MERK 2012 Hände reichen über Grenzen - mennoniten.de · W ir leben alle unter Gottes Dach. Im...
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TÄUFERISCH-MENNONITISCHE GEMEINDEZEITSCHRIFT · NR. 4/2012
MERK 2012
Hände reichen über Grenzen
DIE BRÜCKE
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Titelbild und Seite 3 : Foto: -
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und »Gemeinde Unterwegs«bis 1973 »Der Mennonit«
DIE BRÜCKETÄUFERISCH-MENNONITISCHE GEMEINDEZEITSCHRIFT
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Thema Umschau
Rubriken
DIE BRÜCKE 5/2012 erscheint Anfang September 2012, mit dem Thema
„Hiob - Leiderfahrungen“ Redaktionsschluss ist der 01.08.2012
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DIE BRÜCKE 4 / 2012
inhalt
3 Auf ein Wort Benji Wiebe
4 Hände reichen, weil Gott uns Weite schenkt Lukas Amstutz
7 Nicht nur Gleichgesinnten Hände reichen Jonas Widmer
8 BeMERKenswertes Anita Hein-Horsch
9 Meine neunte MERK Ruthild Foth
10 Weil Jesus allen eine Chance gibt Jeanet van Woerden
14 Gemeinschaft und Identität Jonas Widmer
15 Schnitzeljagd zum Täuferversteck Isabell Mans
16 Brich auf mit Gottes Segen Ruth Raab-Zerger
19 Sichtbare Zeichen gegen Ausgrenzung Markus Rediger
20 Die Welt zu Gast in der Schweiz Byron Rempel-Burkholder
24 Lyrik 38 Personen 42 Termine 47 Leserecho 48 Friedensfoto
25 Mennonitisch-adventistischer Dialog MWK-Meldung
27 Nicht nur Wellness-Ökumene Ernst Christian Driedger
28 Einen anderen Grund kann niemand legen Christoph Wiebe
32 Neue Impulse durch alte Geschichten Sibylla Hege-Bettac
34 Einsatz in Moldawien FSJ Kaiserslautern
Wir leben alle unter Gottes Dach. Im Epheser-brief steht dieser mutmachende Vers. Und einige Verse zuvor steht, warum wir bei Gott
nicht mehr Gäste und Fremdlinge sind. Dort heißt es: „Christus ist unser Friede. Er riss die trennende Wand der Feindschaft nieder. Durch das Versöhnungshandeln Christi wurden trennende Mauern zwischen Menschen mit verschiedenen Prägungen und verschiedener Herkunft niedergerissen. Jesus hat Grenzen überwunden und ruft uns auf, es ihm gleich zu tun, und einander über Grenzen hinweg die Hände zu reichen.
Von Christus lernen wir, dass Frieden dort beginnt, wo überwunden wird, was uns von anderen trennt. Selbst innerhalb der mennonitischen Geschwisterschaft gibt es große Unterschiede, unterschiedliche Sichtweisen, Sprachen und Stilformen.
Die MERK war eine gute Gelegenheit, einander zu begeg-nen und sich in aller Verschiedenheit auf das Gemeinsame zu besinnen und Mauern zu überwinden. Mauern zwischen Generationen, die Mauern zwischen Nord und Süd. In unsere oft vermauerte Lebenswirklichkeit hinein spricht der Epheserbrief seine befreiende Botschaft: „Christus ist unser Friede“. Er hat die Mauern der Feindschaft nieder-gerissen. Er hat sich jenen zugewandt, die hinter Mauern der Ablehnung leben mussten, den Ausgegrenzten und Geringgeschätzten. Zu ihnen ist er gegangen. Hat mit ihnen gegessen. Ihnen nahm er den Schmerz der Isolation. Sie befreite er zur Freude. Er sprengte die Mauern, die sie von anderen trennten.
Wo es uns gelingt, die Mauern zu überwinden, die uns von anderen trennen, wirkt das Versöhnungshandeln Chris-ti weiter in die Welt hinaus. Der durch Christus erworbene Friede will die ganze Welt erfassen.
Wir sind aufgerufen, ernst zu machen mit der Botschaft von dem Christus, der als Friedensstifter aus Gästen und Fremdlingen Mitbürger und Hausgenossen gemacht hat.
