Mikroskopische Beobachtung von Anlauf- oder Umfällungsreaktionen

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Zeitschrift für Physikalische Chemie Neue Folge, Bd. 42, S. 280-292 (1964) Mikroskopische Beobachtung von Anlauf- oder Umfällungsreaktionen VI.1 Reaktionen zwischen festem Bleichlorid und geschmolzenen Kaliumsulfaten Von Georg-Maria Schwab und Reinhold Deml Physikalisch-Chemisches Institut der Universität München Mit 9 Abbildungen im Text (Eingegangen am 15. Mai 1964) Der Verlauf der Reaktion von geschmolzenem KHSOt bzw. K2S207 mit festem PbCl2 wurde unter dem Polarisationsmikroskop untersucht. Es bildet sich dabei zunächst eine primäre, aus PbSOt und KCl bestehende äußere Pro- duktschicht aus, von der aus dann unter Festkörperreaktion eine Doppelsalz- schicht {KCl · 2PbCl2 bzw. 2KCI PbCl2) in den P6CT2-Kristall hineinwächst. Das Wachstum dieser inneren Schicht wurde mikrometrisch verfolgt. Es ge- horcht nach Abschluß der Primärreaktion der TAMMANNschen Anlaufparabel mit einer Aktivierungsenergie von 20 kcal/Mol. Geschwindigkeitsbestimmend ist die Gitterdiffusion von K+- bzw. Pt++-Ionen durch das Reaktionsprodukt mit einem Diffusionskoeffizienten der Größenordnung 10 8 cm2/sec. Einleitung Die Methode der mikroskopischen Untersuchung von Anlaufreak- tionen vom Typ fest-flüssig wurde bereits in früheren Mitteilungen dargestellt1. Sie wurde hier auf das System KHSOJ 2S20^geschmol- zen) P6CZ2(fest) angewandt. Dieses System bot sich deshalb an, weil die Schmelzpunkte von KHSOi bzw. geeigneten Mischungen von SO i und A2S207 zwischen 200° und 220 °C liegen, die des Blei- 1 I. Mitteilung: G.-M. Schwab und Th. Skulikidis, Z. physik. Chem. Neue Folge 14 (1958) 76. II. Mitteilung: G.-M. Schwab und Th. Skuxikidis, Z. phy- sik. Chem. Neue Folge 17 (1958) 249. III. Mitteilung: G.-M. Schwab und Th. Skulikidis, Chem. Ber. 91 (1958) 525. IV. Mitteilung: G.-M. Schwab, Th. Skulikidis und E. Papanikolaou, Z. physik. Chem. Neuo Folgo 23 (1960) 29. V. Mitteilung: G.-M. Schwab, Th. Skulikidis und E. Agathonikou, ebenda 28 (1961) 145. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 1/15/14 11:50 AM

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Zeitschrift für Physikalische Chemie Neue Folge, Bd. 42, S. 280-292 (1964)

Mikroskopische Beobachtungvon Anlauf- oder Umfällungsreaktionen

VI.1 Reaktionen zwischen festem Bleichlorid und geschmolzenenKaliumsulfaten

Von

Georg-Maria Schwab und Reinhold Deml

Physikalisch-Chemisches Institut der Universität München

Mit 9 Abbildungen im Text

(Eingegangen am 15. Mai 1964)

Der Verlauf der Reaktion von geschmolzenem KHSOt bzw. K2S207 mitfestem PbCl2 wurde unter dem Polarisationsmikroskop untersucht. Es bildetsich dabei zunächst eine primäre, aus PbSOt und KCl bestehende äußere Pro-duktschicht aus, von der aus dann unter Festkörperreaktion eine Doppelsalz-schicht {KCl · 2PbCl2 bzw. 2KCI PbCl2) in den P6CT2-Kristall hineinwächst.Das Wachstum dieser inneren Schicht wurde mikrometrisch verfolgt. Es ge-horcht nach Abschluß der Primärreaktion der TAMMANNschen Anlaufparabelmit einer Aktivierungsenergie von 20 kcal/Mol. Geschwindigkeitsbestimmendist die Gitterdiffusion von K+- bzw. Pt++-Ionen durch das Reaktionsprodukt miteinem Diffusionskoeffizienten der Größenordnung 10 8 cm2/sec.

