Membranen und Gele mit mizellarer Struktur -...

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. MEMBRANEN UND GELE MIT MIZELLARER STRUKTUR 677 Membranen und Gele mit mizellarer Struktur Von HEINRICH THIELE und GEERT ANDERSEN Aus dem Lehrfach für Kolloidchemie der Universität Kiel (Z. Naturforschg. 10 b, 677—683 [1955]; eingegangen am 5. September 1955) Durdi partielle Entladung, Dehydratation und Vernetzung wurden aus anorganisdien und organischen, natürlichen und synthetischen Kolloiden in Form von Fäden und Plättchen durch Ionendiffusion mizellare Strukturen experimentell dargestellt, und zwar bei Zimmertemperatur aus verdünnten, wäßrigen Lösungen x > 2 > 3 > 4 . Diese ionotropen Gele mit geordneten Teilchen zeigen wie Naturstoffe sowohl Doppelbrechung, Quellung und permutoides chemisches Re- aktionsvermögen als auch Ionenaustausch. Sie sind reversibel wieder zum Sol aufzulösen 5 . Dann wurde das etwas komplizierte Modell eines Mikrotomschnittes der kollagenen Knochen- substanz erhalten 6 . Einige ionotrope Gele zeigen in vitro und in vivo ein gleiches Verhalten. Damit war erstmalig eine Lokalisation von Alginat in Braunalgen möglich. Dieser Befund wurde durdi spezifisdie Anfärbungen bestätigt und steht in Übereinstimmung mit bisher be- kannten Befunden 8 . Als nächstes wurde mit dem Aufbau von Mehrstoffsystemen begonnen, dabei lenkt und ordnet das ionotrope Gel als Leitstruktur eine geordnete, intermizellare Kristallisation auch von Hydroxylapatiten 9 . Die Ausrichtung und den Ordnungsgrad der Fadenmizellen kann man audi im Elektronen- mikroskop prüfen und sidiern *. A bb. 1 ** zeigt die elektronenmikroskopische Auf- L nähme von eingetrocknetem Na-alginatsol mit ungeordneten, geknäuelten Fäden. Abb. 2 ist ein Dünnstschnitt mit dem Sjöstrand-Ultramikrotom von einem Cu-alginatgel mit den ionotrop parallel ge- ordneten Fäden. Damit wird die im Polarisations- mikroskop an der Doppelbrechung erkennbare Ord- nung der Fadenmoleküle auch elektronenoptisch be- stätigt. Der erkennbare Ordnungsgrad ist höher als erwartet. Die mizellare oder Ultrafeinstruktur auch von kompliziert gebauten Gelkörpern bestimmt man nadi A m b r o n n 10 durch polarisationsoptische Unter- suchung von Schnitten in den drei Dimensionen des Raumes. S c h m i d t 11 gelangt so zu einem System aller theoretisch möglichen und in der Natur vor- kommenden Grundtexturen. Nach Untersuchung von drei Schnitten des Gels kann man die jeweils vor- liegende Struktur definieren. * Für die elektronenmikroskopischen Aufnahmen stand das Gerät Elmiskop II der DFG von Herrn Prof. Dr. W. B a r g m a n n , Anatomisdies Institut der Universität Kiel, zur Verfügung. Frau Dr. K n o o p fertigte Aufnahmen und Dünnstsdinitte an. ** Abb. 1, 2, 4, 6, 7, 8 u. 10—14 s. Tafel S. 680 a u. b. 1 H. T h i e l e , Naturwissenschaften 34, 123 [1947]; Kolloid-Z. 136, 80 [1954], 2 H. T h i e l e u. H. M i c k e , Kolloid-Z. 111, 73 [1948]; 116, 1 [1950]. s H. T h i e l e u. G. A n d e r s e n , Kolloid-Z. 140. 76 [1955]; 142, 5 [1955]; 143, 21 [1955], * H. T h i e l e , Z. Naturforschg. 3 b, 7 [1948], Voraussetzung bei der polarisationsoptischen Un- tersuchung ist, daß die Gelschnitte durchsichtig oder zumindest ziemlich durdischeinend oder hyalin sind. Stärkere Trübung stört bis zum völligen Auslöschen der Doppelbrechung, wie man feststellt, wenn zu ionotropen Gelen steigende Mengen eines neutralen, trübenden Stoffes hinzugefügt werden. Oberhalb einer bestimmten Konzentration an Trübungsstoff ist keine Doppelbrechung mehr zu erkennen, obwohl nodi geordnete Teilchen im Gel vorhanden sind. Das gleiche gilt für starke Anfärbungen. Ebenso gibt es eine untere Grenze: Sinkt die Doppelbrechung unter einen bestimmten kleinen Wert, so ist das Gel schein- bar isotrop. Erst bei anisometrischer Entquellung durch Ionenaustausch wird erkennbar, daß eine An- isotropie vorlag. Im ganzen ist das polarisationsopti- sche Verfahren für solche Strukturuntersuchungen dem Röntgenverfahren vorzuziehen, weil es offenbar einfacher und empfindlicher ist. Geringe Ordnungs- 5 H. T h i e l e u. D. S c h y m a , Naturwissenschaften 40, 583 [1953]. 6 H. T h i e l e u. G. A n d e r s e n , Naturwissenschaf- ten 40, 366 [1953]. 7 C. H o f f m a n n u. G. A n d e r s e n , Kieler Mee- resforsch. 1955. 8 G. A n d e r s e n , Proc. II Seaweed Symp. Trond- heim 1955. 9 H. T h i e l e u. H. K r ö n k e , Naturwissenschaften 42, 294 [1955], 10 H. A m b r o n n u. A. F r e y , Das Polarisations- mikroskop, Leipzig 1926. n W. J. S c h m i d t , Kolloid-Z. 96, 140 [1941].

