Meine sehr geehrten Damen und Herren - Fuko

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Meine sehr geehrten Damen und Herren Seit 3,6 Millionen Jahre bewegen sich die Hominiden und der homo sapiens im aufrechten Gang! Seit 126 Jahren bewegen wir uns mit dem Automobil! Unser Körper und unser Wahrnehmungsapparat sind 3,6 Millionen Jahre auf der Grundlage des aufrechten Ganges selektiert worden! Jürgen Gerlach hat mir zu diesem Schlussvortrag die Frage gestellt: „Was erwartet uns im Fußverkehr der Zukunft?“ Diese Frage kann ich sehr gut und ziemlich sicher beantworten! 1

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Meine sehr geehrten Damen und Herren

Seit 3,6 Millionen Jahre bewegen sich die Hominiden und der homo sapiens im aufrechten Gang!Seit 126 Jahren bewegen wir uns mit dem Automobil!

Unser Körper und unser Wahrnehmungsapparat sind 3,6 Millionen Jahre auf der Grundlage des aufrechten Ganges selektiert worden!

Jürgen Gerlach hat mir zu diesem Schlussvortrag die Frage gestellt: „Was erwartet uns im Fußverkehr der Zukunft?“

Diese Frage kann ich sehr gut und ziemlich sicher beantworten!

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„Was erwartet uns im Fußverkehr der Zukunft?“

Lassen Sie mich diese Frage mit einer Parabel beantworten!

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Wir schreiben das Jahr 2805. 

Die Erde ist durch Umweltverschmutzung aufgrund des Massenkonsums der Menschen und Vermüllung unbewohnbar geworden. 

Die Menschen haben die völlig verschmutzte Erde in die Weiten des Weltraums verlassen.

Während die Menschen in das Raumschiff Axiom umgesiedelt wurden, ist nur noch ein Roboter namens „Wall‐E“ auf der Erde zurückgeblieben.

Er soll den Müll zu beseitigen, damit die Erde eines Tages wieder bewohnbar wird.

Waste Allocation Load Lifter – Earth‐Class

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Im Raumschiff Axiom haben sich die menschliche Passagiere nach 800 Jahren Automatisierung, medialer Berieselung und geringer Gravitation zu unbeweglichen, degenerierten Lebewesen entwickelt. 

Sie sind nicht mehr fähig, sich selbständig zu Fuß zu fortzubewegen. 

Sie nehmen die Welt zumeist nur noch über einen Bildschirm wahr.

Sie liegen in mobilen Schalen, die sie gleitend durch die einzelnen Areale des Raumschiffs transportieren. 

Das Leben der Menschen wird für sie vom Bordcomputer namens Otto (sprich „Auto“) organisiert. 

Die Menschen sind willenlos bzw. nicht mehr in der Lage sich selbst zu organisieren. 

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Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt:

Wall‐E hat auf der Erde eine Pflanze entdeckt. Der Kapitän der Axiom lehnt sich gegen Otto auf. Die Menschen setzen sich gegen Otto durch und kehren zur Erde zurück.

Sie beginnen mit Hilfe von Robotern vom Typ Wall‐E mit der Rekolonialisierung der Erde. 

Im Abspann sieht man, wie die Erde zu einem Garten wird und sich die Körper der Menschen wieder normalisieren.

Dieser Film ist eine schöne Parabel über den elementaren Zusammenhang von intakter Natur, Körper, Geist und Seele. 

Nur die Fähigkeit uns aus eigenen Stücken fortzubewegen macht uns zu selbstbestimmten Wesen! 

Fehlende Bewegung, fehlendes Umwelterleben, entarteter Konsum und Cybermedien gefährden die Selbstbestimmung!   

So jetzt wissen Sie Bescheid und ich könnte den Vortrag hier beenden.