Benji Wiebe
Liebe Leserinnen und Leser,
Im Mai fand in der Schweiz die Mennonitische Europäi-sche Regionalkonferenz MERK 2012 zum Thema „Hän-de reichen über Grenzen“ statt, das zugleich Titelthema
dieser Ausgabe ist. Bei der MERK wurden hoffnungsvolle Zeichen gesetzt gegen Aus- und Abgrenzung, im Sinn und nach dem Vorbild von Jesus Christus. Über 800 Dauerteil-nehmende aus 35 Ländern waren dabei.
In Referaten, Workshops, Gottesdiensten, bei Diskussion, Gebet und Gesang kamen sich Menschen verschiedener Herkunft näher und reichten einander die Hand. Es blieb auch Zeit für Ausflüge in die Region und Ausstellungen zur Täufergeschichte. Auch an die Kinder und Jugendlichen war gedacht und die Jugendwerke hatten ein spezielles Programm vorbereitet.
Einige Eindrücke der MERK finden sich in dieser Aus-gabe, darunter drei der Referate aus den Plenumsveranstal-tungen. Je eines vom Anfang, aus der Mitte und vom Ende der Tagung, aber auch einzelne Teilnehmende kommen zu Wort. Rund um die MERK fanden noch weitere internati-onale Begegnungen auf Weltkonferenz-Ebene statt, auch dazu gibt es einiges zu lesen.
Ich wünsche gute Gedanken, Gesprächsanregungen und Impulse beim Lesen der neuen BRÜCKE
Benji Wiebe
„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“
(Epheser 2,19)
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DIE BRÜCKE 4 / 2012
editorial | auf ein wort
Hände reichen, weil Gott uns Weite schenktLukas Amstutz hielt die Predigt beim MERK-Eröffnungs-Gottesdienst am Donnerstagabend
Hände reichen über Grenzen“ – viele von uns haben dies in den letzten Stunden be-
reits eifrig geübt. Denn neben alten Bekannten wollen an einer solchen Großveranstaltung wie der MERK auch neue Gesichter begrüßt wer-den. Zigmal wurden hier und heute Hände ausgestreckt, gedrückt und geschüttelt. Zugegeben: Das ist nicht besonders originell. Ja, in unseren Breitengraden gehört sich das so. Allgemeine Nettigkeit.
Aber selbstverständlich ist es des-wegen noch lange nicht. Eine frem-de Hand zu ergreifen, ist und bleibt eine Art von „Grenzüberschreitung“. Niemand zeigt dies so deutlich wie kleine Kinder, die sich hartnäckig einem Handschlag verweigern. Für die Eltern zuweilen eine erzieherische Herausforderung, die oft im gequälten Lächeln endet, weil der Nachwuchs erst nach mehrmaliger Aufforde-
rung und dann auch noch mit der „falschen“ Hand der gesellschaftlich geforderten Höflichkeit nachkommt .
Dabei lehrt uns die Kulturgeschich-te, dass wir uns mit der Hand begrü-ßen, weil man früher so seine fried-lichen Absichten bezeugte. Anstatt mit der rechten Hand ans Schwert zu fassen, winkte man und ergriff die ausgestreckte Hand des Gegen-übers. Dass Kin-der von sich aus offensichtlich kei-ne Notwendigkeit sehen, Erwachsene in diesem Sinne zu „entwaffnen“, ist demnach eigentlich eine gute Nachricht...
Wenn das gegenseitige Händerei-chen ursprünglich tatsächlich zum friedlichen Miteinander beitrug, er-klärt sich die Wahl des Tagungsthe-mas quasi von selbst. Denn die „Jagd nach dem Frieden“ (Hebr 12,14) ist seit jeher ein mennonitisches Kern-anliegen. Zu einer „Historischen Friedenskirche“ gehören Hände, die über Grenzen gereicht werden – bis hin zum Feind.
Es ist denn auch kein Zufall, dass ein Bild von ausgestreckten Händen zu den bekanntesten täuferischen Illustrationen zählt. Sie stammt aus dem Märtyerspiegel und erzählt die Geschichte des zum Tode verurteilten Täufers Dirk Willems im 16. Jahr-hundert. Auf seiner Flucht rettete er einen Verfolger, der durch das Eis eines Weihers gebrochen war. Trotz-dem wurde er festgenommen und schließlich gestern vor 443 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Eine zumindest unter Mennoni-ten bestens bekannte Geschichte. Seit über 400 Jahren wird sie weitererzählt und ich wage zu behaupten: So sehen wir uns gerne. Konsequent und glaub-würdig. Gelebte Feindesliebe in den Fußspuren Jesu. Friedenskirchliche Musterschüler.
