Mitgedacht! Das Jahr der Wissenschaft 2011 - tu … · Das Jahr der Wissenschaft 2011 Brauche ich...

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Mitgedacht! Das Jahr der Wissenschaſt 2011 Brauche ich das? Euphorie durch Aufstieg Wirtschaft Freiräume durch Häuserkauf Politik Mitbesmmung durch Bürger Kultur Tanzen durch die Kunstgeschichte Heft 8 | Sommer 2011

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Mitgedacht!Das Jahr der Wissenschaft 2011

Brauche ich das?

Euphorie durch Aufstieg

Wirtschaft

Freiräume durch Häuserkauf

Politik

Mitbesti mmung durch Bürger

Kultur

Tanzen durch die Kunstgeschichte

Heft 8 | Sommer 2011

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Seniorenkolleg an der TU Chemnitz: Sommersemester 2011

Wir können nicht alles, aber DeutschDr. Ruth Geier, TU Chemnitz

Von der Opernbühne zur Leiterin der Musikschule in ChemnitzNancy Gibson, Städtische Musikschule Chemnitz

Keine Bewegung ohne Reibung Prof. Dr. Klaus Nendel, TU Chemnitz Demenz und ihre frühzeitige ErkennungDr. Eberhard Jüttner, Vorsitzender Der Paritätische Gesamtverband , Berlin

Ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt – Chancen und RisikenKay Senius, Bundesanstalt für Arbeit, Vorsitzender der Geschäftsführung Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Halle/Sa.

Vorlesungen jeweils 15.30 Uhr, Zentrales Hörsaal- und Seminargebäude, Reichenhainer Str. 90, 09126 Chemnitz, Hörsaal N115Für jede Vorlesung werden auch Tageskarten angeboten.

14.06.2011

21.06.2011

28.06.2011

05.07.2011

12.07.2011

Programmvorschau Seniorenkolleg

„Auf den Spuren Martin Luthers in Wittenberg“

Am 6. Juni reisten 48 Teilnehmer des Seniorenkollegs nach Lutherstadt Wittenberg. Der Aufenthalt begann mit einer Besichtigung des Luther-Melanchthon-Gymnasiums. 1999 er-folgte auf Anregung der Schüler der Umbau des Plattenbauwerkes unter der planerischen Federführung des weltbekannten Wiener Architekten Friedensreich Hundertwasser.

Es folgte die Besichtigung des Luthermuseums. Es wurde ab 1504 ursprünglich als Augustiner-Kloster erbaut. Spä-ter wurde es zum Wohnhaus des Reformators Martin Lu-ther. Heute ist das Lutherhaus das größte reformations-geschichtliche Museum der Welt und steht auf der Liste des UNESCO-Welterbes. Dessen Höhepunkt ist die Lu-therstube, die als einziger Raum historisch erhalten ist.Wir konnten wertvolle Cranach-Gemälde bewundern und viele Schriften aus der Feder Luthers, so auch die erste von ihm übersetzte Bibel. Deren Erfolg wurde durch die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Metalllet-tern möglich. Luther hatte auch seiner Ehefrau Katharina von Boran viel zu verdanken. Es war ihre Wirtschaftsfüh-rung, heute würde man sagen, ihr Management, die ihn zu einem der reichsten Bürger Wittenbergs werden ließ.

Nach einem Mittagessen begaben sich die Exkursionsgruppe auf eine Stadtführung: Stadt-kirche, Cranachhöfe und Schlosskirche waren dabei Höhepunkte. Die gotische Stadt- und Pfarrkirche St. Marien aus dem 14. Jahrhundert bestimmt mit ihrer monumentalen Dop-pelturmfront das Erscheinungsbild der Stadt Wittenberg. Sie ist das älteste Gebäude der Stadt und Predigtkirche Luthers. Der eindrucksvolle Reformationsaltar wurde von Lucas Cranach d. Ä. geschaffen. Den Schluss der Stadtführung bildete die zum Schlossensemble gehörende Schlosskirche, heute Reformationserinnerungskirche mit der berühmten The-sentür und den Grabstellen Luthers und Melanchthons. |Siegfried Bauer

Rathaus Wittenberg mit Lutherdenkmal

Foto: Renate Wolf

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Editorial

Liebe Leser des Journals der Gernerati onen,

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Chemnitz ist in Bewegung. Wie in einer pul-sierenden Großstadt üblich, gibt es Projek-te, die enden, und solche, die neu beginnen: ein traditionsreiches Kinohaus schließt, da-für gibt es in diesem Jahr soviel Freilicht-Sommerkino wie kaum zuvor in den ver-gangenen Jahren – um nur ein Beispiel zu nennen. Wie in einer lebendigen Stadt gibt es Wechsel in den Führungspositionen von Unternehmen und Einrichtungen. Und tat-sächlich hat man auch das Gefühl, dass sich so etwas wie neue, vor allem aber berechtig-te Aufbruchsstimmung breitmacht: die Uni-versität soll einen zweiten Campus am Brühl erhalten, der CFC steigt in die dritte Liga auf, Investoren engagieren sich für abrissgefähr-dete Gebäude – über all diese positiven Sig-nale berichten wir in diesem Heft. Und Sie haben es wahrscheinlich gesehen: Die Rückseite unserer Frühjahrs-Ausgabe zierte unser Aufruf, sich an unserer „Redak-tion der Generationen“ zu beteiligen. Damit begleiten wir das „Jahr der Wissenschaft“, das Stadt und Technische Universität dieses Jahr in Chemnitz feiern. Die ersten Ergeb-nisse der fruchtbringenden Zusammenar-beit mit unseren Generationenredakteuren können Sie in dieser Ausgabe bestaunen. Sieben Seiten haben unsere Gastredakteu-re gestaltet – mit Themen rund ums „Jahr der Wissenschaft“ und Wissenschaft selbst. Doch noch ist das Projekt nicht abgeschlos-sen: Gern können auch Sie sich noch bei uns melden und mit uns gemeinsam im nächsten Heft einen weiteren Sonderteil zum Festjahr gestalten – und damit ebenfalls ein positi-ves Signal setzen.

Wir freuen uns auf Sie

Volker Tzschucke

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Lernen lernen – Konferenz in Chemnitz

Im Rahmen des „Jahres der Wis-senschaft 2011“ und anlässlich des 175-jährigen Bestehens der Technischen Universität Chem-nitz findet am Mittwoch, den 28. und Donnerstag, den 29. Septem-ber 2011 eine Mitteldeutsche Konferenz mit internationaler Beteiligung statt: „Lebenslanges Lernen – Bildung für Ältere und generationsübergreifend mit Jüngeren“ lautet das Thema der Konferenz im Zentralen Hör-saal- und Seminargebäude der TU Chemnitz auf der Reichenhai-ner Str. 90. Die zweitägige Kon-ferenz wird sich mit dem Stand sowie der notwendigen Erweite-rung und der methodischen Ge-staltung von Bildungsangeboten für Ältere befassen und wie diese auch generationsübergreifend mit Jüngeren erfolgen können. In Vorträgen und einer Ausstellung werden Beispiele guter Praxis aus Universitäten, Hochschulen, Studienakademien und anderer Bildungseinrichtungen – beson-ders aus Mitteldeutschland und dem Ausland (Japan, Schweiz, Polen, Tschechien u.a.) – vorge-stellt, diskutiert und Anregungen für die praktische Gestaltung des Lebenslangen Lernens gegeben. Weitere Informationen zum Pro-gramm und zur Anmeldung finden Sie auf der Homepage: www.tu-chemnitz.de/Seniorenkolleg.