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„Die Idee kommt beim reden!“ schreibt Heinrich von Kleist! (L`idee vient en parlant)

Menschen haben nach Ernst Pöppel drei Möglichkeiten Gedanken zu sortieren und neue Gedanken zu (er‐) finden:

• beim Schreiben 

• bei einem guten Gespräch in unbeschwerter Atmosphäre (Sokrates: „Hebammenkunst“)

• beim Gehen.

Pöppel: „Die Tatsache, dass sich für viele die Gedanken bevorzugt beim Gehen entwickeln, spricht auch für die Beteiligung körperlicher Aktivitäten an Bewußtseinsvorgängen!“ 

Trägheit scheint dem Denken eher abträglich zu sein. 

Vor allem sind wohl Bewegungen rhythmischer Art, die sich nach ihrem Ablauf widerholen, besonders vorteilhaft für die Verfertigung der Gedanken. Auch Sprechen und Schreiben sind ja rhythmische Bewegungsabläufe, wenn auch mit geringerer Intensität“ (Pöppel, 2000, S. 

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Insofern möchte ich zu Beginn meines Vortrags die Bedeutung des Gehens für die „Selbstfindung“ herausarbeiten.

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Bewegung ist Quelle für Kraft!

• Gehen schafft, wenn die Gedanken nicht von körperlicher Anstrengung („Schaffe ich diesen Gipfel?“) überlagert sind, Freiraum für neue Gedanken und eine neue Strukturierung von Gedanken.

• Zu Fuß gehen schafft Raum und Zeit für die Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen und deren Verarbeitung.

• Vertrauen auf seine Kräfte (Körper)• Öffnung für spirituelle Einflüsse (Geist: … religiöser werden)• Annahme von Schicksal (Seele)• Kraftquell, der „Selbstheilungskräfte“ frei setzt.• Bewegung führt zu einer nachhaltigen Selbstbestätigung und Kräftigung des 

Selbstvertrauens

• Das Gehen ist letztlich ein Weg zu sich selbst!

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Durch die Fähigkeit zur Fortbewegung vergrößert der Mensch den Raum, in dem Wahrnehmung als Erkundungsaktivität stattfinden kann. 

So eröffnen sich ihm neue Perspektiven auf ein erweitertes Umfeld. So erschließt er sich bisher unbekannte Situationen und Erfahrungen.Fortbewegung dient der Aneignung von Welt. 

Was tun wir unseren Kindern an, wenn wir Ihnen die wichtige Gehmöglichkeit des Schulwegs nehmen?

Auf dem Weg zur Schule oder nach Hause können sie nach Stunden des Stillsitzens und der Konzentration auf abstrakte Verstandesleistungen den Kopf frei bekommen. Sie können sich auslaufen, klimatische Reize erleben, Distanz‐ und Umwelterfahrungen machen, ihr Umfeld erkennen, soziale Erfahrungen mit Mitschülern und Menschen am Ort machen.Sie können im weitesten Sinne sich ihre „Heimat“ erlaufen. 

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Gelingt uns dies auch, wenn wir „Adrenalin‐geflutet“ im Kokon eines auto‐Mobils sitzen, dessen Leistungsfähigkeit den Bezug zu den Anforderungen des menschlichen Körpers schon lange verloren hat? 

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Der Fußgänger ist ein Mensch, der sich ohne ein Hilfsmittel, das ihn transportiert, durch den öffentlichen Raum bewegt.

Ohne eine Hülle, wie einige Transportmittel es bieten, kann der Fußgänger seine Umwelt unmittelbar wahrnehmen. Wetter, Geräusche und Gerüche sind direkt erlebbar.

Die Geschwindigkeit des sich bewegenden Menschen liegt zwischen 1,8 km/h und 6,5 km/h.Er nimmt weniger als einen 1 m² Platz ein.

Dabei verfügt er bei seiner Bewegung über erstaunliche Fähigkeiten.

Der Mensch ist als Fußgänger ein hoch‐flexibles Wesen!

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Der Mensch ist ein Bewegungs‐ und Balance‐Wunder!

