Medikamenteninduzierte Komplikationen; Drug-induced complications;

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Anamnese Eine 53-jährige Patientin stellte sich mit einem Areal eines schmerzhaft frei lie- genden Knochens in Regio 036 vor (. Abb. 1). Zuvor habe sie eine Schwel- lung im Bereich des linken Unterkiefers entwickelt; ihr Zahnarzt habe daraufhin in Regio 036 einen Abszess gespalten. Bei persistierender Schwellung stellte sich die Patientin schließlich in einer Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ambulant vor. Klinischer Befund und Diagnostik In der klinischen Untersuchung zeig- te sich in Regio 036 eine Fläche von ca. 15×3 mm an nekrotischem Knochen so- wie eine Fistelbildung nach vestibulär und lingual. In der bildgebenden Diagnostik mittels digitaler Volumentomographie (DVT) konnte eine Osteolyse der linken Man- dibula dargestellt werden. Hierbei zeigte sich die Spongiosa aufgelockert, im um- liegenden Gewebe waren Lufteinschlüsse zu sehen (. Abb. 2). Nach Einleitung einer intravenösen antibiotischen Therapie erfolgte die De- kortikation des linken Unterkieferkno- chens. Der histopathologische Befund zeigte vereinzelt vitale Spongiosabälkchen mit einer Markraumfibrose sowie nekroti- schem Knochen (. Abb. 3). MKG-Chirurg 2014 · 7:133–135 DOI 10.1007/s12285-013-0404-5 Online publiziert: 14. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 D. Pakosch 1, 3  · D. Papadimas 1  · J. Munding 2  · D. Kawa 1  · M.S. Kriwalsky 1 1    Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie,  Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum GmbH 2    Georgius Agricola Stiftung Ruhr - Institut für Pathologie, Ruhr-Universität Bochum am  Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum 3    Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Klinikum Vest GmbH,  Behandlungszentrum Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen Medikamenteninduzierte   Komplikationen Bild und Fall Abb. 19 Klinischer  Befund des freiliegen- den Knochens in Re- gio 036. (Mit freundl.  Genehmigung der Au- toren) Dieser Beitrag erschien bereits in englischer Sprache unter dem Titel „Osteonecrosis of the mandible  due to anti-angiogenic agent, bevacizumab“ in der Zeitschrift Oral Maxillofac Surg (2013) 17(4):303– 306. Redaktion T.E. Reichert, Regensburg Abb. 28a,b DVT-Rekonstruktionen: Osteolyse der linken Mandibula. (Mit freundl. Genehmigung der  Autoren) 133 Der MKG-Chirurg 2 · 2014|

Transcript of Medikamenteninduzierte Komplikationen; Drug-induced complications;

Page 1: Medikamenteninduzierte Komplikationen; Drug-induced complications;

Anamnese

Eine 53-jährige Patientin stellte sich mit einem Areal eines schmerzhaft frei lie-genden Knochens in Regio 036 vor (. Abb. 1). Zuvor habe sie eine Schwel-lung im Bereich des linken Unterkiefers entwickelt; ihr Zahnarzt habe daraufhin in Regio 036 einen Abszess gespalten. Bei persistierender Schwellung stellte sich die Patientin schließlich in einer Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ambulant vor.

Klinischer Befund und Diagnostik

In der klinischen Untersuchung zeig-te sich in Regio 036 eine Fläche von ca. 15×3 mm an nekrotischem Knochen so-wie eine Fistelbildung nach vestibulär und lingual.

In der bildgebenden Diagnostik mittels digitaler Volumentomographie (DVT) konnte eine Osteolyse der linken Man-dibula dargestellt werden. Hierbei zeigte sich die Spongiosa aufgelockert, im um-liegenden Gewebe waren Lufteinschlüsse zu sehen (. Abb. 2).

Nach Einleitung einer intravenösen antibiotischen Therapie erfolgte die De-kortikation des linken Unterkieferkno-chens. Der histopathologische Befund zeigte vereinzelt vitale Spongiosabälkchen mit einer Markraumfibrose sowie nekroti-schem Knochen (. Abb. 3).

