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1 Dr. med. Horst Walt, Facharzt für Arbeitsmedizin / Umweltmedizin, ZAUM Berlin Diplom-Physikerin Kerstin Matter, Zentrum für Arbeits- und Umweltmedizin e. V. Steffen Hackenschmidt, Staatlich geprüfter Techniker, ZAUM Berlin Methylmethacrylat (MMA)-Kontamination von Kita und Wohnungen, Fallbericht Inhaltsverzeichnis Seite 1. Störfall, gesundheitliche Beschwerden, Leitkomponenten, Belastungen 1 2. Gefahrstoffquellen, Freisetzungen, Eindringpfade, Innenraumbelastungen durch MMA-Dampf und Sofortmaßnahmen 3 2.1 Gefahrstoffquellen, Freisetzungen und Eindringpfade Kasten 1: Schichten und Stoffe des modifizierten Methylmethacrylat-Balkonsystems 2.1.1 Der Gefahrstoff Methylmethacrylat (MMA) und seine Stoffeigenschaften Tabelle 1 : Physiko-chemische Eigenschaften von Methylmethacrylat monomer (MMA) 2.1.2 Eindringpfade (Rekonstruktionsergebnis 2.2 Innenraumbelastungen, vorläufige Richtwerte der HH-Gesundheitsbehörde 6 Tabelle 2 a : Wirkungsqualitäten des flüssigen oder dampfförmigen Methylmethacrylats 2.3 Sofortmaßnahmen Kasten 2: MMA-Dampf-Messwerte vom 18. Dezember 2013 3 Wirkungen des Methylmethacrylat monomers auf den Menschen 9 3.1 Die Symptomatik der MMA-Dampf-Wirkungen: Irritationen 3.1.1 Die subjektiv spürbaren Wirkungen 3.1.2 Die subjektiv nicht spürbaren Wirkungen 3.2 Olfaktorische Irritationen 10 3.3 Irritationen von Nase, Rachen und Augen 3.4 Irritationen der tieferen Atemwege, des Magendarmtraktes, der Augen und Haut Tabelle 2 b : Pathophysiologie und Pathologie von MMA-Dampf 3.5 Sensibilisierungen und allergische Reaktionen 3.6 Die unsichtbaren Wirkungen des MMA, der Metabolismus und das Exit 12 3.6.1 Lokale Irritationen, toxische Wirkungen 3.6.2 Metabolismus 13 Tabelle 2 c: Stoffwechsel von MMA-Dampf und Methacrylsäure (MAA) 3.6.3 Zu empfindlichen Populationen 3.6.4 Konzentrations-Expositionsdauer-Beziehungen, toxischer Mechanismus 4. Vergleich der Poststörfallexposition mit beruflichen MMA-Dampf-Expositionen 14 Tabelle 2 d: Wirkungen des MMA-Dampfes auf den arbeitenden Menschen 5. Schätzung der initialen MMA-Störfall-Konzentrationen (4.11.13 bzw. 6.11.13) 15 6. Schätzung der initialen MMA-Expositionszeiten (4.11.13 bzw. 6.11.13) 16 7. Bewertung der gesundheitlichen Folgen der MMA-Exposition der Kinder und der Erwachsenen 17 Tabelle 3 : Relevante Inhalationsdaten nichttödlicher MMA-Effekte beim Menschen Tabelle 4: US Bevölkerungsschutzwerte für akute Expositionen vs. MMA-Dämpfen Abb. 1: Verlauf der Messwerte und der Extrapolation zum Störfallbeginn 8. Das Dekontaminationszielwert-Konzept für MMA 21 Kasten 3: Richtwerte für flüchtige organische Verbindungen (VOC), Wohninnenräumen Kasten 4: Ein oberer Referenzwert (95.Percentil) für MMA in Deutschlands Wohnungen Tabelle 5: Kontrollmesswerte von Methylmethacrylat monomer der Dekontamination Kontakt 23 Nachweise Stand 25.05.2015

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Dr. med. Horst Walt, Facharzt für Arbeitsmedizin / Umweltmedizin, ZAUM Berlin Diplom-Physikerin Kerstin Matter, Zentrum für Arbei ts- und Umweltmedizin e. V. Steffen Hackenschmidt, Staatlich geprüfter Techniker, ZAUM Berlin Methylmethacrylat (MMA)-Kontamination von Kita und Wohnungen, Fallbericht

Inhaltsverzeichnis Seite

1. Störfall, gesundheitliche Beschwerden, Leitkomponenten, Belastungen 1

2. Gefahrstoffquellen, Freisetzungen, Eindringpfade, Innenraumbelastungen durch MMA-Dampf und Sofortmaßnahmen 3

2.1 Gefahrstoffquellen, Freisetzungen und Eindringpfade Kasten 1: Schichten und Stoffe des modifizierten Methylmethacrylat-Balkonsystems

2.1.1 Der Gefahrstoff Methylmethacrylat (MMA) und seine Stoffeigenschaften Tabelle 1: Physiko-chemische Eigenschaften von Methylmethacrylat monomer (MMA) 2.1.2 Eindringpfade (Rekonstruktionsergebnis 2.2 Innenraumbelastungen, vorläufige Richtwerte der HH-Gesundheitsbehörde 6 Tabelle 2 a: Wirkungsqualitäten des flüssigen oder dampfförmigen Methylmethacrylats 2.3 Sofortmaßnahmen

Kasten 2: MMA-Dampf-Messwerte vom 18. Dezember 2013

3 Wirkungen des Methylmethacrylat monomers auf den Menschen 9 3.1 Die Symptomatik der MMA-Dampf-Wirkungen: Irritationen 3.1.1 Die subjektiv spürbaren Wirkungen 3.1.2 Die subjektiv nicht spürbaren Wirkungen 3.2 Olfaktorische Irritationen 10 3.3 Irritationen von Nase, Rachen und Augen 3.4 Irritationen der tieferen Atemwege, des Magendarmtraktes, der Augen und Haut Tabelle 2 b: Pathophysiologie und Pathologie von MMA-Dampf 3.5 Sensibilisierungen und allergische Reaktionen 3.6 Die unsichtbaren Wirkungen des MMA, der Metabolismus und das Exit 12 3.6.1 Lokale Irritationen, toxische Wirkungen 3.6.2 Metabolismus 13 Tabelle 2 c: Stoffwechsel von MMA-Dampf und Methacrylsäure (MAA) 3.6.3 Zu empfindlichen Populationen 3.6.4 Konzentrations-Expositionsdauer-Beziehungen, toxischer Mechanismus

4. Vergleich der Poststörfallexposition mit beruflichen MMA-Dampf-Expositionen 14 Tabelle 2 d: Wirkungen des MMA-Dampfes auf den arbeitenden Menschen 5. Schätzung der initialen MMA-Störfall-Konzentrationen (4.11.13 bzw. 6.11.13) 15 6. Schätzung der initialen MMA-Expositionszeiten (4.11.13 bzw. 6.11.13) 16

7. Bewertung der gesundheitlichen Folgen der MMA-Exposition der Kinder und der Erwachsenen 17

Tabelle 3: Relevante Inhalationsdaten nichttödlicher MMA-Effekte beim Menschen Tabelle 4: US Bevölkerungsschutzwerte für akute Expositionen vs. MMA-Dämpfen Abb. 1: Verlauf der Messwerte und der Extrapolation zum Störfallbeginn 8. Das Dekontaminationszielwert-Konzept für MMA 21

Kasten 3: Richtwerte für flüchtige organische Verbindungen (VOC), Wohninnenräumen

Kasten 4: Ein oberer Referenzwert (95.Percentil) für MMA in Deutschlands Wohnungen

Tabelle 5: Kontrollmesswerte von Methylmethacrylat monomer der Dekontamination

Kontakt 23 Nachweise Stand 25.05.2015

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1. Störfall, gesundheitliche Beschwerden, Leitkompo nenten, Belastungen Im Herbst 2013 nahm eine Baufirma eine Sanierung dreier Balkone an einem Altberliner Wohnhaus vor. Dem Rückbau der 100 Jahre alten Balkone zur Beurteilung der Befestigung und Tragfähigkeit folgten Mauerschluss und Türschwellenaufbau. Dann wurden die Balkonflächen mittels eines schnell aushärtenden, wasserdichten Beschichtungssystems für Balkone, Terrassen und Fußgängerflächen wieder aufgebaut. Das Beschichtungssystem war mit „basiert auf einem Polyurethan modifizierten Methylmethacrylat“ ausgewiesen (1). Während der Mauerwandreparatur- bzw. der Beschichtungsarbeiten traten Anfang November 2013 bei den Bewohnern des 1. bis 3. Obergeschosses (OG), insbesondere beim Aufenthalt in den Balkonzimmern, starke Geruchsbelästigungen und Reizungen der oberen Atemwege, z. T. auch der Augen, auf. Dem stechenden Geruch folgten Kopfschmerzen und Übelkeit. Das Wohnen war bereits durch die Auswirkungen der Balkonsanierungen beeinträchtigt. Die Bewohner führten die Reizungen auf die Sanierungsarbeiten zurück, meldeten es der Hausverwaltung, die sich an die Baufirma wandte. An den Folgetagen kam es zu vergleichbaren Beschwerden auch bei Kindern und Erzieherinnen der Kita, die im Erdgeschoss betrieben wurde. Die Geruchsbelästigungen traten bereits wenige Tage vor dem Zenith des Störfalles auf. An einem Mittwochmorgen nach dem Betreten der Kita beklagten mehrere Kleinkinder Leibschmerzen und Übelkeit, einzelne Erzieherinnen Kopfschmerzen und Übelkeit. Ein hilfsbereiter Vater kippte deshalb früh zur Lüftung ein Straßenfenster an, worauf sich die Beschwerden verstärkten und weitere Kinder an den oberen Atemwegen betroffen wurden. Der Übelkeit folgte Erbrechen bei 6 von 23 Kindern, weitere Erzieherinnen bekamen Kopfschmerzen. Später wurde bekannt, dass ein Kleinkind ein generalisiertes Exanthem ausgebildet hatte. Die gerufene Feuerwehr schloss eine Freisetzung von Heiz- und Kochgas aus, riet jedoch zur Schließung der Kita. Die Kinder wurden am Folgetag in anderen Einrichtungen des Trägers untergebracht, die Kita wurde geschlossen. Die Befragung der Verantwortlichen und Erzieherinnen der Kita ergab, sie hätten bezüglich des Einsatzes von Gefahrstoffen auf den Balkonen weder Informationen noch Schutzhinweise seitens der Baufirma oder der Hausverwaltung erhalten. Eine aktuelle Beschwerdeführung bei den Bauleuten vor Ort sei mit dem Hinweis erwidert worden, nur hofseitig zu lüften. Die Baufirma unterbrach aufgrund der Beschwerden der Bewohner, der Kinder und der Erzieherinnen die Balkonsanierung, beriet sich beim Hersteller/Verkäufer des Balkonsystems und stellte die Baustoffe sicher. Sie veranlasste eine ingenieurtechnische Begehung der Baustelle und der angrenzenden Wohnungen und erhielt die Empfehlung, die Innenraumluft der Balkonzimmer und der Kita auf flüchtige organische Stoffe (VOC) des Methylmethacrylat-basierten Balkonsystems messen zu lassen. Anhand der Sicherheitsdatenblätter der Baumaterialien wurden als Leitkomponenten Methylmethacrylat und Ethylhexylmethacrylat ermittelt (2). Das beauftragte Messinstitut nahm die Luftproben für die Bestimmung der Innenraumluftbelastung (Leitkomponenten) an zwei Messpunkten, erstens zwischen Ess- und Schlafraum der Kita und zweitens im Balkonzimmer des 3. OG. Die Probenahme erfolgte am 13.11.2013 abends nach DIN EN ISO 16000-5 (2) unter konservativen Bedingungen (die Messpunkträume wurden 2 Tage lang nicht gelüftet). Die Innenraumluft wurde 240 Minuten lang mittels eines Personal Air Sampler SKC Nr. 1 Anasorb Röhrchen Typ NIOSH (0,52 L/min.) gesammelt. Die Probenahmenvolumina betrugen je 124,8 L (Prüfbericht Environmental Services vom 18.11.2013). Die Stoffanalyse vom 14.11.2013 wurde nach VDI 2100 vorgenommen: Messen von Innenraumluftverunreinigungen – Gaschromatographische Bestimmung organischer Verbindungen nach Anreicherung auf Aktivkohle und nach Lösungsmitteldesorption (3).

