Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie...

52
Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005, Köln. Dokumentation. ACHTUNG: Diese Datei öffnet sich unter Adobe Acrobat im Vollbildmodus als screen-optimiertes Querformat. Zum Verlassen bitte die Escape-Taste benutzen. Mit den Cursortasten lassen sich die Seiten scrollen [ ] oder blättern [ ]. Über das Inhaltsverzeichnis oder das Menü kann jedes Kapitel einzeln angesteuert werden. Zum Ausdruck sind die Seiten im DIN A4-Format angelegt. Die Titelseite als DIN A4-Format befindet sich am Ende des Dokuments.

Transcript of Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie...

Page 1: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005,Köln. Dokumentation.

ACHTUNG: Diese Datei öffnet sich unter Adobe Acrobat im Vollbildmodus als screen-optimiertes Querformat.Zum Verlassen bitte die Escape-Taste benutzen. Mit den Cursortasten lassen sich die Seiten scrollen [ ]oder blättern [ ]. Über das Inhaltsverzeichnis oder das Menü kann jedes Kapitel einzeln angesteuertwerden. Zum Ausdruck sind die Seiten im DIN A4-Format angelegt. Die Titelseite als DIN A4-Format befindet sich am Ende des Dokuments.

Page 2: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

GrußwortMaria Springenberg-EichLeiterin der Landeszentrale für politische Bildung NRW

EinführungArmin LaschetMinister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfahlen, Düsseldorf

Vorträge

Politik in der MediendemokratieProf. Dr. Thomas MeyerProfessor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund

Die Transformation des PolitischenDie Kolonisierung der Politik durch das MediensystemDie Persistenz des PolitischenMediendemokratie – Die Marginalisierung der ParteienParlamentarismus unter DruckSchlussfolgerungenLiteratur

Mediale Wellen: Fallbeispiele – Ergebnisse einer MedienanalyseProf. Dr. Jo GroebelEuropäisches Medieninstitut, Dortmund

Politik und MedienThemenkarrieren, Themenkontrolle: Vier FallbeispieleRonald SchillFlorida-RolfTheo van GoghTsunamiMedien und Politik in Fallbeispielen: Gemeinsamkeiten und UnterschiedeAusblick

Struktureller Populismus – Verändern Medien das Politische?Prof. Dr. Frank DeckerSeminar für politische Wissenschaft, Universität Bonn

Politischer Populismus – erfolgreich (auch) bei den MedienNiedergang populistischer Parteien – GründeWandlungstendenzen: Populismus in den etablierten ParteienKonsequenzen des populistischen PolitikstilsMitverantwortung der MedienProblemlösung – ein Vorschlag

1.

2.

3.

3.1

3.1.13.1.23.1.33.1.43.1.53.1.63.1.7

3.2

3.2.13.2.23.2.2.13.2.2.23.2.2.33.2.2.43.2.3

3.2.4

3.3

3.3.13.3.23.3.3

3.3.43.3.53.3.6

4

5

6

10

10

10111416171818

21

212122232526

2729

30

3031

32333536

Page 3: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

Podiumsdiskussion

Teilnehmer:

Helmut HeinenPräsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV, Berlin und Ge-schäftsführender Gesellschafter des Heinen-Verlags, Köln

Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund

Heribert PrantlRessortleiter Innenpolitik, Süddeutsche Zeitung, München

Klaus SchrotthoferChefredakteur, Westfälische Rundschau, Dortmund

Moderation:

Ingrid Scheithauerfreie Jorunalistin, Meckenheim

Anhang

Referenten und Podiumsteilnehmer

Impressum

4.

5.

6.

38

49

51

Page 4: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

4

„Das größte Problem in der Kommunikationist die Illusion, sie hätte stattgefunden.“

George Bernard Shaw

Vorwort

„Politik(er)verdrossenheit“ ist ein Begriff, der seit über zehn Jahren in keiner Nachwahl-Analysemehr fehlt. Der Politik sei der Bezug zum Bürger verloren gegangen, lautet der Vorwurf; illustriertwird dies anhand der neuen Hauptstadt-Dimensionen der Berliner Republik. Symptomatisch ist dasUrteil der Journalisten Cerstin Gammelin und Götz Hamann in ihrem Buch „Die Strippenzieher“(Econ-Verlag, Berlin 2005): „Medien, Regierung und Wirtschaft sind mehr als je zuvor in die Öffentlichkeit gerückt. Es gibt praktisch keinen Ort in Berlins Mitte, der nicht vom politischen Leben in Beschlag genommen wurde.“

Wie gehen nun Politik und Medien mit dieser Herausforderung um? „Die Vervielfachung der Medienangebote hat zu einer Dominanz des inszenatorischen Charakters von Politik geführt. Werin diesem ‚Spiel’ wen instrumentalisiert, ist oft nicht mehr auszumachen.“ Dies war eine der Aus-gangsthesen für den Kongress „Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politik undPopulismus“, den die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen in Kooperationmit der Deutschen Medienakademie Köln am 17. Oktober 2005 durchgeführt hat.

Medien, Wissenschaft und Politik diskutierten über eine gefährliche Lethargie, die sich in der Informationsgesellschaft breit zu machen droht und sich in sinkender Wahlbeteiligung niederschlägt.Niemand hört mehr hin, wenn die Politikressorts „eine neue Sau“ durch Berlin treiben. HeribertPrantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, konstatierte in der Podiumsdiskussion desKongresses: „Es gibt so was wie ‚Kikeriki-Journalismus‘. Man steht wie der Gockel auf dem Mistund schreit jeden zweiten Tag: ‚Ich hab´ was ganz Besonderes, Neues! Ich hab´ was Exklusives!‘“

Welche Perspektiven, Chancen und Risiken bieten sich? Prof. Jo Groebel, Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts in Dortmund, zeichnete die Bandbreite in einer Studie „Demokra-tie, Mediokratie, Markt und Missionen“ auf: Jeder Bürger könne auf eine Vielzahl an Medienfor-men und -gattungen zugreifen und - zum Beispiel via Weblog - selbst die reine Rezipientenrollehinter sich lassen: Dadurch würden „im besten Fall Demokratie und Mediokratie noch näher zusammenwachsen“ andererseits könne „im schlechtesten Fall aber durch Mangel an Professionalitätund journalistischer Verantwortung auch Gerüchten und Verschwörungstheorien Vorschub“ geleistet werden, so Groebel.

„Diese Medienmaschinerie wird ja auch befeuert von Politikern, die sich dann, wenn´s nicht so gutläuft, darüber beschweren, dass es diese Medienmaschinerie gibt“, so Klaus Schrotthofer,Chefredakteur der Westfälischen Rundschau aus Dortmund. Er war von 2002 bis 2004 Sprecherdes Bundespräsidenten Johannes Rau, kennt also beide Seiten des Polit-/Mediengeschäftes.

Erstaunlich genug, dass in der gehaltvollen Podiumsdiskussion gleich mehrere Statements mit demWunsch begannen, diese Frage differenzierter zu betrachten. Eine Forderung, die der Kongress ins-gesamt und diese Dokumentation im Speziellen eingelöst haben.

Maria Springenberg-Eich

Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Ekkehart Gerlach

Geschäftsführer Deutsche Medienakademie Köln

Page 5: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

5

1. Grußwort

Maria Springenberg-Eich Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung NRW, Düsseldorf

Herzlich willkommen zu unserem Kongress, der sich mit der Frage „Was kommt noch bei den Bürgern an? - Medien zwischen Politik und Populismus“ beschäftigt.

Das Thema hat Konjunktur; die Nachlese des Bundestagswahlkampfes bescherte dem Verhältnisvon Politik und Journalismus neue Aufmerksamkeit.

Die politische Bildung beschäftigt sich aber schon länger mit diesem Verhältnis, denn die politi-sche Öffentlichkeit hat sich in den letzten 15 Jahren massiv verändert.

Die originäre Aufgabe der politischen Bildung ist es, Bürgerinnen und Bürger für die Beteiligungam demokratischen Prozess zu gewinnen und sie dabei zu unterstützen.Zum klassischen Repertoire dieser Aufgabe gehören Debatten über Grundlagen und Perspektivender demokratischen Gesellschaft. Solche Streitgespräche helfen dem Einzelnen bei der Orientie-rung in einer komplexen politischen und stark mediatisierten Umwelt.

Zu den Veränderungen in der politischen Öffentlichkeit gehört leider auch, dass der Raum für sol-che Debatten immer kleiner geworden ist. Dabei ist der Bedarf dafür eher gestiegen in einer Gesellschaft, die sich in einem massiven Umbruch befindet.

Für uns als Akteure der politischen Bildung bedeutet das: Wir müssen noch mehr tun, um den Raumfür orientierende Reflexionen zu verteidigen und wieder zu vergrößern. Dafür brauchen wir neuePartner auch in den Medien.Diese Veranstaltung führen wir gemeinsam mit der Deutschen Medienakademie Köln durch. DieMedienakademie steht dafür, im sich verändernden Medienmarkt die Kommunikationskompetenzin Unternehmen und Politik zu unterstützen.

Ich bin der Überzeugung, dass es für die weitere Entwicklung einer funktionierenden Demokratiezwingend notwendig ist, Medienkompetenz und politische Kompetenz miteinander zu verknüpfen.

Was die Medienwissenschaft zum Thema unserer Tagung zu sagen hat, wie die Journalisten täglich damit umgehen, ob es eine gegenseitige Einflussnahme gibt und wie sie aussieht - darüberwird dieser Kongress mit seinen Referenten und Diskussionsteilnehmern Auskunft geben. Ichwünsche dem Publikum interessante Einblicke in ein wichtiges Thema der politischen Öffentlichkeit.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 6: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

6

2. Einführung

Armin LaschetMinister für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW

Thomas Jefferson, der ehemalige us-amerikanische Präsident, hat einmal gesagt: "Information istdie Währung der Demokratie."

Und diese Aussage hat auch noch über 200 Jahren

nichts an ihrer Richtigkeit,nichts an ihrer Aktualität,nichts an ihrer Bedeutung

eingebüßt.

Was sich aber verändert hat, sind die Umstände, unter denen wir Demokratie leben und in denenwir Informationen aufnehmen.

Grund genug, wie ich finde, sich die Frage zu stellen: 'Was kommt noch beim Bürger an?'

Die Landeszentrale für politische Bildung und die Deutsche Medienakademie der Bertelsmann-stiftung wollen mit dem heutigen Kongress dieser Frage nachgehen und das Verhältnis zwischenPolitik und Medien kritisch beleuchten. Und das ist heute notwendiger denn je.

Themen des MGFFI

Denn wir stehen vor gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen. Schon bald wird es

sehr viel mehr alte Menschen,mehr Frauen als Männer,sowie mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geben.Und das bei insgesamt abnehmenden Bevölkerungszahlen.

Dabei geht es nicht nur um die viel diskutierten Folgen für die Renten- und Pflegeversicherung.Es geht auch um Fragen des gesellschaftlichen Klimas, zum Beispiel:

Wie wird sich das Verhältnis der Generationen entwickeln, wenn die Alten in der Überzahl sind?Wie werden verschiedene Kulturen künftig zusammenleben?Wie können wir jungen Familien das 'Ja' zum Kind erleichtern?Oder auch: Unter welchen Bedingungen können Familien ihrer Verantwortung für Kinder undfür ältere Menschen gerecht werden?

Die Politik steht vor der großen Herausforderung, Antworten auf diese Fragen zu finden. Denn derZusammenhalt der Generationen und das Gelingen der Integration sind für die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidend.

Deshalb machen wir hier in NRW mit dem Ministerium für Generationen, Familien, Frauen undIntegration Politik aus einer Hand. Unser Ziel ist es, diese Veränderungen aktiv zu gestalten unddie Weichen für eine sich wandelnde Gesellschaft zu stellen.

Wobei fest steht: ob und wie uns das gelingt, hängt auch davon ab, inwieweit die Bürgerinnen undBürger unseres Landes in diesem Prozess mitwirken.

Denn: ein harmonisches Zusammenleben zwischen Alt und Jung, Frauen und Männern, Mehr-heitsgesellschaft und Zugewanderten kann nicht verordnet werden.

Wir dürfen die Menschen nicht zum Objekt unserer Politik machen. Im Gegenteil:

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 7: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

7

wir müssen sie in die Debatte über die künftigen Grundlagen unseres Zusammenlebens mit einbeziehen. Denn der tief greifende Wandel verlangt nach einem neuen gesellschaftlichen Kon-sens.

Und dieser Konsens sollte nicht nur von einer möglichst breiten Öffentlichkeit getragen werden,er sollte vor allem auch von möglichst Vielen aktiv mitgestaltet werden. Wir brauchen also Bür-gerinnen und Bürger, die bereit sind, sich hier einzumischen und zu engagieren.

Denn wie hat es der deutsche Schriftsteller Heinrich Mann auf den Punkt gebracht: "Demokratieist die Anerkennung, dass wir - sozial genommen - alle füreinander verantwortlich sind."

Bei der Gestaltung des Wandels,bei der Diskussion über das 'Wer?', das 'Was?' und das 'Wie?'

geht es also letztlich darum, unser demokratisches System zu leben.

Vertrauen in die Demokratie

Demokratie - das scheint allerdings für viele Menschen in unserem Land 60 Jahre nach Kriegsen-de allzu selbstverständlich geworden zu sein. Wahlmüdigkeit, Politikverdrossenheit und Desinteressesind eindeutige Kennzeichen dafür.

Aber: gerade weil wir vor so großen Veränderungen stehen, können wir uns das nicht leisten. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir uns mit den Ursachen auseinander setzen.

Klar ist: Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wenn dieses Vertrauen in diedie Werte und Vorzüge unseres Rechtsstaates verloren geht, setzen wir unser politisches System auf's Spiel.

Dabei ist das Vertrauen in die Demokratie häufig eng mit dem Vertrauen in die Politik verknüpft.

Und was das anbelangt, so scheinen wir zur Zeit einen Tiefpunkt erreicht zu haben. Wie eine europaweite Befragung des Emnid-Instituts in diesem Jahr ergab, vertrauen nur noch 6% aller Deut-schen ihren Politikern.

Das ist auch im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern ein schlechter Wert. Vergleich-bare Untersuchungen in den vergangenen Jahren kamen zu ähnlichen - wenn auch nicht zu ganzso schlechten - Ergebnissen.

Und diese Einschätzung teilen selbst die gewählten Volksvertreter. So gehen vier Fünftel der Bundestagsabgeordneten davon aus, dass das Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker in den letzen 20 Jahren deutlich zurückgegangen sei - so eine Untersuchung des WissenschaftszentrumsBerlin.

Die überwiegende Mehrzahl der Angeordneten sieht in diesem Vertrauensverlust eine große Herausforderung für die Demokratie. Wesentliche Ursachen dafür liegen nach ihrer Ansicht in denüberzogenen Versprechungen von einzelnen Politikern und in der Art wie die Medien über Politik berichten.

Journalisten ihrerseits schneiden in Befragungen zwar besser ab, aber auch sie gehören zu den Berufsgruppen, denen die Mehrheit der Bevölkerung - etwa 60% - misstraut.

Und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt: Journalistinnen und Journalisten,Politikerinnen und Politiker stehen für Pressefreiheit und das gewählte Mandat - also für zwei Grund-pfeiler unserer Demokratie.

Wenn bei den Bürgerinnen und Bürgern aber kein Vertrauen mehr in diese Grundpfeiler des Gemeinwesens besteht, kann das auf Dauer zu einer Legitimationskrise der Demokratie führen.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 8: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

8

Gerade die Bundestagswahl hat ans Tageslicht gebracht, was lange schon im Verborgenen gärte:

Anschuldigungen und Vorwürfe,Selbstkritikaber auch erste Ansätze von grundlegender Reflexion über das eigene Agieren in diesem komplizierten Miteinander und Gegeneinander von Politik und Medien.

Wie funktioniert dieses System? Welche Interessen werden verfolgt? Und vor allem: wie nehmendie Bürgerinnen und Bürger das eigentlich wahr?

Deshalb halte ich es für sinnvoll, jetzt die Debatte zu führen. Denn es ist wichtig, dass sich Politik und Journalismus immer wieder mit ihrem Rollenverständnis auseinandersetzen und professionelle Standards im gemeinsamen Umgang vereinbaren.

Wobei ich klar stellen möchte, dass es heute nicht um Medienschelte geht. Es geht vielmehr umdie gemeinsame Diskussion.

Vervielfachung des Medienangebots

Dazu gehört für mich auch, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Und eine dieser Ursachen liegtganz sicher auch in dem wachsenden Medienangebot. Die Folge ist ein verschärfter Wettbewerbum das knappe Gut 'Aufmerksamkeit'.

Verstärkt wird diese Konkurrenz durch erhebliche Investitionen, die sich amortisieren müssen. Dennbis ein neuer Fernsehkanal erfolgreich etabliert ist, sind dem Betreiber enorme Kosten entstanden.Das erzeugt einen großen ökonomischen Druck.

Und dieser Druck führt zu einem immer härteren Kampf um Schlagzeilen und Zuschauer. Der Trendzu Personalisierung und der zunehmende Einsatz inszenatorischer Mittel machen das deutlich.

Darüber hinaus werden die Themenzyklen immer kürzer. Komplexe Inhalte werden mehr und mehrauf eine einzige Schlagzeile reduziert oder in einem zweiminütigen Sendebeitrag abgehandelt.

Langfristig angelegte politische Reformvorschläge und Strategien, Ansätze also, wie sie die Gesellschaft zur Zeit dringend braucht, kommen angesichts dieser Beschleunigungsprozesse oft zukurz - oder sie erreichen die Bürgerinnen und Bürger häufig erst gar nicht mehr.

Die tägliche Jagd nach exklusiven Meldungen macht vieles zur sensationellen Nachricht auf Seite 1, was bei Lichte besehen diese Charakterisierung kaum verdient.

Und damit sind wir beim zentralen Problem:Wenn Politiker etwas erreichen wollen, benötigen sie mediale Aufmerksamkeit. Die hohe Dichteder Medien macht es ihnen leicht, präsent zu sein. Kurzfristig lässt sich mit Politik, die sich reinan der Medienlogik orientiert, Aufmerksamkeit erzielen. Aber langfristig geht die Rechnung nichtauf.

Denn wir müssen uns fragen, ob wir mit dieser Art der Berichterstattung die Menschen überhauptnoch erreichen.

Der eigentliche politische Prozess lässt sich diesen kurzen Aufmerksamkeitszyklen kaum verein-baren. Es müssen Mehrheiten gefunden und meist aufwändige Kompromisse geschlossen werden.Und das kostet Zeit.

Mediale Beschleunigung und langfristiger Umbau

Die immer kürzeren Aufmerksamkeitszyklen können gerade in den Politikfeldern, die ich alsFachminister zu vertreten habe, Probleme erzeugen.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 9: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

9

Unsere Gesellschaft steht mitten in einem Umbruchprozess. Globalisierung, die demografische Ent-wicklung und zahlreiche weitere Faktoren lassen ein Weitermachen wie bisher nicht zu. Schon heute zeichnet sich ab, dass unsere sozialen Sicherungssysteme in ihrer jetzigen Form nicht auf Dauer finanzierbar sind.

Wenn wir diese Situation des Umbruchs erfolgreich bewältigen wollen, dann brauchen wir eine breite Diskussion über die Grundlagen und Perspektiven unserer demokratischen Gesellschaft. Undwir brauchen auch die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger.

Das setzt aber voraus, dass die Menschen in unserem Land ausreichend über den Prozess, seine Aus-wirkungen und Hintergründe informiert sind. Und das kann nur über die Medien funktionieren.

Für mich steht deshalb fest: Politik und Medien tragen hier die gemeinsame Verantwortung für eineangemessene, demokratische Debatte.

Uns sollte dabei vor allem bewusst sein, dass wir dafür einen langen Atem brauchen. Schwerwie-gende Veränderungen und leichtgewichtige Schlagzeilen passen einfach nicht zusammen.

Im Gegenteil: durch Skandalisierungen oder Populismus entfernen sich die Bürgerinnen und Bürger zunehmend vom Gemeinwesen. Zu sehr sind Themen wie

Zuwanderung,Integrationund eine alternde Gesellschaft

für viele Menschen mit Existenz- und Zukunftsängsten verbunden.

Stereotype schwarz-weiß Bilder tragen wenig zur Orientierung in dieser Umbrauchsituation bei.Ein Beispiel war die Berichterstattung über den Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh. Auchmich haben die dadurch sichtbar gewordenen Integrationsprobleme in den Niederlanden überrascht.

Andererseits habe ich mich doch gewundert, wie schnell die Medien aus dem einstigen Musterlandfür gelungene Integration das Paradebeispiel für eine gescheiterte Zuwanderungspolitik gemachthaben.

Beide Einschätzungen halte ich für unangemessen und übertrieben.

Schlussbemerkung

Die Untersuchung des empirischen Verlaufs der Berichterstattung und die Analyse medialer Aufmerksamkeitswellen wie dieser bildet die Grundlage für die heutige Debatte.

Und ich halte diese Diskussion für wichtig. Wir müssen uns mit dem Verhältnis von Politik undMedien kritisch auseinandersetzen. Denn sonst laufen wir Gefahr, dass wir bei der Gestaltung desWandels die dringend notwendige Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger verspielen. Das könnenwir uns auf keinen Fall leisten.

Wir brauchen eine funktionierende Öffentlichkeit, die bereit ist, Demokratie zu leben. Aber:Demokratie kann eben nur leben, wenn ihre Währung - die Information - eine harte Währung bleibt.

Deshalb wünsche ich uns eine interessante und aufschlussreiche Tagung und bin gespannt auf dieErgebnisse.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 10: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

10

3. Vorträge

3.1 Politik in der Mediendemokratie

Prof. Dr. Thomas MeyerProfessor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund

3.1.1 Die Transformation des Politischen

Das politische System und das Mediensystem gelten als zwei im Wesentlichen voneinander unabhängige gesellschaftliche Funktionsbereiche - zumindest in den Lehrbüchern der Politik undin der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Ihre höchst unterschiedlichen Aufgaben: Das politische System arbeitet (in Abhängigkeit von Wahlergebnissen und in Verantwortung gegenü-ber Verfassung und Gemeinwohl) nach eigenen Regeln; das Mediensystem beobachtet diese Politik und ermöglicht den Bürgern die Urteilsbildung durch ausgewogene, umfassende und sach-lich zutreffende Berichte, so dass der Souverän auf dieser Grundlage die politischen Mandatsträ-ger beauftragen und kontrollieren kann.

Dieses klassische Modell demokratischer Politik existiert in der heutigen Mediendemokratie so nichtmehr. Es hat eine Transformation stattgefunden, die nicht nur das Politische grundlegend verän-dert hat, sondern auch die Darstellung der Politik und ihre öffentliche Wahrnehmung. Politik in derMediendemokratie kann nicht mehr unabhängig vom Verständnis des Mediensystems und den Wech-selwirkungen zwischen beiden Systemen verstanden werden. Kern der Veränderung ist eine weit-gehende Überlagerung der beiden Systeme, die zum großen Teil Folge ihrer eigenen Wirkungs-prinzipien ist.

Demokratische Politik muss sich legitimieren und ist deshalb auf die öffentliche Darstellung ihres Voll-zugs und ihrer Ergebnisse - gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen - angewiesen. Dazu brauchtsie die Massenmedien. Die aber folgen ihrer eigenen Logik, um ihrem gesellschaftlichen Zweck - derErzeugung von größtmöglicher Aufmerksamkeit für gemeinsame Themen - gerecht zu werden.

Diese Aufmerksamkeit erreichen die modernen Massenmedien vor allem, indem sie zwei aufein-ander abgestimmte Regelsysteme befolgen:

Die Selektionslogik besteht in der Auswahl berichtenswerter Ereignisse nach Maßgabe ihrerNachrichtenwerte.

Die Präsentationslogik besteht aus einem Kanon von Inszenierungsformen für das so ausgewähl-te Nachrichtenmaterial; sie dienen der Maximierung des anhaltenden Publikumsinteresses.

Das Zusammenwirken beider Regelsysteme kennzeichnet die spezifische Logik des Mediensystems.Dieser Logik ist alles unterworfen, was das Mediensystem an Informationen und Berichten her-vorbringt; sie regelt den Zugang zu den Medienbühnen verbindlich - und sorgt für spannungsrei-che theatralische Inszenierungen auf der Präsentationsebene, nicht nur bei den visuellen Medien.

