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Mechtild Keiner UBER DEN ICON-BEGRIFF UND SEINE EINFÜHRUNG IN DIE SEMIOTIK BEI PEIRCE soweit aus den 'Collected Papers of Charles Sanders Peirce' ( 1 ) hervorgeht, verwendet Peirce den Term 'Icon' erst etwa seit 1885, um mit ihm die erste der drei Arten von Zeichen zu kennzeichnen , die er bis dahin vorwiegend 'likeness' nannte. Dies ist schon des- halb bemerkenswert, weil die Begriffe 'Index' und 'Symbol' viel früher zur Bezeichnung der beiden anderen Zeichenarten eingeführt wurden. Es gibt zwei Arbeiten aus dieser Zeit, in denen der Term 'Icon' begegnet. In einer Publikation in 'The American Jou r nal of Mathematics' (vol. 7, Nr. 2,1885) mit dem Titel 'On the Algeb r a of Log1c' heißt es in Paragraph 1 1 'Three Kinds of Signs': 'I call a sign which stands for something merely because it resembles 1t 1 an 1 c o n.' (CP ).362) Außerdem gibt es ein fragmentarisches Manuskript (Nr. 901) m it dem Titel 'One, Two, Three: Fundamental Categories of Thought and N a- ture', das ebenfalls um etwa 1885 datiert wird, in dem Pei rc e die als Beispiel einer alles umfassenden Trichotomie an - führt. Er sagt hier: 'One very import triad is this: it has been found that there are three kinds of signs which are all ind1spens1ble in all reasoning; the fist 1s the d1agrammat1c sign or i c o n, which exhibits a similarity or analogy to the subject of discourse; the second is the in d e x ••• ; the third (or symbol) is the general name or description ••• ' (CP 1.369) Die Gelegenheit der Einführung des Terms 'icon' läßt die Frage nach Herkunft und Geschichte dieses Begriffes aufkommen. Das Wort 1 icon' ist aus dem griechischen EfK6N hergeleitet, dessen , ' verbale Grundform EISKO (vergleiche, mache ähnlich) sowie das Ad- " - jektiv EIKELOS, E, ON (gleich) schon bei Homer vorkommen. z. B, EISKÖ : Ilias 3 1 197; 5, 181 EIKELOS, E, ON : Odysseus 21, 411; Ilias 22, 134 Die Verben, aus denen das Substantiv EIKÖN hergeleitet ist , heißen EOIKA, poetisch: EISKÖ bzw. EfKAKSÖ und werden nach Angabe des 35

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Mechtild Keiner

UBER DEN ICON-BEGRIFF UND SEINE EINFÜHRUNG IN DIE SEMIOTIK BEI PEIRCE

soweit aus den 'Collected Papers of Charles Sanders Peirce' (1 ) hervorgeht, verwendet Peirce den Term 'Icon' erst etwa seit 1885, um mit ihm die erste der drei Arten von Zeichen zu kennzeichnen , die er bis dahin vorwiegend 'likeness' nannte. Dies ist schon des­halb bemerkenswert, weil die Begriffe 'Index' und 'Symbol' viel früher zur Bezeichnung der beiden anderen Zeichenarten eingeführt wurden. Es gibt zwei Arbeiten aus dieser Zeit, in denen der Term 'Icon' begegnet. In einer Publikation in 'The American Jour nal of Mathematics' (vol. 7, Nr. 2,1885) mit dem Titel 'On the Algeb r a of Log1c' heißt es in Paragraph 1 1 'Three Kinds of Signs':

'I call a sign which stands for something merely because i t resembles 1t 1 an 1 c o n.' (CP ).362)

Außerdem gibt es ein fragmentarisches Manuskript (Nr. 901) mit dem Titel 'One, Two, Three: Fundamental Categories of Thought and Na­ture', das ebenfalls um etwa 1885 datiert wird, in dem Peirce die Zeichentriad~ als Beispiel einer alles umfassenden Trichotomi e an­führt. Er sagt hier: 'One very import triad is this: it has been found that there are three kinds of signs which are all ind1spens1ble in all reasoning; the fist 1s the d1agrammat1c sign or i c o n, which exhibits a similarity or analogy to the subject of discourse; the second is the in d e x ••• ; the third (or symbol) is the general name or description ••• ' (CP 1.369) Die Gelegenheit der Einführung des Terms 'icon' läßt die Frage nach Herkunft und Geschichte dieses Begriffes aufkommen.