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Vom Autofahrer wird in der Regel keine Beweglichkeit mehr verlangt.

Nur ein ganz neues „Gadget“ verlangt eine erstaunliche Balance‐Leistung! 

Ansonsten werkeln in unseren Autos ca. 80 Stellmotoren, davon allein 15 in den Sitzen, um uns Arbeit abzunehmen.

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Der Mensch ist aber nicht nur in der Ebene höchst flexibel. Dies gilt auch in der Raumüberwindung in der Dritten Dimension.

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Unsere Beweglichkeit als Fußgänger erlaubt es uns Fußgängerorte flächensparsam und hoch‐integriert zu gestalten. 

Fußgängerverkehre werden kaum als Engpass‐Problem wahrgenommen. Irgendwie kann man den Fußgänger immer mit Minimalflächenangeboten abspeisen, während man sich über die Querschnittsgestaltung von Fahrspuren mannigfaltigste verkehrsplanerische Gedanken macht.

Für Fußgänger wird so gut wie keine quantifizierende Verkehrsplanung betrieben –außer in der Evakuationsplanung … und beim Hadsch ….

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Aber wie gehen wir mit „Fußgängerorten“ um?

Ich frage mich oft, warum  ‐ „weltweit“ – den Wegen der Fußgänger so wenig Beachtung geschenkt wir?

Warum werden in vielen Ländern der Welt Straßen gebaut, aber keine Bürgersteige, wo doch der Mensch zuerst immer läuft, bevor er ins Auto steigt?

So und weil wir als Fußgänger so beweglich sind, meint jeder seinen Kram einfach auf den Fußwegen abstellen zu dürfen.

Warum wird mit größter Selbstverständlichkeit auf der ganzen Welt, aller möglicher Kram auf Fußwegen abgestellt und kein Mensch regt sich auf?

Warum tut er dies nicht auf der Fahrbahn?

Warum wird ein mitten auf dem Bürgersteig parkendes Auto mit größter Gleichgültigkeit akzeptiert, ein „sit‐in“ auf einer Straßenkreuzung aber als Nötigung aufgefasst?

Warum werden an Hochschulen Verkehrsplaner für den Straßenentwurf – sogar mit eigenen Lehrstühlen ‐ und nicht für die qualifizierte Fußwegplanung und Fußwegegestaltung ausgebildet?  

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Die mit dem Bewegungsapparat gut abgestimmte Geschwindigkeit macht den Menschen „hoch flexibel“, was das „Vortritt‐, Rückschritt‐ und Ausweichverhalten“ anbelangt!

Aus diesem Grund können Fussgängerorte kleinteilig, verschachtelt, integriert und vielfältig sein! 

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Aus diesem Grund nehmen Fussgängerorte das Gelände auf und spielen mit der dritten Dimension. 

Damit wirken solche Ort „heimelig“!

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Fußgängerorte haben die Chance, Verkehrswege zu minimieren. Sie können sich optimal in die Topografie einfügen. 

Malerische Orte vermag nur die Fußbewegung zu erschaffen!Solche Orte kann man nicht mit dem Auto befahren!

Der Städtebau des „Zu Fuß Gehens“ ist ein Städtebau 

• der Kleinteiligkeit, • der Multifunktionalität,• der vertikal strukturierten Gebäudefassaden,• der Flächen‐ und Energiesparsamkeit,• der Topografiegerechtigkeit• der Spannung und Einzigartigkeit!

Fußgängerstädte sind „Orte des Lebens“!

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Das Auto erschafft einen Städtebau der „fußläufigen Un‐erreichbarkeit“:

• Beliebigkeit der Lage der Eingänge (kein Primat der kurzen Wege, sondern beliebige Axialität)

• Lange Wege zu den Eingängen• Grossteiligkeit und Monostrukturen• Kein Bezug zur Topografie (hieran haben CAD, Caterpillar und die „economy of scales“ 

eine Mitschuld) 

• Hier landet man nur mit dem Auto an!• Wenn man das Gebäude verlässt kommt einem automatisch nur die automobile 

Fortbewegung in den Sinn. Zu Fuß Gehen wird hier als in jeglicher Hinsicht „schmerzhafter Prozess“ erfahren!