EinleitungDie Methode der mikroskopischen Untersuchung von Anlaufreak-

tionen vom Typ fest-flüssig wurde bereits in früheren Mitteilungendargestellt1. Sie wurde hier auf das System KHSOJ 2S20^geschmol-zen)

P6CZ2(fest) angewandt. Dieses System bot sich deshalb an, weildie Schmelzpunkte von KHSOi bzw. geeigneten Mischungen von

SOi und A2S207 zwischen 200° und 220 °C liegen, die des Blei-1 I. Mitteilung: G.-M. Schwab und Th. Skulikidis, Z. physik. Chem. Neue

Folge 14 (1958) 76.—

II. Mitteilung: G.-M. Schwab und Th. Skuxikidis, Z. phy-sik. Chem. Neue Folge 17 (1958) 249.

III. Mitteilung: G.-M. Schwab undTh. Skulikidis, Chem. Ber. 91 (1958) 525.

IV. Mitteilung: G.-M. Schwab,Th. Skulikidis und E. Papanikolaou, Z. physik. Chem. Neuo Folgo 23 (1960)29.

V. Mitteilung: G.-M. Schwab, Th. Skulikidis und E. Agathonikou,ebenda 28 (1961) 145.

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clilorids und der auftretenden Reaktionsprodukte aber oberhalb500 °C. Der grundsätzliche Verlauf der Reaktionen erfolgt nach denGleichungenI. K2S207 + PbCl2 -> PbSOi + 2KCI + S03

II. 2KHS04 + PbCl2 -> £04 + 2KCI + S03 + H20 (bzw. 280 IIa. KHSOi + PbCl2 ->P&£04 + HCl + KCl.

Die festen Reaktionsprodukte Kaliumchlorid und Bleisulfat bildeneine Anlaufschicht, während die freiwerdenden Gase entweder ent-weichen oder in der Schmelze gelöst werden, evtl. auch Einschlüsse inder Produktschicht bilden können.

VersuchsmethodeDie Herstellung der Proben erfolgte, wie bereits früher beschrieben,

durch Schmelzen des Kristallpulvers zwischen Objektträger und Deck-glas zu einem möglichst dünnen Film. Anschließend wurden diePräparate ziemlich rasch abgekühlt, da die Kristalle sonst wegen deshohen Dampfdrucks des Bleichlorids ungleichmäßig und schlechtbegrenzt sowie teilweise durch Reaktion zu Oxyohlorid auch verfärbtund undurchsichtig werden. Infolgedessen erhält man keine Ein-kristalle, sondern aus fächerförmig aneinder anschließenden Kristall-bereichen bestehende Filme (Abb. 1).

Abb.l. P&Gij-Präparat zwischen gekreuzten Filtern bei geringer Vergrößerung

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Die Messungen wurden stets an einzelnen homogenen Bereichenausgeführt ; es zeigten sich aber auch an den Übergangsstellen keinerleiUnregelmäßigkeiten im Wachstum der Anlaufschichten. Verwendetwurde das „Bleichlorid, rein" der Firma Riedel de Haën. Zur Kontrollewurden verschiedene Meßreihen zusätzlich mit umkristallisiertem undunter Luftabschluß getrocknetem PbCl2 ausgeführt. Dabei zeigtensich jedoch im Rahmen der Meßgenauigkeit keine Unterschiede, so

daß eine Beeinflussung durch Verunreinigungen nicht anzunehmen ist.Die Untersuchungen wurden unter dem Polarisationsmikroskop

IHM der Firma Leitz auf einem Heiztisch nach Weygand derselbenFirma durchgeführt. Gemessen wurde bei 200facher Vergrößerung imTemperaturbereich 300° bis 370 °C.