Das Wort 1 icon' ist aus dem griechischen EfK6N hergeleitet, dessen , ' verbale Grundform EISKO (vergleiche, mache ähnlich) sowie das Ad-

" -jektiv EIKELOS, E, ON (gleich) schon bei Homer vorkommen. z. B, EISKÖ : Ilias 31 197; 5, 181 EIKELOS, E, ON : Odysseus 21, 411; Ilias 22, 134

Die Verben, aus denen das Substantiv EIKÖN hergeleitet ist , heißen EOIKA, poetisch: EISKÖ bzw. EfKAKSÖ und werden nach Angabe des

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authentischen 'A Greek-English Lexicon, complied by Henry George Li­ddell DD and Robert Scott DD', Oxford, Bd. 1,hauptsächlich in fol­gendem Sinn verwendet:

1, durch ein Bild oder eine Ähnlichkeit darstellen, portraitieren (represent by an image or likeness, portray) z. B, bei dem Historiker Xenophon in 'Oikonomikos' (X, Oec,10 1 1)

2, a) vergleichen (liken, compare) z,B, im ersten Buch von Sapphos Liedern (Sapph.1.c), bei Aischylos in 'Die Choephoren' (A. Ch.633)'Die Eumeniden' (A, Eu, 49)

b) durch einen Vergleich beschreiben (describe by a comparison) z. b, bei Herodot (Hdt, 7.162, vgl. 4,31), in Aristoteles 'Die Nikomachische Ethik' (Arist. EN 1106b30)

c) ähnlich sein, gleichen (to be like, resemble) z, B, bei Euripides in 'Die Bacchen' (E, Ba, 942f 1253)etc. bei Aristophanes in 'Die Acharner' (Ar. Ach. 783J

3 . aus einem Vergleich folgern, eine r-1utmaßung bilden (infer from comparison, form a oonjecture) · z , B, bei Herodot (Hdt. 1.68, 7.49), bei Sophokles in 'Oedipus auf Kolonos' (S. OC 1504, 1677), in den Reden des Isokrates (Isoc. 3.26)

Im ' Dictionaire ~tymologique de la Langue Grecque' von Pierre Chant r aine , Paris 1868, s. 355, heißt es: 'Der Gesamtbereich von

J ,

EIKAKSO und den \vörtern, die sich darauf beziehen, erhellen den Über gang der Bedeutung von 'Bild, Ähnlichkeit' zu der von 'Ver­gle i ch ' und 'Vermutung'.' (Übersetzung). Die Bedeutung des Substan­tivs EIKÖN liegt daher ebenfalls im Bereich des Begriffes 'Bild' im Sinn einer Darstellung als Statue oder Gemälde. Im ionisch-at­tischen Schrifttum wird EIKÖN gelegentlich auch im Sinn von Ver­gleich gebraucht. Or.ientalischer Einfluß macht sich in der metha-

' -phorischen Verwendung von EIKON bemerkbar, so im Fall des Steines von Rosette, im westlichen Nildelta, auf dem Ptolemaios Epipha­nes lebendes Bild des Gottes, 'EIK6NOS ZÖSES TU DI6S', genannt

wird , - ebenso bei Diegenes von Sinope, vor allem aber auch im Neuen Testament.

Folgende Verwendungen von EIKÖN gelten als repräsentativ 2):

1 a) Ähnlichkeit, Bild (likeness, image, wether picture or statue) bei Aischylos 'Die Sieben vor Theben' (A. Th. 559), bei Herodot (Hdt. 2.130 und 2.143) etc.