MKG-Chirurg 2014 · 7:133–135DOI 10.1007/s12285-013-0404-5Online publiziert: 14. März 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

D. Pakosch1, 3 · D. Papadimas1 · J. Munding2 · D. Kawa1 · M.S. Kriwalsky1

1  Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie, 

Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum GmbH2  Georgius Agricola Stiftung Ruhr - Institut für Pathologie, Ruhr-Universität Bochum am 

Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum3  Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Klinikum Vest GmbH, 

Behandlungszentrum Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen

Medikamenteninduzierte  Komplikationen

Bild und Fall

Abb. 1 9 Klinischer Befund des freiliegen-den Knochens in Re-gio 036. (Mit freundl. Genehmigung der Au-toren)

Dieser Beitrag erschien bereits in englischer Sprache unter dem Titel „Osteonecrosis of the mandible due to anti-angiogenic agent, bevacizumab“ in der Zeitschrift Oral Maxillofac Surg (2013) 17(4):303–306.

RedaktionT.E. Reichert, Regensburg

Abb. 2 8 a,b DVT-Rekonstruktionen: Osteolyse der linken Mandibula. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

133Der MKG-Chirurg 2 · 2014  | 

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»  Osteonekrose des Unterkiefers nach Therapie mit Bevacizumab

Aufgrund eines Pankreaskarzinoms war die Patientin zunächst chemotherapeu-tisch mit Gemcitabine und Erlotinib und anschließend mit dem FOLFOX-Schema (Folinsäure, 5-Fluorouracil und Oxalipla-tin) behandelt worden. Danach folgte eine Behandlung mit Paclitaxel, Bevacizumab und Sorafenib. Im Verlauf der Therapie mit Bevacizumab entwickelte die Patien-tin eine ausgedehnte Osteonekrose des Unterkiefers.

Therapie und Verlauf

Nach der Dekortikation wurde die intra-venöse antibiotische Therapie fortgesetzt, die Ernährung erfolgte über eine naso-gastrale Sonde. Postoperativ entwickelte die Patientin eine Wundheilungsstörung

mit einer Dehiszenz und freiliegendem Knochen von 10 mm im größten Durch-messer in der Region der Ursprungslä-sion. Nach Konsultation des behandeln-den Onkologen wurde die chemothera-peutische Behandlung der Patientin we-gen Therapierefraktion eingestellt und die Wundheilungsstörung konservativ wei-terbehandelt.

Nach 2-monatiger konservativer Be-handlung mit täglichen Spülungen und lokalem Débridement war die Wundhei-lung endgültig abgeschlossen und kein Knochen mehr sichtbar (. Abb. 4).

Diskussion

Die Osteonekrose ist als eine Wundhei-lungsstörung definiert und häufig mit der Einnahme von Bisphosphonaten assozi-iert. Das Risiko für die Entwicklung einer Osteonekrose unter Bisphosphonatther-apie steigt nach einem dentalen Trauma, aber auch nach der Einnahme von Kor-tikosteroiden oder einer Chemotherapie

[1, 2]. Bei der bisphosphonatinduzierten Osteonekrose ist der Unterkiefer häufiger betroffen als der Oberkiefer [3]. Es wird vermutet, dass diese Verteilung auf einer verminderten Vaskularisation des Unter-kiefers im Vergleich zum Oberkiefer be-ruht. Daneben vermindern Bisphospho-nate die Vaskularisation durch Regulie-rung des vaskulären endothelialen Wachs-tumsfaktors (VEGF; [4]).

Seit 2008 wurden einige Fälle einer Osteonekrose unter Therapie mit dem Angiogenesehemmer Bevacizumab be-schrieben [1].

Bevacizumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper der Gruppe der Immunglobuline, hemmt die Angiogene-se durch Inhibition von VEGF-A [4]. Da-durch kann prinzipiell auch die Vaskulari-sation des Unterkiefers negativ beeinflusst werden, was möglicherweise die Entste-hung einer Osteonekrose begünstigt. In Studien wurde gezeigt, dass durch die Ein-nahme eines Angiogenesehemmers das Risiko für die Entstehung einer Osteonek-rose steigt [1]. Bevacizumab scheint durch die modulierende Wirkung auf die Angio-genese, bedingt durch die Hemmung von VEGF, das Risiko für eine Osteonekrose zu erhöhen [5].

»  Patienten unter Bevacizumab sind als Risikogruppe einzustufen

Daher sollte bei Patienten, die unter der Einnahme eines Angiogenesehemmers stehen, aufgrund der verminderten Vas-kularisation des Unterkiefers und der Komplikation der Wundheilungsstörung

Abb. 3 9 a,b Histopathologischer Befund mit Markraumfibrose und nekrotischem Knochen. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 4 9 Klinischer Befund nach 2-mona-tiger konservativer Be-handlung. (Mit freundl. Genehmigung der Au-toren)

 D Wie lautet Ihre Diagnose?

