Mit Harleys durch China - breitenfelde-chapter.de Morgenpost 22.11... · Mit Harleys durch China 17...

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R 4  |   REISE   SONNTAG, 22. NOVEMBER 2015 | BERLINER MORGENPOST Eine willkommene Pause vor einem Tempel am Kaiserkanal X VON DAGMAR GEHM Nächtelang hat er geschraubt und gelackt, sechs Wochen lang, 150 Arbeitsstunden insge- samt. Unbedingt sollte es fertig sein am Tag der Verschiffung vom Hamburger Hafen nach Shanghai. Sein Baby – ein Unikat. Eine 69er- Harley-Davidson, Modell Early Shovelhead. Vom rot-silbernen Zirkuspferd, das Björn An- dersson mal einem Kunden abgekauft hat, mu- tiert zum Hingucker im olivgrünen Mao-Look. Mit aufgemalter Sollstrecke Breitenfelde– Shanghai–Peking auf dem Tank, in Rot. Später angereichert mit Unterschriften chinesischer Road Captains und Dealer – autorisierte Har- ley-Händler so wie er, um den sich vor 23 Jah- ren das Breitenfelde Chapter formierte. Unter- wegs mit Kutte und Kultkraftrad. Auf Hochglanz gebracht sind auch die übri- gen Bikes, mit denen das Breitenfelde Chapter durch China tourt; 17 Personen auf 13 Harleys, inklusive vier Sozias und zwei befreundeten Bikern aus Bamberg. Weltweit als erstes Har- ley-Davidson Chapter zu Gast in China. Ein Pionierprojekt, durchgeführt von China Tours, seit Jahren auch als Organisator der Oldtimer-Rallye Hamburg–Shanghai im Ein- satz. „Undenkbar!“, hatte Liu Guosheng, Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Spezialveranstalters, gekontert, als der Activi- ties-Officer des Breitenfelde Chapters, Rudi Kentzler, mit dem Vorschlag einer Motorrad- tour durch das Reich der Mitte an ihn heran- trat. Nach harter Überzeugungsarbeit durch den Biker ließ sich Liu schließlich doch auf das Abenteuer unter dem blumigen Namen „East Coast Blues“ ein. Die eigenen Motorräder werden von Hamburg nach Shanghai verschifft Der Ideengeber fuhr schon mal vor, checkte per Pkw die gesamte Route ab, sah sich Top- hotels an, sprach mit Verantwortlichen chine- sischer Chapter. „Der Knackpunkt“, so Kentz- ler, der auf der Tour auch die Funktion des Chapter-Road-Captains übernimmt, „waren die vielen behördlichen Bestimmungen. Und dass es in China keine Harleys zu leihen gibt, sondern die eigenen von Hamburg aus ver- schifft werden müssen. Chinesischer Führer- schein, chinesische Kennzeichen, chinesische Haftpflicht. Zwei Tage Behördenkram in Shanghai, bevor wir richtig loslegen können.“ Den Führerschein bestehen sie alle. Wun- dersamerweise trotz erwiesener Farbblindheit eines Teilnehmers, vielleicht, weil sie ohnehin keine große Rolle spielt, denn rote Ampeln werden von den Einheimischen generell igno- riert. Die chinesischen Kennzeichen erhalten die Fahrer nur als Dokument. Auf die Ziffern 007 endet es bei Björn, dem Bastler. Dem Mo- tormagier, in den die Teilnehmer ihr ganzes Vertrauen setzen. Der nachts als Heinzelmann den Ölstand eines jeden Bikes überprüft, abge- fahrene Bremsbeläge erkennt und mit Zauber- händen antriebslose „Mopeds“, wie die Fahrer ihre schweren Maschinen in ironischem Un- derstatement bezeichnen, reanimiert. Mit einer Operation am offenen Herzen hilft er dem erschlafften Gespann des chinesischen Road Captains Frank Zhu wieder auf die Sprünge und weiß sich natürlich auch zu hel- fen, als ein Nagel die Luft aus seinem eigenen Hinterreifen treibt. Ausgerechnet kurz vor der Großen Mauer, die von den Übrigen schon be- stiegen wird, auf der Mike Güntner wohl an die zehn Mal den Handstand probt, bis das Foto alle im Kasten haben. Nur zwei Harleys verrecken total auf der Strecke, zum Glück erst zwei Tage vor dem Ziel. Zu teuer wären die Ersatzteile in China, zu lang der Weg von Europa. Zwei Begleitfahr- zeuge befördern die fließend Deutsch spre- chende Reiseleiterin Celine Hu, das Gepäck der Teilnehmer, mitunter auch frierende So- zias und Fahrer ohne Bike. Als älteste Teilnehmerin mit 73 Jahren überlässt Christa Nehry ihre tiefergelegte Sport- ster öfter mal ihrem Mann Uwe, 72, dessen Fat Boy in den serpentinenrei- chen Bergen kurz vor Schluss die Puste ausgegangen ist. Christa, die älteste und kleinste. Ge- feiert wie ein Filmstar, wenn sich ihr Silberhaar aus dem Helm schält. „Ma- ma!