Die Selektionslogik der Massenmedien steuert die Auswahl der in Betracht kommenden Ereignisse,indem die so genannten Nachrichtenfaktoren angewendet werden. Der Nachrichtenwert eines Ereignisses gilt als umso größer, je mehr dieser Faktoren darauf zutreffen:

kurze Dauer des Geschehensräumliche, politische und kulturelle Nähe zum BetrachterÜberraschungswert im Rahmen eingeführter GroßthemenKonflikthaftigkeitSchadenungewöhnliche Erfolge und LeistungenKriminalitätPersonalisierungProminenz der handelnden Personen

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 11: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

11

Die Präsentationslogik steuert die Darstellung der ausgewählten Ereignisse in den Medien. Sie unterscheidet sich nach Graden von Medium zu Medium. Zwischen den Boulevard- und denQualitätsmedien gibt es hier große Unterschiede, aber der genauere Vergleich zeigt, dass alleGrundtypen theatraler Inszenierung in allen Mediengattungen eine Rolle spielen können:

PersonifikationMythisierender HeldenkonfliktDramaArchetypische ErzählungWortgefechtSozialrollendramaSymbolische HandlungUnterhaltungsartistikSozialintegratives Nachrichtenritual

Bei all diesen Inszenierungsformen geht es um die Erzeugung von Aufmerksamkeit, Neugier undSpannung mit den Stilmitteln des Theaters, um ein möglichst breites Publikum zu gewinnen undbei der Stange zu halten.

Die zunehmende Mediatisierung von Politik ist durch das Zusammenwirken der beiden komple-mentären Teilsysteme gekennzeichnet. Die Darstellung des Politischen in den Medien ist er-kennbar geprägt von den beiden medialen Filtersystemen. Damit entsteht die Frage, ob so die Ei-genlogik des Politischen noch ausreichend deutlich wird für die selbständige Urteilsbildung derBürger. Auf diese Schlüsselrolle des Mediensystems im Prozess der Legitimation politischen Han-delns reagiert die Politik mit noch mehr Professionalität bei den Bemühungen, die Kontrolle überdie Darstellung der Politik im Mediensystem zurückzugewinnen. Wie? Indem die mediale Logikso perfekt wie möglich in die Selbstdarstellung der Politik übernommen wird. Die Selbstmediati-sierung wird zu einer Hauptstrategie politischen Handelns in der Mediengesellschaft. Auch hier stelltsich eine wesentliche Frage: Kann Politik unter diesen Bedingungen noch in angemessenem Aus-maß ihrer eigenen Logik folgen? Oder wird sie zum „Lieferanten“ des Mediensystems in derHoffnung, so ihren Bedarf an öffentlicher Zustimmung umfassend und risikoarm befriedigen zu kön-nen? Dann würden beide gesellschaftliche Teilsysteme zunehmend demselben Regelsystem folgen,Politik sich in einem neuen Supersystem auflösen.

Die beiden für Politik in der Mediengesellschaft bedeutsamen Schlüsselfragen lauten daher:Bleibt das Politische selbst in den Formen seiner medialen Repräsentation für die demokratischeÖffentlichkeit in angemessener Weise erkennbar?

Verändert sich das Politische selbst im Kern, wenn es unter den Einfluss der vom Mediensystemfestgelegten Vermittlungsbedingungen gerät?

3.1.2 Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem

In den Medienwissenschaften wie in der Politikwissenschaft besteht ein Konsens darüber, dass sichunter dem Einfluss der erweiterten Rolle der Massenmedien für das politische System die Gren-zen beider Systeme stark verschoben haben. Beim gegenwärtigen Übergang zur Mediendemokra-tie zeichnet sich deutlich ab, wie sich das Politische unter dem Einfluss seiner Kolonisierung durchdas Mediensystem wandelt. Die Auswirkungen sind umfassend und vielgestaltig. Sie verändern nichtnur die Darstellung des Politischen und deren Anteil am Geschehen, sondern auch den politischenProzess selbst. Sie verteilen die Akzente zwischen den einzelnen Faktoren der politischen Logikneu, lassen aber die Logik der Politik keineswegs vollständig in der des Mediensystems aufgehen.

Für die mediale Bühne ist die Theatralisierung der Selbst- bzw. Politikdarstellung wie geschaffen:

InszenierungVerkörperungPerformanceWahrnehmung

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 12: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

12

Es geht dabei stets darum, bestimmte Wirkungen auf ein vorgestelltes Publikum zu erreichen: nichtnur durch gesprochene Sprache, sondern auch durch Aktionen des tätigen Körpers (per Mimik undGestik), durch Paralinguistik, durch die Requisiten und die Kulisse. Im Kunsttheater sind die soentstehenden Realitätsillusionen als solche kenntlich. In Medien und Politik verbergen sie entwe-der spontan, durch die bloße Art ihrer Präsentation, oder gezielt ihren Inszenierungscharakter undbringen auf diese Weise kalkulierte Realitätsillusionen hervor. Die können zwar dazu dienen, eineihnen zugrunde liegende Wirklichkeit ästhetisch zu vermitteln, sie können aber auch nur den sinn-lich plausiblen Eindruck einer solchen Wirklichkeit erwecken, während sie tatsächlich nur einenSchein erzeugen, dem nichts in der wirklichen Welt entspricht als das Inszenierungskalkül seinerUrheber.

Die kalkulierte Selbstmediatisierung der Politik nach den Regeln theatraler Inszenierungslogik istzu einer der Hauptaktivitäten des politischen Systems geworden. Sie verfügt dabei über drei basale Inszenierungsstrategien, die entweder mit Anteilen politischer Realereignisse vermischt oderganz frei davon präsentiert werden können:

Event-Politik (Scheinereignisse) Image-ProjektionenScheinhandlungen

Event-Politik

Der Begriff des Scheinereignisses (pseudo event) ist in der Medienforschung schon seit den 1960erJahren eine feste Größe. Es lag seit Beginn des Zeitalters der Massenmedien nahe, alles, was sichüberhaupt als Ereignis inszenieren lässt, auch entsprechend zu präsentieren, solange die Ereignis-haftigkeit politischer Geschehnisse und Botschaften als zentraler Nachrichtenfaktor wirksam ist.Das politisch inszenierte Scheinereignis war eine der ersten großen Verbeugungen der politischenWelt vor den Mediengesetzen. Heute weiß jeder Lokalreporter ebenso gut wie jeder halbwegs auf-geweckte Laienpolitiker, dass beispielsweise der Vorschlag einiger Bürger, an dieser Stelle der Straßenun endlich einen Zebrastreifen zu markieren, damit das Überqueren der Straße sicherer wird,keine Nachricht wert wäre. Eine Aktion der Betroffenen aber, bei der sie die Straße blockieren undprovisorisch die Markierung vornehmen, damit sie Aufmerksamkeit für ihr Vorhaben erringen,würde als reales Ereignis aus der politischen Wirklichkeit gemeldet. Die Grenze zwischen Schein-ereignissen, die als solche erkennbar sind und denen, die erfolgreich von ihrer Scheinhaftigkeit ablenken, ist fließend.

Professionelle Medienberater im politischen System wissen nicht nur, dass sie das Geschehen und Nicht-geschehen so inszenieren müssen, wie es die Medien brauchen, um es nach ihren Regeln zur Nach-richt und damit zum Ereignis in der Welt zu erheben. Sie beherrschen auch die breite Palette der thea-tralen Inszenierungsoptionen. Sie arbeiten den Medien in die Hände, sei es mit der professionellenVerpackung ihrer Inhalte, sei es mit gut verpackten Luftnummern. Die Medien können dann, wenn siewollen, das ihnen dargereichte Scheinereignis an ihr Publikum in der Originalversion weiterreichen, um Ressourcen zu sparen. Sie können die Inszenierung aber auch demontieren,krititisch auf ihren tatsächlichen Gehalt befragen und durch eine eigenmediale Gegeninszenierung ersetzen. Das erfordert Kompetenz und Zeit und birgt immer das Risiko der Ungnade jener Politiker,die als Informationsquelle doch dringend gebraucht werden. In der Tendenz verwachsen daher die Medienregeln und das Darstellungsinteresse der Politik zu einem einheitlichen Syndrom, zu einer widerspruchsvollen Symbiose. Trotz der vielen Möglichkeiten zur Co-Inszenierung von politischer Darstellung und medialer Verarbeitung liegt die Inszenierungshoheit stets im Mediensystem.

Image-Politik

Image ist das Scheinereignis auf dem Gebiet der Ethik, Scheinhandeln als Personifikation. DieseKlassifikation nahm der amerikanische Historiker Daniel Boorstin schon in den 1960er Jahren zuProtokoll, als die Mediendemokratie in den USA soeben begann. Image ist ein durch wohlkalku-lierte Scheinhandlungen inszeniertes Kunstprodukt, durch das eine natürliche Person als Personi-fikation von Eigenschaften dargestellt wird, die in der Mythologie oder der Ethik des Gemeinwe-sens als besonders wertvoll gelten.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 13: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

13

Die Meinungsforschungsinstitute befragen im Vorwahlkampf die Wähler, ob ihnen Glaubwürdig-keit oder Tatkraft, Sympathie oder Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit oder Durchsetzungs-fähigkeit als wichtigste Eigenschaft ihrer obersten politischen Repräsentanten gelten.

Die Medienberater entwerfen Strategien des Auftritts und der Scheinereignisse, der Gesten und derKulissen, die die gewünschten Eigenschaften auf das mediale Bild ihres Kandidaten übertragen -soweit dessen Eigenschaften als natürliche Person das jeweils zulassen. Entscheidender als alle Einzelheiten ist ohnehin der Gesamteindruck des Kandidaten und dessen Nähe zu archetypischenHeldengestalten der jeweiligen Kultur des Landes.

Vieles von dem, was der Kandidat für die Verkörperung medienwirksamer Ideale mitbringt, lässt sichvon den professionellen Beratern unterstreichen und zurücknehmen, forcieren und abschwächen. Sieersinnen Bilder und Posen, Begegnungen und Situationen, Episoden und Kulissen - als Mosaiksteinevon Scheinereignissen, die sich zum sinnlich plausiblen Gesamtbild in der Vorstellung des Publi-kums zusammenfügen: der Held als Gleicher unter den Helden dieser Welt; der fürsorgende Heldim Gespräch mit den Alten und Gebrechlichen, der Held als Bezwinger der Widersacher im eige-nen Lager, das Körperbild der Ruhe, Energie, Entschlossenheit und Besonnenheit; der göttliche Zorndes Gerechten, der Vertraute von Wirtschaftsbossen, Künstlern und Medienstars.

Die theatrale Hauptstrategie der Image-Politik ist das Verwirr-Spiel der Bühnen. Dabei wird denBildern, die den Verkörperungsanspruch einlösen sollen, dadurch besondere Glaubhaftigkeit verliehen, dass solche Situationen als natürlich und privat erscheinen, die eigentlich nicht für dieöffentliche Bühne gedacht sind. Die Verbindung von Image und Schein-Ereignis in körperlich durch-gespielten Handlungsepisoden ist das Erfolgsszenario der symbolischen Scheinpolitik.

Symbolische Scheinpolitik

Der klassische Fall symbolischer Scheinpolitik lag vor, als sich Präsident Reagan vor den ver-sammelten TV-Kameras auf der Schulbank eines Klassenzimmers scheinbar mit Lehrern undSchülern ins Gespräch vertiefte und für die Augen der Betrachter das größte Interesse am Bildungswesen des Landes in Szene setzte, während er in Wirklichkeit soeben den Bildungsetatdrastisch gekürzt hatte. Der politische Akteur spielt mit dem vollen Einsatz aller theatralen Möglichkeiten Handlung, als zeige er ihren realen Vollzug, der in Wahrheit nicht nur ausblieb,sondern vielmehr gerade im Gegensinn erfolgte. Solche Art symbolischer Politik ist Placebo-Politik zu Verstellungszwecken. Sie gehört zum Handwerkszeug des Medien-Machiavellisten. DieEinweihung von Fabriken, das Zusammentreffen mit Repräsentanten der Gesellschaft, Wirt-schaftsführern, Wissenschaftlern, das medial aufwendige Hineilen zu Krisenorten jeglicher Art sindbeliebte Episoden zur Erzeugung symbolischer Placebo-Effekte. Als theatrales Schein-Handeln stelltsymbolische Politik ein Handeln zur Schau, das nicht wie real fungierende Symbole etwas Wirk-liches verdichtet oder auf etwas Wirkliches authentisch verweist. Sie ist eine Form strategischerKommunikation, die keine Argumente vorträgt und keine wahrhaftige Beziehung zwischen ihremästhetischen Schein und der Wirklichkeit herstellt, die sie repräsentiert.

Es ist diese Verbindung von demokratischem Legitimationsmodus, visuellen Kommunikationstechnikenund Politik als Starsystem, die das Wesen symbolischer Schein-Politik heute ausmacht und ihre Möglichkeiten und Wirkungen von Grund auf verändert. Die Überredungstechniken sind in den Demokratien, die das Augenmerk nicht auf einen einzigen Staatsdarsteller an der Spitze richten können, sondern auf viele politische Akteure eines Starsystems verteilen müssen, dank des Standes derVisualisierungstechniken so raffiniert, dass sie den Anteil von Rede beim Überreden auf Spurenrestereduzieren können. Das Wesentliche leisten Verkörperungen und ihre bildliche Repräsentation. Eineneue Qualität strategischer Kommunikation bürgert sich in der Mediendemokratie als publikums-freundliche Unterhaltsamkeit ein.Die theatralen Strategien medialer Politik sind durch und durch ambivalent. Die ihnen eigene Sym-biose von Unterhaltsamkeit, sinnenfälliger Überzeugungskraft und Graden der Beimischung authen-tischer Information machen sie zu einer Dual-Use-Methode, mit der eine Breitenwirkung wirklicherpolitischer Information, aber ebenso gut auch Informationsillusionen bewirkt werden können. Als ver-lässliche Konstante dabei erweist sich allein die Inszenierung; Information und Argumentation hingegenerscheinen als ungewisse Variable. Unterhaltsamkeit und unmittelbare Fasslichkeit sind dominant.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 14: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

14

3.1.3 Die Persistenz des Politischen

Empirisch angemessen für das Verständnis von Politik in der Mediendemokratie ist das folgendeDrei-Ebenen-Modell:

Ebene I: Herstellung der PolitikInstrumentelles HandelnErzeugung verbindlicher Entscheidungen

Ebene II: Selbst-Darstellung der PolitikEigen-Inszenierungen von hergestellter und nicht-hergestellter Politik im politischen System

Ebene III: Fremd-Darstellung der PolitikPolitik-Darstellung im Mediensystem nach dessen Regeln

Von besonderem Interesse für die Analyse des Politischen unter dem Einfluss des Mediensystemssind dabei insbesondere die Rekursionsschleifen zwischen den drei Ebenen untereinander. Für dasVerständnis der Veränderung von Politik stellt dieses Drei-Ebenen-Modell zwei Schlüsselfragen:

1) Verändert sich unter dem Einfluss der Rückwirkungen des Mediensystems (Ebene III) die Logik politischen Handelns wesentlich und mitsamt den Faktoren, deren Wechselwirkung sieprägt (Ebene I)? Und wenn ja, wie?

2) Wird in den Darstellungen des Mediensystems (Ebene III) noch in angemessener Weise sicht-bar, was in den politischen Herstellungsprozessen (Ebene I) geschieht?

Im Gegensatz zu ultraskeptischen Prognosen lässt sich keine Auflösung des Politischen in einemmedial bestimmten Supersystem beobachten. Festzustellen ist vielmehr die Beständigkeit des Politischen im Prozess seiner Umwandlung.

Die Polity-Dimension (Ebene der Verfassung)

In Mediendemokratien spielt das Mediensystem - neben den klassischen Verfassungsinstitutionenund dem Gesellschaftssystem - eine ergänzende und teilweise auch prägende Rolle für die Kulturdes Politischen.

Die Medien - und wie die Politik über sie verfügt - sind für die Politikvermittlung und das Zusammengehen von Medienlogik und politischer Logik von wesentlicher Bedeutung.

Quer zu den Einflüssen dieser Medienformen und Verfügungsstrukturen prägt die Art und Weise,wie die mediale Logik von den Akteuren innerhalb des Mediensystems gehandhabt wird, die jeweilige Kommunikationskultur der Gesellschaft das politische Geschehen.

Die Medienlogik lässt den Akteuren - je nach Verfügung über die Medien - einen großen Spielraumfür die Präsentation des Politischen. Die Kommunikationskultur (als Teil der politischen Kultur)bestimmt die Möglichkeiten politischer Information für den Wähler entscheidend - und somitauch die Bedingungen seiner Staatsbürgerrolle. Eine dominante Rolle spielen dabei die privatenFernsehanstalten mit ihrem kommerziellen Zwang zur Maximierung der Einschaltquoten. Kommunikationskultur und Medienverfassung stellen zentrale Bestandteile der Verfassung des Gemeinwesens dar - mit erheblicher Auswirkung auf die politische Kultur.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 15: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

15

Die Policy-Dimension (Ebene der Politik-Inszenierung)

Die Medienlogik bietet reichlich Gelegenheiten für symbolische Politikinszenierungen. Sie wirdinsbesondere in Situationen schrumpfender politischer Handlungsmöglichkeiten phantasievollund häufig genutzt. Der Zwang zur Legitimation politischen Handelns wächst für den Nationalstaatin der gegenwärtigen ökonomischen Krise erheblich. Gleichzeitig entzieht ihm die Globalisierung,die diese Krise verursacht, einen wichtigen Teil seiner Gestaltungschancen. Das ist einer derGründe dafür, dass die Verführung für die politischen Akteure wächst, offenkundige Erfolgsdefi-zite durch medienwirksames Scheinhandeln zu überdecken. Die Möglichkeiten dafür sind reich-haltig, denn für die meisten Bürgerinnen und Bürger ist der Blick auf die „Medienbühnen“ die ein-zige Grundlage für die Beurteilung politischen Handelns.

Während die Bürger zur Beurteilung konkreten politischen Handelns immerhin noch die eigenenAlltags-Erfahrungen hernehmen können, haben sie im Hinblick auf die immer gekonnter ins Werkgesetzten Inszenierungen symbolischer Schein- und Image-Politik diese Möglichkeit kaum noch.Erst wenn in schwer durchschaubaren Prozessen die ungelösten Probleme der Politik (z.B. Arbeitslosigkeit, Gewalt, Umweltschädigungen) trotz der medialen Glanzbilder in die persönlicheLebenswelt des Publikums eindringen, hinterfragen die Betroffenen die Realität von Handlungs-programm und Handlungserfolgen in einer inszenierten Politik wieder.

Der Alltagsdiskurs über die eigenen Erfahrungen mit der Politik und dem politischen Systembleibt auch in der Mediendemokratie das letzte, nicht zu umgehende Kriterium für die Beurteilungdes Erfolgs von Politiken.

Die Politics-Dimension (Ebene des politischen Prozesses)

Eine Analyse der innerparteilichen Erfolgskarriere einzelner Spitzenpolitiker - wie Gerhard Schrö-der in Deutschland, Bill Clinton in den USA oder Tony Blair in Großbritannien - lässt deutlich erkennen, dass die aufgrund persönlicher Inszenierungskompetenz angesammelte mediale Machtdie womöglich ausschlaggebende Ressource beim Kampf um Führungsämter geworden ist. Ohneeinen hohen Rangplatz in der Mediengunst haben Bewerber um die Spitzenämter in Partei und Staatheute nicht nur in den USA, sondern auch in den europäischen Mediendemokratien keine realistischeAussicht auf Erfolg. Starke mediale Machtressourcen machen es dem politischen Akteur mittler-weile sogar möglich, weitgehend eigenmächtig, nämlich allein im Hinblick auf die Wahrung undMehrung dieser Machtquelle, auch über das Programm und die Politiken der eigenen Partei zu verfügen.

So ersetzt professionell inszeniertes Mediencharisma die demokratische Legitimation (die bisdato durch öffentliche Diskurse und kollektive Willensbildung in den Parteien, in der Zivilgesell-schaft und in der großen Öffentlichkeit erfolgte). Dieses Mediencharisma wird zu einer eigen-ständigen und häufig dominanten Machtressource.

Die Entscheidungsmacht über Programm und Profil großer Volksparteien geht so allmählich vonden öffentlichen Foren der Partei in die Beratergremien jener Spitzenpolitiker über, die ihre Herr-schaftsposition einem persönlichen Mediencharisma verdanken. Und dann werden als demokrati-sche Legitimationsinstanz bald nur noch die Ergebnisse von Umfragen und Wahlentscheidungenanerkannt, die auf medial inszenierten Stimmungen basieren.

Die öffentlichen Arenen erwägender und beschließender Politik in Parteien und der großen Öffentlichkeit verlieren gegenüber kalkulierten Inszenierungen von Images, Symbolhandlungen undausdrucksstarken Scheinereignissen an Bedeutung. Das genau ist die konzeptionelle Bedeutung desBegriffs „Mediendemokratie“. So koppeln sich politisches Handeln (d.h. Herstellung auf der Basis von Programmen und inhaltlichen Entscheidungen) und die öffentliche Selbstdarstellung derPolitik voneinander ab.

Bei alledem steht außer Frage, dass die Durchsetzung konkurrierender Politiken und der Kampfum die politischen Führungsämter auch unter dem wachsenden Einfluss der Medienlogik weiter-hin nach der Logik eines politischen Prozesses verlaufen.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 16: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

16

Auch unter den von den Medien dominant geprägten Handlungsbedingungen verfolgen die AkteureInteressen, stützen sich dabei auf verschiedene Machtrssourcen (unter denen die Medienpräsenzselbst eine neue Schlüsselstellung einnimmt) und nutzen soziale, ökonomische und mediale Macht,um politische Gestaltungsmacht zu erringen.

3.1.4 Mediendemokratie - Die Marginalisierung der Parteien

Die Logik der Mediendemokratie drängt die Parteien auf der ganzen Linie an den Rand des Geschehens, auch wenn sie durch ihre Aktivitäten auf der kommunalen Ebene und als politischesRichtungsambiente der Spitzenakteure weiterhin im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben. Der Druck der Medienlogik, mit ihrem ständigen Präsentismus und dem Zwang zu jederzeitigen Sofortreaktionen der Politiker, führt zur Abkopplung der Mitgliederparteien und ihrer Diskursformen von den Kommunikationsstrategien der Spitzenakteure. Die Medien haben inzwischen bei der Auswahl möglicher Spitzenkandidaten Vorrang vor der innerparteilichen Willensbildung. Damit ist den politischen Parteien auch noch diejenige „Krönungsfunktion“ ausder Hand genommen, die einerseits ihre Zentralrolle mitbegründet hatte, und ihnen das Gewichteiner letzten Richtungskotrolle im politischen Prozess verschaffte.

So werden die Parteien in der Arena des großen politischen Prozesses durch die eigengesetzlicheDynamik der Mediendemokratie in eine Statistenrolle abgedrängt.

Die Kommunikationsspitzen der Parteien machen sich von der Willensbildung ihrer Organisatio-nen weitgehend unabhängig, damit sie in der medialen Arena überhaupt noch mit Aussicht auf Erfolg agieren können. Da die Medienresonanz auf politische Initiativen stets kurzfristig ist undjederzeit eine ebenso kurzfristige Antwort der Politik erfordern, wären politische Spitzenakteure,denen durch verbindliche Beschlüsse der eigenen Partei die Hände gebunden sind, zum Misserfolgverurteilt. Da dies aber nicht im Interesse der Durchsetzung der eigentlichen politischen Inhalte liegen kann, ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Imperativ, diese Inhalte durchzusetzen, unddem einer Beteiligung der Parteibasis auf diesem Weg. Dieser Widerspruch lässt sich, so dieSchlussfolgerung der Spitzenpolitiker in der Mediendemokratie, nur auflösen, indem deren Gesetzebefolgt werden. Das Risiko, durch eine „Aufklärungskampagne“ gegen eine bestimmte Mehr-heitsmeinung anzugehen in der Hoffnung, dass am Ende die besseren Argumente doch noch zu einer neuen Mehrheit führen, mögen die Spitzenpolitiker im Wettbewerb um die Führungsämterdes politischen Systems nur selten eingehen - nämlich dann, wenn es handfeste Anhaltspunkte fürden absehbaren Erfolg einer solchen Strategie gibt.

In einer Gesellschaft der beschleunigten Prozesse haben besonders die in der Wissensökonomie undDienstleistung Beschäftigten immer weniger Zeit - und erst recht keine freien Kapazitäten, an derlangwierigen politischen Willensbildung in den Parteien teilzunehmen. Kontinuierliche Teilhabeam Leben in den Parteien ist aber Voraussetzung für Einfluss und Erfolg. Den sichern sich danndie „Zeit-Reichen“: Kommunalbeamte, Lehrer, Hausfrauen, Rentner und Aussteiger. Dadurchaber repräsentieren die Parteien immer weniger die Gesellschaft, in der sie als Massenorganisati-on existieren.Deshalb bliebe den Strategiespitzen der Parteien, weil sie an der Organisation politischer Mehr-heiten in der Gesellschaft orientiert sein müssen, ohnehin gar nichts anderes übrig, als ihrerseitsaktiv auf die Marginalisierung ihrer eigenen Parteien hinzuwirken. Würde das dann schiefgehen,so wären sie einer minderheitsbestimmten politischen Logik unterworfen, die sie daran hinderte,mit den Veränderungen gesellschaftlicher Wertorientierungen, Interessenwahrnehmungen undMeinungsbildungen Schritt zu halten.