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Bei den späteren Dekontaminationskontrollmessungen erfolgten die Probennahmen (Raumluftsammlung zwischen 5,08 L und 5,63 L) mit Personal Air Sampler SKC in Tenax TSD-Röhrchen. Das Methylmethacrylat (MMA) wurde thermisch desorbiert, gaschromatographisch abgetrennt und mit den Detektoren MSD bzw. FID analysiert (Vorschrift DIN EN ISO 16000-6 (4). Die ersten Messergebnisse zeigten für die Innenraumluft des Balkonzimmers 3. OG und für die Kita (Ess- und Schlafraum) Methylmethacrylat in einer Konzentration von je 13.000 µg/m³ (13 mg/m³) an. Für Ethylhexylmethacrylat wurden Konzentrationen von < 5 µg/m³ gemessen. Diese am 8. bzw. 6. Tag nach dem Beschwerdebeginn gewonnenen Innenraumluftproben bestätigten eine Belastung durch MMA und erhärteten den Verdacht eines Zusammenhanges von Freisetzungen aus frisch ausgebrachten Baustoffen und gesundheitlichen Beschwerden. Das EG-Sicherheitsdatenblatt für Methylmethacrylat (Methacrylsäuremethylester) bestätigte anhand der Warnhinweise das qualitative Wirkspektrum der beklagten Beschwerden. Es kennzeichnete das Methylmethacrylat als Gefahrstoff (CAS-Nr. 89-62-6) und wies die physikalischen und chemischen Eigenschaften des MMA aus (Tabelle 1) (5). Zum Zeitpunkt der ersten Probennahme hatten sowohl die Kinder der Bewohner und ihre Eltern als auch die Kinder der Kita und die Erzieherinnen die belasteten Bereiche bereits seit mehreren Tagen verlassen. Die gesundheitlichen Beschwerden der Kinder und der Erwachsenen waren bereits abgeklungen. Später wurde berichtet, dass die Reizwirkungen mit dem Verlassen der belastenden Räume in der Stärke rückläufig waren und zumeist innerhalb einiger Stunden, in Einzelfällen weniger Tage, abgeklungen waren. Übelkeit und Erbrechen wiederholten sich nicht mehr. Bei einem Kleinkind war der Übelkeit und dem mehrmaligem Erbrechen ein großflächiges Exanthem gefolgt. Das Messinstitut empfahl der Baufirma, zu den gesundheitlichen Wirkungen einen Arbeits- oder Umweltmediziner bzw. Toxikologen bei zu ziehen. Dieser sollte die gesundheitlichen Beschwerden und Risiken bewerten und festlegen, ab welcher MMA-Konzentration der Raumluft die Wohnungen bzw. die Kita wieder genutzt werden könnten. Diesen Auftrag erhielt das Zentrum für Arbeits- und Umweltmedizin (ZAUM Berlin) am 20. Dezember 2013. 2 Gefahrstoffquellen, Freisetzungen und Eindringpfa de, Innenraumbelastungen

durch MMA-Dampf und Sofortmaßnahmen 2.1 Gefahrstoffquellen, Freisetzungen und Eindringp fade Als Quelle der Gerüche und Reizauslösungen wurden die hoch MMA-haltigen Baustoffe, aus denen Methylmethacrylat ausdampfte, identifiziert. Zudem konnte der auf den Balkonflächen ausgebrachte Schaumglasgranulat-1-Komponenten-PU-Binder seine Diisozyanate freigesetzt und die Irritationen verstärkt haben. Letztere Gefahrstoffe wurden im Innenraum nicht gesammelt und nicht analysiert. Der MMA-haltige Betonreparaturmörtel wurde zuerst zum Mauerschluss und Neuaufbau der Balkontürschwellen verwendet. Er konnte so als Quelle für die ersten MMA-Freisetzungen angesehen werden. Als weitere MMA-Gefahrstoffquellen mussten Primer H, Schnellmembran und die oberen Deckschichten angesehen werden (Kasten 1). _________________________________________________________________________________

Kasten 1

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Schichten und Stoffe des modifizierten Methylmetacrylat-Balkonsystems

(nach Angaben der Baufirma und der EG-Sicherheitsdatenblätter)

Primer H (MMA 30-50 Gew.%, 2-Hydroxyethylmethacrylat 30-50 Gew.%, 2-Ethylendimethacrylat 1-10 Gew.%, Katalyt) Schnellmembran, ein dickflüssiger Dichtstoff Thix (MMA 30 Gew.%, Dekanedionsäure <0,1 Gew.%, Dekanedionsäureester <0,1 Gew.%, Katalyt) Schaumglasgranulat-1-Komponenten-PU-Binder ( im kommerziellen Balkonsystem nicht enthalten ) (Schaumglasperlen, Diisozyanate und Methyldiphenyldiisocyanate) Beton-Reparaturmörtel (schnellhärtendes Gemisch aus Quarzsanden, MMA 30-50 Gew.% und Katalyt) Topcoat (MMA 30-50 Gew.%, 2-Ethylhexylmethacrylat 20-30 Gew.%, Katalyt) Sealcoat (MMA 50-70 Gew.%, Katalyt) __________________________________________________________________________ 2.1.1 Der Gefahrstoff Methylmethacrylat (MMA ) und seine Stoffeigenschaften Da die Leitkomponente MMA im Mauerschluss und beim Türschwellenaufbau sowie in allen Baustoffen des Balkonsystems einen hohen Anteil hatte – ausgenommen die Schicht des Schaumglasgranulat-1-Komponenten-PU-Binders mit Diisozyanaten und Methyldiphenyldiisocyanaten - wurden für die Beurteilung des Verhaltens des Kontaminanten MMA die physiko-chemischen Stoffeigenschaften zusammengetragen (Tabelle 1). __________________________________________________________________________ Physiko-chemische Eigenschaften des MMA-Monomers Aggregatzustand: Dickflüssig bei 20°C Flüssigkeitsfarbe: Farblos Geruch: Charakteristisch esterartig, ätzend fruchtig Siedepunkt: 101 Grad C Schmelzpunkt: - 48 Grad C Dampfdruck: 36-47 hPa (64) bzw. 53 hPa bei 20°C, s ehr flüchtig, MMA-Dampf Dampfdichte: 3,45 (ca. 3,5 x schwerer als Luft), breitet sich am Boden aus Dampffarbe: Farblos (nicht sichtbar !) Stabilität: Bei Raumtemperaturen chemisch stabil Bei Erwärmung oder mit Katalysatoren, Licht oder Oxidationsmittel

polymerisiert flüssiges MMA Löslichkeit: Mäßig löslich in niederen Alkoholen, gering löslich in Wasser Mischbarkeit: Mit den meisten Lösungsmitteln (64) Bindungsfähigkeit: Gering (Howard, 1989) (12) Reaktivität:

• Im Dampfzustand polymerisiert MMA nicht • Hochreaktiv bezüglich Hydroxylradikalen (Bunce, 1992) (13) • In der Luft reagiert es mit photochemischen Hydroxylradikalen und mit Ozon,

zersetzt sich im Laufe einiger Tage in Brenztraubensäure, Methylpyruvat, Epoxide und Formaldehyd, T/2 : 1,1 bis 9,7 h (Howard et al., 1991) (15)

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• MMA-Dämpfe (1,7-12,5 Vol %) können mit Luft ein explosibles Gemisch bilden , bes. bei Anwesenheit von Aldehyden

• Polymerisiert leicht unter Einwirkung von Licht und Wärme (Hawley, 1981) (14)

• Exotherme Reaktion mit Polymerisationsinitiatoren (Dibenzoylperoxid), Ammoniak oder Aminen

Stabilisatoren: Hydrochinon, Hydrochinonmethylether, Dimethyl-tert-butylphenol Kältehärtung: Nur mit Aktivatoren wie Dimethyl-p-toluidin, Dihydroxyethyl-p-toluidin (18) Photolyse: Zu den Raten der Photolyse liegen keine Daten vor Entzündbarkeit: In Kontakt zu starken Oxidationsmitteln (24) Verwendung: Klebstoff, Lösungsmittel (als Monomer)

Ausgangsprodukt zur Herstellung von MMA-basierten Produkten wie Medizin- Zahnmedizinstoffe, Möbel, Teile für Fahrzeugbau und Flugzeuge, Baumaterialien; alle als PolyMMA

Unverträglichkeiten: Bei Kontakt mit Gummi und verschiedenen Kunststoffen (PU ?) Vorsichtsmaßnahmen: Bereits bei 20°C Raumtemperatur verdampft flüssiges MMA, auch aus

Baustoffen, bis die vollständige Polymerisation („Aushärtung“) beendet ist. Der MMA-Dampf verbreitet sich schnell und kontaminiert die Luft.

Arbeitsschutz: Unbedingt vermeiden, dass sich Dämpfe bilden, offene Flammen und Funkenbildung vermeiden, nicht rauchen, Dämpfe nach unten ableiten, auffangen und gesichert entsorgen

Geruchschwellen: 0,049 ppm für die Warnehmung, 0,34 ppm für die Erkennung Erstes Zielorgan: Olfaktorisches Epithel der Nase, mit höherer Exposition folgen Degeneration

und Nekrose der Nasenschleimhaut (34) Persönlicher Schutz: Gesichtsschutzmaske mit Gasfilter, Hautschutzmittel _________________________________________________________________________ Tabelle 1: Physiko-chemische Eigenschaften von Methylmethacrylat monomer (MMA) nach Römpp (8), EG-Sicherheitsdatenblatt (9), Gefahrstoffliste (10), GESTIS (11), TSD (64) Nach den Handlungsanleitungen zur Beschichtung mit MMA-Harzen des LASI-ALMA nach TRGS 420 und des Arbeitskreises 5.3 „PMMA-Harze im Bauwesen“ des Verbandes der Bauchemie 2012 (27) wird gefordert, unbedingt dampfdichte Sperrfolien zur Sicherung angrenzender Arbeits- und Lebensbereiche auszubringen, den Dampf nach unten abzuführen, in gasdichten Behältern aufzufangen und gesichert der Entsorgung zuzuführen. Das kann nach unseren Analysen nicht richtig, nicht vollständig oder nicht erfolgt sein. 2.1.2 Eindringpfade (Rekonstruktionsergebnis) Die starke Flüchtigkeit des MMA infolge hohen Dampfdruckes führte beim Ausbringen der MMA-basierten Baustoffe innenraumseitig schnell zur Freisetzung und „Wanderung“ von MMA-Dampf. Der kontinuierlich entstehende MMA-Dampf kontaminierte die Luft, drang in benachbarte Hohlräume ein, sackte infolge seiner hohen Dichte (3,5-fach gegenüber Luft) ab in die Geschossdecken, passierte Durchlässe und später auch die dampfsperrenlosen Medien. An Baumaterial kaum haftend und reaktionsarm gelangte der Dampf mit Verzögerung bis ins Erdgeschoss. Für die Rekonstruktion des Bauablaufes und die Bestimmung der Eindringpfade für Wohnungen und Kita konnten wir auf Fotos der Baufirma zurückgreifen. Auf einem Foto war das Ergebnis von Mauerschluss und Balkontürschwellenaufbau (Wiederaufbau) zu sehen, auf anderen die neue Balkonbeschichtung bis zur Betonmörtelschicht erkennbar. Weitere Fotos bildeten einen nach dem Störfall rückgebauten Balkon ab wie er gleichfalls nach der ersten Revision ausgesehen hätte. Dieses Foto ließ die breiten Maueröffnungen, die Köpfe der Trägerbalken und die Hohlräume der Geschossdecken erkennen. Den Wiederaufbau der Hausaußenwand rekonstruierend ergab sich somit: Der MMA-basierte Betonmörtel von Mauerschluss und Balkontürschwellenbildung wurde zur Quelle für die MMA-Dampffreisetzung nach innen (und außen).

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Nach den benannten Handlungsempfehlungen für MMA-Harz-Anwendungen hätten die Balkonzimmertür und das Fenster, vor allem die offenen Geschossdeckenhohlräume mit einer dampfdichten Folie abgedichtet werden müssen. Dazu bekamen wir keine Antworten von der Baufirma. Reste einer solchen dampfdichten Folie fanden wir bei der Begehung am 22.12.13 nicht. So hatte der MMA-Dampf des Betonreparaturmörtels von Mauerschluss und Balkontürschwellenaufbau ungehindert in die Balkonzimmer und die Geschossdecken der Wohnungen eindringen können (primärer Pfad der Kontamination). Für welche Zeitspanne der MMA-Dampf ungehindert aus dem Betonmörtel in die Zimmer und die Fußbodenhohlräume gelangen konnte, war von der Dynamik und dem Vollständigkeitsgrad der Kunstharzaushärtung abhängig. Je weniger akkurat der MMA-Betonmörtel angesetzt war, desto länger und mehr MMA konnte sich verflüchtigten. Als sekundären Pfad der Innenraumbelastungen des 2. und 1. OG könnte der nach außen freigesetzte MMA-Dampf des Balkontürschwellenaufbaus und der Mauerschlüsse des 3. und 2. OG angesehen werden. In Abhängigkeit von den wirklichen Arbeitsschritten konnte der absackende MMA-Dampf durch den Balkontür-Schwellenspalt des jeweils darunter liegenden Balkons und je nach Zustand des Mauerschlusses sogar in die offenen Geschossdecken gelangen. Die jeweiligen „Reste“ des über die Balkonflächen absackenden MMA-Dampfes stürzten schließlich durch die geöffneten Fenster bis in die Kita. Als dann die Balkone mit den MMA-basierten Baustoffen beschichtet wurden – nach den Fotos dürften die Maueröffnungen bereits geschlossen und die Türschwellen ausgebildet gewesen sein – „rutschte“ der freigesetzte MMA-Dampf der jeweiligen Balkonbeschichtungen absackend in Öffnungen der Kita. Das am 6.11.2013 früh gerüstseitig angekippte Fenster ließ davon eine größere „Portion“ des MMA-Dampfes in den Innenraum (primärer Pfad der Kontamination der Kita). Da MMA in Dampfform unter normalen Innenraumbedingungen nicht polymerisiert, sich nahezu reaktionslos verhält, nicht haftet, aber wegen seiner hohen Dichte nach unten strebt, hielt sich ein unbewegter MMA-Dampf lange am tiefsten Ort der am meisten dampfdichten Sperrschicht. Dann drang er innerhalb der „Berliner Geschossdecken“ mehr oder weniger verzögert weiter nach unten vor. Für das Absacktempo waren Öffnungen und Durchbrüche, Art und Dichte des Füllmaterials sowie erzeugte Schwingungen der Dielenfußböden maßgebend. So „wanderte“ der MMA-Dampf auch innerhalb des Gebäudes von den Mauerreparaturstellen und nicht dampfdichten Flächen über die Fußbodenhohlräume in die jeweils darunter liegenden Geschosse und schließlich bis in die Kita. Der MMA-Dampf aller Geschossdecken sackte sukzessive innerhalb eines ¾ Jahres bis in die Kita (Tabelle 5). Wären die Empfehlungen der Branche beachtet worden, hätte der Störfall vermieden werden können. Die Berücksichtigung der im November 2012 vom Arbeitskreis 5.3 „PMMA-Harze im Bauwesen“ des Verbandes der Deutschen Bauchemie publizierten Empfehlungen und die Handlungsempfehlungen zur Beschichtung mit MMA-Harzen des Länderausschusses Arbeitssicherheit und der Ländermessstellen (LASI-ALMA-Empfehlungen nach TRGS 420) (27) hätten eine sichere Anwendung ermöglicht. Das von der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemie (BG RCI) leider erst am 13. Dezember 2013 ins Internet gestellte Informationsblatt zum MMA für Unternehmer, FASi, Arbeitsmediziner und Betriebsräte (24) wäre eine sehr gute sicherheitstechnische Hilfe für die Baufirma gewesen. Sie hätte ein Jahr vorher dem versicherten MMA-Harzanwender zur Verfügung stehen sollen. Bereits bei Beachtung eines dieser beiden Sicherheitspapiere wäre die geforderte dampfdichte Sperrung an den Bauflächen zum Innenraum erfolgt und das Auffangen der schweren MMA-Dämpfe von den Balkonflächen versucht worden. Da das nicht geschah, konnten Ausgasungen des MMA-Betonmörtels in die Balkonzimmer und deren Geschossdecken eindringen. Da ein systemfremdes Schichtmaterial auf den Balkonen verwendet wurde, konnten die MMA-Balkonbeschichtungen nicht aushärten, wurde

