Maya Götz Die Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen · 4 FORSCHUNG 19/2006/1 Maya Götz Die...

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4 FORSCHUNG 19/2006/1 Maya Gtz Die Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen Die Analyse der Hauptfiguren im deutschen Kinderfernsehen zeichnet ein relativ eindeutiges Bild: Md- chen- und Frauenfiguren sind klar unterreprsentiert und stereotypi- siert. Neben der hilflosen Blonden findet sich überproportional hufig die egozentrische Rothaarige. W er sind die Helden und Heldinnen des deutschen Kinderprogramms? Spon- tan fallen die Namen der Klassiker des Kinderfernsehens wie Wickie, Biene Maja und natürlich Pippi Langstrumpf oder in der aktuelleren Kinderkultur SpongeBob, Bibi Blocksberg oder Bernd das Brot. Alle sind besondere Typen, haben eine spezifische Erschei- nung und sind, zumindest was ihre grammatikalische Bezeichnung be- trifft, klar als Mdchen oder Junge identifizierbar. Bei den oben genann- ten Beispielen also 3 Mdchen- und 3 Jungenfiguren. Doch ist das Ge- schlechterverhltnis im Kinderfern- sehangebot so gleichmig verteilt? Das IZI führte zu dieser Frage im Kontext der Lieblingsfiguren von Mdchen und Jungen (vgl. Winter/ Neubauer und Gtz in diesem Heft) eine Inhaltsanalyse zu den Hauptfigu- ren des deutschen Kinderprogramms durch, aus der im Folgenden zentrale Ergebnisse vorgestellt werden. Methode Aus der Programmstichprobe der Bestandsaufnahme zum Kinderfern- sehen 2002 wurde zunchst eine qua- litative explorative Stichprobe von 40 Sendungen mit 90 Protagonistinnen und Protagonisten gezogen. 1 Die Charaktere wurden einzeln analysiert mit Schwerpunkt auf ihrem ˜ueren, ihrer Krpersprache und ihrem Ver- halten. In dem anschlieenden agglo- merativen Clusterprozess wurden die Figuren hinsichtlich der Frage, wie sie mit dem Hauptkonflikt der Hand- lung umgehen, typisiert. Aufbauend auf dieser qualitativen Analyse wur- den erste geschlechterspezifische Tendenzen herausgearbeitet und Hy- pothesen aufgestellt. Anhand der Stichprobe der Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen 2003 2 und den hier enthaltenen 412 fiktionalen Prot- agonistInnen des expliziten Kinder- fernsehens folgte eine quantitative Inhaltsanalyse. Einige Ergebnisse: Geschlechterverteilungen im deutschen Kinderfernsehen Bei einem einfachen Nachzhlen der Hauptfiguren im deutschen Kinder- fernsehen ergibt sich eine sehr ein- deutige Tendenz: 74,3 % sind Jun- gen- bzw. Mnnerfiguren, 25,7 % Mdchen- bzw. Frauenfiguren. Der Unterschied zwischen ffentlich- rechtlichen und privaten Anbietern ist dabei eher marginal (s. Grafik 1). Von einem Gleichgewicht oder sogar der Dominanz von Mdchenfiguren im deutschen Kinderfernsehen kann also nicht gesprochen werden. Die Dimension der Ungleichgewich- tung wird noch einmal deutlicher, wird die »Art« der ProtagonistInnen ausgezhlt. Handeln die Geschichten von Menschen, so sind Mdchen (bzw. Frauen) mit nahezu einem Drit- tel der Figuren vertreten. Stehen je- doch Tiere im Mittelpunkt der Hand- lung, so stehen hier 87,1% mnnli- chen lediglich 12,9% weibliche Hauptfiguren gegenüber (Grafik 2). Whrend Menschen zumal wenn mit realen SchauspielerInnen gearbei- tet wird, meist sichtbar Mdchen/ Frauen bzw. Jungen/Mnner sind, handelt es sich bei Zeichentrickfigu- ren oder tierischen Hauptfiguren meist um reine Konstruktionen. Ob im Zeichentrick ein Tier grammati- kalisch ein »Er« oder eine »Sie« ist, Grafik 1: Geschlechterverteilung der Hauptfiguren im Kinderfernsehen

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Maya Götz

Die Hauptfiguren imdeutschen Kinderfernsehen

Die Analyse der Hauptfiguren imdeutschen Kinderfernsehen zeichnetein relativ eindeutiges Bild: Mäd-chen- und Frauenfiguren sind klarunterrepräsentiert und stereotypi-siert. Neben der hilflosen Blondenfindet sich überproportional häufigdie egozentrische Rothaarige.

