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mit AudioguideIn Vindonissa, am Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat,

haben die romischen Besatzer Helvetiens einst das einzige Legions­lager der Schweiz errichtet. Auf dem Legionarspfad von Windisch

lassen sich Bruchstlicke des Soldatenlebens nachvollziehenVon Genevieve LUscher [TEXTI und Tomas WUthrich IFOTOSI

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1m Esszimmer seinesHauses erziihlt CenturioTitus Valleus Aheneusalias Tho~as Schaubaus dem Leben in derromischen Armee

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28 Legionen bewachten Roms Grenzen.Die 11. Legion in Vindonissa

chaut! Ich bin jetztLucius Titennius Victori­nus von der 11. Legion",kraht die zwolfjahrigeSandra und wedelt miteinem kleinen, rotenPass. "Dnd ich heiBeGaius Ennius Titus",

buchstabiert Jonas den fremd klin­genden Namen. Ausgerustet mit Pass,Legionarsledersack, Lagerkarte, Audio­guide und Kopfhorer sind die SchUlerbereit rur den "Legionarspfad" in Vin­donissa. "Parete vos ad iter", wie es aufLateinisch heiBt: "Fertig machen zumMarsch", so lautete der militarischeBefehl in der romischen Armee.

"In einem romischen Legionslagergab es - jedenfalls theoretisch - keineFrauen, deshalb erhalten auch SchUle­rinnen mannliche Namen", erklartThomas Pauli, Leiter von "MuseumAargau" und Initiator des Projekts inWindisch bei Brugg. Aber wieso sagt er"theoretisch"? Von den Frauen spater,verspricht Pauli.

ES 1ST EIN WARMER JUNITAG, unddort, wo einst das Kloster Konigsfeldenstand, bereiten sich in der ehemaligenKlosterscheune mehrere Schulklassen

auf den zwei- bis dreismndigen Marschauf das Gelande des einzigen romischenMilirarlagers vor, das es jemals auf demBoden der Schweiz gegeben hat; im 1.

Jahrhundert n. Chr., nachdem die Ro­mer Helvetien erobert hatten. In Vin­donissa war einst eine Legion einquar­tiert, 6000 Mann. Zusammen mit demTross lebten im und urn das Lagergleichzeitig etwa 12000 bis 15000

Menschen - eine kleine Stadt.

WIE ARCHAOLOGEN aus Inschriftenauf Grabsteinen, Entlassungsutkundenund antiken Geschichtsbuchern wissen,war hier zuletzt die 11. Legion statio­niert, eine von 28, die unter Roms Be­fehl an den Grenzen des Imperiumsstanden. Sie hieB "Claudia Pia Fidelis",was auf ihre Treue gegenuber KaiserClaudius hinweisen sollte.

"Lucius Titennius Victorinus und Gai­us Ennius Titus haben ubrigens wirk­lich gelebt", sagt Pauli. Die schriftlichenZeugnisse in und urn Vindonissa sindderart reich, dass mehr als 50 Namenehemaliger Bewohner des Lagers uber­liefert sind. Die meisten von ihnenstammten aus Norditalien, einige ausSudfrankreich. Lucius beispielsweisewurde in Bononia rekrutiert, dem heu-

tigen Bologna, Gaius war aus Placentia,heute Piacenza. Auf ihren Grabsteinensteht, dass Lucius mit 25 Jahren starb,nachdem er runf Jahre gediem hatte,wahrend Gaius immerhin 39 Jahre altwurde. Die letzten neun Jahre seinesLebens verbrachte er als Soldat. In derromischen Armee diente man gewohn­lich 20 bis 25 Jahre und konnte jeder­zeit als Reservist wieder aufgebotenwerden. Nur Zenturionen - hohere Of­fiziere, denen 100 Mann unterstanden

- blieben langer im Dienst.