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der MMA-Dampf von drei jeweils ca. 5 m² großen Balkonflächen freigesetzt und konnte nach unten bis hin zur Kita absacken, kam es zu einem Störfall. Nach dem rekonstruierbaren Teil des Bauablaufes müsste MMA-Dampf an mehreren Tagen freigesetzt worden sein. In Abhängigkeit von den aktuellen Wetterbedingungen konnten MMA-Dämpfe mehr oder weniger abdriften und zusätzlich Kita-Spielplätze kontaminieren. 2.2 Innenraumbelastungen, vorläufige Richtwerte der HH-Gesundheitsbehörde Am 8. Tag nach dem Beginn der gesundheitlichen Beschwerden war die Innenraumluft des Balkonzimmers der Wohnung im 3. OG und des Schlaf-/Essraumes der Kita unzulässig hoch durch MMA belastet, vergleicht man die Messergebnisse mit dem vorläufigen Richtwert II für MMA (1000µg/m³) der Obersten Hamburger (HH) Gesundheitsbehörde aus 2005 (6). Der Richtwert II wurde um mehr als Faktor 10 überschritten. Offizielle Richtwerte der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der obersten Landesgesundheitsbehörden für Innenraumluftbelastungen standen für Methylmethacrylat (MMA monomer) nicht zur Verfügung, sie wurden bislang nicht publiziert. Zum Zeitpunkt der nicht hinnehmbaren Irritationen der Bewohner und Kita-Nutzer musste die MMA-Konzentration noch höher gewesen sein als am 8. Tag post accident (p. a.), da am Tag der Luftprobensammlung die Beschwerden bereits abgeklungen und keine neuen Reizwirkungen hinzugekommen waren. Die Innenraum-Belastung durch Methylmethacrylat von 13.000 µg/m³ (13 mg/m³) zeigte in Relation zu den Hamburger Richtwerten nicht nur eine 13-fache Überschreitung des Richtwertes II von 1.000 µg/m³ (Richtwert I 100 µg/m³) an. Sie musste auch eher als Rückläufigkeitswert interpretiert werden. Denn Lüftungsmaßnahmen wurden bereits seit Tagen vorgenommen. Nur an den beiden Messpunkten wurde das Lüften für 2 Tage unterbrochen, um konservative Messbedingungen zu erhalten. Welche MMA-Konzentrationen unmittelbar auf den Höhepunkt des Störfalles in den Räumen bestanden hatten, ließ sich zunächst nicht abschätzen. Es entstand jedenfalls Dekontaminationsbedarf. __________________________________________________________________________ Wirkungsqualitäten von MMA nach dem EG Sicherheitsd atenblatt Gefahrensymbole, Gefahrenhinweise, Gefahrenbezeichn ungen (9)

R 43 kann die Haut sensibilisieren, Erythem, Ekzem R 36/37/38 reizt Augen, Atemorgane, Haut H 315 verursacht Hautreizungen (flüssiges MMA) H 317 Kann allergische Reaktionen verursachen H 335 kann Atemwege reizen (MMA-Dampf)

Wichtigste akut und verzögert auftretende Symptome: Reizungen u. allergische Reaktionen an Augen, Atemwegen und Haut, Husten, Atemnot, Benommenheit, Muskelschwäche, Bewusstseinsstörungen, Bewusstlosigkeit, Keimzellmutagenität (9) Methylmethacrylat (Methacrylatmethylester) X i, s H 315, H 317, H 335 2-Hydroxyethylmethacrylat X i, s H 315, H 317, H 335 2-Ethylendimethacrylat X i, s H 315, H 317, H 335 2-Ethylhexylmethacrylat X i, s H 315, H 317, H 335 Diisozyanat, Methyldiphenyldiisocyanat X i, s H 315, H 317, H 335 Dekanedionsäure, Dekanedionsäureester X i, s H 315, H 317, H 335 Legende: Xi reizend, s sensibilisierend (9, 20), R Risiko, besondere Gefahren, H hazard (Gefahr),

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2 ppm (parts per million) MMA entsprechen etwa 8,32 mg MMA / m³ Luft _____________________________________________________________________ Tabelle 2 a: Wirkungsqualitäten des flüssigen oder dampfförmigen Methylmethacrylat (MMA) und der anderen Gefahrstoffe der Balkonbeschichtungen auf den Menschen Nachweise: Römpp: Chemielexikon Band M–Pk (8); EG-Sicherheitsdatenblatt (9), GisCHem (16), BIA-Report Gefahrstoffe 2004 (17), Marquardt/Schäfer: Toxikologie (19); Informationsschrift der BG RCI (24) _____________________________________________________________________ 2.3 Sofortmaßnahmen a) Die betroffenen Bewohner und deren Kinder hatten, veranlasst durch die Geruchsbelästigungen und Reizwirkungen, die Wohnungen verlassen. Sie waren bei Freunden, Bekannten oder im Hotel untergekommen. Im 2. OG fanden wir Balkontür und Fenster mit Brettern verschraubt gesichert. Es war nicht bekannt, seit wann dieser Zustand bestand. Die Mieter konnten nicht befragt werden. Dieses Zimmer konnte nicht quergelüftet werden. Die Mieter des 1. und 3. OG begannen nach Beendigung des Rückbaus mit dem Quer- oder Stoßlüften. Sie suchten die Wohnungen dazu kurzweilig auf. Auch die Erzieherinnen mit den Kita-Kindern hatten mit der Zunahme der Beschwerden den aktuellen Gefahrenbereich verlassen. Diese Maßnahmen erwiesen sich als völlig richtig. Niemand konnte an den Ereignis- und Folgetagen die Gefährdungssituation sachlich richtig beurteilen, selbst der verursachende Baubetrieb nicht. Das entschlossene Handeln der Betroffenen ersparte ihnen mögliche Gesundheitsschäden. Hausverwaltung bzw. Kita-Träger unterstützten diese Aktivitäten. b) Der gerufene Experte empfahl die benannten Innenraummessungen für zwei Leitkomponenten, MMA und 2-Ethylhexylmethacrylat. Am 8. bzw. 6. Tag p. a. wurden die Luftproben gezogen. Nachdem die Messergebnisse vorlagen, empfahl er, die Dielenböden der Balkonzimmer zu öffnen, um Ozon in die Geschossdecken einzuleiten und die Zersetzungsprodukte des MMA nach außen abzuführen. c) Die Baufirma hatte zeitnah den vollständigen Rückbau der „sanierten“ 3 Balkone vorgenommen. Es wurden alle eingesetzten Baustoffe des Mauerverschlusses, der Türschwellenausbildung und der Balkonbeschichtungen entfernt. Damit waren die Ausgangsquellen vor Ort beseitigt, das in die Innenräume eingedrungene MMA jedoch nicht. d) Die Baufirma begann nach der externen Fachberatung beim Fraunhofer Institut selbst mit den empfohlenen Dekontaminationsmaßnahmen: Quer- und Stoßlüftungen der Wohnungen im Wechsel mit der Einleitung von Ozon in die Fußböden der Balkonzimmer und Ableitung der Reaktionsprodukte mit der Luft nach außen. Die Verantwortlichen der Kita wurden um regelmäßige Quer- und Stoßlüftungen gebeten. e) Die Baufirma beauftragte auf Empfehlung des Messlabors einen Umweltmediziner mit der Bewertung der gesundheitlichen Folgen und Risiken der Betroffenen und der Vorgabe eines Dekontaminationszielwertes für die Innenräume. f) Als das ZAUM Berlin den Auftrag am 20. Dezember 2013 entgegennahm, beklagte kein Betroffener mehr Reizwirkungen an den Augen, den oberen Atemwegen und der Haut, keine Übelkeit oder Kopfschmerzen. Im Nachgang wurden von Erzieherinnen Ängste geäußert, waren Eltern skeptisch zum weiteren Verlauf der Dekontamination der Kita. g) Die Dekontaminationskontrollmessungen vom 18.12.2013 hatte 5 Wochen nach der ersten Messung (MMA: 13.000 µg/m³) einen deutlichen Rückgang der

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Raumluftkonzentrationen aus, in den Wohnungen auf Faktor 0,25 bis 0,5 und in der Kita auf Faktor 0,01 nachgewiesen (Kasten 2). _________________________________________________________________

Kasten 2

_________________________________________________________________ MMA-Dampf-Messwerte vom 18. Dezember 2013 (7) _________________________________________________________________ Ort der Luftprobennahme MMA (µg/m³) Höhe Probensammler über FOK_ Tür Ess-/Schlafraum, Kita: 140 ca. 50 cm Balkonzimmer 1. OG 3300 ca. 70 cm

2. OG 7200 ca. 50 cm 3. OG 6700 ca.115 cm über Fußbodenoberkante (FOK)

________________________________________________________________________ h) Unsere Maßnahmen ab dem 20. Dezember 2013 bestanden zunächst im Klarmachen der Aufgaben anhand der Prüfberichte und in der Lagebeurteilung vor Ort. Vorrang hatte die Beurteilung eventuell verbliebener Gefährdungen der Betroffenen im Kontext von Belastungszeiten und MMA-Konzentrationen sowie die Beurteilung potenzieller Gesundheitsrisiken. Bei unserer ersten Begehung vom 22. Dezember 2013 war der als typisch beschriebene Estergeruch für uns nicht mehr wahrzunehmen. Die zwei anwesenden Bewohner beklagten keine gesundheitlichen Beschwerden. Expositionszeiten je Bewohner in den Balkonzimmern während des Störfalles ließen sich nicht sicher genug abschätzen. Anwesenheitszeiten in den Wohnungen während des Störfalles konnten 6 Wochen nach dem Ereignis nicht verlässlich angegeben werden. Es wurden von den anwesenden Betroffenen zumindest keine gesundheitlichen Beschwerden mehr geäußert. Ob gesundheitliche Folgen bei den betroffenen Erwachsenen und Kindern eingetreten sein konnten, blieb offen. Um den Zielwert für die Dekontamination benennen zu können, bedurfte es Recherchen. Hierfür waren der vorläufige Richtwert I für MMA der Hamburger Gesundheitsbehörde von 100 µg/m³ und der Neubaurichtwert der Bundesbaubehörde von 5 µg/m³ aus 2013 hilfreich. i) Die Lagebeurteilung ergab: Die Betroffenen hatten keinen Hautkontakt zu flüssigem MMA gehabt. Sie waren dem in die Balkonzimmer eindringenden, stechend riechenden, unsichtbaren MMA-Dampf jeweils kurzzeitig ausgesetzt und ihm sodann ausgewichen. Wie wir schließlich verstanden, sammelte sich der MMA-Dampf der Raumluft fußbodennah, zog in die Ecken und Nachbarräume und sackte durch Öffnungen in die Geschossdeckenhohlräume und weiter nach unten. Dem MMA-Dampf war unsererseits olfaktorisch nicht zu folgen. Für die Veranlassung von Messungen hatten wir keine Hoheit. j) Zum Entstehen der MMA-Freisetzungen und zu den Eindringwegen stießen wir auf sehr enge Auskunftsgrenzen. Die Baufirma konnte zum Hergang und Verlauf des Störfalles wenig beisteuern. Sie ermöglichte uns Mitte Januar eine Beratung mit dem Hersteller des Balkonsystems, der den Störfall auf die zusätzliche Verwendung eines systemfremden Balkonbelages (Schaumglasperlen-1K-PU-Binder einer Fremdfirma) fokussierte. Da zu diesem Zeitpunkt bereits alle ausgebrachten MMA-haltigen Baustoffe von den Balkonen restlos entfernt waren, versuchten wir, uns anhand nachgereichter Fotos, die verschiedene Bearbeitungszustände der Balkone zeigten, einen Störfallhergang abzuleiten. Die Baufirma inspizierte selbst mehrfach die Scheuerleistenregion der Balkonzimmeraußenwand. j) Die Bewohner standen uns vereinzelt ab Mitte Januar schlüsselführend bei den Begehungen vor Ort kurzzeitig zur Verfügung, deren Kinder nicht. Die Bewohner bestätigten die initialen Reizwirkungen von Nase und Rachen sowie Kopfschmerzen und deren