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b) Spiegelbild (image in a mirror) bei Euripides in 'Medea' (E, Med, 1162), bei Platon in 'Politeia' (Pl, R, 402 b)

2 a) Scheinbild, Einbildung (semblance, phantom) bei Euripides in 'Der rasende Herakles' (E,HF, 1002), bei Platon in !Politeia' (Pl, R, 588 b)

b) geistiges Bild (image in the mind) bei Euripides in 'Die Troerinnen' (E, Tr, 1178), bei Platon in 'Philebos' (Pl, Phlb, 39 c) und'Timaios ' (Pl , Ti, 29 b)

3. Gleichnis, Vergleich (similitude, comparison) bei Aristophanes in 'Die Wolken' (Ar. Nu, 559) und 'Die Frösche' (Ar,Ra , 906) bei Platon in'Phaidon' (Pl. Phd, 87 b) und 'Menon' (Pl.Men . 80c) sowie in 'Politeia' (Pl. R, 487 e) etc,

4, Vorbild, Urbild (pattern, archetype) bei Timaios Locros (Ti. Locr, 99d)

5, Ebenbild, Verkörperung, Manifestation (living image, repr esen­tation) auf dem Stein von Rosette (OGI 90, 3) bei Diegenes von Sinope (Diog, L, VI 51), im 2. Korintherbrief, Vers 4 (Cor, 2,4) etc,

In der ähnlichen und doch sehr verschiedenen Ve~·rendung des Hortes EfK5N liegt bereits die Mehrdeutigkeit vorgezeichnet, die mit dem Bildbegriff verbunden ist, Im byzantinischen Bilderstreit des 8, und 9, Jahrhunderts, dem sog, 'Ikonoklasmus', bildet die unter­schiedliche Interpretation von EiK5N das Streitobjekt, Die Kern­frage ist, ob eine EfK5N mit dem, was sie darstellt, identisch und damit wesensgleich sein muß oder ob sie als eine Abbildung zu be­trachten ist,

In den auf Kaiser Konstantin V, (741-775) zurückgehenden polemi­schen Schriften gegen die Bilderverehrung, die dem ikoneklastischen Konzil von Hiereia (754) vorausgingen, heißt es, 'daß eine echte Ikone mit dem abgebildeten Gegenstand wesensgleich zu sein habe, Wie soll dann möglich sein - so wird weiter gefragt - Christus , der aus zwei Naturen besteht, einer materiellen und einer immateri­ellen,in der Ikone darzustellen?' 3) An einer anderen Stelle soll Konstantin V, weitschweifig auseinandergesetzt haben, daß nur das Abendmahl als eine echte Ikone Christi anzusehen sei,

Die Wortführer der Bilderfreunde vertreten hingegen die These, die Ikone sei gerade durch ihren Unterschied zum Archetypes bestimmt und erhebe keinen Anspruch darauf, mit dem dargestellten Gegen­stand wesensgleich zu sein. Patriarch Nikephoros (765 - 811),

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Thronprätendent und Nachfolger von Kaiserin Irene, argumentiert ge­gen das ikoneklastische Konzil von 754 und die Schrift Konstantins V.: 'Die Ikone nimmt in irgendeinem Sinn am Archetypes teil •••• sie ermöglicht ein Inbeziehungtreten zum Archetypes, sie eröffnet eine Erkenntnis deselben, aber stets bleibt sie ihrem \.Vesen nach von ihm verschieden.' 4) Nikephoros betont: 'Eine Ikone ist das Gleichnis des Archetypes ••••• entweder eine Nachahmung und eine Abbildung des Archetypes, die sich dem Wesen und der Substanz nach unterscheidet, oder eine künstlerische Vollendung bezüglich der Nachahmung des Archetypes, die bildhaft angefertigt ist, sich aber im Wesen und der Substanz nach unterscheidet. Denn wenn sie sich nicht irgendwie unterscheidet, ist sie keine Ikone und auch sonst nichts anderes neben dem Archetypos.'5)

Aber schon der griechische Schriftsteller und Theologe Johannes Damaskenos (etwa 675 - 749), der in der Zeit Kaiser Leons III (717-741) seine Stimme gegen die Bilderstürmer erhob und als einer der ersten und brilliantesten Verteidiger der Bilderverehrung gilt,

J -definiert um 730 den Begriff EIKON: 'Eine Ikone 1st ein Gleichnis, ein Paradigma und eine Abbildung von etwas, die in sich selbst

das Abgebildete zeigt ••• In keiner Weise gleicht die Ikone in allem dem Prototyp, d.h. dem Abgebildeten. Die Ikone und das Abgebildete sind eh1as anderes.' 6) An anderer Stelle sagt er: 'Denn wir können das Körperlose nicht erfassen, ohne die sich darauf beziehenden Gleichnisse.' 7) Johan­nes Damaskenos bezeichnet daher als EIKÖN nicht allein die Ikone im engeren Sinn, sondern auch die prophetischen Gleichnisse im Alten Testament. Er sagt weiter:'Andererseits ist auch der Sohn eine Ikone des Vaters und auch der nach dem Gleichnis Gottes ge­schaffene Mensch, ja auch in der Natur nehmen wir lauter Ikone des Schöpfers wahr.' 8)