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

M E M B R A N E N U N D G E L E M I T M I Z E L L A R E R S T R U K T U R 677

Membranen und Gele mit mizellarer Struktur V o n H E I N R I C H T H I E L E u n d G E E R T A N D E R S E N

Aus dem Lehrfach für Kolloidchemie der Universität Kiel (Z. Naturforschg. 10 b, 677—683 [1955]; eingegangen am 5. September 1955)

Durdi partielle Entladung, Dehydratation und Vernetzung wurden aus anorganisdien und organischen, natürlichen und synthetischen Kolloiden in Form von Fäden und Plättchen durch Ionendiffusion mizellare Strukturen experimentell dargestellt, und zwar bei Zimmertemperatur aus verdünnten, wäßrigen Lösungen x> 2> 3>4. Diese ionotropen Gele mit geordneten Teilchen zeigen wie Naturstoffe sowohl Doppelbrechung, Quellung und permutoides chemisches Re-aktionsvermögen als auch Ionenaustausch. Sie sind reversibel wieder zum Sol aufzulösen5. Dann wurde das etwas komplizierte Modell eines Mikrotomschnittes der kollagenen Knochen-substanz erhalten 6. Einige ionotrope Gele zeigen in vitro und in vivo ein gleiches Verhalten. Damit war erstmalig eine Lokalisation von Alginat in Braunalgen möglich. Dieser Befund wurde durdi spezifisdie Anfärbungen bestätigt und steht in Übereinstimmung mit bisher be-kannten Befunden 8. Als nächstes wurde mit dem Aufbau von Mehrstoffsystemen begonnen, dabei lenkt und ordnet das ionotrope Gel als Leitstruktur eine geordnete, intermizellare Kristallisation auch von Hydroxylapatiten 9.

Die Ausrichtung und den Ordnungsgrad der Fadenmizellen kann man audi im Elektronen-mikroskop prüfen und sidiern *.

Abb. 1 ** zeigt die elektronenmikroskopische Auf-L nähme von eingetrocknetem Na-alginatsol mit

ungeordneten, geknäuelten Fäden. Abb. 2 ist ein Dünnstschnitt mit dem Sjöstrand-Ultramikrotom von einem Cu-alginatgel mit den ionotrop parallel ge-ordneten Fäden. Damit wird die im Polarisations-mikroskop an der Doppelbrechung erkennbare Ord-nung der Fadenmoleküle auch elektronenoptisch be-stätigt. Der erkennbare Ordnungsgrad ist höher als erwartet.

Die mizellare oder Ultrafeinstruktur auch von kompliziert gebauten Gelkörpern bestimmt man nadi A m b r o n n 10 durch polarisationsoptische Unter-suchung von Schnitten in den drei Dimensionen des Raumes. S c h m i d t 1 1 gelangt so zu einem System aller theoretisch möglichen und in der Natur vor-kommenden Grundtexturen. Nach Untersuchung von drei Schnitten des Gels kann man die jeweils vor-liegende Struktur definieren.

* Für die elektronenmikroskopischen Aufnahmen stand das Gerät Elmiskop II der DFG von Herrn Prof. Dr. W. B a r g m a n n , Anatomisdies Institut der Universität Kiel, zur Verfügung. Frau Dr. K n o o p fertigte Aufnahmen und Dünnstsdinitte an.

** Abb. 1, 2, 4, 6, 7, 8 u. 10—14 s. Tafel S. 680 a u. b. 1 H. T h i e l e , Naturwissenschaften 34, 123 [1947];

Kolloid-Z. 136, 80 [1954], 2 H. T h i e l e u. H. M i c k e , Kolloid-Z. 111, 73

[1948]; 116, 1 [1950]. s H. T h i e l e u. G. A n d e r s e n , Kolloid-Z. 140.

76 [1955]; 142, 5 [1955]; 143, 21 [1955], * H. T h i e l e , Z. Naturforschg. 3 b, 7 [1948],

Voraussetzung bei der polarisationsoptischen Un-tersuchung ist, daß die Gelschnitte durchsichtig oder zumindest ziemlich durdischeinend oder hyalin sind. Stärkere Trübung stört bis zum völligen Auslöschen der Doppelbrechung, wie man feststellt, wenn zu ionotropen Gelen steigende Mengen eines neutralen, trübenden Stoffes hinzugefügt werden. Oberhalb einer bestimmten Konzentration an Trübungsstoff ist keine Doppelbrechung mehr zu erkennen, obwohl nodi geordnete Teilchen im Gel vorhanden sind. Das gleiche gilt für starke Anfärbungen. Ebenso gibt es eine untere Grenze: Sinkt die Doppelbrechung unter einen bestimmten kleinen Wert, so ist das Gel schein-bar isotrop. Erst bei anisometrischer Entquellung durch Ionenaustausch wird erkennbar, daß eine An-isotropie vorlag. Im ganzen ist das polarisationsopti-sche Verfahren für solche Strukturuntersuchungen dem Röntgenverfahren vorzuziehen, weil es offenbar einfacher und empfindlicher ist. Geringe Ordnungs-

5 H. T h i e l e u. D. S c h y m a , Naturwissenschaften 40, 583 [1953].

6 H. T h i e l e u. G. A n d e r s e n , Naturwissenschaf-ten 40, 366 [1953].

7 C. H o f f m a n n u. G. A n d e r s e n , Kieler Mee-resforsch. 1955.

8 G. A n d e r s e n , Proc. II Seaweed Symp. Trond-heim 1955.

9 H. T h i e l e u. H. K r ö n k e , Naturwissenschaften 42, 294 [1955],

10 H. A m b r o n n u. A. F r e y , Das Polarisations-mikroskop, Leipzig 1926.

n W. J. S c h m i d t , Kolloid-Z. 96, 140 [1941].

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grade ergeben noch keine Veränderung des Röntgen-bildes, bewirken aber bereits eine erhebliche Ver-änderung des Gangunterschiedes von polarisiertem Licht. Durch Bestimmen der jeweiligen Indikatrix in den drei Dimensionen des Raumes für jeden Schnitt gesondert ergibt sich die Gesamtstruktur, die man dann durch elektronenmikroskopische Aufnah-men von Dünnstschnitten sicherstellen kann.