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schnelles Abklingen nach Verlassen der Wohnungen. Sie unterstützten die Dekontaminationsmaßnahmen, die die Baufirma selbst vornahm, räumten Möbel und Textilien aus und lüfteten die Wohnungen (1. und 3. OG). k) Über die betroffenen Kinder der Kita und die betroffenen Erzieherinnen erfuhren wir summarisch von einer Verantwortlichen der Kita. Bei der Informationsveranstaltung des Kita-Betreibers für die Eltern im März 2014 erhielten wir von den Anwesenden zusätzliche Informationen über die Beschwerden der Kinder und der Erzieherinnen und den Ablauf der Belastungen für die Kita. l) Um eine Größenordnung der MMA-Kontaminationen zu erhalten, hatten wir mit der Baufirma und dem Hersteller des Balkonsystems die Gesamtmenge des MMA-Einsatzes je Balkon geschätzt: 11 - 22 kg, je nach Fertigstellungsgrad. Alle benutzten Teile des Balkonbeschichtungssystem wie Primer, „Membran“, Betonreparaturmörtel, Topcoat und Sealcoat enthielten Methylmethacrylat in hohen Gewichtsprozenten (30–50-70%). Wenn bereits Bruchteile davon als Dampf in die Lebensbereiche der Bewohner eingedrungen waren, würde ein nicht hinnehmbarer Kontaminationsgrad entstanden sein können. m) Zur Schnellinformation über die physikalisch-chemischen Eigenschaften des MMA und die Sicherheitsanforderungen bei der Anwendung von MMA-Harzen waren für uns das MMA-EG-Sicherheitsdatenblatt aus 11/2013 (9) und die Informationsschrift der BG RCI aus 12/2013 (24) hilfreich (Tabelle 1). n) In der zunächst gesichteten arbeitssicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Literatur (8, 9, 11, 16, 19, 24) fanden wir die Angaben zu den Wirkungsqualitäten für MMA und dessen Toxikologie. Die Wirkungsqualitäten stimmten mit den beklagten Irritationen der Kinder und der Erwachsenen überein (Tabelle 2 a). 3 Wirkungen des Methylmethacrylat monomers (MMA-Dam pf) auf den Menschen: 3.1 Die Symptomatik der MMA-Dampf-Wirkungen: Irrita tionen 3.1.2 Die subjektiv spürbaren Wirkungen Die ersten spürbaren Wirkungen des Methylmethacrylats sind die Geruchsbelästigungen, der stechende esterartige Geruch und mit zunehmender MMA-Konzentration die Irritationen am olfaktorischen Epithel bis hin zur Nekrose und Desquamation des Epithels (34). Bei den Bewohnern überwogen Geruchsbelästigungen, Irritationen der oberen Atemwege, Kopfschmerzen, Augenreizungen, auch bei deren Kindern. Bei den Kindern der Kita standen Übelkeit, Erbrechen, Augenreizungen und Kopfschmerzen und bei den Erzieherinnen Kopfschmerzen, Reizungen der oberen Atemwege, flüchtige Augenreizungen und Übelkeit im Vordergrund. 3.1.2 Die subjektiv nicht spürbaren Wirkungen Die nicht spürbaren Wirkungen wie die Aufnahme von MMA-Dampf ins Blut, die Verteilung im Organismus bis zu den einzelnen Organen und Geweben, die zellulären und subzellulären Effekte, die Struktur-Aktivitätsbeziehungen, der durch Carboxylesterase enzymatisch getriggerte Metabolismus des MMA zu Methacrylsäure und Methanol, die Toxizitätsmechanismen, die Beziehung von Konzentrationen und Expositionsdauer für die Wirkungsstärken, die Exkretion, die Schwellenwerte für Irritationen und die NOAEC werden unter 3.6 anhand der Mega-Studie zu akuten MMA-Expositionen (34) skizziert. 3.2 Olfaktorische Irritationen

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Die Warnwirkung des stechenden esterartigen Geruchs von MMA-Dampf (und eventuell auch der ätzende Geruch der Diisozyanate) hatten den Betroffenen die Gefahr signalisiert. Sie verließen die belastenden Bereiche und mieden sie weiterhin, weitgehend. Die Kinder der Bewohner hielten sich nicht in den Balkonzimmern auf, nahmen jedoch die starke Geruchsbelästigung an den Ereignistagen in der gesamten Wohnung wahr. Die individuellen Geruchsschwellen für MMA-Dämpfe sollen unter Normalbedingungen zwischen 1 µg/m³ und 85 µg/m³ liegen (24). Von ECOTOC 1995 und Maclaine Pont 1991 (34) werden noch wesentlich geringere Geruchsschwellen angegeben: 0,35-1,91 µg/m³ (0,083 - 0,46 ppm). Van Dorn nennt 2002 einen Spiegel der MMA-Geruchskenntnis (Level of distinct odor awareness (LOA)) von 0,1 ppm (0,416 mg/m³)(34). 3.3 Irritationen von Nase, Rachen und Augen Mit den unbekannt hohen initialen MMA-Konzentrationen, die in unterschiedlicher Expositionsdauer auf die Betroffenen einwirkten, traten reversible Irritationen der Schleimhäute von Nasen, Rachen und Augen (-bindehäute) auf. Die Expositionszeiten der Betroffenen waren eher kurz (wenige Minuten, dafür wiederholt). Die Balkonzimmer wurden mehrmals aufgesucht, um die benötigten Gegenstände zu entnehmen und die textilen Ausstattungen auszulagern. Irritationen der oberen Atemwege (Nase und Rachen) und Brennen der Augen (-bindehäute) wurden auch von den Erzieherinnen und den Kindern der Kita beklagt. 3.4 Irritationen der tieferen Atemwege, des Magenda rmtraktes, der Augen und Haut Vereinzelt folgten Reizungen der tieferen Atemwege („bronchitische Reaktionen“) und bei den Kita-Kindern Übelkeit und Erbrechen. Diese Irritationslokalisationen lassen auf die Einwirkung höherer MMA-Konzentrationen (unmittelbar mit dem Störfallbeginn) schließen. Die spezifischen Irritationen an den Schleimhäuten der tieferen Atemwege (TRT) und des Magen-Darm-Traktes (GIT) werden konzentrationsabhängig ausgelöst. Bei den Bewohnern waren die Angaben zu Atembeschwerden und Leibschmerzen während der Befragung im Januar 2014 nur wenig belastbar. Sicher erschien, dass Anfang November des Vorjahres ein stechender Geruch, Reizungen in Nase und Rachen, Übelkeit und Kopfschmerzen zu beklagen waren. Über Hautreizungen im Gesicht wurde nur in Verbindung mit den Augenreizungen berichtet. Bei den 6 erbrechenden Kita-Kindern könnten auch deren Suszeptibilität bedeutsam gewesen sein. Es befanden sich zur gleichen Zeit weitere 17 Kinder in der Kita, die nicht erbrachen. __________________________________________________________________________ Pathophysiologie und Pathologie von MMA-Dampf __________________________________________________________________________ Muttray fand 1997 mit dem Rhinotest keine höhere Prävalenz von Riechstörungen bei MMA-Exponierten (mittlere Expositionsdauer 9,6 Jahre, TWA-MMA-Konz. bis 50 ppm (3,6 J.) und in der Vergangenheit bis zu 100 ppm (6 J.) (58). MMA-Dampf haftet konzentrationsabhängig auf der Haut und Schleimhaut des oberen Respirationstrakt (RT) mit geringer Effizienz (16…20 %,). MMA-Dampf kann die Haut penetrieren (Verkkalla 1983, 34) und via RT, GIT und Haut (0,56% (51) ins Blut gelangen (34). Raje konnte 1985 nach einer 4 Stunden-MMA-Inhalation von 95 ppm einen Gehalt von 11,14 mg MMA /100 ml Blut messen (52), die Gewebekonzentrationen betrugen 20,6 µg/g Lunge und 25,24 µg/g Hirn. Rijke beschreibt eine biologische Halbwertszeit (T/2 bio Mensch) im Blut, das 0,185 ml MMA/ml Blut enthielt, von 3 Stunden bei 20°C (53). Corkill bestimmte 1976 T/2 Blut mit 24-40 Minuten (54).

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Gezondheitsraad 1994: 45 Arbeiter, die 5 Jahre lang gegenüber MMA mit Konzentration von 77-90 mg/m³ exponiert waren, zeigten zu 20% chronischen Husten, die Kontrollgruppe zu <1% (59). Roehm beobachtete 1994 bei Konzentrationen >100 ppm (ca. 416 mg/m³) innerhalb von 5 - 15 Minuten flüchtige Reizungen der Augen und des oberen Respirationstraktes, die nach Beendigung der Exposition schnell reversibel waren (57). Bei einer beruflichen Exposition von 10 - 40 ppm sah er verminderten Tränenfluss, behinderte Nasenatmung, trockene Nase und vermindertes Riechempfinden (57). Obgleich 12,8% der Arbeiter Atopiker waren, wurden keine Fälle von Sensibilisierungen des RT oder der Haut festgestellt (57). Fujisawa fand 2000 eine geringe Zytotoxizität in menschlichen Gingivafibroblasten (Kriterium Zellüberleben) (49). ECOTOC sah 1995 keinen Beleg für ein genotoxisches Potential in 2 Studien, in denen Chromosomenaberrationen und Schwesterchromatidaustausch bei exponierten Arbeitern getestet wurden (48). Lomax folgert 1997: Obwohl in Tierversuchen verschiedene Tests beim NTP 1986 auffällig waren, gibt es keinen Hinweis für eine erhöhte Kanzerogenität aus den Daten (62). _________________________________________________________________________________ Tabelle 2 b: Pathophysiologie und Pathologie von MMA-Dampf

Nachweise: Marquardt/Schäfer: Toxikologie (19); EU Risk Assessment Report (33) US EPA Office of Pollution Prevention and Toxics 2008 (34), Technical Support Dokument (64) __________________________________________________________________________ Das zumeist schnelle Abklingen der Beschwerden innerhalb weniger Stunden bis zu maximal 2 Tagen kann durch die stark begrenzten Expositionszeiten und den fraktionierten Ablauf der Belastungen erklärt werden. Bereits mit den ersten heftigen Reizungen am Beginn des Störfalles wurden die gefährdenden Bereiche verlassen. Sie wurden innerhalb der messtechnisch nicht erfassten ersten Tage ausschließlich von Erwachsenen und nur kurzzeitig zum Lüften und zur Entnahme von Gegenständen betreten. Es wurden keine neuen Beschwerden in diesem Zeitraum beklagt. Inwiefern Diisozyanate und Methyldiphenyldiisocyanate des PU-Binders (21) der Schaumglasperlen-Schicht an der Verursachung der Reizwirkungen in der Kita beteiligt waren, kann wegen fehlender Messdaten nicht beurteilt werden. Die irritativen Wirkungen und der stechende Geruch des PU-Binders waren für uns jedenfalls noch Mitte Januar 2014 bei einer Demonstration von Schaumglas-1K-PU-Binder-Stücken wahrnehmbar. Außerdem waren diese Stücke nicht ausgehärtet. 3.5 Sensibilisierungen und allergische Reaktionen Die Risiken für Sensibilisierungen durch MMA-Dampf werden in den Studien widersprüchlich beurteilt. Einerseits werden allergische Kontaktdermatitiden bei einigen Personen (33) und Sensibilisierungen bei allergischer Disposition beschrieben (46) (60) (61), andererseits wurden Sensibilisierungen des Respirationstraktes und der Haut selbst bei disponierten Personen nicht gefunden (57). So fand Roehm1994, obgleich 12,8% der Arbeiter Atopiker waren, keine Sensibilisierungen des Respirationtraktes (RT) oder der Haut (57). Bäuerle hingegen hatte 1982 bei 4 von 71 getesteten Patienten (6 %), die eine allergische Disposition in der Anamnese hatten, eine Sensibilisierung auf MMA beim Zahnmaterial mit 10% MMA in Olivenöl im 24-Stunden-Patchtest gesehen (60). ECB berichtet 2002 über positive Patchtestergebnisse mit MMA bei Patienten der Prothetischen Chirurgie und Zahnbehandlung, bei Fingernagelpräparationen und Hörgeräteträgern (61).

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Andrews et. al. (1979) beschreiben (fragliche) allergische Reaktionen der Atemwege bei einer Gruppe von 77 Zahnmedizinstudenten im Ergebnis einer Exposition gegenüber MMA-Dampf (46). Bei 502 Studenten wurde eine Fragebogenaktion zur Gesundheitsvorgeschichte und den Symptomen, die mit den gewöhnlichen Arbeitsaktivitäten verbunden waren, durchgeführt. Von jenen Studenten gaben 6% Atemwegsreizungen bei MMA-Exposition und 5% bei der Arbeit mit Hochgeschwindigkeitsbohrern an. Weniger als 1% gaben Symptome bei Arbeiten mit anderen Materialien an. 88 % der Studenten, die über eine MMA-Empfindlichkeit (sensitivity) berichteten, hatte in der Anamnese entweder Asthma oder eine allergische Rhinitis angegeben. Die spirometrischen Untersuchungen – vor und nach einer kontrollierten Exposition gegenüber MMA vorgenommen - zeigten jedoch „nur“ individuelle Ergebnisse von Normalpersonen, Asthmatikern, Personen mit allergischer Rhinitis, Rauchern und jenen Studenten, welche über Symptome bei gewöhnlicher Arbeit berichtet hatten. Die MMA-Konzentrationen wurden nicht angegeben. Bei den 77 untersuchten Studenten gab es keine signifikanten Veränderungen in den Spirometerwerten und bei den Symptomen. Es wird festgestellt, dass ca. 8% der Zahnmedizinstudenten arbeitsbezogene akute respiratorische Symptome zeigten, wobei MMA-Dampf und Hochgeschwindigkeitsbohren häufiger mit den Symptomen und den Vorerkrankungen wie Asthma oder allergische Rhinitis verbunden waren. Unterschiede in den Bedingungen zwischen dem kontrollierten Testaufbau und der studentischen Arbeit, einschließlich höherer MMA-Dampfkonzentrationen und der Anwesenheit von Bohrstaub an den Arbeitsplätzen, könnte die ausbleibende Atemwegsantwort während der kontrollierten Exposition erklären. Das in den Sicherheitsdatenblättern zu MMA für den Hautkontakt mit dem dickflüssigen MMA angegebene Risiko für allergische Reaktionen der Haut ist wohl nicht 1 zu 1 auf den MMA-Dampf übertragbar. 3.6 Die unsichtbaren Wirkungen des MMA, der Metabol ismus und das Exit Wenngleich „unsere“ Betroffenen aufgrund des beherzten Handelns „mit dem blauen Auge davon gekommen sind“ und mit der Zeit auch die Ängste „verblassten“, soll auf den Stoffwechsel des MMA im menschlichen Körper eingegangen werden. 3.6.1 Lokale Irritationen, toxische Wirkungen Die lokalen irritativen Beschwerden sind jeweils Folge des Stoffwechselproduktes Methacrylsäure (MAA). Die Säure entsteht in den kontaminierten Schleimhäuten unter dem Einfluss der lokalen Carboxylesterase (CCE) durch Hydrolyse (63). Bei höheren MMA-Mengen und relativem CCE-Mangel kann es zur Substrathemmung kommen, dann verläuft die „Giftung“ zur Methacrylsäure verzögert, tritt zusätzlich eine Bindung an Glutathion ein. Der Enzymgehalt an Carboxylesterase (CCE) im olfaktorischen Gewebe differiert zwischen den menschlichen Individuen, was die Unterschiede in der Reizwahrnehmung von MMA erklärt. Große interindividuelle Differenzen der Carboxylesterase-Aktivität in der menschlichen Leber fand Hosokawa et. al. 1995 (zit. bei 34). Die Mikrosomenfraktion der respiratorischen Epithelzellen des Menschen hydrolysiert MMA langsamer als die von Goldhamster und Ratten. Die Tiere werden durch das schneller generierte MAA frühzeitiger gewarnt als der Mensch. Methacrylsäure (MAA) schädigt dosisabhängig das olfaktorische Epithel (Mainwaring 2001, zit. bei 34). Die MAA ist verantwortlich für die toxischen Wirkungen (Morris & Frederick 1995, Bogdauffy & Frame 1994, NTP 1986, MacLaine 1991, alle zit. bei 34). Über Degenerationen und Nekrosen der Nasenschleimhaut wird bereits bei niedrigen Konzentrationen berichtet (64). Die Latenzzeit für die Entwicklung von Nasenschäden (Ratte) nach inhalativer Exposition von 200 ppm soll 6 Stunden betragen (Mainwaring 2001, zit. bei 34). Schäden des Riechorgans können auch durch andere Esterdämpfe hervorgerufen werden. Lungenschädigungen Durch die Stimulation der Rezeptoren und freien Nervenendigungen im Respirationstrakt wirkt MAA als sensorisches Irritanz. Bei höheren Expositionen, Konzentrationen >1000 ppm,