Wer sind die Helden undHeldinnen des deutschenKinderprogramms? Spon-

tan fallen die Namen der Klassiker desKinderfernsehens wie Wickie, BieneMaja und natürlich Pippi Langstrumpfoder in der aktuelleren KinderkulturSpongeBob, Bibi Blocksberg oderBernd das Brot. Alle sind besondereTypen, haben eine spezifische Erschei-nung und sind, zumindest was ihregrammatikalische Bezeichnung be-trifft, klar als Mädchen oder Jungeidentifizierbar. Bei den oben genann-ten Beispielen also 3 Mädchen- und 3Jungenfiguren. Doch ist das Ge-schlechterverhältnis im Kinderfern-sehangebot so gleichmäßig verteilt?Das IZI führte zu dieser Frage imKontext der Lieblingsfiguren vonMädchen und Jungen (vgl. Winter/Neubauer und Götz in diesem Heft)eine Inhaltsanalyse zu den Hauptfigu-ren des deutschen Kinderprogrammsdurch, aus der im Folgenden zentraleErgebnisse vorgestellt werden.

Methode

Aus der Programmstichprobe derBestandsaufnahme zum Kinderfern-sehen 2002 wurde zunächst eine qua-

litative explorative Stichprobe von 40Sendungen mit 90 Protagonistinnenund Protagonisten gezogen.1 DieCharaktere wurden einzeln analysiertmit Schwerpunkt auf ihrem Äußeren,ihrer Körpersprache und ihrem Ver-halten. In dem anschließenden agglo-merativen Clusterprozess wurden dieFiguren hinsichtlich der Frage, wiesie mit dem Hauptkonflikt der Hand-lung umgehen, typisiert. Aufbauendauf dieser qualitativen Analyse wur-den erste geschlechterspezifischeTendenzen herausgearbeitet und Hy-pothesen aufgestellt. Anhand derStichprobe der Bestandsaufnahmezum Kinderfernsehen 20032 und denhier enthaltenen 412 fiktionalen Prot-agonistInnen des expliziten Kinder-fernsehens folgte eine quantitativeInhaltsanalyse. Einige Ergebnisse:

Geschlechterverteilungenim deutschen

Kinderfernsehen

Bei einem einfachen Nachzählen derHauptfiguren im deutschen Kinder-fernsehen ergibt sich eine sehr ein-

deutige Tendenz: 74,3 % sind Jun-gen- bzw. Männerfiguren, 25,7 %Mädchen- bzw. Frauenfiguren. DerUnterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern istdabei eher marginal (s. Grafik 1). Voneinem Gleichgewicht oder sogar derDominanz von Mädchenfiguren imdeutschen Kinderfernsehen kann alsonicht gesprochen werden.Die Dimension der Ungleichgewich-tung wird noch einmal deutlicher,wird die »Art« der ProtagonistInnenausgezählt. Handeln die Geschichtenvon Menschen, so sind Mädchen(bzw. Frauen) mit nahezu einem Drit-tel der Figuren vertreten. Stehen je-doch Tiere im Mittelpunkt der Hand-lung, so stehen hier 87,1% männli-chen lediglich 12,9% weiblicheHauptfiguren gegenüber (Grafik 2).Während Menschen � zumal wennmit realen SchauspielerInnen gearbei-tet wird, meist sichtbar Mädchen/Frauen bzw. Jungen/Männer sind,handelt es sich bei Zeichentrickfigu-ren oder tierischen Hauptfigurenmeist um reine Konstruktionen. Obim Zeichentrick ein Tier grammati-kalisch ein »Er« oder eine »Sie« ist,

Grafik 1: Geschlechterverteilung der Hauptfiguren im Kinderfernsehen

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hängt einzig vom Willen der Produ-zierenden ab.