Nach konstanter Einstellung der jeweiligen Meßtemperatur wurdeneinige Kristalle der als Schmelze zu verwendenden Substanz an denRand des Deckglases gebracht. Nach wenigen Sekunden tritt dieSchmelze in den Spalt zwischen Objektträger und Deckglas ein, wo-

rauf die Reaktion beginnt. Anschließend wurde das Wachstum derAnlaufschicht über 60 bis 70 Minuten okularmikrometrisch verfolgt.

Qualitative BeobachtungenWie nach den Reaktionsgleichungen schon zu erwarten war, zeigte

die Reaktion mit reinem Kaliumhydrogensulfat genau denselben Ver-lauf wie mit allen möglichen Mischungen von Kaliumhydrogensulfatund Kaliumdisulfat. Für die meisten Messungen wurde daher das Eutek-tikum 90% A2£2O7/10% KHSOfr Schmelzpunkt 203,5°C, verwendet.

Die Schmelze reagiert mit festem Bleichlorid unter Bildung von

PbSOi und KCl, wobei entweder H20 und SOs oder HCl frei werden.Die Reaktion beginnt sofort nach dem Eintreten der Schmelze unterdas Deckglas und verläuft zunächst ziemlich rasch. Dabei bildet sicheine ungleichmäßige, aus ungeordneten Einzelkristallen bestehendeAnlaufschicht. Diese wächst sowohl nach innen unter Aufzehrung desBleichlorids in den Kristall hinein, wie auch nach außen in die Schmelze.Die ursprüngliche Begrenzungslinie des Kristalls wird sehr schnellvöllig aufgelöst und ist in der Anlaufschicht nicht mehr zu erkennen.Gleichzeitig tritt eine Gasentwicklung auf, die besonders an Unregel-mäßigkeiten des Kristalls, wie Rissen, scharfen Spitzen usw. ziemlichlebhaft wird. Durch die Gasblasen werden oft Teile der Anlaufschichtmitgerissen, die in Form kleiner Kristalle in der Schmelze nach außenwandern.

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Nach einigen Minuten kommt das nach innen gerichtete Wachstumder Anlaufschicht praktisch zum Stillstand, die Gasentwicklungist kaum mehr zu beobachten. Dafür bildet sich an der Grenze

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Abb. 2. Ausbildung der Innenschicht nach 5 Minuten bei 340 °C

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Abb.3. Die Reaktionszone nach 30 Minuten bei 340°C

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Anlaufschicht—

Kristall eine zweite Reaktionsschicht aus, die nun

weiter in den PöCZ2-Kristall hineinwächst (Abb. 2). Die beidenSchichten sind voneinander durch eine sehr deutliche Linie getrennt,die aber nicht mit der ursprünglichen Begrenzung des Kristalls über-einstimmt (Abb. 3). Während die äußere Schicht unregelmäßig undteilweise undurchsichtig bleibt, ist die innere Schicht von Anfang an

gleichmäßig scharf begrenzt und vollkommen durchsichtig. Zwischengekreutzen Polarisationsfiltern ist die Außenschicht fast völlig dunkel,

Abb. 4. Die Anlaufschicht zwischen gekreuzten Filtern

die innere Schicht ist in charakteristischer Weise aus regelmäßig inWachstumsrichtung orientierten Einzelkristallen aufgebaut, die ab-wechselnd hell und dunkel erscheinen (Abb. 4).

Quantitative ErgebnisseDie mikrometrischen Messungen der Schichtdicken ergaben, wie

schon von Aussehen her zu erwarten war, daß das Wachstum derAußenschicht praktisch unreproduzierbar verläuft. Sie ließen jedocheine relativ geringe Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwin-digkeit in der äußeren Schicht erkennen.

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Im Gegensatz dazu war die Waohstumsgeschwindigkeit der innerenSchicht, unabhängig von der Dicke der Außenschicht, gut reproduzier-bar und wurde daher näher untersucht.

Reaktion mit reinem 804 bzw. KHSOJK2S207Wie bereits erwähnt, begann das Wachstum der Innenschicht

immer erst nach ca. 1 bis 3 Minuten. Die Ergebnisse bei Temperaturenvon 300°, 320°, 340°, und 370 °C zeigt Abb. 5.

