlinge in der Heilandskapelle in Frankfurt (Oder), um 1921.
Zu den Ergebnissen des GriechischTürkischen Kriegs 1919–1922 gehörte die Schaffung ethnischer Homogenität durch Vertreibung: Ankunft griechischer Flüchtlinge aus der Türkei in Griechenland, Dezember 1922.
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nachihmbenanntenPass,wofürerdenFriedens-nobelpreis erhielt . DerNansen-Passwurde vonderBehördedesStaatsausgestellt, indemsichderFlüchtlingaufhielt .ErwareinJahrgültigundmusstedannverlängertwerden .Ergestattetesei-nemInhaberdieRückkehrindasdenPassaus-stellendeLandundgewährteihmsoeinengewis-senSchutzvorVerfolgung .
DievielennationalenMinderheiten,diedurchdie radikal veränderte politische Landkarte ent-standen,wareneindrängendesProblem .Umsiezuschützen,wurde imKontextderPariserVor-ortverträge ein Regelwerk geschaffen, das dieErrichtungmodernerNationalstaatenmitdervöl-kerrechtlichenSicherungderMinderheitenrechteverbindenwollte .Dabeigingesausdrücklichnichtnurum individuelle, sondernauchumkollektiveRechte,alsodasRechtaufdieeigenekulturelleTradition,SpracheundReligion .DurchgesetzthatsichabernichtdasKonzeptvonVersailles,son-dernderGeistdesVertragsvonLausanne,dernachdemGriechisch-TürkischenKriegvon1922zueinemweitreichendenBevölkerungsaustauschzwischenGriechenlandundderTürkeiführteundzurBlaupausefürunzähligeweitereVersuchederethnischenEntmischungwurde .InsgesamtzehnMillionenZwangsmigrantenmussten inderZwi-schenkriegszeit ihre Heimat verlassen, was fürvielevonihnenentsetzlichesLeidmitsichbrachte .
IndenerstenJahrennachdemEndedesErs-tenWeltkriegsgabes inEuropaeineFüllevonKriegenundBürgerkriegen .DerZerfallderViel-völkerreiche bot dazu ebenso Anlass wie dieKonstitutionalterundneuernationalerStaaten .NebendemGriechisch-TürkischenKriegistzumBeispielderirischeUnabhängigkeitskriegzunen-nen, außerdemdie verschiedenenGrenzkriegezwischenRussland,Lettland,Litauen,Polen,derUkraineundderTschechoslowakei .DeutschlandwarSchauplatzeinesjahrelangenBürgerkriegs,dererst1923mitdemLudendorff-Hitler-Putschsein vorläufiges Ende fand . Obwohl der ErsteWeltkrieg Opfer in einer Dimension geforderthatte,diebisdahinunvorstellbargewesenwar,war Gewalt weiterhin dasMittel zur Durchset-zungpolitischerZiele .
DieEntgrenzungderGewaltwareinzentra-les Charakteristikum des ErstenWeltkriegs . In
chewiedieUkrainezumerstenMal,anderewiePolenerneut .NachdemErstenWeltkrieggabes38souveränepolitischeEinheiteninEuropaunddoppeltsovielenationaleWährungenwiezuvor .
ZuBeginndes19 .JahrhundertswarEuropanoch von multiethnischen Imperien dominiertgewesen,vondenendrei–Großbritannien,Däne-markundPreußen–einehochentwickelteNatio-nalkulturhatten,währenddieanderendrei–dasHabsburgerreich, das Osmanische Reich unddasZarenreich–einenausgesprochenmultikul-turellenCharakteraufwiesen,weswegenmancheimReichderHabsburgereinfrühesVorbildfürdieheutigeEuropäischeGemeinschaftsehenwollen .