Theodoros Studites (759 - 826), Abt des Studien-Klosters und her­vorragender Theoretiker der Bilderfreunde,rechtfertigt die Ikone gegen die Angriffe der Bilderfeinde in folgende? Worten1 'Keiner wird dermaßen irrsinnig sein, den Schatten und die Wahrheit, die Natur und die Satzung, den Archetypes und das von ihm Abgeleitete, den Grund und die Folge als eines der Substanz nach zu denken.' 9>

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Er nennt mit Nikephoros die Ikone auch'das Beweisbare an der Ur­sache'. 10 ) Zusammenfassend argumentiert er etwa folgend: 'Es ist eine unbestrittene Prämisse, daß Prototyp und Bild in einigen Punk~ ten voneinander verschieden sind, denn Christus ist von Natur, das Bild dagegen erst durch Ableitung •••• Original und Bild stimmen wohl in der Ähnlichkeit überein, in der Natur gehen sie auseinan­der; sie sind also nicht ganz dasselbe.' 11 ) Letztlich setzte sich diese Auffassung, indem sie dem Volksempfinden entsprach, gegen die von der weltlichen Obrigkeit gestützte Meinung der Bilderstürmer

durch.

Der Bilderstreit brachte den Begriff "EIKÖN" nicht nur in die all­gemeine Diskussion, sondern verknüpfte ihn auch mit seiner Frage ­stellung. Denn seitdem bezeichnet das Wort "the icon" (engl , ) , 111' icone" (franz.), "die Ikone" (deutsch) in den meisten Kulturspra­chen das Kultbild der Ostkirche, das im achten Jahrhundert den Ikonoklasmus hervorgerufen hat. Das i:lort "icon" hat dadurch aber auch eine entsprechende Bedeutung erhalten: Der zeitgenössische Byzanzforscher Ostrogorsl~y schreibt: 'Nach dem Zusammenbruch der bilderfeindlichen Politik blühte die kirchliche Kunst in Byzanz wieder auf. Unter der Einwirkung des Ideenstreites der ikoneklasti ­schen Epoche erfuhr sie aber eine Vergeistigung und jenen verfei ­nerten übersinnlichen Charakter, der ein Kennzeichen der byzantini -

. 13 sehen Ikonographie ist' ). Ostrogorski weist hier auf die wesent -liche Eigenschaft, die mit der Ikone und deshalb auch mit dem sie bezeichnenden Hort verbunden \·Tird. Seine ursprüngliche • allgemeinere Verwendung hat das antike "EIKÖN" am ehesten im neugriechischen "EIKONA" erhalten, das heute noch im Sinn von 'Bild, Abbildung, Illustration' gebraucht wird.

Die Verwendung des Terms 'icon' durch Peirce zur Bezeichnung der elementarsten Zeichenart kann schon dann nicht als willkürlich be­trachtet werden, wenn man bedenkt, daß es auch einen lateinischen Bildbegriff 'imago' gibt, der als 'image' sogar Eingang in die eng­lische Sprache gefunden hat und der ebenso gut neben dem lateini­schen 'Index' und dem griechischen 'Symbol' gedacht werden könnte

'\ITie der Term 'icon'.

Peirce gebraucht 'imaga' häufig, so z.B. schon in einem seiner

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ersten Vorlesungsmanuskripte (Nr. 347), wo er die triadische Be­ziehung von 'thing, image and form' postuliert, oder in der Schrift 'Some Consequences of Four Incapacities' aus dem Jahre 1868 , in der er von 'associations of images' spricht. Peirce ver­wendet den Begriff 'image' immer in der Bedeutung von 'Bild'. In der Definition von 'Imaging', die er für Baldwins 'Dictionary of Philosophy and Psychology' (CP 3.609) 14 ) verfaßte, schreibt er: 'Since B i l d is always translated i m a g e, i m a g i n g vrill answer very well for A b b i l d u n g.' Dieser Zusammen­hang kann als Antwort darauf verstanden \•Terden, weshalb Peirce die erste Art von Zeichen nicht 'imago' nannte. Durch Gaus:s',