“, rufen die chinesischen Biker be- geistert, und alle, alle wollen ein Selfie mit ihr. Eine teure Harley ist für den wachsenden Teil wohlhabender Chine- sen eher ein Prestigesymbol als ein Lebensgefühl. Nichtsdestotrotz fühlen sie sich den deutschen Bikern herzlich verbunden – generationsübergreifend. Einen triumphalen Einzug in die Städ- te feiern auch die übrigen Biker, geleitet von den jeweiligen Chaptern, unter Sire- nengeheul, mit wehenden Fahnen; in An- yang, Heimatstadt von Liu Guosheng, eskortiert sogar von einer großen Polizei- staffel. Lahmgelegt die gesamte Fünfmil- lionenmetropole von rund 500 Beamten am Straßenrand. Großes Kino! Mehrfach wird für die Gladiatoren aus Ger- many das Auge des Gesetzes zugedrückt. Fahr- bahnen in Tunnels werden freigegeben und so- gar die Autobahn, die ansonsten für Motorrä- der gesperrt ist. Mit riesigen Motorradhelmen und sämtlichen Insignien ihrer Zugehörigkeit auf Jacken und Kutten (Westen), mit wehen- den Wimpeln des Breitenfelde Chapters und der Deutschlandfahne am Heck, bewegt sich die röhrende Karawane durch Megametropo- len wie Shanghai und Peking. Für einen Mo- ment erweckt sie stille Dörfer, umgeben von Reisfeldern, wo Maiskolben auf den Gehwegen trocknen und alte Männer erstaunt von ihrem Majong-Brettspiel aufblicken. Sie donnert über endlose Highways, schlängelt sich durch schlaglochreiche Bergstraßen und quält sich durch ausgetrocknete Flussbetten. Diszipliniert versucht der Konvoi, die For- mation einzuhalten – immer schön versetzt in Zweierreihe. Trotzdem müssen die Fahrer höl- lisch aufpassen, dass nicht plötzlich ein Stra- ßenfeger mit Reisigbesen über die Fahrbahn schlappt, Dreiräder ohne Vorwarnung den Weg kreuzen, eine Ziege in die Räder grätscht oder ihre Bikes von Lkw oder Panzern in die Zange genommen werden. Von Verkehrsregeln ganz zu schweigen. Rechts überholen sie alle, farbenblind ist neben dem Deutschen offenbar ganz China. Irgendwann geben auch die Germanen ihre Korrektheit auf, denn Flensburg liegt gottlob am anderen Ende der Welt, und gewöhnen sich auch an die schwankenden Gebilde, die es zu passieren gilt – Lastwagen mit Türmen nur notdürftig gesicherter Küchenstühle, quieken- der Schweine oder großer Steinbrocken. Da hilft nur noch, den Kopf einzuziehen und zu beten, dass der Helm hält. Der Stimmungspe- gel bleibt immer oben, selbst, als auf eine Splittergruppe gewartet werden muss. Peter legt den Chapter-Song „Hol die Kutte aus dem Schrank“ auf, in Anlehnung an Kris Kristoffer- sons Song „Help Me Make It Through The Night“, interpretiert mit rauchiger Stimme von Sönke Ellerbrock. Mike spielt Luftbass, An- dreas Luftgitarre, Rudi rockt. Der Rest tanzt. Mitten auf der G 312. Der Highway dröhnt, China staunt. Den Brautpaaren vor den beiden Kirchen in der ehemals deutschen Kolonie Qingdao, die traditionell schon einige Tage vor der Hoch- zeit, von Stylisten aufgehübscht, für Fotos posieren, stehlen die Biker die Show. Doch die Verliebten nehmen es nicht übel, sondern wol- len unbedingt ein Bild von sich auf einer Har- ley. Küssend. Am liebsten neben einem von dieser deutschen Invasion, die trotz dröhnender Geschütze und schwerer Leder- kluft in friedlicher Gesinnung Einzug in ihre aufgeräumte Stadt gehalten hat. Begeisterte Begrüßung überall. Emotionale Meilensteine am langen Weg der Begegnung. Empfänge auch ganz offiziell, wie die Grußnote, die Pan Hua von der Hamburger Landesvertretung in Shanghai an die Tourteilnehmer richtet – im „Hamburg