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erreicht das MMA über die Atemwege auch die Lunge. MAA kann dann Atemstörungen (Dyspnoe), Lungenödem und Kollaps hervorrufen (DuPont 1993 u.v.a. zit. bei 34). Vegetative ZNS-Effekte Beim Menschen wurden vegetative Störungen durch MMA-Einwirkungen auf Kerne des vegetativen Nervensystems (im Hypothalamus und Hypocampus) beobachtet (Dobrinskij 1970, Scollnick & Colins 1986, zit. bei 34). Als Folgen von Konzentrationen >1000 ppm werden Inappetenz, einerseits gesenkte Reflexaktivität und herabgesetzte motorische Aktivität, andererseits beschleunigte Atmung, beschleunigte kardiovaskuläre Funktionen und beschleunigte GIT-Aktivitäten beschrieben (Borchard 1981, zit. bei 34), Tansy 1977, DuPont 1993 a, b). Zytotoxizität (Zellschädigung) MMA/MAA üben die toxischen Wirkungen auch durch Interaktionen mit den Zellmembranen aus (Bereznowski 1994, zit. bei 34). Mitochondrien sind die Hauptziele. Durch die Schädigung der Mitochondrienmembran werden Struktur und Funktion derselben in der Leber (und anderen Organen) beeinträchtigt: Der Sprengung der Membran und Destruktion der Matrix folgt die ATP-Depletion (Entleerung) infolge Elektronentransport und es wird die oxidative Phosphorylierung gestört (Borchard 1981, zit. bei 34). Die Penetration des lipophilen MMA führt zum Rückgang des Ionenstroms. 3.6.2 Metabolismus Zu einzelnen Stoffwechseleckpunkten darf auf die folgende Tabelle 2 c verwiesen werden. _________________________________________________________________________________ Stoffwechsel von MMA-Dampf und Methacrylsäure (MAA) In den Zellmikrosomen des respiratorischen Epithels oder der Leber wird unter dem Einfluss von Carboxylesterase MMA zu Methacrylsäure (MAA) und Methanol, hydroxyliert / Rijke (1977) (53) Die Methacrylsäure (MAA) ist die Wirksubstanz am olfaktorischen Epithel (Mainwaring 2001 (55), sie erreicht auch die anderen Gewebe und Organe. Sie gibt im Zitronensäurezyklus ihre Elektronen ab und wird zu CO2. Carboxylesterasen befinden sich im Nasenepithel und in der Submucosa (Andersen & Sarangapani 1999/ 2001, zit. bei 34) sowie in verschieden anderen Geweben, inkl. Leber, GIT und Blut (Morgan 1994; Mainwaring 2001, zit. bei 34). Auch der tiefe Respirationstrakt (URT) enthält Esteraseaktivität. Die Konjugation des MMA mit Glutathion ist weniger bedeutsam (Greim 1995, Lomax 1997, zit. bei 34) Exkretion von MAA und anderer Intermediärprodukte: Normaler kataboler Weg mit Exhalation von CO2 zu 85% (Bratt & Hathway 1977, Crout 1982) Zu 7-15% werden MAA, Methylmalonsäure und Succinylsäure über den Urin ausgeschieden (ebenda) _________________________________________________________________________________ Tabelle 2 c: Stoffwechsel von MMA-Dampf und Methacrylsäure (MAA)

Nachweis: US EPA Office Pollution Prevention and Toxics 2008 (34) _________________________________________________________________________________ Die Deposition von MMA im oberen Atemtrakt beträgt konzentrationsabhängig 16 bis 18 %. MMA kann auch die Haut penetrieren (Verkkalla 1983, Seppäläinen 1984), allerdings nur in geringfügigem Maße. Die Aufnahme ins Blut kann via RT, GIT und Haut geschehen (CEFIC 1993). Die Verteilung von 95 ppm MMA, 4 Stunden lang über Nasenatmung aufgenommen, führte zu einem Blutspiegel von 11 mg/dl, einer Lungenkonzentration von 20,6 µg/g Lunge und 25 µg/g Gehirn (Raje 1985, zit. bei 34). Der metabolische Abbau (Hydrolyse) des aufgenommenen MMA zu Methacrylsäure (MAA) und Methanol erfolgt unter dem Einfluss von Carboxylesterase in den verschiedenen

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Geweben (Nasenepithel, Submukosa, Leber, GIT u.a. (Andersen und Sarangapani 1999, Bogdauffy 1987, zit. bei 34). Beim Menschen wurde die höchste CCE-Aktivität im peripheren Cytoplasma der Epithelzellen und Submucosazellen gefunden (Jones 2002, zit. bei 34). Innerhalb von 90 Minuten sind 40% des MMA zu MAA hydrolysiert, innerhalb von 15 Minuten beginnt die Aufnahme in die Leber (Rijke 1977, Crout 1979, Bereznowski 1995, zit. bei 34), in den Atemtrakt und die Speicheldrüsen (Munksgaard und Freund, zit. bei 34). Bei hohen Expositionen schließt der MMA-Metabolismus auch die Konjugation mit Glutathion ein. Die MAA wird nach Bindung an Coenzym A im Zitronenzyklus abgebaut, vorwiegend bis hin zum Kohlendioxid. Die Exkretion des CO2 erfolgt zu 86% durch Exhalation. Die anderen Stoffwechselprodukte (7-15%) wie Methylmalonsäure und Succinylsäure werden über den Urin ausgeschieden (Bratt & Hathway 1977, Crout 1982, zit. bei 34). Die Exkretion über die Lunge läuft innerhalb weniger Stunden (optimal 90 Minuten) ab. Das erklärt die begrenzte Beschwerdedauer und die Reversibilität bestimmter Wirkungen. 3.6.3 Zu empfindlichen Populationen Zu den empfindlichen Personen gehören allgemein Kleinkinder, Kinder, Schwangere, allergisch Disponierte, chemisch Sensibilisierte, chronisch Kranke mit Dauerbehandlungsbedürftigkeit für Pharmakotherapeutika. Deren Empfindlichkeit gegenüber MMA oder MAA ist wissenschaftlich noch nicht untersucht. Altersbezogene Differenzen der Suszeptibilität bei Ratten verschiedener Altersgruppen beobachtete Deichman 1941 (zit. bei 34). Geschlechtseinflüsse wurden nicht gefunden. 3.6.4 Konzentrations-Expositionsdauer-Beziehungen, toxischer Mechanismus Die leichten Irritationen bei niedrigen MMA-Konzentrationen hängen zuerst von den Konzentrationen ab, nicht vor der Expositionsdauer. Bei hohen Konzentrationen hängt der toxische Mechanismus vorwiegend von der Expositionsdauer ab (34). Die MAA-Toxizität entsteht durch die schnelle Generierung und Kumulation (Jones 2002, zit. bei 34). Die Schädigung wird in dem Teil der Mucosa gesehen, der die höchste CCE-Aktivität besitzt (Pinto 1997, zit. bei 34). MMA weist eine geringe inhalative Akuttoxizität mit LC 50 von >7000 ppm über 4 Stunden aus (Tansy 1980a, zit. bei 64). Für eine 2-stündige Exposition werden LC 50-Werte von 10820 bis 16830 ppm berichtet. 4. Vergleich der Poststörfallexposition mit berufli chen MMA-Dampf-Expositionen Im Vergleich zum Arbeitsplatzluftgrenzwert (17, 30, 32) betrug die MMA-Dampfkonzentration am 8. Tag nach der akuten Exposition mit 13 mg/m³ (nur) 1/16 dieses Luftgrenzwertes von 210 mg/m³ je 8 Stundenschicht. Diese MMA-Konzentration blieb auch deutlich unter der Konzentration der Lindberg-Studie 1991 (44), in der <40 ppm (<166,4 mg/m³) keine akuten Symptome festgestellt werden konnten. Die Studie von Roehm 1994 (45) stützt mit <50 ppm diesen NOAEL (no observed adverse effect level). Diese Vergleiche sind mit den Angaben der Betroffenen vereinbar, dass zum Zeitpunkt Tag 8 bzw. 6 p. a. keine Reizwirkungen an Augen, Nase, Rachen, tiefen Atemwegen, Magen-Darm und Haut von den Betroffenen mehr beklagt wurden. __________________________________________________________________________ Wirkungen des MMA-Dampfes auf den arbeitenden Mensc hen __________________________________________________________________________ Irritationen des Atemtraktes, Schwäche, Fieber, Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerz, Schläfrigkeit nach 20-90 Min. MMA-Inhalation von 48-480 ppm Karpov 1954a/b 1955 (197-1968 mg/m³) a/b (35a/b)(36)

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Gesicherte Irritationen: 170-240 ppm Coleman 1963 (41) Reversible Irritationen (Kurzzeitspitzenbelastung) >100 ppm Roehm 1994 (45) Intolerable MMA-Konzentration: 2300 ppm Coleman 1963 (41)

(9200 mg/m³) Rachenreizung, vermehrt Husten und Sputum, berufliche Langzeitexposition: Xgeo: 6 ppm, max. 112 ppm Mizunuma 1993 (43) Keine akuten Effekte: < 40 ppm Lindberg 1991 (44)

Roehm 1994 (45) Mutagenität/Gentoxizität: keine Beweise in 2 Studien an exponierten Arbeitern ECETOC 1995 (48) (Chromosomenaberrationen, Schwesterchromatidaustausch) Zelltoxizität: geringe Minderung des Überlebens bei Gingiva-Fibroblasten Fujisawa 2000 (49) Karzinogenität: kein signifikanter Überschuss für spezifische Krebsarten Collins 1989 (50) (Kohortenstudie, 1561 beruflich Exponierte, TWA 0,13-1 ppm, 8 h/d Legende: TWA (time weight average) = über 8 Stunden gemittelte MMA-Konzentration (Schicht) (34) ________________________________________________________________________________ Tabelle 2 d: Wirkungen des MMA-Dampfes auf den arbeitenden Menschen

Nachweise: E. Löser & G. Stropp in Marquardt/Schäfer Toxikologie (19); EU Risk Assessment Report (33), US EPA Office Pollution Prevention and Toxics 2008: MMA (34)

__________________________________________________________________________ 5. Schätzung der initialen MMA-Störfall-Konzentrati onen (4.11.13 bzw. 6.11.13) Für die Beurteilung der gesundheitlichen Folgen des MMA-Störfalls ist wesentlich, welchen MMA-Konzentrationen die Betroffenen während des Störfalls und der ersten Folgetage ausgesetzt gewesen sein können oder waren? Aufgrund der Datenlage konnten keine Belastungsprofile für die einzelnen Betroffenen erstellt werden. Denn im Januar 2014 konnten sich die Bewohner und die Erzieherinnen wohl an die erlittenen Beschwerden jedoch nicht mehr zuverlässig an die Zeitdauer des Aufenthaltes in den Expositionsräumen erinnern. Um die glaubhaft berichteten irritativen Wirkungen auf eine Größenordnung initialer MMA-Konzentrationen beziehen zu können, sollen die Betroffenen als Gruppe gemeinsamer Symptome reversibler Irritationen mit den epidemiologisch erfassten Beschäftigtengruppen, bei denen reversible Irritationen und MMA-Expositionen messtechnisch festgestellt wurden (34), verglichen werden. Der Vergleich der irritierenden Störfall-MMA-Konzentrationen mit dem Arbeitsplatzgrenzwert und seiner Spitzenbegrenzung (5) ergab (s. v.), dass selbst der Wert der Spitzenkonzentration von 420 mg/m³ überschritten gewesen sein muss. Nach dem gemeinsamen Auftreten der Beschwerden, ihrem eher decrescendoartigen Verlauf und dem kurzzeitigen Andauern kann von MMA-Konzentrationen ausgegangen werden, welche die für beruflich MMA-Exponierte zulässige Spitzenbelastung (einmal je 8 Stunden-Schicht mit Faktor 2 von 210 mg/m³ für die Dauer von maximal 1 Stunde) (17) überschritten hatten. Nach diesem Modell müssten die störfallbedingten Expositionen mit inhalierbarem MMA-Dampf für mehr als eine Stunde die Konzentration von MMA 420 mg/m³ (420.000 µg/m³) überschritten haben. Der Zahlenwert die Spitzenbegrenzung dürfte als die untere Begrenzung der Expositionsrange angesehen werden (Abbildung 1). Die obere Begrenzung der Expositionsrange kann aus dem Vergleich der Betroffenengruppe mit der Gruppe der kontrolliert exponierten Arbeiter (Mega-Studien US EPA) abgeleitet werden. Die Gruppengleichheit bestand in Art, Umfang und eventuell sogar Dauer der MMA-