Statistisch regellose Verteilung anisometrischer Teil-chen in einem Gel ergibt keine optische Verschieden-heit in den drei Dimensionen des Raumes und dem-nach keine Anisotropie, dies ist bei einem gewöhn-lichen Gelatinegel der Fall.

Der einfachste Typ anisotroper Texturen ist nadi S c h m i d t die Folie. Wird einem Sol mit langge-streckten Fadenmolekülen durch physikalisdie oder chemische Kräfte das Lösungsmittel entzogen, so ordnen sich die Teilchen zwangsläufig parallel zur Wandung. Der gebildete Körper, ein flaches Gel, eine Membran oder ein flächiges Xerogel, ist durdi regel-lose Lage der Teilchen in der Aufsidit statistisch isotrop. Dagegen sind alle Querschnitte anisotrop — und zwar abhängig vom Vorzeichen der Doppelbre-chung der Teilchen entweder positiv oder negativ, bezogen auf die Längsrichtung des Schnittes. Diese Folie ist morphologisch zweiadisig und somit optisdi einachsig. Man kann ein ionotropes Gel als aus iono-tropen Einzelmembranen aufgebaut ansehen. Durch mehr oder weniger starke Vernetzung der einzelnen Folien zu einer Polyfolie sind dann die Möglichkeiten der Strukturbildung einfach zu übersehen und je-weils zu analysieren.

Wenn chemische Kräfte mit medianischen Kräften gemeinsam einwirken, lassen sich viele natürliche Strukturen im Modell nachbilden. Man kann als Bausteine der auf diese Weise erhaltenen, dreiadisi-gen Körper dann statt ionotroper Folien nunmehr ionotrope Filme ansehen. Eine Folie wird dann zu einem Film, wenn die Teilchen noch in einer weite-ren Dimension geordnet werden. Filme haben in drei aufeinander senkredit stehenden Achsen bezeich-nende Strukturuntersdiiede.

In einem hochgequollenen System lassen sich nach K r a t k y 1 2 und S c h m i d t 1 3 auf die Dauer keine mechanischen Spannungen aufrediterhalten, weil diese durdi die plastisdie Deformation ausgeglidien werden. Daher war es aussichtslos, auf das gebildete Gel einzuwirken. Wir haben vielmehr das Sol strö-men lassen.

12 O. Kratky u. P. Platzek, Kolloid-Z. 88, 79, [1939].

Versuchsanordnung

In einem Glaszylinder, Abb. 3, von etwa 30 cm Länge und 8 cm Durdrmesser befindet sich das Sol, etwa 1-proz. Na-alginat. In dem unteren Abschlußstopfen sind zwei Ablaufröhren mit Hähnen angebracht. Genau zentral darin befindet sich eine zylinder-förmige, ionen-permeable Membran von gleicher Länge und 3 cm Durchmesser, welche unten verschlossen ist. Zwischen äußerem Glas-zylinder und innerer Membran kann ein dritter, oben und unten offener Zylinder von 5 cm Durchmesser, als Scherkörper durch Elektromotor angetrieben, in. gleich-mäßige Drehung versetzt werden.

Diese Anordnung erlaubt nun, ein ionotropes Gel aus einem Sol darzustellen, welches ruht oder in verschiede-ner Richtung und Geschwindigkeit strömt. Diese Strö-mung kann horizontal oder vertikal sein, ferner kann eine aus beiden Komponenten resultierende Strömung erzeugt werden. Weiter kann man die einzelnen Komponenten simultan oder alternierend einwirken lassen.

Wegen der unter diesen Bedingungen auftretenden Sdirumpfung lassen sich ohne weiteres keine idealen Sphärozylinder erhalten. Um die Schrumpfung zu kom-pensieren, wurde die Röhrenmembran anfangs innen durdr Glasstäbe abgestützt und dann später durch Aufset-zen eines Steigrohres und Auffüllen von Elektrolyt durch eine Flüssigkeitssäule ein hydrostatischer Gegendruck ausgeübt. Dann bleibt der Gelzylinder wenigstens rund. Durch Osmose nimmt dabei — während der ersten Zeit der Gelbildung besonders — der Gesamtdruck zu, kennt-lidi am Steigen der Flüssigkeit im Steigrohr. Diese Drude-zunahme ist spezifisch für das jeweils als Elektrolyt ver-wendete Ionenpaar, sie war nur gering mit Säuren.

Infolge der starken Konvektion durch das Strömen des Soles besteht ein großes Konzentrationsgefälle an Gegen-ionen, daher bildet sich das ionotrope Gel in kürzerer Zeit als bei ruhendem Sol. Nach zwei Stdn. ist der Ver-such beendet, das gebildete Gel ist dann 6—8 mm dick, es wurde durch einen Längsschnitt aufgetrennt, vorsich-tig abgelöst, um Spannungsdoppelbrechung zu vermei-den auf einen isotropen Glaszylinder von gleichem Dureh-messer aufgeschoben und polarisationsoptisch untersucht. Eine ausgeprägte Vorzone wie beim Geltvp 1 mit Sol im Überschuß 3 war nicht zu beobachten. Während des Versuchs bleibt der Gradient nicht konstant, weil die Gel-wandung an Stärke zunimmt.

Für die Vorgänge bei der Teilchenorientierung während der Gelbildung kann man zwei Möglichkei-ten in Erwägung ziehen. Einmal können sich die Teilchen wie bei der Fließanisotropie im Strömungs-gefälle orientieren. In dieser Lage werden sie dann durch die eindiffundierenden Gegenionen fixiert. Aber Alginat zeigt bei derart niederen Umdrehungsge-schwindigkeiten von 10—90 U/Min. noch keine merk-lidie Fließanisotropie. Dann kennten die Teildien an dem einen Ende am Gel vernetzt werden. Nun-

13 W. J. S c h m i d t , Die Doppelbredrung des Karyo-, Meta- u. Zytoplasma. Bornträger, Berlin 1937.

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mehr leichter orientierbar, werden sie von der Strö-mung ausgerichtet und dann vollends zum Gel fixiert. Schließlich können beide Erscheinungen zusammen-treffen, was bedeutet, daß durdi die Strömung be-reits etwas ausgerichtete Teilchen an einem Ende fixiert und dann vollends ausgerichtet werden.