der den Term 'Abbildung' für seine Landkartenprojektion gebrauch­te und Dedekind , der die Beziehung eines Dinges~· zu einem Dingw 'Abbildung' nannte, hatte der Term 'imaging', mit dem Peirce 'Abbildung' übersetzte, eine mathematische Bedeutung erhalten , die eine Verwendung des eng ver\-Tandten 'imago' innerhalb der Zeichen­triade ni cht mehr gestattete. Der Term 'imago' scheint vor allem aber auch deshalb ungeeignet, weil mit ihm schon eine Reihe an­der er zum Teil weit auseinanderliegender Bedeutungen verknüpft wer den . Die Theologie spricht beispielsweise von einer 'imago Dei ' und meint damit, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Die

Tiefenpsychologie versteht indes$en unter 'imago' das in den Tiefenschichten der Seele eingeprägte Bild einer Person.

Ber ücksichtigt man, daß Peiroe den Begriff 'icon' nicht anstelle, )mc- \'tohl aber in Ergäf ung des bereits seit Zi'lei Jahrzehnten gebrauch­

ten Ter ms 'Likeness' eingeführt hat, so kann kaum bezweifelt \'ler­den , daß er den neuen Term aus mehr als nur formalen Gründen ·ver­wendet e .

Zu vi elen Termen, die Peirce aus der mittelalterlichen Logik auf­gegr i f f en hat , finden sich mindestens Fußnoten, die an die ehema­lige Ver wendung anknüpfen oder den neuen Gebrauch begründen, so z . B. auch bei dem Begriffspaar 'Equiparance' und 'Disquiparance', mit dem er in den sechziger Jahren die Beziehung der 'Likeness' und des ' Index' ausdrückte. 15)

In Anbetracht dieser Verhältnisse kann man sich kaum vorstellen , daß Peirce nicht auch auf den vo~gegebenen Inhalt des Begriffs

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'icon' reflektiert und ihn ~r1egen seiner allgemeinen Bedeutung für

das Zeichen durch Ähnlichkeit ve:vowendet haben soll, Ein Blick auf die Einleitung zu seiner 1885 erschienenen Schrift 'On the Alge­

bra of Logic' die zu den ersten Stellen gehört, in denen der Term 'Icon' auftritt, bes.tätigt diese Auffassung: ',, , Icons are so completely substituted for their objects as hardly to be dis­tinguished from them,,. So in contemplating a painting, there is a moment when we lose the consciousness that it is not the thing, the disdinction of the real and the copy disappears, and it is for the moment a pure dreazr. - not any particular existence, and yet not general. At that moment we are contemplating an i c o n . ' (CP 3.362) 16 ). Mit dieser Definition erfaßt Peirce genau jene Vorstellung, die sich mit dem Wesen einer Ikone verbindet, das offenbar in starkem Maß von der Diskussion des Ikonoklasmus be ­einflußt ist, wie Ostrogorsky konstatiert.

Wie nah der icon-Begriff von Peirce der Auffassung der Bilderfr eun­de steht, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß auch sie

die Icone nur im Augenblick der Anschauung, mit dem sie Ver-ehrung oder Verachtung verbanden, mit dem dargestellten Objekt identifizierten. Verehrung oder Verschmähung, die einer Ikone zuteil \vurde, galt nämlich nicht dem Bild sondern seinem Prototyp . Bei Johannes .Damaskenos ist zu lesen:' 'Denn die Ehre des Bildes geht', wie der Gotteslehrer und Gottesgelehrte Basilios sagt, 'auf das Urbild über'. Urbild aber ist das, dem etwas nachgebil­det, von dem eine Abbildung gemacht ist.' 17) Verehrung und Ver­achtung drücken aus, daß es sich um subjektive Betrachtungsweisen handelte, in denen sich die Identifikation mit dem dargestellten Objekt vollzog, Indem Peirce in seiner Definition das leonische auf den Augen~ blick der Identifikation mit dem bezogenen Objekt reduziert, knüpft er genau an den Kernpunkt der Kontroverse des Bilderstreits an, der in der Frage bestand, ob eine Ikone mit dem dargestell­ten Gegenstand wesensgleich sein müsse und somit identisch mit ihm oder ob die Identität nur in der Identifikation im Augenblick des Betrachtens bestehe.