Haus“, wo zierliche Chinesinnen in Dirndl servieren und die einheimischen Gäste am liebsten Schweinshaxe bestellen. Erinnerungen an die farbenfrohen Tänze vor dem Konfuzius-Tempel Mehrere Besichtigungen wurden schlicht nicht geschafft. Wegen Unabwägbarkeiten im Stra- ßenverkehr oder wegen ausgedehnt herzlicher Empfänge. Den eng getakteten Zeitplan des Pilotprojekts will Liu Guosheng das nächste Mal entzerren: „Wir haben jetzt erste Erfah- rungen gesammelt und werden künftige Biker- Touren optimieren. Auf jeden Fall wurde dem ersten ausländischen Harley-Chapter China näherge- bracht als normalen Touristen.“ Geblieben sind fliegende Breit- wandpanoramen von eindrucksvol- len Landschaften und rasant wach- senden Wäldern aus Hochhäusern. Verschwommen bleibt die Erinne- rung an deutsch-chinesische Feiern unter zahllosen „Gampei“-Rufen – dem Schlachtruf, „auf ex“ zu trinken, ob Bier oder Reisschnaps. Für immer eingescannt sind die farbenfrohen Tänze vor dem Konfuzius-Tempel in Qufu, der fühlbare Kontrast nach dem Dröhnen der Motoren in den stillen Gärten von Suzhou, der heilige Berg Tai Shan, dessen Gipfel auf 1545 Meter durch 7200 Stufen zu erreichen ist. 100 Jahre alt werden sollen jene, die den Aufstieg schaffen. Doch nur Axel Schnei- der, der Chapter-Präsident, und Björn Andersson, der Dealer, haben es zumin- dest bis zum zweiten Tor geschafft, wo sie zwischen all den betenden Pilgern die Breitenfelder Chapter-Fahne ausbreiteten. Ein bisschen Segen kann bekanntlich nie schaden. Im Hafen von Tianjin, wo die Bikes wieder nach Hamburg verschifft werden, haben die Fahrer schließlich 3358 Kilometer auf dem Ta- cho. Eine Glückszahl. Die Ziffer 3 heißt Leben, 5 heißt ich, 8 bedeutet Glück. Lebenslang be- gleitet mich das Glück. Davon sind die Nord- deutschen überzeugt. Björn, der Schrauber aus Leidenschaft, Rudi, der Wegbereiter, Christa, die toughe Lady am Lenker, und all die ande- ren. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Konfuzius. Selten hat der Spruch so gestimmt wie auf die- ser Reise, wo ihre Räder Tausende von Kilo- metern Asphalt radiert haben und ganz China vor ihnen zu liegen schien. Die Reise der Autorin erfolgte mit Unterstützung von China Tours. Mit Harleys durch China 17 Motorradfreunde aus Deutschland fuhren als Pionierprojekt mit Kutten und 13 Maschinen 3358 Kilometer im Reich der Mitte – von Shanghai bis Peking Tipps & Informationen Veranstalter China Tours Hamburg GmbH, www.chinatours.de, Tel. 040/81 97 380. Reiseroute East Coast Blues, von Shanghai über Yangzhou, Lianyungang, Quingdao, Qufu, Tai’an, Anyang, Shijiazhuang nach Peking. Termine Für 2016 sind zwei Reisen geplant. Vom 25. Juli bis 9. August für 5990 Euro und vom 10. bis 25. Oktober für 6500 Euro. Im Preis für die 16-tägige Tour enthalten sind der Transport der Motorräder, Organisation aller Genehmigungen, chinesischer Führerschein und Nummernschild, Übernachtungen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels mit Halbpension, Eintrittsgelder, deutschsprachige Reiseleitung, Straßenmaut und Parkgebühren. Benghu Huainan Hefei Nanjing Wunu Hangzhou Jiaxing Ningbo Linhai Changzhou Wuxi Suzhou Enshi Jingdezhen Yichang Weinan n Dandong Yingkou Jinzhou Tangshan Zhangjiakou Dalian Hohhot Baotou Pingdingshan Zaozhuang Jinan Zibo Tai’an Tsingtau Yantai Tianjin Baoding Datong Shijiazhuang Yangquan Handan Anyang Xinxiang Xuzhou Taiyuan Linfen Jiaozuo Luoyang Wuhan Zhengzhou Kaifeng Dengfeng Sanmenxia Bo Hai 200 km J a n g t s e Gelber F lu ß Pazifik Shanghai Peking CHINA Grafik: fh CHINA Suzhou Yangzhou Lianyungang Qingdao Qufu Anyang Shijiazhuang Tianjin Tianjin Tai Shan (1545 m) In der ehemaligen deutschen Kolonie Qingdao stehlen die Biker diesem Brautpaar fast die Show DAGMAR GEHM (3) Die kurvenreiche Fahrt durch das Taihan-Shan-Gebirge sorgt bei den Motorradfahrern für Glücksgefühle