Politische Problemlösungen dauern lange, weil sie Mehrheiten finden und daher viele Interessenund Bedenken berücksichtigen müssen.

Der mediale Präsentismus aber ist ungeduldig und verständnislos gegenüber diesen zeitintensivenpolitischen Prozessen. Er verlangt von der Politik die sofortige Übereinstimmung mit der in denMedien gespiegelten und fixierten Augenblicksmeinung des Publikums, wie sie sich vor Beginneines Diskurses zeugt. Soweit ihr Einfluss reicht, zwingt die Medienorientierung der Politik ein Zeit-maß auf, das zu dem der politischen Demokratie im Widerspruch steht.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 17: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

17

Je mehr sich also die strategischen Spitzen der Parteien zu deren politischen Vorstellungen loyalverhalten, umso weniger sind sie in der Lage, das Geschäft der politischen Mehrheitsorganisationprofessionell, flexibel und mit Aussicht auf Erfolg zu betreiben. Die demokratischen Massenpar-teien, die ja eigentlich der Transmissionsriemen zwischen der Gesellschaft und den politischen Institutionen sein sollten, werden nach dieser Analyse zu einer Barriere zwischen Gesellschaft undpolitischer Macht.

Die Verkürzung der politischen Prozesszeit auf das Maß der medialen Produktionszeit bedeutet dieBeschneidung der politischen Prozesse selbst um einen guten Teil dessen, was ihre demokratischeQualität ausmacht. Der Anteil von Vereinen, Verbänden, Initiativen und Parteien am Prozess desgroßen politischen Systems geht beträchtlich zurück.

Die Parteien können in den veränderten Zeitstrukturen allerdings auch neue Wege finden, um denEinfluss in der Mediendemokratie zurück zu gewinnen. Gegenwärtig zeichnen sich - neben demModell der Amerikanisierung - die Konturen eines europäischen Parteienmodells ab: Eine rund-erneuerte Art, zu kommunizieren, soll den Parteien wieder zu mehr Einfluss bei den Prozessen derEntscheidungsfindung verhelfen.

Trotzdem werden sich auch künftig ihre Schwächen zeigen: Erstens dann, wenn es um schnellesReagieren im täglichen Medienkarussell geht, und zweitens im Alltagsgeschäft auf nationaler Politikebene, auf die sich die Medienkommunikation bezieht. Derzeit sind noch keine Reform-projekte in Sicht, die in diesen beiden Handlungsbereichen den Parteien ihr altes Gewicht zurück-geben könnten. Ihre Stärken wird man künftig vor allem dort erkennen, wo es um Langzeitprozessemit personeller Kontinuität und Zurechenbarkeit geht. Das betrifft Prinzipien und Grundentschei-dungen der großen Politik auf der einen Seite und auf der anderen die kommunalpolitische Kom-munikation und Alltagspraxis. Die Rolle, die die Parteien dabei in der Mediendemokratie noch spie-len können, ist freilich ungewiss.

3.1.5 Parlamentarismus unter Druck

In der Mediendemokratie sind es vor allem auch die Parlamente, deren Einfluss im politischen Prozess stark schrumpft. Das gilt mehr für die parlamentarischen Demokratien Europas als für diepräsidentiellen Demokratien, etwa der USA, in denen der Präsident immer schon eine von den Parlamenten unabhängige Legitimation besaß. Während hier nämlich die Wahl des politischen Spitzenamtes schon seit langem in Form eines medienvermittelten Personenplebiszits stattfindet,spielt sich diese Legitimationsvariante in den parlamentarischen Mediendemokratien Europas erstein. Dabei erscheinen - nach der Verfassungsnorm und dem allgemeinen öffentlichen Eindruck -noch immer die Parteien und Parlamente als oberste Legitimationsquelle für die politischen Spitzenämter.

Unter dem Einfluss der Parteiendemokratie war in den Demokratien Europas aus der Idee einer kontrollierenden Distanz zwischen Exekutive und Legislative in der Praxis eine Rivalität zwischenRegierungsparteien und Oppositionsparteien geworden - und aus dem Kontrollverhältnis zwischen Parlament und Regierung das zwischen Regierungsmehrheit und oppositioneller Min-derheit. In der Regel ergab sich so die Regierungspolitik aus einem Prozess der Verständigung, auchdes Aushandelns, zwischen Kabinett und Fraktionsführungen.

Die Regierungspartei im Parlament weiß, dass sie ihren Wahlerfolg vor allem der Medienwirkungihres Spitzenkandidaten verdankt. Und sie macht die Erfahrung, dass Unstimmigkeiten zwischenden politischen Aussagen ihres Regierungschefs und Vertretern seiner Fraktion sein Medien-charisma ankratzen. Daher ist sie fast immer zu vorauseilendem oder nachbesserndem Konsens mitseinen Vorgaben bereit.

Regierungschef oder Oppositionsführer haben unter den Bedingungen der Mediendemokratie ihreErfolgskarriere auf der Basis eben dieses Kalküls geplant und absolviert; sie bauen den medien-demokratischen Harmoniemechanismus von Anfang an in ihre Strategie ein.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 18: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

18

3.1.6 Schlussfolgerungen

Politik verändert sich unter dem dominanten Einfluss des modernen Mediensystems von Grund auf.Aber die verbreitete These von der Selbstauflösung der Politik in ihrer medialen Inszenierung iststark übertrieben. Zwar droht die politische Öffentlichkeit tatsächlich zum Spiegelkabinett zuwerden, in dem sich beide, Politik und Medien, immer nur selber zu erkennen vermögen und dabei die Welt aus den Augen verlieren. Aber hinter den Spiegeln geht das wirkliche Leben weiter, sowohl in den Lebenswelten der Bürger wie in den Vorhöfen und an den Hebeln der Macht.Die Medien können jedoch das Spiegelkabinett verlassen, wenn sie den Blick wieder auf die Logik der politischen Prozesse richten, auch wenn die mediale Inszenierung ein gutes Stück Wirk-lichkeit der Politik in der Mediengesellschaft darstellt. Politik als zeitintensiven Prozess der Entscheidungsfindung gibt es auch in der Mediendemokratie.

Medien und ihre Inszenierungsformen ergänzen und relativieren die Logik des Politischen, aber sieannullieren sie nicht. Im politischen Prozess werden die Karten für Macht und Karrierechancen neugemischt und anders verteilt, aber die Akteure und ihre Machtquellen bestimmen das Geschehen.Die Verfassung des Gemeinwesens ändert sich unter dem Einfluss des Mediensystems und seinerKommunikationskultur, aber politische Kultur und Institutionen wirken weiterhin als Rahmen politischen Handelns. Die Parteien verlieren ihre Zentralstellung im politischen Prozess und dieParlamente geraten unter den Druck der Medienlogik, aber beide behalten beträchtliche Spielräu-me der Selbstbehauptung. Inszenierte Schein-Politik nimmt überhand, politische Handlungspro-gramme werden ganz oder teilweise nur noch vorgespielt, die Frage nach den Resultaten aber bleibt.Sie entscheidet nach wie vor - bei politischen Beratungen, im bürgerlichen Krisen-Alltag, in derWahlkabine.

Literatur

Alemann, Ulrich von (1997): Parteien und Medien. In: Gabriel, Oscar W./ Oscar Nieder-mayer/Richard Stöss (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn, S. 478-494.Alemann, Ulrich von (2000): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen.Beyme, Klaus von (1994): Die Massenmedien und die politische Agenda des parlamentarischen Systems. In: Friedrich Neidhardt (Hrsg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialphilosophie, Sonderheft 34,Opladen, S. 320-336.Boorstin, Daniel (1961): The Image or What Happened to the American Dream. New York.Burke, Peter (1993): Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs. Berlin.Dick, Morris (1999): The New Prince. Los Angeles.Edelman, Murray (1964/1990): Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns. Frankfurt. New York.Edelman, Murray (1988): Constructing The Political Spectacle.Chicago.Glotz, Peter (1999): Die beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus.München.Greven, Michael Th.(1999): Die politische Gesellschaft. Kontingenz und Dezision als Probleme des Regierend in der Demokratie. Opladen.Jarren, Otfried / Arlt, Hans-Jürgen (1997): Kommunikation - Macht - Politik. Konsequenzen der Modernisierungsprozesse für die politische Öffentlichkeitsarbeit. In: WSI Mitteilungen,7/1997, S. 480-486.Jarren, Otfried / Altmeppen, Klaus-Dieter / Schulz, Wolfgang (1993): Parteiintern - Medien undinnerparteiliche Entscheidungsprozesse. Die Nachfolge Genschers und die Kür Engholms zumSPD-Kanzlerkandidaten. In: Donsbach, Wolfgang u.a.: Beziehungsspiele - Medien und Politik in der öffentlichen Diskussion. Gütersloh, S. 111- 157.Jarren, Otfried / Donges, Patrick / Weßler, Hartmut (1996): Medien und politischer Prozess. EineEinleitung. In: Jarren, Otfried / Schatz, Heribert / Weßler, Hartmut (Hg.): Medien und politische Praxis. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Politikvermittlung im Wandel.Opladen 1996, S. 9-37.Jarren, Otfried / Donges, Patrick (1996): Keine Zeit für Politik? Landespolitische Bericht-erstattung im Rundfunk: Journalisten, Öffentlichkeitsarbeiter und Politiker in der Interaktion. DasBeispiel Hamburg. Eine Studie im Auftrag der Hamburgischen Anstalt für neue Medien Berlin.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 19: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

19

Kaase, Max (1998): Demokratisches System und die Mediatisierung von Politik. In:Sarcinelli, Ulrich (Hg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Bonn,S. 24-51.Kepplinger, Hans-Mattias (1996): Inszenierte Wirklichkeiten. In: Medien und Erziehung,1/1996. Meyer, Thomas (1992): Die Inszenierung des Scheins. Voraussetzungen und Folgen symboli-scher Politik. Essay-Montage. Frankfurt am Main.Meyer, Thomas (1994): Die Transformation des Politischen. Frankfurt am Main.Meyer, Thomas (1997): Verfügungsmacht, Wettbewerb und Präsentationslogik. Einfluss-faktoren auf den politischen Diskurs in den elektronischen Massenmedien. In: Schatz, Heribert/ Jarren, Otfried / Knaup, Bettina (Hg.): Machtkonzentration in der Multimediagesellschaft? Opladen, S. 65-77.Meyer, Thomas (1998): Öffentlichkeit als Theater? Zum Wandel des politischen Diskurses inder Mediengesellschaft. In: Göttlich, Udo / Nieland, Jörg-Uwe / Schatz, Heribert (Hg.):Kommunikation im Wandel. Köln, S. 126-140.Meyer, Thomas (1999):Inszenierung und Rationalität. In: Schicha, Christian/ Ontrup Rüdiger(Hg.): Medieninszenierung im Wandel.Münster.u.a..S.168 -172.Meyer, Thomas (2000): Was ist Politik. Opladen.Meyer, Thomas (2001) Media - Democracy. Cambridge( im Erscheinen). Meyer, Thomas / Kampmann, Martina (1998): Politik als Theater. Die neue Macht der Dar-stellungskunst. Berlin.Meyer, Thomas / Ontrup, Rüdiger (1998): Das ‚Theater des Politischen‘. Politik und Politikvermittlung im Fernsehzeitalter. In: Willems, Herbert / Jurga, Martin (Hg.). Inszenie-rungsgesellschaft. Opladen/Wiesbaden, S. 524-541.Meyer, Thomas / Ontrup, Rüdiger / Schicha, Christian (2000): Die Inszenierung des Politischen.Zur Theatralität medialer Diskurse. Opladen Meyer, Thomas/ Scherer, Klaus-Jürgen/ Zöpel, Christoph (1994):Parteien in der Defensive? Plädoyer für die Öffnung der Volkspartei. Köln.Pfeiffer, Ulrich(1997): Eine Partei der Zeitreichen und Immobilen. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 44/5 .Plasser, Fritz (1985): Elektronische Politik und politische Technostruktur reifer Industrie-gesellschaften – Ein Orientierungsversuch. In: Plasser, Fritz / Ulram, Peter A. / Welan,Manfred (Hg.): Demokratierituale. Zur politischen Kultur der Informationsgesellschaft. Wienu.a, S. 9-31.Plasser, Fritz / Ulram, Peter A. / Welan, Manfred (Hg.) (1985): Demokratierituale. Zur politischen Kultur der Informationsgesellschaft. Wien u.a. Plasser, Fritz (1989): Medienlogik und Parteienwettbewerb. In: Böckelmann, Frank (Hg.):Medienmacht und Politik. Berlin, S. 206-218.Niedermayer, Oskar( 1999): Die Bundestagswahl 1998: Ausnahmewahl oder Ausdruck langfristiger Enwicklungen der Parteien und des Pareiensystems? In: Niedermayer, Oskar(Hg.): Die Parteien nach der Bundestagsahl 1998. Opladen.Ontrup, Rüdiger (1998): Die Macht des Theatralischen und die Theatralität der Macht. Vorüberlegungen zu einer Theorie der Medientheatralität. In: Göttlich, Udo/ Jörg-Uwe Nieland/Heribert Schatz (Hg.): Kommunikation im Wandel.Köln.Rohe, Karl (Hg.) (1997): Politik und Demokratie in der Informationsgesellschaft. Baden-Baden.Sarcinelli, Ulrich (1987a): Symbolische Politik. Zur Bedeutung symbolischen Handelns in derWahlkampfkommunikation der Bundesrepublik Deutschland. Opladen.Sarcinelli, Ulrich (1997): Von der Parteien- zur Mediendemokratie? Das Beispiel Deutschland,in: Schatz, Heribert / Jarren, Otfried / Knaup, Bettina (Hg.): Machtkonzentration in der Multimediagesellschaft?, Beiträge zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von politischerund medialer Macht, Opladen, S. 34-45Schatz, Heribert (1981): Fernsehen und Demokratie. Opladen.Schicha, Christian (1998): Grundlagen der Kommunikationspolitik, in: Schicha, Christian:Medien, Moral und Kommunikation 1998, S. 16-20Schicha, Christian (1999): Politik auf der „Medienbühne„. In: Schicha, Christian / Ontrup,Rüdiger (Hg.): Medieninszenierungen im Wandel - Interdisziplinäre Zugänge, Münster 1999,S. 138-167

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 20: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

20

Schwarzenberg, R.-G. (1980): Politik als Showgeschäft. Düsseldorf.Schulz, Winfried (1976): Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse deraktuellen Berichterstattung. Freiburg/ München.Schulz, Winfried (1997): Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. Opladen.Steinmeyer, Frank Walter (2001) In. Müntefering, Franz/ Matthias Machnig: Sicherheit im Wandel. Berlin.Weischenberg, Siegfried (1998): In Szene gesetzt. Amerikanisierung der Politik. In: Journalist,Nr. 5, Mai 1998, S. 12-16.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 21: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

21

3.2 Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse (2005)

Prof. Dr. Jo GroebelEuropäisches Medieninstitut, Dortmund

3.2.1 Politik und Medien

Moderne Politik ist ohne Medienöffentlichkeit nicht möglich. Die Demokratie lebt von der Trans-parenz politischer Abläufe und Entscheidungen. Diese Transparenz wird durch die so genannte Vierte Gewalt, die Medien, geschaffen und gewährleistet.

Seit geraumer Zeit allerdings wird diskutiert, inwieweit Presse und Rundfunk, auch Online-Angebote, die Politik mitbeeinflussen, wenn nicht sogar dominieren. Während des Bundestags-wahlkampfes 2005 beispielsweise geriet die Rolle der Medien besonders ins Visier, als über vermeintlich zu starke Personalisierung und Emotionalisierung, ja das „Hoch- und Runterschrei-ben“ von Kandidaten debattiert wurde.

Fest steht,

dass sich die Komplexität politischer Prozesse nur schwer in eingängige Texte oder Bilder über-setzen lässt,dass Journalisten immer Themen auswählen und Akzente setzen müssen,dass eine implizite Kommentierung schon dann erfolgt, wenn man nur ausgewählte politischeStimmen zu Wort kommen lassen kann oder auch nur ein Stimmungsbild wiederzugeben versucht.

Ein wesentlicher Faktor ist dabei das Marktgeschehen. Der Wettbewerb zwischen den Medien hatin den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Es ist auch ein Wettbewerb um die politischenSchlagzeilen, die spektakulärsten Bilder, die interessantesten Interviews. Positiv interpretiert triffthier der Markt auf die Demokratie, beide konzentrieren sich auf eine möglichst breite Öffentlich-keit. Negativ gesehen heißt dies aber auch, dass der Aufmerksamkeits-, ja der Unterhaltungseffektvor politischer Substanz rangieren könnte. Auf den vermuteten Medieneinfluss, auf die Mechanismender Berichterstattung hat jedenfalls die Politik reagiert, indem sie ihrerseits ein ganzes Arsenal professioneller Kommunikationswerkzeuge entwickelt hat, mit deren Hilfe Themen gesetzt,Themen genutzt, Meinungen geprägt werden sollen. So vermählen sich die Botschaften („Mis-sionen“) der Politiker mit den Marktbelangen der Medien. Dass dabei mögliche Meinungsinteresseninnerhalb der Medien balanciert werden, soll durch die pluralistische Struktur der Presse- und Rund-funklandschaft gewährleistet werden. Dennoch gibt es publizistische Personen- und Themenkar-rieren, die ungeachtet der jeweiligen Bewertung mindestens so sehr den Gesetzen des Medien-marktes, wie denen der Politikdynamik folgen, sofern man diese überhaupt noch voneinandergetrennt betrachten kann.

3.2.2 Themenkarrieren, Themenkontrolle: Vier Fallbeispiele

Viele wissenschaftliche Studien haben sich mit den Mechanismen von Themenkarrieren befasst.Sie benennen zentrale Faktoren wie Alltags- und Gruppenbezug für die Bürger, Skandalisierung,Personalisierung, auch Abnutzung.

Die Personalisierung spielt nicht nur bei einem „präsidialer“ gewordenen Wahlkampf zwischenKanzlerkandidaten eine Rolle; auch die Konkretisierung einzelner Themen geht in den Medien regelmäßig mit einem Personalbezug einher. Der tatsächliche Anteil des jeweiligen Akteurs am Geschehen ist dabei recht unterschiedlich. Auf der Ebene der politischen Führung wird man versuchen, möglichst weitgehende Kontrolle über die medialen Abläufe zu erreichen, vielleicht sogar („Amerikanisierung“) die Medienbekanntheit erst zum Ausgangspunkt für eine Politikkar-riere zu machen. Umgekehrt können einzelne aber auch ohne ihr Zutun und Wollen zu öffentlichenPersonen werden, weil sie stellvertretend für einen politischen Sachverhalt stehen. Schließlich gebiert manches Ereignis eine „Bühne“, die alten und neuen Hauptpersonen hohe Medienauf-merksamkeit verschafft.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 22: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

22

Um die Merkmale von Themenkarrieren zu illustrieren, wurden vier repräsentative Beispiel-Fälle der vergangenen Jahre aus Presse, Fernsehen und Internet ausgewählt. Die untersuchtenMedien unterliegen der Struktur von überregional zu regional, und beinhalten folgende Zeitungen,Zeitschriften und Fernsehsendungen sowie Online-Berichte:

Berliner Zeitung, Bild, Bonner Generalanzeiger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Zeitung, taz, Stern, Spiegel, Tagesthemen, heute-journal.

Der Kriterienkatalog der Analyse umfasst Umfang und Positionierung der Berichte sowie die Bewertung der Ausprägung von Personalisierung, Emotionalisierung, Skandalisierung, negativeroder positiver Kommentierung und deren zeitlichen Verlaufs. Die Studie impliziert keine statisti-sche Generalisierbarkeit: Sie dient als Fallbeispiel für die Dynamik von Themenkarrieren.

Die Beispielfälle zeichnen sich durch einen unterschiedlich starken Einfluss einzelner Akteure aufdas politische und mediale Geschehen aus:

Ronald Schill Florida-Rolf Theo van GoghTsunami

Die Fälle stehen für Themen,

die per se relevant sind (Tsunami), d.h. bei denen weder Einzelne noch Viele einen aus-lösenden Einfluss hatten,in denen die führenden Akteure selbst die Mediatisierung vorangetrieben haben (Schill, vanGogh),die von den Medien ohne aktives Zutun der Akteure erst zugespitzt und weiterentwickelt worden sind (Florida-Rolf).

Gemeinsam ist solchen Themenkarrieren, dass ein beschleunigter Prozess entsteht, in dem die politisch und medial Beteiligten mindestens so sehr Reagierende wie Selbststeuernde sind.

Für alle vier hier ausgewählten Fälle gilt, dass es ein großes Grundthema für alle gibt, nämlich Sorge, Verunsicherung, Hilflosigkeit gegenüber (vermeintlich) zunehmender Kriminalität (Ronald Schill), der Konfrontation der Kulturen (van Gogh), sozialem Abstieg und Sozialneid („Florida-Rolf“) sowie Klimaeffekten und Globalisierung („Tsunami“). Tatsächlich dominieren wohlThemenkarrieren, die Ängste ansprechen getreu dem Motiv „Bad News are Good News“. Menschenreagieren mit größerer Aufmerksamkeit und Neugier auf empörende oder bedrohliche Inhalte alsauf „Friedliches“. Dies hat (auch) physiologisch-psychologische und archaische Hintergründe. Negative Informationen lösen ein inneres Alarmsignal aus, das potenziell auf Flucht oder Gegen-maßnahmen einstimmt. Natürlich ist in der Regel eine solche Reaktion als Folge von Medienbe-richten nicht unmittelbar notwendig (Ausnahme: z.B. Hurrikane), dennoch unterscheiden unsereautomatischen Reflexe weniger als unser mentales System zwischen realen und nur medial prä-sentierten Empörungs- und Bedrohungshinweisen.

So entsteht in solchen Fällen grundsätzlich ein zunächst negativ geprägtes Aufmerksamkeits-potenzial, und die Debatte über tatsächlich oder vermeintlich relevante gesellschaftliche Prozes-se erhöhten den Marktwert der Berichterstattung ebenso wie persönliche Betroffenheit (z.B. drohende Arbeitslosigkeit, Angst vor Kriminalität, kulturelle Konfrontation oder Sorge um Angehörige und Bekannte).

3.2.2.1 Ronald Schill

Als Hamburger Richter erzielt Ronald Schill in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts lokalöffentliche Aufmerksamkeit durch sehr strenge Urteile bei so genannten Bagatelldelikten. Ge-richtsintern kritisiert und Disziplinarmaßnahmen unterzogen, erntet Schill bei Teilen der HamburgerBevölkerung große Sympathie. Er gründet die so genannte „Schill-Partei“, eine rechtspopulistische

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 23: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

23

Sammlung unterschiedlicher Personen, die in die Hamburger Bürgerschaft gewählt wird. Als Innensenator einer CDU-geführten Regierung ist Schill ständig in den Medien präsent: zahlreiche Ordnungsinitiativen, eine Neueinkleidung und -motorisierung der Polizei, Präsenz im HamburgerParty- und Nachtleben. Schill muss abtreten, nachdem er den Hamburger Regierungschef mit dessen angeblicher Bevorzugung des Justizministers als seinem vermeintlichen Lebensgefährtenzu erpressen versucht hat.

Medienkarriere

Im Verlauf der gesamten Berichterstattung über Schill lassen sich mehrere Faktoren identifizieren,die für starke Medienbeachtung und große öffentliche Aufmerksamkeit sorgen:

Spektakuläre Urteile potenzieren das vorhandene öffentliche Interesse an der Kriminalität; das Meinungsklima - zunehmendes Unbehagen gegenüber einem teilweise als zu „lasch“ wahrge-nommenen Umgang der Justiz mit Kriminalität - wird „bedient“.

Spätestens mit der Häufung entsprechender Urteile durch Schill wird das Einzelthema zu einer Geschichte, die sich eng mit dem Hauptakteur verbindet. Durch Personalisierung entsteht derauch emotional wirkende rote Faden, der sich durch die ganze Mediendramaturgie hinzieht.

Entscheidend für die Konstruktion der Mediengeschichte: Es wird ein Markenname geschaffen. Spätestens nach den ersten regelmäßigen Nennungen wird „Richter Gnadenlos“ ab September 1997zu einem eingängigen Code. Die Presse ist hier - in ihren Mechanismen durchaus mit denen derWerbung vergleichbar - an Markterfolgen interessiert, also an Themen, die dauerhaft eine gewis-se Auflage garantieren oder diese steigen lassen. Für das Publikum entstehen ein Signal- und einVertrautheitseffekt: Man reagiert mit Aufmerksamkeit auf das schon bekannte Spektakuläre, ist neu-gierig auf den biographischen Verlauf, freut sich zugleich über den Wiedererkennungswert bei einem Menschen, selbst wenn man ihn ablehnt.