1. R u h e n d e s S o l

Zunächst bleibt das Sol nadi dem Einfüllen des Elek-trolyten in die Schlauchmembran in Ruhe. Dieser Ver-such ohne Solströmung ist notwendig, um einen Aus-gangspunkt zu haben, damit danach die übrigen Gel-körper beurteilt werden können. Allein durch Ionendiffu-sion vom Elektrolyten in das Sol hinein bildet sich nun das Gel. Es erscheint als Sphärozylinder oder Schlauch-folie mit einer schmalen isotropen Zone in der Mitte, Abb. 4, Mitte.

2. H o r i z o n t a l s t r ö m e n d e s S o l

Beim nächsten Versuch lassen wir den Scherzylinder während der Gelbildung rotieren und erhalten einen Gel-körper mit Röhren-Struktur, Abb. 4, rechts oben. Die Teil-chen liegen bevorzugt tangential, also senkrecht zur Ro-tationsachse und ergeben — ein positives Vorzeichen von Form- und Eigendoppelbrechung bei Alginat vorausge-setzt — eine negative Doppelbrediung in bezug auf die Längsachse des Zylinders. Der radiale Längsschnitt ist positiv doppelbrechend, und der Quersdinitt ist ein nega-tiver Sphärit. Der Idealfall mit völlig tangentialer An-ordnung der Teilchen — die Ringtextur — konnte nicht erhalten werden, weil hierfür vermutlich höher Gradien-ten und stärkere Scherung nötig sind.

3. V e r t i k a l s t r ö m e n d e s S o l Im nächsten Versuch halten wir den Scherzylinder in

Ruhe. Statt dessen lassen wir das Sol gleichmäßig für längere Zeit abwärts strömen. Das gebildete Gel wird wie zuvor geschnitten, losgelöst und untersucht. Es ist nun zur Längsadise des Zylinders gerade umgekehrt, also positiv doppelbrechend. Die Teilchen liegen vertikal und koaxial, Abb. 4, links oben. Der radiale Längsschnitt ist positiv doppelbrechend, der Querschnitt ist ein negativer Sphärit. Würden wie im Idealfall alle Teilchen völlig koaxial oder parallel zur Zylinderachse liegen, dann wäre der Querschnitt isotrop. Die hierzu nötigen hohen Strö-ungsgeschwindigkeiten wurden mit der Versuchsanord-nung nicht erreicht. Es ist auch nicht erforderlich, den Idealfall zu verifizieren, denn selbst streckgesponnene Textilfasern sind im Quersdinitt nicht überall isotrop. Auch Seide und Wolle haben meist in den Randzonen keine ideale Fasertextur, sondern erscheinen als Sphärit.

4. H o r i z o n t a l u n d v e r t i k a l s t r ö m e n d e s G e l

In dem nun folgenden Versuch lassen wir das Sol hori-zontal und vertikal zugleidi strömen. Dann ordnen sidi die Teilchen in Richtung der Resultierenden an, Abb. 4, links unten. Das entstandene Gel löscht nicht mehr parallel oder senkrecht aus, denn seine Teilchen sind bevorzugt diagonal zur Zylinderachse angeordnet. Das Gel hat eine

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Schrauben- oder Spiraltextur. Durch Variieren der Ge-schwindigkeit von Rotation und Strömung kann man der Spirale jeden beliebigen Steigungswinkel geben.

5. G e g e n l ä u f i g e S p i r a l e n Wir gehen einen Schritt weiter und ändern während

der Gelbildung abwechselnd den Drehsinn der Rotation. Dieses Verfahren ergibt Membranen, welche senkredit zur Längsachse des Zylinders isotrop sein müssen und es auch annähernd sind, weil doppelbrechende Schichten etwa gleicher Dicke und entgegengesetzer Anisotropie sich optisch kompensieren müssen. Das gebildete Gel besteht aus gegenläufigen Spiralen, Abb. 5. Diesen Spiralen kann man abhängig von der Geschwindigkeit des vertikalen und horizontalen Strömens jede gewünsdite Steigung ge-ben und auch Spiralen wechselnder Steigung nachein-ander erzeugen.

Abb. 3. Anordnung zur Darstellung ionotroper Gele mit strömendem Sol.

Abb. 5. Gelzylinder mit gegenläufigen Spiralen.

6. K r e u z t e x t u r

Als nächsten Schritt führen wir den Versuch mit hori-zontaler Rotation und vertikalem Strömen nicht zugleidi. sondern nacheinander und abwechselnd durch. Wir kön-nen dies mehrmals wiederholen und auf diese Weise Gele und Filme mit gekreuzten Fadensystemen darstellen, Abb. 4, rechts unten, welche in direkter Aufsicht im Ideal-fall isotrop sein müssen. Überwiegt die eine Komponente, so bestimmt diese das Vorzeichen der Doppelbrechung (Abb. 7).

Diese Kreuzgele schrumpfen bei nachfolgender Säure-behandlung nicht mehr anisotrop wie ohne Solströmen er-haltene inotrope Gele, sondern sie zeigen ein besonderes Verhalten: Nach der Säureschrumpfung kann man das Gel in eine Anzahl von Schichten aufblättern und zer-legen, Abb. 6. Die Anzahl der einzelnen Sdiichten ent-spricht der Zahl der Wechsel in der Strömungsrichtung. Daraus ist zu entnehmen, daß sidi Sdiiditen des glei-chen Polyelektrolyten nur dann miteinander vernetzen können, wenn die Gelbildung nicht unterbrochen wird. Auch Gelschichten mit Teildien gleichsinniger Orientie-rung blättern auf, wenn sie durch Unterbrechen des

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Ionenstroms nacheinander entstanden sind. Bei ruhendem Sol läßt sich das gleiche erreichen, wenn man das Gel kurz heraushebt oder den Elektrolyten zwischenzeitlich kurz entfernt. Ähnliches wurde in anderen Versuchen schon beobachtet. Die Bildung ionotroper Gele war bis-her kontinuierlich vorgenommen worden. Unterbricht man die Gelbildung, so werden die ionogenen Gruppen in der letzten Folie an der Grenzfläche Gel/Sol durch Ionen-austausch soweit abgesättigt, daß nicht genügend Va-lenzen übrigbleiben, um die nächstzubildende Folie ge-nügend zu befestigen.

