medienlebenpelhei tTuner,mitPiaKochhat-te er zuletzt Sex. Seit einem schweren Autounfall kann er...

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medien leben UNI BREMEN MA MEDIEN KURS MEDIENPRAXIS LB WOLSCHNER SEMESTERZEITUNG 2010/2011 ....................................................... EDITORIAL ohne medien ....................................................... leben? ein angeblicher Bauer versucht, die Frau fürs Leben zu finden. Oder wie sich angebliche Promi- nente in einem angeblichen Dschungel zurecht finden. Ich kann dieser ganzen Sache nichts abgewinnen. Ich habe das Ge- fühl, ich kann richtig spüren, wie ich beim Zuschauen verblöde. Humberto, mein anderer Mitbe- wohner, ist da anderer Meinung. „Ich liebe scheiße Fernsehen“, sagt er meist lachend, wenn ich einen kritischen Blick ins Wohn- zimmer werfe. Humberto kommt aus Brasilien und macht hier gerade seinen Doktor in Kommunikationstechnologie. Er scheint dabei eine ziemlich gro- ße Nummer zu sein, das würde er allerdings niemals zugeben. Auch er schaut gerne mit, wenn Patte sich im Fernsehen an- schaut, wie Möchtegern-Topmo- dels heulend vor der Kamera über den Zickenterror ihrer Mit- bewerberinnen klagen. Woher ich so viel über das mir so ver- hasste Programm weiß? Zugege- ben, ab und zu schaue ich auch mal mit. Man kann sich ja neben- her auch unterhalten. Humberto ist ein echt diszipli- nierter Mensch, eigentlich alles, was er so tut, ist strukturiert. Egal ob es dabei um den Haushalt, sei- ne Steuererklärung oder seinen Freitags-Döner geht. In der Mit- tagspause liest er die englische Wochenzeitung „The Economist“. Voher checkt er noch die Inter- netseiten der brasilianischen Ta- geszeitungen. Auch Patte liest gerne mal ein Buch, am liebsten Romane. Die eignen sich zwar nicht so gut zum Abschalten wie das Fernse- hen, helfen dafür aber umso bes- ser beim Einschlafen. Für meine beiden Mitbewohner hat das In- ternet einen ebenso hohen Stel- lenwert wie für mich, sie nutzen es eigentlich für die gleichen Dinge wie ich. Pattes Freund, der mir den letzten Nerv rauben. Bei Verabredungen würde ich mich ohne Google-Maps noch mehr verspäten, als ich es ohnehin schon tue. Mein Alltag würde im Chaos versinken. Die Qualität meiner Referate und Hausarbeiten würde abneh- men, trotzdem würden sie mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil ich jeden mir unbekannten Be- griff mühsam nachschlagen müsste. Vorausgesetzt, ich hätte die passende Literatur griffbe- reit. So sehr Wikipedia, die Inter- netpräsenz der Bundeszentrale für politische Bildung & Co von vielen Wissenschaftlern auch ge- scholten werden – zur Ausbesse- rung von Bildungslücken sind sie Gold wert. Texte für die Uni könnten nicht mehr online be- reit gestellt werden, was unwei- gerlich dazu führen würde, dass ich mir trotz Bibliotheksausweis unendlich viele Bücher kaufen müsste. Dass ich dadurch klüger wäre als jetzt, bezweifle ich aber. Um das Abo einer Tageszei- tung könnte ich mich nicht mehr drücken. Hinzu käme, dass ich ohne Testberichte aus dem Inter- net viele ärgerliche Kaufent- scheidungen tätigen würde, und dabei ohne Internet-Preisver- gleich entweder viel Zeit oder viel Geld verschwenden würde. Mein Leben würde also teurer werden, mein Lebensstandard aber vermutlich nicht besser. Wenn ich nach einem zwölf- stündigen Uni-Marathon nach hause käme, dann hätte ich nichts, um mich zerstreuen. Ich hätte die Wahl zwischen „Germa- ny‘s Next Topmodel“ mit mei- nen Mitbewohnern und einem teuren und anstrengenden Kino- besuch. Denn wer will nach so ei- nem Tag schon ein Buch lesen? Das Internet ist ein echtes Wunderding. Es hilft mir, mei- nen Alltag zu managen, es hilft mir dabei, mich zu bilden, es er- höht meinen Lebensstandard und nach einem anstrengenden Tag bietet es mir Zerstreuung. Es ist aus meinem Leben kaum mehr wegzudenken, das gilt auch für meine Mitbewohner. Und ich denke, damit sind wir keine Ausnahme. Lang lebe das Internet! Meine WG, die Medien und ich EIN BLICK IN DIE WOHNUNG GANZ NORMALER STUDENTEN: WIE DIE MEDIEN DEN ALLTAG MEINER WG BESTIMMEN UND WARUM WIR UNMÖGLICH AUF SIE VERZICHTEN KÖNNEN VON MORITZ LEHMANN Schuhe aus, Computer an. Das Einschalten des Laptops gehört zu meinen ersten Handgriffen, wenn ich nach Hause komme. Erstmal Emails checken, Musik hören, Nachrichten lesen oder „Social Networking“, wie das Pfle- gen von Freundschaften neuer- dings genannt wird. Wird heut- zutage selbstverständlich auch alles online gemacht. Wenn ich mich dann tatsächlich mal aus dem Haus bewege, dann checke ich vorher noch schnell im Inter- net, wann die Straßenbahn fährt. Kann man das Internet über- haupt als Medium bezeichnen? Sogar meine Bankgeschäfte erle- dige ich online. Wäre da eine an- dere Bezeichnung nicht zutref- fender? „Alltagsmanager„ zum Beispiel, das bringt die Sache ganz gut auf den Punkt. Hin und wieder benutze ich das Ding auch zum Arbeiten, wie jetzt zum Beispiel. In der Regel aber überwiegend für andere Dinge, Medienkonsum zum Beispiel. Ganz verkehrt scheint es also doch nicht, das Internet als Medi- um zu begreifen. Lernen am Computer versu- che ich zu vermeiden. Dabei kann ich mich nicht gut konzen- trieren, zu viele Möglichkeiten der Zerstreuung. Texte für die Uni also lieber ausdrucken, Lap- top aus und runter vom Schreib- tisch, oder besser gleich ab in die Unibibliothek. Zwar lese ich Zeitung am Liebsten auf gedrucktem Papier, aber im Internet sind Nachrich- ten kostenlos und immer aktuell. Ethisch ist das zwar bedenklich, besonders, wenn man mit dem Gedanken liebäugelt, später ein- mal Journalist zu sein. Aber mein studentischer Geldbeutel gibt leider nicht viel her. Und ist es nicht viel interessanter, einen Artikel über Glen Beck und die amerikanischen TV-Medien zu lesen, wenn ich dazu gleich ein Video von ihm und seinen Kolle- gen sehen kann? Die Medien können außerdem selbst ent- scheiden, welche Inhalte sie onli- ne stellen, und ob diese kostenlos sein sollen. Bücher sind wohl das einzige, was ich niemals am Computer lesen werde. Aber man soll ja niemals nie sagen. So- gar die Tagesschau kann man im Internet ansehen. Das ist für mich besonders praktisch, weil der Fernseher meistens von mei- nen Mitbewohnern belegt ist. Von meiner Mitbewohnerin Pat- te zum Beispiel. Patte studiert Chemie. Ihr Tag beginnt meistens früh, dann hört sie sich den ganzen Tag Vor- träge über chemische Formeln an oder steht im Labor. Wenn sie nach Hause kommt, dann bietet der Fernseher die ideale Mög- lichkeit zur Zerstreuung. Am liebsten schaut sie dann „Trash TV“, also Sendungen, in denen Menschen vorkommen, denen man sich überlegen fühlt. Da schaut man zum Beispiel zu, wie sowieso schon in München wohnt, muss jetzt auch noch un- bedingt ein Auslandssemester in Singapur machen. Zum Glück kann man mit dem Internet tele- fonieren. Auch für Humberto wäre die Telefonrechnung sonst auf Dauer zu hoch. Zum alla- bendlichen Ritual hat sich für die Beiden das Schauen der TV-Serie „Friends“ entwickelt. Manchmal schaue ich mit, aber eigentlich sehe mir so etwas lieber im Inter- net an. Wenn man weiß wo, dann kann man alles im Internet schauen, je- derzeit. Sogar aktuelle Ki- nofilme. Und alles auch noch ohne Werbeunterbre- chung. Was würde ich nur ohne Internet machen? Ich müsste in der Bank Schlan- ge stehen, und ohne Social Net- working und Emails es wäre schwierig, mit allen Leuten in Kontakt zu bleiben. Andauernd Telefonate zu führen und Briefe schreiben zu müssen würden Medienkommunikation im Alltag: Meine WG und ich Foto: privat Erträglichem. Schon bei dem nächsten Sender werde ich wie- der enttäuscht. Ein Kamerateam begleitet Ordnungshüter. Mehr als Mitleid für alle Beteiligten, in- klusive mir, empfinde ich nicht. Ich frage mich, warum die Au- toren solcher Sendungen diese gedanklichen Exkremente auf die Gesellschaft loslassen. Sie müssen wohl ihr Gehirn an die „Brainpool“ Organisation abge- geben haben. Doch mir fällt ein, dass Shows und Sendungen mit einem solchem „Bild“- Cha- rakter wohl das ist, was die Menschen sehen wollen. Mir tut der Kopf weh von der Sinnlosigkeit des Fernsehens. Ein klarer Miss- brauch meiner Gedanken. Ich se- he das Licht am En- de des Tunnels in ei- nem kleinen roten Knopf links oben an meiner Fernbe- dienung. Ich unterbreche das Martyrium, lege mich schlafen. Zwischen sieben und acht sollte ich kein Fernsehen gucken. Von Nacktscannern und Riesenschnitzeln WIE SICH PRIVATSENDER ZUR AUFGABE GEMACHT HABEN, MIR DEN LETZTEN NERV ZU RAUBEN UND MIR DEN VORABEND VERMIESEN. EIN AUSBRUCH VON WUT UND ENTÄUSCHUNG VON JAN BARTSCH Ich schalte den Fernseher an und muss durch den Sumpf der schlechten Unterhaltung waten. Die erste Etappe sind gecastete Jugendliche auf Ibiza. Hier wer- den die üblichen Klischees abge- arbeitet, die man von Neukölner Teenies kennt. Der banale Unrea- lismus macht mich krank. Die unglaublichen, dramatischen Geschichten halbstarker Jungs, die sich die Hörner abstoßen wollen und die niedlichen klei- nen Stories von nymphomani- schen Mädchen. Ich halt es nicht mehr aus, schalte um und lande in einer Werbesendung, in der ein bayri- scher Koch das „Miracle Blade“ vorstellt. Mit enormen Enthusi- asmus versucht er, mir zu erzäh- len, dass diese Klinge eine Le- bensnotwendigkeit ist. Sein bes- tes Argument ist, dass man mit dem Messer eine Dose auf- schneiden kann. Ich frag mich, warum er keinen Dosenöffner benutzt und entflieh der hirnlo- sen Kaufempfehlung. Zwischendurch kriege ich noch eine wichtige Verbraucher- informationen, denn der Nackts- canner 3D ist erhältlich. Natür- lich auch absolut fundamental für meinen Lebensweg. Übrigens ist es erst kurz nach sieben und schon springen einem die Brüste einer Frau ins Gesicht. Ich kämp- fe mich weiter durch den Dschungel von Handywerbun- gen und darf mir jetzt ansehen wie ein dicker, grinsender Typ mit Glatze ein 4 Kilo Steak ver- drückt. Ich schaue noch ein biss- chen weiter und der Titel dieses absurden Beitrages lautet : „Jum- bo und die größten Portionen der Welt“. Wenn ich Leuten beim Fressen zusehen will, dann geh ich in ein Fastfood- Restaurant. Also mach ich mich weiter auf die Suche nach etwas halbwegs in Leben ohne elektronische Medien können sich junge Er- wachsene heute kaum noch vorstellen. Warnungen vor der „Droge im Wohnzimmer“ oder dem „verkabelten Leben“, die es in den 70-er Jahren noch zu Buchtiteln gebracht haben, wir- ken heute fast lächerlich – unre- alistisch. Was machen die elektroni- schen Medien mit den Men- schen? Oder besser: Was machen die Menschen mit den elektroni- schenMedien?Wastreibtunsda- zu, die Hälfte oder mehr unserer Freizeit vor dem Bildschirm zu verbringen? Welche rationalen und welche irrationalen Bedürf- nisse werden da befriedigt? Diese Frage hat uns im Medi- enpraxis-Kurs Journalismus im Wintersemester 2010/11 be- schäftigt und zu dieser Frage ha- ben die Studierenden Texte für ihre „Semesterzeitung“ ge- schrieben – auch ganz persönli- che. KLAUS WOLSCHNER, LB E ............................................... .............................................. Moritz Lehmann, 23 studiert Politikwis- senschaft an der Uni Bremen und möchte später einmal Jedi- Meister werden. Falls das nicht klappt, möchte er auf ande- rem Wege die dunklen Mächte bekämpfen. Als Journalist zum Beispiel. Die weite Welt kommt ins Wohnzimmer: Fernsehen als Fenster zur was? ................................. ................................ Jan Bartsch, 20 studiert Poli- tikwissen- schaft in Bre- men. Später will er sich als Romanautor einen Namen machen