Auf dem Höhepunkt der Medienaufmerksamkeit wird die Person selbst zur Nachricht. Besondersdas Privatleben öffentlicher Personen ist seit den 1990er Jahren zu einem wichtigen Unterschei-dungs- und Erfolgsmerkmal der Berichterstattung geworden. Zugleich nimmt die Wahrscheinlichkeitzu, dass eine auch privat „interessante“ Geschichte politische Beachtung schafft (Amerikanisierungder Politik). Schill ist zu einem Prominenten geworden. Dies ist dabei der zentrale Prozess: Ausder episodischen Berichterstattung erwächst die Prominenz, die, sich gegenseitig verstärkend, dieGrundlage für politischen Populismus bietet. Bekannt geworden ist Schill durch „Stimmungsur-teile“, sie verschafften ihm Schlagzeilen. Diese verstärkten wiederum seine Bereitschaft, mit politischen Zielen ähnlicher Couleur Öffentlichkeit und Macht durch Gründung einer Partei aus-zuweiten.

Das Medienthema Schill ist ein Beispiel dafür, wie öffentliches Interesse, politische Abläufe undMediendramaturgien ineinander greifen. Dem willigen Akteur wird eine Plattform geboten, auchwenn die Medien ihn nicht aktiv mit positiver Kommentierung unterstützen. Sie verschaffen ihmaber durch Thematisierung zunächst Popularität und dann politischen Erfolg. Mit dem endgülti-gen politischen Misserfolg verschwindet dann allerdings die „Bühne“, weil auch die persönlicheGeschichte nicht mehr interessant ist.

3.2.2.2 „Florida-Rolf“

Auf die deutsche Diskussion über zunehmende Arbeitslosigkeit und die Möglichkeit des Missbrauchsvon Arbeitslosen- und Sozialhilfe trifft Mitte 2003 der Fall von „Florida-Rolf“, eines Empfängersvon staatlicher Unterstützung, der seinen Wohnsitz im südlichen Staat der USA hat. Nach gelten-dem deutschem Recht kann man als Deutscher unter Umständen auch im Ausland finanzielle Unterstützung beziehen. Die zunächst in den Medien geführte Debatte löst auch eine politische Diskussion über mögliche „Schlupflöcher“ und vermeintlich nicht vertretbare Sonderregeln aus.Das Thema verschwindet allerdings nach einigen Monaten aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Die Politik greift den Fall noch ab und zu im Parlament auf, diskutiert ihn hier aber ebenso als Bei-spiel für Medieneinfluss wie unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit oder des Sozialneids.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 24: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

24

Medienkarriere

Im August 2003 tauchen in der „Bild“ die ersten Schlagzeilen zum 64-jährigen „Florida-Rolf“ auf.Anders als bei Schill sucht der Hauptprotagonist der Story nicht selbst die Medienaufmerksamkeit,sondern wird identifiziert als jemand, der als besonders gutes Beispiel für den potenziellen Missbrauch der Sozialhilfegesetze in den Medien repräsentiert werden kann.

Im herrschenden Klima wirtschaftlicher Angst und Unsicherheit reagieren die Bürger besonderssensibel auf vermeintliche oder tatsächliche Unfairness. Zudem gibt es auch immer ein zusätzli-ches Potenzial an Sozialneid.Die Personalisierung („Florida-Rolf“) konkretisiert abstrakte Unsicherheiten und Sozialstrukturen.

Entscheidend für die Wirkung auf die Medienrezipienten ist auch hier, dass ein kreativ erdachterMarkenname eingesetzt wird, der eingängig ist, direkte Assoziationen von Luxus liefert, durch dieVornamen-Nutzung augenzwinkernde Schlitzohrigkeit nahe legt und auch klanglich stimmt. DerProtagonist erfährt nationale Berühmtheit, ohne selbst breit in Erscheinung zu treten. Die emotionaleQualität der Schlagzeilen verstärkt den Effekt.

Zwar ist das Thema im Boulevard geboren, aufgrund der Eingängigkeit und der in der Luft liegendenBrisanz wird es aber auch von anderen Medien aufgegriffen und in der Öffentlichkeit verstärkt. Sotritt per Schalte „Florida-Rolf“ als „Scoop“ in der Premiere des ARD-Nachttalks von SandraMaischberger auf. Sein Auftritt wird wieder in Schlagzeilen weiterverarbeitet („Florida-Rolf jammert bei Maischberger: Kanzler, ich bin kein Sozialschmarotzer!“). Es entsteht eine zeitlich begrenzte Cross-Media-Nutzenstrategie der gegenseitigen PR.

Die „Florida-Rolf“-Geschichte entfaltet ihre Wirkung durch eine Ausweitung und Generalisierungauf andere, ähnliche Bereiche bzw. durch den öffentlichen Druck, den sie auf die Politik ausübt.Bereits Anfang September 2003 berichten die Medien über Initiativen des Kanzlers und der Sozialministerin, die Gesetzeslage zur Sozialhilfe zu ändern.

Die intensive Medienberichterstattung über „Florida-Rolf“ endet so schnell, wie sie begonnen hat.Sie hat jedoch Spuren hinterlassen:

Der Begriff hat sich eingeprägt und ist nach wie vor geläufig.In Institutionen und Politik hat man eine hohe Themensensibilität gegenüber möglichen Missbrauchsfällen bewahrt, um nicht in einer ähnlichen Nachrichtenlage zu landen.

Der Bundestag hat am Beispiel von „Florida-Rolf“ den Einfluss der Medien auf die Agenda diskutiert mit dem Tenor, dass es eine Verbindung zwischen Medieneinfluss und Handlungsdirek-tive gebe.

„Florida-Rolf“ ist als konkretes Thema eine nicht einmal vier Wochen in den Medien präsente Geschichte. Trotzdem hat sie in dieser Zeit eine hohe publizistische und politische Schlagkraft ent-wickelt, die in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute fortwirkt. Die Kombination aus ein-gängigen Bildern, konzentrierter Berichterstattung und Treffen des sozialen Nervs schafft eine lang-fristig im Gedächtnis bleibende Story.

Bedeutsam ist in diesem Fall, dass sein Höhepunkt in einer auch publizistisch breit rezipierten Gesetzesänderung besteht. Hier kann man von direktem Medieneinfluss sprechen: Die Geschich-te führte zu öffentlicher Aufmerksamkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit zu politischem Druck,dieser zu politischem Handeln und damit zum auch faktischen „Erfolg“ der Geschichte.

„Florida-Rolf“ ist geradezu ein Schulbeispiel für die Wirksamkeit einer Pressedynamik, bei der einlatentes Meinungsklima im Medienmarkt aufgegriffen, am Beispiel eines prägnanten Falles ver-dichtet und zugespitzt und vor allem über Personalisierung und Skandalisierung zu persönlichemDruck und schließlich Handeln weitergeführt wird.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 25: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

25

3.2.2.3 Theo van Gogh

Der niederländische Publizist und Regisseur Theo van Gogh, Großneffe des Malers van Gogh, wirdim November 2004 auf der Straße von einem sich als religiös motiviert bezeichnenden Marokko-stämmigen ermordet und erhält damit postum internationale Medienbekanntheit. Als Hauptgrundgibt der Täter einen Film van Goghs an, der die Benachteiligung der Frau im Islam mit provoka-tiven Mitteln anklagt.

In den Niederlanden war van Gogh bereits lange als Essayist und Rundfunkpersönlichkeit bekannt.Als „kontroverse“ Figur des öffentlichen Lebens nahm er regelmäßig zu aktuellen Ereignissen oderZeitphänomenen Stellung und bezog dabei zuspitzende Positionen jenseits des herkömmlichenLinks-/Rechts-Spektrums.Der Tod van Goghs wurde in der internationalen Berichterstattung unter anderem in den Kontextdes Terrorismus gestellt und als Teil einer grenzüberschreitenden Entwicklung beschrieben.

Medienkarriere

Für den Medienfall van Gogh ist ein kulturelles und mediales Paradoxon der Niederlande bedeut-sam: Das tolerante Gesellschaftsklima (Stichwort „Multikulturelle Gesellschaft“) hatte eine Situationder Unsicherheit geschaffen - die Konfrontation mit anderen ethnischen Gruppen niedriger Bil-dungsschicht, deren Akzeptierung und Integration man von den Einheimischen erwartete, führtezu einem zunehmenden Gefühl der Bedrohung. Publizistisch fanden allerdings die brisanten Themendiskussionen (tolerant gegenüber intolerant; Rolle der Frau innerhalb nicht-christlicher Religionen) kaum statt. So war gerade in den Medien ein Vakuum entstanden, das nur darauf „war-tete“, von den „richtigen“ Protagonisten gefüllt zu werden. Zu einer zentralen Figur wurde hier PimFortuyn. Publizist und Essayist, der seine Popularität als „Querdenker“ und „Exzentriker“ nutzte,um das latente Unwohlsein vieler Bürger aufzugreifen, in den Medien zu thematisieren und zumFokus aktiver eigener Politik zu machen. Kurz vor seiner wahrscheinlichen Wahl zum Minister-präsidenten wurde er auf dem Studiogelände des niederländischen Rundfunks von einem fanati-schen, selbsternannten Ökologie-Aktivisten erschossen. Dieser Mord stürzte das Land in eine lautvieler Meinungen seit hunderten von Jahren nicht erlebte Identitätskrise.

Theo van Gogh entstammte dem gleichen kulturellen und intellektuellen Milieu, war allerdings politisch anders ausgerichtet. Er verdichtete in Essays, Rundfunkauftritten (u.a. auch in einerFernsehdiskussion mit dem Autor dieses Berichts) und filmischen Werken das für die Niederlan-de brisante Thema der kulturellen Konflikte.

Auch in den Niederlanden hatten populistische Ideen um sich gegriffen. Ähnlich wie bei Schill schufdie Verbindung aus Medienprominenz und einfachen Ideen ein Klima des Lösungsdrucks gegenüber der Politik, das jedem entsprechenden Einfall Schlagzeilen garantierte.

Van Gogh beging einen gezielten Tabubruch, indem er dem gesellschaftlichen Comment nicht mehrfolgte, dass man religiöse Gefühle der anderen zu achten habe.

Die öffentliche Spannung baute van Gogh wohl am stärksten dadurch auf, dass er ein Paradoxonschuf. Für die Lust an der Provokation gab (und gibt) es durchaus ein empfängliches Klima. Dassaber die Provokation die Toleranz gegenüber der „Intoleranz“ einer anderen Gruppe aufgab, schufeinen enormen, nicht unmittelbar lösbaren Zwiespalt.

Mit der Ermordung Theo van Goghs werden die bislang innenpolitischen Themen „Toleranz“ und„Integration“ schlagartig zu Themen der internationalen Medien, auch im Zusammenhang mit derAngst vor kulturellen Konflikten und Terror.

Das Thema Gleichberechtigung rückte als Faktor des Zusammenlebens verschiedener ethnischerGruppen jetzt wieder ins Blickfeld.

Dass es in den bislang toleranten und eher friedlichen Niederlanden nun zu zahlreichen Aus-schreitungen gegen islamische Einrichtungen kommt, wird auch in Deutschland publizistisch mit

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 26: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

26

einem innenpolitischen Akzent verfolgt in dem Sinne, dass man der Stimmung in der Bevölkerung,selbst der besonders integrierenden Niederlande, hier stärker durch eine restriktive Sicherheits-politik entgegenkommen müsse. Der Fall van Gogh wird also als mahnendes Beispiel übernom-men.

Das außenpolitische Thema van Gogh illustriert allerdings auch die häufig begrenzte mediale„Nachhaltigkeit“ eines Ereignisses aus den meisten anderen Ländern. Als exemplarisch für das europäische Toleranz-, Werte- und Sicherheitsproblem sorgte der Fall zwar noch für einige Qualitätsessays, u.a. auch über die Niederlande allgemein, verschwand aber, anders als im eige-nen Land, schnell wieder aus den deutschen Medien.

In den Niederlanden haben die Morde an Fortuyn und van Gogh eine grundlegende publizistischeDebatte über eine Eingrenzung der Immigration ausgelöst. Die früheren Positionen der Ermorde-ten hatten gerade das Fehlen einer kritischen, auch nur neutralen Medienagenda bemängelt. Durchdas Nicht-Aufgreifen des besorgten Meinungsklimas großer Teile der Bevölkerung habe überhaupterst die Eskalation geschehen können - die dann letztlich zum Tod der Kritiker selbst führte.Während die Niederlande so im Nachhinein das „Trauma“ zu hoher Toleranz zu verarbeiten hatten, führte in Deutschland die ständige Befürchtung, wieder das Trauma zu geringer Toleranzerleben zu müssen, aufgrund der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit (Antisemitismusund Ausländerdiskriminierung) zu einer sehr vorsichtigen Berichterstattung. Das Dilemma zwischenGrenzen der Toleranz, innerer Sicherheit und dem Betonen der eigenen Werte wurde thematisiert,ohne dabei eine Einschränkung der Rechte kleinerer Gruppen zu propagieren.

3.2.2.4 Tsunami

Am 26. Dezember 2004 löst ein Seebeben eine Flutwelle aus, die sich über tausende von Kilometernausbreitet und zu einer meterhohen Überschwemmung der Küstenregionen Indonesiens, Sri Lankas, Indiens, Thailands, der Malediven, vieler kleinerer Inseln sowie Teilen von Ostafrikaführt. Mehrere hunderttausend Menschen sterben; kurz danach startet eine weltweite Hilfsaktionaus Rettungsmaßnahmen, Spenden und Wiederaufbauinitiativen. Aufgrund der Feriensaison befindensich viele europäische, australische und amerikanische Touristen vor Ort und sind ebenfalls als Opfer zu befürchten. Monate später kommt es in der Nähe Indonesiens wieder zu Seebeben, auchmit Opfern, die Wirkungen sind aber nicht vergleichbar. Im September 2005 schließlich über-schwemmt als Folge eines Hurrikans eine Flut die Stadt New Orleans. Der Bezug zum Tsunamiwird dadurch hergestellt, dass in den Medien Bilder, Todesopfer und finanzielle Kosten miteinan-der verglichen werden. Die Zahl der Todesopfer scheint im öffentlichen Vergleich bei einemBruchteil derer des Tsunami zu liegen, die finanziellen Kosten werden als wesentlich höher beziffert.

Nach den verheerenden Verwüstungen beginnt sehr schnell der Wiederaufbau. In manchen Gegendenwird auch der Tourismus schon Wochen später wieder aufgenommen.

Medienkarriere

Fast eine Art Kontrollfall im Sinne der Feldforschung, weicht der „Tsunami“ in mehrerer Hinsichtvon den anderen Mediengeschichten „Ronald Schill“, „Florida-Rolf“ und „Theo van Gogh“ ab. Er ist nicht von Menschen verursacht, folgt keinerlei politischen Interessenslage und schließt nurbegrenzt an ein bestehendes gesellschaftsaktuelles Thema an. Die Art und Weise der Berichter-stattung ist dennoch kennzeichnend für die derzeitigen und künftigen Merkmale der Medienent-wicklung.

Das Ausmaß der Katastrophe entzog sich der Entscheidung, ob man überhaupt oder evtl. nationalbegrenzt darüber berichtet. „Florida-Rolf“ war ein rein deutsches Ereignis geblieben, Schill wurde in den Medien auch des Auslands begrenzt zur Kenntnis genommen, aber eher als Teil einer internationalen Populismus- und Protestentwicklung, van Gogh erhielt vor allem im Rahmender Integrationsdebatte Aufmerksamkeit. Denn der Tsunami war in vielerlei Hinsicht global ein-malig: Nie zuvor hatte eine Naturkatastrophe ein so großes Gebiet betroffen. Sie kam völlig über-raschend, anders als zum Beispiel die Hurrikans des September 2005 oder auch die Erdebeben inJapan oder Kalifornien, mit deren Ausbruch man jederzeit rechnet.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 27: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

27

Weltgeschichtliche Ereignisse wie der Tsunami überragen tage- oder wochenlang die anderenThemen der Berichterstattung; es entsteht Thementotalität. Zahllose Seitenstränge der Geschich-te, vom Schadensbericht über die Ursachenanalyse bis hin zu wirtschaftlichen und politischen Aus-wirkungen und selbst religiösen Fragen, füllten die Medien. In einigen Verkaufszeitungen wurdeder Tsunami in die Nähe der Apokalypse oder des von Gott Verlassenseins gerückt.

Als Thema bediente der „Tsunami“ eine zunehmende Besorgnis, der Mensch könne die Naturge-walt weit weniger im Griff haben, als immer wieder suggeriert, und er könne sogar selbst Verur-sacher immer größerer Naturkatastrophen sein, wie es mit der Zunahme extremer Hurrikane, imZusammenhang mit globaler Erwärmung und Ozonloch diskutiert wird.

Zwar nicht kausal begründbar, korrelierte das Ausmaß der Katastrophe dennoch mit den Globali-sierungsängsten in anderen Bereichen, zum Beispiel den wirtschaftlichen Veränderungen oder in-ternationalen Krisen.

Die Aufmerksamkeit (und Nervosität) gegenüber vermeintlich oder tatsächlich ähnlichen Ereignissennahm vorübergehend zu. Innerhalb der Themensensibilität erfuhr jede mögliche Wiederholung desPhänomens höhere Beachtung, siehe auch die Berichterstattung zu den Hurrikans in New Orleans,dann Texas 2005.

Die Katastrophe wurde zum Handlungsfeld der Politik; weltweit demonstrierten die Akteure ihr grenzüberschreitendes Zusammenrücken und ihre Entschlossenheit. Etliche Politiker erreichten durchHaltung und Entscheidungen hohes Ansehen; eine direkte politische Instrumentalisierung zumZwecke der Medienpräsenz und -performance war aber (in Deutschland) kaum auszumachen. Diepolitische Agenda prägten im Wesentlichen drei Prinzipien: Beruhigung und Information dereigenen Bürger, Soforthilfe für die Region, schließlich Prävention gegenüber künftigen ähnlichenKatastrophen.

Unter allen hier beschriebenen Fällen besitzt der Tsunami auch quantitativ die mit Abstand höch-ste Berichtsintensität. Die Berichterstattung beginnt fast unmittelbar mit nahezu exklusivem Pres-se- und Rundfunkumfang und ebbt erst allmählich mit immer wieder noch nach Monaten auftau-chenden „Nachgeschichten“ ab. Die Bevölkerung großer Teile der Welt tritt zusammen bzw. wirddurch die Berichte und Bilder zu einer Gemeinschaft zusammengefügt. Dies war für kurze Zeit beim11. September so, trotz der wohl fragwürdig zustande gekommenen Bilder „sich freuender“ Palä-stinenser, das ist so beim Tsunami. Medien können - wie beim Tsunami - ein globales Sentimentder Hilfe und des Zusammengehörens schaffen.

3.2.3 Medien und Politik in Fallbeispielen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die hier analysierten Fälle illustrieren einige Mechanismen, die vielen Medienkarrieren und -konstruktionen gemeinsam sind.

Aufgreifen des gesellschaftlichen Klimas

Für eine erfolgreiche, politisch wirksame Geschichte ist es wichtig, ein explizit vorhandenes oderlatentes gesellschaftliches Klima aufzugreifen. Im Zweifelsfall scheinen hier zum Teil archaischeUnsicherheit und Bedrohungsgefühle eine Plattform zu bieten. Zur Signalwirkung der Medien addiert sich die latente Reaktionsbereitschaft der Rezipienten auf beunruhigende Informationen.Auch bei sachlichen Inhalten erhöht eine Emotion immer die Aufmerksamkeit: Bei Schill betrafdies ein Gefühl krimineller Bedrohung, bei Florida-Rolf das Empfinden sozialer Ungerechtigkeit,bei van Gogh die Integrations- und Terrorfurcht, beim Tsunami die Urängste vor einer allmächti-gen Natur.

Personalisierung

Ob sich die Rezipienten mit einem Akteur identifizieren, ein eher voyeuristisches Interesse an ihmhaben, oder eine Art Bindung in Form von Zuneigung oder Ablehnung eingehen - für die

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 28: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

28

Konstruktion einer Geschichte ist Personalisierung ein zentrales Element. Sofern es nicht von vorn-herein um einzelne Hauptpersonen geht, wie bei Schill oder van Gogh, dienen sie der Konkreti-sierung und Repräsentierung eines zunächst abstrakteren Themas wie bei Florida-Rolf, bzw. tau-chen innerhalb eines Großereignisses wie des Tsunami als Empathie weckende Leitfiguren auf. Überdie hier beschriebenen Fälle hinaus ist dieser Mechanismus besonders auch in der Politikbericht-erstattung nahezu immer wirksam. Die Bundestagswahlen 2005 zum Beispiel demonstrierten diessowohl in ihrer Zuspitzung auf die Kanzlerkandidaten als auch in Bezug auf den fast zum Symbolgewordenen Namen Kirchhoff. Beim Rezipienten sind offenbar Zuneigung und Abneigung, Kon-kretisierung und Bildhaftigkeit am ehesten über einen Personenbezug zu erreichen.

Schaffung eines Markennamens

Ganz ähnlich einer Regel traditioneller Werbung ist für die Konstruktion einprägsamer Geschich-ten die Schaffung eines Markennamens entscheidend. Bis heute hat jeder eine sofortige Assoziati-on, wenn er Schill, Theo van Gogh, Tsunami oder Florida-Rolf hört. Gerade der Letztgenannte istein Musterbeispiel für die Wirksamkeit eines entsprechenden Brandings. Der Name ist einprägsam,weckt bildliche Vorstellungen, ist schlagzeilenträchtig und steht für einen ganzen Sachverhalt.

Visualisierung

Erfolgreiche Mediengeschichten brauchen Bilder. Sie sind omnipräsent und spielen auch eineRolle als spätere Visualisierung im Kopf von vorher (in der Regel im Fernsehen) Gesehenem. Siestellen die Verbindung zwischen - vermeintlicher - Authentizität, Emotion und Sachinformation her.

Jede länger dauernde Mediengeschichte schafft auch ihre eigenen Themententakel. Diese könnensich auf die Hauptakteure beziehen, z.B. auf deren Privatleben wie im Falle Schill. Sie können thematische Pendants aufgreifen (bei Florida-Rolf z.B. „Viagra-Kalle“, der mit der Schlagzeile „Sex-pille vom Sozialamt“ kurzfristige Bekanntheit erreichte) oder Antagonisten aufbauen, z.B. den „ent-schlossenen“ Politiker (Florida-Rolf, Tsunami). Sie können die Aufmerksamkeit auf Aspekte dereigentlichen Story lenken, bei Theo van Gogh z.B. die Rolle der Frau im Islam.

Dramaturgie

Die meisten erfolgreichen Medienkonstruktionen bestehen, ähnlich dem klassischen Drama, aus dreioder mehr Phasen: Aufbau, Höhepunkt(e) und Ausklingen des Themas. Letzteres muss durchaus nichteinhergehen mit einer faktischen Lösung des (politischen) Sachverhalts. Sehr häufig verschwindenEreignisse aus den Schlagzeilen, auch wenn sie immer noch, zumindest für die Betroffenen, rele-vant sind. Typische Beispiele sind lang anhaltende Krisen oder Konflikte, die auch ungelöst durch„mediale Abnutzung“ aus der Öffentlichkeit ausgeblendet werden. In etlichen Fällen kann man auchvon dramatischen Wellen sprechen - van Gogh in den Niederlanden, Schill in Deutschland warenzu Prominenten geworden, die mit voneinander unabhängigen Episoden mehrmals publizistischeHöhepunkte erreichten. Beim Thema „Tsunami“ sind es vor allem Assoziationen durch spätere Er-eignisse wie den Herbst-Hurrikans 2005, die die Geschichte immer noch einmal aufleben lassen.Selbstverständlich stellt jede einzelne Mediengeschichte auch Spezifika dar: So variierte bei den be-schriebenen Fällen die Möglichkeit der Akteure zur aktiven Beeinflussung des Geschehens. Schillnutzte die ihm gewidmete episodische Anfangsaufmerksamkeit der Medien zum Aufbau einer po-pulistischen Partei, Florida-Rolf hatte nahezu keinen Einfluss auf die Medienberichterstattung, vanGogh war selbst aktiver Teil des professionellen Mediensystems, beim Tsunami gab es keinerlei Mög-lichkeit der Geschehenskontrolle. Gerade im Fall der Naturkatastrophe wird aber eine weitere zen-trale Funktion der Medienberichterstattung deutlich, nämlich dem Unkontrollierbaren doch so etwas wie Struktur und Orientierung für das Publikum zu verschaffen, indem man Experten auftretenlässt, Hilfsaktionen initiiert oder politische entschlossene Akteure zeigt.