ALS ERSTE STATION auf unseremRundgang besichtigen wir die Contu­bernia, die Soldatenunterkunfte, nebender alten Klosterkirche: zwei lange, ein­stockige Gebaude, durch eine Gassegetrennt. Die Kasernen sind maBstab­getreu mit den damals ublichen Bau­materialien, sofern bekannt, wiederaufgebaut. Bei solchen Rekon~trukti­

onen musse oft allerdings spekuliertwerden, sagt Pauli, der seIber viele Jah­re vor art gegraben hat. Denn was dieArchaologen im Boden ?och fanden,seien eben bloB Reste. Er zeigt auf dieDachkonstruktion: "Hier beispielsweisewussten wir nicht genau, wie die Zim­mermannsarbeit aussah. Die zuerst ge-

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Engelberg bei Walterswil SO,Herbstlager des Vereins legio XI.Ein 5pahtrupp mit Optioerkundet das Gelande

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wahlte Holzkonstruktion war dann rurdas schwere Ziegeldach zu schwach undmusste verstarkt werden." Trotzdem istPauli davon begeistert, dass "wir hieram Originalschauplatz unmittelbar Ge­schichte erleben" konnen. Und er willdiese Begeisterung weitergeben.

DIE KASERNENBARACKE hat ein Vor­dach, darumer einen gedeckten Lau­bengang. 25 Meter der Lagergasse sindrekonstruiert worden; das Original warfast 100 Meter lang. Eine Comuberniabot Platz rur eine Zenturie, also 100

Mann, die sich zu je acht eine Wohn­einheit, das Contubernium, teilten.

Gerade hat eine Schulklasse ausWinterthur in den Kasernen ubernach­tet. Und Lisa Colombo, die Lehrerin derFunftklassler, fasst zusammen: "Es warfabelhaft. Die Kinder konnten Kornmahlen, Feuer machen, Fladenbrot ba­cken und auf Strohsacken schlafen."Tomi Zeller, in eine romische Tunikagehullt, ist Mitarbeiter beim Legio­narspfad und hat die Gruppe als Bera­ter durch die Nacht begleitet. Jetztdumt er Decken und Essensreste weg.Der romische Getreidebrei mit Gemu­se hat offenbar nicht allen geschmeckt,es ist viel ubrig geblieben. "Eigentlichsind die Kinder aber immer begeistert",

sagt Zeller: "Das Lagerfeuer am Abend,das Schlafen in einer fremden Umge­bung, das einfache Leben, das alles sindrur die meisten ganz neue Erfah­rungen." Da Zeller, gelernter Sozialar­beiter, seine Freizeit in der Reenact­mem-Gruppe "Vexillatio Legio XIClaudia Pia Fidelis" verbringt, die sichdie authentische Wiederbelebung derMilitareinheit zum Ziel gemacht hat,kennt er sich bestens aus und kann fastalle Fragen der Kinder zum Soldatenle­ben beantworten.

Wir betreten eine Mannschaftsstu­be. 1m winzigen Vorraum, in dem eineFeuerstelle, ein kleiner Tisch und eini-

legionarspfad, Station VIII: 1m Keller des modernen Gebaudes befindet sich ein Abschnitt der romischen Wasserleitung

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Begehen konnen Besucher den legionarspfad allein. Wird Animation gewiinscht, tritt der Verein legio XI in Aktion.Zum Beispiel zwei legionare, die einen Buben im Umgang mit dem Schwert unterweisen

ge Hocker stehen, riecht es nach hltemRauch. "Damals roch es vermutlichnoch strenger", erklart Pauli. "Hierlebten acht Manner auf engstem Raum,manchmal jahrelang. Sie kochten hier,eine Kantine gab es nicht." 1m hin­teren, etwas gr6geren Zimmer nehmenacht schmale Holzliegen mit Strohsa­cken und dicken Wolldecken fast denganzen Raum ein.

Die dunnen Wande aus Flechtwerkund Lehm halten die Kalte nicht ab, unddie kleine Feuerstelle im Vorraum lieferthum Warme. Immerhin durften dieLegionare noch kein Problem mit einerBrandversicherung gehabt haben; an­ders als die Betreiber des Legionarspfads,die aufgefordert sind, die Feuer fUr dieNacht zu l6schen.