Noch einmal: So sehen wir uns ger-ne. Die Frage aber sei erlaubt: Sind wir das denn auch? Meine Antwort ist vielleicht gut schweizerisch diplo-matisch : Ja und Nein. Ja – nach wie vor ist die Praxis der ausgestreckten Hände in unseren Kreisen verbreitet. Und ich bin sicher, dass wir nicht
zuletzt in den kommenden Ta-gen eindrückliche Geschichten dazu hören werden.
Daneben meine ich aber auch un-ter uns Mennoni-
ten hier in Europa – und vielleicht speziell hier in der Schweiz – eine gewisse Müdigkeit, Lethargie oder gar Resignation wahrzunehmen. Wir wissen, ahnen oder spüren, dass wir in der Praxis hinter manchem zu-rückbleiben, was wir in unserer Ge-schichte und Theologie als wichtig und richtig erkannt haben. Auch und vielleicht gerade im Blick auf unser Friedenszeugnis. Über den Frieden reden, ist auch bei uns oft einfacher als Frieden leben. Scheitern, mangeln-de Ressourcen, fehlende Kreativität oder schlicht eine gewisse Trägheit, sorgen zuweilen für erschlaffte Hände. Man ist froh, wenn sie noch für den Eigenbedarf zu gebrauchen sind.
„Hände reichen über Grenzen“ – seien wir ehrlich: das kommt doch oft dem Gang auf dem Wasser gleich. Da droht das Ertrinken in all den Her-ausforderungen und Enttäuschungen. Wie einst Petrus, bleibt dann auch uns nur der Schrei: „Herr, rette mich!“ (Mt 14,30).
Anstatt anderen die Hand hel-fend zu reichen, sind wir plötzlich selbst auf eine ausgestreckte Hand angewiesen. So sehen wir uns viel-leicht weniger gern. Wir sind dann so schrecklich normal. Bedürftig. Angewiesen auf Gottes Hand, auf Gottes Zuwendung – so, wie die ganze Schöpfung. Aber genau da-
Lukas Amstutz führte in das Tagungs-motto ein
Über den Frieden reden, ist auch bei uns oft
einfacher als Frieden leben
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hände reichen über grenzen
ran erinnern wir uns heute Abend.Wir erinnern uns an einen Gott,
der uns seine Hände reicht. Der uns Weite schenkt. Der Grenzen über-windet, um Himmel und Erde mitei-nander zu verbinden. Bereits auf den ersten Seiten der Bibel wird nämlich deutlich, dass Gott nicht darauf war-tet, bis wir ihm die Hände entgegen strecken. Stattdessen kommt er uns entgegen. Wagt den Gang in eine Welt, in der ein tiefer Riss zwischen Schöpfer und Geschöpf entstanden ist. Hier weht ihm zwar ein kühler Wind entgegen. Doch davon lässt er sich nicht beirren. Stattdessen ruft er nach seiner Menschheit, die sich in einer Heidenangst vor ihm zu verstecken versucht. In der Urfra-ge „Mensch, wo bist du?“ (Gen 3,9) reicht Gott uns seit Menschengeden-ken seine Hand.
Wir erinnern uns heute Abend aber auch an einen Gott, der seine Hand in besonderer Weise den Unterdrückten, Benachteiligten und Armen in dieser Welt entgegenstreckt. Daran erinnert uns Maria in ihrem Lobgesang (Lk 1,46-55). Wenn sie in messianischer Erwartung über den Gott jubelt, der ihre Niedrigkeit gesehen hat, preist sie denselben Gott, der bereits im Alten Testament seine Augen vor Un-recht nicht verschließt und sich vom
Stöhnen der Unterdrückten bewegen lässt (Ex 2,23-25). Gott streckt seine Hände aus, um damit Partei für die Benachteiligten zu ergreifen. Seine befreiende Hand ist damit die Hoff-nung all jener, die unter dem Diktat der Hochmütigen, Mächtigen und Reichen zu leiden haben.