Variationen von Form und Antagonisten

Auch wenn den meisten Mediengeschichten die Struktur der klassischen Bühne innewohnt, so kannihre dramaturgische Form doch unterschiedlich ausfallen. Zugespitzt formuliert handelt es sich bei„Florida-Rolf“ um einen „Einmal-Bestseller“, bei Schill fast schon um eine „Seifenoper“

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 29: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

29

einschließlich der persönlichen Verstrickungen, bei van Gogh um eine Tragödie, bei der die hoch-gesteckten moralischen Ziele der Hauptperson zu ihrem Tod führten, beim Tsunami um ein „Reality-Format“ ohne den negativen Beigeschmack, bei dem in Echtzeit berichtet wurde.

Auch die Ausprägung von Antagonisten, die einer Mediengeschichte Spannung verschaffen, vari-iert. Sie können zum Beispiel auch so konstruiert sein, dass sie den Hauptakteuren nicht unmittelbargegenüber stehen. Bei Florida-Rolf sind es die Bescheidenen, die eben nicht den Staat „ausnutzen“,beim Tsunami sind es die „Geschmacklosen“, die sich schon Tage später wieder am Strand vergnügen. Bei Schill tauchen im Verlauf der Geschichte mehrere Antagonisten auf: Kleinkrimi-nelle, innerparteiliche Konkurrenten, das Stadtoberhaupt, schließlich ein Ehemann. Bei van Goghist in der ultimativen Zuspitzung der Antagonist sein Mörder. Insgesamt trifft hier zu, was in derRegel als Basis für erfolgreiche politische Öffentlichkeit angenommen wird, dass erst im Spiel und Gegenspiel von Antagonisten das Publikumsinteresse an der politischen Bühne entsteht. Dessen Feh-len wird z.B. für die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber Europa-Themen verantwortlich gemacht.

Internationale Dimension

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Verallgemeinerbarkeit bis hin zur internationalen Dimension der Mediengeschichten. „Florida-Rolf“ bleibt nationale Episode, Schill steht allenfallsfür einen internationalen Trend zu Populismus und bürgerlichen Protestparteien, van Gogh wirderst durch den Mord zu einem Sinnbild für die Dilemmata der Integrationspolitik, der Tsunami istper definitionem ein publizistisches Weltereignis.

Medien und Politik: Beeinflussungsrichtungen

Auch die Verknüpfung zwischen Medien und Politik unterscheidet sich in beiden Geschichten. „Florida-Rolf“ resultierte erst durch die Berichterstattung in politischen Entscheidungen, „RonaldSchill“ griff einen Trend auf und verdichtete ihn zu einer politischen Strömung, „van Gogh“ spitz-te antagonistisch gegen eine vermeintlich vorherrschende publizistische Meinung einen Sachver-halt weiter zu und erzeugte schließlich sogar unfreiwillig direkten politischen Handlungsdruck. Beim„Tsunami“ schließlich können alle, Medien und Politik, nur reagieren und schließen sich vor allem zu einer Art Weltgemeinschaft zusammen.

3.2.4 Ausblick

Ob Qualität oder Boulevard, Presse oder Fernsehen - die genannten Fälle beziehen ihre Medien-struktur noch sehr stark aus einer allmählich gewachsenen Form des professionellen Journalismus.Einige der Ereignisse haben aber bereits ein Licht auf die schnellen Veränderungen der Medien-landschaft (und in der Konsequenz zweifellos auch ihrer Gesetzmäßigkeiten) geworfen:

Durch immer mehr technische und inhaltliche Angebotsoptionen (Breitband, Mobilkommunikati-on, Gratis-Presse) wird sich der Wettbewerb um Aufmerksamkeit noch einmal verschärfen, wirdentsprechend die Suche nach interessanten Medienkonstruktionen wieder zunehmen.

Durch den Zugriff jedes Amateurs auf alle Elemente der Verwertungskette, jeder Generierung,Bearbeitung und Verbreitung bis hin zu Weblogs entsteht eine Infrastruktur, die im besten Fall Demokratie und Mediokratie noch näher zusammenwachsen lässt, im schlechtesten Fall aberdurch Mangel an Professionalität und journalistischer Verantwortung auch Gerüchten und Ver-schwörungstheorien Vorschub leistet.

Insgesamt mag ein Aufklärungsparadoxon entstehen: Wir verfügen über immer mehr Informatio-nen, können aber immer weniger aufnehmen und orientieren uns an nicht immer sachgerechten Medienkonstruktionen.

Die Medien haben insgesamt einen starken Einfluss auf die politische Agenda, ihre Inszenierungschafft Beachtung. Immerhin wächst mit ihrer Vielfalt auch die Kompetenz des Publikums. Einesscheint dabei zuzutreffen: Die so entstandene Kompetenz schafft auch ein angemessenes Feinge-fühl für die Authentizität von Geschichten und Personen.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 30: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

30

3.3 Struktureller Populismus – Verändern die Medien das Politische?

Prof. Dr. Frank DeckerSeminar für Politische Wissenschaft, Universität Bonn

3.3.1 Politischer Populismus - erfolgreich (auch) bei den Medien

Wenn vom Populismus die Rede ist, so denkt man unweigerlich an jenen Typus neuer Parteien, derin vielen westlichen Demokratien seit Mitte der 1980er Jahre aufgekommen ist und sich in den Par-teiensystemen zum Teil dauerhaft etablieren konnte. Dabei handelt es sich überwiegend um Par-teien des rechten politischen Spektrums, auch wenn diese Klassifizierung nicht in allen Fällen ein-deutig war - man denke nur an die libertäre Populismus-Variante des Niederländers Pim Fortuyn.

Die Wissenschaft hat dem Phänomen des neuen Rechtspopulismus zunächst wenig Aufmerksam-keit geschenkt. Es herrschte die Erwartung vor, dass die neuen Parteien über kurz oder lang vonder Bildfläche wieder verschwinden würden. Entsprechend sah man in ihnen vor allem Protest-phänomene, die punktuell auf bestimmte, von der parteipolitischen Klasse vernachlässigte Themenbezogen seien, und verband dies mit der Gewissheit, dass die etablierten Vertreter ihnen diese Themen bald wieder entwinden würden. Nachdem diese Erwartung bis Mitte der 1990er Jahre nichterfüllt wurde, erwachte das Interesse insbesondere der Politikwissenschaft am neuen Rechtspo-pulismus allmählich. Angestoßen durch die Ereignisse in Österreich, den Niederlanden und Frank-reich setzte dann ausgangs des Jahrzehnts ein regelrechter Boom in der Forschung ein, der nochimmer andauert.

Dem neuen Populismus war die Aufmerksamkeit der Medien schon früher gewiss, kommen dochdie schillernden Anführer der populistischen Parteien in ihrer Fähigkeit zur Selbstdarstellung denjournalistischen Sensations- und Neuigkeitsbedürfnissen hervorragend entgegen. Der Blick rich-tete sich hier also weniger auf die Nachfrageseite - die Frage nach den tiefer liegenden Gründenfür den Erfolg der Newcomer - und mehr auf die Angebotsseite. Es dominierte der Blick auf dieParteien selbst, die in ihrem Zuschnitt und Selbstverständnis ganz anders waren als die her-kömmlichen Parteien, die Formen ihres Auftretens und der Wählersprache, die von ihnen benutz-ten agitatorischen Stilmittel und - nicht zuletzt - ihre Betonung des Prinzips der charismatischenFührerschaft.

Natürlich war diese Seite der neuen Parteien den wissenschaftlichen Beobachtern nicht entgangen.Allerdings prophezeite man auch in dieser Hinsicht dem Phänomen keine große Beständigkeit. Sowie die populistische Agitation irgendwann nicht mehr steigerungsfähig sei und sich dann totlau-fen würde - glaubte man -, so würden sich auch die charismatischen Eigenschaften des Führers mittel- und langfristig verbrauchen. Der dann eintretende Niedergang der Partei könne nur abge-wendet werden, wenn es ihr gelinge, das persönliche in offizielles Charisma zu verwandeln, alsodie Partei auf eine stabile organisatorische Grundlage zu stellen. Weil es den Populisten am Sinnfür die Notwendigkeit geregelter demokratischer Strukturen mangele, sah man sie dazu aber nichtin der Lage.

Vieles davon ist tatsächlich eingetreten, wenn man an Parteien wie die Liste Pim Fortuyn, die dänische Fortschrittspartei oder die Schill-Partei in der Bundesrepublik denkt, die in erster Linieam eigenen Unvermögen gescheitert sind. Am deutlichsten offenbarten sich die Professionalitäts-defizite und inneren Widersprüche des Rechtspopulismus dort, wo die Parteien zur Übernahme vonRegierungsverantwortung bereit waren. Die Folgen des Entzauberungsprozesses waren dann in derRegel das vorzeitige Ende der Regierung und ein dramatischer Absturz der Rechtsparteien in derWählergunst (so in Österreich, den Niederlanden und in Hamburg). Lediglich in Italien scheint Berlusconis Forza Italia die Regierungsrolle nicht wirklich geschadet zu haben. Sie würde eine Neuwahl wahrscheinlich ohne massiven Stimmeneinbruch überstehen - trotz einer mehr als bescheidenen Regierungsbilanz. Der Hauptgrund dafür liegt zum einen in der starken Polarisierungder italienischen Politik, die es Berlusconi ermöglicht, gegen die vermeintlichen Machtbastionender Linken (insbesondere in der Justiz) im Stile eines Oppositionspolitikers zu Felde zu ziehen. Dadurch kann er sein eigenes Lager zusammenschweißen. Zum anderen verfügt Forza Italia auf

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 31: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

31

der Angebotsseite über Ressourcen, von denen andere Parteien nur träumen können. Die Ver-quickung von unternehmerischer, politischer und Medienmacht in einer Person, die Berlusconis Regierung schon jetzt zur längsten amtierenden der Nachkriegszeit gemacht hat, ist in den west-lichen Ländern ohne Beispiel.

3.3.2 Niedergang populistischer Parteien - Gründe

Trotz dieser Besonderheiten fügt sich der italienische Fall (zu dem neben Forza Italia auch die regionalistische Lega Nord Umberto Bossis gehört) in das Bild eines allgemeinen Erschöpfungs-zustandes, das den europäischen Rechtspopulismus seit geraumer Zeit umgibt und sich in nach-lassender Wählerunterstützung widerspiegelt. Diese Erschöpfung lässt sich im Wesentlichen aufdrei Entwicklungen zurückführen.

1.) Zunächst ist da die Unfähigkeit der populistischen Parteien selbst, sich in organisatorischer undpolitikinhaltlicher Hinsicht zu konsolidieren. Hier haben wir es letztlich mit einem für sie unaus-weichlichen Dilemma zu tun: Beschreiten die Populisten den Weg von der Fundamentaloppositonzu einer verantwortlichen Regierungspartei und nähern sich auch im Inneren den Strukturen derherkömmlichen Parteien an, dann drohen sie sich jener Protestwählerschaft zu entfremden, der sieihren Erfolg maßgeblich verdanken. Verharren sie dagegen in der Oppositionsrolle und radikali-sieren sie sich noch mehr, laufen sie Gefahr, ihr Wählerpublikum zu langweilen oder zu ver-stören, das dadurch in die Arme der „Altparteien“ zurückgetrieben werden könnte. Den ersten Weghat bisher noch keine Partei wirklich konsequent beschritten, so dass wir die These nicht letztgültigüberprüfen können. Für die zweite These lassen sich dagegen schon heute einige Anhaltspunktefinden. Als die neuen rechtspopulistischen Parteien in den 1980er Jahren auf den Plan traten,weckte ihr politischer Stil Neugier und wirkte in mancherlei Hinsicht sogar befreiend. Sie kontertendie biedere, allzu seriöse Politik der etablieren Parteien mit bewussten Verstößen gegen die poli-tische Korrektheit und einem Auftreten, das primär auf hohen Unterhaltungswert abzielte. Ihr politischer Pioniergeist fügte sich trefflich in die Aufbruchstimmung des neuen Marktes und dashedonistische Klima der Spaßgesellschaft, das den gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist inden 1990er Jahren prägte. Nachdem diese Phase spätestens 2001 zu Ende gegangen und eine neueÄra der Ernsthaftigkeit angebrochen ist, passt das spielerische Auftreten der Populisten immer weniger in die politische Landschaft. Statt Tabubrüchen und einer Politik der Beliebigkeit sind wieder substanzielle Problemlösungen gefragt. Weil sie auf diesem Gebiet nichts anzubieten bzw.ihre diesbezügliche Unfähigkeit schon bewiesen haben, büßen die Populisten einen Teil ihrer vor-maligen Wählerunterstützung ein.

2.) Der zweite Grund für die nachlassenden Wahlerfolge liegt in der veränderten politischen Agen-da. Die Rechtspopulisten sind hier in gewisser Weise ein Opfer der eigenen Erfolge geworden. Auchdort, wo die etablierten Parteien sich einig waren, sie von der Macht fernzuhalten, haben die Herausforderer deren Agenda im eigenen Sinne geprägt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf daswichtigste Mobilisierungsthema der Rechtsaußenparteien: die Zuwanderungsfrage. Nachdem dieEinwanderungsregelungen in fast allen europäischen Ländern verschärft wurden und die Absagean einen falsch verstandenen Multikulturalismus inzwischen Allgemeingut geworden ist, bieten sichden Populisten hier immer weniger Gelegenheiten. Auf der anderen Seite gewinnen im Zuge desglobalen Standortwettbewerbs Verteilungskonflikte an neuer Bedeutung, die in der Agenda derrechtspopulistischen Parteien bisher vernachlässigt wurden bzw. nur im Zusammenhang mit demidentitätspolitischen Thema der Zuwanderung vorkamen. Hier könnte ein Grund für den Stimmenzuwachs liegen, den linkssozialistische und -populistische Parteien in vielen europäischenLändern in jüngster Zeit erzielt haben; offenbar sind diese Parteien in der Lage, den Protest der sogenannten Modernisierungsverlierer glaubwürdiger zu adressieren als die Rechtspopulisten.

3.) Die dritte Erklärung kann hier nahtlos anknüpfen: So wie den Herausforderern die Protestin-halte von den etablierten Vertretern immer mehr abgenommen worden sind, so haben diese auchdie Vorzüge der populistischen Wähleransprache erkannt und nutzen sie für sich - allerdings ohnedie für die Rechtspopulisten typischen Entgleisungen. Zumal das mediale Terrain Fernsehen besetzen sie inzwischen so umfassend, dass die Herausforderer zunehmend das Nachsehen habenund mit ihren Botschaften nicht mehr durchdringen können.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 32: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

32

3.3.3 Wandlungstendenzen: Populismus in den etablierten Parteien

Wenn der Populismus - so meine These - auch als Politikstil in die Sphäre der etablierten Partei-en immer weiter vorgedrungen ist, so liegt der Grund dafür nicht allein in dem vordergründigenMotiv, den Populisten ihre Unterstützung zu entziehen, sie gewissermaßen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Die populistische Überformung des politischen Prozesses verweist vielmehrauf ganz grundsätzliche (strukturelle) Wandlungstendenzen des Parteienwettbewerbs und Regie-rungsgeschehens in den modernen westlichen Demokratien, deren Triebfedern sowohl auf der Nach-frage- als auch auf der Angebotsseite liegen.

Den Wandel werde ich im Folgenden als „plebiszitäre Transformation“ des politischen Prozessesapostrophieren. Sein Hauptkennzeichen liegt in der abnehmenden Bedeutung von klassischen Ver-mittlungsinstitutionen wie Parlament und Parteien, die durch direkte Beziehungen zwischen Regierung und Wahlvolk ersetzt bzw. überlagert werden. Größter Profiteur dieser Überlagerung sinddie Medien. Informations-, Artikulations- und Sozialisationsfunktionen, die früher noch überwie-gend von den Parteien und anderen Vermittlungsinstitutionen wahrgenommen wurden, liegen heute immer mehr in ihrer Hand. Die populistischen Neugründungen sind ein Symptom dieser Entwicklung, nicht ihr eigentlicher Grund. Gewiss haben sie den Wandel offensiver vorangetrie-ben als die etablierten Kräfte. Charakteristisch dafür ist z.B., dass einige ihrer Vertreter in der Wähler-ansprache deutliche Parallelen zu den amerikanischen Parteien aufweisen, die das plebiszitäre Modell in der bisher reinsten Form verkörpern (z.B. Forza Italia, FPÖ). Darüber hinaus treten dieRechtspopulisten fast überall für die Einführung oder stärkere Inanspruchnahme direktdemokra-tischer Beteiligungsformen ein, um die Macht der repräsentativen Institutionen zu beschränken. Diese Bemühungen dürfen den Blick auf die tieferliegenden Ursachen des Wandels aber nicht ver-stellen, die systembedingt sind, das heißt, mit der Funktionsfähigkeit der Demokratie selbst zu tunhaben.

Exkurs

So wie sie als politisches System in einem Großteil der Welt heute real existiert, bildet die Demokratie eine Synthese aus zwei normativen Prinzipien: der Volkssouveränität (die man auchals demokratisches Prinzip im engeren Sinne bezeichnen könnte) und der Verfassungsstaatlichkeit.Beide liegen in einem komplementären Spannungsverhältnis zueinander. Postuliert das Demo-kratieprinzip eine Regierungsform, in der Herrschaft stets unter Berufung auf den Willen desVolkes bzw. der Mehrheit des Volkes ausgeübt wird, so ist der Verfassungsstaat die Antwort auf dasParadoxon, dass sich eine solche Demokratie mit demokratischen Mitteln selbst abschaffen kann(wenn es das Volk bzw. die Mehrheit des Volkes so beschließt). Verfassungsstaatliche Strukturenlaufen also auf eine Befestigung der Demokratie hinaus, indem sie deren Herrschaftsanspruch begrenzen. Sie sorgen dafür, dass die vom Volk bestellten Herrschenden in ihrer Machtausübungkontrolliert werden und definieren einen Bereich geschützter Rechte, über die keine demokratischeMehrheit - sei sie auch noch so groß - verfügen kann. Institutionell durch verschiedene Formen derorganschaftlichen Gewaltenteilung verbürgt, findet das verfassungsstaatliche Prinzip seinen sicht-barsten Ausdruck heute in der justiziellen Normenkontrolle.

Wird die Reichweite des demokratischen Herrschaftsanspruchs durch die Verfassung äußerlich begrenzt, so unterliegt das Prinzip der Volkssouveränität auf der anderen Seite auch immanentenSchranken. Allein aufgrund ihrer Größe können die demokratischen Systeme das Herrschaftspro-blem nur mittels Repräsentation lösen. Volkssouveränität heißt also nicht, dass das Volk selber dieRegierungsgeschäfte führt, sondern dass es bestimmte Personen oder Personengruppen beauf-tragt, die Regierungsgewalt stellvertretend in seinem Namen und Interesse auszuüben. Faktisch hatdas zur Folge, dass neben die Herrschaft der Vielen die Herrschaft der Wenigen tritt. Realistischbetrachtet ist eine Demokratie ohne ausgewähltes Führungspersonal, das die Leitungsfunktionenübernimmt und über entsprechende Machtprivilegien verfügt, nicht vorstellbar. Die Frage lautet nur,ob das auch so sein sollte. In der normativen Demokratiediskussion scheiden sich daran bis heutedie Geister.

Die Grundkontroverse zwischen konstitutioneller und „populistischer“ Demokratieauffassungspiegelt sich also auch in der Interpretation des Volkssouveränitätsprinzips wider. Die einen sehen

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 33: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

33

die Regierungsgewalt am besten in der Hand einer qualifizierten Führungsgruppe aufgehoben, dieihre Verantwortung für das Volk allein aus der Sache heraus wahrnimmt, ohne den wechselndenStimmungen und Meinungen des Publikums nachzulaufen; die anderen halten dafür, dass dem Volkein möglichst unmittelbarer Einfluss auf die Politik zugestanden werden muss, weil nur so einHöchstmaß an Übereinstimmung zwischen Regierenden und Regierten zu erreichen sei. Die repräsentative stimmt mit der konstitutionellen Demokratiekonzeption in der Betonung des deli-berativen Charakters der politischen Entscheidungsprozesse überein; sie ist deshalb auf eine mög-lichst breite Interessenberücksichtigung hin angelegt.

Die populistisch-plebiszitäre Demokratiekonzeption setzt demgegenüber anstelle des geduldigenAushandelns die Dezision. Sie möchte die vorhandene Interessenvielfalt in einer mehrheitsdemo-kratischen Entscheidungsbefugnis aufgehoben sehen, die auf Ausgrenzung beruht und damit polarisierend wirkt. Von daher erklärt sich auch das Bedürfnis nach homogenen Identitätskon-struktionen, der Drang, das Volk als vorgestellte Einheit nicht nur im Inneren gegen die herrschendenEliten, sondern auch nach außen hin von anderen Völkern und Nationen zu unterscheiden; dies weistden Populismus als eine im Kern antipluralistische (oder antiliberale) Ideologie aus.

Die plebiszitäre Transformation des politischen Prozesses muss vor dem Hintergrund einer Ent-wicklung gesehen werden, die das Volk in der Vergangenheit vom eigentlichen Regierungsgeschehenimmer weiter abgekoppelt hat. Das liegt vor allem in der wachsenden Komplexität der Entschei-dungsmaterien begründet, der das politische System durch Verrechtlichung, Supranationalisie-rung und Informalisierung der Entscheidungsabläufe (und -inhalte) gerecht zu werden versucht. DieFolgen dieser Entwicklung für die Demokratie sind prekär. Denn in dem Maße, wie die Regie-rungsprozesse infolge der komplizierten Probleme technokratischer werden, werden sie für das Publikum zugleich undurchschaubarer und abgehobener. Margaret Canovan hat das einmal als „demokratisches Paradoxon“ der heutigen Politik bezeichnet. Der Populismus stellt eine Reakti-on auf dieses Paradox dar. Mit seinem Hang zur radikalen Simplifizierung vermittelt er jenes Gefühl der Eingängigkeit und Transparenz, das in der demokratischen Wirklichkeit offenbar aufder Strecke geblieben ist. Die Gegenbewegung bleibt dabei keineswegs auf die rechtspopulistischenHerausforderer beschränkt. Unterstützt durch den Wandel des Mediensystems greift sie vielmehrauf das gesamte Spektrum der elektoralen Politik über, deren Darstellungslogik sich insofern vonden realen Entscheidungsprozessen immer mehr entfernt. Die Politik wird introvertierter undgleichzeitig extrovertierter.

3.3.4 Konsequenzen des populistischen Politikstils

Als Daniel Bell in den 1960er Jahren seine These vom „Ende der Ideologien“ formulierte, lag derZusammenbruch des Sowjetkommunismus noch ebenso in Ferne wie der beschleunigte Globali-sierungsprozess. So wie die Blütenträume eines sozialistischen oder anderen „dritten“ Weges jenseits des Kapitalismus endgültig verflogen sind, so ist auch die Fähigkeit der demokratisch verfassten Nationalstaaten, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aktiv zu gestal-ten, seither deutlich geschrumpft. An die Stelle autonomer Politik tritt vermehrt der bloße Nach-vollzug heteronomer Sachgesetzlichkeiten. Für die parteipolitischen Akteure erwächst daraus einschwieriges Dilemma. Einerseits kommen sie nicht umhin, sich in ihren programmatischen Stand-punkten und tatsächlichen Handlungen anzugleichen, wenn sie den Sachgesetzlichkeiten Rechnungtragen wollen. Andererseits beruht die Legitimität des in Wahlen ausgetragenen demokratischenWettbewerbs gerade darauf, dass es einen Unterschied macht, wer regiert.

Um beide Anforderungen unter einen Hut zu bringen, haben die politischen „Anbieter“ im Prin-zip drei Möglichkeiten. Die erste Strategie besteht darin, vor der Wählerschaft auf die unter-schiedlichen Details in den Problemlösungen zu verweisen. Sie erscheint am wenigsten praktika-bel - weil die Details in der Regel kompliziert sind und sich nur schwer vermitteln lassen, würdeein ausschließlich an der Sache orientierter Wahlkampf das Publikum im Zweifel überfordern oderlangweilen. Zweitens könnten die Parteien Themen außerhalb der Sozial- und Wirtschaftspolitikaufgreifen, bei denen ihre Positionen stärker auseinander klaffen. Hier wäre insbesondere an wertebezogene Fragen zu denken, in bestimmten Situationen vielleicht auch an die Außenpolitik.Eine solche Strategie funktioniert allerdings nur für den Fall, dass diese Themen auf der Agendaganz nach oben gelangen, was in der Bundesrepublik bislang die Ausnahme gewesen ist (etwa bei

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 34: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

34

der Bundestagswahl 2002). Zudem lässt sich die Priorisierung der Themen von den Parteien in einer pluralistischen Gesellschaft nicht einseitig steuern. Größeren Nutzen verspricht da die dritte Möglichkeit, die den Charakter der heutigen Wahlkämpfe am besten umschreibt: das Ausweichen auf Personalisierung, Inszenierung und politische Symbolik. Ihre Logik besteht darin, den Wettbewerb zu „entsubstanzialisieren“, die Verpackung anstelle des Inhalts zu setzen.