Abb. 5. Reaktion mit ÄHiS04/ÜL2Ä207-Eutektikum

Die erhaltenen Kurven verlaufen zunächst parabelähnlich, begin-nen aber nach einer Reaktionszeit von 20 bis 30 Minuten stark nachunten von der Parabelgestalt abzuweichen. Ein völliger Stillstand derReaktion ist auch nach 70 Minuten noch nicht zu beobachten.

Zusatz YOXiKCl in der SchmelzeUm den Einfluß des Reaktionsprodukts Kaliumchlorid auf das

Wachstum der Schichten zu untersuchen, wurden Messungen mitAC?-Zusatz verschiedener Konzentrationen in der Schmelze durch-

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geführt. Dabei wurde stets das eutektisehe Gemisch 90% K2S207¡KHSOi 10% verwendet, da beim Zusammenschmelzen von reinemKHSOi mit KCl eine starke Chlorwasserstoffentwicklung die Ein-stellung bekannter ifCZ-Konzentrationen unmöglich macht.

Abb. 6. 5 bis 20 Mol-% ÄCT-Zusatz bei 370°C

Abb. 7. 20 Mol-% XCT-Zusatz bei 300° bis 370°C

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Die Messungen ergaben eine Herabsetzung der hohen Anfangs-geschwindigkeit des Wachstums der Innenschicht. Gleichzeitig schiendie Bildung der äußeren Schicht eher zum Stillstand zu kommen ; dieskonnte aber nicht in allen Fällen bestätigt werden.

Abb. 6 zeigt die Meßwerte für die Innenschicht bei 370°C undACZ-Zusätzen von 5 bis 20 Mol-°/0. Man erkennt, daß nur die Anfangs-steigung beeinflußt wird; nach Reaktionszeiten von ca. 10 bis 20Minuten verlaufen alle Kurven annähernd parallel. In Abb.7 istdas Schichtwachstum bei 20 Mol-% ACZ-Gehalt im Temperaturbereich300° bis 370 °C dargestellt. Der ohne ACZ-Zusatz auftretende Knick-punkt mit nachfolgender starker Abweichung von den Anfangsparabelnist völlig verschwunden; die Kurven lassen sich jetzt im ganzen Ver-lauf mit guter Näherung durch Parabeln wiedergeben. Dafür sind dieReaktionsgeschwindigkeiten insgesamt wesentlich geringer.

NaHSOi-

S c h m e 1 e

Zum Vergleich wurde an Stelle von Kaliumsalzen eine reineNatriumhydrogensulfatschmelze verwendet. Die Reaktion verlief zu-

nächst ähnlich unter Gasentwicklung und Bildung einer ungleich-mäßigen Anlaufschicht. Das Wachstum der inneren Schicht bliebjedoch nach langer Reaktionsdauer völlig aus.

Reaktion mit festem KClDas vorhergehende Ergebnis weist darauf hin, daß für das Auf-

treten der inneren Reaktionsschicht nur eine Diffusion von Kalium-ionen und Doppelsalzbildung mit Bleichlorid in Frage kommen kann.Dies wird auch durch die Schmelzdiagramme bestätigt: Kaliumchloridbildet mit Bleichlorid zwei Verbindungen der Zusammensetzung2PbCl2 · KCl und PbCl2 2KCI, während Natriumchlorid nur ein ein-faches Eutektikum ohne Verbindungsbildung zeigt.

Zur weiteren Unterstützung dieser Annahme wurde daher derVersuch gemacht, die fest-fest-Reaktion zwischen Kaliumchloridund Bleichlorid direkt zu beobachten. Da es infolge des hohen Schmelz-punkts von Kaliumchlorid nicht möglich war, Kristalle in der üblichenWeise durch Schmelzen zu erhalten, wurde eine konzentrierte wäßrigeACZ-Lösung in den Spalt unter dem Deckglas gebracht und durchErwärmen auskristallisiert. Da der Wasserdampf nur seitlich ent-weichen kann, erfolgt die Kristallisation sehr ungleichmäßig in Formkonzentrischer Ringe, wobei sich aber stets eine 20 bis 40µ starkeKaliumchloridschicht direkt an das Bleichlorid anlagert.

