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UMSCHAU 34 „Die Energiewende ist eine riesige Chance für Deutschland.“ Seit einem Jahr steht das Thema „Energiewende“ ganz oben auf der politischen Agenda. Im 3. Teil des VNG- Hauptstadtgesprächs spricht medium gas mit Oliver Krischer, Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Energie- und Ressourceneffizienz der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die notwendigen Maßnahmen im Nach-Atomzeitalter und die Vorbildfunktion Deutschlands in der Welt. Das VNG-Hauptstadtgespräch enzsteigerung von 20 Prozent bis 2020 auf europäischer Ebene durchgesetzt. Jetzt, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen umzusetzen, zieht man sich zurück und scheut verbindliche Zusagen. Ich mache seit mehr als 20 Jahren Energiepolitik. Dabei habe ich gelernt, dass die Energieeffizienzsteigerung das wichtigste energiepolitische Ziel ist. Jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen, trägt zur Klimaverbesserung bei. Daher müssen wir alles dafür tun, um in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Energie zu verbrauchen. Die Senkung des Energieverbrauchs steht auch im Mittelpunkt des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärme- bereich (EEWärmeG) . Welche konkreten Maßnahmen sind hier besonders wichtig? Völlig klar ist, dass wir bei der Gebäudesanierung etwas tun müssen. Um den öffentlichen Gebäudebestand einmal komplett zu sanieren, braucht es eine jährliche Sanierungsrate von drei Prozent. Das ist für mich eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Zudem kann es nicht sein, dass es in einem Hochindustrieland heute noch Gebäude gibt, in denen Heizkessel aus den 1970er Jahren installiert sind. Hier muss dringend etwas passieren. Unser Ziel ist es, die Bereiche Gebäudesanierung und Heizungsmodernisierung zusammenzu- bringen und auf beiden Ebenen das Maximale herauszuholen. Das heißt aber nicht, dass wir aus dem kompletten Gebäude- bestand Passivhäuser machen möchten. Das wäre illusorisch. Entscheidend ist, vorhandene Effizienzsteigerungspotenziale zu nutzen, ohne Kommunen und Privathaushalte zu überfordern. Fotos Michael Fahrig Herr Krischer, vor rund einem Jahr ebnete die Bundesregie- rung mit dem vorzeitigen Atomausstieg den Weg in Richtung Energiewende. Wie fällt Ihr Fazit über das bisher Erreichte aus? Eine Energiewende haben wir im Grunde seit mehr als zehn Jahren. Nach Abschaltung der acht Atomkraftwerke im letzten Jahr ist aber faktisch nichts mehr passiert. Dabei gibt es nun hunderte kleine Baustellen, an denen gearbeitet werden muss. Das heißt: Wir können nicht länger warten, sondern müssen gerade jetzt handeln. Es müssen Anreize geschaffen werden, um Speichertechnologien zu entwickeln, Transportnetze zu moder- nisieren und Investitionen in Gaskraftwerke aber auch bei der KWK-Technologie zu erleichtern. Ich weiß, das ist alles nicht so spektakulär, wie die Abschaltung von Atomkraftwerken. Den- noch ist es die Kernarbeit, die nach Beschluss der Energiewende notwendig ist. Aber daran hapert es im Moment, weil das Bun- deswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium in Sachfragen zerstritten sind und sich gegenseitig blockieren. Die Energiewende findet auch in Europa statt. Mit der Energieef- fizienzrichtlinie will die EU-Kommission verbindliche Effizienz- ziele für die Mitgliedstaaten festlegen. Die Bundesregierung erwägt nun, der Richtlinie nicht zuzustimmen, da man sich den Weg der Zielerreichung nicht vorschreiben lassen möchte. Ist dieses Handeln konsistent? Das, was in Europa stattfindet, gleicht einem Stück aus dem Tollhaus. Die Bundesregierung selbst hat im Jahr 2007 die Effizi-