Ein verantwortungsvoller Gebrauch dieser Strategie fällt nicht leicht. Denn hier beginnt zugleichdas Reich der Verführung, wo man unhaltbare Versprechungen macht, eine in Wahrheit längst ver-loren gegangene Handlungsmacht vortäuscht und sich in populistischer Stimmungsmache übt. Geben die Politiker dieser Versuchung allzu sehr nach, drohen sie die Legitimität der gesamten Parteiendemokratie zu untergraben.

Exkurs

In der Vergangenheit war es die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlicher Segmentierung und ideo-logischer Polarisierung, welche die demokratische Funktionalität des Parteiensystems gewährlei-stete und damit zugleich eine Schutzvorkehrung gegen den Populismus bildete. Die Masseninte-grationsparteien waren repräsentativ, indem sie eine klar umrissene politische Identität ausbildeten.Sie standen für die Interessen ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen und waren in deren gesell-schaftlichen Milieus fest verankert. Pflegten die Parteien diese Bindungen, konnten sie sich auf dieUnterstützung ihrer natürlichen Anhängerschaft verlassen. Die Parteien verfügten über gesicher-te Stimmanteile und brauchten sich deshalb um die Stimmen der Konkurrenz nicht sonderlich zuscheren.

Auch nachdem die ideologischen Gegensätze allmählich verblassten und ihr gesellschaftlicher Rück-halt schwächer wurde, gelang es den Parteien zunächst weiter, ihre jeweilige Klientel bei derStange zu halten. Dafür sorgte eine Politik der materiellen Interessenbefriedigung. Die hohenWachstumsraten in der „Goldenen Ära“ des Keynesianismus hielten nicht nur die Arbeitslosigkeitgering, sie führten auch dazu, dass der Wohlfahrtsstaat stetig ausgebaut werden konnten und es füralle genügend zu verteilen gab.

Doch schon in den 1970er Jahren änderte sich das Bild. Wachstumseinbrüche und die zunehmen-de finanzielle Überforderung des Staates machten es schwieriger, die Interessenunterschiede innerhalb der Wählerschaft ökonomisch zu überbrücken. Hinzu kam, dass Teile der Gesellschaft- unter dem Einfluss des Wertewandels - jetzt auch grundsätzliche Zweifel am Verteilungsparadigmahegten. Die Politik geriet in das Dilemma, einerseits die Negativfolgen des auf Wachstum programmierten industriegesellschaftlichen Systems bekämpfen und andererseits die Grundlageneben dieses Wachstums sichern zu müssen. Nachdem die Globalisierung der Finanzmärkte die Möglichkeiten einer nachfrageorientierten Vollbeschäftigungspolitik („Keynesianismus in einemLande“) drastisch eingeschränkt hatte, musste sie dazu verstärkt auf angebotsseitige Maßnahmenzurückgreifen, die in vorhandene Besitzstände eingriffen. Im Kampf gegen die hohe Arbeitslosig-keit mussten Löhne und Lohnersatzleistungen begrenzt und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden.Auch in der Kranken- und Altersversicherung galt es, das Versorgungsniveau zu reduzieren, wennman einen weiteren Anstieg der Arbeitskosten verhindern und zugleich den Auswirkungen des demographischen Wandels begegnen wollte.

Während die konsensdemokratischen Systeme in Schweden, Dänemark oder den Niederlanden mitdiesen Herausforderungen vergleichsweise gut fertig geworden sind, hat die Bundesrepublik dienötigen Reformen lange Zeit vor sich her geschoben. Erst im Jahre 2003 kam es unter der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders zu einer größeren Kraftanstrengung, für die der sozialde-mokratische Teil der Koalition prompt mit massivem Stimmentzug bestraft wurde. Da die SPD ihreWähler vor der Bundestagswahl 2002 über den einzuschlagenden Kurs im Unklaren gelassen hatte, musste sie mit dieser Quittung rechnen. Aus elektoraler Sicht war ihr damaliges Handeln nach-vollziehbar.

Die kompetitive Logik des bundesdeutschen Parteiensystems, nach der die Großparteien um einezunehmend wechselbereite Wählerschaft buhlen müssen, macht die Akteure jedoch nicht unbedingtgeneigt, unangenehme Wahrheiten zu verkünden, wenn sie im Rennen um die Wählergunst die Nase

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 35: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

35

vorn haben wollen. Der Drang zur Mitte wirkt hier in doppelter Hinsicht verhängnisvoll. Zum einen hält er die Parteien davon ab, jenen Mittelschichten, die vom Ausbau des Wohlfahrtsstaatesin der Vergangenheit am meisten profitiert haben, die nötigen Reformen zuzumuten, weil diese dasGros ihrer (potenziellen) Wähler ausmachen. Zum anderen nimmt er ihnen die Fähigkeit - und zumTeil auch den Willen -, die randständigen Bevölkerungsgruppen zu repräsentieren, die fürchten, vomModernisierungsprozess - ökonomisch und kulturell - abgekoppelt zu werden. Diese „Moderni-sierungsverlierer“ stellen - wie oben gesehen - heute die wichtigste Wählerreserve rechtsextremeroder -populistischer Protestparteien dar.

3.3.5 Mitverantwortung der Medien

Wenn die bisher vorgelegte Diagnose stimmt, dann ist von der Politik vor allem Führungswillenund -fähigkeit gefordert. Für die Parteien heißt das z.B., dass ihre programmatische Funktionheute im Zweifel eine noch wichtigere Bedeutung gewinnt als früher, wo sie in erster Linie der ideo-logischen Selbstvergewisserung der eigenen Klientel diente. Die Abstrafung der Agenda-Politik desaus dem Amt geschiedenen Kanzlers hat gezeigt, was passiert, wenn man die politische Richtungständig verändert und die Wähler auf dem einzuschlagenden Weg nicht rechtzeitig mitnimmt.Falsch wäre es aber, die Forderung nach Führung „voluntaristisch“ zu überhöhen. Dieselben Grün-de, die Führung heute so notwendig erscheinen lassen, machen sie zugleich zu einem schwierigenUnterfangen. Dies gilt nicht nur für die eben beschriebenen Versuchungen des Parteienwettbewerbs,das elektorale Interesse über die eigentliche Problemlösung zu stellen. Es zeigt sich auch an anderen Erscheinungsformen des parteiendemokratischen Systems, die eine konsistente und problemlösende Politik „aus einem Guss“ behindern. Der Regierung „handwerkliche Fehler“ vor-zuwerfen, gehört mittlerweile zum Standartrepertoire der Oppositionsparteien. Hier muss die Frage gestellt werden, ob solche Fehler nicht vielleicht auch strukturelle Ursachen haben.

Exkurs

Eine (von der Politikwissenschaft hinlänglich bestätigte) Ursache könnte darin liegen, dass im deut-schen Regierungssystem die Handlungsmöglichkeiten der gewählten Bundesregierung durch eine(zu) hohe Zahl von Vetospielern über Gebühr beschränkt werden. Als Problem erweist sich hier ins-besondere der Föderalismus, der durch seine hochgradig verflochtenen Strukturen zu Entschei-dungsblockaden tendiert, statt ein produktives Zusammenwirken der beteiligten Institutionen undAkteure zu gewährleisten. In normalen Zeiten haben sich diese Strukturen als Fehlervermei-dungssystem glänzend bewährt. Unter Reformstress geraten sie jedoch immer mehr zu einer Fehlerquelle, wie die Verabschiedung des großen Gesetzespaketes zur Steuer-, Gesundheits- undArbeitsmarktreform im Vermittlungsausschuss Ende 2004 eindrucksvoll gezeigt hat. Wenn der Bundeskanzler und die CDU-Vorsitzende glauben, eine so komplizierte Frage wie die Zahner-satzregelung in einem nächtlichen Telefonat mal eben selbst aushandeln zu können, braucht mansich über das Ergebnis nicht zu wundern.

Weiter steigt mit wachsender gesellschaftlicher Differenzierung die Zahl der Akteure und Interessen,die im politischen Prozess berücksichtigt werden wollen. Die Konsequenz ist eine immer raschervoranschreitende Verrechtlichung der sozialen Beziehungen, die sich durch die europäische Integration noch beschleunigt hat. Experten schätzen, dass heute bereits mehr als die Hälfte der nationalen Gesetze allein durch europäisches Recht beeinflusst bzw. veranlasst werden. Um nichtin Handlungsunfähigkeit zu erstarren, muss das politische System diesen Komplexitätszuwachs irgendwie bewältigen. Die dazu eingesetzten Strategien - Auslagerung der Regierungsgeschäfte inspezialisierte Kommissionen, in denen Experten und Interessenvertreter unter sich bleiben, und/oderInformalisierung des Entscheidungsprozesses an der Regierungsspitze - haben allerdings ihren Preis.Indem sie den Handlungsspielraum der Regierung verbreitern, erhöhen sie zwar einerseits die Ent-scheidungseffizienz. Andererseits entwerten sie jedoch die demokratisch verfassten Regierungs-organe und tragen so zur weiteren Delegitimierung des Systems bei.

Die Schwierigkeit politischer Führung rührt nicht zuletzt aus der Ominipräsenz der Medien, die diePolitik heute in einen andauernden plebiszitären Belagerungszustand versetzen. Dies führt dazu, dassdie öffentliche Darstellung der Entscheidungen mit deren tatsächlichem Inhalt und Zustandekommenimmer weniger zu tun hat. Autoren wie Thomas Meyer gehen sogar so weit, von einer „Kolonisierung“

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 36: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

36

zu sprechen, bei der das Mediensystem die Politik seiner eigenen Handlungslogik unterwerfe.

Die Gründe dafür liegen zunächst in der technologischen Entwicklung, die in den 1980er Jahrendurch die Vervielfachung des Programmangebots zu einer Verbesserung der Zugangschancen fürParteien und Politiker zu den elektronischen Medien geführt hat. In Verbindung mit den oben be-schriebenen Versuchungen des Parteienwettbewerbs gewinnt diese ständige mediale VerfügbarkeitBrisanz. Dass die Politiker heute im Fernsehen gut „rüberkommen“ wollen und sich deshalb in der(Selbst-)Darstellung den Gesetzen des Mediums anpassen, wird ihnen im Ernst niemand vorwer-fen. Die eigentlichen Probleme beginnen dort, wo die Darstellungslogik die Oberhand gewinnt undauf die materiellen Entscheidungen zurückwirkt. Wenn die politischen Akteure sich von Stimmungennicht nur leiten lassen, sondern diese Stimmungen selbst aktiv herbeiführen und beeinflussen, danndroht die plebiszitäre Ansprache in Gefälligkeitspolitik und populistische Anbiederung abzuglei-ten. Hinzu kommt, dass die Medien in ihrem Hang zur Personalisierung und Dramatisierung jenenAllmachtsmythos der Politik bestärken, den diese bei der Wählerschaft erzeugen will. In Wahrheitwissen es beide besser. Die Journalisten drehen also einerseits selbst kräftig mit an der Spirale derErwartungen. Auf der anderen Seite stellen sie die Politiker an den Pranger, wenn die Erwartun-gen nicht erfüllt werden bzw. sich als unhaltbar erweisen.

Das heißt aber, dass die Medien für den Ansehensverlust des parteiendemokratischen Systems auchganz unmittelbar verantwortlich sind. Weil negative Berichterstattung mehr Resonanz versprichtals positive, ist die Haltung, die sie der politischen Klasse gegenüber an den Tag legen, grundsätz-lich gegnerschaftlich. Nicht wenige Sozialwissenschaftler sehen hierin den eigentlichen Grund fürden empirisch nachweisbaren Anstieg der Politikverdrossenheit. Bei der Frage, warum die Medi-en immer negativer berichten, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Manche führen diesvor allem auf das veränderte Selbstverständnis der Journalisten (infolge des Generationswechsels)zurück, während andere Autoren die Kommerzialisierung des Mediensystems als Hauptursache hervorheben. Beiden Erklärungen ist gemeinsam, dass sie die negative Darstellung der Politik alsunabhängig betrachten von deren realen Leistungen und Versäumnissen. Nach den hierzu vorlie-genden empirischen Untersuchungen* wurden diese Leistungen von der bundesdeutschen Bevöl-kerung bis Anfang der 1990er Jahre durchaus positiv bewertet - zu einem Zeitpunkt also, als diePolitikverdrossenheit bereits angestiegen war.

Eine Erklärung für diesen Widerspruch* liegt sicher darin, dass die Politiker heute dank der Umfragen besser als früher imstande sind, sich responsiv zu verhalten. Zum anderen stellt die Responsivität nur ein Durchschnittsmaß dar, das die unterschiedliche Dringlichkeit der Themen unberücksichtigt lässt. Es ist also möglich, dass sich die Negativurteile auf diejenigen Themen konzentrieren, die hohe Medienaufmerksamkeit erzielen und von der Bevölkerung als besonderswichtig eingestuft werden. Genauso nahe liegend scheint es aber, die Erklärung in den unter-schiedlichen Gegenständen von „Responsivität“ und „Verdrossenheit“ zu suchen. Während Responsivität die Einstellungen der Bevölkerung zu ganz konkreten Sachfragen (issues) misst, gehtes bei der Verdrossenheit um allgemeine Bewertungen der politischen Klasse und ihrer Institutio-nen. Dass diese häufig vorurteilsbeladen sind und darum im Tenor negativer ausfallen als die Sachurteile, ist nicht sonderlich überraschend. Dies gilt umso mehr, als die mit der Verdrossenheitzusammenhängenden Themen (Amtsmissbrauch, Korruption, Verschwendung von Steuergeldernetc.) aufgrund ihres höheren Nachrichtenwertes von den Medien regelmäßig in den Vordergrundgespielt werden. Hieraus könnte man den Schluss ziehen, dass es sich bei der behaupteten Politikverdrossenheit zumindest teilweise um ein demoskopisches Konstrukt handelt.

* Vgl. Frank Brettschneider, Öffentiche Meinung und Politik. Eine empirische Studie zur Respon-sivität des deutschen Bundestages zwischen 1949 und 1994, Opladen 1995.

3.3.6 Problemlösung - ein Vorschlag

Wir haben festgestellt, dass es in den heutigen westlichen Demokratien einen eingebauten Popu-lismus gibt, der sich in einer plebiszitären Überformung der politischen Prozesse widerspiegelt. Die-se Transformation hat strukturelle Ursachen, die letztlich auf das Regierensgeschehen selbst unddessen zunehmende Komplexität zurückverweisen. Der Populismus (der Herausfordererparteien wieauch der im politischen System eingebaute) stellt wiederum eine Reaktion darauf dar.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 37: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

37

Bemächtigen sich die etablierten Kräfte populistischer Politikinhalte und Stilmittel, so kann daskurzfristig dazu beitragen, das Aufkommen eines systemfeindlichen Populismus von rechts- oderlinksaußen zu begrenzen. Mittel- und langfristig birgt aber auch der eingebaute Populismus Ge-fahren, da er einerseits negative Auswirkungen auf die Entscheidungsinhalte haben könnte, und erandererseits die von der Verfassung vorgegebenen institutionellen Entscheidungsabläufe untermi-niert.

Eine Lösung dieser Probleme könnte vielleicht darin liegen, dass man die plebiszitären Elementeaus der elektoralen Sphäre herauslöst und in die Sphäre der eigentlichen Sachentscheidungen verlagert. Für die Bundesrepublik wäre in diesem Zusammenhang z.B. an eine behutsame Einführungvon Instrumenten der Volksgesetzgebung auch auf Bundesebene zu denken. In dieselbe Richtungweisen die in der neueren Forschung empfohlenen Beteiligungsformen einer assoziativen oder Netz-werkdemokratie, die sachlich und/oder räumlich abgestuft sind und auf eine Stärkung des delibe-rativen Moments bei der Entscheidungsfindung abzielen.

Die Einführung neuer Demokratieformen bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Parteien-wettbewerb seiner elektoralen Funktion gänzlich beraubt wird. Er behält diese Funktion schon deshalb, weil es prinzipiell möglich bleiben muss, eine unfähige oder korrupte Regierung loszu-werden („to throw the scoundrels out“). Für die inhaltliche Politikgestaltung wäre es hingegen besser, das mehrheitsdemokratische Element zurückzudrängen und den Fokus der Demokratisie-rung auf die konsensuellen Entscheidungsmechanismen zu richten, die für neue Mitwirkungs-möglichkeiten geöffnet und in ihrer Responsivität gestärkt werden müssten. Die veränderten Rahmenbedingungen des Regierens führen dazu, dass die demokratische Politik heute nicht weniger, sondern mehr Konsens benötigt. Von daher wächst auch der Bedarf, die Entscheidungs-prozesse durch eine möglichst enge Anbindung an die Betroffenen legitimatorisch abzusichern.

Im Umkehrschluss heißt das: Die Gefährdungen durch den Populismus sind dort am größten, wosie die bereits vorhandenen Konsenseigenschaften des politischen Systems unterminieren. Je mehrsich die plebiszitären Tendenzen Bahn brechen, umso wichtiger werden die freiheitssicherndenSchutzvorkehrungen des Verfassungsstaates. Solange die rechtspopulistischen Kräfte in der Opposition verharren und als reine Protestparteien auftreten, dürfte von ihnen für die ver-fassungsmäßige Ordnung keine unmittelbare Bedrohung ausgehen. Bedenklich wird es erst, wennsie über Regierungsmacht verfügen und ihre plebiszitären Demokratievorstellungen aktiv betrei-ben können. Die Erfahrungen nach der Machtbeteiligung bzw. -übernahme rechtspopulistischer Parteien in Österreich und insbesondere Italien zeigen, dass diese Befürchtungen keineswegs ausder Luft gegriffen sind. Sie können auch nicht durch die Hoffnung aufgewogen werden, dass dieRechtspopulisten an der Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, wie es in Österreichund den Niederlanden zuletzt der Fall war. Der Blick nach Lateinamerika oder Osteuropa machtdeutlich, dass es von der populistischen Demokratie zum quasi-demokratischen Autoritarismus häufig nur ein kurzer Weg ist. Die entwickelten demokratischen Staaten mag das einstweilen nochnicht betreffen. Dennoch sollten sie die vom Populismus ausgehenden Gefahren ernst nehmen und einer plebiszitären Verwandlung ihrer Regierungssysteme schon heute vorsorglich entgegentreten.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 38: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

38

4. Podiumsdiskussion

Teilnehmer:

Helmut Heinen,Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Berlin, und Ge-schäftsführender Gesellschafter, Heinen-Verlag GmbH, Köln,

Prof. Dr. Thomas Meyer,Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund

Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik, Süddeutsche Zeitung, München

Klaus Schrotthofer,Chefredakteur, Westfälische Rundschau, Dortmund

Moderation:

Ingrid Scheithauer, freie Journalistin, Meckenheim

Ingrid Scheithauer: Am Abend der Bundestagswahl (18. September 2005) gab es heftige Schelte für die Medien, und wenige Tage später legte Bundesinnenminister Otto Schily beim Jahreskongress des BDZV noch einmal nach und sagte wörtlich: „Die Medien wollen sich an dieStelle des Souveräns setzen und quasi das Wahlvolk ersetzen.“

Solche Vorwürfe kennt man aus den 1970er, 1980er Jahren, diesmal haben sie aber eine andereQualität. Herr Meyer, weist Herr Schily mit diesen Vorwürfen auf eine etwas hilflose Art auf dieDisfunktionalität des Systems hin, oder ist das die politische Attacke eines enttäuschten Wahlver-lierers?

Thomas Meyer: Schily hat natürlich eine Entlastungsschlacht für Schröder geschlagen nachdieser etwas verunglückten Attacke am Wahlabend. Schröder aber hat aus einer enttäuschten Haltung heraus - nämlich der Enttäuschung dessen, der einstmals der Medienliebling war, auf Kosten seiner eigenen Partei mit medialen Strategien profiliert hat und über diese Strategien dannin der Partei etwas geworden ist - manches überzeichnet.

Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass man differenziert. Wir haben hier die ganze Zeit überMedien und das Mediensystem gesprochen, und es gibt ganz sicherlich eine Reihe von Grundre-geln, von Tendenzen, die im Mediensystem insgesamt zu beobachten sind. Es ist zu unterscheidenzwischen den Qualitätsmedien, die zuverlässig in fast allen Fällen eine differenzierte, informati-onsorientierte oder dann auch klar unterscheidbare Meinungsstrategie verfolgen - und verschiedenenBoulevardmedien, die Kampagnen fahren, die argumentativ nicht abgedeckt sind, also emotiona-le Kampagnen sind. Dasselbe gilt auch für den Rundfunk, hier gibt es sowohl Qualitäts- als auchBoulevard-Elemente.

Aber es ist offensichtlich, dass solche Boulevard-Medien wie die BILD-Zeitung von Anfang bisEnde in einer unfairen Art und Weise eine Kampagne gegen die SPD, gegen Schröder geführt haben. Das kann man anhand von zahlreichen Beispielen belegen. Und Schröder sah eben Partei-lichkeit - da hat er nicht ganz unrecht - bei den meisten Medien, bis hinein in die Qualitätsmedi-en, die ihn von Anfang an als den Verlierer gebrandmarkt haben. Das war wiederum nicht ganzunverständlich angesichts der Tatsache, dass er das Vertrauen im Bundestag verloren hatte, wie erselbst gesagt hatte. Jedenfalls hätte er mehr Offenheit in der Berichterstattung erwartet. Aber er hatdiese Kritik auf eine sicherlich überzogene Art und Weise artikuliert, und Schily als jemand, derihn entlasten wollte, auch.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 39: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

39

Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, Bundesinnenminister Schily war beim BDZV-Kongress zuGast, hat Sie aber nicht sehr erfreut an diesem Tag.

Helmut Heinen: Richtig. Herr Schily hat mit uns eine Kontroverse mit einem Spezialthema,der Durchsuchung der Redaktion von CICERO in Potsdam, begonnen. Insbesondere war die sehrpauschale Medienschelte, die er vorgetragen hat, sehr ärgerlich. Wenige Tage danach wurde vomBundespresseamt noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass dies nicht die Einzelmeinung des Innenministers, sondern Regierungsmeinung sei.

Ich denke, ein großer Teil dieser Verärgerung auf Regierungsseite ist darauf zurückzuführen, dassvermeintlich traditionell der Sozialdemokratie nahe stehende Medien wie Stern, Spiegel, die ARDwahrgenommen wurden als solche, die in diesem Chor der „Schlechtredner“ mit eingestimmt haben. Das zeigt für mich, dass dieser breite Vorwurf eines Kampagnenjournalismus wenig berechtigtist. Ich glaube, was die Presse aufarbeiten muss, ist das Ausruhen auf den Demoskopieergebnis-sen. Dieses blinde Vertrauen auf die anfangs sehr krassen Werte, auf die Kommentare wie nach einer ausgezählten Wahl aufgebaut wurden. Ich denke, das ist ein medieninternes Problem, auf dasman den Finger zu Recht legen kann. Aber mir scheint es weniger berechtigt, hier eine große Krise im Sinne eines breiten Kampagnenjournalismus zu identifizieren. Das ist eher die Reaktionder Betroffenen, die eben Kritik nicht schätzen, insbesondere, wenn sie sich gegen die eigene Person und gegen die eigene Regierung richtet.

Ingrid Scheithauer: Herr Prantl, gab es aus Ihrer Sicht Kampagnenjournalismus in einem etwas überbordenden Ausmaß, oder ist es so, wie Herr Heinen sagt - dass sich da jemand getrof-fen fühlte, wo er mehr Zustimmung erwartet hätte von ehemals nahe stehenden Medien?

Heribert Prantl: Natürlich gab es Kampagnenjournalismus. Ich bin bloß nicht der Meinung vonKanzler Schröder und Innenminister Schily, dass Kampagnenjournalismus einen Missbrauch derPressefreiheit darstellt. Ich bin kein Befürworter von Kampagnenjournalismus, sondern ich meine, er ist letztendlich ein selbst schädigendes Verhalten, weil man so die Glaubwürdigkeit dereigenen Profession kaputtmacht. Aber hier mit der Keule der Pressefreiheit und deren Missbrauchzu kommen, halte ich für falsch.