Schließlich erinnern wir uns heute Abend an den heruntergekomme-nen Gott. An Jesus Christus, der den Menschen zurief: „Die neue Welt Got-tes bricht an! Denkt um und richtet euer Leben ganz neu auf Gott und seinen Willen aus!“ (Mk 1,15). Der kompromisslos gegen jegliche Pseu-doreligion, gegen Ungerechtigkeit und Selbstgerech-tigkeit kämpfte – und seine Feinde dennoch liebte, anstatt sie zu töten. Der am Kreuz auf die menschliche Feindschaft mit versöhnender Liebe geantwortet hat (Röm 5,10). Der dort die Hände ausstreckt, die Welt umarmt und ihr zuspricht: „Gott liebt dich und sehnt sich nach Gemeinschaft mit dir.“
Wir begegnen hier der entwaff-nenden Liebe Gottes. Seine ausge-streckten Hände verweigern sich dem Griff ans Schwert. Sie sind zum
Handschlag bereit. Und da, wo sie glaubend ergriffen werden, berüh-ren sich Himmel und Erde. Da weht ein neuer, frischer Wind durch die Welt. Himmelsluft macht sich breit und ein weiter Raum öffnet sich! In dieser geschenkten Weite erkennen wir, dass Gott ganz unterschiedliche Menschen an seiner Hand hält. Ja: wir realisieren, dass die Hand Gottes uns an die Hand des Nächsten führt.
In der Hand Gottes werden Hände über alle möglichen Grenzen gereicht. Da werden nationalistische, rassisti-sche, machtgierige und gewaltberei-te Tendenzen entmachtet. Jegliche Feindschaft ist überwunden. Da be-
grüßen sich Men-schen als gleich-wertige Brüder und Schwestern in Christus!
Halten wir fest: Von der Schöpfung bis zur Neuschöp-
fung ist es Gott, der uns die Hände reicht. Und genau von diesen Händen leben wir. Diesen Händen verdanken wir unsere gesamte Existenz. „Was aber hast du, das du nicht empfan-gen hättest?“, fragt Paulus rhetorisch im ersten Korintherbrief (1Kor 4,7). Die Antwort: Nichts, absolut nichts. Wir empfangen das Leben aus den
Von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung ist es Gott, der uns die
Hände reicht
855 Personen aus 36 Ländern und al-len fünf Kontinen-ten hatten sich zur MERK angemeldet
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Händen Gottes. Alles, was wir sind und haben, empfangen wir als Gottes Gabe. Da gibt es keinerlei Ansprüche, die wir einklagen können. Das Leben ist und bleibt stets ein unverdientes Geschenk.
Spätestens hier meldet sich mög-licherweise das täuferisch-mennoni-tische „Ja, aber...“. Manche orten in solchen Sätzen vielleicht bereits die von Dietrich Bonhoeffer kri-tisierte „billige Gnade.“ Eine kirchliche Schleu-derware, ohne Preis und Kosten. An-dere befürchten eher eine evangeli-kal-charismatische Engführung einer bloß individualisierten Gottesbezie-hung. Die Reduktion auf den lieben Gott und mein Seelenheil.
Der zu erwartende Einwand könnte daher etwa so lauten: „Wenn Gott der Welt seine Hand reichen will, braucht er unsere Nachfolge. Jesus hat uns gezeigt, wie das geht. Jetzt machen wir es ihm einfach nach.“ Und gewisser-maßen als bekräftigende Illustration dieses Ansatzes wird die Geschichte
von Dirk Willems nachgeliefert.Ich habe für diese Position nicht
bloß Sympathien, ich teile sie auch weitgehend. Und doch befürchte ich, dass wir damit letztlich näher beim sinkenden Petrus als bei Dirk Wil-lems sind. Der Gang übers Wasser will trotz ersten mutigen und erstaun-
lichen Schritten nicht gelingen. Die Hände sind zwar ausgestreckt, suchen aber bloß verzweifelt nach einem rettenden Strohhalm.
„Hände reichen über Grenzen“ – ich glaube, aus ei-gener Kraft werden wir dies nicht lange durchhalten. Die Stimmen, die uns täglich einreden, dass sich so et-was nicht lohnt, werden uns in die Knie zwingen. Weder Appelle noch motivierende Beispiele werden dies letztlich verhindern. Wenn wir nicht untergehen wollen, dann gilt es, die ausgestreckte Hand Gottes zu ergrei-fen. Wenn wir anderen die Hände reichen wollen, brauchen wir die tiefe Gewissheit und die Erfahrung, dass wir selbst gehalten sind. Jegliche Form
täuferischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz sind hier fehl am Platz.