Transcript of medienlebenpelhei tTuner,mitPiaKochhat-te er zuletzt Sex. Seit einem schweren Autounfall kann er...

  • medienlebenUNI BREMEN MA MEDIEN

    KURS MEDIENPRAXIS LB WOLSCHNER

    SEMESTERZEITUNG 2010/2011

    ........................................................................................................................................................................................................

    EDITORIAL

    ohnemedien

    ........................................................................................................................................................................................................

    leben?

    ein angeblicher Bauer versucht,die Frau fürs Leben zu finden.Oder wie sich angebliche Promi-nente in einem angeblichenDschungel zurecht finden. Ichkann dieser ganzen Sache nichtsabgewinnen. Ich habe das Ge-fühl, ich kann richtig spüren, wieich beim Zuschauen verblöde.Humberto, mein anderer Mitbe-wohner, ist da anderer Meinung.

    „Ich liebe scheiße Fernsehen“,sagt er meist lachend, wenn icheinen kritischen Blick ins Wohn-zimmer werfe. Humbertokommt aus Brasilien und machthier gerade seinen Doktor inKommunikationstechnologie. Erscheint dabei eine ziemlich gro-ße Nummer zu sein, das würde erallerdings niemals zugeben.Auch er schaut gerne mit, wennPatte sich im Fernsehen an-schaut, wie Möchtegern-Topmo-dels heulend vor der Kameraüber den Zickenterror ihrer Mit-bewerberinnen klagen. Woherich so viel über das mir so ver-hasste Programm weiß? Zugege-ben, ab und zu schaue ich auchmal mit. Man kann sich ja neben-her auch unterhalten.

    Humberto ist ein echt diszipli-nierter Mensch, eigentlich alles,

    was er so tut, ist strukturiert. Egalob es dabei um den Haushalt, sei-ne Steuererklärung oder seinenFreitags-Döner geht. In der Mit-tagspause liest er die englischeWochenzeitung „The Economist“.Voher checkt er noch die Inter-netseiten der brasilianischen Ta-geszeitungen.

    Auch Patte liest gerne mal einBuch, am liebsten Romane. Dieeignen sich zwar nicht so gut

    zum Abschalten wie das Fernse-hen, helfen dafür aber umso bes-ser beim Einschlafen. Für meinebeiden Mitbewohner hat das In-ternet einen ebenso hohen Stel-lenwert wie für mich, sie nutzenes eigentlich für die gleichenDinge wie ich. Pattes Freund, der

    mir den letzten Nerv rauben. BeiVerabredungen würde ich michohne Google-Maps noch mehrverspäten, als ich es ohnehinschon tue. Mein Alltag würde imChaos versinken.

    Die Qualität meiner Referateund Hausarbeiten würde abneh-men, trotzdem würden sie mehrZeit in Anspruch nehmen, weilich jeden mir unbekannten Be-griff mühsam nachschlagenmüsste. Vorausgesetzt, ich hättedie passende Literatur griffbe-reit. So sehr Wikipedia, die Inter-netpräsenz der Bundeszentralefür politische Bildung & Co vonvielen Wissenschaftlern auch ge-scholten werden – zur Ausbesse-rung von Bildungslücken sind sieGold wert. Texte für die Unikönnten nicht mehr online be-reit gestellt werden, was unwei-gerlich dazu führen würde, dassich mir trotz Bibliotheksausweisunendlich viele Bücher kaufenmüsste. Dass ich dadurch klügerwäre als jetzt, bezweifle ich aber.

    Um das Abo einer Tageszei-tung könnte ich mich nicht mehrdrücken. Hinzu käme, dass ichohne Testberichte aus dem Inter-net viele ärgerliche Kaufent-scheidungen tätigen würde, unddabei ohne Internet-Preisver-gleich entweder viel Zeit oderviel Geld verschwenden würde.Mein Leben würde also teurerwerden, mein Lebensstandardaber vermutlich nicht besser.

    Wenn ich nach einem zwölf-stündigen Uni-Marathon nachhause käme, dann hätte ichnichts, um mich zerstreuen. Ichhätte die Wahl zwischen „Germa-ny‘s Next Topmodel“ mit mei-nen Mitbewohnern und einemteuren und anstrengenden Kino-besuch. Denn wer will nach so ei-nem Tag schon ein Buch lesen?

    Das Internet ist ein echtesWunderding. Es hilft mir, mei-nen Alltag zu managen, es hilftmir dabei, mich zu bilden, es er-höht meinen Lebensstandardund nach einem anstrengendenTag bietet es mir Zerstreuung. Esist aus meinem Leben kaummehr wegzudenken, das giltauch für meine Mitbewohner.Und ich denke, damit sind wirkeine Ausnahme. Lang lebe dasInternet!