Das Aussehen derHauptfiguren

Hauptfiguren werden mit einem be-stimmten Äußeren und Alter entwor-fen, gecastet und mit spezifischerHaarfarbe und einem bestimmtenHaarschnitt versehen. Auch hier lohntsich schon eine einfache quantitativeAuszählung der geschlechterspezifi-schen Tendenzen.Die Haarfarbe der Jungen- bzw. Män-nerfiguren ist jeweils zu einem Drit-tel schwarz oder braun. Das restlicheDrittel verteilt sich auf blonde, rot-haarige und grau- oder weißhaarigeFiguren. Neben diversen Kurzhaar-schnitten tragen 27,7 % schulterlan-ge bzw. hüftlange Haare.Die Haare von Mädchen- und Frau-enfiguren sind fast ausschließlichschulterlang oder länger. Kurzhaar-frisuren kommen so gut wie nicht vor.Ein Drittel der Figuren hat schwarzeHaare, ein weiteres Drittel ist rothaa-rig. Von Natur aus ist in der Realitätnur eine von hundert Frauen inDeutschland rothaarig (Quelle: Hen-kel KGaA, Corporate Communica-tions). Rothaarige Mädchenfigurenim Kinderfernsehen sind sehr deut-lich überrepräsentiert. Weiß- bzw.grauhaarige weibliche Hauptfigurenkommen im Kinderfernsehen hinge-

gen nur zu 1 % vor. Ohnehin sind81,8 % aller erwachsenen Figurenmännlich. Findus hat seinen Petters-son, Pumuckl seinen Meister Eder.Ältere Frauen als Hauptfiguren gibtes so gut wie nicht. In der Realitätsind Großmütter häufig hochbedeut-same Personen für Kinder (Zinneckeru. a. 2003, S. 140 ff.), im Kinderfern-sehen spielen sie jedoch keine Haupt-rolle.Mädchenfiguren kommen also nichtnur deutlich seltener vor, sie sind inder Bandbreite ihres Äußeren auchsignifikant eingeschränkter. Eine ex-plizite Sexualisierung im Sinne einerBetonung von »Busen«, »muskulö-sem Körper« und »Genitalien«kommt jedoch selten vor. Wenn Se-xualisierung stattfindet, dann sind esjedoch häufiger die weiblichenHauptfiguren (5,8 %) wie She-Hulk.Eine entsprechende Betonung derGenitalien findet sich nur bei 0,4 %der Männerfiguren und 1,7 % wurdenmit einem herausragend muskulösenKörper inszeniert.

Wie Hauptfiguren in derSendung handeln

Hauptfiguren gehen in jeder Episodeoder Folge mit einem oder zwei dra-maturgischen Konflikten um. Dabeihandeln sie in typischer, bei Serien-figuren meist wiederkehrender Weise.In der qualitativen Analyse wurden die

Hauptfiguren hinsichtlich ihres Um-gangs mit dem Hauptkonflikt typisiert.Es ergaben sich 6 Typen mit jeweili-gen Subgruppen, die anschließend an-hand der quantitativen Stichprobe beifiktionalen Kindersendungen auf ihregeschlechterspezifische Verteilung hinuntersucht wurden (s. Grafik 3).

Die Egozentrischen19,7 % der Hauptfiguren im deut-schen Kinderfernsehen lassen sich alsegozentrische Figuren charakterisie-ren. Die dramaturgischen Konflikteproduzieren sie oftmals selbst odergehen sie aktiv an und lösen die Pro-bleme ganz aus ihren eigenen Bedürf-nissen heraus. Es sind Typen, die ausihrer Umwelt herausstechen, etwasbewegen und auch mal scheitern kön-nen. In der Ausprägungen der Reflek-tierenden handelt es sich um Figuren,die an sich selbst arbeiten und sozu-sagen in der Sendung ihre Individua-lität aufbauen. Prototypisch ist hierPepper Ann (SuperRTL): ein selbst-bewusster, autarker Teenie, der sicheinfallsreich einen Weg zu seiner ei-genen Individualität sucht. Eine wei-tere Untergruppe sind diejenigen, dieversuchen, ihre Umwelt an ihre Be-dürfnisse anzupassen, wie beispiels-weise Pumuckl (BR/KI.KA), derMeister Eder mit seinen ganz an deneigenen Interessen orientierten Strei-chen in allerlei Schwierigkeit bringt.73,3 % aller egozentrischen Figurensind Jungen bzw. Männer, 26,7 %Frauen bzw. Mädchen. Wenn Mäd-chenfiguren in diesen Typus fallen,ist die Haarfarbe, die am häufigstenvorkommt: rot.