Gratulation im Hörsaal

750 Senioren haben sich für die-ses Semester im Seniorenkolleg an der TU eingeschrieben. „Sie sind im Durchschnitt 69,8 Jahre alt“, weiß Jürgen Hummitzsch, Sprecherrat des Kollegs. Eine, die diesen Altersschnitt entschieden nach oben drückt, ist Annelies Martin. 90 Jahre wurde die Chem-nitzerin Ende März, damit ist sie

Inhaltsverzeichnis

Nachrichten

UniversitätSchreib doch, wie du willst

KulturSingen als Standortfaktor

WissenschaftVon Göttern und schweren Steinen

Wissenschaft7 Fakten über unser Gehirn

WirtschaftDas Ende des Jugendwahns

WirtschaftDer gute Investor

PolitikViel geschickter als Berlusconi

Jahr der Wissenschaft„Etwas installieren, was Chemnitz richtig rockt“

Jahr der WissenschaftGetanztes Erwachsenwerden

Jahr der WissenschaftLesen und lesen lassen

Jahr der WissenschaftAus Schall wird Lärm

RubrikenVeranstaltungstipps

Gewinnspiel

Rezension

Brauche ich das wirklich?

Heftvorsch/Impressum

S. 4

S. 6

S. 8

S. 10

S. 12

S. 14

S. 20

S. 21

S. 22

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S. 16

S. 17

S. 22

S. 30

S. 31

Foto: Zauberberg Medien

Foto: Wuschanski

Foto: Frank Rothe

Foto: Zauberberg Medien

Foto: L.Kenze

5Nachrichten

Das SenVital Senioren- und Pfle-gezentrum „Niklasberg“ erhielt vom das SFZ Förderzentrum Chem-nitz im Juni erneut das Prädikat „Besonders für sehgeschädigte Menschen geeignet“. Ermöglicht wurde dies durch eine Vielzahl von Maßnahmen. So haben die Wände in jeder Etage eine andere Struktur und Farbgestaltung. Auf Gängen und Fluren wurde auf po-tenzielle Stolperfallen wie Teppi-che oder Blumenkübel verzichtet. 2009 erhielt SenVital zum ersten Mal diese Auszeichnung. Im Vor-feld der erneuten Überprüfung machte eine blinde Frau den Pra-xistest, um so wichtige Hinweise für weitere Verbesserungen zu machen. Im Ergebnis wurde als weiterer Service eine Sprachansa-ge im Aufzug installiert. „Uns ist es wichtig, dass alle unsere Gäste

unter den Kollegiaten die zweit-älteste: „Außerdem gehört sie zu den zehn Teilnehmern, die seit unserem Beginn 1993/94 jedes Semester mitgemacht haben“, so Hummitzsch. An den Start erin-nert sich Annelies Martin noch:

„Das war noch in der Straße der Nationen“, erzählte die Jubilarin „Dann ist das Kolleg zum Glück zu mir hochgezogen.“ Denn An-nelies Martin wohnt seit 50 Jah-ren im Wartburghof. „Da kann ich zur Not auch in Hausschuhen

hingehen“, meint sie. Besonders an geschichtlichen und geogra-fischen Vorlesungen ist sie inte-ressiert. Die Breite der Themen sei es, die das Kolleg attraktiv mache, weiß Roland Schöne, des-sen Wissenschaftlicher Leiter – und Annelies Martin bestätigt: „Es gibt manchmal Vorträge, wo ich vorher denke, muss das sein? Und hinterher bin ich dann froh, von dem Thema mal was gehört zu haben.“ Trotzdem, Wünsche hat sie noch für die kommenden Semester: „Mal etwas zur Mode wäre schön.“ Schließlich war sie ihr Berufsleben lang mit diesem Thema beschäftigt: „Ich hab ver-sucht, Männer schön anzuziehen“, berichtet die ehemalige Textilin-genieurin und Textilkauffrau: „Als in der DDR die Camping-Hemden populär wurden, hab ich öfter mal gefragt: Was haben Sie denn für eine Kragenweite?“, gibt sie zu – wie ihre Wissebegier hat sie sich auch den Humor bis ins hohe Alter bewahrt.

Erneute Auszeichnung am Niklasberg

ein Höchstmaß an Selbstständig-keit und Lebensqualität behalten. Von daher war es für uns selbstver-ständlich, ideale Bedingungen für Sehbehinderte und Blinde zu schaf-

fen“, so Einrichtungsleiter Sebasti-an Thieswald. Deshalb haben auch alle Mitarbeiter an Schulungen teil-genommen, um die sehgeschädig-ten Bewohner optimal zu begleiten.

Sebastian Thieswald (rechts) erhält das Prädikat „Besonders für sehgeschädigte Menschen geeignet“ aus den Händen von Karsten Hohler, Geschäftsführer des SFZ Förderzentrums

Foto: SFZ/Michaela Bitterlich

Professor Schöne, wissenschaftlicher Leiter des Seniorenkollegs, gratulierte gemeinsam mit Mitgliedern des Programmbeirats der Jubilarin Annelies Martin.

Foto: Sven Gleisberg

6 Universität

Mit Luther war die deutsche Sprache ein gutes Stück vorangekom-men, doch bereits hun-dert Jahre später, im Ba-rock, sah man sie schon wieder gefährdet. Der Barock war die Hochzeit der Sprachgesellschaf-ten, Dichterkreise und Sozietäten. Die hatten sich der Sprachpflege und Sprachrettung verschrieben, die sie (wie heute auch vielfach) durch Fremdsprachen verwässert und gefährdet sahen. Vor allem die „Fruchtbrin-gende Gesellschaft“ ist hier zu nennen, die mit 890 Mitgliedern die größte derartige Gruppe des Barock stellte. Ein gehöriges Stück Patriotismus mischte sich natürlich in die Arbeit der Gesellschaft, der Fürsten und Herzoge vorsaßen, aber auch Bemü-hen um Dichtung und Grammatik. Ein Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ war Martin Opitz. Mit seinem 1624 erschienenen Standardwerk „Das Buch von der Deutschen Poeterey“ prägte er ganze Generationen von Dichtern. Er übertrug Reimsche-

Wie schreibt man das jetzt eigentlich? Bei aller Auf-regung um die vor wenigen Jahren durchgeführte Rechtschreibreform können wir uns dennoch auf eines verlassen: Es gibt irgendwo Regeln oder Nach-schlagewerke, die uns bei Sprachfragen weiterhel-fen. Doch das war nicht immer so.