7. R a d i a l e S p h ä r i t e n s c h e i b e

Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Sphäriten mit tangentialer Anordnung der Teilchen wurde nun ver-sucht, solche mit radialer Orientierung darzustellen. Man erhält sie auf folgende Weise: Zentral auf eine ionen-permeable Membran, welche durch den hydrostatischen Druck des Elektrolyten —- einer 0,3- bis 1-n. Lösung eines Me"-satees — konvex nach oben gespannt ist, fließt das Sol im Strahl senkrecht herab und verteilt sich annähernd gleichmäßig zentrifugal über die konvexe Membranfläche. Über dem Sol bildet sich eine Sphäritenscheibe mit posi-tivem Vorzeichen der Doppelbrechung*.

Zusammenfassend ergibt sich: Durch Ionendiffusion in ein strömendes Sol von Polyelektrolyten kann man eine Reihe von verschiedenen Geltexturen darstellen. Nicht aber ließen sich so Strukturen erhalten mit schichtweise in der dritten Dimension senkrecht zueinander angeord-neten Teilchen. Diese kommen in natürlichen organischen Gebilden vor, wie z. B. in der Sepiasehale und der Haut der Weichschildkröte.

Alle unter 1 bis 7 beschriebenen Strukturen kom-men in der unbelebten und belebten Natur vor. Da-mit haben wir nun einen Weg gezeigt, um submikro-skopische Strukturen zu synthetisieren, und zwar un-ter physiologischen Bedingungen und mit nativen Stoffen. Danach wird man die weiteren Eigenschaf-ten untersuchen und die Frage stellen, ob die Ge-nese natürlicher mizellarer Strukturen auf ähnliche Weise vor sich gehen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Modellen für bio-logische Strukturen und Vorgänge, über die R h u m b l e r bis 1921 ausführlich berichtet14. B ö t t -g e r , T r a u b e , O. L e h m a n n , L e d u c , J o l i -b o i s , Q u i n c k e und R o u x haben sich hierum bemüht. Zunächst sind es meist grob mechanische Versuche, die sich dann mit wachsender Erkenntnis mehr und mehr biologischen Gegebenheiten nähern, um schließlich mit Naturstoffen und unter natürlichen Bedingungen zu P f e f f e r s osmotischer Zelle und

14 L. R h u m b l e r i n Abderhaldens Handbudi d. biol. Arbeitsmethoden Abt. IV, Teil 3, S. 219, Berlin 1921.

20 W. K u h n u. B. H a r g i t a v , Experientia [Basel] 7, 1 [1951].

21 A. K a t c h a l s k y , Progress in Biophvs. 4. 1 [1954].

S z e n t G y ö r g y i s Muskelmodell zu gelangen (vgl. auch K u h n u. K a t c h a l s k y 2 0 - 2 1 ) . Da sich Funk-tion und Struktur nicht voneinander trennen lassen ( S z e n t G v ö r g y i 2 2 ) , verwenden wir Naturstoffe wie Polvuronsäuren, Nucleinsäuren und Proteine *. und zwar in wäßrigen Lösungen und bei Tempera-turen von 10 bis 40 Grad. Dabei sind Monomere und Ionen bestimmter Art und Konzentration zugelassen. Es müssen Gele als mehr oder iveniger wasserreiche Systeme entstehen, wie sie in der Histologie beschrie-ben iverden. Diese Strukturen müssen wie die natür-lich gewachsenen zumindest die Eigenschaften der Quellung, der Doppelbrechung und des permutoiden Reagierens zeigen und reversibel wieder abgebaut werden können.

Alle diese Voraussetzungen sind in den ionotropen Gelen, Membranen und Folien erfüllt, sie sind syn-thetische mizellare Strukturen. Die Bedeutung der mizellaren Strukturen für biologische Vorgänge er-kennt man daran, daß durch ihre Zerstörung — wie schon beim Gefrieren oder Zentrifugieren oder Fil-trieren von Plasmazooglöen — die wesentlichen Stoff-wechselleistungen aufhören, mit Ausnahme der enzy-matischen und rein chemischen Reaktionen. Durch eine solche einfache mechanische Einwirkung wird eben diese mizellare Struktur zerstört, dagegen blei-ben die sie aufbauenden Makromoleküle oder Hoch-polymeren selbst unverändert. In den Makromole-külen werden bekanntlich die einzelnen Grundbau-steine durch starke homöopolare Hauptvalenzen zu-sammengehalten.

Dehydratationswege durch tropfige Entmischung

Die Feinstruktur von ionotropen Gelen, bedingt durch Anordnung der anisometrischen Kolloidteilchen vorzugsweise senkrecht zum Ionenstrom, ist im Pola-risationsmikroskop und im Elektronenmikroskop zu erkennen. Außer dieser submikroskopischen Struktur können sich in ionotropen Gelen noch zusätzlich an-dere Strukturen ausbilden. Solche Strukturen wurden zuerst an Gelen des Vanidinpentoxyds und der Hg-sulfosalicylsäure beobachtet15. Man kann sie in zwei verschiedene Arten einteilen, nämlich in Asteride er-ster Art mit Solen aus unterschiedlichen Teilchen und

22 A. S z e n t G y ö r g y , Chemistry of muscular con-traction, New York 1947 u. Nature of Life, New York 1948.

15 H. T h i e l e , Universitas 5, 1081 [1950], * Bei Sphäriten bezieht man das Vorzeichen der Dop-

pelbrechung auf den Radius. * Noch unveröff. Arbeit mit L. L a n g m a a c k .