Der Zerfall der Vielvölkerreiche führte dazu,dasseinengerZusammenhangzwischenNati-onalität undEthnizität entstand,dessenunver-meidliches konzeptionelles Nebenprodukt dieethnischeMinderheitwar . InSüdosteuropaleb-tenjetzt60MillionenMenschen,beidenenTer-ritoriumundEthnizitätzusammenfielen,während25MillionenethnischenMinderheitenangehör-ten .DieFolgewareinnichtabreißenderStromvon Flüchtlingen . Etwa eine Million DeutschewurdeausdenPolenzugesprochenenöstlichenProvinzenOberschlesien,PommernundPosenvertrieben oder floh aus den vom BürgerkriegheimgesuchtenbaltischenStaaten .UmgekehrtstrebtenzweiMillionenPolenindenneuerrich-teten polnischen Nationalstaat . Auch Ungarnnahm Hunderttausende von Zuwanderern ausdenangrenzendenLändernauf .DieBevölkerungGriechenlandsvergrößertesichumnichtwenigeralseinViertel,vorallemdurchZuwandererausderTürkei,aberauchausBulgarien,undesgabähnlichgroßeWanderbewegungenindiejeweilsentgegengesetzteRichtung .300 .000Armenier,diedenGenozid überlebt hatten, verließendieTürkei, und der Zusammenbruch des Zaren-reichsunddieRussischeRevolutionführtenzurFluchtvonzweiMillionenRussenundUkrainern .
Viele der Flüchtlinge, vor allem Russen undArmenier,verlorenmit ihrerFluchtdieStaatsbür-gerschaftihrerHerkunftsländer .DasMassenphä-nomenderStaatenlosenwareinResultatdesErs-tenWeltkriegs .UmdiesemProblemzubegegnenschuf Fridtjof Nansen, der Hochkommissar fürFlüchtlingswesen des Völkerbunds, 1922 den
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warvondenVerhandlungenderSiegermächteinParisausgeschlossenundsovollzogsichdieAuf-lösungdesZarenreichesungeordnetundextremgewaltvoll . Der Erste Weltkrieg erwies sich alsTotengräber der altenOrdnung, die angesichtseinesgewaltigenModernisierungsstausinkürzes-terZeitzusammenbrach .GleichnachderOkto-berevolution,noch imDezember1917,erklärtesichFinnlandfürunabhängig,imJahrdarauffolg-tendiebaltischenStaaten .Schonam10 . Juni1917hattedieUkraine ihrestaatlicheSouverä-nitätproklamiert .Siewar1919derHauptschau-platzdes russischenBürgerkriegs .Die sowjeti-scheRote Armee und die konterrevolutionärenweißenTruppen,diezumTeildurchausländischeInterventionskräfte unterstütztwurden, standensichgegenüber .UnddiePolenmarschierten indieWestukraineein,umihreterritorialenAnsprü-che durchzusetzen . Bei diesen Kämpfen kamesimmerwiederzuGewaltexzessen .DerweißeTerrorwarzugleichantikommunistischundanti-semitischgeprägt,dennJudenundKommunis-tenwurdenunterdemSchlagwort„jüdisch-bol-schewistisch“miteinandergleichgesetzt .ErwarimkonkretenFallkaumwenigergrausam,aberfragmentierteralsderroteTerror,dendieSowjet-regierungmitihremDekret„ÜberdenRotenTer-ror“vom5 .September1918angeordnethatte .DerweißeTerrorhattekeineeinheitlichenideolo-gischenVorgabenundkeinezentraleSteuerung .
