Mit Klassikern leben - Patricia ParinejadMit Klassikern leben Gehaltvoll Der lange Flur wird als...

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1/15 A&W 77 76 A&W 1/15 Bitte keine Berührungsängste! Ulrich Fiedler und Katharina Evers handeln seit fast 30 Jahren mit Designraritäten. Ihre Beletage in Berlin-Charlottenburg ist Apartment und Galerie zugleich. Hier stellen sie die kostbaren Möbel nicht nur aus, sondern leben damit. Kein Wunder, dass ihre Kunden immer auch Gäste sind. TEXT Camilla Péus FOTOS Patricia Parinejad Mit Klassikern leben Gehaltvoll Der lange Flur wird als Bibliothek genutzt. Die vorspringenden Regale kaschieren die von Kamin- schächten zerklüftete Wand. Linke Seite: Ulrich Fiedler und Katharina Evers im großen Schauraum ihrer Beletage. Der Galerist hat auf einem roten Sessel von Gerrit Rietveld von 1923 Platz genommen. Das rare Stück gehört zu den kost- barsten in seinem Portfolio.

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Bitte keine Berührungsängste! Ulrich Fiedler und Katharina Evers handeln seit fast 30 Jahren mit Designraritäten.Ihre Beletage in Berlin-Charlottenburg ist Apartment und Galerie zugleich. Hier stellen sie die kostbaren Möbel nicht nur aus, sondern leben damit. Kein Wunder, dass ihre Kunden immer auch Gäste sind.

TEXT Camilla Péus

FOTOS Patricia Parinejad

Mit Klassikern leben

Gehaltvoll Der lange Flurwird als Bibliothek genutzt.Die vorspringenden Regalekaschieren die von Kamin-

schächten zerklüftete Wand.Linke Seite: Ulrich Fiedler

und Katharina Evers imgroßen Schauraum ihrer

Beletage. Der Galerist hatauf einem roten Sessel von

Gerrit Rietveld von 1923Platz genommen. Das rareStück gehört zu den kost-

barsten in seinem Portfolio.

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Zeitlos Die Liege „B306“, entworfen 1929 von Le Corbusier, PierreJeanneret, Charlotte Perriand, trägt den originalen Eisengarnbezug.

Spielerisch Das Objekt mit Spiegel von Thomas Grünfeld greift dieForm der Seychellennuss auf dem Tisch von Donald Judd auf.

Naturnah Im kleinen Salon korrespondiert das Baumstammmotivauf dem Foto mit der Form der Keramikvasen von Andrea Branzi.

Bewacht Ein Frauenporträt von Valérie Belin hängt über dem Bett,das von Kunststoffleuchten von Ferruccio Laviani flankiert wird.

Fröhlich Das „BerlinerZimmer“ dient als Salon –

und als Bühne für Entwürfedes Briten Jasper Morri-

son. Das gestreifte Daybedin Signalfarben ist ein

Prototyp, den er extra füreine Schau der Galerie fer-tigte. Auch das Sideboard

und die Vasen sind vonihm, die Stehleuchten

Klassiker von Gino Sarfattiund Achille Castiglioni

(neben der Kommode).

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Kontrastreich Die Leuchte„Aim“ der Brüder Ronanund Erwan Bouroullecschwebt wie ein Flugobjektaus der Zukunft über der20 Jahre alten Designer -küche und dem quietsch-gelben Esstisch, den Miesvan der Rohe 1935 ersann.Wenn Ulrich Fiedler für viele Gäste kocht, wird derTisch durch zwei passendeSideboards ergänzt und sozur großen Tafel erweitert.

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Gestreckt Vom Flur aus blickt man an Küche und Essplatz vorbeibis ins Arbeitszimmer mit der Kugelleuchte von Josef Zotti.