Nun stellt sich die Frage, wie hat die Kampagne ausgeschaut? Da gibt es mittlerweile alle mögli-chen deftigen Stellungnahmen. Beispielsweise, weil gerade Professor Meyer davon gesprochen hat,dass eigentlich nur das Boulevard richtig anfällig gewesen sei: Ich setze mal die Meinung eines alten taz-Kollegen dagegen, der sagt, dass der Spiegel, das frühere „Sturmgeschütz der Demokra-tie“, spätestens in diesem Wahlkampf umgerüstet worden sei zur „Spritzpistole“ der Angela Merkel. Das ist deftig und heiter formuliert, aber da ist durchaus etwas dran. Und ich denke,Ähnliches kann man auch in anderen, früher als liberal apostrophierten Medien finden. Ich plädiereschon dafür, die massiv überzogene Kritik, zumal die von Schily, nicht einfach abzubügeln,sondern sie als Anlass zur Gewissenserforschung herzunehmen. Es ist richtig, dass der Boulevardin gewisser Weise in die seriösen Medien Einzug gehalten hat. Was ich beklage, und da bezieheich mein eigenes Blatt mit ein: Es gibt so etwas wie Kikeriki-Journalismus. Man steht wie der Gockelauf dem Mist und schreit jeden zweiten Tag: Ich hab´ was ganz Besonderes, Neues! Ich hab´ wasExklusives! Und wie Exklusivnachrichten gemacht werden, weiß jeder, der sich in der Branche aus-kennt. Jeder von uns kann hergehen und kann für morgen eine Exklusivnachricht produzieren.

Beispiel: Im Streit um die Erhöhung der Erbschaftssteuer setzt sich der Korrespondent am Morgen ans Telefon, schlägt das Verzeichnis der üblichen Verdächtigen auf und ruft jemanden ausder SPD oder von den Grünen an. Er kriegt eine Stellungnahme, die deutlich von dem abweicht,was bisher der Parteivorstand sagt. Das wird am nächsten Tag unter der Schlagzeile „Streit in derSPD über Vermögenssteuer“ publiziert; am Tag darauf antwortet jemand anderer wieder exklusivin der SZ oder sonst wo auf dieses Quote; dann heißt die Schlagzeile „Streit in der SPD spitzt sichzu“, und am übernächsten Tag „Chaos in der SPD über die Steuerreform“. Am vierten Tag erklärtsich womöglich der Kanzler, und das Ganze ist dann Politik.

Das ist schlichtweg das Umlaufen eines Nonsens-Apparates - eines Windes, den wir selbst machen.Und so entsteht ein Stück weit diese Hysterie, die auch wieder wir beklagen. Im Nach-Wahlkampf

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 40: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

40

in den letzten drei Wochen war es durchaus nicht unähnlich; viele dieser Koalitionsmodelle, dieangeblich heftig diskutiert wurden, haben wir Journalisten erfunden. Es ist ja nicht so, dass Claudia Roth und Angela Merkel und Edmund Stoiber die Jamaikas oder sonstigen Modelle im stillen Kämmerlein ausgeheckt hätten als überlegene Strategie. Diese Modelle waren von uns inSchlagzeilen als Möglichkeiten dargestellt worden. Man muss bei solchen Geschichten - undwenn´s um Hysterie geht, schon allemal - fragen: Wer ist das Ei, und wer ist die Henne? Als ichneulich im Leitartikel zum 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, mir Gedanken zur Enthysterisierung der Politik in Deutschland gemacht habe, ist mir als Erstes eingefallen, doch einmal drei Wochen jeglichen Journalismus zu stoppen. Möglicherweise wäre dann die Politik unddie Koalitionsverhandlerei weiter, als sie mit unserer Begleitung ist.

Ingrid Scheithauer: Herr Schrotthofer, könnten Sie drei Wochen Ihren Laden schließen, allein Urlaub schicken und dann beim Stand XY weitermachen?

Klaus Schrotthofer: Nein, aber das muss auch gar nicht sein. Ich stimme Herrn Prantl in fastallem zu. Ich würde Abstriche machen, wenn er von „uns“ spricht und „den Medien“ - da muss mandifferenzieren. Es gibt tatsächlich eine Dauerhysterie, die von den Medien mitproduziert wird undvon willigen, meist karrierebewussten Helfern aus der Politik. Diese Medienmaschinerie wird auchbefeuert von Politikern, die sich dann, wenn es nicht so gut läuft, darüber beschweren, dass es diese Medienmaschinerie gibt. Ich glaube, dass wir insgesamt schon weiter wären, wenn wir unsdarauf beschränkten, das zu berichten, was wirklich ist, und nicht das, was sein könnte, und wasvielleicht gewesen wäre und was irgendwelche Referenten in irgendwelchen Entwürfen gerade diskutieren. Das sorgt für diese Hysterie und dieser Wettbewerb um die Soundbites versaut letzt-lich die Glaubwürdigkeit der ganzen Zunft.

Es ist noch schlimmer, als Heribert Prantl sagt: Auf dem Berliner Medienmarkt können Sie beob-achten, dass zum Teil Interviews, die am Sonntag oder Montag erscheinen, in Zusammenfassun-gen schon am Samstag Vormittag an die Agenturen gegeben werden, die den Inhalt ein bisschenanspitzen. Es gibt dann Diskussionen, bei denen sich Politiker auf Agentur-Vorabmeldungen beziehen, und es entspinnt sich ein munterer Streit noch vor Erscheinen des Ursprungstextes. Undwenn sie den dann überprüfen, stellen Sie fest, dass der das eigentlich gar nicht hergibt.

Es gibt heute weniger Klarheit auf beiden Seiten, was die Aufgabe jeder Seite ist. Da bin ich re-lativ altmodisch: Politiker machen Politik, und Journalisten beobachten, kommentieren, protestieren,enthüllen, decken auf - machen aber definitiv nicht Politik. Ich bin nicht gewählt, ich muss michauch niemandem gegenüber verantworten, außer ab und zu meinem Geschäftsführer gegenüber, wenndie Zahlen nicht stimmen. Ich empfinde es als Anmaßung, wenn Journalisten diese Grenze über-schreiten, und mein Eindruck ist: In den letzten Jahren hat diese Neigung von Journalisten,Politik machen zu wollen und sich als bessere Politiker zu empfinden, zugenommen.

Ingrid Scheithauer: Herr Prantl, wie kommt man aus dieser Selbstreferentialität heraus?

Heribert Prantl: Der Jurist ist immer versucht, das juristisch zu machen. Jetzt schauen wir indas große Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Spiegel-Affäre aus dem Jahr 1965 rein. Da steht:Die Presse sei - und das sei ihre große Aufgabe - das ständige Verbindungsorgan zwischen demVolk und seinen gewählten Vertretern, und derlei hehre Sätze mehr. Und dann schauen wir uns denAlltag des Journalisten bis hinein in die Boulevard-Medien an und vergleichen das mit den Sätzen,die in dem Spiegel-Urteil stehen. Und dann stellt man nicht nur im Boulevard deftige Diskrepan-zen fest. Es wäre schon ein Schritt, wenn wir - und ich sage absichtlich „wir“, weil es die so genannten seriösen Zeitungen betrifft - die alltäglichen Albernheiten bleiben ließen, möglichst amnächsten Tage in möglichst vielen Agenturen zu laufen. Ich nehme das Beispiel, das für mich dasplakativste der letzten Jahre war: Es war am Höhepunkt der Parteispendenaffäre Kohl, als hinterverschlossenen Türen darum gerungen wurde, ob Schäuble zurücktritt oder nicht - an diesemNachmittag um 14 Uhr meldete der Tagesspiegel, er habe soeben erfahre, dass Schäuble bleibt. Undes war eine Meldung, die sich im Halbstundenrhythmus überholt hat, aber sie lief mit Nennung Tagesspiegel zwei oder drei Stunden lang. Es ist eigentlich so albern, dass es sich selbst entlarvenmüsste, aber das tut es nicht.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 41: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

41

Zwei „Krankheiten“ beklage ich in erster Linie: Erstens diese Lust am „Krakelen“ - wozu dieser„Kikeriki-Journalismus“ gehört - und zweitens die Exklusiveritis. Diese hat den Anstrich des Seriösen. „Man“ meldet? Was bedeutet das? Die dpa meldet es - da steigen die Politiker schon draufein, ehe es veröffentlicht ist. Diese seltsame Lust oder Gier zurückzuschrauben und sie als das zuerkennen, was sie ist, nämlich eine Krankheit - und sich auf das besinnen, was die Printmedien wirklich gut können, besser als die elektronischen Medien. Dieses „Be.first“ werden die nie schaffen; unsere große Stärke ist doch das Analysieren, das Kommentieren, das Zusammenfassenvon einzelnen Informationen.

Ich vergleiche uns gerne mit einem Elektronenmikroskop, das uns ganz nahe an die Ereignisse heranschraubt, und zwar so nahe, dass man das Große und Ganze nicht mehr sieht. Wir haben sounendlich viele kleine Detailnachrichten, die der Leser nicht mehr richtig zusammensetzen kann.Unsere Aufgabe ist genau das: sie zusammensetzen und ein Bild zu zeigen, das der Leser - der nichtin der Lage ist, täglich drei Stunden Zeitung zu lesen wie unsereiner - kapiert und aus dem sichfür ihn ein Gesamtbild ergibt. Diese Service-Funktion der Zeitung, politische Linien deutlich zumachen, Langzeitentwicklung zu betrachten, an Themen dran zu bleiben, die sehr schnell wiederverschwinden - das sind die großen Aufgaben, die wir hätten und denen wir zu wenig nachkom-men, die aber Heilmittel wären gegen die Krankheiten, die wir hier diagnostizieren.

Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, wie wird das bei Ihnen im Verband diskutiert? Welche Vorschläge hätten Sie, aus dieser Falle des „Kikeriki-Journalismus“ herauszukommen?

Helmut Heinen: Ich denke, vieles von dem, was hier angesprochen ist, sehen Verleger wie Journalisten gleichermaßen. Ich denke auch, dass wir uns klarmachen müssen, dass wir dem Leser verpflichtet sind, und zwar nicht nur in einem moralischen, sondern ganz konkret in einemgeschäftlichen Sinn. Wir setzen darauf, dass die Bindung der Abonnenten zur Zeitung länger hältals die Bindung zur jeweiligen Partei, bei der man das Kreuzchen gemacht hat. Und ich glaube, dassdie regionale Zeitung in der Regel die einzige gedruckte aktuelle Quelle ist, die man nutzt. Dazukommen vielleicht noch „Tagesschau“ und Radionachrichten. Deshalb ist dieser Wettbewerb derRedaktionen untereinander gar nicht so nachvollziehbar und gar nicht so produktiv für viele unserer Leser. Das spricht dafür, dass man sich in der Tat etwas mehr fernhält von diesen Aufge-regtheiten und dieser Zitatwut. Umgekehrt gehört ein Stück Nachvorneschauen in unsere Zeitun-gen hinein, weil wir nicht nur das bringen wollen, was schon auf der Bühne ausgesprochen wurde, sondern dass wir weiterdenken und sagen: Die Entwicklung läuft zwangsläufig da und dahin - auch wenn sich jetzt noch keiner traut, das offen auszusprechen. So einen braucht man auchgar nicht unbedingt; die Redaktion darf es auch selber mal erarbeiten und in einem Kommentar odereiner Analyse mal hinstellen.

Natürlich ist es unsere Aufgabe und auch unser kommerzieller Zwang, die Leser mit dem auszu-statten - ich sag es mal etwas plakativ -, was er abends an der Theke wissen muss. Er darf sich nichtdumm fühlen, wenn er unsere Zeitung gelesen hat. Wir können eine eigene Gewichtung geben, wirkönnen auch eine ausgewogenere Gewichtung geben, um langfristig Zufriedenheit zu erzielen undunseren Lesern das Gefühl zu geben: Das ist eine sinnvolle Information - da lohnen sich die täglichen zwanzig oder dreißig Minuten Lesezeit. Das Leben unserer Leser ist nicht zu 90 Prozentvon Politik, Journalismus, Medienanalyse geprägt, sondern oft von einem vergleichsweise naivenKonsum. Und deshalb müssen wir ihnen eine handliche und seriöse Packung geben.

Ingrid Scheithauer: Es hat ja eine gesellschaftspolitische Dimension. Wenn das Mediensystemso disfunktional wird, dann stimmt die Legitimation nicht mehr, die Herr Prantl aus dem Urteil von1965 gezogen hat. Daran hängen viele Privilegien und Freiheiten. Verwirkt man die als Medien-gesellschaft ingesamt?

Helmut Heinen: Ich denke, unser Hauptkorrektiv ist letztlich der Markt. Es kann nicht die Lösung sein, eine Art Qualitätszensur einzuführen, also zum Beispiel unqualifizierte Äußerungenaus den Zeitungen zu verbannen. Ich glaube, das Kriterium wird letztlich die Qualität oder die Seriosität sein. Ein Leser, der sich nachhaltig von seiner Zeitung nur aufgeputscht und in die falscheRichtung geführt fühlt, wird in der Regel diesem Blatt nicht lange sein Vertrauen schenken. Undwas wir inhaltlich noch leisten können, das ist die Auseinandersetzung mit diesen Fragen - so wie

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 42: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

42

hier und heute. Und da müssen wir auch unliebsame Erkenntnisse in Kauf nehmen und die auchpublizieren. Damit erfüllen wir unsere Aufgabenstellung.

Ingrid Scheithauer: Rückbindung der Macht an den Souverän als Aufgabe von Medien - soist es ja konstitutionell vorgesehen, so versteht sich das System. Herr Meyer, ist das eine altmodi-sche Betrachtungsweise, die zwar hübsch ist, aber doch de facto von der Realität und von der Kolonisierung durch die Medien und ihre Gesetzmäßigkeiten überholt?

Thomas Meyer: Wenn das ganz überholt wäre, dann wäre die Demokratie selber am Ende. Demokratie lebt davon, dass diese Rückbindung von Politik über Medien an die Wähler, an die Gesellschaft immer noch möglich ist. Wenn das ganz beendet wäre, wenn die Medien ihre eigeneWelt erzeugten, dann wäre die Demokratie am Ende. Das glaube ich nicht. Typisch ist, und das istauch das Dilemma: Hier sitzen Leute wie Herr Prantl und Herr Schrotthofer, die mit zu den bestenQualitätsjournalisten der Republik gehören und Selbstkritik am allerwenigsten nötig hätten - unddie sind beinahe die einzigen, die die Selbstkritik formulieren. Die anderen, die sie nötig hätten,tun das kaum. Ich finde es trotzdem gut, wenn ein Anfang gemacht wird, oder wenn immer wieder aus dem Bereich des Journalismus heraus die nötige Kritik vorgetragen wird; vielleicht hat es gewisse Wirkungen. Es ist ein Problem, dass zum Beispiel die Medien das Instrument sind, über das unsere komplexe Gesellschaft sich informiert über alles, was insbesondere in der Politik passiert- nur die Informationen, die wir dann über die Medien bekommen, sind unterbelichtet, weil die Medien über die Medien relativ wenig informieren. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dassdie Medien übereinander - über Defizite und Probleme, über Negativentwicklungen - viel mehr berichteten. Dann hätten wir einen viel kritischeren Blick. Dann kämen die normalen Rezipientenauch nicht auf den Gedanken, was ihnen hier in den einzelnen Medien angeboten wird, sei die Welt.Das sind einzelne Konstrukte der Welt in einzelnen Medien.

Ich glaube allerdings auch, dass Verbesserungen im Bereich der Medien, die Selbstkritik aus ihnen selber kommen müssen. Da ist von außen wahrscheinlich nicht viel zu erwarten. Die Thesen, die ich in meinem Vortrag erläutert habe, betrafen die Oberfläche - das, wodurch Medienattraktiv werden für ein Publikum, ist ambivalent. Das ist das, was immer bedient werden muss.Das kann man auch ohne Kenntnis des Politischen, ohne Ethik, ohne Verantwortung gegenüber demPolitischen rund machen. Man könnte natürlich Inhalte dazu transportieren, mehr in die Tiefe gehen. Da müsste mehr passieren.

Warum passiert es nicht? Es gibt eine Reihe objektiver Faktoren: Das eine ist der Markt, auf demviele Medien um Aufmerksamkeit, um Interesse, um Knalleffekte und „Kikeriki“ konkurrieren -das sind objektive Zwänge des Marktes. Deshalb denke ich gerade nicht, dass der Markt das Heilmittel ist, dem wir uns anvertrauen sollten. Die Zeitungen und Sendungen im Fernsehen, diesich am meisten dem Markt anvertrauen, sind die schlechtesten, weil der schlechte Geschmack nachunten unbegrenzt ist. Das ist jedenfalls meine Beobachtung. Es ist eine Frage der Journalisten-ausbildung, auch der Verleger, was sie verlangen, eine Frage der Standards, die gesetzt werden.

Heribert Prantl: Allgemein zur Pressefreiheit: Ich denke, sie ist nicht da zur bequemeren Berufsausübung der Journalisten. Sie ist auch nicht da zur Befriedigung der Eitelkeit - ein Punkt,der sehr wichtig ist, wenn wir den gegenwärtigen Schnöselzirkus in Berlin anschauen. Pressefrei-heit ist auch nicht da zur Erleichterung des Geldverdienens bei den Verlegern.

Es wurde die Ausbildung angesprochen: Bei der Journalistenausbildung liegt gar nicht mehr so vielim Argen wie früher, aber es gibt einen Journalismus, der überhaupt nicht mehr ausbildet. Wo Jour-nalisten nicht mehr Journalisten sind, sondern Mikrofon-Hinhalter.

Ein weiterer Punkt, der für mich auch bei den großen Zeitungen ein sehr kritischer ist, weil es umsGeldverdienen geht: die Art und Weise, wie mit Archiven umgegangen wird. Archive sind das Gedächtnis von Redaktionen. Wenn an Archiven gespart wird, dann leidet der gesamte Journalis-mus. Wenn wir darüber nachdenken, warum die Pressefreiheit den Rang verloren hat, und wennich den Bogen schlage vom Jahr 1965 und von 1962, vom Großaufstand, den es damals gab bei derDurchsuchung des Spiegel, bis zum heutigen Tage - 150 , 200 Durchsuchungen und

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 43: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

43

Beschlagnahmeaktionen binnen weniger Jahre, und weshalb so wenig Aufhebens gemacht wird -, dann geht es darum, dass die Pressefreiheit ihren Rang verloren hat und um die Frage,warum. Vielleicht stecken ein paar Antworten in dem, was ich eben kurz skizziert habe.

Zum Thema, dass der Markt schon alles richten wird: Ich denke, der Markt richtet recht wenig. Vorallem deswegen, weil es in vielen Regionen den Tageszeitungs- bzw. Boulevardmarkt gar nicht mehrgibt. Was soll der Markt da reparieren? Wenn etwas schlecht ist, ist es schlecht, und der Leser hatgar keine andere Wahl, als das eine Blatt zu kaufen oder es eben bleiben zu lassen.

Die Mängel beim so genannten schlechten Journalismus betreffen nicht nur die Effekthascherei -sie gehen tiefer: Sie betreffen die Art und Weise, wie Politik in toto betrachtet wird. Und da würde ich ein Plädoyer für Politik halten wollen. Die Art und Weise, wie ein Teil des Journalis-mus mit Politik und Politikern umgeht, ist schändlich. Und das gilt nicht nur für die Bild-Zeitung.Wenn man liest: „Skandal! Eichel kriegt 11.000 Euro, wenn er abtritt“ - und das bei Blättern,deren Chefredakteure deutlich mehr verdienen.

Ein Teil der deutschen Medien behandelt seit einigen Jahren Politiker so, als wären sie die Haus-schweine der Demokratie. Das geht nicht, das ist demokratieschädlich. Auch die Art und Weise,wie mit demokratischen Grundstrukturen umgegangen wird, ist schädlich. Der normale demokra-tische Diskussionsprozess wird schnell als Gezerre, als Chaos betrachtet. Da muss man aufpassen.Über fast jede Abstimmung, bei der - wie es in der Demokratie üblich ist - mehrere Menschen kandidieren, lesen Sie sofort „Kampfabstimmung“, was etwas Unangenehmes bedeutet - hat irgendwie mit Krieg zu tun und nicht mit Demokratie. Oder wenn von Koalitionsverhandlungendie Rede ist und dem notwendigen Ringen um ein Regierungsprogramm, dann werden Sie in jedem zweiten Kommentar das Wort „Geschacher“ lesen oder hören. Das ist unangemessen. Wirmüssen damit aufhören, demokratische Grundprozesse abzuqualifizieren.

Thomas Meyer: Warum machen Journalisten das? Sind das eher Leute, die gar nicht wissen,was Politik ist, oder sind das solche, die es eigentlich wissen und denken, damit kann man schnel-ler Effekte erzielen?

Heribert Prantl: Wahrscheinlich letzteres. Mir fällt das schöne Wort von Willy Brandt ein - bekanntlich der bisher einzige Bundeskanzler, der Journalist war: „Journalisten sind die Randfi-guren der holzverarbeitenden Industrie.“ Wenn man sich manchmal so wichtig fühlt, als wichtigerTeil des politisch-journalistischen Komplexes, muss man sich dieses Wort in Erinnerung rufen undein bisschen - ich sag es jetzt n dieser Stunde der Selbstkritik - demütiger sein.

Thomas Meyer: Ich bin Politikwissenschaftler, und ich beobachte, dass es nur in wenigen Qualitätsmedien möglich ist, die Eigenarten des politischen Prozesses in der Medienoberfläche zuerkennen: Akteure, Legitimationen, lange Prozesszeiten, alle diese Konstellationen, die man ver-stehen muss, wenn man verstehen will, was geht politisch vor.

Ich bin in der Journalistenausbildung einer relativ guten Universität. Diese Leute lernen ihren Jour-nalismus von Anfang an als Vermittlungswissenschaft. Also man kann alles und jedes vermitteln,wenn man ein guter Vermittler ist. Die sind kaum in der Lage, in irgendeinem Bereich mal einengründlichen Blick in die eigentliche Logik, die eigentlichen Zusammenhänge zu werfen. Das istdie eine Sache. Die andere ist: Wenn man nicht eine ganz besondere journalistische Begabung ist,dann bedeutet das in der Regel: viel Zeit investieren, die Dinge beobachten, verfolgen, verstehen.Aber wann haben die denn die Zeit, das zu machen?

Und drittens: Es läuft ja, wenn man nur die attraktive Oberfläche bringt. Die Inhalte werden kaumnachgefragt.

Demokratie ist aber eine Sache langer Zeitabläufe. Wir beraten, wir verständigen uns, die Dingekommen zusammen. Diese Zeit wird der Politik nicht gegeben. Es wird jeden Tag unter Druck gefragt: Warum dauert das? Das machen viele Journalisten, weil sie es nicht besser verstehen. Andere denken, das sei attraktiv und treffe den Publikumsgeschmack. Und ich denke, es gibtauch eine ganze Menge Journalisten, die gar nicht so genau wissen, was das eigentlich Ent-

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 44: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

44

scheidende am politischen Prozess ist.

Heribert Prantl: Ich bin vor 18 Jahren Journalist geworden. Nach drei Jahren im politischenJournalismus habe ich mich gefragt: Wann machen die Leute eigentlich Politik? Und in den nächsten Jahren habe ich kapiert, dass Gespräche führen, auch mit Journalisten, dass Interviewsletztlich ein wesentlicher Teil von Politik sind. Politiker verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, mit uns zu reden und auf diese Art und Weise mit ihrer Wählerinnen und Wählern in Kon-takt zu treten. Das ist nicht das Schlechteste, so lange es um Inhalte geht. Aber wenn wir Inhaltenicht abfragen, müssen wir uns hinterher nicht beklagen, dass es Inhalte nicht gäbe.

Ingrid Scheithauer: Herr Schrotthofer, Hanns-Joachim Friedrichs hat mal gesagt: Journali-sten müssen überall dabei sein, aber dürfen nirgends dazugehören. Gilt das heute noch?

Klaus Schrotthofer: Abstrakt gilt das natürlich nach wie vor. Aber ich bin immer misstrauisch,wenn die reine Lehre verkündet wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich wesentlich kom-promisslosere Kommentare gegen den damaligen Finanzminister Waigel geschrieben habe vor demZeitpunkt, da ich ihn kennengelernt habe, als nachher. Nähe hat nicht immer etwas mit Korrupti-on zu tun, sondern manchmal auch mit Erkenntnisgewinn. Und mancher, der sehr auf die Sahnehaut, hat möglicherweise das Objekt seiner Kritik vorher nie getroffen. Das ist nicht immer ein Vor-teil. Insofern würde ich Friedrichs - wenn man das darf, so ein Denkmal korrigieren - ergänzen undsagen, man darf sich nicht vereinnahmen lassen.

Aber es ist doch völlig klar: Warum fahren Berliner Korrespondenten heute bei Ministerreisen mit?Doch nicht, weil sie über irgendwelche offiziellen Kommuniqués oder Vertragsverhandlungen berichten. Das Interessante ist, dass man abends an irgendeiner Hotelbar mit dem Herrn Ministeroder der Frau Ministerin zusammensteht, und dann erzählen die mal, wie es ihm oder ihr geradewirklich geht - vielleicht. Und diese Information versetzt einen in die Lage, manches besser ver-stehen und besser einordnen zu können, als wenn man nur ferndiagnostisch die Dinge betrachtet.