    Meine WG, die Medien und ichEIN BLICK IN DIE WOHNUNG GANZ NORMALER STUDENTEN: WIE DIE MEDIEN DEN ALLTAG MEINER WG BESTIMMEN UND WARUM WIR UNMÖGLICH AUF SIE VERZICHTEN KÖNNEN

    VON MORITZ LEHMANN

    Schuhe aus, Computer an. DasEinschalten des Laptops gehörtzu meinen ersten Handgriffen,wenn ich nach Hause komme.Erstmal Emails checken, Musikhören, Nachrichten lesen oder„Social Networking“, wie das Pfle-gen von Freundschaften neuer-dings genannt wird. Wird heut-zutage selbstverständlich auchalles online gemacht. Wenn ichmich dann tatsächlich mal ausdem Haus bewege, dann checkeich vorher noch schnell im Inter-net, wann die Straßenbahn fährt.

    Kann man das Internet über-haupt als Medium bezeichnen?Sogar meine Bankgeschäfte erle-dige ich online. Wäre da eine an-dere Bezeichnung nicht zutref-

    fender? „Alltagsmanager„ zumBeispiel, das bringt die Sacheganz gut auf den Punkt. Hin undwieder benutze ich das Dingauch zum Arbeiten, wie jetztzum Beispiel. In der Regel aberüberwiegend für andere Dinge,Medienkonsum zum Beispiel.Ganz verkehrt scheint es alsodoch nicht, das Internet als Medi-um zu begreifen.

    Lernen am Computer versu-che ich zu vermeiden. Dabeikann ich mich nicht gut konzen-trieren, zu viele Möglichkeitender Zerstreuung. Texte für dieUni also lieber ausdrucken, Lap-top aus und runter vom Schreib-tisch, oder besser gleich ab in dieUnibibliothek.

    Zwar lese ich Zeitung amLiebsten auf gedrucktem Papier,aber im Internet sind Nachrich-ten kostenlos und immer aktuell.Ethisch ist das zwar bedenklich,besonders, wenn man mit demGedanken liebäugelt, später ein-mal Journalist zu sein. Aber meinstudentischer Geldbeutel gibtleider nicht viel her. Und ist esnicht viel interessanter, einenArtikel über Glen Beck und dieamerikanischen TV-Medien zulesen, wenn ich dazu gleich einVideo von ihm und seinen Kolle-gen sehen kann? Die Medienkönnen außerdem selbst ent-scheiden, welche Inhalte sie onli-ne stellen, und ob diese kostenlossein sollen. Bücher sind wohl daseinzige, was ich niemals amComputer lesen werde. Aberman soll ja niemals nie sagen. So-gar die Tagesschau kann man imInternet ansehen. Das ist fürmich besonders praktisch, weilder Fernseher meistens von mei-nen Mitbewohnern belegt ist.Von meiner Mitbewohnerin Pat-te zum Beispiel.

    Patte studiert Chemie. Ihr Tagbeginnt meistens früh, dannhört sie sich den ganzen Tag Vor-träge über chemische Formelnan oder steht im Labor. Wenn sienach Hause kommt, dann bietetder Fernseher die ideale Mög-lichkeit zur Zerstreuung. Amliebsten schaut sie dann „TrashTV“, also Sendungen, in denenMenschen vorkommen, denenman sich überlegen fühlt. Daschaut man zum Beispiel zu, wie

    sowieso schon in Münchenwohnt, muss jetzt auch noch un-bedingt ein Auslandssemester inSingapur machen. Zum Glückkann man mit dem Internet tele-fonieren. Auch für Humbertowäre die Telefonrechnung sonstauf Dauer zu hoch. Zum alla-bendlichen Ritual hat sich für dieBeiden das Schauen der TV-Serie„Friends“ entwickelt. Manchmalschaue ich mit, aber eigentlichsehe mir so etwas lieber im Inter-

    net an. Wenn manweiß wo, dann

    kann man allesim Internet

    schauen, je-derzeit. Sogaraktuelle Ki-nofilme. Undalles auch

    noch ohneWerbeunterbre-

    chung. Was würdeich nur ohne Internet

    machen?Ich müsste in der Bank Schlan-

    ge stehen, und ohne Social Net-working und Emails es wäreschwierig, mit allen Leuten inKontakt zu bleiben. AndauerndTelefonate zu führen und Briefeschreiben zu müssen würden

    Medienkommunikation im Alltag: Meine WG und ich Foto: privat

    Erträglichem. Schon bei demnächsten Sender werde ich wie-der enttäuscht. Ein Kamerateambegleitet Ordnungshüter. Mehrals Mitleid für alle Beteiligten, in-

    klusive mir, empfinde ichnicht.

    Ich frage mich, warum die Au-toren solcher Sendungen diesegedanklichen Exkremente auf

    die Gesellschaft loslassen. Siemüssen wohl ihr Gehirn an die„Brainpool“ Organisation abge-geben haben. Doch mir fällt ein,dass Shows und Sendungen mit

    einem solchem „Bild“- Cha-rakter wohl das ist, was

    die Menschen sehenwollen.

    Mir tut derKopf weh von derSinnlosigkeit desFernsehens. Einklarer Miss-brauch meiner

    Gedanken. Ich se-he das Licht am En-

    de des Tunnels in ei-nem kleinen roten Knopf

    links oben an meiner Fernbe-dienung. Ich unterbreche dasMartyrium, lege mich schlafen.Zwischen sieben und acht sollteich kein Fernsehen gucken.

    Von Nacktscannern und RiesenschnitzelnWIE SICH PRIVATSENDER ZUR AUFGABE GEMACHT HABEN, MIR DEN LETZTEN NERV ZU RAUBEN UND MIR DEN VORABEND VERMIESEN. EIN AUSBRUCH VON WUT UND ENTÄUSCHUNG

    VON JAN BARTSCH

    Ich schalte den Fernseher an undmuss durch den Sumpf derschlechten Unterhaltung waten.Die erste Etappe sind gecasteteJugendliche auf Ibiza. Hier wer-den die üblichen Klischees abge-arbeitet, die man von NeukölnerTeenies kennt. Der banale Unrea-lismus macht mich krank. Dieunglaublichen, dramatischenGeschichten halbstarker Jungs,die sich die Hörner abstoßenwollen und die niedlichen klei-nen Stories von nymphomani-schen Mädchen.

    Ich halt es nicht mehr aus,schalte um und lande in einerWerbesendung, in der ein bayri-scher Koch das „Miracle Blade“vorstellt. Mit enormen Enthusi-asmus versucht er, mir zu erzäh-len, dass diese Klinge eine Le-

    bensnotwendigkeit ist. Sein bes-tes Argument ist, dass man mitdem Messer eine Dose auf-

    schneiden kann. Ich frag mich,warum er keinen Dosenöffnerbenutzt und entflieh der hirnlo-

    sen Kaufempfehlung.Zwischendurch kriege ich

    noch eine wichtige Verbraucher-informationen, denn der Nackts-canner 3D ist erhältlich. Natür-lich auch absolut fundamentalfür meinen Lebensweg. Übrigensist es erst kurz nach sieben undschon springen einem die Brüsteeiner Frau ins Gesicht. Ich kämp-fe mich weiter durch denDschungel von Handywerbun-gen und darf mir jetzt ansehenwie ein dicker, grinsender Typmit Glatze ein 4 Kilo Steak ver-drückt. Ich schaue noch ein biss-chen weiter und der Titel diesesabsurden Beitrages lautet : „Jum-bo und die größten Portionender Welt“. Wenn ich Leuten beimFressen zusehen will, dann gehich in ein Fastfood- Restaurant.Also mach ich mich weiter aufdie Suche nach etwas halbwegs

    in Leben ohne elektronischeMedien können sich junge Er-wachsene heute kaum noch

    vorstellen. Warnungen vor der„Droge im Wohnzimmer“ oderdem „verkabelten Leben“, die esin den 70-er Jahren noch zuBuchtiteln gebracht haben, wir-ken heute fast lächerlich – unre-alistisch.

    Was machen die elektroni-schen Medien mit den Men-schen? Oder besser: Was machendie Menschen mit den elektroni-schenMedien?Wastreibtunsda-zu, die Hälfte oder mehr unsererFreizeit vor dem Bildschirm zuverbringen? Welche rationalenund welche irrationalen Bedürf-nisse werden da befriedigt?

    Diese Frage hat uns im Medi-enpraxis-Kurs Journalismus imWintersemester 2010/11 be-schäftigt und zu dieser Frage ha-ben die Studierenden Texte fürihre „Semesterzeitung“ ge-schrieben – auch ganz persönli-che.

    KLAUS WOLSCHNER, LB

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    Moritz Lehmann, 23

    ■ studiert Politikwis-senschaft an der UniBremen und möchtespäter einmal Jedi-Meister werden. Fallsdas nicht klappt,möchte er auf ande-rem Wege die dunklenMächte bekämpfen. AlsJournalist zum Beispiel.

    Die weite Welt kommt ins Wohnzimmer: Fernsehen als Fenster zur was?

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    Jan Bartsch, 20

    ■ studiert Poli-tikwissen-schaft in Bre-men. Späterwill er sich alsRomanautoreinen Namenmachen

  • medien leben WS 2010 / 2011 2semesterzeitung uni bremen

    sen in die Konstellationen. Men-schen, die eine ausgeprägte para-soziale Beziehung zu einemSoap-Charakter haben, könnenProbleme bekommen, wenn sieeine Beziehung zu einem realenMenschen eingehen wollen: Diereale Person kann den Wünschennicht entsprechen.