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Exposition, in den typischen Irritationen, ihrer Lokalisation, dem Ausmaß und der Reversibilität der Symptome innerhalb von 48 Stunden. Es werden die von Lindberg 1991, Roehm 1994 und Coleman 1963 in Tabelle 2d (34) angegebenen beruflichen Expositionen für die störfallbedingten Expositionen herangezogen. Nach dem Dreisatz kann ein Hinweis für die mögliche Größenordnung der initialen MMA-Konzentrationen erhalten werden. Unter Verwendung des median von 175 ppm der Lindberg-Studie aus 1991 (Tabelle 3) ergibt sich eine mögliche initiale MMA-Konzentration am 4 und am 6. November 2013 im Bereich von mehreren hundert Milligramm je m³ (z. B. median 175 ppm x 4,16 mg/m³ gleich 728 mg/m³ oder 728.000 µg/m³, die als obere Begrenzung der Expositionsrange des Störfalles angesehen werden kann (Abbildung 1). 6. Schätzung der initialen MMA-Expositionszeiten (4.11 .13 bzw. 6.11.13) Die Rekonstruktion des Störfalles bestätigte die Zweizeitigkeit der Beschwerdenauslösung. Zuerst wurden die Bewohner belastet (Montag, 4.11.13) und es kam zu Geruchsbelästigungen in der Kita. Mit dem Beschichten der Balkone und dem Ankippen der Fenster wurden die Kinder und Erzieherinnen der Kita (Mittwoch, 6.11.13) exponiert und reagierten entsprechend. Aufenthaltzeiten für die einzelnen Bewohner, Kinder und Erzieherinnen ließen sich 2014 nicht mehr sicher genug ermitteln. Die Probleme der verlassenen Wohnungen und das Andauern der Dekontaminationsmaßnahmen belasteten die Bewohner. Die Erzieherinnen hatten ihre beruflichen Verpflichtungen in anderen Kita zu erfüllen. Dennoch soll versucht werden, für die beiden Gruppen jeweils eine kumulative Expositionszeit für die jeweiligen ersten Tage abzuschätzen. Die Bewohner gingen mit der Geruchsbelästigung in der Nase zur Arbeit und ihre Kinder in die Kita oder Schule. Von ca. 15.00 Uhr an kehrten sie in die Wohnungen zurück und verspürten die Reizungen an Augen, Nase, Rachen und Kopfschmerzen. Sie organisierten sich ein anderes Nachtquartier und nahmen das Nötigste mit, Fehlendes wurde am folgenden Morgen geholt. Am 5.11.13 nachmittags stellt der die Wohnungen Prüfende fest, man könne wegen der noch starken Irritationen zunächst nicht in die Wohnung zurück, informierte die Hausverwaltung, die eine Hotelunterbringung auslöste. Abgeschätzte Expositionszeiten der Bewohner: Montag, 4.11.13: Bis 1 h früh, + 3 h nachmittags: 4 Stunden Belastung durch MMA-Dampf, Dienstag, 5.11.13: 1 h früh Sachen holen, abends 1 h Lüften, Sachen auslagern: 2 Stunden Kumulativ-fraktionierte Belastung durch MMA-Dampf in der Wohnung 6 Stunden. Abgeschätzte Expositionszeiten der Kinder/Erzieherinnen: Geruchsbelästigungen Montag und Dienstag 4./5.11.13. Am Mittwoch (6.11.13) verstärkte sich der stechende Geruch nachdem früh das Fenster im Ess-Schlafraum angekippt wurde (es drang ein unsichtbarer Schwall von MMA-Dampf von den frisch beschichteten Balkonen durch das angekippte Fenster hindurch in die Kita). Kinder und Erzieherinnen wurden heftig irritiert. Die Kinder verließen die Kita, wurden vorzeitig abgeholt oder gingen mit der Erzieherin zu einer benachbarten Kita. Abschätzung der Expositionszeiten der Kita-Kinder und Erzieherinnen: Montag 0,5 h + Dienstag 0,5 h + Mittwoch früh 2-3 h gleich 3-4 Stunden Belastung durch MMA-Dampf in der Kita. Diese geschätzten Expositionszeiten beider Gruppen entsprechen in etwa einer halben Schichtdauer der Arbeiter der Studie Coleman 1963, die mit 170 bis 240 ppm exponiert gesicherte Irritationen zeigten. Roehm fand 1994 bei kurzzeitiger Exposition >100 ppm reversible Irritationen. Mit der Anwendung des median von Lindberg (175 ppm) erscheinen die geschätzten Expositionszeiten und die MMA-Konzentrationen der ersten Stunden ausreichend annehmbar (Tabelle 2d).

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Es kann festgestellt werden:

• Die beklagten Beschwerden und die geschätzten Belastungen der Betroffenen sind mit den Erkenntnissen der internationalen Studien zu MMA-Effekten (33) (34) vereinbar.

• Alle beklagten Beschwerden konnten als reversible Irritationen (Reizwirkungen) des Organismus interpretiert werden. Es wurden keine toxischen Schäden beobachtet.

7. Bewertung der gesundheitlichen Folgen der MMA-E xposition der Kinder und

der Erwachsenen Unser handicap bestand darin, dass wir das Störfallereignis und die akuten gesundheitlichen Folgen selbst nicht beobachten konnten. Erst 6 Wochen nach den Ereignissen wurden wir angesprochen. Auch dass der Gefahrstoff Methylmethacrylat (MMA) als Dampf vor Ort unsichtbar und für uns nicht (mehr) zu riechen war, bereitete uns Probleme. Einen MMA-Störfall hatten wir noch nie bearbeitet, auch keinen solchen Störfall im internet finden können. MMA kannten wir aus der zahnmedizinisch prothetischen und knochenchirurgischen Anwendung oder als temporäre Zahnfüllung sowie als Klebstoff für american nails. Die Bearbeitung von Wirkungen und Risiken des MMA-Dampfes auf die Bewohner, Erzieherinnen und Kinder wurde eine Fortbildungsmaßnahme. Wie vorn bereits diskutiert, wurde der vorläufige Richtwert II der HHer Behörde für Gesundheit von 1000 µg/m³ (1,00 mg/m³) für MMA-Dampf noch am 8. Tag der Freisetzung mit 13 mg/m³ deutlich überschritten. Selbst nach etwa 6 Wochen, am 18.12.2013, zeigte die Raumluft der Balkonzimmer noch eine 3–7-fache Überschreitung des RW II an. In der Kita hingegen war am 18.12.2013 die MMA-Dampfkonzentration bereits auf 140 µg/m³ (0,14 mg/m³) gesunken, ein Lüftungseffekt? Erhöhte Werte wurden im Verlauf der späten Dekontamination in den Geschossdeckenhohlräumen, die als temporäre MMA-Dampfspeicher funktionierten, gefunden. Die Suche nach Bezugspunkten für die Beurteilung der angegebenen gesundheitlichen Beschwerden und Risiken führte schließlich zur US-EPA-Publikation „methyl methacrylate“ aus 10/2008 (34). Die aus den Studien abgeleiteten Interim Acute Exposure Guideline Levels (AEGLs) für MMA boten eine Chance, die gesundheitlichen Folgen und Risiken der Betroffenen einschätzen zu können. Inhalative Kurzzeitexpositionen der Betroffenen der Wohnungen gegenüber dem Gefahrstoff MMA monomer in einer Raumluftkonzentration, die die Reizschwellen überschritt, dürfte das aktuelle Risiko der Bewohner und ihrer Kinder annähernd zutreffend wiedergeben. Die Selbsthilfe, sich zu distanzieren und zu lüften, war die zweckmäßige Antwort auf die Wahrnehmung des stechenden Geruches und der Reizungen der oberen Atemwege und Augen und der Kopfschmerzen. Die Balkonzimmer wurden weitgehend gemieden. In den Wirkungsqualitäten besteht im Vergleich zu den US EPA „AEGLs“ nahezu Übereinstimmung mit den uns mitgeteilten Beschwerden der Betroffenen:

• Geruchsbelästigungen (stechender Geruch), • reversiblen Irritationen der Augen, reversiblen Irritationen der Atemwege, des Magen-

Darm-Traktes (GIT) und des Zentralnervensystems. Die beklagten Beschwerden der Bewohner waren nach Verlassen der exponierenden Bereiche rückläufig und hielten nur wenige Stunden an: Kopfschmerzen, Übelkeit, Reizungen der oberen Atemwege. Bei den Erzieherinnen und Kita-Kindern wurden zeitweiliges Schweratmen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen beklagt, bei einem Kleinkind ein generalisiertes Exanthem, dessen Genese nicht geklärt ist. Bei einer Erzieherin musste eine Angststörung reaktiver Genese festgestellt werden. Die Beschwerden der Kinder und Erzieherinnen hielten nach Verlassen der exponierenden Bereiche für wenige Stunden an.

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Während uns für die Raumluftkonzentrationen Messwerte für den Tag 8 p. a. vorgelegt werden konnten, standen uns keine Expositionszeiten der Bewohner und keine initialen Raumluftkonzentrationen der Balkonzimmer zur Verfügung. Vergleicht man die Messwerte und Fakten, so lag bereits die Raumluftkonzentration an MMA vom 8. Tag p. a. MMA-Werte mit 13.000 µg/m³ (13 mg/m³) deutlich unter dem Acute Exposure Guideline Level-1 (AEGL-1) von 71 mg/m³ (17 ppm) (34). Damit übereinstimmend ließen sich für diesen Zeitpunkt keine Beschwerden mehr ermitteln. Doch welche MMA-Konzentrationen herrschten am jeweiligen Störfalltag? Welchen Risiken waren die Betroffenen in den ersten Stunden des Störfalls ausgesetzt? Dazu werden die Beschwerden/die Symptomatik der Betroffenen mit den epidemiologisch festgestellten Konzentration-Zeit-Beziehungen zur MMA-Irritationssymptomatik verglichen. Erstens: Bereits vorn wurden im Vergleich mit dem Arbeitsplatzgrenzwert der Gefahrstoffverordnung (GSV) von 210 mg/m³ MMA und sogar mit dessen Spitzenbegrenzung (Überschreitungsfaktor 2 für max. 1 h) von 420 mg/m³ drauf verwiesen, dass unterhalb dieser Schwelle bei einer Expositionsdauer kleiner 1 Stunde keine akuten Reizungen zu erwarten seien. Folgerung: Die MMA-Konzentration beim Störfall war wesentlich höher oder die Expositionszeit war deutlich länger. Zweitens wurde anhand der Studien von Lindberg 1991 und Coleman 1963 (Tabelle 3) die Konzentrationsbereiche für eine 8 Stunden Expositionsdauer gefunden, unter denen reversible Irritationen beobachtet wurden. Da unsere Betroffenen eher keine 8 Stundenbelastungen ertragen brauchten, dürften die beklagten Irritationen eher von noch höheren MMA-Konzentrationen ausgelöst worden sein. Sollte im Einzelfall eine Mehrstundenexposition erfolgt sein, ergäbe sich unter Verwendung des Mittelwertes von Lindberg (175 ppm) eine MMA-Konzentration am Störfalltag von 728 mg/m³ (728 000 µg/m³). MMA-Konzentration/ Expositionszeit

Wirkungen, Betroffene, Bemerkungen Autoren; Re ferenz

< 40 ppm 8 h TWA

Keine Irritation bei exponierten Arbeitern Roehm 1994

Bis 50 ppm 8 h TWA

Keine akuten Symptome Cromer & Kronoveter 1976

>100 - 300 ppm 5 – 15 Min

Flüchtige Irritation bei exponierten Arbeitern bei Konzentrationen höher als 100 ppm

Roehm 1994

62 – 601 ppm; tägl. median 175 ppm

Irritation von Nase, Rachen oder Augen bei 10 Arbeitern in hohen Konzentrationen

Lindberg et al. 1991

170 - 240 ppm Dauer ? 8 h TWA

Deutliche Irritationen bei exponierten Arbeitern

Coleman 1963

374 ppm (innerhalb 45 Sek.)

Asthmaattacke, die sich nach 11 Jahren beruflicher Exposition als OP-Schwester (Knochenzementzubereitung) entwickelte. Keine Effekte bei 76 ppm

Pickering et al. 1986

1 ppm = 1 ml/m³ Luft; 1 ppm MMA = 4,160 mg MMA/m³ ; 8 h TWA: 8 Stunden-Mittelwert Tabelle 3: Relevante Inhalationsdaten nichttödlicher MMA-Effekte beim Menschen,

modifiziert nach US EPA, Office of Pollution Prevention and Toxics (34) __________________________________________________________________________