Babylonische Vielfalt

Am Anfang war das Wort und in Deutschland sprach und schrieb das lange jeder so, wie es eben üblich war in seiner Region. Als der Buchdruck die Sprache auf Papier massentauglich machte, konnte von Einheitlichkeit keine Rede sein. Zudem war stets das Latein die Sprache der Wahl für Autoren und Schreiber, die etwas auf sich hielten. Erst Luthers Bi-belübersetzung verbreitete ab 1522 ein mehr oder weniger einheitliches Hochdeutsch und machte die-ses salonfähig. Sein Werk prägte maßgeblich Gram-matik und Schreibweise der deutschen Schriftspra-che und begann ihre Vereinheitlichung. Hätte der vom Meißner Kanzleideutsch geprägte Luther seine Bibel auf Band gesprochen, würde heute vielleicht deutschlandweit gesächselt.

Vorlesung am 14.06.2011,15.30 Uhr im SeniorenkollegWir können nicht alles, aber Deutsch

Dr. Ruth Geier

Ruth Geier wurde in Eisenach geboren. Sie begann ein Lehramtstudium der Germanistik und Altphilologie in Leipzig, welches sie 1969 abschloss. Im Anschluss arbeitete Ruth Geier als Wissenschaftliche Oberassisten-tin an der Leipziger Universität, wo sie 1975 auch promovierte. Seit 2000 ist sie als Dozentin und Projektleiterin an der Professur Medien-kommunikation der TU Chemnitz tätig. Hier betreut sie unter anderem die Sprachberatung, welche kosten-frei Hilfe bei Sprachproblemen jeglicher Art anbietet, etwa zu Rechtschreibung, Grammatik und Wortschatz. Ihr Fachwissen konnte Ruth Geier schon in zahlreichen Beratertätigkeiten zur Verfügung stellen, so zum Bei-spiel dem Kinderkanal oder dem MDR, für den sie sogar eine Radiosendung zur Rechtschreibung gestaltete.

Foto: TU Chemnitz

Schreib doch, wie du willstWie die Deutschen seit Jahrhunderten auf die Suche nach den „richtigen“ Worten gingen

Martin Opitz

7Universität

mata und Versmaße auf die deutsche Sprache und plädierte erfolgreich dafür, nicht mehr vorwiegend lateinisch, sondern deutsch zu dichten.

Mehr als nur Märchenerzähler

Keine Dichter, sondern Sammler waren Jacob und Wilhelm Grimm. Die deutschen Märchen und Sagen, die sie für die Nachwelt bewahrten, sind heute jedem Kind bekannt. Weniger verbreitet, doch mindestens genauso wichti g sind die grimmschen Arbeiten zur deutschen Lexik und Grammati k. Die Grimms waren es, die erstmals die Gemeinsamkeiten der wichti gsten europäischen Sprachen systemati sch erforschten und auf eine gemeinsame Wurzel der indoeuropäischen Sprachfamilie zurückführten. Mit den daraus abge-leiteten Gesetzmäßigkeiten legten sie viele Grundla-gen für die historische Sprachforschung. Ein weiterer Meilenstein war in diesem Zusammenhang das von den Grimms begonnene Wörterbuch. Alle Wörter der deutschen Sprache sollten darin versammelt sein und deren Bedeutung und Herkunft beleuchtet werden. Ein Mammutwerk, mit dem sich die Grimms über-

nahmen. 80 Mitarbeiter beschaff ten über 600.000 Belege für Wörter, von denen die Grimms zu Lebzei-ten lediglich die mit den Anfangsbuchstaben A bis E bearbeiten konnten. Jacob Grimm, so heißt es, starb schließlich am 20. September 1863 über der Bearbei-tung des Arti kels zum Wort „Furcht“. Generati onen von Sprachwissenschaft lern machten sich daran, das Werk der Grimms zu beenden. 1961 war das Wör-terbuch schließlich erstmals ferti ggestellt. Bis heute überarbeitet die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft en den ältesten Teil (A bis F) des

Werkes, der schließlich 2012 erscheinen soll – das Projekt war 1957 als deutsch-deutsche Kooperati on gestartet. Eine elektronische Fassung des Nachschla-gewerkes mit unglaublichen 350.000 Sti chwörtern ist inzwischen auch im Internet verfügbar unter: htt p://dwb.uni-trier.de/

Von Amts wegen

Nun beantwortet das Wörterbuch der Grimms jedoch keineswegs die Eingangsfrage: Wie schreibt man das? Während sich die Grimms vor allem um Herkunft und Bedeutung der Wörter bemühten, war es ein anderer großer Sprachpfl eger, auf den sich deren Regelhaft igkeit heute vor allem stützt. Kon-rad Duden war Lehrer und später Direktor und hatt e wohl irgendwann genug von den unterschiedlichen Schreibweisen, die er an verschiedenen Arbeitsorten antraf. Er verfasste schließlich den Prototypen der Nachschlagewerke, die heute nur noch als DUDEN bekannt sind und Regeln sowie Sti chwörter beinhal-ten, die eine möglichst einheitliche Kommunikati on

im deutschen Sprachraum garanti eren sollen. Heute gibt der Duden, wie auch zum Beispiel Bertelsmanns „Wahrig“, die amtlichen Regeln der Bundesrepublik wieder. Gesetzlich daran gebunden ist außer Schü-lern und Studenten (deren Bewertung daran hängt) und Beamten jedoch niemand. Die Rechtschreibung ist vielmehr ein Konsens, der Rechtschreibdiskus-sionen mit einem Blick ins Buch beenden soll. Das klappt jedoch nicht immer zweifellos. Denn anders als Latein ist unsere Sprache lebendig und wandelt sich. Daher kann es auch nach Jahrhunderten der Suche das eine richti ge Deutsch nicht geben. |mch

Abbildung: Deutsche Bundesbank, Frankfurt

8 Kultur

Singen als StandortfaktorDer Chemnitzer Chor „Taktwechsel“ hat sich Familienfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben

Für junge Erwachsene ist es nicht immer leicht, wenn das erste Kind kommt – der neue Erdenbürger verlangt von seinen Eltern nicht nur jede Menge Auf-merksamkeit, sondern auch ein ganz neues Zeitma-nagement: Nicht selten bedeutet das, dass man lieb gewonnene Hobbys aufgeben muss: „Wenn beide Eltern zusammen in einem Chor singen, dann wird’s schwierig“, weiß Susanne Kruggel: „Gemeinsame Teilnahmen an wöchentlichen abendlichen Proben wie bei einem normalen Chor sind zum Beispiel ei-gentlich nicht mehr möglich.“

Deshalb ist Kruggel auch nicht Vorsitzende in ei-nem ganz „normalen Chor“, sondern in einem be-

sonders familienfreundlichen – dem Chemnitzer Chor „Taktwechsel“: „Die Vereinbarkeit von Chor-mitgliedschaft und Familie steht bei uns in der Sat-zung“, berichtet Kruggel. Die Mitglieder dieses Cho-res – alle zwischen Anfang 20 und Mitte 40, darunter vier Pärchen – proben darum nicht wöchentlich, sondern jeweils ein Wochenende im Monat: selten, aber kompakt. Geübt wird im Chemnitzer Waldorf-Kindergarten. Und der Nachwuchs darf zur Probe mitgebracht werden. 17 Kinder „teilen“ sich die 22 Sänger des Chores, das jüngste „Taktwechsel“-Baby ist erst wenige Monate alt, fünf bis acht Kinder sind zur ganztägigen Probe am Samstag fast immer da-bei. Während die Eltern an ihren überwiegend welt-

Foto: Sven Gleisberg

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lichen Programmen feilen, wird der Nachwuchs be-treut: „Da ist der Waldorf-Kindergarten der ideale Probenort, zumal auch noch zwei Mitarbeiterinnen von hier Mitglied im Chor sind“, so Kruggel.