    Ist nun dies der Hintergrundfür meine Serienbegeisterung?Gucke ich die Serie, weil ich michals Teil der Berliner Clique füh-len will? Nein, das traue ich mirnicht zu. Wenn GZSZ läuft, spüleich ab, ereifere ich mich darüber,wie sehr mich die Protagonistennerven und wenn ich gar nichtmehr weiterweiß gehe ich Wä-sche machen.

    Ganz anders mein Freund,wenn er vor dem Fernseher sitztund die altbekannte Melodie er-tönt, ist er wie gefesselt. Von derAußenwelt lässt er sich nicht ab-lenken. Durch nichts soll der all-abendliche Soap-Konsum ge-stört werden. Eine Sekunde zuverpassen wäre für ihn eine mit-telschwere Katastrophe.

    Trotz seiner extremen Kon-zentration auf die Serie, wenn er

    Immer die gleiche LaugeWAS UNS TÄGLICH DAZU VERFÜHRT SEIFENOPERN EINZUSCHALTEN – EINE SELBSTKRITISCHE ANALYSE

    VON STEFANIE DÖSCHER

    Ein Junge sitzt im Kerker. SeinGesicht ist blutverschmiert, derKaputzenpullover vor Drecknicht mehr grau sondern bräun-lich. Auf dem Boden vor ihm liegteine Pizzaschachtel. Salami. EinAchtel liegt angebissen drin.

    Mir läuft der Angstschweißüber den Rücken. Ich habe Angstum den Jungen. Und das obwohlich ungefähr vierhundert Kilo-meter entfernt in meiner Bre-mer Einzimmerwohnung sitze.Meine Wäsche frisch gewaschen,vor mir eine Schale Cornflakesund mollige 22 Grad in Zimmer.

    Aber wer ist dieser Junge, derdort in einem Keller unter derBrandenburgischen Provinzschmort? Das ist nicht schwer zubeantworten. Gefühlt weiß ichalles über ihn.

    Dominic Grundlach ist 22, erist der Sohn von Joe Gerner undder Sekretärin Claudia Löpel-mamn. Seine Stiefmutter ist Ka-trin Flemming, HalbschwesterJohanna Gerner, StiefschwesterJasmin Nowak. Sein bester Kum-pel heißt Tuner, mit Pia Koch hat-te er zuletzt Sex. Seit einemschweren Autounfall kann ernicht mehr seinem Hobby demMotorradfahren nachgehen.Auch kann er nicht mehr in sei-nem Beruf als Handwerker nach-gehen, jetzt will er sein Abi nach-holen, Architektur studieren undKarriere machen. Wäre da nurnicht diese ungünstige Entfüh-rung dazwischengekommen.Schuld daran ist sein verhassterCousin Patrick Graf, der sich beiAktiengeschäften verspekulierthat. Der Sohn des Anwalts Gernerschien den Drahtzieher ein gutesFaustpfand um an die elf Millio-nen Euro zu kommen.

    Aber wie kommt es dazu, dassich so viel über diesen Menschenweiß? Ein Mensch, mit dem ichniemals gesprochen habe. EinMensch, mit dem auch niemalssprechen werde können, weil ernur im Fernsehen existiert.

    Das Internationale Zentralins-titut für das Jugend und Bil-dungsfernsehen (IZI) hat dafüreine ganz einfache Erklärung:Wer eine Serie jahrelang konsu-miert, entwickelt „parasoziale„emotionale Bindungen. Fühltsich als Teil der Clique, oder imp-liziert seine erotischen Interes-

    Das Set von „Gute Zeiten - Schlechte Zeiten“ an den Babelsberger Filmstudios in Potsdam

    dann Zeit hat sie einzustellen,gibt er an, dass er kein Problemdamit hätte, würde morgen dassofortige Ende verkündet. Ob-wohl die Handlung der Serie einBestandteil seines täglichen Le-bens ist - neulich sprach er sogarmit einem seiner besten Kumpelüber die Entwicklung der Cha-raktere - würde er sie nicht ver-missen.

    Vielleicht ist die Berliner Kiez-Welt mittlerweile so weit in denAlltag übergegangen, dass mansie als selbstverständlich wahr-nimmt. Ein Leben ohne kannman sich gar nicht mehr vorstel-len. Wie alles, das selbst- ver-ständlich ist vergisst man es zuschätzen.

    Ob er freundschaftliche Ge-fühle für ein Mitglied der Grup-pe habe, frage ich ihn. ,,NEIN!“Die Antwort kommt wie aus derPistole geschossen, mit Entrüs-tung unterlegt, als komme dieFrage einer Unterstellung gleich.Dennoch sagt er finde er dieJungs und Mädels nett und lus-tig: ,,Wenn man jemanden so lan-ge kennt, dann will man ja auchwissen, wie es weitergeht“.

    Ist er süchtig? Eigentlichnicht. Das wäre zu hart. Bei einerSucht muss man ja leiden, wenndie Befriedigung nicht eintritt.

    Das Wort „Hobby„ würde sei-ne Serienverkonsum am ehestenbeschreiben, sagt er. Das Fremd-wörterbuch sagt, dass Hobby ei-ne Liebhaberei oder ein Stecken-pferd ist. Das kommt mir verwir-rend vor: Eine Liebhaberei ist et-was, ohne das ich nicht Lebenkann. Sind dies vielleicht alleAusreden? Wollen wir einfachnicht zugeben, dass wir tief inunserem Inneren parasoziale Be-ziehungen zu den Serienfigurenhaben?

    Für mich ist die Erkenntnisschwer zu akzeptieren. Gegen dieextreme emotionale Resonanz,wie das IZI sie Soap-Konsumen-ten unterstellt, wehre ich mich.Um meine Emotionen zu we-cken, ist die Serie zu billig, dieSchauspieler zu schlecht und dieGeschichte zu monoton.

    Aber wo ist nun der Grund fürmeine hohe Serienaffinität? Im-merhin konsumiere ich die Serieseit mittlerweile 12 Jahren undobwohl ich zwischendurch zwei

    Jahre Pause gemacht habe kannich jede Aktion der Charaktere inein Muster einbinden. Auf Mut-terschaft folgt Vaterschaftstest.Auf den netten unbekanntenfremden, der böse Zwilling. Nacheinem Koma folgt immer dieAmnesie.

    Diese extensive Auseinander-setzung mit einer Serie ermög-licht die Flucht aus dem Alltagund gleichzeitig die Konstrukti-on des Alltages. Nach einem lan-

    gen Uni- und-/oder Arbeitstagnach Hause kommen. Habe dannkeine Lust, mich mit anspruchs-vollen Themen zu befassen, lassemich einfach berieseln. Am bes-

    ten mit Problemen, denen ge-genüber die eigenen mickrigwirken.

    Dem kommt ein fester Sende-platz entgegen. Egal was passiert,GZSZ kommt immer Montag bisFreitag um 19.45 Uhr. Das machtes für viele der ca. drei MillionenZuschauerInnen einfach, sichtäglich wieder dem Schicksal vonJohn, Paula und Pia zu widmen.

    Dennoch möchte ich hiernicht leugnen, dass parasozialeBeziehungen einen entscheiden-den Einfluss das Serien-Sehver-halten haben. Beweise dafür fin-den wir auf Facebook. Im diesemsozialen Netzwerk hat auch „Gu-te Zeiten, Schlechte Zeiten“ einPortal. Hier können die Fans sichnach Herzenslust über die Ge-schichten rund um die Jungs undMädels vom Berliner Kiez aus-tauschen. Da spekuliert manschon, was mit dem entführtenDominik passiert. Janina K. hofftdarauf, dass Dominik überlebt.Aber viele sind schon ein Stückweiter. Für Jasmin E. ist ganz klar,das Dominik, wenn er denn erstMal gerettet ist, sein Gedächtnisverlieren wird. Stephanie S. hin-gegen hofft darauf, dass Patrickmal richtig von Dominik verprü-gelt wird. Rosalba F. ist hingegenschon viel weiter, sie wünschtsich eine Hochzeit. Jasmin undDominik sollen endlich zusam-men kommen und Patrick solledoch gefälligst normal werden.

    In der Fernsehzeitung kannman allerdings schon nachlesen,was passiert. Dominik wirdflüchten, am Ende wird‘s danndoch die Polizei richten. Jasminwird sich mannig darüber freu-en. Dominik wird natürlich ins

    Koma fallen undauch wieder

    aufwachen.Alles

    wird gutsein. Bisüber-nächsteWochePia ent-

    deckt, dasssie unge-

    wollt von Do-minik schwan-

    ger ist. Oder wäre esnicht wieder mal Zeit für einenDrogenskandal, der uns für dienächsten drei Wochen an denBildschirm fesselt?

    Günter Netzer, auf die Bühneführt sie ihr Lebensgefährte, derProduzent Rolf Hellgardt.

    Vorbeireitet war der Auftrittlange. Im Oktober fing Lierhausan, die die ersten Zeilen ihrer Re-de vorzubereiten, deren Kern-stück der Satz ,,Ich bin wieder da“;sein dürfte. Die Einzigen, die von

    dieser Inszenierung erst in letz-ter Minute erfahren haben, dürf-ten sind die Zuschauer.