Die Schäden und Verluste des ErstenWelt-kriegswaren riesig gewesen, aber der Bürger-kriegwar fürRusslandeinenochgrößereKata-strophe . Fast 800 .000 Soldaten starben imGefecht,wobeidavonauszugehen ist,dass80ProzentdieserVerlusteaufdieRoteArmeeent-fielen . Weitere 700 .000 Kämpfer kamen durchKrankheiten um .Hinzu kameine nochgrößereZahlgetöteterZivilisten,wobeiwirnichtwissen,wievieleMenschendurchdenrotenTerrorumka-men .AuchfürdieOpferdesweißenTerrorsfeh-lenverlässlicheSchätzungen .HinzukommendieOpferjüdischerAbstammung,diebeiantisemiti-schenPogromenumgebrachtwurden .IhreZahlwirdauf50 .000bis100 .000geschätzt .MillionenvonMenschenfielenalsFolgedesZusammen-bruchsdesWirtschaftssystemsunddesChaos,dasderKrieghinterlassenhatte,HungerundSeu-chenzumOpfer .ImJahr1920lebteninRusslandneun bis zehnMillionenMenschenweniger als
derFolgegabesVersucheeinererneutenEin-hegungderGewalt,etwadurchdenVölkerbund,der Anfang 1920 seine Arbeit aufnahm, oderdasGenferProtokollvon1925überdenVerbotdesEinsatzesvonGiftgasundbakteriologischenWaffenimKrieg .Aberwassichdurchsetzte,wareinegesamteuropäischeKultivierungundPrak-tizierung kriegerischer Gewalt . Die Ablehnungder Ideen von 1789 – von Freiheit, GleichheitundAufklärung–,dieoftmalsmit dempreußi-schenMilitarismusassoziiertwird,wareinweitverbreitetes Phänomen, sie hat einen großenTeildereuropäischenKulturlandschaftderZwi-schenkriegszeit geprägt . Nationalismus, Anti-semitismus, antidemokratischer Elitismus undFaschismus faszinierten Intellektuelle nicht nurinDeutschland,sondernauchinFrankreichundItalienundselbstinGroßbritannien .
BesondersdramatischverliefderTransforma-tionsprozess in der Zwischenkriegszeit im frü-herenZarenreich .DerNachfolgestaatRussland
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schaftsanspruch . Dem Säuberungswahn, demvieleMillionenMenschenzumOpferfielen,lagbeidenNationalsozialisteneinbiologischer,beidenBolschewikieinkulturellerRassismuszugrunde .HitlerwieStalinwarenbereit, für ihrenVernich-tungswahneinenhohenPreiszubezahlen .Wäh-rend die Nationalsozialisten ab 1941 gegenjedesmilitärischeKalkülmitdringendbenötigtenTransportkapazitäten Juden durch halb Europadeportierten,umsie schließlich indenVernich-tungslagernzuvergasen,vertriebStalinzwischenNovember1943undDezember1944,alsvondengeschlagenen deutschen Armeen keine unmit-telbareBedrohungmehrausging,mehralsdrei
MillionenMenschen aus ihrer Heimat . 100 .000NKVD-SoldatenunddreiArmeenwurdendafüreingesetzt .DieethnischeFlurbereinigungwurdezurgewonnenenSchlacht,hierwiedort .
Die Führer beider Regimes waren von derÜberlegenheit sozial, national oder „rassisch“homogenerGesellschaftsordnungenüberzeugt .Pluralismuswar ihneneinGräuel, jederFremdewurdezumFeind,erhielteinenFeindstatus,ausdemeskeinEntrinnengab .SeineVernichtungdienteeinemhöherenZiel .Dernationalsozialis-tischeVernichtungskriegunddiestalinistischenethnischen „Säuberungen“ feierten dort ihregrößten Triumphe, wo eindeutige Ordnungs-vorstellungen mit uneindeutigen Verhältnissenin einen Konflikt gerieten . Das war besondersan der Peripherie ihrer Imperien der Fall . Die
noch1917 .WennmanzweiMillionenEmigran-tenberücksichtigt, führt dies zu einer Zahl vonmindestens achtMillionenOpfern, selbstwennmandennatürlichenZuwachsdurchdieGebur-tenratevernachlässigt .DaswardasVierfachederVerluste,diedasZarenreichimErstenWeltkriegerlittenhatte .DerBürgerkriegverursachteaußer-dem eine Hungersnot, der imWinter 1921/22nocheinmalfünfMillionenMenschenzumOpferfielen .InPetrogradkamenzweiDrittelderBevöl-kerungdurchHunger,KälteoderKrankheitenum,inMoskaumindestensdieHälfte .AmEndedesBürgerkriegswardasLandschwererzerstörtalsnachdemFeldzugNapoleons1812 .