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288 Georg-Mama Schwab und Reinhold Deml

Es zeigte sich nun, daß tatsächlich eine Reaktion mit dem Blei-chloridkristall eintritt; die entstehende Anlaufschicht gleicht in ihremAussehen zwischen gekreuzten Polarisationsfiltern vollkommen denfrüher erhaltenen Schichten. Die Produktschicht wächst dabei gleich-zeitig nach innen (PbCl2) und außen (KCl), wobei die Trennungsliniescharf erhalten bleibt. (Abb. 8).

Abb. 8. Reaktion mit festem KCl, parallele und gekreuzte Filter

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Abb. 9. Reaktion mit festem KCl

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Beobachtung von Anlauf- oder Umfällungsreaktionen, VI 289

Da die Reaktion auch schon beim Erhitzen der Lösung einsetzt,wurde mit den Messungen immer erst dann begonnen, wenn eineSchichtdicke von 5 µ erreicht war.

Die in Abb. 9 aufgetragenen Meßwerte zeigen eine etwas größereStreuung, was auf die ungleichmäßige Ablagerung der Kaliumchlorid-kristalle zurückzuführen ist. Sie folgen aber in ihrem gesamten VerlaufParabeln, die mit den bei Verwendung einerXCMialtigen Schmelze (sieheAbb. 7) erhaltenen Anlaufparabeln überraschend gut übereinstimmen.

Mischkristalle PbCl2\BaCl2Abschließend wurde versucht, an Stelle des reinen Bleichlorids

Mischkristalle des binären Systems PbCl2jBaCl2 zu verwenden. Eszeigte sich jedoch, daß geringe ÄiCVZusätze (unter 10 Mol-°/0) ohneerkennbaren Einfluß auf die Reaktionsgeschwindigkeit blieben. Höhere5aC?2-Konzentrationen ergaben zwar eine deutliche Verlangsamungder Reaktion, doch ließen sich in diesem Falle keine gleichmäßighomogenen Kristallfilme mehr erhalten, wodurch die Reproduzier-barkeit der Messungen stark verschlechtert wurde. Bei 10°/0 BaCl2-Zusatz blieb die Abweichung von den mit reinen P6(7Z2-Kristallenerhaltenen Werten noch sehr gering, während bei 20°/0 -BaC?a-Gehaltdie Reaktionsgeschwindigkeit etwa auf die Hälfte abnahm. Eineweitere quantitative Auswertung war aber wegen der starken Streuungnicht möglich.

Röntgenographische UntersuchungenIm Anschluß an die mikroskopischen Messungen wurden Pulver-

reaktionen im Simon-Müller-Ofen unter analogen Bedingungendurchgeführt. Von den erhaltenen Präparaten wurden Aufnahmennach dem Debye-Scherrer-Verfahren hergestellt, die dann qualitativan Hand von Vergleichsaufnahmen ausgewertet wurden.

Zunächst wurden KCl und PbCl2 in den stöchiometrischen Verhält-nissen 2KCI + PbCl2 und KCl + 2PbCl2 zusammengeschmolzen, um

die entsprechenden Doppelsalze zu erhalten. Die Schmelzpunkte liegenbei 440° und 490 °C.

In beiden Fällen waren die starken ACi-Linien völlig verschwun-den, während die PöC72-Linien noch schwach sichtbar blieben. Dieneu auftretenden Linien wurden den Verbindungen K2PbCl4 undKPb2Cl5 zugeschrieben.

Darauf wurden KCl und PbCl2 im Verhältnis 2:1 und 1:2 fein-gepulvert im Tiegel 90 Minuten lang auf 340 °C erhitzt, so daß dieselben

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Reaktionsbedingungen wie bei den mikroskopischen "Versuchen ge-geben waren.