Heinrich Thiele und Gert Andersen, Membranen und Gele mit mizellarer Struktur (S. 677)

faser - ähnlich

Abb. 1. Ungeordnete Fäden von Na-alginatsol, kontrast- Abb. 2. Geordnete Fäden im ionotropen Cu-alginatgel, verstärkt durch Ba-ionen 30 000-fach. Dünnstschnitt — 30 000-fadi.

Abb. 4. System der dargestellten Gelstrukturen im Schema, daneben photographisch die Schnitte in den drei Haupt-richtungen, polarisiertes Licht, Gips Rot I. Blau bei Addition erscheint dunkel. Gelb bei Subtraktion erscheint hell.

Erklärung im Text.

F o l i e er ni er end

w Kreuz

Abb. 6. Aufblättern bei Unterbrechung der Gegenionen- Abb. 7. Kreuzweise vertikal geordnete Fäden Abb. 4 un-Diffusion. ten rechts.

Zeitschrift für Naturforschung 10 b, Sei te 680 a

Röhre

Abb. 8. Dehydratationswege durch tropfige Entmischung in ionotroper Cu-alginatmembran, Querschnitt 20-fach.

Abb. 10. Diagonal zur Diffusionsrichtung der Gegenionen verlaufende Dehydratationswege in Cu-alginatgel, Auf-

sicht vom Sol her, 30-fach.

Abb. 11. Dehydratationswege im ionotropen Gel durch Diffusion von 1-n. CuCl2 in 1-proz. Na-alginatsol, vom

Sol her gesehen, 12-faeh.

Abb. 12. Aufsicht auf die Öffnungen der kapillaren De-hydratationswege durch tropfige Entmischung. Ionotropes

Cu-alginat 63-fach, Durchmesser 60—120 a.

Abb. 13. Lochbildung an Silber/Palladium nach W. Seith. Diffusion in Metallen, Berlin 1955, 2. Auflage, S. 219.

Abb. 14. Kernmembran von Amoeba proteus, a = Waben-struktur 8000-fach, b = Porenmembran bedeckt von kon-tinuierlicher Membran. Pfeile bezeichnen die Löcher darin. 10 000-fach (Photos von A. B a i r a t i ) repr. nadi L e h -

m a n n 1 9 .

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in solche zweiter Art, deren Struktur wir im Folgen-den näher behandeln wollen. Bei der Hg-sulfosalicyl-säure ergab sich eine einfache empirische Beziehung zwischen der Zahl der Strahlen und dem Radius des Gegenions. Auch die Wertigkeit des Gegenions ist von Einfluß. Je größer der Radius und je höher die Valenz des Gegenions ist, desto größer ist die Zahl dieser radialen Streifen. Das Nebenion ist weniger wichtig 16.

Wir ändern jetzt die frühere Versuchsanordnung und lassen, anstatt von einem Zentrum ausgehend, nunmehr die Gegenionen in breiter Fläclie durch eine permeable Wand in das Sol des Polyelektroly-ten eindiffundieren *. Als Polyelektrolyten wählen wir wieder anionische, aber solche, die festere Gele bil-den, wie Alginat, Pektat oder Celluloseglykolat, und zwar die Alkalisalze in etwa 1-proz. Lösung. Dabei finden wir das gleiche Verhalten auch bei diesen na-tiven Kolloiden, nur liefert diese neue Anordnung keine radialen Strukturen, sondern, gemäß der hier nicht radialen, sondern nun parallelen Ionendiffusion zu der Diffusionsrichtung, parallele Strukturen. Diese Strukturen sind manchmal gröber als die weiter vorn beschriebenen mizellaren Strukturen, lassen sich aber ebenso im Mikroskop betrachten und analysieren.

In Abb. 8 erkennt man an einem Querschnitt durch eine ionotrope Membran von Cu-alginat viele neben-einander liegende feine Streifen. Diese Streifen sind nebeneinander liegende, feine Hohlräume, langge-streckte Kapillarröhrchen mit wäßrigem Elektrolyt angefüllt. Das der Membran auf der linken Seite der Abb. 8 anliegende Gel ist noch homogen, A. Wei-ter rechts mit dem Strom der diffundierenden Cu-ionen entwickeln sich aus einer schmalen Zone B her-aus, Abb. 9, die feinen zylindrischen Hohlräume im ionotropen Gel C. Sie liegen parallel zueinander und zum Ionenstrom und sind gebietsweise geordnet. Sie verlaufen vielfach geradlinig zum Sol und enden dort. Aber sie ändern — vermutlich durch äußere Ein-flüsse — gelegentlich die Richtung, wie Abb. 10 zeigt.

Betrachtet man die Bildungszone B, Abb. 9, bei etwas stärkerer Vergrößerung, dann findet man viel-fach ein anfangs weiteres Lumen oder ein Umbiegen oder beides. In Bestätigung früherer Befunde kann sich zuweilen eine Sprungschicht ausbilden — II in Abb. 9 —, in welcher sich das Lumen der Kapilla-ren plötzlich ändert, zumeist wird es größer als in Abb. 9 II D. Diese neue Zone findet man immer dann, wenn die Gelbildung kurz unterbrochen wird

iß H. T h i e l e , Discuss. Faraday Soc. 18, 294 [1955].

— sei es durch Herausheben des Zylinders oder durch mechanische Erschütterung. Schließlich wurde auch ein stetiges Zunehmen des Lumens beobachtet wie in III Abb. 9. Dadurch muß sich notwendig die Richtung der Lumina ändern.

Betrachtet man die dem Sol zugewandte Seite der Gelmembran, so zeigt diese in Aufsicht die zahl-reichen, nebeneinander liegenden Öffnungen der zy-lindrischen Hohlräume im Gel, gebietsweise geord-net und wabenartig, Abb. 11.