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Die Energiewende findet auch in Europa statt. Mit der Energieef- fizienzrichtlinie will die EU-Kommission verbindliche Effizienz- ziele für die Mitgliedstaaten festlegen. Die Bundesregierung erwägt nun, der Richtlinie nicht zuzustimmen, da man sich den Weg der Zielerreichung nicht vorschreiben lassen möchte. Ist dieses handeln konsistent? Das, was in Europa stattfindet, gleicht einem Stück aus dem tollhaus. Die Bundesregierung selbst hat im Jahr 2007 die Effizi- Fotos Michael Fahrig 34

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„Die Energiewende ist eine riesige Chance für Deutschland.“

Seit einem Jahr steht das Thema „Energiewende“ ganz oben auf der politischen Agenda. Im 3. Teil des VNG-hauptstadtgesprächs spricht medium gas mit Oliver Krischer, Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Energie- und Ressourceneffizienz der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die notwendigen Maßnahmen im Nach-Atomzeitalter und die Vorbildfunktion Deutschlands in der Welt.

Das VNG-hauptstadtgespräch

enzsteigerung von 20 Prozent bis 2020 auf europäischer Ebene durchgesetzt. Jetzt, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen umzusetzen, zieht man sich zurück und scheut verbindliche Zusagen. Ich mache seit mehr als 20 Jahren Energiepolitik. Dabei habe ich gelernt, dass die Energieeffizienzsteigerung das wichtigste energiepolitische Ziel ist. Jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen, trägt zur Klimaverbesserung bei. Daher müssen wir alles dafür tun, um in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Energie zu verbrauchen.

Die Senkung des Energieverbrauchs steht auch im Mittelpunkt des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärme-bereich (EEWärmeG) . Welche konkreten Maßnahmen sind hier besonders wichtig?Völlig klar ist, dass wir bei der Gebäudesanierung etwas tun müssen. Um den öffentlichen Gebäudebestand einmal komplett zu sanieren, braucht es eine jährliche Sanierungsrate von drei Prozent. Das ist für mich eine der größten herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Zudem kann es nicht sein, dass es in einem hochindustrieland heute noch Gebäude gibt, in denen heizkessel aus den 1970er Jahren installiert sind. hier muss dringend etwas passieren. Unser Ziel ist es, die Bereiche Gebäudesanierung und heizungsmodernisierung zusammenzu-bringen und auf beiden Ebenen das Maximale herauszuholen. Das heißt aber nicht, dass wir aus dem kompletten Gebäude-bestand Passivhäuser machen möchten. Das wäre illusorisch. Entscheidend ist, vorhandene Effizienzsteigerungspotenziale zu nutzen, ohne Kommunen und Privathaushalte zu überfordern.

Fotos Michael Fahrig

herr Krischer, vor rund einem Jahr ebnete die Bundesregie-rung mit dem vorzeitigen Atomausstieg den Weg in Richtung Energiewende. Wie fällt Ihr Fazit über das bisher Erreichte aus?Eine Energiewende haben wir im Grunde seit mehr als zehn Jahren. nach abschaltung der acht atomkraftwerke im letzten Jahr ist aber faktisch nichts mehr passiert. Dabei gibt es nun hunderte kleine Baustellen, an denen gearbeitet werden muss. Das heißt: Wir können nicht länger warten, sondern müssen gerade jetzt handeln. Es müssen anreize geschaffen werden, um Speichertechnologien zu entwickeln, transportnetze zu moder-nisieren und Investitionen in Gaskraftwerke aber auch bei der KWK-technologie zu erleichtern. Ich weiß, das ist alles nicht so spektakulär, wie die abschaltung von atomkraftwerken. Den-noch ist es die Kernarbeit, die nach Beschluss der Energiewende notwendig ist. aber daran hapert es im Moment, weil das Bun-deswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium in Sachfragen zerstritten sind und sich gegenseitig blockieren.