Der Städtebau der „Orientierung am Auto“ ist ein Städtebau 

• der solitären Großstrukturen, • der Monofunktionalität,• der horizontalen Linienführungen in den Fassaden,• des Flächen‐ und Energieverbrauchs,• der Nichteinfügung in die Topografie• der Monotonie und Beliebigkeit!

• Hier ist eine „Maschine der Optimierung von Arbeit“ entstanden und kein „Stadt‐Ort 

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des Lebens“!

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Der zu Fuß gehende Mensch ist aber nicht nur ein Wunder an Beweglichkeit, auch seine Wahrnehmungsfähigkeit ist beachtlich!

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Der Mensch kann vielfältig sehen. 

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Trotz geringer räumlicher Distanz kann der Mensch große Bereiche rasch erfassen, wenn er vor ihnen steht.Vielfalt auf kleiner Fläche wird möglich.

Für die Fußgängerstadt benötigen wir keine großen Flächen. Die benötigen wir für Stellplatzflächen und Fahrbahnen. 

Damit desintegrieren wir Stadt. 

Wir reduzieren Erlebnisdichte!

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Um sozial interagieren zu können, bedarf des Nahbereichs.

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Stadt ist Plattform für soziale Interaktion!

Das Erkennen von Gesichtszügen und soziale Interaktion benötigen die räumliche Nähe des Intim‐ und Kommunikationsraumes. Dieser ist nur auf Fußwegen und in Fußgängerbereichen gegeben.

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Auto ist Ausgrenzung. 

Die auto‐orientierte Stadt ist die Stadt der sozialen Distanzbeziehungen. 

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Legt ein Fußgänger in der Sekunde ca. 1, 40 m zurück, sind es beim Autofahrer bei 100km/h: 28 m 

Gehen wir davon aus, dass die Erfassungskapazität des Mensch sich einem Grenzwert von in etwa 20 bit/Sekunde begrenzt ist, dann können wir maximal 5 bis 9 Elemente, Gruppen oder Kategorien in der Sekunde erfassen. 

Das bedeutet, dass ein Fußgänger auf 100 m ca. 500 Kategorien erfassen kann, der Autofahrer dagegen lediglich ca. 25 Kategorien, (ohne die Konzentration auf das Autofahren mit einzubeziehen).  

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Der Wahrnehmungsraum des Fußgängers ist kleinteilig und vielfältig.

Unsere Fähigkeit zur Verarbeitung visueller Information und zur visuellen Raumwahrnehmung ist auf die Gehgeschwindigkeit abgestimmt. 

Aus diesem Grund können wir so gut wie alles in unserem Nahbereich beim Vorbeigehen erfassen. 

Dies führt bei der Gestaltung von Räumen wiederum dazu, dass deren Gestalter Abfolgen kleinteiliger Strukturen erschaffen können. 

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Der Vergleich von vorher‐nachher‐Situationen zu Beginn der Entwicklung der Autogerechten Stadt macht deutlich, den Wandel im Städtebau deutlich! Alees Es findet eine „Ver‐Gröberung“ statt. Der bis dato vertikal gegliederte Städtebau wird durch den horizontal gegliederten Städtebau ersetzt.

Beim Autofahrer ist die Bewegung viel schneller. Die Bewegungsgeschwindigkeit erlaubtweniger Detailwahrnehmung. Damit entsteht beim Autofahrer ein anderer Anschauungsraum als beim Fußgänger.  Das Auto bedingt neues Sehen.