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R  4    |     REISE     SONNTAG,  22.  NOVEMBER  2015  |  BERLINER  MORGENPOST

Eine willkommenePause vor einem

Tempel am Kaiserkanal

X VON DAGMAR GEHM

Nächtelang hat er geschraubt und gelackt,sechs Wochen lang, 150 Arbeitsstunden insge-samt. Unbedingt sollte es fertig sein am Tagder Verschiffung vom Hamburger Hafen nachShanghai. Sein Baby – ein Unikat. Eine 69er-Harley-Davidson, Modell Early Shovelhead.Vom rot-silbernen Zirkuspferd, das Björn An-dersson mal einem Kunden abgekauft hat, mu-tiert zum Hingucker im olivgrünen Mao-Look.Mit aufgemalter Sollstrecke Breitenfelde–Shanghai–Peking auf dem Tank, in Rot. Späterangereichert mit Unterschriften chinesischerRoad Captains und Dealer – autorisierte Har-ley-Händler so wie er, um den sich vor 23 Jah-ren das Breitenfelde Chapter formierte. Unter-wegs mit Kutte und Kultkraftrad.

Auf Hochglanz gebracht sind auch die übri-gen Bikes, mit denen das Breitenfelde Chapterdurch China tourt; 17 Personen auf 13 Harleys,inklusive vier Sozias und zwei befreundetenBikern aus Bamberg. Weltweit als erstes Har-ley-Davidson Chapter zu Gast in China.