DerroteTerror,derab1922durchdassow-jetische Strafgesetzbuch noch systematisiertwurde, richtetesichgegenGruppen, fürdie inder sowjetischen Gesellschaft kein Platz vor-gesehenwar: denAdel,Offiziere, Priester undKulaken . ImInteressedessowjetischenGesell-schaftskörpersmusstendieseGruppeneliminiertwerden .Schon1918hattemanersteLagerein-gerichtet .DaswarendieAnfängedesGulag-Sys-tems,indemspäterbiszu2,5Millioneninhaftiertwaren .DieleninistischeundspäterstalinistischeGewaltherrschaft setzte den Krieg gegen dieeigeneBevölkerungfort,dendasZarenreichimErstenWeltkrieggeführthatte,abermitanderenSelektionskriterien .
Wie der Nationalsozialismus hatte auch derStalinismuseinentotalitärenideologischenHerr-
Durch den Gulag zur Öl und Gasförderung: Aus der 1929 gegründeten Arbeitersiedlung Tschibju im Norden Russlands schufen zehntausende Strafgefangene bis 1943 die Stadt Uchta mit heute 100.000 Einwohnern. Aufnahme vom 14. November 1936.
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furchtbarerwaralsdererste,lagnichtzuletztandenLehren,diederGefreiteAdolfHitlerausdemErstenWeltkrieggezogenhatte,derprägendfürseine Zukunftspläne war . (Vgl . dazu auch denBeitrag von Thomas Weber in diesem Band .)ZurÜberwindungdeszeitraubendenundkräfte-zehrendenStellungskriegs,deranderWestfrontMillionen sinnlos geopferter Soldaten gekostethatte,setzteHitlerfürkünftigeEroberungskriegeaufdenBewegungskrieg .DieKonsequenzwardieBlitzkriegsstrategie,diesowohl inPolenalsauchinFrankreichmitgroßemErfolgzurAnwen-dung kam . Eine andere Antwort auf den Stel-lungskriegwardieforcierteEntwicklungderLuft-waffe .
Im Ersten Weltkrieg waren in Deutschlandetwa700 .000MenschendurchHungerundMan-gelernährung umgekommen, mehr MenschenalsimZweitenWeltkriegdurchLuftangriffe .DashattedieHeimatfrontenormenBelastungenaus-gesetzt .EshatteDemonstrationenindengroßenStädtenundimviertenKriegsjahrsogarStreiks,selbst in Munitionsfabriken, gegeben . DeshalbsetztemanimZweitenWeltkriegallesdaran,dieDeutschen auf Kosten der besetzten GebieteausreichendmitNahrungsmittelnzuversorgen,umsoKriegsmüdigkeit inderHeimatzuunter-binden,wasbisfastzuletztgelang .
EinanderesThemawardieinnereEinheit,ausderSichtderNationalsozialisteneineentschei-dendeVorbedingung fürnationaleGröße .Des-halbkämpftensiegegenParlamentarismusundDemokratie,vorallemaber füreinen„rassisch“homogenen Staat . Hauptfeind war die kleinejüdischeMinderheit,derdieKriegsniederlagevon1918angelastetwurde .In„MeinKampf“schriebHitler:„HättemanzuKriegsbeginnundwährenddesKriegeseinmalzwölf-oderfünfzehntausenddieserhebräischenVolksverderbersounterGift-gas gehalten, wie Hunderttausende unsererallerbestendeutschenArbeiterausallenSchich-tenundBerufenesimFeldeerduldenmussten,dannwäredasMillionenopferderFrontnichtver-geblichgewesen .“
Vor allem gegen den „jüdischen Weltfeind“wollteHitlerKriegführen .Diese„wurzelloseinter-nationaleRasse“stehehinterdenKriegshetzern,dasieamKriegverdiene,sagteerineinerRegie-
Schnittmenge der Herrschaftsansprüche bei-derImperienwarengewissermaßendie„Blood-lands“ (TimothySnyder) inMittelosteuropa,wozwischen1933und1945nichtwenigerals14MillionenMenschen,diekeineSoldatenwaren,ermordetwurden .