Die VermittelndenBei diesem Typus, der zu 12,1 % alsHauptfigur im Kinderfernsehen vor-kommt, sind die Handlungen von denAktionen des sozialen Umfelds ent-scheidend mitbestimmt. Sie greifenin einen auftretenden Konflikt ihrerPartnerInnen/FreundInnen vermit-telnd ein oder vermitteln Kenntnisseüber die Welt. Ein Prototyp ist der Bärim großen blauen Haus: Der erwach-

Grafik 2: Arten von Hauptfiguren

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sene Freund, der Streit schlichtet, zuEntdeckungen einlädt und erklären-de Kommentare abgibt.Zu 78,3 % ist dieser Typus männlich,21,7 % der vermittelnden Hauptfigurensind Mädchen- oder Frauenfiguren.

Die VerantwortendenEbenfalls 12,1% der Figuren im deut-schen Kinderfernsehen lassen sich alsverantwortend umschreiben. Sie ge-hen eigeninitiativ und ausVerantwortung für andereoder die Sache an sich aufden Konflikt zu. Tim (ausTim und Struppi) ist so eineHauptfigur, die sich intel-ligent, neugierig und tat-kräftig eigenaktiv in Ge-schichten einmischt.Mit 80,4 % Männer- bzw.Jungenfiguren ist dies derTypus, der prozentual amwenigsten Mädchen- oderFrauenfiguren aufweist.

Die Wehrhaften24,2 % der Hauptfigurenim deutschen Kinderfern-sehen lassen sich als wehr-haft kennzeichnen. Es istein Figurentyp, der die Pro-bleme und Bedrohungen,mit denen er/sie oder seine/ihre Umwelt konfrontiertwird, gezielt und verant-wortungsvoll abwehrt. Allein wieBatman oder in Gruppen wie DoRe-Mi verteidigt er/sie die Welt.Bei den Wehrhaften finden sich67,7 % männliche und 32,3 % weib-liche Figuren. Vor allem in den wehr-haften Gruppen sind die weiblichenHauptfiguren gut vertreten, währenddie Alleinkämpfer fast ausschließlichmännlich sind.

Die PlanlosenMit 25,2 % sind die Planlosen der amhäufigsten auftretende Typus im deut-schen Kinderfernsehen. Hier sind dieFiguren versammelt, die nicht nur mitdem Konflikt konfrontiert, sondernregelrecht von seinen Anforderungen

bzw. den Handlungen der anderen ge-beutelt sind. Obwohl sie überfordertsind und keinen vernünftigen Planzur Lösung des Problems haben, blei-ben sie doch meist recht locker undüberstehen ihre Abenteuer letztlich ir-gendwie. Prototypisch ist DarkwingDuck, ein etwas trotteliger Wichtig-tuer, der seine Fähigkeiten weit über-schätzt und dennoch dank zahlreichertechnischer Hilfsmittel die Situatio-

nen meistern kann. Die Planlosensind mit 80,2 % vor allem Männer-und Jungenfiguren.