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1m Kopfbau des Gebaudes besuchenwir die Unterkunft des Centurio. Erlebte mit Ess-, Wohn- und Schlafzim­mer, mit Kuche und einer Toilette, dieer sich nicht mit anderen teilen muss­teo H6heren Offizieren stand gar einekleine Villa zur VerfUgung, und der Le­gionskommandant wohnte in einemPalast mit Garten, der mit 5000 Qua­dratmetern gr6ger war als der Bundes­platz in Bern. Grog war auch schon dasSpital, auf dessen Reste die Archaolo­gen stiegen. Es hatte 90 Zimmer undwar wohl die erste derartige Einrich­tung in der Schweiz.

UND DIE FRAUEN? "Es gab Frauen imLager, das haben archaologische Fundebewiesen, obwohl es laut Gesetz verbo-

ten war", sagt Pauli. Ein Legionar durftenicht heiraten. Aber beispielsweise ineinem Legionslager in England seienFrauen- und Kindersandalen sogar inehemaligen Soldatenunterkunften ge­funden wurden.

DER KOMMANDANT und die Offizierelebten nicht allein in ihren Residenzen,sie hatten ihre Familien bei sich. Undaus schriftlichen Quellen ist bekannt,dass es urn die Legionarslager Prostitu­ierte und Bordelle gab. Ein Legionarhatte Geld. Verglichen mit der Zivilbe­v6lkerung urn Vindonissa, keltischenHelvetiern, war er ein wohlhabenderMann. Kost und Logis bezahlte dieArmee. Soldlisten zeigen, dass ein ge­w6hnlicher Legionar etwa 1200 Sester-

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Die Unterkunft war eng und stickig,das Bad eine Wellnessoase

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zen im Jahr verdiente, em Centurio18000 und ein Legionskommandantmindestens 80000. Fur einen halbenSesterz konnte man damals ein KiloBrot oder zwei Tonlampen kaufen ­oder eben ein ScMJersrnndchen beieiner Hure. Es gab nicht wenige Legio­nare, die sich fUr schwere Arbeit uber­dies auch einen Sklaven hielten.

Weiter fUhrt der pfad urn das weit­laufige Areal des ehemaligen KlostersKonigsfelden, in dem heute eine psy­chiatrische Klinik untergebracht ist. Indem prachtigen, mit riesigen Baumenbestandenen Park begegnet man denPatienten, seltsam scheuen Mannernmit abwesendem Blick oder Frauen mitverklartem Ucheln, die alle freundlichgrugen. Es gehort zum Konzept desLegionarspfads, das moderne Win­disch nicht zu verdrangen. Weder solIer Flucht in die Vergangenheit nochFunpark sein.

NACH EINEM ABSTECHER in diemannshohe unterirdische Kanalisati­on, einer technischen Meisterleistungaus romischer Zeit, gelangen wir zuden Fundamenten des Nordtors, einemKuriosum: Gleich hinter dem Tor fUhrtein steiler Abhang zur Aare hinunter.Das Tor ist also eigentlich sinnlos. Weil

aber jedes romische Lager vier Tore ha­ben musste, sind auch in Vindonissavier gebaut worden, "Militar eben...",sagt Pauli. Immerhin lasst sich die stra­tegische Lage des Lagers beim Blicknach Norden am besten begreifen: Vin­donissa, am Zusammenfluss von Aare,Reuss und Limmat errichtet, lag an derAufmarschroute der romischen Legi­onen zur Rheingrenze und nach Ger­manien. Gleichzeitig musste die Klusals feindliches Einfallstor aus dem Nor­den uberwacht werden.