Museumsreif Betont reduziert werden die Objekte im Schauraumpräsentiert, etwa der Eisensessel von Karl Friedrich Schinkel.

in Blick in die Kugelleuchte auspoliertem Metall an der Decke ge-nügt – und schon weiß Ulrich

Fiedler, ob seine Frau hinter der Wandim Nebenzimmer am Laptop arbeitetoder einen Espresso trinkt. Es ist genauder Effekt, den Josef Zotti erzielen woll-te, als er die Lampe in den späten1920ern für das „Café Museum“ in Wienentwarf. „Dort brauchten sich die Gästeam Tisch nicht mal umzudrehen, um zusehen, wer zur Tür hereinkam“, sagt Ul-rich Fiedler. Seinen Besuchern öffnet derGalerist allerdings persönlich die Tür,von Angesicht zu Angesicht. In der Ju-gendstilvilla in Berlin-Charlottenburg,in der er und seine Frau Katharina Evers2013 die Beletage bezogen, gehen Schau-und Wohnräume auf 280 Quadratme-tern fast nahtlos ineinander über. Jenachdem, wo die Designexperten ihreGäste hinnavigieren, landen sie im Ess-zimmer oder in einem Altbausaal mitsparsam verteilten Meisterwerken derMöbelkultur des 20. Jahrhunderts.

„Es war eine gute Entscheidung, Ga-lerie und Wohnen zu kombinieren“, sagt

der Hausherr. „Die meisten Kunden blei-ben viel länger als geplant. Außerdemmacht es Freude, mit den Stücken zu le-ben, statt sie nach einer Ausstellung wie-der im Lager verschwinden zu lassen.“

Seit 1986 betreiben er und seine Fraudie „Galerie Ulrich Fiedler“ für heraus-ragende Designentwürfe der Moderne,erst in Köln, seit 2008 in Berlin, undlängst ist ihr Haus eine Institution mitinternationalem Ruf. Am meisten inter-essieren sie „frühe Originale in ihrer ur-sprünglichen Form“, wie Ulrich Fiedlersagt. Er streicht über den patinierten Lederbezug eines Stuhls, den Henry vande Velde, Mitbegründer des DeutschenWerkbunds, 1904 entwarf. „Der stehtrichtig schön ,dans son jus‘ – in seinemSaft“, schwärmt der Experte. Ein StückLeder zu restaurieren oder zu ersetzen,die rissige Farbe an den Stuhlbeinen auf-zufrischen käme für ihn nicht infrage:„Es wird nur behutsam konserviert.“

Um so exquisite Möbel aufzutreiben,verfolgt er detektivisch ihre Wege, kauftaus Privatsammlungen oder von Auktio-nen zurück, was einmal sein Eigen war,

und verkauft es weiter, an Sammler oderMuseen wie das MoMA in New Yorkoder die Pinakothek der Moderne inMünchen. „Wir sind ziemlich solitär inunserem Bereich, weil wir die Ursprün-ge der Moderne suchen; Stücke, die einehistorische Bedeutung haben“, erklärtder Händler und zeigt auf einige Wand-leuchten im Arbeitszimmer: „Das sinddie ersten fokussierbaren Spots der De-signgeschichte, entworfen 1929 ausGlassilberspiegeln von der BauhäuslerinMarianne Brandt. Dass hier und da et-was von der Silberbemalung abgeplatztist, macht sie nur noch schöner.“

Auf Bauhaus-Entwürfe allein kannsich Ulrich Fiedler allerdings nicht mehrkonzentrieren. „Man findet zu wenig,und Prototypen aus den Bauhaus-Werk-stätten ebenso wie andere Schlüsselstü-cke der Moderne kosten ein Vermögen“,sagt Fiedler. Sehr langsam setzt er sichdabei auf einen roten Sessel von GerritRietveld von 1923, den er für 450 000Euro anbietet. „Sobald etwas verkauftwird, muss allerdings schnellstmöglichErsatz her, sonst bekomme ich Panik“,

Persönlich Im Wohnraumversammeln die Bewohner

Objekte von Designern undKünstlern, mit denen sie

Projekte realisierten: Sofaund Regal sind von JasperMorrison, der ihren erstenMessestand entwarf. Der

blaue Tisch ist eine Arbeitvon Donald Judd, der früh

bei Fiedler kaufte. DasSpiegel-Wandobjekt schuf

Thomas Grünfeld, die Steh-leuchte Marcel Wanders.

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Sachlich Unter dem Foto einer Hauswand erscheint auch der Lacktisch von Konstantin Grcic fast wie eine Miniaturarchitektur.