    So überrascht sind sie von die-sem Augenblick in dem die ih-nen so vertraute Fernsehmode-ratorin den ,,Ehrenpreis der gol-denen Kamera“ bekommt, dasssie nicht mal fragen, für was ei-

    Wie Phönix aus der Asche zum Platz an der SonneWIE DER AXEL SPRINGER-VERLAG DIE AUFERSTEHUNG DER SPORTMODERATORIN MONICA LIERHAUS INSZENIERTE

    VON STEFANIE DÖSCHER

    Unter tosendem Applaus tritt ei-ne Frau auf die Bühne. Lange ha-ben wir sie alle nicht gesehen, sievermisst, uns Sorgen gemacht.

    Ihre Beine zittern, das Gesichtwirkt aufgedunsen. Die Anwe-senden erheben sich, viele vonihnen brechen in Tränen aus.Monica Lierhaus ist wieder da.

    Kurz vorher hatte GüntherNetzer mit zittriger Stimme ver-kündet ,,Willkommen zurück,Monika Lierhaus!“. Nach langerKrankheit hat die ehemaligeSportschau-Moderatorin zurückauf die Bühne gefunden. Ein Mo-ment auf den alle gewartet ha-ben.

    Ihr erster Auftritt in der Öf-fentlichkeit wird inszeniert ähn-lich der Auferstehung eines Phö-nixes aus der Asche. Nichts wur-de dem Zufall überlassen. Allesind da. Die Laudatio hält derehemalige Sportschau-Kollege

    gentlich. Natürlich ist die Leis-tung Monika Lierhaus sich zu-rück ins Leben gekämpft zu ha-ben durch nichts zu schmälern.

    Ehrgeiz, Durchhaltevermö-gen und Ausdauer sind definitivfest in ihrem Geist verankert.Aber dennoch stellt sich die Fra-ge: Wäre diese Auferstehungauch ohne das Gros an kulturel-lem, sozialem und finanziellemKapital möglich gewesen?

    Es wirkt schon leicht verräte-risch, dass Monika Lierhaus ei-nen Preis der Hörzu erhält. EineZeitschrift des Axel Springer Ver-lages. Die Preisverleihung warkeine drei Minuten vorbei undder Springer-Verlag berichtete inder Sonntagsausgabe seinesFlagschiffs, der Bildzeitung, überdas lange Leiden der Lierhaus.Exklusiv beantwortet das Blatt,was sich ganz Sportschau-Deutschland seit Langem fragt:Welche Krankheit hatte MonikaLierhaus?

    War es nicht ebendiese Zei-tung, die in regelmäßigen Ab-ständen, die Legendenbildungrund um Monika Lierhaus be-günstige? Sich ungefähr halbjäh-rig über den Gesundheitszu-stand der ehemaligen Sport-schaumoderatorin ereiferte? Im-mer wieder in den Mittelpunktstellte, dass keiner wisse, was mitder ehemaligen Grand Dame derdeutschen Fußballberichterstat-tung passiert?

    Und schließlich löst sich derganze Mythos, wie ein gordi-scher Knoten, am 5. Februar 2011.Im Verlagshaus der Axel-Sprin-ger AG in Berlin wird geklärt,wieso Lierhaus von der Bühneabgetreten ist und sie wird auchwieder zurück auf die Bühne ge-führt.

    Die Frage, was hinter dieserInszenierung steht, wird garnicht gestellt. Hat Monica Lier-haus sich aus eigenem Antriebentschlossen wieder auf die Büh-

    ne zu gehen, oder hat sich die an-stehende Preisverleihung ge-drängt? Fehlte ihr der Mut sichnach ihrer schweren Krankheitsich der medialen Bühne zu ent-ziehen? War der finanziellePunkt, nach der ausgedehntenKameraabstinenz entscheiden?

    Die Auferstehung wurde vie-len Seiten begünstigt und siewird angenommen. Das stehtfest. Und der Erfolg zeichnet sichab: Am Ende springt für MonikaLierhaus ein neuer Vertrag alsModeratorin der ARD-Fern-sehlotterie ,,Ein Platz an der Son-ne“ raus und ihr Lebensgefährteerhält vor ein paar Millionen Zu-schauerInnen einen Heiratsan-trag. Ganz spontan.

    Alles in allem ein rundum ge-lungener Abend für das ZDF undAxel Springer, beim dem mansich gar nicht traut zu fragen:Was ist mit all den Menschen, dienach ähnlichen Schicksalen kei-nen Platz an der Sonne finden?

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    Stefanie Döscher, 25

    n studiert Soziologiean der Universität Bre-men. Nach dem Ab-schluss ihres Studiumsmöchte sie Gesell-schaftsreporterin imAusland, am liebstenAfghanistan, werden.

    Monika Lierhaus – wieder ganz oben

  • 3 WS 2010 / 2011 medien leben semesterzeitung uni bremen

    und mit der Polizei oder Armeeliefern.

    Der Kolumbianer Andrés Ló-pez arbeitete für das Kartell

    „Norte del Valle“, das zu dengefährlichsten Drogen-

    banden Lateinamerikaszählt und zwischen 1990und 2004 ein Drittel desweltweit verkauften Ko-

    kains kontrollierte. Nachseiner Verhaftung erzähl-te er seine Geschichte inseinem ersten Buch „Das

    Kartell der Kröten“, aufdem der TV-SenderCaracol seiner Tele-

    novela basiert.Die Serie er-

    reichte 2008,das Jahr ihres

    Debüts, diehöchstenEinschalt-quotenund wurdein überfünfzigweltweiteLänderverkauft.Eine nichtminder er-

    folgreichezweite Staf-

    fel wurde 2010 ausgestrahlt.Nach López besteht der Erfolg

    der Telenovelas darin, dass „dieLeute die Geschichten aus ersterHand hören wollen. Ich habe dieDinge ja selbst erlebt“.

    Das zweite Buch des ex Dro-genleaders heißt „Die Phantasti-sche, die Frauen des Kartells“. Ca-

    racol drehte im 2009 die TV-Ver-sion mit dem Namen „Die Püpp-chen der Mafia“, die die meistge-sehene Serie des Jahres in Ko-lumbien war.

    Die Serie beschreibt das Le-ben von sechs Frauen, die davonträumen ein Leben jenseits derArmut, als Gespielin eines rei-chen Drogenbarons, zu haben.“Die Püppchen der Mafia“ zeigtden Versuch der jungen Frauenaus dem Armenviertel, im Dro-genhandel Fuß zu fassen. Wie Re-nata, die sich überzeugen lässt,einen Flug als „Mula“ (Drogenku-rier) zu wagen, um der Armut zuentfliehen. Am Ende stirbt sie.

    Für María Emma Mejía, ko-lumbianischer Aussenminister,beschädigen diese Serien das

    legale und illegale Schönheitskli-niken, die vergleichsweise güns-tig einen normalen Mädchen-körper auf traumhafte Model-maße umoperieren.

    Im Jahr 2009 berichtete dieKolumbianische Gesellschaft fürPlastische Chirurgie tausendBrustvergrößerungs-OPs im Mo-nat. Zu der Anzahl gehören nichtnur Frauen aus Medellín sondernauch aus anderen Städten undLändern.

    Die Polemik über die Einflüs-se der kolumbianischen Teleno-velas steht immer noch im Mit-telpunkt vielen Debatten. Trotz-dem werden immer wieder neueProduktionen ausgestrahlt. Erstvor wenigen Tagen fand das De-büt der Serie „El Capo“ (Der Mafi-apate) statt. Nun erfahren die Zu-schauer, wie Pablo Escobar, derehemalige Boss des MedellínKartells, durch Gewalt und Dro-genschmuggel zu einem der

    reichsten Menschender Welt wurde.

    „El Capo“wurde so-

    gar inEscobarsRanch„Hacien-da Nápo-les“ ge-

    dreht.Heutzutage

    ist die Hacien-da für das Publi-

    kum geöffnet undwird vom kolumbianischenStaat als Touristenattraktion ge-fördert.

    „Ohne Titten kein Paradies“Geld, Macht und Frauen: die Erfolgsformel der kolumbianischen Telenovelas

    VON SOLANGE MORALES

    Prostitution, Drogenhandel -undAuftragsmord sind keine unge-wöhnlichen Themen derkolumbianischen Tele-novelas. Sie heißen„Das Kartell der Krö-ten“, „Die Püppchender Mafia“ oder „Oh-ne Titten gibt eskein Para-

    dies“ und sind ein Teil der ko-lumbianischen Alltagskultur.