Die von diesen Präparaten erhaltenen Aufnahmen zeigten deutlichdie den durch Schmelzen hergestellten Doppelsalzen zugeordnetenLinien. Damit scheint es erwiesen, daß tatsächlich schon bei Tempera-turen unter 370 °C eine Diffusion und Festkörperreaktion unter Dop-pelsalzbildung stattfindet.

DiskussionDie vorhegenden Ergebnisse zeigen, daß man bei der fest-flüssig-

Reaktion zwischen einem Primär- und einem Sekundärvorgang unter-scheiden muß.

Zunächst verläuft die Reaktion unter Bildung einer äußeren An-laufschicht, die zuerst aus dem hochschmelzenden Bleisulfat bestehtund deutlich porös erscheint. Hierfür, sowie für die schlechte Re-produzierbarkeit der Schichtdicken sind zwei Ursachen maßgebend:

1. Die Gasentwicklung in der Reaktionszone während des erstenTeils der Reaktion.

2. Die Tatsache, daß Kaliumchlorid als zweites Reaktionsproduktschon bei 300 °C bis zu ca. 20 Mol-% in der Schmelze löslich ist.

Letzteres konnte nur experimentell bestätigt werden, da das Zu-standsdiagramm des Systems KHSOJK2S207/KCl nicht bekannt zu

sein scheint.Für diesen als Anlaufreaktion im eigentlichen Sinne zu bezeichnen-

den Primärvorgang ist also sicher die freie Diffusion der Schmelzedurch die Poren des Reaktionsprodukts geschwindigkeitsbestimmend,worauf auch die charakteristische geringe Temperaturabhängigkeitder Reaktionsgeschwindigkeiten hinweist.

Im weiteren Verlauf werden dann infolge des zunehmenden KCl-Anteils in der Produktschicht die Poren allmählich geschlossen, so

daß die Primärreaktion langsam zum Stillstand kommt. Sobald nun

der Primärprozeß langsam genug geworden ist, beginnt die Bildungder inneren Schicht. Für diese Sekundärreaktion sind drei verschiedeneFälle zu unterscheiden :

1. Die Reaktion mit festem KClDer Ausgangspunkt ist hier eine feste ACZ-Schicht, die mit dem

Bleichloridkristall in Verbindung steht. Eine Reaktion kann also nur

als Diffusion der Kationen durch das Reaktionsprodukt unter Auf-

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Beobachtung von Anlauf- oder Umfällungsreaktionen, VI 291

zehrung der Ausgangsstoffe erfolgen, was auch beobachtet wurde.Schmelzen können dabei nicht auftreten, da das niedrigste Eutektikumerst oberhalb 400 °C liegt. Auch eine Mitwirkung von Wasser, das beider Auskristallisation in Spuren zurückbleiben könnte, ist nicht an-

zunehmen, da der Vorgang auch als Pulverreaktion im Tiegel beob-achtet wurde.

2. Schmelze mit 20Mol-°/0 XCZ-GehaltHier bildet sich zunächst die primäre Anlaufschicht aus, die sehr

rasch bis zu einer Schichtdicke von etwa 10 bis 15µ heranwächst.Infolge ihres vorgegebenen XCZ-Gehalts reichert sich aber die Schmelzein den Poren sehr bald soweit mit Kaliumchlorid an, daß die Aus-kristallisation erfolgt und die Anlaufschicht kompakt wird. Damitwird das Wachstum der Primärschicht stark verlangsamt, und es

beginnt die Doppelsalzbildung an der Grenze Außenschicht/Bleichlo-ridkristall. Der Sekundärvorgang ist also auch hier als fest-fest-Reaktion zwischen der äußeren Schicht und dem Kristall anzusehen.Mit der unter 1. beschriebenen Reaktion besteht völlige quantitativeÜbereinstimmung sowohl in bezug auf die Aktivierungsenergien alsauch auf die einzelnen Geschwindigkeitskonstanten (Abb.7und9).Dies rührt daher, daß das Kaliumchlorid in der Außenschicht ingesättigter Lösung auftritt, so daß die A+-Aktivität dieselbe ist, wiein der festen ACZ-Schicht.