In seinem kürzlich erschienen Buch „Umsonst“ fragt der Theologe Miros-lav Volf, wie wir in einer gewinn-orientierten Gesellschaft großzügig teilen können. Als Teil seiner Antwort schreibt er: „Die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass wir uns in der Hingabe an den Nächsten nicht selber verlieren, besteht darin, dass unsere Liebe zu dem anderen durch Gott geht.“ Anders gesagt: „Hände reichen über Grenzen“ können wir langfristig nur dann, wenn wir Hand in Hand mit Gott zusammenarbeiten.
In dieser Weise werden nämlich unsere Hände zu Werkzeugen der Hände Gottes. Und genau darin liegt die Kraftquelle, um unsere Hände immer wieder neu über Grenzen hinweg auszustrecken. Denn so ist es ist letztlich Gott selbst, der durch uns die Hände reicht. Er führt und bewegt unsere Hände, damit sie sich auch dem Feind freundlich und ent-waffnend entgegen strecken. Selbst dann noch, wenn andere längst in Media-Markt-Manier sagen: „Ich bin doch nicht blöd!“
Lassen wir uns daher am heutigen Abend von dem alten Sonntagsschul-lied in Erinnerung rufen: Gott hält die ganze Welt in seiner Hand – und damit auch uns. Es ist diese alles um-fassende Hand Gottes, die uns in die Weite führt. Es ist seine Hand, die uns hält, wenn uns das Wasser bis zum Halse steht. Uns Kraft, Mut und Zuversicht zu verlassen drohen. Und an dieser Hand lernen wir schließlich jeden Tag neu, einander die Hände zu reichen – hier an der MERK und darüber hinaus.
Möge Gott seine Hand gnädig über uns und dieser Welt halten!
Lukas Amstutz
Wenn wir nicht untergehen wollen, dann gilt es die ausgestreckte
Hand Gottes zu ergreifen
Die Brassband Jeangui bot die musikalische Umrahmung des Abends
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hände reichen über grenzen
Mir gefällt es, viele Leute aus verschiedenen Ländern und Kulturen zu treffen. Ich finde es wichtig, Beziehungen
zu Leuten aus aller Welt aufzubauen und zu pflegen. So kann man über den Tellerrand hinausschauen und Grenzen abbauen. Außerdem baut man sich mit den weltweiten mennonitischen Kontakten eine Art Beziehungsnetz auf, wodurch man aufgefangen wird, wenn man mal in der Fremde ist oder man selbst jemanden auffängt, der aus der Fremde zu uns kommt.
Die Idee von Beziehung leben hat ja auch einen biblischen Ur-sprung. Gott sucht die Beziehung zu uns Menschen und möchte auch, dass wir untereinander gute Beziehungen haben. Für mich kommt das vor allem in Lukas 10,27 zum Ausdruck: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben…und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Oliver Dürksen, 27, Paraguay
Ich mag es sehr, viele Mennoniten aus der ganzen Welt zu treffen. Denn wir sind nur eine kleine Gruppe in den Niederlanden. Es ist sehr inspirierend,
solche internationale Kontakte zu knüpfen und zu erhalten. Außerdem finde ich es toll, dass du immer wieder Leute triffst, die du von anderen mennonitischen Anlässen kennst.
Ich habe in den Workshops wertvolle Inputs erhalten. So war es beispielsweise sehr eindrücklich im Workshop „Texte von Dietrich Bonhoeffer“ über dessen Optimismus zu hören. Er war ein Mensch, der trotz so schlimmer Umstände in seinen Liedern und Texten immer noch eine solch positive Sicht des Lebens auszudrücken vermochte.
In einem weiteren Workshop „Die MWK verbindet“ hat unter anderen auch der neue Generalsekretär der MWK mit persönlichen Geschichten darüber erzählt, was ihn inspiriert, Dinge wie die MERK zu lancieren und organisieren.
Sjoukie Wethmar, 65, Niederlande
Mir wurde bewusst, dass Toleranz nicht nur Akzeptanz bedeutet. Wichtig ist
es, Grenzen zu überwinden und offen zu sein für Fremdes. Sich selbst in die Pers-pektive seines Gegenübers zu versetzen. Es ist mir neu aufgefallen, dass es nicht nur über Kontinente hinweg Unterschiede in Mennonitengemeinden gibt, sondern schon innerhalb eines einzigen Kontinentes so viel Verschiedenes anzutreffen ist. Wenn du dir dieser Unterschiede bewusst bist, ist eine solche Konferenz sehr interessant, wenn du jedoch glaubst, deine Art Gemeinde zu le-ben sei die einzig richtige, wird es schwierig Hände über Grenzen zu reichen.