Die HilflosenMit 6,6 % aller Figuren sind die Hilf-losen am seltensten bei den Hauptfi-guren vertreten. Es sind Charaktere,die aus einer konkreten Gefahr ge-rettet werden müssen, weil sie entwe-der per se total passiv und hilflos sindoder sich trotz eigeninitiativen Cha-rakters in einer Situation befinden,aus der sie allein nicht mehr heraus-kommen können. Exemplarisch da-für steht Marina, die Meerjungfrau:Die sanfte, schamhafte Jungfrau, dieganz auf ihren männlichen Partner

bezogen selbst passiv und hilflosbleibt. Dies ist der einzige Figuren-typus, bei dem das Verhältnis vonmännlichen und weiblichen Figurennahezu angeglichen ist. Nur 56 % derFiguren sind Jungen- oder Männerfi-guren und 44 % sind Mädchen- oderFrauenfiguren.Auch in diesem Typus zeigen sichüberproportionale Tendenzen in derHaarfarbe. Während hilflose Jungen-

figuren eher dunkelhaarig sind, sinddie weiblichen Figuren deutlich über-proportional blond, mehr als doppeltso häufig wie bei den anderen Typen.

Einordnung der Ergebnisse

Einschlägige Studien zum Frauen-und Männerbild im Fernsehen arbei-ten seit vielen Jahren heraus, dassFrauen erheblich unterrepräsentiertsind (zusammenfassend u. a. beiKlaus 1998, S. 222 ff., Jacobson2005, exemplarisch für Nachrichten:Gallagher 2006). Im Erwachsenfern-sehen gibt es hierfür eine relativ ein-leuchtende Erklärung: Medienma-

Grafik 3: Verteilung auf die unterschiedlichen Handlungstypen

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cherInnen neigen dazu, ihre eigenenpersönlichen Vorstellungen von »derFrau« in Programmplanung, Regie,Bild, Ton und Medienforschung ein-zubringen (vgl. Nightingale 1990,S. 28 f.). Da nach wie vor die ent-scheidungstragenden Positionen imProduktionsprozess überproportionalmit Männern besetzt sind, ist es dasBild, das Männer von Frauen gestal-ten.Auch im Kinderfernsehen sind dieentscheidungstragenden Positionender Sender � mit Ausnahme des ZDFs� meist mit Männern besetzt. Auf derRedaktionsebene ist das Verhältnis je-doch nahezu ausgeglichen und in ei-nigen Redaktionen finden sich sogarmehr Frauen als Männer. Nun ist �wie aus vielen Bereichen bekannt �das Geschlecht der Veranwortendennicht gleichzusetzen mit ihrem Enga-gement in Sachen Geschlechterge-rechtigkeit. Dennoch bleibt die Fra-ge: Warum kommen trotz Frauenprä-senz in den Redaktionen Mädchen-und Frauenfiguren als Hauptfigurenso unverhältnismäßig selten vor?Aus der Erfahrung mit RedakteurIn-nen und Produzierenden und vor denErgebnissen der ProduzentInnenbe-fragung (Lemish in diesem Heft)möchte ich gern drei Begründungs-zusammenhänge anbieten:! Eine fehlende fundierte Ge-

schlechtersensibilität, die dazuführt, dass � wie schon von Simo-ne de Beauvoir treffend herausge-arbeitet � das Männliche zum Nor-malfall und das Weibliche zum»anderen Geschlecht« wird. Weib-lichkeit wird zur Eigenschaft, diekennzeichnet, was »nicht-männ-lich« ist. Ein Beispiel: dieSchlümpfe. Der Schlumpf ist ansich männlich. Entsprechend demGrundkonzept der Sendung hatjeder Schlumpf seine namenge-bende Eigenschaft: Schlaubi istschlau, Mauli mault und dann gibtes unter den hunderten vonSchlümpfen die Schlumpfine.Weiblichkeit wird als Eigenschaftkonstruiert: Man ist schlau oder

man ist Frau. Diese Form des ge-schlechterunsensiblen Grundkon-zepts findet sich in diversen Kin-dersendungen. Nicht sexualisierteWesen, z. B. Tiere im Zeichentrick,sind zunächst selbstverständlichmännlich, Frauenfiguren symboli-sieren die Abweichung vom männ-lichen Normalfall, was äußerlichdurch Besonderheiten wie langeWimpern, Schleifchen und Röck-chen gekennzeichnet wird (vgl.Götz 1999).