Die Energiewende findet auch in Europa statt. Mit der Energieef-fizienzrichtlinie will die EU-Kommission verbindliche Effizienz-ziele für die Mitgliedstaaten festlegen. Die Bundesregierung erwägt nun, der Richtlinie nicht zuzustimmen, da man sich den Weg der Zielerreichung nicht vorschreiben lassen möchte. Ist dieses handeln konsistent?Das, was in Europa stattfindet, gleicht einem Stück aus dem tollhaus. Die Bundesregierung selbst hat im Jahr 2007 die Effizi-

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Oliver Krischer im sog. Lampenladen, dem Restaurant im Paul-Löbe-Haus.

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dringend notwendig sind. Wie die Förderung im Detail aussehen kann, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen.

Welche Rolle spielt Bioerdgas im Strom- und Wärmebereich?Die anzahl von Biogasanlagen wird weiter zunehmen. also wird auch das thema Bioerdgas bei der Strom- und Wärmeerzeugung immer wichtiger. Bioerdgas hebt sich ja vor allem wegen sei-ner planbaren Produktion und Speicherfähigkeit deutlich von anderen Erneuerbaren ab. Ich kann mir auch vorstellen, dass insbesondere die transportfähigkeit von Bioerdgas stärker in den Fokus rückt. Vor allem durch das vorhandene Erdgasnetz ist es ja sehr einfach, Bioerdgas an Orte zu transportieren, wo es schwer ist, andere erneuerbare Energien zu nutzen.

Derzeit wird viel über den Sinn der Umweltzonen und die Förde-rung von Elektrofahrzeugen diskutiert. Es häufen sich Stimmen, die sagen, Elektrofahrzeuge seien nur ein kleines Element im zu-künftigen Mobilitätsbereich. Wie sehen Sie diese Entwicklung?Ich glaube, es wird vieles auf das thema Elektromobilität zu-laufen. allerdings muss auch klar sein, dass bei insgesamt

Können Mikro-KWK-Anlagen dazu beitragen, dieses Effizienz-potenzial zu maximieren?Ja, davon bin ich überzeugt. Um KWK-anlagen im heimischen Keller eine realistische Perspektive zu eröffnen, müssen eine Reihe von bürokratischen hürden abgebaut werden. Momen-tan werden Privathaushalte mit zahlreichen undurchsichtigen Vorschriften und Formularen konfrontiert. Das schreckt ab und blockiert den KWK-ausbau. KWK-anlagen sind aber eine ideale Ergänzung für die erneuerbaren Energien. Unser Ziel muss es daher sein, eine Vielzahl von alten heizungen durch Mikro-BhKW zu ersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die anlagenförderung ähnlich einfach gestaltet werden, wie wir sie derzeit bei der Photovoltaik vorfinden. Dann würde sich so man-cher Kraftwerksneubau schon deswegen erübrigen, weil eine Vielzahl Mikro-BhKW für die nötige Stromversorgung sorgt.

Die Energiespeicherung ist ein zentrales Thema für die Reali-sierung der Energiewende. Wie kann es gelingen, die Entwick-lung von Speicheranlagen zu beschleunigen?Wir brauchen politische anreize, um Investitionen in Speicher-technologien zu erleichtern. Diese anreize fehlen bisher voll-ständig. Bei der Power-to-Gas-technologie gibt es eine Reihe von aktivitäten bei der Forschung und Entwicklung. Das ist gut, auch wenn man fragen kann, ob hier nicht noch mehr möglich ist. Fest steht: Wir werden es in Zukunft mit einer zunehmend schwankenden Stromerzeugung zu tun haben, die es auszu-gleichen gilt. Im Kern brauchen wir daher ein klares politisches Signal, dass Speichertechnologien im zukünftigen Strommarkt

Oliver Krischer

geboren am 26. Juli 1969 in Zülpich (nRW) | Biologie-Studium an der RWth aachen | seit 1989 Mitglied von BÜnDnIS 90/DIE GRÜnEn | 1997–2002 Mitarbeiter von Michaele hustedt, MdB a. D. | 2002–2009 wissen-schaftlicher Mitarbeiter der GRÜnEn-landtagsfraktion nRW | seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im ausschuss für Umwelt, naturschutz und Reaktorsicherheit

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Seit 1999 ist das Berliner Reichstagsgebäude der Sitz des Deutschen Bundestages.