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Drittens: Benutzt man die skalierten Expositionsbereiche der US EPA Office of Pollution Prevention an Toxics (OPPT) (Tabelle 4) als Bewertungsgrundlage, so sind mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die Beschwerden der Betroffenen durch Belastungen im Dosisbereich der Stufe AEGL-2 hervorgerufen worden: z. B. kumulativ 30 Minuten Exposition bei Raumluftkonzentrationen von 150 ppm = 620 mg/m³ (620000 µg/m³). Das OPPT der US EPA leitete aus den inhalativen Belastungen der Arbeiter der Studien von Cromer & Kronoveter 1976 (Tabelle 3) (45) einen No effekt level mit den Kriterien kein Unbehagen und keine signifikanten akuten gesundheitlichen Effekte bei den Betroffenen, selbst bei/nach 8-stündiger MMA-Dampf-Exposition nicht, ab. Dieser Level von 50 ppm wurde zusätzlich mit einem Interindividuellen Variabilitätsfaktor von 3 (variability for local effects) versehen: AEGL-1 (Tabelle 4). Den verschiedenen Studien war zudem zu entnehmen, dass im niedrigen Konzentrationsbereich die Expositionsdauer für die Verursachung der Effekte eine geringere bis keine Relevanz besäße (34). Das ist für die Betroffenen mit den unsicheren Expositionszeiten wesentlich. In der Vergleichsstudie von Cromer & Kronoveter wurden 91 exponierte Arbeiter der PMMA-Herstellung und 43 nicht exponierte Arbeiter befragt, klinisch und organfunktionell untersucht. Die MMA-Dampfexposition wurde mittels zweier am Mann getragener persönlicher Probensammler (á 10 l) und gaschromatischer Analyse ermittelt. Aus den gemittelten Ergebnissen beider Sammler wurde eine spezifische Schichtexposition bestimmt. Die für einen Werktag über 8 Stunden zeitgewichtete mittlere MMA-Dampfkonzentration bis hinauf zu 50 ppm (n = 24, Expositon von 25 bis 50 ppm) führte zu keinen signifikanten akuten Symptomen oder Veränderungen des Blutdruckes, der Pulsrate, auch zu keinen Späteffekten. Es zeigte sich gleichfalls keine signifikante Differenz zwischen der exponierten Gruppe und der nicht exponierte Kontrollgruppe hinsichtlich allergischer Probleme durch MMA-Dampf. Andererseits weist das OPPT der US EPA bereits im Vorwort (34) darauf hin, dass selbst MMA-Dampfkonzentrationen unterhalb des AEG-1 milde und ansteigende, aber flüchtige und nicht unnütze Geruchs-, Geschmacks- und Sinnesreize oder gewisse asymptomatische Nichtsinneseffekte (z.B. Ängste?) hervorrufen können (34). Obgleich die AEGLs für die allgemeine Bevölkerung gelten und bei der Festlegung der Werte besonders empfindliche Subpopulationen wie Kleinkinder, Kinder, Alte, Asthmatiker und andere Kranke einbezogen wurden (Faktor 3), ist bekannt, dass besonders suszeptible Individuen, die einzigartige Unverträglichkeitsreaktionen ausgesetzt sind, auch unterhalb der AEGL-1 (Geruchs- und Geschmacksbelästigungen, Nichtsinneseffekte) und bei höheren Expositionen unterhalb der AEGL-2 die benannten Irritationen haben können (34, p 3/73). Die aus Mainwarings 2001 und Jones 2002 Studien an Ratten abgeleiteten Werte für AEGL-2 legen Belastungswege, MMA-Konzentration und Expositionsdauer zugrunde. Als Effekte wurden Degeneration und Atrophie des olfaktorischen Epithels bis zur kompletten Schädigung der Mucosa nach 6 stündiger Exposition festgelegt. Bei Reduktion der Expositionszeit auf 3 Stunden wurden keine morphologischen Abnormitäten beobachtet. Andererseits zeigten die Untersuchungen 18 Stunden nach der Exposition Schädigungen zunehmender Schwere. Endpunkte beider Studien waren Atrophie und Mucosadesquamation des olfaktorischen Epithels nach 6 h Exposition von 200 ppm. Es wurde ein Unsicherheitsfaktor (totale Ungewissheit) von 3 gewählt. Der Interspeziesfaktor beträgt 1, da der Mensch gegenüber der Ratte als weniger empfindliche bezüglich der Effekte der Nasenhöhle beobachtet wurde. Ein Intraspeziesfaktor von 3 wird benutzt, da die interindividuelle Empfindlichkeit das verlange (eigentlich sogar Faktor 10). Das ergab die Beziehungen von Schädigungen zu MMA-Konzentrationen und Expositionsdauer (Tabelle 4).

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Studien von Pinto 1997 und Robinson 2003 zeigten ähnliche Effekte und Konzentrationsbeziehungen. Die um Faktor 9 reduzierten MMA-Konzentrationswerte ergeben den acute exposure level -2 reversibler Irritationen (Tabelle 4). __________________________________________________________________________ Acut exposure guideline level (AEGL) Expositionsdauer (Minuten; Stunden)

10´ 30´ 60´ 4 h 8 h AEGL-1 nondisabling MMA (ppm) 17 17 17 17 17

keine Irritationen (mg/m³) 71 71 71 71 71 AEGL-2 disabling MMA (ppm) 150 150 120 76 50

reversible Irritationen (mg/m³) 620 620 500 320 210 AEGL-3 lethal MMA (ppm) 720 720 570 360 180 tödlich (mg/m³) 3000 3000 2400 1500 750 ______________________________________________________________________ Tabelle 4: US Bevölkerungsschutzwerte für akute Expositionen gegenüber MMA-Dämpfen, Office of Pollution Prevention and Toxics der US Environmental Protection Agency 2008 (34) __________________________________________________________________________ Das Verhalten der Betroffenen zugrunde gelegt und eine erste Expositionszeit von 30 Minuten angenommen kommt eine MMA-Konzentration von 150 ppm (620 µg/m³) als initiale Belastung in Betracht. Das nähert sich Abschätzung der initialen Belastung aus der Lindenberg-Studie 1961 an, aus der der tägliche median von 175 ppm verwendet wurde. Bei einer ersten Exposition der Betroffenen von 10 bis 30 Minuten Dauer führten 150 ppm zu den gesichert reversiblen Rwizungen an Augen, oberen Atemwegen und ZNS, bei 6 von 23 Kita-Kindern zu Irritationen des Magen-Darm-Traktes (GIT). Die initiale MMA-Konzentrationen können mit 620000 µg/m³ (620 mg/m³) angenommen werden. Die Grenzen der initialen Störfallexposition sollte zwischen > 100 ppm (420 mg/m³) und < 175 ppm (728 mg/m³) gelegen haben. In Abhängigkeit von der realen Aufenthaltszeit in der jeweiligen Frühe der Balkonzimmer am 4.11.13 und in der Frühe des Essraumes der Kita am 6.11.13 erhielten die Personen eine inhalative MMA-Exposition, welche die individuellen temporären Reizantworten hervor riefen. Für deterministische Spätschäden waren die Belastungszeiten zu kurz, die Kumulationsdosen zu gering. Für toxische Wirkungen auf dem Level der AEGL-3 an den verschiedenen Organen gibt es keine Hinweise. Resümierend sei gesagt: Das zeitnahe Verlassen der Expositionsbereiche war die entscheidende Handlung, um irreversible gesundheitliche Folgen zu verhindern und kumulative Risiken für die Raumnutzer entscheidend zu begrenzen. Die erneute Nutzung der Balkonzimmer und der Kita nach dem gesicherten Erreichen des Dekontaminationszielwertes ließ das Risiko für kumulative Gesundheitseffekte minimieren.

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Abb. 1: Verlauf der Messwerte und der Extrapolation zum Störfallbeginn 8. Das Dekontaminationszielwert-Konzept für MMA Als Dekontaminationszielwert für Kita und Wohnungen wurde wegen der kritischen Gruppe der Klein- und Krabbelkinder 10 µg MMA /m³ Innenraumluft angesetzt. Modell: Vorläufiger Richtwert I der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz vom Februar 2005 (Vorsorgerichtwert) von 100 µg/m³ als Langzeitwert für Erwachsene mal Sicherheitsfaktor 1/10 für Kleinkinder gleich 10 µg/m³. Für die Messung ist der MMA-Dampf am Fußboden zu sammeln. Der MMA-Neubau-Orientierungswert für Büro- und Verwaltungsgebäude von 5 µg/m³, der im Juni 2013 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) vorgegeben wurde, stützt den Dekontaminationszielwert für Langzeitaufenthalte der Kinder in Innenräumen. Dieser Wert für BüroarbeiterInnen zeigt, in welche Richtung sich der primäre Gesundheitsschutz (Mutterschutz?) hinsichtlich des Baustoffes Methymethacrylat (MMA) mit seinen irritativen und potentiell sensibilisierenden Eigenschaften orientieren sollte.

________________________________________________________________________________

Kasten 3 _________________________________________________________________________________ Richtwerte für flüchtige organische Verbindungen (V OC) in Wohninnenräumen Offizielle Richtwerte der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der obersten Landesgesundheitsbehörden für Innenraumluftbelastungen stehen auch 2014 für Methylmethacrylat (MMA monomer) noch nicht zur Verfügung. Dennoch werden MMA-basierte Beschichtungssysteme kommerziell angeboten und wirtschaftlich verbreitet eingesetzt in Schlachthöfen, Fleischerein, Wohngebäuden.

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Ein Richtwert I (Vorsorgerichtwert) beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der bei einer Einzellstoffbetrachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch dann keine Gesundheitsbeeinträchtigung zu erwarten ist, wenn ein Mensch diesem Stoff lebenslang ausgesetzt ist. Eine Überschreitung ist allerdings mit einer über das übliche Maß hinausgehenden, unerwünschten Belastung verbunden. Richtwert I kann als Zielwert für die Sanierung benutzt werden. Kommentar: Dieser Vorsorgerichtwert gilt nur für Gesundheitsbeeinträchtigungen, die einer Dosis-Wirkungs-Beziehungen folgen und somit eine Schwelle haben. Er gilt nicht für schwellenlose Effekte wie Sensibilisierungen mit Ausbildung einer Allergie, auch nicht für olfaktorische Reizungen bei individuell stark unterschiedlichen Empfindlichkeiten. Beobachtete Schwellen für Wirkungen gelten für Erwachsene, nicht für Kinder. Für den schweren MMA-Dampf kann keine homogene Verteilung in der Raumluft angenommen werden. Seine Konzentration muss am Fußboden gemessen werden. Die kritische Gruppe sind die Krabbelkinder. Deshalb ist für die Zielgruppe Kleinkinder hier ein eigener Vorsorgerichtwert erforderlich, der auch für die Kindereinrichtung gilt. _________________________________________________________________________________

Kasten 4

_________________________________________________________________________________ Ein oberer Referenzwert (95. Percentil) für MMA in Deutschlands Wohnungen In Anlehnung an die VOC-Pionierarbeiten in deutschen Wohnungen der 1980 Jahre von C. Krause und Mitarbeitern des WABOLU Hygiene-Institutes Berlin und den nimmer müden Aktivitäten der ökologischen Forschung (AGÖF) wurde nach der Umweltbundesamtstudie von Hoffmann und Plieniger 2008 (22) in erster Fortschreibung des Basisschemas Mitteilung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der obersten Landesgesundheitsbehörden für Methylmethacrylat ein oberer Referenzwert von 2,5 µg/m³ angegeben (23) (95. Percentil der Konzentration eines Stoffes in dem für die Referenzpopulation untersuchten Umweltmedium). Dieser kumulative statistische Wert wird als Hintergrundbelastung in Wohnungen betrachtet. Er gibt keinen Aufschluss über ein Gesundheitsrisiko. Er sagt jedoch etwas aus über die gemessene Höhe der MMA-Freisetzungen oder MMA-Belastungen in eher „auffälligen“ Wohnungen. Der Arbeitsplatzgrenzwert von MMA beträgt 210 mg/m³ oder 50 ml/m³ (5, 30). Er gilt für ein „Arbeits-, leben“, je Schicht und hat eine Spitzenbegrenzung von Faktor 2 für maximal 1 Stunde je Schicht. Nach den Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes sind die beruflichen Belastungen mit technischen und organisatorischen Maßnahmen zu minimieren (z.B. durch Austausch des Gefahrstoffes, quellennahe Absaugung des MMA-Dampfes, bei Innenraumanwendungen nur Kurzzeitarbeiten ect.). Zusätzlich sind persönliche Schutzmittel bereitzustellen und anzuwenden (24, 25, 26). ________________________________________________________________________________

Methylmethacrylat (MMA) µg/m 3

Messdatum EG (Kita) 1. OG 2. OG 3. OG

13.11.13 13000 13000

18.12.13 140 3300 7200 6700

08.01.14 310

07.02.14 16 240 230 350

27.02.14 9 140 140 190

17.03.14 60 50 170

24.04.14 21; 22 200 100 220

27.05.14 160 350

10.06.14 60

17.06.14 410 520

02.07.14 30 170 230 330

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09.07.14 140 400 400 800

17.07.14 130

31.07.14 20

14.08.14 200

29.08.14 40 20 14 16

05.09.14 51

19.09.14 20 22 46 20

26.09.14 9 14 11 12

08.10.14 10 10 16 42

23.10.14 12 10 14 2

Tabelle 5 Messwerte von Methylmethacrylat monomer (MMA) / µg/m3 / Kontakt: _________________________________________________________________________

Dr. med. Horst Walt Facharzt für Arbeitsmedizin Facharzt für Allgemeinmedizin / Umweltmedizin Zentrum für Arbeits- und Umweltmedizin e. V. Weißenseer Weg 111 10369 Berlin (Lichtenberg) [email protected] __________________________________________________________________________ Nachweise (1) VULKEM QUICK BALCONY SYSTEM, RPM / Belgium N.V. Produktenblatt.

(2) DIN EN ISO 16000-5 „Probennahmestrategie für flüchtige organische Verbindungen“ in: Prüfbericht vom 21.03.2014 Environmental service Berlin. (3) VDI 2100 Messen gasförmiger Verbindungen in der Außenluft/ Messen von

Innenraumluftverunreinigungen – Gaschromatographische Bestimmung organischer Verbindungen (aktive Probenahme durch Anreicherung auf Aktivkohle) und Lösungsmitteldesorption, in Prüfbericht vom 18.11.2013 Environmental service Berlin.

(4) DIN EN ISO 16000-6 „Bestimmung von VOC in der Innenraumluft, // mittels thermischer Desorption und Gaschromatographie sowie Massenspektrometrie mit MSD bzw. FID“ in: Prüfbericht vom 21.03.2014 Environmental service Berlin.

(5) Gefahrstoffe 2014, aktuelle Arbeitsplatzgrenzwerte , Universum Verlag, Wiesbaden 2013, S. 72.

(6) Vorläufige Richtwerte für Methylmethacrylat der Hamburger Behörde für Soziales Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz vom Februar 2005, in: Prüfbericht des Environmental service Berlin vom 18.11.2013 (3).

(7) Fotodokumentation der Geometrie der Probensamm lung in: Prüfberichte der Dekontaminationskontrollmessungen Environmental service Berlin 2013 - 2014 persönliche Mitteilung.

(8) RÖMPP Chemie Lexikon M – Pk, Hrg. Jürgen Falbe, Manfred Regitz, Thieme Verlag

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Stuttgart New York 1995, 2729 Methacrylsäureester.

(9) Sicherheitsdatenblatt gemäß Verordnung (EG) Nr. 453/2010 vom 6.11.2013, für Methylmethacrylat monomer Aktuelle Version 1.0, 11 Blatt.

(10) Gefahrstoffliste , in: Gefahrstoffe 2014, Universum Verlag, Wiesbaden 2013.

(11) GESTIS Stoffdatenbank. (12) Howard , P.H., Handbook of Environmental Fate and Exposure Data for Organic

Chemicals, Vol. 1, “Large Production and Priority Pollutants”, Lewis Publishers Inc., Chelsea, MI, pp. 402-407 (1989).

(13) Bunce , N.J., Personal Communication, University of Guelph, Ontario (1992).

(14) Hawley , G.G. (reviser), The Condensed Chemical Dictionary, “Methyl Methacrylate”, p.684, 10th Ed., Van Nostrand Reinhold Company, New York, NY (1981).