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Bild und Fall

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die Indikation für dentale Eingriffe en-ger gestellt und Maßnahmen zur Früh-erkennung einer Osteonekrose getroffen werden.

Fazit für die Praxis

F  Zunehmend werden Fälle beschrie-ben, in denen Osteonekrosen unter Therapie mit dem Angiogenesehem-mer Bevacizumab entstehen.

F  Bei diesen Risikopatienten sollte die Indikation für dentale Eingriffe enger gestellt und Maßnahmen zur Früh-erkennung einer Osteonekrose ge-troffen werden.

F  Diese Osteonekrosen scheinen mehr-heitlich spontan und nicht nach zahn-ärztlichen/oralchirurgischen Interven-tionen aufzutreten.

Korrespondenzadresse

Dr. D. PakoschKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Klinikum Vest GmbH, Behandlungszentrum  Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen,Dorstener Str. 151,  45657 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  D. Pakosch, D. Papadimas, J. Munding, D. Kawa und M.S. Kriwalsky geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1.  Ngamphaiboon N, Frustino JL, Kossoff EB et al (2011) Osetonecrosis of the jaw: dental outcomes in metastatic breast cancer patients treated with bisphosphonates with/without bevacizumab. Clin Breast Cancer 11:252–257

2.  Hoefert S, Eufinger H (2010) Sunitinib may raise the risk of bisphospohonate-related osteonecrosis of the jaw: presentation of three cases. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 111:463–469

3.  Sanna G, Preda L, Bruschini R et al (2006) Bisphos-phonates and jaw osteonecrosis in patients with advanced breast cancer. Ann Oncol 17:1512–1516

4.  Guarneri V, Miles D, Robert N et al (2010) Bevacizu-mab and osteonecrosis of the jaw: incidence and association with bisphosphonate therapy in three large prospective trials in advanced breast cancer. Breast Cancer Res Treat 122:181–188

5.  Aragon-Ching JB, Ning YM, Chen CC et al (2009) Higher incidence of osteonecrosis of the jaw (onj) in patients with metastatic castration resis-tant prostate cancer treates with anti-angiogenic agents. Cancer Invest 27:221–226

Neue Parodontitis- Klassifikation entwickelt

Eine Arbeitsgruppe um den Bonner Paro-

dontologen Moritz Kebschull entwickelte 

auf der Basis genomischer Profile eine neue 

Klassifikation für schwere parodontale Er-

krankungen. Beruhend auf Erkenntnissen 

aus der Onkologie untersuchte Kebschull 

in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern 

der Columbia University (New York) die  

genomweiten Transkriptomprofile von 

insgesamt 240 Biopsien parodontal er-

krankter Gingiva von 120 Patienten mit 

chronischer oder aggressiver Parodontitis. 

Zwei Gruppen von Parodontitispatienten 

mit charakteristischen genomischen Pro-

filen, jedoch ohne Übereinstimmung mit 

der bisherig angewandten Klassifikation 

in chronische und aggressive Parodontitis, 

konnten die Forscher feststellen. Beide 

neuidentifizierten Gruppen zeigten aber 

ausgeprägte Unterschiede beispielsweise 

in der klinischen Präsentation. Mit der neu-

artigen Klassifikation können biologisch 

als auch klinisch unterschiedliche Gruppen 

identifiziert werden. Damit trägt diese Ein-

teilung zu einer frühzeitigeren Diagnose 

und gezielteren Therapie bei, als die bis-

herige nicht unumstrittene Klassifikation 

auf Basis klinischer Symptome. In einer 

Studie soll nun geprüft werden, ob die 

neue Klassifikation neben der Aufteilung in 

verschiedene klinische Phänotypen auch 

zukünftige Erkrankungsintensitäten und 

das Ansprechen auf therapeutische Bemü-

hungen vorhersagen kann.  

Literatur: Kebschull M, Demmer RT, Grun 

B, Guarnieri P, Pavlidis P, Papapanou PN 

(2014). Gingival tissue transcriptomes 

identify distinct periodontitis phenotypes. J 

Dent Res 93(5):459-468 

Quelle: Columbia University

Medical Center New York,

http://www.cumc.columbia.edu/

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