Auch Christian Günther hat seinen Nachwuchs fast immer dabei. Der 38-jährige Musiklehrer, haupt-beruflich im Kepler-Gymnasium angestellt, ist musi-kalischer Leiter des Chores seit dessen Anfängen im Jahr 2004. Programmaus-wahl und das Einstudieren der Lieder gehört zu seinen Aufgaben: „Aber ich muss auch mitsingen“, erklärt er. „Wir sind ja ein eher kleiner Chor, da brauchen wir jede Stimme.“ Bei Konzerten er-klingt Günthers Tenorstim-me aber nicht vor dem Chor: „Ich stehe mittendrin, einen echten Dirigenten haben wir während der Konzerte gar nicht.“ Neben der Kinderbe-treuung stärke auch das die Gemeinsamkeit, ist sich Günther sich: „Wir müssen beim Singen viel mehr auf die Atmung der anderen Sänger achten“.

Die musikalische Leistung scheint das nicht zu beeinträchtigen: Beim Sächsischen Chorwettbewerb erzielte „Taktwechsel“ das zweithöchste Prädikat „sehr gut teilgenommen“. Und 2010 konnte sich der Laien-Chor beim Zwickauer Robert-Schumann-Wett-

Kultur

Vorlesung am 21.06.201115.30 Uhr im SeniorenkollegVon der Opernbühne zur Leiterin der Musikschule inChemnitz

Nancy Gibson

Geboren in Toronto, Kanada, erhielt Nancy Gibson ihre erste musika-lische Ausbildung an Klavier und Violine, bevor sie in Toronto, London und Glasgow Gesang studierte. Als Sängerin reiste sie um die Welt und gewann Preise wie etwa den Eckart Gramattee Wettbewerb für zeitge-nössische Musik und den Publikumspreis der Chemnitzer Freien Pres-se für ihre Darstellung von Fauré’s Pénélope. Nancy Gibson war insge-samt 15 Jahre im Ensemble der Städtischen Theater Chemnitz engagiert. Ihr Interesse für zeitgenössische Musik führte zu Aufführungen u.a. von Murray Shafers Hermes Trismegistos in Toronto, Werken von Her-mann Berlinski in Washington, Dresden, Leipzig und München, im Leipziger Gewandhaus mit der Sinfoniet-ta Leipzig, und zeitgenössische Kammermusikabenden in der Städtischen Kunstsammlung Chemnitz und im Chemnitzer „VOXXX“. 2009 wurde Nancy Gibson zur neuen Leiterin der Chemnitzer Musikschule gewählt.

Foto: Theater Chemnitz

bewerb nicht nur eines der begehrten „Goldenen Di-plome“ ersingen, sondern qualifizierte sich auch für die „World Choir Games 2012“, einer Art olympische Spiele für Chöre. „Seit 2004 nehmen wir zunehmend an Wettbewerben teil, wir steigern langsam deren Größe“, erzählt der musikalische Leiter. Auch regel-mäßige Auftritte gehören zum Vereinsleben, in die-sem Jahr erschien auch die erste CD „Vier Kirchen, ein Chor“ der „Taktwechsler“.

Bei all den Erfolgen und dem Zusammengehörig-keitsgefühl ist es kein Wun-der, dass der Chor konti-nuierlich wächst, obwohl die Mitglieder eigentlich längst in alle Winde zer-streut sind: „Die arbeiten und leben zum Teil in Thü-ringen, Bayern und Sach-sen-Anhalt“, weiß V ereins-Chefin Kruggel: „Aber zum Probenwochenende schaf-

fen es alle fast immer wieder nach Chemnitz zu-rück, der Chor hält uns zusammen.“ Ein klei-ner „Standortfaktor“ für eine lebenswerte Stadt sei man damit, ist sie stolz. Wunschlos glücklich macht das die Chormitglieder aber noch nicht: „Gerade in den Randlagen, bei den ganz hohen und ganz tiefen Stimmen, könnten wir durchaus noch den einen oder anderen Sänger mit Erfahrung ge-brauchen“, so der musikalische Leiter Günther. |vtz

Foto: Sven Gleisberg

10 Wissenschaft

Sie gelten nicht nur aufgrund ihres Alters als eines der sieben Weltwunder der Antike – die Py-ramiden in Gizeh. Auch ihre pure Größe wirkt bis in die heutige Zeit einfach nur erstaunlich: 230 mal 230 Meter misst die größte, die Cheops-Pyramide in ihrer Grund-fläche, 143,5 Meter hoch ist sie. Und am erstaunlichsten: Wie war es den alten Ägyptern vor gut 5.000 Jahren nur gelungen, die riesigen Felsbrocken für die Py-ramiden nicht nur an den Bauort zu schaffen, sondern auch noch aufeinander zu schichten – und das in einer Zeit, wo das Rad noch nicht erfunden war?

Es muss ein „einfacheres“ Sys-tem gewesen sein, mit dem hier

Vorlesung am 28.06.201115.30 Uhr im SeniorenkollegKeine Bewegung ohne Reibung Prof. Dr.-Ing. Klaus Nendel Nach seinem Diplomstudium Maschinenbau an der TH Karl-Marx-Stadt begann Klaus Nendel im Jahr 1974 ein Promotionsstudium am Lehrstuhl Polygrafische Technik. Von 1977 bis 1979 war er dort Wis-senschaftlicher Assistent. Ab 1979 war Nendel Leiter von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, Abteilungs- und Hauptabteilungsleiter im Ingenieurbüro Elektrogeräte in Karl-Marx-Stadt. 1989 kehrte er als Lektor auf dem Gebiet des Allgemeinen Maschinenbaus an die spätere TU Chemnitz zurück. Seit 1992 ist er hier Universitätsprofessor für Förder-technik an der Fakultät für Maschinenbau. Bis 2009 bekleidete er zudem den Posten des Direktors des Institutes für Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik sowie den des Prodekans der Fakultät für Maschinenbau. Seit 2009 ist Klaus Nendel Dekan der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Univer-sität Chemnitz.