WAS HIER BEWACHT und verteidigtwurde, war auch ein Lebensstil, wieihn die "Barbaren" weiter nordlichnicht kannten. Auf dem Gelande desheutigen Friedhofs von Windisch sinddie uberdachten Reste der ehemaligenTherme zu sehen. Hier traf man sichhaufig vor dem Abendessen. Der Be­such der Therme konnte sich zu einemmehrstundigen Vergnugen auswach­sen, bei dem man abwechselnd in Be­cken mit kaltem, warmem und heigemWasser planschte, sich massieren undeinolen lieg, sich einer Ganzkorper­enthaarung unterzog. "Kaiser Augus­tus solI sich die Korperhaare mit glu­henden Baumnussschalen abgesengthaben", erzahlt Pauli.

Ahnlich aufwendig W1e die Reini­gungsrituale: das Essen. Auf dem Bo­den einer heute unterirdischen Offi­zi~rskuche, die Pauli vor Jahren selbstausgegraben hat, fanden die Archaolo­gen Reste von Mittelmeerfischen, Aus­tern, Singvogeln, Tauben, Enten, Gan­sen, Hirschen, Wildschweinen, Oliven,Feigen. So brachten die Eroberer den

"Roman way of life" in den Norden, denLuxus, die Behaglichkeit. Sie fUhrtendie Schrift ein, die lateinische Sprache,die Administration, die Badekultur,unbekannte kulinarische Genusse.Dnd sie boten den Einheimischen dieMoglichkeit, im Milirar Karriere zumachen. Das war fUr die Integrationder eroberten Volker wichtig, denn sieerlaubte der hiesigen Elite - in diesemFall den Helvetiern - den sozialen Auf­stieg in die romische Gesellschaft.

DURCH EIN MODERNES Einfamilien­hausquartier gelangen wir schliemichzurUck zu den Contubernia und treffendort schon eine nachste Schulklasse an,Gymnasiasten diesmal, die gekommensind, ihren Lateinkenntnissen Lebeneinzuhauchen. Sie konnten das auf gro­ger Buhne tun: im Amphitheater, dembekanntesten antiken Bauwerk von Vin­donissa, wenige Gehminuten von der

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Porta Praetoria, Station VII des Legionarspfads. Familie Gerber-jaggi aus Hilterfingen BEmarschiert neben einer Gruppe von romischen Geistersoldaten

Klosterscheune emfernt. Verglichen mit

dem Kolosseum in Rom ist dieses Thea­

ter zwar klein, fasste aber immerhin

8000 Zuschauer. Dnd die grausamen

Darbietungen, wie sie rur die Romer ty­

pisch waren, wurden hier vermutlich

nicht weniger bejubelt als in der Haupt­

stadt. Stillliegt das begrume -Maueroval

nun da, beschattet von hohen Pappeln.

Nur wenn man die Augen schlieEt,

glaubt man noch etwas vom frene­

tischen Jubel zu horen, der die Arena

einst ruUte. Oder ist es der Zug, der in

der Nahe vorbeibraust? 0

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DAS VINDONISSA-MUSEUMDer Besuch des modernisierten Museums in Brugg ist empfehlenswert, weil

dart die Originalfunde prasentiert werden, die seit tiber einem Jahrhundert in

Vindonissa ausgegraben worden sind. Waffen, Mtinzen, Becher oder handy­

groBe Schreibtafeln, mit denen sich die Legionare Kurznachrichten schickten.

Erst diese Originalstlicke aus dem militarischen und zivilen Alltag erwecken

die toten Ruinen zum Leben, schaffen Zusammenhange und Einsichten.

Das Highlight der Ausstellung: Ein mit neuester Computertechnik dreidimen­

sional "gedrucktes" Modell des Lagers und seiner Umgebung. Hier wird

einem die Ausdehnung des einzigen Legionslagers in der Schweiz bewusst.

www.ag.ch/vindonissa

DER LEGIONARSPFADOffnungszeiten: 1. April bis 31. Oktober

Anreise: Ab SBB Bahnhof Brugg zehn Gehminuten wm Start

Start/Ziel: Klosterscheune im Areal des Klosters Konigsfelden in Windisch

Reservationen fUr Ubernachtungen, Gruppen und Schulklassen: _Tel. 056/444 27 77; [email protected]; www.legionaerspfad.ch

www.legioxLch