Diese langgestreckten kapillaren Hohlräume im Gel erscheinen immer dann, wenn ein Elektrolyt mit bestimmten Gegenionen und mit einer bestimmten Geschwindigkeit in Lösungen eines Polyelektrolyten eindiffundiert. Vor der Gelbildung zum Sol hinzuge-

i n m Abb. 9. Schema der Kapillarenbildung.

fügter 1,1-Elektrolyt beeinflußt mit steigender Kon-zentration zunehmend die Form der Kapillaren. Mit 0,2-n. LiCl im Sol traten keine Kapillaren mehr auf.

In Abänderung früherer Vorstellungen deuten wir, unter Verwendung der neueren Versuchsergebnisse, die Bildung der kapillaren Hohlräume im Gel fol-gendermaßen: Zunächst bestätigt sich die Auffassung, daß beim Eindiffundieren von Elektrolyt in das Sol eines Polyelektrolyten die ionischen Gruppen durch einen Austausch der Gegenionen teilweise entladen und das Kolloid dehydratisiert wird. Dabei geht das Sol in ein Gel über. Bei dem Ionenaustausch muß sich außer dem unlöslichen Gel erstens Wasser und zweitens ein lösliches Reaktionsprodukt bilden. Das Dehydratationswasser und das zweite lösliche Re-aktionsprodukt sammeln sich in der Bildungszone, also in der Grenzschicht Gel/Sol an, formal nach der Gleichung:

2 (Na-alginat) + CuCl> = Cu (alginat)2 + NaCl Sol + Elektrolyt = Gel + ?.Reakt.

Prod. + HoO

* Ähnlich wie im Dialysator von G r a h a m läßt man durdi eine ionenpermeable Membran den Elektrolyten nach oben oder nach unten in das etwa 1-proz. Sol ein-diffundieren.

M E M B R A N E N U N D G E L E M I T M I Z E L L A R E R S T R U K T U R 744

Das Cu-alginat bildet das feste ionotrope Gel, welches das gebildete NaCl mit dem durch die De-hydratation bei der Umwandlung Sol/Gel freigewor-denen Wasser in das Sol hineindrängt. Der umge-kehrte Weg ist schwierig, einmal durdi die höhere Salzkonzentration und dann durch die feste Gel-wandung.

Findet nun diese wäßrige NaCl-Lösung keine Zeit, um sich mit dem unveränderten Sol zu mischen, dann sammelt sie sich in kleinen Tröpfchen an der Zone der Gelbildung an. Das Verhältnis der beiden Ge-schwindigkeiten von 1. Gelbildung und 2. Mischung von Sol und wäßriger NaCl-Lösung bestimmt nun die Art der gebildeten Strukturen. Nehmen wir den ersten Fall mit großer Geschwindigkeit der Gelbil-dung, so wird die Zone der Entmischung vom diffun-dierenden Gegenion überholt, es tritt eine tropfige Entmiscliung ein, welche im Gel fixiert ist. Dann fin-det man die früher beobachteten, rundlichen, wabigen Gebilde. Als nächsten Fall betrachten wir eine etwas langsamere Diffusion der Gegenionen, in diesem Fall wird die Entmischungszone von den Gegenionen ge-rade eingeholt. Die Tröpfchen von wäßriger NaCl-Lösung werden vor der Zone der Gelbildung einher-getrieben und prägen dem Sol formgebend eine Ka-pillarstruktur auf, welche sogleich im Gel fixiert wird.

Wenn diese Vorstellung richtig ist, dann darf bei genügend verlangsamter Diffusion der Gegenionen die Kapillarstruktur im Gel nidit mehr erscheinen, weil dann die wäßrige NaCl-Lösung genügend Zeit findet, um sich mit dem Sol völlig zu mischen. Ver-langsamt man die Ionendiffusion durch Zwischen-sdialten einer dickeren Wand aus Porzellan, so un-terbleibt tatsächlich die tropfige Entmischung und da-mit die Röhrenbildung. Das gebildete Gel ist homo-gen. Man kann diesen Vorgang an kleinen Luft-blasen im Sol sichtbar machen: Sie werden bei ho-her Diffusionsgeschwindigkeit der Gegenionen im Gel eingeschlossen und erscheinen dann als rundliche Ge-bilde. Oder sie werden vor dem Gel formgebend im Sol vorweg getrieben und bilden dann feine mit Luft gefüllte Kapillaren.

Als weiteren Beweis kann man folgendes ansehen: Weder der Gangunterschied noch das Vorzeichen der Doppelbrediung wird durch die kapillaren Hohl-räume beeinflußt, denn es sind zylindrisdie Ausspa-rungen im ionotropen Gel, sie haben Gelsubstanz verdrängt, daraus bestehen ihre W7andungen. So ent-

17 W. S e i t h , Diffusion in Metallen 2. Aufl.. Berlin 1955.

steht ihr Lumen schizogen. Bei Betrachtung vertikal zur Länge heben sich die isotropen Lumina gegen die nunmehr stärker doppelbrechenden Wandungen auf, so daß insgesamt hier keine Veränderung des Ganguntersdiiedes zu sehen ist. Dagegen muß bei Aufsidit auf die Öffnungen oder im Querschnitt oder koaxial die Wandung eines jeden Lumens als negativ doppelbrechender Sphärit erscheinen.

An einer stärkeren Vergrößerung zeigt Abb. 12, daß die Wandungen tatsächlidi doppelbrechend sind. Daß sie wirklidie Lumina sind, also kapillare zylin-drische Hohlräume im Gel, und darin Flüssigkeit oder gelöster Stoff diffundieren kann, erkennt man daran, daß beim Aufbringen der Lösung eines Farb-stoffes ohne Affinität zum Polyuronat, wie Eosin, dieses bevorzugt an den Stellen in das Gel diffun-diert, weldie Röhrenöffnungen haben.