In16europäischenStaatenwurdenzwischen1919und1938autoritäreRegimeerrichtet .DieHälftedieserStaatenhatte1914schonexistiert,die andere Hälfte war nach dem Ersten Welt-kriegentstanden .Lediglichdreiab1918neuge-schaffeneStaaten–Finnland,dieTschechoslo-wakeiund Irland–bliebendemokratisch .Einer,dieUkraine,konnteseineSelbständigkeitgegenPolenunddieUdSSRnicht verteidigen . Indenanderenacht konntesichdieDemokratienichtbehaupten .DieAutokratienwarenunterschiedli-chenCharakters,mancheorientiertensichmehramModelldesaltenStändestaats,anderewarenvon modernen faschistischen Bewegungengetragen .Häufigzeichnetensiesichdurcheinenradikalisierten,rassistischaufgeladenenNationa-lismusaus,dessenTrägervorallemdievomsozi-alen Abstieg bedrohten Mittelschichten waren .DasaggressivsteundexpansionistischsteunterdiesenautoritärenRegimenwardasnationalso-zialistischeDeutscheReich,desseneliminatori-scherAntisemitismusalleanderenVariantendesNationalismusanGewaltsamkeitübertraf .
DassDeutschlandab1939sechsJahrelangeinenzweitenWeltkriegdurchhielt,dernochviel
Links: Ethnische Homogenität – dem Faschismus genügte ein einziger Menschentyp. Plakat zur Ausstellung „Faschistische Revolution“ in Rom, 1933.
Rechts: Wer Teil der Volksgemeinschaft sein wollte, hatte dem Führer zu dienen. Plakat der HitlerJugend, 1935.
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AlsHitlerseinProgrammniederschrieb,warendasallesZukunftsvisionen .NachdemerdieMachtimStaaterrungenhatte,gingermitgroßerKon-sequenz undBrutalität daran, seine Ziele in dieTat umzusetzen . Der sogenannte „GeneralplanOst“sahdieBeseitigungvon31MillionenSlawenvor, imProtokollderWannseekonferenzwarvon11Millionen zu vernichtenden Juden die Rede .DieAdditionbeiderZahlenergibtdenBlutzoll für
dienationalsozialistischeVisioneinerstarkenund„rassisch reinen“deutschenNationalsdominie-rendeMachtineinemneugeordnetenEuropa .Um
rungserklärung im Großdeutschen Reichstagam30 .Januar1939 .DerberühmtesteSatzdie-ser Rede lautete: „Wenn es dem internationa-lenFinanzjudentum in-undaußerhalbEuropasgelingensollte,dieVölkerEuropasnocheinmalineinenWeltkriegzustürzen,dannwirddasErgeb-nis nicht die Bolschewisierung der Erde unddamitderSiegdesJudentumssein,sonderndieVernichtungderjüdischenRasseinEuropa .“
FürAdolfHitlerwardieFragenichtob,son-dernwannundwiediesernächsteKriegkom-men würde . Daraus hat er nie ein Geheimnisgemacht .ImzweitenBandseinesBuchs„MeinKampf“ lieferte er schon 1926 eine Zusam-menfassung seines politischen Programms:Die Vereinigung aller Deutschen, namentlichderAnschlussÖsterreichs,dieGewinnungderArbeiterschaft füreinennationalenSozialismus,dieVernichtungderjüdischen„Gegenrasse“alsVorbedingungfürdasÜberlebendereigenen,dieEroberungdes für dasdeutscheVolk notwen-digenLebensraums imOstenund,umalldiesmöglichzumachen,dieÜberwindungvonMei-nungsstreitundParteienhaderzugunsteneinesstarkenStaats,deraufdemgermanischenPrin-zipvonFührerundGefolgschaftberuhte .
Hitlerwarüberzeugt,dassdasdeutscheVolknur als Weltmacht eine Zukunft haben würde .DabeiwareineKonfrontationderbeidenKonti-nentalmächteDeutschlandundRusslandunver-meidbar .(Vgl .dazumeinenBeitrag„VomLebens-raumimOstenzumHolocaust“indiesemBand .)