Erholsam Die Liege „Living Center“ von Joe Colombo nutzt dieHausherrin im Sinne des Designers zum Lesen, Essen und Ruhen.

sagt er und verzieht das Gesicht. Deshalbbietet das Galeristenpaar mittlerweileein breiteres Spektrum an – darunterEntwürfe von Schinkel, „weil seine Ar-chitektur Vorbild für Mies und Gropiuswar“, oder günstigere Stücke wie Stühlevon Ferdinand Kramer für 2000 Euro.

„Natürlich gibt es auch Dinge, die wirnicht wieder hergeben“, sagt KatharinaEvers schmunzelnd. „Meine Schreib-tischleuchte von Christian Dell mit demsehr seltenen Rotton zum Beispiel.“Gleiches gilt für den Esstisch in schril-lem Gelbgrün, den Mies van der Rohe1935 für die Firma Wohnsystem ersann.„Kommen mehr als sechs Gäste, schie-ben wir das dazugehörige kurze und lan-ge Sideboard mit dem Tisch zu einemRechteck zusammen.“ Auch die beidenMarcel-Breuer-Schreibtische, die nur bis1932 produziert wurden, gehören zu ih-ren Privatschätzen. Seit Jahrzehnten ar-beitetet das Paar daran, Seite an Seite.

Die gebürtigen Rheinländer lerntensich während des Kunstgeschichtsstudi-ums in Aachen kennen, begannen, mitBauhaus-Stücken zu handeln, und grün-

deten die Galerie. Ihre Eröffnungsschau„mit einem wunderschönen lederbezo-genen ,Wassily‘ von Marcel Breuer imFenster“ wurde restlos ausverkauft. „Inunserer Kölner Zeit hat auch DonaldJudd bei uns gekauft, der ein Atelier inDeutz besaß und bei seiner PartnerinMarianne Stockebrand in Köln wohnte“,erinnert sich der Galerist. „Er kam rein,schaute sich sehr lange um und wolltenicht angesprochen werden, dann setzteer sich und sagte, er interessiere sich fürdies, das und jenes, und es waren mittraumwandlerischer Sicherheit die bes -ten Stücke der Ausstellung.“ Ulrich Fied-ler hat einige dieser Möbel kürzlich aufeiner Reise zu Donald Judds StiftungMarfa in Texas wiederentdeckt.

Den ersten Messestand der Galerieauf der Art Cologne entwarf dann Desi-gner Jasper Morrison bei einem gemein-samen Abendessen spontan auf einemBierdeckel. Das wiederum erklärt diezahlreichen Möbel des Briten im soge-nannten Berliner Zimmer, dem Wohn-salon der Galeristen. Darunter befindetsich eine Modulbank in Signalfarben,

die Morrison extra für seine eigene Aus-stellung in der Galerie entworfen hatte.

Nach Berlin zog es das Ehepaar, weilKöln nach dem Mauerfall an Internatio-nalität eingebüßt hatte und sich Samm-ler und Museumsleute, mit denen sie ge-arbeitet hatten, in der Hauptstadtum sahen. Zuerst lag die Galerie in Mitte,seit gut zwei Jahren nun in der Beletageim „alten Westen“. Weil die Räume eben -so ihr privates Zuhause sind, gestattendie Fiedlers hier auch ZeitgenössischemZugang. Das jüngste Objekt ist die Pen-delleuchte „Aim“ der Brüder Bouroullec,A&W-Designer des Jahres 2013, die sichwie ein Oktopus über den Arbeitsblockder offenen Küche streckt. Sie erhellt dasTerrain des Hobbykochs Ulrich Fiedler,der hier gern und oft Fisch zubereitet.

Jetzt aber entfernt sich der Hausherrdurch eine große Flügeltür in RichtungBüro. „Gleich steckt er sich eine Zigarrean“, sagt Katharina Evers, die offenbarauch ohne den Blick in die Kugelleuchteaus Wien weiß, was ihr Mann gerademacht. Im Nebenzimmer hört man einStreichholz aufflammen. p

Entspannend Dank ihrerSpiralform verteilt die Deckenleuchte „Pirce“ imSchlafzimmer Lichtbögenüber die Wände. Ebensosanft wirken der Rosatonder Fassade auf der Foto-arbeit von Heidi Speckerund die lilafarbene Tages-decke. Für einen Kontrastsorgt der organisch ge-formte Sessel „Embryo“ in Knallrot, ein Entwurf desaustralischen GestaltersMarc Newson von 1988.

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