    Einige wurden von den Dro-genbossen selbst geschriebenund zeigen ihre Welt: SchöneFrauen, teure Sportwagen,Apartments in Miami und NewYork. Und der Krieg, den sich dieBanden täglich untereinander

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    Telenovelas im kolumbianischen Fernsehn

    Die kolumbianische Universität „De Los Andes“ bezeichnete 2009 dieTelenovelas als das erfolgreichste Fernsehprodukt des Jahres. Ein For-schungsprojekt der Fakultät für Kommunikationswissenschaft der Uni-versität berichtete, dass mindestens 60 Prozent des nationalen Fernseh-programms aus eigenen Produktion stammt. Das führte dazu, dass vieleProduktionsfirmen mehrere Telenovelas für den nationalen Markt her-stellten. Die Produzenten bekamen die Auflage, dass die Telenovelas aufWerken aus der Literatur basieren müssten. Dies hatte Auswirkungen aufdie Qualität der Geschichten: Die Produzenten konnten in einem relativgeschützten Markt Neues ausprobieren. So entstanden neue Geschich-ten. Die beiden kommerziellen TV-Sender RCN und Caracol erreichen inKolumbien 80 Prozent des Publikums. Es werden zwar recht viele auslän-dische Fernsehprogramme gezeigt. Doch werden in der Hauptsendezeitnur Eigenproduktionen ausgestrahlt, die im eigenen Land immer erfolg-reicher sind als importierte. Caracol zeigt acht Telenovelas pro Tag, da-von vier in der Hauptsendezeit. Auf nationaler Ebene erreicht Caracolden größten Anteil des Publikums. 2006 lag er bei über 50 Prozent. Da-mals konnte Caracol fünf Telenovelas unter den acht meist gesehenenProgrammen in Kolumbien platzieren.

    Szene der Telenovela „Ohne Titten gibt es kein Paradies“: Das Bild zeigt „La Diabla“ und Catalina zusammen mit den Drogenbossen Foto: Caracol TV

    Bild des Landes. Sie zeigen Ko-lumbien als das Land der Drogen,der Mafia und der Guerrillas. Au-ßerdem haben sie keinen gutenEinfluss auf die Zuschauer. Vorallem die Jugendlichen aus denArmenvierteln wollen sich ge-nauso wie ihre TV-Helden nachoben schießen. Sie träumen voneinem Porsche, von einem Lebenin Miami und von Latina-Schön-heiten aus den Clubs in New Yorkoder Los Angeles.

    Für Legionen von Fans sinddie Telenovelas eine authenti-sche Darstellung des von Armutund Kriminalität durchsetztenkolumbianischen Alltags. Dochan diesem Image stoßen sichauch die Gegner. Familiengrup-pen, religiöse Institutionen und

    Feministinnen machen in Zei-tungskommentaren und Inter-views Ihrem Unmut über die ih-rer Meinung nach sexistischenFrauenbilder der Serien Luft.

    In der Telenovela „Ohne Tit-ten gibt es kein Paradies“ wirddiese Thematik deutlich darge-stellt. Die 17-jährige Catalina ver-sucht das Herz eines Drogenba-rons zu gewinnen und lässt sichdeswegen den Busen vergrö-ßern. Da sie arm, mittellos undkein Geld hat, muss sie als Prosti-tuierte arbeiten.

    “Was heute zählt, ist ein gutesPaar Titten“, muss sich Catalinavon ihrer Erzfeindin „La Diabla“(Die Teufelin) unverblümt beleh-ren lassen, „egal, ob sie aus Gum-mi, Holz oder Stein sind.“

    Wie auch in anderen lateina-merikanischen Ländern boomtin Kolumbien die Schönheitschi-rurgie. Medellín, die Stadt des le-

    gendären Drogenhändlers PabloEscobar, steht nicht nur für Koka-in, sondern auch für Hunderte

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    Solange Morales, 26

    n ist Studentin desMasterstudiengangsMedienkultur an derUniversität Bremen.Nach ihrem Studiumwürde sie gerne alsNachrichtenkorrespon-dentin für Lateinamerikaarbeiten

    Andrés López, ehemaliger Drogendealer

  • medien leben WS 2010 / 2011 4semesterzeitung uni bremen

    than ten years now. „When I firstcame I used to call my family on-ce a week, sometimes less, becau-se it was very expensive. Someti-mes I would receive or send a let-ter to one of my closest familymembers and friends, not more“,she explains. She says that overthe years she started to hearfrom other foreigners how theyused the Internet to stay in touchwith their homeland and eventhough she describes herself asbeing not the „computer type ofperson“ she started to try andsurprisingly it worked out veryeasily. Soon sending e-mails ortalking in the MSN messengerbecame part of her routine. The-se days she is also an active userof Skype, specially when her firstson was born and almost every-day the grandparents in Brazilcan sort of monitor the growth oftheir grand some trough thewebcam.

    After coming from Rio de Ja-neiro two years ago, Thamya Ro-cha experienced another realitythan the one from Magali. „SinceI came, I‘m always calling my fa-mily with Skype and chattingwith friends every time that Iwant“. She also explains that sheeasily stays in touch with her fri-ends that also are in the socialnetwork, Facebook „I can postphotos and comments in orderto share my experiences hereand become an instant feedback.Sometimes I‘m feeling down andthe receive some kind of onlinemoral support“, she sayslaughing.

    It is clear how the Internet hel-ped to insure the maintenance ofspecial relationships for peopleliving abroad, especially for theones that, like Brazilians don‘thave the opportunity to fly homeoften, because of the big coststhat are implied to that. But onthe other side, it also brings upthe question if this easiness to bevirtually connected to theirhomeland is somehow replacingor taking the time that was sup-posed to be used to bild and de-velop real relationships in theirhost country.

    The psychologist AlexandreSerpa affirms that it is importantto be alert so that the time spendin Facebook and Skype doesn‘t

    Brazilians that are already livefor some time away from Brazil,and also pages and virtual com-munities spread by Facebookand a Brazilian version of Face-book.

    In this pages is possible to findvaluable tips even before they re-ally leave Brazil, about how to dif-ferent sorts of bureaucracy likeapplying for visa, studding atGerman universities and how toapply for a job. There are also for

    the ones that are already here,the opportunity to share theirexperiences and sometimes tohelp the ones that are now arri-ving and on the other hand to beadvised about practical or cultu-ral aspects they aren‘t‘ aware un-til now. There are topics that cango from how to find Brazilianfood in the region their living oronline to topics describing witch

    To BrazilonlysurfingHOW THE BRAZILIAN COMMUNITY USE THE INTERNET TO

    REDUCE THE REAL AND CULTURAL DISTANCE FROM THEIR

    HOMELAND AND GERMANY

    VON BRUNA RUSSO

    More than 10.000 kilometersdistance. That‘s how far thou-sands of Brazilians living in Ger-many are from their family andfriends. Living so far away andhaving to cope with all the chal-lenges of starting a new life inanother country are just some ofthe aspects to deal with, witch al-so includes the omnipresent fee-ling of saudade. This Brazilianword that actually doesn‘t havean exact word to translate it, de-scribes „a somewhat melancho-lic feeling of incompleteness. It isrelated to think back situationsof privation due to the absence ofsomeone or something, to moveaway from a place or thing, or tothe absence of a set of particularand desirable experiences andpleasures once lived“.

    It is not at all easy to live con-stantly feeling that your missingsomething or someone an theonly thing to do is to remain incontact. There are now availableso many more options than thatalmost romantic peace of paperthat traveled many days, so manythat sometimes the news on it,were already old. Its almost a cli-ché to say that the Internet chan-ged everything, but in this case ofthe ones that for some reason de-cided to live in Germany it reallydid.

    It certainly changed the life ofMagali Sonder Fett, a member ofthe Bremen Tanz Theater Group,that lives away from her home-town in south Brazil for more

    97.000 neue Bücher erschienen im Jahr 2007– wie soll man sich hier noch orientieren Foto: dpa

    stores in Germany are open,where they are and how to gettherewithpublictransportation.

    The doctor student Ana Caro-lina Santos lives in Bremen formore than two years now and in-tends to live here with her Ger-man husband. For her those fo-rums and websites a very usefultool to find Brazilians that also li-ve here to share experience. Shetells that sometimes that tends

    to evolves into a fri-endship. „I‘m he-

    re studyingand have a

    Germanhusband.I think Ialreadyhave theopportu-nity to un-

    derstandthe German

    culture littlebit, what I find it

    very important. Butits is inevitable that sometimes Imiss my own culture and havesome difficulties living here.That‘s why is very good to meetpeople trough these websitesthat I can relate to“ , she explains,adding that sometimes they alsopromote events witch are verygood to integrate the virtualgroup in real life.

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    Brasil online

    Websites for Brazilians living inGermany and all people interestedin Brazilian culture and people.www.viver-na-alemanha.de: con-taisn the biggest forum from Brazi-lians in Germany. www.face-book.com: search for group Brasi-leiros na Alemanha or Brasilianerin Deutschlandna-alemanha-tem.tumblr.com:tumlr about brazilian food. How tofind brazilian ingredients and alsothe german ones that can replacewhat you cannot find it here.

    It is not at all easy to live constantly feeling that your missing something or someone an the only thing to do is to remain in contact.

    VON STEFANIE DÖSCHER

    Die Türen öffnen sich, man wireingesogen in eine Welt fernabder Realität. Die Welt der Bücher.Hinter manchem kunterbuntemCover verbringt sich ein Schick-sal, tiefgreifend und aufwüh-lend. Andere können ein Pro-blem lösen, das bisher als unü-berwindbar galt. Manche ma-chen einfach nur glücklich.