Der Autofahrer unterliegt dem Problem der optischen Erfassbarkeit. Dieses wird in der menschlichen Wahrnehmung durch die Tendenz zur beschränkten Zahl gelöst. Mit dem Anwachsen der Quantitäten der wahrnehmbaren Elemente über einen Grenzwert 7 erfolgt der Umschlag in eine neue Qualität der Wahrnehmung. Es findet der Übergang von individuellen Einzelelementen zur Großformeinheit statt, in der die Menge der Elemente nur noch als Strukturmuster oder Textur wahrgenommen wird. Dies findet beim Autofahren statt. 

Fußgänger dagegen können aufgrund der Erfassungskapazität einen kleinteiligeren Maßstab innerstädtischer Bebauung u.a. abgeleitet aus den Relationen zwischen Sehdistanz, Blickfeld verarbeiten. 

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Daraus folgt, dass ein Städtebau für Fußgänger anderer sein muss als für Autonutzer!

(vgl. Hubrich, Hannes, 1986, S. 18)

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Ich möchte noch auf die „Wahrnehmung als Summenleistung aller Sinne“ eingehen. 

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Ein Beispiel für eine Mitwahrnehmung der höheren Ebene, die sich unbewusst vollzieht:

In italienischen Städten suchen die Menschen von sich aus den Schatten auf. 

Bei uns würden die Menschen ggf. die Sonnenseite suchen. 

Die unbewusste Reaktion ist also auch noch kontextabhängig!

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Ein Beispiel für die Mitwahrnehmung im Bezug auf das eigene zielgerichtete Handel, ‐> auf den Gebrauchswert:

Diese Treppe hat z.B. die von Erbauer intendierte Funktion, der Hinführung in einen Dom, … man muss sich aufmachen ‐> Überhöhung!

Diese Treppe erfüllt bei der Gebrauchswertbetrachtung der Menschen aber auch den Zweck der fehlenden Sitz‐ und Rastmöglichkeiten im Sinne eines zielgerichteten Handelns.

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Unsere Mitwahrnehmung der höheren Ebene ist so stark, dass wir an einem Ort, an dem der Putz von den Wänden bröckelt, intuitiv erfassen, das es sich um einen Ort höchster Kultiviertheit, großer Tradition und bester Anregung der Sinne handelt.

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Medizin, Neurowissenschaften und Philosophie erforschen die menschlichen Wahrnehmungsvorgänge disziplinär immer umfassender. 

Allerdings hat jede Disziplin hat ihre Teilbetrachtung und ihr disziplinär geprägtes Teilwissen.

Es fehlt die Integration der Erkenntnisse, um Wahrnehmungsvorgänge insgesamt besser zu verstehen.

Es fehlt aber auch das Gegenstück zur Betrachtung der Vorgänge im Hirn, nämlich die wissenschaftliche Untersuchung, „wie die gebaute Umwelt auf den Wahrnehmungsprozesse wirkt?“ 

Wir benötigen eigentlich eine interdisziplinäre Forschung zu der Frage, „wie wirken welche Gestaltungskomponenten des Städtebaus auf Menschen“? 

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Fußgänger unterliegen dem Einfluss aller Sinne:

• Sehen  (10.000.000 bits/s)• Tasten/ Fühlen  (1.000.000 bits/s)• Riechen  (100.000 bits/s)• Hören  (100.000 bits/s)• Schmecken  (1000 bits/s)

Dies war Jahrtausende lang die Grundbedingung für das Überleben als erfolgreicher Jäger!

Es gibt also auf der einen Seite naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wahrnehmungsvorgängen. Man kann die Performance des Gehirns praktisch wie die eines Computers beschreiben.

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Je mehr Sinne an der Wahrnehmung beteiligt sind, um so intensiver ist das Wahrnehmungserlebnis und umso stärker lernen bzw. merken wir uns das Wahrgenommene. 

(vgl. auch Loderer Bendedikt:“Stadtwanderers Merkbuch, München, 1987, S. 17)

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Beim Autofahren und bei der Nutzung der neuen Medien erfolgt eine Verflachung der Wahrnehmung.