Foto: TU Chemnitz

Von Göttern und schweren SteinenDie Menschheitsgeschichte beweist, dass schon von alters her viel bewegt wurde

gebaut wurde – so einfach gar, dass es den Ägyptern keine Zei-le wert war, es irgendwie zu do-kumentieren. So ist es bis in die heutige Zeit eine Sache von Mut-maßungen, nachgestellten Versu-chen und Experimenten, die für die Pyramidenblöcke eingesetzte Fördertechnik zu ergründen: Höl-zerne Rollen sollen es gewesen sein, auf denen die Steinquader lagen. Mit Hilfe von Seilen aus Palmfasern, Gräsern, Papyrus und Flachs sollen sie dann mit purer Muskelkraft auf die Riesenbau-rampen und dann an den ihnen zugewiesenen Platz transportiert worden sein. Schwer vorstellbar, wenn man davor steht – und wohl nur durchsetzbar in einer Zeit,

in der Könige als Götter und die Pyramiden, ihre Grabbauten, als sakrale Gemäuer galten. Wen in-teressiert da schon ein bisschen Reibung, die durch tausendfache Manneskraft überwunden wer-den muss.

Hilfe von oben

Weit weniger Personal hatten da die steinzeitlichen Europäer zur Verfügung. Dennoch wollten auch sie nicht auf beeindrucken-de Kultstätten verzichten. Rätsel gibt hier zum Beispiel das Welt-berühmte Stonehenge in England auf. Die Steine, mit dem es erbaut wurde, können in ihrer Beschaf-fenheit nur aus einem 200 Kilo-

11Wissenschaft

meter entfernten walisischen Ge-birge stammen. Lange versuchten Forscher Annahmen zu beweisen, dass sich ein Heer von Transpor-teuren an den Steinen wahrhaftig zu Tode schleppte oder die 25 bis 50 Tonnen schweren Brocken mit Flößen zum Kultort schipperten. Doch die nachgebauten Flöße der Wissenschaftler gingen ebenso unter wie wohl unlängst die Vor-stellung vom Langstreckenunter-nehmen. Eine mit neuen Belegen erstarkte Theorie besagt, dass einfach die Natur den Großteil der Schwerstarbeit erledigte. Zwei eiszeitliche Gletscher sollen einst wie ein riesiges Förderband die Findlinge durch das Land getra-gen haben. Vielleicht eine nette Geste von oben – man solle nicht behaupten, die Götter säßen faul

herum und ließen die Menschen schuften.

Strafe muss sein

Nungut, manchmal tun sie das schon: Als der verschlagene Grie-che Sisyphos erst Zeus, dann den Totengott Thanatos und schließlich auch noch den Kriegsgott Ares ge-linkt hatte, straften die Götter den frechen Menschen: Immer wieder musste er einen riesigen Stein ei-nen Berg hinauf rollen. Oben an-gekommen, verabschiedete sich dieser Stein talwärts und das Spiel begann von vorn. Was wie eine neuzeitliche Arbeitsbeschaffungs-maßnahme klingt – Hauptsache, der ist aus der Statistik raus – war eine Strafe, die Sisyphos zum be-kanntesten „Fördertechniker“ der

Antike machte, auch wenn er nur auf Muskelkraft setzen durfte: Bis heute gilt sprichwörtlich als Sisy-phosarbeit, was extrem aufwän-dig und anstrengend und schier endlos zu sein scheint.

Dabei hat der französische Phi-losoph Albert Camus schon 1942 in seinem berühmtesten Essay ge- schrieben, wir müssten uns Sisy-phos als glücklichen Menschen vor-stellen. Immerhin genieße er auf dem Weg zurück zum Stein so etwas wie Freiheit. Doch auch auf dem Weg nach oben, so muss Camus ergänzend hinzugefügt werden, hatte Sisyphos noch so etwas wie Glück: Immerhin wurde er – glaubt man bildlichen Darstellungen sei- ner Arbeit – nicht beauftragt, einen Quader nach oben zu schieben, son-dern etwas irgendwie Rundes. |vtz

Foto: Operarius

12 Wissenschaft

7 Fakten über unser Gehirn (das Hirn, lateinisch cerebrum)

1. Kalorienzähler

Sie haben gerade entschieden, dass die halbe Scho-koladentafel für heute reicht. Ein kleiner Blick auf die Nährwerttabelle und Sie können sich im Nu ausrech-nen, wieviel Kalorien Sie zu sich genommen haben. Ihr Gehirn wusste es allerdings schon nach 200 Milli-sekunden. In einer Studie schloss man Probanten an einen Elektroenzephalograf (EEG) an. Dieser zeigte, dass die Testpersonen bei der Betrachtung von fetti-gem Essen eine deutlich höhere Gehirnaktivität auf-wiesen als bei gesünderen Nahrungsmitteln. Dabei spielten sich die Aktivitäten vorallem in den Berei-chen ab, die für die Objektbestimmung, Entschei-dungsfindung und Belohnung zuständig sind.

2. Das Synästhesie-Phänomen

Können Sie Buchstaben schmecken und Töne rie-chen? Ja? Dann gehören Sie zu drei von 1.000 Men-schen mit dem sogenannten Synästhesie-Phänomen. Dabei lässt ein Sinnesreiz im Gehirn mehrere Wahr-nehmungen wie Hören, Schmecken, Sehen und Füh-len gleichzeitig entstehen. Die Wahrnehmungen sind bei Synästhetikern unterschiedlich kombinierbar.

3. Warum man im Alter vergisst

Ein Mensch besitzt im Durchschnitt 15 – 100 Milliar-den Gehirnzellen. Pro Tag verliert er 1.000 – 10.000 dieser Neuronen. Nach folgender Rechnung, ausge-hend von den beiden negativesten Zahlen, würde das Gehirn 410 Jahre alt werden und dabei nur ca. zehn Prozent seiner Kapazität verlieren. Wenn die Denkprozesse im Alter also langsamer werden oder wir sogar vergessen, liegt das nur an unzureichen-dem Gedächtnistraining. Wird man im Job und seiner Umwelt nicht gefördert, werden die Informationen, die im Gehirn gespeichert sind, einfach stillgelegt, weil sie nicht benötigt werden. Allerdings bleibt al-les, was wir jemals gelernt haben, in unserem Hirn verankert und wird niemals gelöscht.

4. Unterschiede zwischen Mann und Frau

Das Gehirn macht nur rund zwei Prozent unser Kör-permasse aus, aber verbraucht dafür ca. 17 Prozent der Gesamtenergie unseres Köpers, um den Erhalt der Zellen zu gewährleisten. Im Durchschnitt wiegt das Gehirn des Mannes mit 1.375g 100g mehr als das einer Frau. Die 2,5 Quadratmeter große und 2 – 4 Millimeter dicke Oberfläche des Gehirns wird als Großhirnrinde oder Cortex bezeichnet. Sie enthält Milliarden Nervenzellen (Neuronen oder graue Mas-se). Dabei haben Männer rund 23 Milliarden dieser Zellen, die Frau dagegen nur 19 Milliarden. Diese beiden Differenzen haben aber keinerlei Bedeutung für die Intelligenz eines Menschen.