    Das Gefühl einen Buchladenzu betreten ist überwältigend.Stundenlang durch die Regalelaufen, in den Seiten versinken.Die Realität um sich herum ver-gessen und am Ende steht dieFrage: Welche dieser fernen Wel-ten gefällt mir am besten?

    Zu meinem Bedauern verla-gerte ich diese Entscheidung im-mer mehr aus dem Buchlandenhinaus. Nachdem ich jedes Buchan- gesehen habe, mich reingele-sen habe, ein bisschen das Ge-fühl der Geschichte erfasst habe,verließ ich den Lasen wieder.

    Bevor ich ging machte ich mitdem Handy ein Bild des Buch-covers. In meiner Wohnung an-gekommen schaltete ich denLaptop ein, suchte das interes-sante Buch bei Amazon undkaufte es nur, wenn es eine guteBewertung hat. Überraschungs-momente gab es kaum noch, ichfühlte mich nahezu betrogen,wenn das Buch nicht hielt wasdie Bewertungen versprachen.

    Überraschungsmomente, dieich früher oft erlebte bleiben aus.In den meisten Fällen waren dieBücher genauso gut oder ebenschlecht, wie Amazon es einemsagte. Jedoch kommt es aller-dings auch zum Situationen indenen Bücher nicht verstandenwerden, der nächste Kritiker ori-entiert sich am ersten und repro-duziert seine Aussage.

    Bücher, die über einen hohenkünstlerischen Wert verfügenwerden abgewertet. ThomasManns Zauberberg wird das At-tribut ,,Langeweile pur“ vorge-

    Leseverständniszwang: Wider die KommentarfunktionJEDER KANN SEINEN SENF DAZUGEBEN. WEB 2.0 MACHT ES MÖGLICH. ZU ALLEN BÜCHERN, MUSIK ODER FILMEN. WIE MIR AMAZON KOMMENTATOREN SCHON SO MANCHES BUCH VERMIESTEN

    worfen und dem großartigen,,One Day“ von David Nicholiskeinerlei Emo- tionen unter-stellt.

    Irgendwann kam der Momentals ich mich darauf spezialisiertebei jedem Buchkauf nur die ne-gativen Bewertungen zu lesenund diese zu widerlegen oder zuunterstützen. Der Moment indem ich wusste: Es ist genug.

    Ich habe aufgehört, Bewer-tungen bei Amazon zu lesen, ha-be beschlossen nicht mehr im-mer zuerst das Preis-Leistungs-verhältnis zu überprüfen, bevorich ein Buch kaufe. Dies hat zweipositive Nebeneffekte. Auf der ei-nen Seite steht man nicht mehrunter dem Zwang, das schlechtean einem Buch herauszufiltern.Und man erlebt immer wiederÜberraschungen.

    Wieder eine ferne Welt abzu-tauchen, ohne unter dem Zwangzu stehen, sein Leseverständnismit dem der anderen zu verglei-chen, ist wunderbar befreiend.

    replace the one shared withother people in social activities.„It is important to maintain con-tact with family and friends inBrazil, but also not to forget to goout and meet people. This activi-ties can be crucial for the personto feel integrated to his or hernew reality“, he explains.

    Yasmin Lechte recently gradu-ated in Communication Studiesin Hamburg and agree that at so-me point the excessive connec-tion to Brazil affects her will tosearch and establish news relati-onships in Germany. „Someti-mes I think that when I should bejust living my life here I‘m tal-king and looking pictures of myfriends there, what they are do-ing. Specially in winter when itssummer there, everybody onvacation at the beach, and I‘m he-re studying and working in thecold. At some point you are justthinking about what would it beto be there, not living the mo-ment.“ Internet as a link to rea-lity

    For some Brazilians its is so-metimes difficult to unlinkthemselves from this „virtualBrazil“, but there are many otherones that use the Internet to findinformation that helps them un-derstand how everything worksin Germany. There are Websitesand Forums, mostly created by

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    Bruna Russo, 28

    n studiert im Master-Studiengang Medien-kultur und möchteeinmal Korrespon-dentin für Internatio-nales werden

  • 5 WS 2010 / 2011 medien leben semesterzeitung uni bremen

    ren ruhige Sprecher angeblichdie einzigen und wahren Ver-mittler von Nachrichten sind.

    Das Experiment beginnt dankPro 7 tagtäglich mit einer bitte-ren Enttäuschung: Recht schnellwird mir als Zuschauer deutlich,dass diese Sendung nicht zurHerzensangelegenheit derPro7Sat1Mediagroup gehört. Wieauch, wenn Vorstandschef Tho-mas Ebeling der Meinung ist,dass Nachrichten ,,vielleicht fürdas Image bei Politikern wichtig“seien, ,,aber nicht unbedingt beiallen Zuschauern“. So scheinendann auch die Nachrichten, ein-gebettet zwischen TAFF undSimpsons, nicht mehr als ein Lü-ckenfüller zu sein. Zwischen An-und Abmoderation vergehenmaximal sieben Minuten. IhrKonzept ist in dieser Zeit immerdasselbe: Einige kurze Topnews,immerhin mit Expertenmei-nung und dem ein oder anderenO-Ton der Beteiligten garniert. Esfolgt der ,,Newsflash“, wo überAgenturvideos zwei, drei gehetz-te Sätze der Nachrichtenspre-cher gesprochen werden. Zölibat,

    Tunesien, Australien- In Tele-gramm-Form wird berichtet, Zeitfür eine kritische Berichterstat-tung bleibt da nicht. Die erstenfünf Minuten lassen den Zu-schauer uninformiert und ver-wirrt ob der vermeintlichenKomplexität zurück. Fragennach dem warum und wieso blei-ben auf der Strecke.

    Dann aber ist man zumindestbetroffen, schockiert oder ent-zückt. Es scheint Pro7- Konzeptzu sein, zumindest eine dramati-

    sche Meldung lang und breit zupräsentieren. Schon die Anmo-deration macht es deutlich: esgeht nun nicht mehr um das ver-breiten von Wissen, sondern umdas hervorrufen von Gefühlen.Vom ,,tierischen Glück im Londo-ner Zoo“ über den ,,überaus be-wegenden Trauergottesdienst“für den toten Mirco bis zum,,schrecklichen und grausamenZugunglück“ in Sachsen-Anhalt-Die emotionale Schiene scheint

    Pro7 mit seinen Nachrichten per-fektionieren zu wollen. Doch pi-etätvoll ist die Präsentation auchhier nicht. Manche der ausge-strahlten Straßeninterviews vonweinenden Menschen nach demGottesdienst scheinen nichtmehr als plumpe Effekthasche-rei zu sein. Und es spricht vonausgesprochenem Zynismus

    Ägypten oder Hirschruf - WeltmeisterschaftKANN DER ZUSCHAUER BEIM THEMA NACHRICHTEN AUF DIE ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN SENDER VERZICHTEN? ODER SIND SIE DIE LETZTE BASTION FÜR DIEJENIGEN, DIE IM

    FERNSEHEN WERT AUF GUTE NACHRICHTEN LEGEN? EIN KLEINER SELBSTVERSUCH.

    VON LUCA STARK

    Mein Freund Benjamin ist einMensch mit hoher Frustrations-grenze. Die braucht er auchschließlich hat er es in den Mühl-steinen einer am Boden liegen-den ehemaligen Volkspartei in-nerhalb von kurzer Zeit zu einerLokalgröße der gebracht. Er istein Überzeugungstäter der Ver-ständnis für die Wut der Bürgerüber die da Oben und ihr Politi-kersprech entgegenbringt. Um-so erschütterter war ich als ersich vor einigen Wochen seinerFrustration hingab. Es war einebierselige Diskussion über Parti-zipation und Jugendengagementin den Parteien. ,,Der Grund“, be-gann er ,,warum sich keinermehr für Politik interessiert ist,dass alle nur noch Privatfernse-hen schauen.“ Punkt. Aus. Ende.Da war sie kurz, die Basta-Politikaus vergangenen SPD-Tagen, dermein Freund eigentlich abge-schworen hatte, weil sie die Lustan Politik zerstört. Dennoch ließer sich auf keine Diskussion ein.Dieser Standpunkt scheint fixund unumkehrbar in seinenGrundfesten verankert.

    Meinem dickköpfigen Freundkonnte ich an diesem Abend mitkeinem noch so schlagkräftigenArgument Paroli bieten: Auf RTLAktuell antwortete er Dschun-gelcamp,auf Klöppel Bohlen.

    Viele Gründe diese Theorie zutesten.

    Bringen die Privaten wirklichnur Versatzstücke, unzusam-menhängende Informationen,die mich der Politik eher ent-fremden als dass ich sie verste-hen könnte? Oder bieten sieletztlich dieselben Nachrichten,nur eben garniert mit den unver-zichtbaren Promibabys nach derdie Massen lechzen? Eine Wochelang werde ich neben der übli-chen Tagesschau auch die Priva-ten einschalten. Beginnen wirdder Tag mit Pro7-Newstime um18 Uhr. Kurz darauf folgt mit RTLAktuell das Flaggschiff der RTL-Group. Schlussendlich geht esdann wieder zurück in denSchoß der Grande Dame derNachrichten, der Tagesschau, de-

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    Luca Stark,22

    n studiert in BremenPolitikwissenschaf-ten. Zukunftspläne?„Irgendwas mit Me-dien oder etwas ganzanderes“

    wenn im nächsten Beitrag einelfjähriger Junge als ,,kleiner Re-porter“ auf die aktuelle Spielwa-renmesse geschickt wird (im Üb-

    rigen einer der längsten Beiträgeder gesehenen Sendungen).