Der deutsche Antisemitismus mündete in den Völkermord an sechs Millionen Juden. Massenveranstaltung mit Julius Streicher im Berliner Sportpalast, 16. August 1935. Vier Wochen später, am 15. September, folgten die Nürnberger Rassegesetze.
An Bord des Schlachtschiffs Missouri unterzeichnet der japanische Armeeoberbefehlshaber General Umezu Yoshijirō am 2. September 1945 die Kapitulationsurkunde. Der amerikanische Oberbefehlshaber General Douglas MacArthur (links am Mikrofon) beendete den Zweiten Weltkrieg mit den Worten: „Die Verhandlungen sind abgeschlossen.“
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bomben .Die erste fiel am6 .August aufHiro-shima .IndenerstenSekundennachderExplo-siongabesschätzungsweise70 .000bis80 .000Tote . Bis Ende 1945 kamen noch einmal sovieleMenschenumsLeben .1950 lagdieZahlderOpferbei200 .000,spätererreichtesiefast300 .000 .Am9 .AugustwarfendieAmerikanerihrezweiteAtombombe,diesmalaufNagasaki,woetwa35 .000MenschendurchdieExplosionumkamen . InsgesamtfordertederZweiteWelt-kriegetwadreiMillionenjapanischeOpfer .Ange-sichtsdiesesschrecklichenBlutzollssolltemansichabervergegenwärtigen,dassdieZahlder–zumeist chinesischen –Opfer der japanischenAggressionmehrals20Millionenbetrug .
Der Einsatz der neuenMassenvernichtungs-waffe hatte den gewünschten Effekt . Am 15 .AugusterklärteKaiserHirohitodiebisdahin fürviele Japaner undenkbare Kapitulation . NichtwenigetraditionsbewussteJapanerstürztensichdaraufhin in ihrSchwert . InmanchenMilitäraka-demienergossensichSturzbächevonBlutindieTreppenhäuser . Kamikazeflieger steuerten ihreMaschinen ins Meer . Das Land, das noch nieeinen Krieg verloren hatte, war von einem Tag
dieseVisionWirklichkeitwerdenzulassen,führteAdolfHitlersechsJahrelangKrieggegendieWelt .
Am7 .Mai1945,morgensum2Uhr41,unter-zeichneteGeneraloberstAlfredJodlinReimsdiedeutsche Gesamtkapitulation . Zwei Tage spä-terwurde diese Zeremonie auf ausdrücklichenWunschStalins imOffizierskasinoderehemali-genPionierschuleinKarlshorstbeiBerlinwieder-holt .LeiterderdeutschenDelegationwardies-malGeneralfeldmarschallKeitel .DamitwarderKrieginEuropazuEnde .Insgesamt53StaatenhattensichzuletztmitdemDeutschenReichimKriegszustandbefunden .Fastdiegesamtezivi-lisierteMenschheit hatte sich in einer Anti-Hit-ler-Koalitionzusammengefunden,ausdernachKriegsendedieVereintenNationenhervorgingen .
InAsien,woderKriegschon1937begonnenhatte,wurdenochweitergekämpft .Japanwardank seiner Insellage strategisch in einer bes-seren Situation als der deutsche Verbündete .DieAmerikaner hatten sich, angesichts der zuerwartenden schweren Verluste, zu einer Inva-sionbishernichtentschließenkönnen .AmEndeentschiedensiesichfüreinenAngriffmitAtom-
Warten auf Wasser in Berlin, Mai 1945. Das Schild weist den Weg zum Reichstag.
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demerobertenLandausreichendzuernähren,aberdasgelangnichtimmer .DieMenschenhun-gerten–undstarbenauch:vorallemzuBeginn,in den provisorischenKriegsgefangenenlagern .DerKrieg,der1939vonDeutschlandausgegan-genwarunddiehalbeWeltverheerthatte,waramEndemit allerGrausamkeit nachDeutsch-landzurückgekommen .