5. Wo die schlechte Laune entsteht

Jeder weiß, wie sich schlechte Laune anfühlt. Grund dafür ist unser Großhirn, denn es hat unter anderem die Aufgabe, Dinge zu bewerten. Stimmt unsere Vor-stellung dann mit der Wirklichkeit nicht überein, hat das zur Folge, dass wir traurig, verärgert oder sogar wütend werden. Eine Vorstellung wäre zum Beispiel, den Abend mit Freunden zu verbringen. Vielleicht stellt man sich den Verlauf des Abends schon vor und macht Pläne, diesen schön zu gestalten. Eine Absage ist dann meist sehr ärgerlich. Allerdings ist dieser Gefühlszustand wichtig für unser ganzes Le-ben, denn selten kann man Abläufe beeinflussen.

6. Künstliches Gehirn

Henry Markram will das menschliche Gehirn nach-bauen. Derzeit steuert er mit diesem Vorhaben auf eine Bewerbung für eine EU-weit ausgeschriebene Forschungsförderung von einer Milliarde Euro zu. Im beinahe wahnwitzig anmutenden „Human Brain Project� will er jede der Milliarden Gehirnzellen ein-zeln simulieren. „Wollte man versuchen, einen Com-puter mit der Rechenkapazität des Gehirns zu bau-en, würde der Tausende von Gigawatt brauchen und

13 Wissenschaft

Vorlesung am 05.07.2011um 15.30 Uhr im SeniorenkollegDemenz und ihre frühzeiti ge Erkennung

Dr. Eberhard Jüttner

Bis 1964 studierte Eberhard Jüttner Medizin in Halle und Greifswald, bevor er fünf Jahre als Arzt praktizierte. 1969 kehrte er an die Leipzi-ger Uni zu Facharztausbildung und Promotion zurück. 1969 bis 1990 war er Kreisarzt und Leiter der Abteilung Gesundheitswesen des Krei-ses Artern, zwischen 1970 und 1991 zudem u.a. ärztlicher Direktor der dortigen Poliklinik, Kreishygienearzt sowie beratender Arzt für Geriatrie des Bezirkes Halle. 1991 bis 2005 arbeitete Jüttner als Dozent in der Altenpflege. Ehrenamtlich war er von 1990 bis 1996 Vorsitzender der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt und vier Jahre lang Vizepräsident deren Bundesverbandes. 1996 wurde er Landesvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Sachsen-Anhalt. Seit 1995 ist er im Vorstand des Pariätitschen Gesamtverbandes und wurde dort 1999 zum stellvertretenden Vorsitzenden und 2009 zum Vorsitzenden gewählt.

Foto: Der Paritäti sche Gesamtverband

Milliarden Dollar kosten – in unserem Kopf schafft das eine drei Pfund schwere Masse, die auf 60 Watt läuft�, wird Markram in einem Artikel der ZEIT zi-tiert. Inwieweit die Forscher damit den Geheimnis-sen unseres Denkorgans auf die Schliche kommen oder sogar Krankheiten entschlüsseln können, ist allerdings höchst ungewiss.

7. Enorm anpassungsfähig

Das menschliche Gehirn besitzt eine enorme An-passungsfähigkeit. So können nach Schlaganfällen ausgeschaltete Areale oft durch erneutes Lernen ersetzt werden. In Extremfällen führen Menschen auch ganz normale Leben mit nur einer Hirnhälfte. Beispielsweise wurde 1991 dem damals elfjährigen Philipp Dörr die rechte Großhirnhälfte entfernt. Sie war stark geschädigt und verantwortlich für bis zu 30 epileptische Anfälle täglich. Die linke Hirnhälfte übernahm in den Folgejahren, alle Funktionen und der Junge hatte keinen epileptischen Anfall mehr.

1. Broca-Areal (Sprachbildung)

2. Körperbewegung

3. Körpergefühl

4. Geschmackszentrum

5. Hörzentrum

6. akustische Assoziation

7. Sprachverstehen

8. visuelle Assoziierung

9. Sehrinde

übernahm in den Folgejahren, alle Funktionen und der Junge hatte keinen epileptischen Anfall mehr.

12

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65

748

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Grafi k: Zauberberg Medien

14 Wirtschaft

Wer sich die für das Jahr 2050 prognostizierte deutsche Alterspyramide anschaut, wird Schwierig-keiten haben, darin tatsächlich eine Pyramide zu er-kennen. Das Gebilde erinnert eher an das Bild aus der Kindheit, in dem man wahlweise eine dickbäuchige Vase oder zwei Gesichter erkennen konnte. Die Ge-sichter in der deutschen Alterspyramide haben einen dünnen Hals, ein fliehendes Kinn, eine dicke Nase und buschige Augenbrauen, was bedeutet: die Deutschen werden älter und älter, der Nachwuchs bleibt aus.

Neben den Sozialsystemen, also Gesundheits-, Pflege- und Rentenversicherung, stellt dies auch den Arbeitsmarkt vor ganz besondere Heraus-forderungen – und zwar nicht erst im Jahr 2050: „Fachkräftemangel war bisher eher ein akade-misches Problem, das in Zusammenhang mit dem demografischen Wandel diskutiert wur-de“, erklärt Gunnar Bertram, Präsident des Regionalkonvents der Industrie- und Handels-kammer Chemnitz, und fügt hinzu: „Inzwischen ist es voll in der Realität angekommen.“ Nicht nur hochgebildete Aka-demiker aus den Ingeni-eurwissenschaften wür-den fehlen, sondern auch Facharbeiter und Fachkräfte, vor allem im Pflegebe-reich. Letzteres nimmt wenig Wunder: Sozialberufe gehören laut deutscher Bundesregierung bereits seit Jahren zu den Top Fünf der nachgefragtesten Berufe.

Mit nicht mal 60 in Rente

Eine schnelle Lösung des Problems ist nicht in

Sicht: Fachkräfte aus anderen Regionen müsste man anziehen, denkt der IHK-Präsident Bertram. „Wenn in manchen Regionen Südeuropas eine Jugendar-beitslosigkeit von 40 Prozent herrscht, warum sollen sie dann nicht hier eine Ausbildung absolvieren und arbeiten?“, stellt er eine Frage in den Raum. Doch auch bei deutschen Arbeitnehmern und Arbeitge-bern fordert er ein Umdenken. Vorhandene Arbeits-kräfte müssten später in Rente gehen und damit län-ger im Unternehmen bleiben.

Tatsächlich ist es so, dass deutschlandweit zwar (noch) die gesetzliche Rente mit 65 gilt, das durch-

schnittliche Rentenein-trittsalter aber bei 63 Jah-ren liegt. Nur ein kleiner Prozentsatz der Arbeit-nehmer erreicht den 65. Geburtstag am Arbeits-platz. Viele nehmen für einen früheren Renten-eintritt auch Abschläge in Kauf, manche werden eher gegangen als dass sie frei-willig gehen. In Sachsen liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter sogar noch niedriger. Selbst die Spitzenreiter in der Landes-hauptstadt Dresden gehen im Durchschnitt in einem Alter von unter 60 Jahren in Rente. Die schrittwei-se Erhöhung der Regelar-beitszeit bis 67 – oder wie

immer wieder diskutiert wird auch auf 69 oder gar 70 Jahre – darf deshalb vor allem als der Versuch gel-ten, wenigstens die aktuell vorgesehene Zahl von 65 zu erreichen. „Wir brauchen da einen Bewusstseins-wandel“, ist sich der lokale IHK-Präsident sicher –

und das nicht nur, um die Rentenkassen zu entlas-ten, sondern vor allem, um wertvolles Fachwissen länger in den Unternehmen zu halten.