Ein Pionierprojekt, durchgeführt von ChinaTours, seit Jahren auch als Organisator derOldtimer-Rallye Hamburg–Shanghai im Ein-satz. „Undenkbar!“, hatte Liu Guosheng,Gründer und Geschäftsführer des HamburgerSpezialveranstalters, gekontert, als der Activi-ties-Officer des Breitenfelde Chapters, RudiKentzler, mit dem Vorschlag einer Motorrad-tour durch das Reich der Mitte an ihn heran-trat. Nach harter Überzeugungsarbeit durchden Biker ließ sich Liu schließlich doch auf dasAbenteuer unter dem blumigen Namen „EastCoast Blues“ ein.

Die eigenen Motorräder werden von Hamburg nach Shanghai verschifftDer Ideengeber fuhr schon mal vor, checkteper Pkw die gesamte Route ab, sah sich Top-hotels an, sprach mit Verantwortlichen chine-sischer Chapter. „Der Knackpunkt“, so Kentz-ler, der auf der Tour auch die Funktion desChapter-Road-Captains übernimmt, „warendie vielen behördlichen Bestimmungen. Unddass es in China keine Harleys zu leihen gibt,sondern die eigenen von Hamburg aus ver-schifft werden müssen. Chinesischer Führer-schein, chinesische Kennzeichen, chinesischeHaftpflicht. Zwei Tage Behördenkram inShanghai, bevor wir richtig loslegen können.“

Den Führerschein bestehen sie alle. Wun-dersamerweise trotz erwiesener Farbblindheiteines Teilnehmers, vielleicht, weil sie ohnehinkeine große Rolle spielt, denn rote Ampelnwerden von den Einheimischen generell igno-riert. Die chinesischen Kennzeichen erhaltendie Fahrer nur als Dokument. Auf die Ziffern007 endet es bei Björn, dem Bastler. Dem Mo-tormagier, in den die Teilnehmer ihr ganzesVertrauen setzen. Der nachts als Heinzelmannden Ölstand eines jeden Bikes überprüft, abge-fahrene Bremsbeläge erkennt und mit Zauber-händen antriebslose „Mopeds“, wie die Fahrer

ihre schweren Maschinen in ironischem Un-derstatement bezeichnen, reanimiert. Miteiner Operation am offenen Herzen hilft erdem erschlafften Gespann des chinesischenRoad Captains Frank Zhu wieder auf dieSprünge und weiß sich natürlich auch zu hel-fen, als ein Nagel die Luft aus seinem eigenenHinterreifen treibt. Ausgerechnet kurz vor derGroßen Mauer, die von den Übrigen schon be-stiegen wird, auf der Mike Güntner wohl andie zehn Mal den Handstand probt, bis dasFoto alle im Kasten haben.

Nur zwei Harleys verrecken total auf derStrecke, zum Glück erst zwei Tage vor demZiel. Zu teuer wären die Ersatzteile in China,zu lang der Weg von Europa. Zwei Begleitfahr-zeuge befördern die fließend Deutsch spre-chende Reiseleiterin Celine Hu, das Gepäckder Teilnehmer, mitunter auch frierende So-zias und Fahrer ohne Bike. Als ältesteTeilnehmerin mit 73 Jahren überlässtChrista Nehry ihre tiefergelegte Sport-ster öfter mal ihrem Mann Uwe, 72,dessen Fat Boy in den serpentinenrei-chen Bergen kurz vor Schluss die Pusteausgegangen ist.

Christa, die älteste und kleinste. Ge-feiert wie ein Filmstar, wenn sich ihrSilberhaar aus dem Helm schält. „Ma-ma!“, rufen die chinesischen Biker be-geistert, und alle, alle wollen ein Selfiemit ihr. Eine teure Harley ist für denwachsenden Teil wohlhabender Chine-sen eher ein Prestigesymbol als einLebensgefühl. Nichtsdestotrotz fühlensie sich den deutschen Bikern herzlichverbunden – generationsübergreifend.