1914 wie 1939 war Deutschland das bevöl-kerungsreichste Land in Europa . Das ist heutenicht anders . Eine Weltmacht ist Deutschlandnicht,wohlabereinewirtschaftlicheGroßmacht .Gemeinsammit seiner geopolitischen Lage gibtdiesdemLandseinebesondereVerantwortung .GerechtwerdenkönnendieDeutschenihr,wennsiesich ihrerVerantwortung fürdasVergangeneebensostellenwieihrerMitverantwortungfürdasGelingendesKünftigen,füreinfriedliches,gerech-tesundinFreiheitvereintesEuropa .JohnMaynardKeyneshatinseinemWeltbestseller„TheEcono-mic Consequences of Peace“ schon 1919 dieNotwendigkeit einerwirtschaftlichenVereinigungEuropasbetont–einerVereinigungaufderBasisvonFreiheitundGleichheit .EsgehtnichtumdieAbschaffungderNationalstaatenundschongarnichtumdiegewaltsameVeränderungpolitischerGrenzen,wohlaberumdieÜberwindungdesNati-onalismus .DieseAgendaistunverändertaktuell .
aufdenanderenkeineGroßmachtmehr .DieVer-fassungvon1946legtefest,dassdiejapanischeNationdasRechtzurKriegführungverwirkthatte .SiedeklarierteauchdasEndedesFeudalsystems .DerKulturbruchhattesäkulareDimensionen,dievon den Besatzern verfügte „Reeducation“warradikal, aber sie hatte Erfolg . 1951 wurde derFriedensvertragvonSanFranciscogeschlossen,imJahrdaraufendetedieamerikanischeBesat-zungsherrschaftund1956, fast20Jahre früheralsdiebeidendeutschenStaaten,wurdeJapanMitgliedderVereintenNationen .EinFeudalstaat,der sich Jahrhunderte lang vonderWelt abge-wandthatte,wandeltesichinatemberaubendemTempozueinerbedeutendenIndustrienation .
Die Bilanz des ZweitenWeltkriegswar ent-setzlich .Mehrals55MillionenMenschenwareneines gewaltsamen Todes gestorben, darun-teretwa30MillionenZivilisten .DenbeiWeitemgrößten Blutzoll hatten Russen und Chinesenzuentrichtengehabt .DemgrausigstenKriegs-zielderDeutschen,derAusrottungdeseuropä-ischenJudentums,warenfast6MillionenMen-schen zum Opfer gefallen, darunter etwa 1,5MillionenKinder .DiedeutscheWehrmachthatte4,8MillionenSoldatenverloren,hinzukameneinehalbeMillionTotederWaffen-SSundparamilitä-rischer Verbände sowie eine halbeMillion Ver-missteundvierMillionenVerwundete .ZwölfMil-lionenDeutscheverlorenihreHeimat .FastzweiMillionenvonihnenkamenwährendderVertrei-bungum .FastzehnMillionenvondernational-sozialistischen Knechtschaft Befreite befandensichinLagernfür„DisplacedPersons“undhoff-ten,nachihrerVerschleppungnuninihreHeimatzurückkehrenzukönnen .UndetwaneunMilli-onenevakuierteDeutsche strömten indie zer-störtenStädtezurück .AlldiesvollzogsichunterdendenkbarschwierigstenUmständen .DieInf-rastrukturwarzerstört,Kommunikationfunktio-niertesowenigwieTransport .EsmangelteanLebensmitteln undHeizmaterial . DieKohlepro-duktionwarum80Prozentgesunken .FastvierMillionenWohnungen,einFünfteldesgesamtenBestandes,warenzerstört .GleichzeitigmusstenMillionen von Vertriebenen untergebracht wer-den .ZahlloseFamilienhattenihrenErnährerver-loren .EinDrittelallerzwischen1915und1924geborenen Männer war im Krieg gefallen . DieAlliiertengabensichalleMühe,dieMenschenin
In der Kathedrale von Reims, im Ersten Weltkrieg von der deutschen Artillerie verwüstet, gaben Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Anstoß zur deutschfranzösischen Freundschaft und zur europäischen Einigung, 8. Juli 1962.