Man muss im Übrigen auch darauf hinweisen, dass die Journalistinnen und Journalisten zum ersten Mal in den letzten 40 Jahren eine massive ökonomische Krise durchleben. Wenn Sie sich20 Jahre zurückversetzen, wenn Sie da ein Volontariat bekamen bei irgendeiner halbwegs ordentlichen Zeitung, dann war das im Prinzip eine Lebensversicherung. Sofern Sie dem Verlegernicht eine Gemeinheit ins Gesicht gebrüllt oder in die Kasse gegriffen haben, konnten Sie davonausgehen, dass Sie bis zu Ihrem 55. Lebensjahr bei der Zeitung oder bei dem Sender ein gutes Auskommen haben.

In den letzten fünf bis zehn Jahren hat es eine massive ökonomische Krise bei den Medien gege-ben, und die hat zwei Folgen aus meiner Sicht: Zum Einen - da stimme ich Heribert Prantl zu - sindRedaktionen zum Teil reduziert worden, es wurde Personal abgebaut. Die verbleibende Zahl vonKolleginnen und Kollegen muss also eine größere Zahl von Themen bearbeiten und komplexereSachverhalte. Globalisierung war vor 20 Jahren noch kein Thema. Sozialversicherung war vor 20,30 Jahren vielleicht auch schon ein Thema, aber da gab es Leute, die beschäftigten sich aussch-ließlich damit. Das geht heute nicht mehr. Heute haben Sie im Haus der Bundespressekonferenzin Berlin Büros, da sitzen ein, zwei Kollegen, die für eine Reihe von Regionalzeitungen arbeiten,und die müssen heute über die Gesundheitsreform schreiben, morgen über die Rentenversicherungund übermorgen einen Abgesang auf Joschka Fischer und seine außenpolitische Bilanz. Nachmeiner Erfahrung war den Journalisten vor 20 Jahren die ökonomische Dimension von Journalis-mus noch völlig egal. Sie arbeiteten bei einer Zeitung, der ging es in der Regel gut, die Verlegerhatten höhere Renditen als in fast allen deutschen Branchen. Heute erleben Sie, dass auch Zeitungensich nach Marktgesetzen richten müssen. Entsprechend hat die Neigung zugenommen, das zutun, wovon man glaubt, dass es die ökonomische Basis der Zeitung stärkt - das zu tun, wovon manglaubt, dass es ankommt. Auch das ist verheerend. Journalisten müssen keinen Sinn für die öko-nomischen Zusammenhänge der Zeitung haben. Das ist Aufgabe des Chefredakteurs zusammen mitseinem Verleger. Aber ein Journalist in der Politik- oder Lokalredaktion, der muss sich darum kümmern, dass er das, was in seinem Beritt passiert, zur Kenntnis nimmt, einordnet und dann ordentlich vermittelt. Ich wünschte mir deswegen auch mehr Selbstbewusstsein von vielen Kolle-ginnen und Kollegen. Wir hatten vor einem halben Jahr eine hitzige Debatte in der Redaktions-

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 45: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

45

konferenz, da hatte die Bild-Zeitung irgendeine dieser täglichen Tataren-Meldungen im Blatt, undbei uns meinte der Politikchef, dass wir darüber auch berichten müssten. Ich fragte ihn: „Warum?“ Der Kollege meinte, dass wir nicht daran vorbeikämen, weil es alle machen würden. Und was passiert, fragte ich ihn, wenn wir es nicht machen? Nichts!

Ich glaube, der fast lemminghafte Herdentrieb, irgendeiner Sau hinterher zu reiten, die meistensdie Bild-Zeitung durchs Dorf treibt, muss aufhören. Ich weigere mich anzuerkennen, dass Bild dasdeutsche Leitmedium sei. Ein Boulevard-Blatt kann nicht das Leitmedium der Bundesrepublik sein,dagegen verwahre ich mich. Das kann man aber nur, wenn man eigenes Selbstbewusstsein entwickeltund das Ganze dann mit Inhalt unterfüttert. Das heißt, wir müssen uns dann die Mühe machen, Sach-verhalte aufzuarbeiten und zu erklären.

Wir müssen aufhören - das gilt auch für die Politik -, den Leuten zu vermitteln, das manche Sachen ganz einfach zu lösen seien. Die Gesundheitsreform ist ein unglaublich langweiliges,dröges, kompliziertes Thema. Das ist nicht sexy, und das wird auch nicht more sexy, wenn manschreibt, was die Gesundheitsministerin oder der Gesundheitsminister am Vorabend mit wem in welcher Kneipe getrieben hat. Aber es ist ein wichtiges Thema, und es betrifft uns alle. Und ichglaube, es ist Aufgabe von Journalismus, den Leuten die Illusion zu nehmen, in der heutigen Zeitgäbe es ganz einfache Lösungen.

Thomas Meyer: Aber das müssten Sie den Leuten natürlich kurzweilig vermitteln, dass es keine einfachen Lösungen mehr gibt.

Heribert Prantl: Man kann schlecht eine Analyse schreiben, die beginnt: „Dieses Problem istwahnsinnig schwierig und wahnsinnig komplex.“

Klaus Schrotthofer: Ich glaube, wir neigen all zu sehr dazu, einer schnellen Analyse hinter-herzueilen. Seit zwei, drei Jahren hören und lesen wir, dass in diesem Land alles ganz schrecklichsei: Hier funktioniert nichts, wir sind pleite, wir brauchen Reformen, und das heißt, wir müssennoch härter ran. Ich sage voraus: In spätestens einem halben, dreiviertel Jahr, wenn sich die GroßeKoalition halbwegs stabilisiert hat, werden Sie hören, was in diesem Land eigentlich ganz wun-derbar funktioniert. Es wird sich an den objektiven Verhältnissen aber nicht wirklich etwas geän-dert haben. Das heißt, wir haben offensichtlich ein Wahrnehmungs- und ein Vermittlungsproblem.Und da fordere ich noch einmal mehr Selbstbewusstsein für Medien, sich einen eigenen Standpunktzu erarbeiten und ihn auch mitzuteilen.

Heribert Prantl: Kleine Anmerkung zur wirtschaftlichen Situation, die zeigt, dass das eigeneSein auch das Bewusstsein verändern kann. Es wurde gerade vom Kollegen Schrotthofer ange-sprochen, was gelegentlich in Diskussionen spitz, aber treffend als „Selbstgleichschaltung imdeutschen Journalismus“ - zumal im Bereich Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik - benanntwird. In der Zeit, in der es den Zeitungen und damit auch den Wirtschaftsredaktionen wirklichdreckig ging, in der auch in meinem Blatt ein Wirtschaftsredakteur entlassen werden musste, dagab es im monolithischen Block des deutschen Wirtschaftsjournalismus auf einmal ein bisschenmehr Nachdenklichkeit als sonst. Auf einmal waren die bisherigen Töne wie „Man muss nur ausreichend flexibel sein“, und „Die Globalisierung ist halt so“, und „Es dauert eine gewisse Zeit,dann rüttelt sich wieder alles zurecht“ - das war auf einmal vorbei. Man muss ein bisschen vor-sichtiger sein und die Vorsicht nicht nur dann walten lassen, wenn sie einen selber betrifft.

Ingrid Scheithauer: Herr Heinen, wir haben vorhin besprochen, dass Journalisten auch Zeitbrauchen, um zu recherchieren, vielleicht auch mal, um nachzudenken, wie Herr Prantl uns gesagthat. Aber Zeit ist bekanntlich Geld, und Verleger interessieren sich naturgemäß fürs Geld. Sie bemerkten vorhin leise, als wir über die journalistischen Freiheiten oder Medienfreiheiten sprachen,dass sei schade, dass das mit dem unbegrenzten Geldverdienen vorbei sei. Wie versuchen Sie alsVerleger Qualität in Redaktionen zu sichern?

Helmut Heinen: Schöne Vorlage, die Sie mir geben - weil mich das natürlich nicht ruhen lässt, dass Herr Professor Meyer vorhin argumentiert hat, dass die schlechtesten Medien die erfolgreichsten seien. Ich denke, für die Tagespresse ist nicht nachvollziebar, dass Qualität keinen

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 46: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

46

Einfluss auf den Erfolg haben soll. Die Auflagen der Boulevardzeitungen sind nicht gerade imHöhenflug. Und die Süddeutsche Zeitung ist auch nicht gerade ein Beispiel dafür, dass Qualität nungar keinen Erfolg mehr bedeutet. Der größte Teil unserer Zeitungen sind Regionalzeitungen. Siewurden vorhin angesprochen in dem Zusammenhang, dass hier keine Kontrolle am Markt stattfinde,weil es in der Regel keinen Wettbewerb oder allenfalls zwischen zwei Titeln gebe. Etwa die Hälf-te des Gebiets der Bundesrepublik hat mehrere Regionalzeitungen, die andere Hälfte hat nur eine- grob gesagt. Es ist dem Monopolverleger natürlich nicht gedient, wenn seine Auflage nach un-ten geht. Zeitungen kosten eine Menge Geld. Auch eine Folge der Einbrüche am Anzeigenmarkt:Die Vertriebspreise sind in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in jeder Periode zuvor inde Nachkriegsgeschichte. Wir haben heute in Westdeutschland etwa noch 56 Prozent Anzeigener-löse in der Finanzierung der Zeitung, 44 Prozent Vertriebserlöse. Die kommen von einem Anteilvon 25 bis 28 Prozent. Im Osten haben Sie schon Quoten von über 50 Prozent Vertriebserlöse. EineTrendwende ist nicht zu erkennen. Deshalb haben die Regionalzeitungen durchaus ein Interesse dar-an, die Bindung zum Leser nicht zu gefährden dadurch, dass erkennbar die Qualität leidet oder dasssie in eine Diskussion über mangelnde Seriosität und Ernsthaftigkeit geraten. Im Übrigen sind aberdie regionalen Titel nicht im Fokus der Kritik, wenn es um einen vermeintlichen Kampagnen-journalismus geht.

Regionalzeitungen und ihre redaktionellen Ressourcen, ihre finanziellen Begrenzungen sind ein The-ma, auch, dass massiv in den Zeitungshäusern Personal abgebaut worden ist. Aber es ist auch Fakt,dass das am allerwenigsten in den Redaktionen geschehen ist. Wir haben für 2004 ermittelt, dassdie Zahl der fest angestellten Redakteure bei allen deutschen Zeitungen um drei Prozent unter demHöchststand des Jahres 2000 lag. Lassen Sie es inzwischen fünf oder acht Prozent sein - das ist immer noch eine bemerkenswerte Zahl, wenn man sieht, dass in den Jahrzehnten zuvor immer auf-gebaut worden ist. Die Herausforderung, vor der wir im Regionalen stehen, ist doch viel mehr, dieLokalberichterstattung angemessen auszustatten. Wenn dann ein Zeitungskreis nicht einmal mehreine leistungsfähige Lokalredaktion hat, dann erleben wir Schwierigkeiten - wie zur Zeit in Ost-deutschland an manchen Orten: In den strukturschwachen Gebieten ist dort kaum noch eine orts-nahe Lokalredaktion finanzierbar. Demgegenüber ist, denke ich, das Problem der unter mangeln-den Ressourcen leidenden Berliner Berichterstattung eher nachgeordnet.

Ingrid Scheithauer: Dort, wo ein Großteil der gesetzlichen Regelungen für Europa beschlossen werden, in Brüssel, ist die Personaldecke besonders dünn. Die Regionalzeitungen scheinen nach Ihren Ausführungen eher nicht geneigt, Ressourcen nach Brüssel umzuleiten?

Helmut Heinen: Das ist eine Wahrnehmungsfrage. Selbst eine Verdreifachung des BrüsselerEtats für Korrespondenten würde nicht viel ausmachen, weil die Zahlen so gering sind, dass daskaum etwas ändern würde. Die Chefredaktionen wissen im Schlaf, wie sie die Berliner Korre-spondenten und die Verzahnung mit Agenturen handhaben müssen. Ich glaube aber, dass dieStrukturen und Entscheidungsabläufe in Brüssel nicht so bekannt, vielleicht auch objektiv schwie-riger sind - vielleicht kann aber ein Chefredakteur, der das besser kennt, mehr dazu sagen.

Klaus Schrotthofer: Wir haben jemanden in Brüssel, den wir bitten, nicht als 27. Mikrofon-halter vor der Fraktionstür zu stehen oder eine etwas andere Fassung dessen zu machen, was die Agen-turen sowieso anbieten. Er soll vielmehr unseren regionalen Blickwinkel berücksichtigen bei der Berichterstattung. Uns in NRW beschäftigen andere Fragen als z.B. die Kollegen in Thüringen, fürdie der Aufbau Ost eine besondere Rolle spielt. Das Schwierige an dem Europa-Thema ist, dass auchda wieder die nationale Politik nach meinem Empfinden immer wieder falsch spielt. Wenn etwas funk-tioniert, dann war es die nationale Leistung, wenn nicht, waren es die Brüsseler Bürokraten.

Ich glaube, wir müssen auch einmal über die sprechen, die Medien rezipieren. Wir müssen wiederfür den Wert der Zeitung werben. Eine Zeitung kostet in NRW etwa einen Euro. Dafür kriegen Sietäglich eine Tageszeitung. Es ist ein gewaltiger Aufwand, eine Zeitung zu machen. Und es sind kaumhöhere Preise durchzusetzen. Der Fehler - auch der Verlage - war, die Zeitung in der Vergangen-heit als Zugabe zum Staubsauger oder zu Rührmaschine oder zum Dampfreiniger herzugeben. Wir müssen uns den Wert dieses Mediums wieder klarmachen. Und man muss beim Thema Politikverdrossenheit, zum Teil gar Politikverachtung wieder kritischer hingucken. Viele von denen, die über Politik jammern, leben sehr gut damit, dass sie sich selber nicht einmischen

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 47: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

47

müssen. Mein Lieblingsbeispiel ist Herr von Arnim, der ständig mit Zerrbildern von Politik daherkommt. Wenn man den fragte, ob er nicht selber Lust hätte, Politik zu machen, würde er vermutlich ablehnen.

Ich glaube, wir müssen wieder klarmachen, dass das nicht irgendeine anonyme Veranstaltung ist,wo ein paar „Hausschweine“ ein bisschen Zirkus machen, über den man sich lustig machen kann.Nein, das ist schon unsere gemeinsame Veranstaltung! Jeder möge sich vorstellen, was es für einArbeitspensum ist, dass ein Abgeordneter jede Woche hat, welche Wertschätzung es genießt, wel-che materielle Entlohnung es dafür gibt - und sich dann fragen, ob er bereit wäre, das zu machen.Dann wären wir auch schon etwas sachlicher in mancher Debatte.

Heribert Prantl: Ich stimme allem zu, was Klaus Schrotthofer sagt - aber wer gibt denn denProfessoren dieses Forum, wer hat den Herrn von Arnim zu dem großen Demokratie- und Partei-en- und Politikerkritiker gemacht? Das waren ja wir! Wer hat Herrn Sinn und die Wirtschaftsin-stitute dazu gemacht, dass man den Eindruck haben muss, das Unfehlbarkeitsdogma sei vom Hei-ligen Vater auf das ifo-Institut übergegangen? Das waren ja wir! Wir sind die, die aufklären sollen.Und wenn es um Europa geht - wenn es nationalen Politikern gelingt, in Brüssel die Richtlinienzu entwickeln, die sie dann hier, wenn sie nach Bayern oder NRW zurückkommen, kritisieren - dannhaben wir etwas falsch gemacht: Waben wir zu wenig aufgeklärt. Warum ist das so? Wenn die Re-lation gut ist, dann haben wir in Berlin etwa drei- bis viermal soviel Korrespondenten bei der großenZeitung wie in Brüssel. Falsche Relation!

Wir werfen gern der Politik vor, sie sei nicht genügend reformfähig. Wir sind es auch nicht schnellgenug, sonst hätten wir uns auf die neue Bedeutung von Brüssel längst eingestellt. Warum ist esso, warum achten wir zu wenig auf Europa? Weil Europa immer noch ein bisschen zwischen diebeiden seit einem Jahrhundert eingeführten Genres Innen- und Außenpolitik fällt und man hin- undherzerrt. Wir werden in den nächsten Monaten intensiv mit dem neuen Innenminister Schäuble dar-über diskutieren, dass die Bereiche Innen- und Außenpolitik, innere und äußere Sicherheit angeb-lich aufgeweicht werden müssen. Da wird eine liberale Zeitung wie meine sich natürlich heftig dagegen aussprechen. Aber wir müssen überlegen, wie es mit Innenpolitik und Außenpolitik in unseren eigenen Bereichen aussieht und wo Europa da hingehört. Jetzt plädiere ich nicht dafür, dassEuropa zur Innenpolitik gehört, weil ich Leiter des innenpolitischen Ressorts bin - aber es ist nunmal so, dass Europa Inland geworden ist. Wir haben uns auf dieses Faktum, dass in Brüssel undin Straßburg Innenpolitik gemacht wird, noch nicht genügend eingestellt - auch nicht im Bezug aufdie Personalpolitik.

Ingrid Scheithauer: Herr Meyer, sagen Sie uns bitte zum Abschluss: Was ist zu tun? (Gelächter im Publikum)

Thomas Meyer: Ich verweise auf meine zahlreichen Veröffentlichungen zu dem Thema. (Erneut Gelächter im Publikum)

Ich glaube, das eigentliche Problem wird in der Art der Diskussion, wie wir sie hier führen, aus bestimmten Gründen - für die wir selbst gar nichts können - nicht richtig sichtbar. Ich war kürzlichauf den Mainzer Tagen der Medienkritik. Dort gab es mehrere Foren mit Journalisten, die in Boule-vard-Medien arbeiten, im Wesentlichen im Fernsehen. Die machen für die ganz große Mehrheit inDeutschland Programm. 60 bis 70 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft erfahren ausschließlichaus solchen Boulevard-Medien etwas über Politik. Und diese Journalisten haben das, als sie danachgefragt wurden, verteidigt. Die haben gesagt: Wenn Sie ein breites Publikum erreichen wollen, dannkönnen Sie es nur erreichen durch diese Boulevardisierung. Die haben das auf der Metaebene refle-ktiert und wunderbar begründet, warum der Wurm, den sie da auslegen, dem Fisch schmecken sollund nicht dem Angler. Die große Mehrheit der Gesellschaft erfährt aus diesen Medien, was Politiksei - wobei sie es eben nicht erfahren, weil das eine komplett entpolitisierende Darstellung ist.

Das kann man nachweisen, ob das Print- oder Funkmedien sind. Da ist eben Politik das, was jetzt HerrStoiber und Frau Merkel aus persönlichen Gründen verhandeln, ob die sich verstehen, ob die sich nichtverstehen... Politik ist dann das, was man mit einem Faustschlag auf den Tisch erreichen könnte, wennman nur wollte - eine komplett entpolitisierende Sicht. Wir wissen aus der Medienwirkungsforschung:

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 48: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

48

Manche Menschen diskutieren gemeinsam über das, was sie aus den Medien haben. Bei denen ist esunerheblich, woher sie die ersten Informationen haben, weil diese dann in der Diskussion mit anderen angereichert, korrigiert werden. Aber viele machen das nicht, weil sie kein großes politischesInteresse haben. Für die bleibt das, was sie aus den Boulevard-Medien mitbekommen haben, das Einzige, und sie bekommen ein falsches und irreführendes Bild von der Politik.

Ingrid Scheithauer: Vielen Dank Ihnen allen - auf dem Podium für Ihr Engagement und demAuditorium für Ihr Interesse.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 49: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

49

5. Anhang

Referenten und Podiumsteilnehmer:

Prof. Dr. Frank Decker

Der 1964 in Montabaur geborene Politologe (Studium der Politikwissenschaft, Volkswirtschafts-lehre, Publizistik und des Öffentlichen Rechts an den Universitäten Mainz und Hamburg) ist seit2001 Professor am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die westlichen Regierungssysteme, der neue Rechtspopulismusund Fragen der Demokratiereform. Zuletzt erschien: „Populismus. Gefahr für die Demokratieoder nützliches Korrektiv?“, Wiesbaden: VS-Verlag, 2006.

Prof. Dr. Jo Groebel

Der 1950 in Jülich geborene Medienexperte ist Generaldirektor des Europäischen Medieninstitu-tes in Dortmund. Gleichzeitig ist er als Dozent an der Universität Amsterdam tätig. Neben seinerFunktion als Gastprofessor u.a. an der University of California in Los Angeles und an der Hoch-schule St. Gallen ist er Präsident der niederländischen Vereinigung für Kommunikationswissen-schaften und war Berater des Bundespräsidenten, der Vereinten Nationen und der UNESCO. Für den Kongress erschienen: Mediale Wellen: Fallbeispiele, 2005.

Prof. Dr. Thomas Meyer

Geboren 1943, Wissenschaftler. Thomas Meyer studierte Politikwissenschaft, Philosophie unddeutsche Literatur in Frankfurt/M. 1973 promovierte und 1979 habilitierte er. Er hatte zahlreicheAuslandsaufenthalte als Gastprofessor und war stellvertretender Vorsitzender der SPD-Grund-wertekommission. Er ist ordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Dortmundund wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2005ist er Chefredakteur der „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“.

Klaus SchrotthoferGeboren 1966, Journalist. Klaus Schrotthofer volontierte bei der Augsburger Allgemeinen und wurde dort Politikredakteur und Korrespondent in Bonn. Anschließend wechselte er in Bonn insBüro von Focus, wurde 1997 Ressortleiter und zwei Jahre später stellvertretender Chefredakeur beimKölner Stadtanzeiger. 1999 ging er in selber Position zur Berliner Zeitung. Im Januar 2002 holteJohannes Rau ihn als Sprecher ins Bundespräsidialamt. Nach dem Ende von Raus Amtszeit wech-selte Schrotthofer im Juni 2004 als Chefredakteur zur Westfälischen Rundschau nach Dortmund.

Helmut Heinen

Geboren 1955 in Köln, Diplom-Mathematiker. Helmut Heinen ist geschäftsführender Gesell-schafter der Heinen-Verlag GmbH sowie der Kölnischen Verlagsdruckerei GmbH und zugleich Herausgeber der "Kölnischen/Bonner Rundschau". Im Jahr 2000 übernahm er das Amt des Präsi-denten des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Darüber hinaus ist Heinen zwei-ter stellvertretender Vorsitzender des Zeitungsverleger-Verbands Nordrhein-Westfalen (ZVNRW),Mitglied der Vollversammlung der IHK zu Köln, Vorsitzender des Medienausschusses der IHK zuKöln sowie Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Heribert Prantl

Geboren 1953 in Nittenau, Journalist. Heribert Prantl ist Ressortchef für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung in München. Der promovierte Jurist war nach dem Studium als Richter sowie als Staatsanwalt in Bayern tätig. Er ist seit 1988 innenpolitischer Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Von 1992 bis 1995 war er stellvertretender Leiter des Ressorts Innenpoli-tik, seit 1995 leitet er dieses Ressort. Prantl hat zahlreiche Bücher vor allem zum politischen Zeit-geschehen veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 50: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

50

Ingrid Scheithauer

Die Medienjournalistin INGRID SCHEITHAUER arbeitet als Publizistin und Consultant inMeckenheim bei Bonn. Ihr 2003 gegründetes Unternehmen isip communications ist in der Politik-und Medienberatung tätig und übernimmt Konzeption und Realisation von Medienveranstaltungen.Nach ihrem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften in Mainz, München und Stanford/California ging sie 1984 zur Frankfurter Rundschau, deren Medienressort sie aufbaute undbis 2003 leitete. Ingrid Scheithauer ist Mitglied des Medienrates der Landesanstalt für Medien Nord-rhein-Westfalen (LfM), verschiedener Jurys für Medienpreise, des Beirates der Mainzer Tage derFernsehkritik und gehörte der Weizsäcker-Kommission an, die 1994 den „Bericht zur Lage des Fern-sehens“ erarbeitet hat.

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 51: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

51

Impressum

HerausgeberLandeszentrale für politische Bildung NRWHorionplatz 140213 DüsseldorfDr. Hans Wupper-TewesFon: 0211 8618-4612E-Mail: [email protected]

TexterfassungEva Mayer-Wolk Berchtesgadener Str. 6 81547 München Fon: 089 69386350 Fax: 089 69386351E-Mail: [email protected]

DesignZeichenverkehrWanheimer Strasse 11a40667 MeerbuschFon: 02132 971400Fax: 02132 971401E-Mail: [email protected]

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grußwort

Einführung

Vorträge

Politik in der Mediendemokratie

Mediale Wellen: Fallbeispiele. Eine Medienanalyse

Struktureller Populismus: Verändern Medien das Politische?

Podiumsdiskussion

Anhang

Impressum

1.

2.

3.

3.1

3.2

3.3

4.

5.

6.

Page 52: Medien zwischen Politik und Populismus. 17. Oktober 2005 ... · Politik in der Mediendemokratie Prof. Dr. Thomas Meyer Professor für Politikwissenschaft, Universität Dortmund Die

Was kommt noch bei den Bürgern an? Medien zwischen Politikund Populismus. 17. Oktober 2005, Köln. Dokumentation.