Einen triumphalen Einzug in die Städ-te feiern auch die übrigen Biker, geleitetvon den jeweiligen Chaptern, unter Sire-nengeheul, mit wehenden Fahnen; in An-yang, Heimatstadt von Liu Guosheng,eskortiert sogar von einer großen Polizei-staffel. Lahmgelegt die gesamte Fünfmil-lionenmetropole von rund 500 Beamten amStraßenrand. Großes Kino!

Mehrfach wird für die Gladiatoren aus Ger-many das Auge des Gesetzes zugedrückt. Fahr-bahnen in Tunnels werden freigegeben und so-gar die Autobahn, die ansonsten für Motorrä-der gesperrt ist. Mit riesigen Motorradhelmenund sämtlichen Insignien ihrer Zugehörigkeitauf Jacken und Kutten (Westen), mit wehen-den Wimpeln des Breitenfelde Chapters undder Deutschlandfahne am Heck, bewegt sichdie röhrende Karawane durch Megametropo-len wie Shanghai und Peking. Für einen Mo-ment erweckt sie stille Dörfer, umgeben vonReisfeldern, wo Maiskolben auf den Gehwegentrocknen und alte Männer erstaunt von ihremMajong-Brettspiel aufblicken. Sie donnert überendlose Highways, schlängelt sich durchschlaglochreiche Bergstraßen und quält sichdurch ausgetrocknete Flussbetten.

Diszipliniert versucht der Konvoi, die For-mation einzuhalten – immer schön versetzt in

Zweierreihe. Trotzdem müssen die Fahrer höl-lisch aufpassen, dass nicht plötzlich ein Stra-ßenfeger mit Reisigbesen über die Fahrbahnschlappt, Dreiräder ohne Vorwarnung denWeg kreuzen, eine Ziege in die Räder grätschtoder ihre Bikes von Lkw oder Panzern in dieZange genommen werden. Von Verkehrsregelnganz zu schweigen. Rechts überholen sie alle,farbenblind ist neben dem Deutschen offenbarganz China.

Irgendwann geben auch die Germanen ihreKorrektheit auf, denn Flensburg liegt gottlobam anderen Ende der Welt, und gewöhnensich auch an die schwankenden Gebilde, die eszu passieren gilt – Lastwagen mit Türmen nurnotdürftig gesicherter Küchenstühle, quieken-der Schweine oder großer Steinbrocken. Dahilft nur noch, den Kopf einzuziehen und zu

beten, dass der Helm hält. Der Stimmungspe-gel bleibt immer oben, selbst, als auf eineSplittergruppe gewartet werden muss. Peterlegt den Chapter-Song „Hol die Kutte aus demSchrank“ auf, in Anlehnung an Kris Kristoffer-sons Song „Help Me Make It Through TheNight“, interpretiert mit rauchiger Stimme vonSönke Ellerbrock. Mike spielt Luftbass, An-dreas Luftgitarre, Rudi rockt. Der Rest tanzt.Mitten auf der G 312. Der Highway dröhnt,China staunt.

Den Brautpaaren vor den beiden Kirchen inder ehemals deutschen Kolonie Qingdao, dietraditionell schon einige Tage vor der Hoch-zeit, von Stylisten aufgehübscht, für Fotosposieren, stehlen die Biker die Show. Doch dieVerliebten nehmen es nicht übel, sondern wol-len unbedingt ein Bild von sich auf einer Har-ley. Küssend. Am liebsten neben einem von

dieser deutschen Invasion, die trotz

dröhnender Geschütze und schwerer Leder-kluft in friedlicher Gesinnung Einzug in ihreaufgeräumte Stadt gehalten hat. BegeisterteBegrüßung überall. Emotionale Meilensteineam langen Weg der Begegnung. Empfängeauch ganz offiziell, wie die Grußnote, die PanHua von der Hamburger Landesvertretung inShanghai an die Tourteilnehmer richtet – im„Hamburg Haus“, wo zierliche Chinesinnen inDirndl servieren und die einheimischen Gästeam liebsten Schweinshaxe bestellen.