Marc Pasqués, 24, Spanien
hände reichen über grenzen
Eindrücke von der MERK
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DIE BRÜCKE 4 / 2012
Sichtbare Zeichen gegen Ausgrenzung
Die MERK 2012 hat sich zum Ziel gesetzt, Zeichen gegen Ausgrenzung zu setzen. Inwiefern ist dies gelungen?
Das sichtbarste Zeichen gegen Aus-grenzung waren die Teilnehmer aus aller Welt. Alle Kontinente, über 35 Länder waren in Sumiswald vertre-ten. Aber auch Vertreter von Politik, der Kirchen, anderer Religionen und der Wirtschaft waren dabei. Wir hat-ten offizielle Übersetzungen in sechs Sprachen.
Gab es auch Impulse, über den Rahmen der Konferenz hinaus?
Wenn ich mir den Ablauf der MERK Revue passieren lasse, dann kommen mir viele Impulse in den Sinn, die das Thema verständlich machten und In-puts zum Hände reichen im Sinn und nach dem Vorbild von Jesus Christus gaben. Die über 40 Workshops auch zu vielen gesellschaftsrelevanten The-men sprachen eine deutliche Spra-che. Besonders eindrücklich waren die Geschichten, die illustrierten, wie Händereichen konkret aussieht in Langnau, Mindanao, Simbabwe, den USA und Berlin. Wer dem Mörder seiner Kinder vergeben kann wie die Amischen in Nickel Mines oder wer Kriegspartien eine Plattform des Dialogs schafft und immer wieder
Markus Rediger, Leiter der MERK 2012 zieht Bilanz.
belebt wie die Mennoniten in den Philippinen, der überwindet wirklich Grenzen.
Was ist der Grundtenor der Rückmeldung der über 800 Teilnehmenden? Wie war die Stimmung an der Konferenz?
Die Stimmung war sehr erfreulich. Wir haben unzählige positive Feed-backs erhalten. Die Teilnehmenden fühlten sich wohl und gut aufgeho-ben. Die Hilfsbereitschaft der Helfer, die Organisation und die Themenan-gebote wurden geschätzt. Menschen aus allen Generationen empfanden den Anlass als bereichernd und in-spirierend.
Wann und wo findet die nächste MERK statt? Warum sollte man daran teilnehmen?
Die nächste MERK soll 2018 in Frankreich stattfinden. Es lohnt sich auf alle Fälle, daran teilzunehmen: Um Gemeinschaft zu pflegen und sich davon inspirieren zu lassen, wie andere ihren Glauben leben. Und als Mennoniten nicht zuletzt, um die internationale mennonitische Familie nicht aus den Augen zu ver-lieren
Wir genießen die lockere Stim-mung und dass alle Leute hier
so aufgestellt und glücklich sind. Alle Angebote sind freiwillig und müssen nicht zwingend besucht werden. Das Fußballspielen draussen macht uns Spaß. Dass die Teilnehmer aus ganz verschiedenen Ländern kommen und alle Altersgruppen vertreten sind, ist auch schön.
Sämi, Micah, Jeremias und Joshua Hofer, Teenager, Schweiz
Mir wird das Ende des Schlussgottes-dienstes in lebhafter Erinnerung blei-
ben. Ein Kärtchen lag auf jedem Sitzplatz mit dem Leitwort des Gottesdienstes: Brich auf mit Gottes Segen! Mit Hinweis auf dieses Kärtchen wurde empfohlen, die Rückseite zu beschreiben und einfach weiterzureichen. Und prompt wurde Luise und mir ein Kärt-chen aus zarter Mädchenhand mit strahlen-dem Lächeln zugespielt: Dein Herz sei jeden Tag neu erfüllt von Liebe und dem Segen Gottes! Wir waren ergriffen, waren beglückt. Mittlerweile habe ich einer gewissen Natalie Stucki aus der Schweiz Grüße meinerseits zugestellt.