Das Ende des Jugendwahns Angesichts des Fachkräftemangels setzt die Wirtschaft auf ältere Arbeitnehmer

Grafik: C. Breßler

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Projekt für den Bewusstseinswandel

Ein Projekt, das den geforderten Bewusstseins-wandel unterstützen soll, nennt sich „Respekt – Erfah-rung als Ressource“. Initiiert von der Arbeitsgemein- schaft Jugendfreizeitstätten Sachsen e.V (AGJF) und

gefördert vom Europäischen Sozialfonds, wollen die Chemnitzer Projektverantwortlichen seit Frühjahr dieses Jahres vor allem den Bereich der Sozialberu-fe angehen, der – siehe oben – vom Fachkräfteman-gel besonders betroffen ist. „Nur eine Minderheit von 36 Prozent der Angestellten in der Sozialwirt-schaft ist der Auffassung, dass sie unter ihren der-zeitigen Arbeitsbedingungen bis zur Rente ‚durch-halten‘ kann“, zitieren die AGJF-Verantwortlichen eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Sie wollen deshalb vor allem Coaching- und Fortbildungsangebote entwickeln und an den Mann bringen, die diesen Zustand verändern können. Ge-meinsam mit Mitarbeitern aus Sozialberufen sollen Lebens- und Arbeitsentwürfe für die „Spätphase des Erwerbslebens“ entwickelt werden, die den Teilnehmenden das Handwerkszeug mitgeben, um das Älterwerden im Beruf erfolgreich zu gestalten. Und mit Führungskräften aus der Sozialwirtschaft wollen sie an Methoden altersgerechter Personal-entwicklung arbeiten. Darüber hinaus versteht sich das „Respekt“-Projekt vor allem als Schnittstelle zwischen Sozialwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Berufsgenossenschaften. „Respekt“ ist auf meh-rere Jahre angelegt, auf eine Wunderheilung darf man beim Fachkräftemangel nicht hoffen. Nur der Jugendwahn vergangener Jahrzehnte, soviel ist klar, ist Geschichte. Das ist auch besser so angesichts der zwei Gesichter in der deutschen Alterspyramide. |vtz

Wirtschaft

Vorlesung am 12.07.201115.30 Uhr im SeniorenkollegÄltere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt – Chancen und Risiken Kay Senius Kay Senius wurde 1956 geboren. Nach seinem Studium zum Diplom-verwaltungswirt (FH) sammelte Kay Senius seit 1974 in der Bundes-agentur für Arbeit Führungserfahrung auf allen Ebenen. So erfüllte er von 1974 bis 1993 verschiedene Tätigkeiten im gehobenen Dienst mit Schwerpunkt Leistungsrecht und war von 1994 bis 1995 im höheren Dienst Verwaltungsleiter in der Agentur Halle. Anschließend durchlief er mehrere Stationen in verschie-denen Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit, unter anderem als Direktor der Agentur Suhl, bevor er im Juli 2009 laufend Vorsitzendes Mitglied der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen-An-halt-Thüringen wurde. Im November 2010 wurde Kay Senius zudem in den Demografie-Beirat des Landes Sachsen-Anhalt berufen.

Foto: Bundesagentur für Arbeit

Foto: SES Bonn

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25. Juni | 18.30 Uhr | Open Air auf der Festwiese des Haus Arthur (bei Regen in der Friedenskirche)

Bluesnacht

Zur Bluesnacht holt das Arthur mit Canned Heat eine Legende nach Chemnitz. Die Urgesteine des US-Blues traten schon beim legendären Wood-stock-Festival auf. Auch ein weiterer Gast, David Evans, ist ein Vertreter des klassischen Blues. Seit 1962 spielt er Country Blues, den er direkt von herausragenden Vertretern der alten Südstaaten Bluesgeneration wie Bukka White, Skip James, Furry Lewis und Babe Stovall lernte. Außerdem zeigen der Musiker Bernd Rinser und die Band Sal-ty Blue Notes aus Deutschland, dass nicht nur ihre Kollegen aus Übersee wissen, was gute Musik ist.

Eintritt: VVK 22€/16,50€ (bei City Ticket oder im Arthur), AK: 25€/18€

28. Juni | 20 Uhr | Exilcafé im Schauspielhaus

Finale des ersten Chemnitzer Science Slam

Seit Juni letzten Jahres traten Wissenschaftler und Fachleute in insgesamt vier Vorentscheiden gegeneinander an, um in nur zehn Minuten das Publikum von ihrem Thema zu begeistern. Eine weitere Vorrunde erfolgt unmittelbar vor dem Fi-naldurchgang am 28. Juni. Der dann von der Spreu getrennte Weizen wird sich an diesem Abend schließlich um die handgeschnitzte Chemnitzer Slamkrone 2011 bewerben. Die Themen reichen vom Urzeitkrebs bis zu kaputten Tellern in der Po-litikwissenschaft. Der Eintritt ist wie immer frei.

JUNI

Veranstaltungstipps

JULI

1. bis 3. Juli | DAStietz

Stefan-Heym-Konferenz

Er war Deutscher und Amerikaner, Emigrant und Heimkehrer, Kommunist und Dissident und vor allem Schriftsteller: Stefan Heym. Die Internationale Stefan-Heym-Gesellschaft wid-met ihrem Namensgeber eine erste große Konferenz mit vielfältigem Begleit-programm. Eröffnet wird der offizielle Veranstal-tungsreigen mit dem hei-teren Abend „Und immer sind die Weiber weg“ mit Ursula Karusseit am 1. Juli um 20.15 Uhr im Tietz. Am folgenden Konferenztag werden unter anderem Witwe Inge Heym, Gesellschaftspräsident Prof. Dr. Dr. Peter Hutchinson sowie der aus Chem-nitz stammende Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Emmerich über Werk und Wirken Heyms sprechen. Am Sonntag findet ab 11 Uhr eine Podiumsdiskussion im Tietz statt, zu der dann auch Schirmherr Fritz Pleitgen begrüßt wird.

Das gesamte Programm unter:www.stefan-heym-gesellschaft.de

2. Juli | 21 Uhr | Theaterplatz

Konzert zum Saisonabschluss

Was gibt es Schöneres an einem lauen Sommer-abend, als am schönsten Platz der Stadt im Freien zu sitzen und dabei klassischer Musik zu lauschen? Eigentlich nichts – und so werden wohl auch in die-sem Jahr nicht nur Liebhaber der ernsten Muse, sondern allerlei schau- und hörfreudiges Volk auf den Theaterplatz strömen, wenn die Robert-Schu-mann-Philharmonie zum traditionellen Saisonab-schluss-Konzert ruft. Versprochen sind Werke aus dem italienischen und französischen Opernreper-toire von Gioacchino Rossini, Gaetano Donizetti, Giuseppe Verdi, Georges Bizet, Camille Saint-Saëns und Hector Berlioz. Die Philharmonie wird ange-führt und dirigiert von Reinhard Petersen.