Für Peirce ist eine teilweise Identität gleichbedeutend mit der

Relation der Ähnlichkeit, einer Beziehung, die allein der Geist

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herstellt. Denn sie geschieht aufgrund vorausgegangenen Wissens, das in der Identifikation erinnert wird, Peirce sagt: 'Two objects can only be r e g a r d e d as similar if they are compared and brought together in the mind,' (CP 5.288) 18 ) Die Ähnlichkeit unterscheidet sich hierin von der Identität, die, wie Peirce sagt, 1 does not fulfill the definition of a relation of reason. Identi~ is the relation that everything bears to itself: Lucullus dines with Lucullus. 1 ( CP 1.365) 19)

Damit scheidet bei Peirce die Relation der Identität, die die Bil­derstürmer mit einer Ikone zu verbinden suchten, für den icon-Be­griff ganz aus. Pe1rce beantwortet somit die Frage des icons zwar im Sinn der Bilderfreunde, aber dennoch auf seine spezifische Wei­se, die vor allem an den Prinzipien der mathematischen Logik ausge­richtet ist: Von einer absoluten Übereinstimmung mit dem bezogenen Objekt kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil das Icon und sein bezogenes Objekt ein zeitlich verschiedenes Verhältnis zum Be..,.mßtsein haben, Die Ähnlichkeit ist auch weder not\>tendig noch allgemein, sie ist vielmehr im Augenblick subjektiven Betrachtans möglich , Im Icon-Begriff erscheint somit die einfache Relation der Übe r einstimmung einer Qualität, die das Zeichen der Ähnlichkeit charakterisiert und mit der Peiree den Term 1 likeness' definiert, aus einer umfassenderen Perspektive. In Vergleich zu 1 likeness' erl'feist sich der Term 'icon' nicht nur differenzierter und damit präziser , sondern er ist selbst auch iconisch, weil sich mit ihm Vor s t el lungen verbinden, die in dem als 'Ikone' bezeichneten Kult­bild der Ostkirche konkretisiert sind. Offensichtlich ging Peirce bei der Einführung des Terms 'ic~n' bereits von den Überlegungen aus , die er in dem Aufsatz 'The Ethics of Terminology' 20 ) nieder­gelegt hat . Von den sieben Verbimdlichkeiten, die er sich dort auferlegt , ist in unserem Zusammenhang besonders die sechste von Inter esse . Peirce verpflichtet sich hier:'••• Before proposing a term , notation, or other symbol, to consider maturely whether it perfectly suits the conception and ~ill lend itself to every occasion, whether it interferes with any existing term, and whether it may not create an inconvenience by interfering with the expression of some conception that may hereafter be introduced in­to philosophy, . ,' ( CP 2.226)

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Es gibt keine Anhaltspunkte, wann dieser Aufsatz konzipiert wurde . Aber selbst in Anbetracht dessen, daß er 18 Jahre nach der Ein­führung des Terms 'icon' veröffentlicht wurde, bietet er eine hohe Gewähr dafür, daß Peirce sich für diesen Begriff auch entschieden hat in Hinblick auf.seine durch den Ikonoklarnus beeinflußte Be­deutung.

Literatur

1.) Ch. s. Peirce, Collected Papers of Charles Sanders Peirce , voi. f - vf ea. Sy cfiaries Hartshorne ana Paul \Veiss, Cambridge, Mass. 1974; Val . VII -VIII ed. by A. W. Burks, Cambridge, rllass . 1958 ( CP)

2.) A Greek - English Lexicon, complied by George Liddle DD and Robert scott DD, Vol I, Oxford

3.) Georg Ostrogorsky, Studien zur Geschichte des byzant inischen Bilderstreltes, Bresiau 1929, s. 11 f

4.) Nikephoros Antirrh. II, 401 c, nach Ostrogorsky. loc . cit • . s. 42

5. ) Nikephoros Antirrh. I., Migne 100, 277 A, übersetzt nach Ostrogorsky, loc. cit. s. 42