Zunächst mag es einem müßig und unnütz er-sdieinen, sich mit der Bildung von Hohlräumen bei der Diffusion zu beschäftigen, aber bald muß man sich dahin belehren lassen, daß selbst in festen Kör-pern, wie zwei Metallen, etwa Silber und Palladium, durch Diffusionsvorgänge soldie Hohlräume entste-hen können. Abb. 13 zeigt nach S e i t h 1 7 an einem Dünnschliff von Silber gegen Palladium aus einer auf eine Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes von Silber einige Zeit erhitzten Probe, daß sich an den Berührungsflächen beider Metalle zahlreiche Lö-dier gebildet haben. Diese Lochbildung hat eine erhebliche technische Bedeutung, nämlich an allen Stellen, an denen zwei verschiedene Metalle oder Legierungen aneinander grenzen, wie bei Schweiß-nähten und Plattierungen.

Äußerlich mag das Bild ähnlich sein, aber damit ist nicht gesagt, daß gleiche Ursachen und gleiche Vorgänge vorliegen müssen. Die Ursachen sind noch nidit genügend bekannt. Immerhin sind die Er-sdieinungen wichtig genug, um sie zu besdireiben und näher zu untersuchen.

Auch dicke Oxydsdiichten auf Aluminiummetall zeigen im Abdruckverfahren elektronenoptisch nach B o o k e r , W o o d und W a s h 1 8 eine ganz ähn-liche Röhrenstruktur. Den von uns beschriebenen, wasser-reichen Gelen mit mizellarer Struktur liegen Vergleiche mit biologischen Objekten näher. Wir wollen uns mit einem Hinweis auf die zahlreichen Vorkommen von Röhren- und Wabenstrukturen be-gnügen und nur ein neueres Beispiel betrachten,

is C. J. L- B o o k e r , J. L. W o o d u. A. W a s h , Nature [London] 176, 223 [1955],

B E Z I E H U N G E N Z W I S C H E N R^ - W E R T U N D C H E M I S C H E R K O N S T I T U T I O N 6 8 3

welches allerdings Hohlräume von nur elektronen-optisch erkennbarer Größe besitzt, nämlich die Kern-membran einer Amöbe nach L e h m a n n 1 9 .

Es ist zu vermuten, daß ionotrope Vorgänge zur Deutung von bestimmten morphogenetischen Prozes-sen herangezogen werden und dort von Nutzen sein können. Das gilt auch für die Entstehung kapillarer Hohlräume durch tropfige Entmischung. Sdiließlich muß nochmals betont werden, daß hier sehr wasser-reiche Gele vorliegen und keine Sphärokristalle. Aus

19 E. E. L e h m a n n , Verh. Ges. dtsch. Naturforscher u. Ärzte 98, 51 [1955].

den Befunden ließen sich unschwer Theorien ablei-ten, die wir mit Absicht nicht bringen, denn zumeist besteht daran kein Mangel. Sie sind wandelbar, pas-sen sich dem derzeitigen Stand des Wissens an und sind nur soweit von Nutzen, als sie zu neuen Erkennt-nissen führen, welche man besser sogleich im Ver-such nachprüft.

Diese Arbeit wurde zum Teil mit Mitteln vom F o n d s d e r C h e m i e und von der D e u t s c h e n F o r -s c h u n g s g e m e i n s c h a f t ausgeführt, der eine von uns (G. A.) verdankt Herrn Prof. O. B a y e r , Leverku-sen, ein Liebigstipendium.

Über die Beziehungen zwischen /?y-Wert und chemischer Konstitution organischer Verbindungen in der Papierchromatographie

V o n H . K . S C H A U E R u n d R . B U L I R S C H *

(Z. Naturforsdig. 10 b, 683—693 [1955]; eingegangen am 27. Juni 1955)

Es wird gezeigt, daß durch Umkehrung der Martinschen Beziehung die Konstitution einer Substanz (Zahl der Atome, funktionellen Gruppen und Bindungsinkremente) aus Rf-Wer ten und gewissen Konstanten errechnet werden kann.

Es müssen ebenso viele Rf-Werte bekannt sein, als Unbekannte zu berechnen sind. Die Formulierung erfolgt im Matrizenkalkül. Die praktische Anwendung des Verfahrens wird an Beispielen diskutiert. Auf die Möglichkeit, einen Teil der Konstitutionsaufklärung ohne Isolierung ausschließlidi

auf Grund von R^-Wert-Bestimmungen durchzuführen, wird hingewiesen.

1. Thermodynamische Grundlagen 1, 2

Um in einem binären Lösungsmittelgemisch eine Anzahl v Mole eines gelösten Stoffes A aus der

Phase I mit dem osmotischen Druck n\ in die Phase II mit dem osmotischen Druck n\\ isotherm überzufüh-ren, muß die Arbeit

J<?A = — / V d . T ( 1 )

aufgewendet werden. Nun ist nach dem van't Hoff sehen Gesetz:

.1V = vRT.

Es wird also

-\QA

JT |I

jf*Vd.T = — j r ^ T d.-r = — vRTln -Tll •T| (2)

der Konzentration c des gelösten Stoffes A direkt verhältnisgleich:

."T = kc

(X Proportionalitätsfaktor) und damit

«tu =

Jll Cl

(c\ bzw. CII: Konzentrationen des gelösten Stoffes A in der Phase I bzw. Phase II).

Also

AQa v RT In — cn

C I / C I I ist aber gleich dem Verteilungskoeffizienten a\

c | Cn

Der osmotische Drude n ist bei nicht zu hohen Kon-zentrationen — im Bereiche idealer Verdünnung —

1 E. L a n g e , Chem. Thermodvnamik, S. Hirzel-Ver-lag, Stuttgart 1949.

* s.S. 693.

Die reversible Überführungsarbeit AQa, die not-wendig ist, um ein Mol gelöster Substanz A aus der Phase I in die Phase II zu bewegen, wird daher:

2 Chr. G e r t h s e n , Physik, Volk und Wissen Ver-lags G.m.b.H., Berlin-Leipzig 1948.