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30 Millionen Fahrzeugen in Deutschland eine Million Elektro-autos nur ein tropfen auf den heißen Stein sind. Das heißt, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden auch in Zukunft die deutschen Straßen dominieren. Daher ist wichtig, dass die her-steller in die Effizienzsteigerung solcher Motoren investieren. auch der Einsatz von Erdgasmotoren ist hier absolut sinnvoll. Denn diese produzieren nahezu keinen Feinstaub und weit weniger CO2 als herkömmliche antriebe.

Aber wieso ist die Politik so einseitig auf den Ausbau von Elek-tromobilität fixiert, wenn wir doch bereits heute Technologien existieren, die klimafreundlicher und effizienter sind als her-kömmliche Benzin- oder Dieselfahrzeuge?nun, wir sollten uns nicht das französische Modell der absatz-förderung bestimmter technologien zum Vorbild nehmen. Bei der Verbreitung von Erdgasfahrzeugen setzen wir aufgrund der enormen Klimavorteile weiter auf Steuererleichterungen. Das hauptproblem sehe ich in der Vermarktung alternativer antrie-be. Für die hersteller stehen derzeit die klassischen Benziner im Vordergrund. Erdgasfahrzeuge bekommt man wenn überhaupt erst auf nachfrage genannt. hier sind also vor allem die auto-mobilhersteller selbst gefragt, das thema voranzubringen. Die Erweiterung der Erdgasmodellpalette bei VW, audi oder Opel macht doch aber deutlich, dass die hersteller verstärkt auf den klimafreundlichen Erdgasantrieb setzen.

Deutschland besitzt in Sachen energiepolitischer Zielstellung eine Vorreiterposition. Wie können wir andere Nationen dazu

bewegen, uns bei der Klima- und Energiepolitik zu folgen?Die Entwicklungen hierzulande werden in der Welt sehr auf-merksam verfolgt. Wenn wir es schaffen, die Energieversorgung effizient und nachhaltig zu gestalten, ohne auf Kohle- und atom-kraftwerke zu setzen, wird das auch zum nachahmen anregen. Belgien, die Schweiz und Italien werden aus der atomkraft aussteigen, auch die Franzosen sind zunehmend skeptisch. Die Welt verändert sich also. Wir müssen nun alles dafür tun, dass wir mit unseren technologien an der Spitze dieser Bewegung stehen. Das ist eine riesige Chance für Deutschland und eine wunderbare Zukunftsperspektive.

Dennoch entsteht derzeit eine Bewegung in Deutschland, die Stein- und Braunkohle als Brückentechnologie für die Erneu-erbaren sieht. Diese Entwicklung bewerte ich sehr kritisch. Es gibt keine kli-maschädlichere Energieerzeugung als die mit Kohle. Das ändert sich auch mit verbesserter Kraftwerkstechnologie kaum. Den Glauben, man könne Kohlekraftwerke irgendwann so flexibel und klimafreundlich gestalten wie moderne Gaskraftwerke, halte ich für ein nicht einlösbares Zukunftsversprechen. Wenn wir Kohlekraftwerke, die teils aus den 1950iger Jahren stammen, weiter am leben halten, können wir doch gleichzeitig keinem hausbesitzer ernsthaft erklären, dass er sich dringend eine moderne heizungsanlage anschaffen soll. Die Energiewende mit Kohle zu meistern, kann und darf daher nicht unser Ziel sein.

herzlichen Dank für das Gespräch.