Die Geschwindigkeit der Bewegung bedingt eine Konzentration auf den visuellen Sinn. Damit ändert sich auch das Bild von der Stadt und damit auch das Selbstverständnis der Disziplin der Stadtplanung

War für die Städtebauer ‐ wie Fritz Schumacher ‐ noch die Verbindung optischer, motorischer und haptischer Wirkungen von Gestaltung (dies zielt auf die Gestaltung von Einzelgebäuden als architektonisches Ereignis) grundlegend, so wird Städtebau der autogerechten Stadt vor allem zu einer Komposition der Abfolge optischer Bilder (Stadtplanung wird funktional, Baugrenzen und Baulinien, abstrakte Strukturen und Texturen werden bedeutsam.

Vgl. auch Brandl Anne, 2013, S. 83, 84

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Warum habe ich Ihnen das alles gezeigt und was hat das mit der Gerlach´schen Frage „Was erwartet uns im Fußverkehr der Zukunft?“ zu tun?

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Auto und IKT‐Medien eröffnen uns wunderbare Möglichkeiten an alle möglichen Wunschorte zu gelangen und machen unsere Städte „smarter“. Wir sollten uns nur dessen bewusst sein, dass wir uns alle zusammen auf den Weg in Richtung des Raumschiffs Axiom  machen.

Das Auto und die Medien schaffen eine andere Welt, als die, für die wir entwickelt worden sind. 

Ohne es zu merken verändert sich gleichzeitig unsere bebauten und natürliche Umwelt, so dass es uns immer schwerer fällt, umzukehren und frühere Bewegungs‐Verhaltensweisen einzuschlagen.

Lassen sie uns wieder Fußwege und Stadträume schaffen, die unserer eigentlichen Seinslage, Wesenheit und unseren Bedürfnissen entsprechen. 

Dann hat der Fußgängerverkehr, dann haben aber auch wir als eigenbestimmte Wesen ein Zukunft! 

Wall‐E lässt grüßen!

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Es gibt Orte, die wir gerne aufsuchen und es gibt Orte, die wir meiden.In unsere Wegewahl fließen Vorlieben und Abneigungen ein.Bestimmte Häuser, Plätze, Straßen wecken Erinnerungen: von lustvoll über angenehm zu gleichgültig bis zu Gänsehaut.

(Quelle: Loderer Bendedikt:“Stadtwanderers Merkbuch, München, 1987, S. 23)

Dies ist ganz elementar das Ergebnis unserer Wahrnehmungsbedingungen!

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• Man kann „intuitiv“ entwerfen und so zu guten Lösungen kommen! Die Forschungen der Neurowissenschaften stärken jedoch die Vermutung, dass wir einiges mehr über die Mechanismen der Wirkungen von gebauter Umwelt auf unsere Wahrnehmung und „Ort‐Bewertung“ in Erfahrung bringen könnten.

• Wir sollten mehr von diesen Mechanismen wissen, um für den Handlungskontext „zu Fuß gehen“ bessere Städte bauen zu können! Man kann nämlich auch wissensgestützt entwerfen und dann sicherer zu besseren Lösungen kommen.

• Ich glaube auch nicht, dass es langt, nur „Verkehrsflächen“ für Fußgänger zu sichern und eine „verkehrstechnisch“ gute Fußwegeplanung zu machen, ohne auch den Städtebau anzupacken.

• Denn ich glaube nicht, dass sich ein fußgängerbezogener Städtebau automatisch mit der Zeit  einstellt, wenn wir nur Wege „entmüllen“ und für Fußgänger freiräumen? 

• Ich bin davon überzeugt, dass ein Fußgängerstädtebau ein anderer Städtebau als ein Autostädtebau ist – insofern werden wir „integriert“ Um‐ und Rückbauen müssen, wenn wir die Grüne, die Fußgängerstadt anstreben. 

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• Für mich gehört der Städtebau integral mit zur guten Fußwegeplanung!

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