3. Schmelze ohne ACZ-ZusatzBei Verwendung einer reinen KHSOJK2S207-Schme\ze kann die

Hemmung der primären Anlaufreaktion nur durch das als Reak-tionsprodukt gebildete Kaliumchlorid erfolgen. Beobachtet wurde,daß die Doppelsalzbildung ebenso bald beginnt, wie in den oben be-handelten Fällen ; dabei verläuft sie zunächst mit wesentlich größererGeschwindigkeit, zeigt jedoch nach einiger Zeit eine Verlangsamung,die sich in den erhaltenen Kurven als Knickpunkt äußert.

Diese Erscheinung läßt sich durch folgende Überlegung erklären:Die primäre Anlaufschicht wächst anfangs so rasch in den Bleichlorid-kristall hinein, daß sich eine innere Schicht nicht ausbilden kann.Nach kurzer Zeit wird die Schichtdicke aber so groß, daß trotz freierPorendiffusion die Reaktion nicht mehr nur als vollständige Umset-zung, sondern auch unter Doppelsalzbildung abläuft; es beginnt dasWachstum der Innenschicht. Es handelt sich also nun um eine fest-

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fest-Reaktion zwischen dem Bleichloridkristall und dem bei derPrimärreaktion entstehenden Kaliumchlorid. Die K+-Aktivität isthier größer als in den früheren Fällen, da das Kaliumchlorid jetzt inübersättigter Lösung auftritt. Hieraus ergibt sich die höhere Reak-tionsgeschwindigkeit ; die Aktivierungsenergie von ca. 20 cal deutetauch hier auf Gitterdiffusion durch das Reaktionsprodukt hin.

Im weiteren Verlauf werden die Poren der Außenschicht wiedergeschlossen. Damit kommt die Primärreaktion zum Stillstand, unddie Doppelsalzbildung geht wie vorher von festem Kaliumchlorid aus.

Ein Vergleich der Abb. 5 und 7 zeigt, daß hinter den Knickpunkten dieSteigungen der Kurven tatsächlich mit den in den Fällen 1 und 2 er-

haltenen annähernd übereinstimmen.Die Messungen an Mischkristallen PbCl2)BaCl2 ließen sich, wie

schon erwähnt, nicht weiter auswerten; wahrscheinlich erhält man

hier wegen der weit auseinanderliegenden Schmelzpunkte der beidenSalze keine homogenen Kristallfilme, sondern Schichtkristalle. Diebeobachtete Hemmung der Reaktion, entsprechend einer Verringerungder Kationenbeweglichkeit in Gegenwart von Bariumchlorid, läßtsich aus den Bindungsverhältnissen verstehen: Die Bariumionen be-sitzen im Gitter ihre volle 2+-Ladung, während die Bleiionen durchPolarisation teilweise entladen sind.

In allen behandelten Fällen weist die berechnete Aktivierungs-energie von ca. 20 kcal darauf hin, daß eine Festkörperdiffusion inder Produktschicht vorliegt.

Genaue Diffusionskoeffizienten konnten aus den vorliegendenMessungen nicht entnommen werden; eine grobe Abschätzung aus

den Schichtdicken und Reaktionszeiten ergibt einen Gesamtdiffusions-koeffizienten der Größenordnung 10^8 cm2/sec bei 300 °C. DieserWert erscheint recht hoch, da bekanntlich in reinem Bleichlorid fastnur das Anion beweglich ist. Die Beweglichkeit der Kationen scheintalso im Doppelsalzgitter wesentlich größer zu sein.

Welche der beiden Verbindungen, KCl 2PbCl2 oder 2KCI PbCl2,nun eigentlich gebildet wird, konnte nicht entschieden werden. DiePulverreaktionen zeigten nur, daß je nach der örtlichen stöchiometri-schen Zusammensetzung beide Doppelsalze entstehen können.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemi-schen Industrie sind wir für die Unterstützung dieser Untersuchungzu Dank verpflichtet.

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