    Noch düsterer sieht es fürPro7 aus, wenn ich mir im Ver-gleich dazu die Tagesschau be-trachte: Fünfzehn Minuten un-aufgeregte Nachrichten aus allenWinkeln der Welt. Das Bildmate-rial ist nicht auf Skandale aus,sondern dient hier der Unter-stützung des Gesprochenen,nicht andersherum. Und es wer-den Fragen beantwortet anstattaufgeworfen. Wo Pro 7 nur einenSatz zur Zölibatsdebatte in derkatholischen Kirche zustandebringt, da lässt die ARD Für- undGegensprecher zu Wort kom-men. Über die ägyptischen Un-ruhen wird nicht innerhalb vonzwei Minuten über Kairoer Bil-der gesprochen, es gibt dezidier-te Berichterstattungen aus Afri-ka, den USA, Europa.Auch dieSprache ist weniger drastisch, da-für um einiges komplexer. WoPro7 von den SchlägertruppsMubaraks spricht, spricht dieARD schlicht von Pro-MubarakAnhängern. Ich hätte nach die-sen Eindrücken meine Segelstreichen müssen und meinemFreund kleinlaut recht gebenmüssen, gäbe es nicht den Be-gründer des Privatfernsehens inDeutschland, RTL. Während ichvon Newstime enttäuscht undvon der ARD in meiner Meinungbestätigt wurde, hat mich RTL po-sitiv überrascht.

    Das Format mit der selbenLänge der Tagesschau gibt sichetwas moderner als die anderen

    Nachrichtenshows im deut-schen TV. Nach amerikanischemVorbild stehen zwei Sprecher amTisch. Noch vor der Anmoderati-on gibt es einen Teaser der zweioder drei der wichtigen Nach-richten zusammenfasst, danngeht es sofort in medias res. Auchhier das Top-Thema der Woche:Ägypten. Neben den üblichenAgenturmeldungen auch frischeBilder vom Tahirplatz, auf denensich RTL-Ikone Antonia Rados ge-schlagen hat. Eine Journalistinvor Ort, die Bilder sammelt-Mehr als die ARD zwei Stundenspäter vorzeigen kann, dereneinzige direkten Nachrichtenüber Tage das Telefoninterviewmit dem dortigen Korrespon-denten war. Am meisten hatmich jedoch etwas anderes in der

    Berichterstattung überrascht:Die einzige wirklich kritische Be-richterstattung über die Zurück-haltung der EU und USA in derÄgyptenfrage wurde nicht vonder ARD sondern von RTL gelie-fert. Insgesamt sind beide Sen-dungen auf demselben Niveau

    bei RTL alles etwas fescherund moderner wirkt. Die Spra-che ist einfacher und verkürzter -Eben auf die ,,werberelevanteZielgruppe“ zugeschnitten. Al-lerdings beweist RTL dann dochnoch, dass nicht alles Gold ist,was glänzt. Auf wirklich gutejournalistische Arbeit folgt oft-mals prompt der Rückfall aufdüsteres Niveau. Beispielsweiseals zum Thema Alkoholkonsumvon Jugendlichen der gesamteBeitrag aus Bildern von saufen-den oder komatösen Jugendli-chen besteht, über die eine Off-Stimme gelegt wurde (und aufRTL.de der persönliche Alkohol-problem-Test angeboten wird).Oder wenn wirklich fünf Minu-ten Sendezeit auf die Hirschruf-Hallenmeisterschaft verwendetwird.

    Was vom Fernseh-Streit übrigbleibt? Nun ich muss Benjaminwohl in Teilen recht geben: Da-durch, dass die Privaten keinenBildungsauftrag haben, könnensie als Nachrichten verkaufen,was immer sie wollen - bzw.durch den Staatsvertrag zeigenmüssen. Aber eine generelle Ver-teufelung oder Sündenbock-funktion kann man Ihnen nichtzu schieben. Gerade RTL beweist,dass auch die Privaten trotz Quo-tendruck zumindest teilweiseanspruchsvolle Nachrichten ma-chen können. RTL News mag et-was bunter und aufgeregter wir-ken und nicht immer die glück-lichsten Themen und Bildaus-wahl haben- Aber wer ihre Nach-richten ordentlich verfolgt, der

    hat zumindest inden Kernthe-

    men nichtsverpasst, was

    der ARD-Zuschauernicht auchmitbe-kommt.Einzig Pro 7

    sollte manerst nach 18

    Uhr einschal-ten- da läuft dann

    keine Realsatire mehr, sonderndie Simpsons. Die schaut Benja-min übrigens gerne.

    was ausgeglichene Berichter-stattung, zumindest über dieTopthemen, angeht, auch wenn

    fen.Noch jedenfalls, denn die End-

    losschleifen des Nachmit-tagstrash-TVs sorgen weiterhindafür, dass jede Woche ein neuerName aus der Liste gestrichenwerden muss. Ansonsten wärendie Rollenbilder, die meine Kin-der mit ziemlicher Sicherheit

    einnehmen werden, definitivklar. Cindy wird sich mit 14 Lip-penpiercings stechen lassen,wahlweise ihre Schule, Ausbil-dung, Studium abbrechen undletztlich viel zu früh Schwangerwerden. Jaquline wird sich naivvon ihrem Freund ausnehmenlassen, Dennis droht ein Alkoholund Drogenproblem und Aliwürde mit Fabio und Martin einekleine, halbstarke Schlägertrup-pe bilden. Dass Doppelnamenwie Marie-Chantal und Domi-nik-Pasqual inzwischen jede le-gitime Daseinsberechtigung au-ßerhalb des Nachmittagspro-gramms verloren haben, mussan dieser Stelle nicht mehr er-wähnt werden.

    Mit jeder Stunde weiterenStunde Fernsehkonsum wirdmir die Wucht der sozialen Kon-struktion auf mich deutlicher:Spricht jemand von Murat wür-de ihm selbst ein Germanistik-Magister nichts nützen, im ers-ten Moment wird er immer derhalbstarke Drogendealer sein.Genauso wie Kevin auch im An-

    zug und mit der Management-lehre in der Tasche immer derPrekariats-Junge mit ADHS seinwird, der seiner Mutter undruck-bare Beschimpfungen entgegenschleudert.

    Das Traurige ist, dass es nichtreicht wenn ich die Programmeausschalte – wer garantiert mirdenn, dass meine Freunde beider Taufe nicht unweigerlich aneinen melancholischen Emo-Co-re denken, wenn Timo seinen Na-men erhält? Die einzige Lösung,so scheint es mir, ist es auf unmo-dische Namen zu setzen. Klar ist,er muss antiquiert genug sein,um zu verhindern, dass die Pro-grammdirektoren auf die Ideekommen den nächsten juvenilenAsozialen, der Hip wirken soll, sozu benennen. Und es darf keines-falls ein Name mit „J“ am Anfangoder „E“ am Ende sein, um ein ge-grölten Befehl wie „Tschaqueli-ne“ vorzubeugen.

    Viele bleiben nicht übrig. Viel-leicht sollte ich mein Kind ein-fach ,,Niemand“ nennen– Nemoklingt jedenfalls unvorbelastet.

    Wo sind denn nur all die schönen Namen hin?

    Josephine, Max, Canoder Masha - für michsind diese NamenNeutren, die mein Le-ben getrost mit Kind-heitserinnerungenfüllen dürfen.

    Wie lange noch?

    VON LUCA STARK

    Ich hasse das Fernsehen. Nichtaus den althergebrachten Grün-den, der Dauerberieselung mitWerbung, dem Krawall der Priva-ten oder Dieter Bohlen. Ehrlichgesagt - ich mag das Fernsehengrade wegen so etwas.

    Was mich stört, ist etwas ande-res. Lange bevor ich überhauptmit der Familienplanung begin-ne, streicht die Flimmerkiste dieListe mit möglichen Namen fürmeine zukünftigen Kinder syste-matisch zusammen. Denn wäh-rend frühere Generationen we-nigstens noch auf andere Klas-sen oder Subkulturen herab-blickten, die sie mit handfestenVorurteilen anreichern konnten,bleibt meiner Generation dankdes heutigen Fernsehpro-gramms und der Auflösung vonalten Milieus nur noch der ab-schätzige Blick auf Namen. Jose-phine, Max, Can oder Masha - fürmich sind diese Namen Neutren,die mein Leben getrost mit Kind-heitserinnerungen füllen dür- Nemo mit Bär Nemo mit Bär

    DAS NACHMITTAGSPROGRAMM BEDIENT SICH NICHT NUR STETS DER GLEICHEN STEREOTYPEN, SONDERN AUCH DER

    GLEICHEN NAMEN. OFT GENUG GEHEN DAMIT GANZE FAMILIEPLANUNGEN ZU GRUNDE. AUCH BEI MIR.