6.) Johannes Damaskenos, Or. III, Migne 94, 1337A. übersetzt nach Ostrogorsky, loc. cit. s. 42 u. 44

7.) Johannes Damaskenos, Or. III, Migne 94, 1341 A, -nach Ostrogorsky, loc. cit. s. 45

8.) Johannes Damaskenos, Or. III, rUgne 94, 1337 ff, -nach Ostrogorsky, loc. cit. s. 45

9.) Theodorus st. Antirrh. I. f/Iigne 99, 341 B, - nach Ostrogorsky, loc, cit. s. ~3

10.) Theodorus st. Antirrh. I. Migne 99, 341,- nach Ostrogorsky, loc. cit. s. 44

11.) Theodorus st. P. 156E, 159 E, 163 c, 164 E, -nach Karl Schwarzlose, Der Bilderstreit, Gotha 1890, s. 100

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121) Ch1 S1 Peirce, Manuskript Nr1 409 (Grand Logic, 1893)

13 ~ ) Georg Ostrogorsky, Zur blzantinischen Geschichte, Darmstadt 1973, s. 9

14 1) Dictionary of Philosophy an Pslchology, ed1 by J1 M. Baldwin, voi f, N1Y1 196

15 1) vgl 1 Elisabeth 1·val ther • Erste ttberle~ungen von Ch 1 S 1 Peirce zur Semiotik~ 186o-18 6, sern1os1s i, Baden­Baden 1976, 1 39

16 , ) Ch1 S1 Peirce, The Lo~ic of Algebra, in The Arnerican Journal of Mät ernatics, voi1 7, Nr1 2 (1885)

17.) Bibliothek der Kirchenväter, hrsg~ v~ Bardenhewer, lveyrnann, Zellinger, Kernpten 1923, Bd1 44 S1 227

181) Ch , S1 Peirce, Sorne Conseguences of Four Incapacities, Jour­nal ot specuiat!ve Psycboiogy, voi~ 2, 1868

19.) Ch, s. Peirce, Manuskript Nr1 909, A Guess at the Riddle (and) Notes for a book to be entitled:A Guess at the Riddle

20 , ) Ch , s. Peirce, A S~llabus of Certain Topies of Logic, Boston 19ö

Summary "Icon" • the terrn Peirce applies to the sign of quality frorn about 1885 . cornes frorn the Greek and is already found in its verbal forrns ln Horner's "Illias" and"Odysee". The classique authors have usea the substantiv "EfKÖN" in the sense of "representation by an irnas;e or likeness" while oriental influence appears in the sense of "rnanifestation" or "living irnage" etc. In the iconoclastic di9p~tes of the eighth century there "tas the question whether an "EIKON" has to partake of its obJect, or whether it only represents an,oQject by its o1m substance1 'Fhough the latter conception of "EIKON" succeeded• frorn these days forward the colloquial lan­guage connects sornething ofthat dispute to the word "icon", Hhich cornrnonly stands in rnost of the languages of civilisation for the Eastern religious picture that once gave rise to this controversy. In accordance to one of the rnost irnportant principles Peirce proclairns in "The Ethics of Terminology" he rnight also have de­cided on the terrn "icon" "tith regard to this rneaning.

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Zei t schr ift für Internationale Semiotik und ihre Anwendungen, Hef_t 3, 1977

INHALT .

GERARD DELEDALLE: Le ~uatrieme collo~ue europeen de semiotique 5 ROBERT MARTY: Analyse semiotique d'un poeme de J. Supervielle 8 BOREK SIPEK: Die architektonische Realform als Zeichen 12

HINFRIED NÖTH: Alice im Hunderland der Zeichen 21

MECHTILD KEINER: Über den Icon·Begriff 35 HANS BRöG: Betrachtungen zur 'Kritzelse~uenz' vor semiotischem Hintergrund HANNA BUCZYNSKA-GAREHICZ: T11ardo1·1skis Bedeutungslehre c.s. Peirce, The New Elements of Mathematics , ed. by C. Eisele (MAX BENSE) Significa9äo (ELISABETH WALTHER) The Toronto Semiotic Circle (DAVID SAVAN) Semiotisches Forum in Harnburg (HICHAEL STIEBING) 5. Europäisches Semiotik-Collo~uium in Aachen (HANFP:.ED

45 55

67 71 73 74

SPEIDEL) 74