Erinnerungen an die farbenfrohen Tänze vor dem Konfuzius-TempelMehrere Besichtigungen wurden schlicht nichtgeschafft. Wegen Unabwägbarkeiten im Stra-ßenverkehr oder wegen ausgedehnt herzlicherEmpfänge. Den eng getakteten Zeitplan desPilotprojekts will Liu Guosheng das nächsteMal entzerren: „Wir haben jetzt erste Erfah-rungen gesammelt und werden künftige Biker-

Touren optimieren. Auf jeden Fallwurde dem ersten ausländischenHarley-Chapter China näherge-bracht als normalen Touristen.“

Geblieben sind fliegende Breit-wandpanoramen von eindrucksvol-len Landschaften und rasant wach-senden Wäldern aus Hochhäusern.Verschwommen bleibt die Erinne-rung an deutsch-chinesische Feiernunter zahllosen „Gampei“-Rufen –dem Schlachtruf, „auf ex“ zu trinken,ob Bier oder Reisschnaps. Für immereingescannt sind die farbenfrohenTänze vor dem Konfuzius-Tempel inQufu, der fühlbare Kontrast nach demDröhnen der Motoren in den stillenGärten von Suzhou, der heilige Berg TaiShan, dessen Gipfel auf 1545 Meterdurch 7200 Stufen zu erreichen ist. 100Jahre alt werden sollen jene, die denAufstieg schaffen. Doch nur Axel Schnei-der, der Chapter-Präsident, und BjörnAndersson, der Dealer, haben es zumin-dest bis zum zweiten Tor geschafft, wo

sie zwischen all den betenden Pilgern dieBreitenfelder Chapter-Fahne ausbreiteten. Einbisschen Segen kann bekanntlich nie schaden.

Im Hafen von Tianjin, wo die Bikes wiedernach Hamburg verschifft werden, haben dieFahrer schließlich 3358 Kilometer auf dem Ta-cho. Eine Glückszahl. Die Ziffer 3 heißt Leben,5 heißt ich, 8 bedeutet Glück. Lebenslang be-gleitet mich das Glück. Davon sind die Nord-deutschen überzeugt. Björn, der Schrauber ausLeidenschaft, Rudi, der Wegbereiter, Christa,die toughe Lady am Lenker, und all die ande-ren. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Konfuzius.Selten hat der Spruch so gestimmt wie auf die-ser Reise, wo ihre Räder Tausende von Kilo-metern Asphalt radiert haben und ganz Chinavor ihnen zu liegen schien.

Die Reise der Autorin erfolgte mit Unterstützung von China Tours.

Mit Harleys durch China17 Motorradfreunde aus Deutschland fuhren als Pionierprojekt mit Kuttenund 13 Maschinen 3358 Kilometer im Reich der Mitte – von Shanghai bis Peking

Tipps & InformationenVeranstalter China Tours Hamburg GmbH, www.chinatours.de, Tel. 040/81 97 380.

Reiseroute East Coast Blues, von Shanghai über Yangzhou, Lianyungang, Quingdao, Qufu, Tai’an, Anyang, Shijiazhuang nach Peking.

Termine Für 2016 sind zwei Reisen geplant. Vom 25. Juli bis 9. August für 5990 Euro und vom 10. bis 25. Oktober für 6500 Euro. Im Preis für die 16-tägige Tour enthalten sind der Transport der Motorräder, Organisation aller Genehmigungen, chinesischer Führerschein und Nummernschild, Übernachtungen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels mit Halbpension, Eintrittsgelder, deutschsprachige Reiseleitung, Straßenmaut und Parkgebühren.

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Yangzhou

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Qingdao

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Anyang

Shijiazhuang

TianjinTianjin

Tai Shan(1545 m)

In der ehemaligen deutschen Kolonie Qingdao stehlen die

Biker diesem Brautpaar fast die Show DAGMAR GEHM (3) Die kurvenreiche Fahrt durch das Taihan-Shan-Gebirge sorgt bei den Motorradfahrern für Glücksgefühle