Oskar Wedel, Deutschland
Fotos: merk2012.ch
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hände reichen über grenzen
Warum lässt Gott das alles zu? – Das fragte sich nicht nur Hiob, sondern nach ihm noch viele
andere Menschen, die mit dem Thema Leid und Verlust in Berührung kamen. Die nächste Ausgabe der BRÜCKE soll Platz bieten, sich dieser schwierigen Frage zu nähern. Gerne übernehmen wir auch persönliche Texte, Gedanken, Mutmachendes oder Nachdenkliches zum Thema. Zuschriften am einfachsten per E-Mail, aber auch gerne auf dem Postweg an die Redaktion. Redaktionsschluss ist der 1. August.
Leiderfahrungen?
DIE BRÜCKE zieht um
Neue Redaktions-Anschrift ab August:
DIE BRÜCKEBenji Wiebe
Am Rugbiegel 1076351 Linkenheim-Hochstetten
Stimmt Ihre Adresse noch? Änderungen bitte an
Die nächsten Nummern:DIE BRÜCKE 5/2012 erscheint Anfang September 2012, mit dem Thema „Hiob – Leiderfahrungen“, Redaktionsschluss ist der 01.08.2012
DIE BRÜCKE 6/2012 erscheint Anfang November 2012, mit dem Thema „Dialog der Religionen“, Redaktionsschluss ist der 08.10.2012
Wir freuen uns über Leserbriefe, Beiträge, Berichte und Zusendungen für die Rubriken „Lyrik“ und „Friedensfoto“
Bitte schreiben Sie an: DIE BRÜCKE, Am Rugbiegel 10, 76351 Linkenheim-HochstettenTel.: 07249 516344 -0 Fax: -9 E-Mail: [email protected]
Neuer Anzeigenredakteur
Ab der kommenden Ausgabe übernimmt Christoph Wiebe aus Freiburg die Anzeigen-Redaktion der
BRÜCKE. Er löst damit Marius von Hoogstraten ab, der diese Aufgabe einige Monate übernommen hatte. Marius wird weiter im Mennonitischen Friedenszen-trum Berlin mitarbeiten. Die Anzeigenredaktion er-reichen Sie nach wie vor über [email protected]
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DIE BRÜCKE 4 / 2012
leserecho
DIE BRÜCKE 4 / 2012
DIE BRÜCKE | Wollgrasweg 3d | 22417 HamburgC 13593 E | PostvertriebsstückEntgelt bezahlt | Deutsche Post AG
Frieden braucht Schutz und RechteFrieden braucht Schutz und Rechte
Foto
: fre
egra
ssy.o
rg
Am 8. Juni beendeten Jugendliche der „Grassy Narrows First Nation“,
kanadische Ureinwohner in Ontario, ihren rund 2000 Kilometer langen Marsch durch den Bundesstaat. Da-mit wollten sie auf die Quecksilber-Verunreinigungen ihrer Wasservorrä-te in ihrem Reservat durch eine nahe gelegene Zellstoff- und Papierfabrik hinweisen. In Toronto schlossen sich weitere Menschen dem Marsch an.
Sie legten auch einen Bericht von Dr. Masazumi Harada, einem japani-schen Quecksilber-Experten vor, der besagt, dass die Folgen für das Reser-vat und die darin lebenden Menschen weitreichender sind, als es die Regie-
rung einräumt. Sechzig Prozent der untersuchten Menschen leiden unter Quecksilbervergiftungen. Einige ha-ben angeborene Anomalien und viele leiden unter weiteren Symptomen, bis hin zu Geh- und Hörbehinderungen, Diabetes und einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle.
Für uns, die wir rund um die Uhr Zugang zu wunderbar sauberem Trink-wasser haben, ist es schwer vorstellbar, wie man ohne sauberes Trinkwasser, ein grundlegendes Lebensmittel, leben kann. Während der CPT-Inforeise nach Grassy Narrows im April erlebte ich die schockierenden Auswirkungen dieses Wassermangels auf die Gemeinschaft.
Noch beeindruckender war es aber zu sehen, dass es auch in einem Volk, dass so stark von der Zerstörung ihrer Umwelt und der Bedrohung ihrer Kul-tur betroffen ist, Menschen gibt, die für Versöhnung mit der zumeist weißen, dominanten kanadischen Gesellschaft eintreten, die die Umweltzerstörungen zu verantworten haben. Judy da Silva, auf dem Bild im Rollstuhl zu sehen während des Marsches in Toronto, wurde mir zu einem inspirierenden Beispiel.
Laurens Thiessen van EschBammental
friedensfoto