! Es ist vermutlich aber auch ein rea-ler oder vorweggenommener inter-ner Rechtfertigungszusammen-hang, der mehr Geschlechterge-rechtigkeit verhindert. Mehrfachgenannt wird das Marktargument,dass Mädchenfiguren »sich nichtso gut verkaufen«. Oftmals domi-niert die Vorstellung: Jungen wol-len keine Mädchen, aber Mädchenkönnen sich auch mit Jungenfigu-ren identifizieren. Dass dies inhalt-lich viel komplexer ist (s. z. B.Winter/Neubauer in diesem Heft),wird vermutlich geahnt, aber nichtdiskutiert. Dass es Serien wie An-gela Anaconda oder Kim Possible(beide SuperRTL) gibt, die es indie Spitzen der Serienhitlisten derJungen schaffen, wird vermutlicheinfach ignoriert oder als sender-spezifischer Effekt abgetan.

! Nicht zuletzt ist es das Engage-ment für Jungen, das mehr Ge-schlechtergerechtigkeit verhindert.Ähnlich wie bei den nordischenLändern (vgl. Lemish in diesemHeft) steht insbesondere bei ge-schlechterengagierten Redakteu-rinnen das Anliegen im Mittel-punkt, Jungen zu erreichen und zufördern. Ein Ansinnen, das an sicherstrebenswert ist. Doch ist eswirklich das Geschlecht des Hel-dens, das eine Sendung für Jungenattraktiver macht? Ist es nicht vieleher die Frage, ob sie die Themenund Ausdrucksformen von Jungentrifft, sie genderspezifisch ernsternimmt? Das würde vermutlichaber eine sehr viel tiefere Ausein-

DIE AUTORIN

Maya Götz, Dr. phil., ist Leiterindes Internationalen Zentralinstitutsfür das Jugend- und Bildungs-fernsehen (IZI) und des PrixJeunesse International, München.

LITERATUR

ANMERKUNGEN

andersetzung mit den eigenen An-nahmen davon, »wie Mädchen/Jungen sind«, voraussetzen undvermutlich auch eine Erweiterungunseres Qualitätsverständnissesnach sich ziehen müssen.

1 Es wurden Sendungen ausgewählt, die explizit denNamen der Hauptfiguren als Titel trugen (jeweilszur Hälfte Jungen und Mädchennamen). Ergänztwurde dies durch Sendungen, in deren Titel Grup-pen im Mittelpunkt standen.

2 Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme hatte dasTeam »Kasseler Medienpädagogik« an der Uni-versität Kassel an drei Tagen (Donnerstag, Sams-tag und Sonntag im März 2003) das Fernsehpro-gramm der 10 reichweitengrößten Sender in derZeit von 6.00 bis 23.00 Uhr aufgenommen underfasst. In die Stichprobe der vorliegenden Stu-die gingen alle Sendungen ein, die von der GfKals Kindersendungen klassifiziert wurden bezie-hungsweise innerhalb von Kinderflächen liefenund fiktional waren. Insgesamt waren dies 179Sendungen, in denen 412 Figuren als Haupt-akteure identifiziert wurden.

Gallagher, Margaret: Who makes the news?Global media monitoring project 2005.www.whomakesthenews.org.Götz, Maya: Männer sind die Helden: Geschlech-terverhältnisse im Kinderfernsehen. In: Te-levIZIon, 12/1999/1, S. 33-35. Nachdruck unterdem Titel: Von Heldinnen und Helden im Kinder-fernsehen. In: Forum Frauen und Gesellschaft,3/1999/4, S. 28-35.Jacobson, Maria: Young people and gendered me-dia messages. The International Clearing Houseon Children, Youth and Media (Hrsg.). Göteborg:Nordicom, 2005, 66 S.Klaus, Elisabeth: Kommunikationswissenschaft-liche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung derFrau in den Massenmedien und im Journalismus.Opladen: Westdeutscher Verlag 1998.Nightingale, Virginia: Women as audiences. In:Brown, Mary Ellen (Hrsg.): Television and women�sculture. The politics of the popular. London u. a.:SAGE 1990, S. 25-36.Zinnecker, Jürgen; Behnken, Imbke; Maschke, Sa-bine; Stecher, Ludwig: null zoff & voll busy. Dieerste Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts.Ein Selbstbild. (2. durchges. Aufl.) Opladen: Leskeu. Budrich 2003, 160 S.