(15) Howard et al., P.H., Roethling,W.F. Jarvis, W.M. Meyland, and E.M. Michalenko, Handbook of Environmental Degradation Rates, Lewis Publishers Inc., Chelsea, MI (1991).

(16) GISCHEM: Gisbau Chemie.

(17) BIA-Report 1/04 Gefahrstoffliste 2004 - Gefahrstoffe am Arbeitsplatz, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Januar 2004, Sankt Augustin.

(18) Publikation der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraunrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der obersten Landesgesundheitsbehörden, in: Bundesgesetzblatt 2012, 55: 279-290, Springer Verlag.

(19) Lehrbuch der Toxikologie / hrsg. Hans Marquardt und Siegfried G. Schäfer.

BI - Wissenschaftsverlag Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich, 1994, E. Löser & G. Stropp: Kunststoffe, Monomere 615, MMA 617; Diisozyanate 619

(20) Magnusson und Kligman :– Sensibilisierungen der Atemwege und Haut,

in: Sicherheitsdatenblatt nach Verordnung (EG) Nr. 453/2010 vom 6.November.2013 für Methylmethacrylat monomer, Aktuelle Version 1.0, Blatt 7/11.

(21) Sicherheitsdatenblatt gemäß 1907/2006/EG, Artikel 31 Druckdatum: 20.08.2014

für PU-Binder , Version 11, überarbeitet am 20.08.2014. (22) Bereitstellung einer Datenbank zum Vorkommen von flüchtigen organischen

Verbindungen in der Raumluft (Hoffmann, Plieniger; WaBoLu-Heft 05/08 ).

(23) Bundesgesundheitsblatt 2012, 55:279-290, Springer-Verlag. (24) Informationsblatt der BG RCI vom 13.12.2013 für Unternehmer, Sicherheitsfachkraft

(SiFa), Arbeitsmediziner, Betriebsrat zu Methylmethacrylat (MMA) CAS-Nr.80-62-6, 1-7, www.gischem.de.

(25) Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV ) vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643).

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(26) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln und deren Benutzung bei der Arbeit, über Sicherheit beim Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen und über die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes (Betriebssicherheitsverordnung BetriebsSichV ), Artikel der Verordnung vom 27. September 2002. BGBl. (2000) 1, S. 3777 ff.

(27) Handlungsanleitung zur Beschichtung mit MMA-Harzen des Länderausschusses Arbeitssicherheit und der Ländermessstellen (LASI-ALMA-Empfehlungen ) nach

TRGS 420 und Arbeitskreis 5.3 „PMMA-Harze im Bauwesen“, Verband der Deutschen Bauchemie, November 2012.

(28) Radikalische Polymerisation, in: Herstellung von PMMA : https://www. Ccbuchner.de/musterseiten/detail/m3475_4.pdf.

(29) Bewertungssystem „Nachhaltiges Bauen (BNB) – Neubau Büro- und Verwaltungs-

gebäude (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 17.06.2013) Neubauorientierungswert für Methylmethacrylat 5 µg/m³.

(30) Technische Regel für Gefahrstoffe TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“. Ausgabe: Januar 2006, zuletzt geändert und ergänzt: GMBl 2014 S. 1312-1313 [Nr. 64] vom 28.10.2014

(31) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG ) vom 7. August 1996. BGBl. (1996) 1, S.

(32) Begründungspapiere der AGS zu Arbeitsplatzgrenzwerten,www.baua.de/ de/ Themen-A-Z/ Gefahrstoffe/TRGS/Arbeitsplatzgrenzwerte .html.

(33) European Union Risk Assessment Report for MMA http://echa.europa.eu/documents/10162/7c9a0eb6-9b7f-4fd6-846b-d480e8e0003d. (34) US EPA (Environmental Protection Agency) Offic e of Polution Prevention and

Toxics http://www.epa.gov/opptintr/aegl/pubs/methyl_methacrylate_interim_oct_2008_v1.pdf Seiten 1 – 73, speziell die Seiten 13, 14 –18, 41, 43. (35a) Karpov , B.D. 1954a. methylmethacrylate from the viewpoint of labor hygiene Gig. Sanit. 12: 25-28. (35b) Karpov, B.D. 1954b. Toxicity of methyl acrylate. Farmakol. toksikol. 17:49-51. (36) Karpov , B.D. 1955b Toxicological assessment of methylmethacrylate. Gig. Sanit. 20:

S. 19-22. (37) Coleman , A.L. 1963. Letter to the Commitee. Occ. Health.Section, Connecticut Labor

Department. (38) Dobrinskij , S. I. 1970. Data concerning problems of industrial hygiene and

occupational pathology in the manufacture of acrylic polymers. Gig Tr. Prof. Zabol. 14: 53-54. Cited in: Scolnick and Collins, 1986.

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(39) Nyquist et al 1958. MMA is clearly irritating to human skin. Cited in: European Union Risk Assessment Report for MMA.

(40) Pickering , C.A., D. Bainbridge, I.H. Birtwistle, and D.L. Griffiths. 1986.

Occupational asthma due to methyl methacrylate in an orthopaedic theatre sister. British Medical Journal 292:1362-1363.

(41) Lindberg , E., A. Iregren, P. Malmberg, O. Vesterberg, and A. Wennberg. 1991. Health Risks of Exposure to Methyl Methacrylate (MMA) - A Pilot Study. National Institute of Occupational Health.

(42) Mizunuma , K., T. Kawai, T. Yasugi, S. Horiguchi, S. Takeda, K. Miyashita, T.

Taniuchi, C.S. Moon, and M. Ikeda. 1993. Biological monitoring and possible health effects in workers occupationally exposed to methyl methacrylate. Int. Arch. Occup. Environ. Health 65:227-232.

(43) Roehm GmbH . 1994. Medical Examination of Workers in Acrylic Sheet

Production Exposed to Methyl Methacrylate. Unpublished Report. Roehm GmbH, Darmstadt, Germany.

(44) Korczynski , R.E. 1998. Occupational health concerns in the dentene industry. Appl. Occup. Environ. Hyg. 13:299-303.

(45) Cromer , J. and K. Kronoveter . 1976. A Study of Methyl Methacrylate Exposure and Employee Health. DHEW (NIOSH) Publ. No. 77-119. Division of Surveillance, Hazard Evaluations, and Field Studies, NIOSH, Cincinnati, OH.

(46) Andrews , C.P. Smith, J.D. Johanson, W.G. (1979). Pulmonary Effects of Methyl

Methacrylate Vapor Exposure in Dental Students.Clinical Research, 27, 759A. (47) IARC, International Agency for Research on Cancer. 1994.

IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. Vol. 60. Some Industrial Chemicals. WHO, World Health Organization, Geneva.

(48) ECOTOC (1995) kein Beleg für ein genotoxisches Potential in 2 Studien gefunden, in

denen Chromosomenaberrationen und Schwesterchromatid-Austausch bei exponierten Arbeitern untersucht wurden, zit. bei 34

(49) Fujisawa (2000) fand eine geringe Zytotoxizität in menschlichen Gingivafibroblasten,

zit. bei 34 (50) Collins (1989) beobachtete eine nicht signifikant erhöhte Rate für bestimmte

Krebsarten in einer Kohortenstudie mit 1561 Exponierten, die in 2 Betrieben tätig waren, die 8 Stunden gemittelte Belastung (TWA) betrug 0,13-1 ppm, , zit. bei 34

(51) Jones (2002) zeigte eine MMA-Hautabsorptionsrate von 0,16%, zit. bei 34 (52) Raje (1985) untersuchte die MMA-Verteilung im Blut, Lungengewebe und Gehirn,

zit. bei 34

(53) Rijke (1977) beschreibt eine Halbwertzeit von 3 Stunden bei 20° C bei einem MMA-Gehalt von 0,185 ml / ml Blut, die Konzentration in Blutzellen war zweimal höher als im Plasma, aus dem es sehr schnell verschwand, zit. bei 34

(54) Corkill (1976) bestimmte für MMA die T/2 im Blut mit24-40 Minuten, zit. bei 34

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(55) Mainwaring (2001) trug zur Auflistung der biochemischen Eigenschaften in Tabelle 2b bei, zit. bei 34

(56) Tansy & Kendall (1979) charakterisieren den MMA-Geruch mit stechend, zit. bei 34 (57) Roehm (1994) beschreibt beim Personal der PMMA-Plattenproduktion folgende

Symptome: Tränenfluss, behinderte Nasenatmung, trockene Nasenschleimhaut , vermindertes Riechempfinden, die Exposition betrug 10-40 ppm; die Rhinoskopie war bis 40 ppm für 6 Stunden unauffällig; Expositionen sicher > 100 ppm für 5-15 Minuten führten zu flüchtigen Reizungen von Augen und oberen Atemwegen, es wurden keine Fälle von Sensibilisierungen an Haut und Atemtrakt festgestellt, zit. bei 34

(58) Muttray (1997) fand keine höhere Prävalenz von Riechstörungen im Rhinotest bei

175 MMA-exponierten Arbeitern vs. 88 Nichtexponierten; Expositionsdauer 9,6 (+- 7,1 Jahre), MMA-Konzentration (TWA) bis 50 ppm, früher bis 100 ppm), zit. bei 34

(59) Gezondheitsraad (1994) schildert bei exponierten Arbeitern (MMA 77-90 mg/m³

Dauer 5 Jahre) chronischen Husten bei 20%, in der Kontrollgruppe bei <1%; 37 mg MMA/m³ (9 ppm) werden als Obergrenze des Arbeitsschutzes gegen chronische systemische Effekte (Herzattacken) und Lokaleffekte (Husten) angesehen; NL AGW 40 mg/m³ (10 ppm) für 8 Stunden je Arbeitstag, zit. bei 34

(60) Bäuerle (1982) testete Verträglichkeit von MMA als Zahnmaterial im Patchtest: (10%

MMA in Olivenöl): bei 4/71 Patienten (6%) trat eine Hautsensibilisierung auf, zit. b. 34

(61) ECB (2002) berichtet über positive Patchtests bei Patienten der prothetischen Chirurgie, Zahnbehandlung, bei Nagelpräparationen und Hörgeräteträgern, zit. bei 34

(62) Lomax (1977) resumiert: obgleich im Tierversuch verschiede genotoxische Tests waren, ergeben die Daten keine Hinweise für eine höhere Karzinogenität , zit. bei 34

(63) Morris & Frederick (1995): die Carboxylesterase-Reaktion im Blut zeigt eine

typische enzymatische Substratsättigungskurve, zit. bei 34 (64) Bereznowski (1995): die Carboxylesterase (CCE) ist durch BNPP oder Physostigmin

hemmbar, zit. bei 34 (65) Zusammenfassung des Technical Support Document (TSD) zu Methylmethacrylat

(Status: «interim», Stand 01/2007) https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/515/dokumente/mma.pdf

Nachweisende

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Methylmethacrylat (MMA)-Kontamination von Kita und Wohnungen, Fallbericht

Inhaltsverzeichnis Seite

1. Störfall, gesundheitliche Beschwerden, Leitkomponenten, Belastungen 1

2. Gefahrstoffquellen, Freisetzungen, Eindringpfade, Innenraumbelastungen durch MMA-Dampf und Sofortmaßnahmen 3

2.2 Gefahrstoffquellen, Freisetzungen und Eindringpfad Kasten 1: Schichten und Stoffe des modifizierten Methylmetacrylat-Balkonsystems

2.1.1 Der Gefahrstoff Methylmethacrylat (MMA) und seine Stoffeigenschaften Tabelle 1: Physiko-chemische Eigenschaften von Methylmethacrylat monomer (MMA) 2.1.2 Eindringpfade (Rekonstruktionsergebnis 2.2 Innenraumbelastungen, vorläufige Richtwerte der HH-Gesundheitsbehörde 6 Tabelle 2 a: Wirkungsqualitäten des flüssigen oder dampfförmigen Methylmethacrylat 2.3 Sofortmaßnahmen

Kasten 2: MMA-Dampf-Messwerte vom 18. Dezember 2013

3 Wirkungen des Methylmethacrylat monomers auf den Menschen 9 3.1 Die Symptomatik der MMA-Dampf-Wirkungen: Irritationen 3.6.4 Die subjektiv spürbaren Wirkungen 3.1.2 Die subjektiv nicht spürbaren Wirkungen 3.2 Olfaktorische Irritationen 10 3.3 Irritationen von Nase, Rachen und Augen 3.4 Irritationen der tieferen Atemwege, des Magendarmtraktes, der Augen und Haut Tabelle 2 b: Pathophysiologie und Pathologie von MMA-Dampf 3.5 Sensibilisierungen und allergische Reaktionen 3.6 Die unsichtbaren Wirkungen des MMA, der Metabolismus und das Exit 12 3.6.1 Lokale Irritationen, toxische Wirkungen 3.6.2 Metabolismus 13 Tabelle 2 c: Stoffwechsel von MMA-Dampf und Methacrylsäure (MAA) 3.6.4 Zu empfindlichen Populationen 3.6.4 Konzentrations-Expositionsdauer-Beziehungen, toxischer Mechanismus

4. Vergleich der Poststörfallexposition mit beruflichen MMA-Dampf-Expositionen 14 Tabelle 2 d: Wirkungen des MMA-Dampfes auf den arbeitenden Menschen 5. Schätzung der initialen MMA-Störfall-Konzentrationen (4.11.13 bzw. 6.11.13) 15 6. Schätzung der initialen MMA-Expositionszeiten (4.11.13 bzw. 6.11.13) 16

7. Bewertung der gesundheitlichen Folgen der MMA-Exposition der Kinder und der Erwachsenen 17

Tabelle 3: Relevante Inhalationsdaten nichttödlicher MMA-Effekte beim Menschen, Tabelle 4: US Bevölkerungsschutzwerte für akute Expositionen vs. MMA-Dämpfen, Abb. 1: Verlauf der Messwerte und der Extrapolation zum Störfallbeginn

8. Das Dekontaminationszielwert-Konzept für MMA 21 Kasten 3: Richtwerte für flüchtige organische Verbindungen

(VOC), Wohninnenräumen Kasten 4: Ein oberer Referenzwert (95.Percentil) für MMA

in Deutschlands Wohnungen Tabelle 5: Messwerte von Methylmethacrylat monomer (MMA)

Kontakt 23 Nachweise Stand 25.05.2015