Foto: Salty Blue Notes

Foto: Stefan-Heym-Gesellschaft

17Veranstaltungstipps

AUGUST GEWINNSPIEL

07. bis 14. August | Augustusburger Str. 102 und Zietenstr. 2

Sommerakademie

Die Sommerakademie für Schüler und junge Menschen bis 26 bietet auch in diesem Jahr wie-der Seminare und Workshops zum Mitmachen und Kreativsein. In den zwei- bis viertägigen Kur-sen können Teilnehmer: Textilen gestalten und nähen, Graffiti malen, Gedichte vermitteln, ein Hörspiel machen, Animationsfilme drehen, jong-lieren, Poetry slammen und Theater spielen. Der Unkostenbeitrag beträgt pro mehrtägigem Kurs 15 Euro. Am ersten und letzten Tag gibt es jeweils Auftaktveranstaltungen mit themenbezogenem Programm, Musik und Geselligkeit. Organisiert wird die Sommerakademie vom Chemnitzer Netz-werk für Kultur- und Jugendarbeit e.V.. Das voll-ständige Programm unter: www.sommerakademie-chemnitz.de

18. bis 21. August | JVA Chemnitz

Kunst-Festival Begehungen

Die Chemnitzer Begehungen be- leben in ihrer achten Auflage eine ganz be-sondere Immo-bilie. In der ehe- maligen Justiz-vollzugsanstalt auf dem Kaß-berg wird junge, internationale Kunst unter dem Titel: „Sie ver-lassen den Ver-antwortungsbe-

reich� ausgestellt. Aus knapp 250 Bewerbungen wählte eine Jury 50 Künstler, die dort Räume ge-stalten mit Malerei, Fotografie, Installation und Plastik sowie Außergewöhnlichem daneben und dazwischen. Ein Rahmenprogramm mit Kurzfil-men, Theater und Musik rundet das Festival-Wo-chenende ab. Im letzten Jahr konnten die Bege-hungen an vier Tagen bereits hunderte Besucher in die ehemalige Karl-Liebknecht-Schule locken.

Der Chemnitzer Autor Hans Brinkmann schrieb mit seinem im Frühjahr erschienenen Werk „Die Butter vom Brot“ einen Gesellschaftsroman. An-ders als der Gattungsbegriff erwarten lässt, legt Brinkmann jedoch keine realitätsnahen Milieustu-

dien und offene Zeitkritik vor. Hauptfiguren kennt er genauso wenig wie eine echte Handlung oder zumindest Interaktion zwischen seinen Charakte-ren. Seine Gesellschaft setzt sich stattdessen aus Einzelstimmen zusammen, es müssen hunderte sein. Wie auf einer Bühne treten sie für kurze Mo-nologe auf: Banker, Unternehmer, Beamte, An-gestellte. Politiker, Hartz-IV-Empfänger. Mütter, Kinder. Philosophen, Ostalgiker. Die Kanzlerin. Ein Reh. Sie alle sind in wenigen Zeilen in die Brotdo-se gedrängt, die der Verlag als Verpackung zugibt. Sie geben ihre Meinung zur eigenen Lage oder der der Nation, oft merklich verstimmt, zuweilen tief-traurig, nur wenige verhalten optimistisch, viele sehr wütend. Es ist ein Marktplatz der Wallungen. Vorgestellt werden die einzelnen Sprecher nicht, der Leser soll an Sprachduktus oder Thematik er-kennen, wer hier was sagt. Das ist für den Autor anspruchsvoll (und findet sich überwiegend groß-artig gelöst) und für den Leser ein sehr anstren-gendes, gleichwohl hochinteressantes Rätsel.

Das Journal der Generationen verlost zwei Ex-emplare des Buchs inklusive Brotdose.

Teilnahme: Senden Sie uns bis zum 31. August 2011 eine Postkarte oder E-Mail mit Ihrem Namen und Telefonnummer sowie dem Stichwort: „Butter-brot“ an: [email protected] oder Journal der GenerationenZauberberg Mediengesellschaft mbH,Fürstenstraße 28, 09130 Chemnitz

Die Bücher wurden vom Verlag unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Unter den Einsendern entschei-det das Los, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Foto: Franziska Kurz

Foto: Zauberberg Medien

18 Kultur

Kleists „Amphitryon“ – obwohl ebenfalls ein Lust-spiel – hat nie solch eine Gunst beim Publikum erringen können wie der „Krug“. Woran dies liegen könnte, wird deutlich im Chemnitzer „Amphitryon“: Kay Neumanns Regie akzentuiert die Lust im Lustspiel, weniger die Lustigkeit. Er betont die dunklen Momente, die Kleist ins Stück hineingeschrieben hat. Er macht dies von Beginn an deutlich, wenn er das Schauspielhaus, ge-

fühlt minutenlang, in absolute Nacht und Stille taucht. Hinter einem dunklen Kubus in Büh-nenmitte strahlt immer wie-der der Mond hervor. Es ist ein Kammerstück der Schlafwand-ler und Mondsüchtigen – doch die solchen Menschen zuge-sprochene Sicherheit bleibt den Figuren verwehrt. Sehr gebrochen wirken sie im Ver-wirr- und Wechselspiel um Götter- und Menschenliebe: Jupiter (charmant salbungs-voll: Yves Hinrichs) will als Gott anerkannt werden und muss sich doch in Menschen-gestalt begeben, um erfüllt zu werden. Merkur (als Er-füllungsgehilfe ein Mephisto-pheles: Michael Pempelforth)

ist leicht zu reizen. Diener Sosias (Tilo Krügel, der die kurzen humoristischen Akzente setzen darf) irrt iden-titätsverwirrt durchs Stück und steckt auch seinen Herren, den ruhmreichen Feldherren Amphitryon (ein Held, ein Gehörnter: Urs Rechn) damit an. Die beiden Frauenfiguren des Stücks schließlich, Alkmene (ver-führerisch: Daniela Keckeis) und Charis (xantippesk: Muriel Wenger), finden sich kaum mehr zu Recht zwi-schen ihren Männern und den Göttern, die in deren Rollen schlüpfen. Neumanns Inszenierung läuft lang-sam, sie lenkt den Fokus auf den Text und den in ihrer Zerrissenheit so modernen Figuren. Er lässt seinem Ensemble Spielräume, die Schauspieler nutzen sie. Ein gelungener, wenngleich bedrückender Abend.|vtz

Das Theater Freiberg greift zum wohl bekanntes-ten Stück Kleists, zum Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ (Premiere am 7. Mai). Regisseur Andreas Ingenhaag und vor allem Ausstatter Ulv Jakobsen zeigen ein gutes Gespür für die Kernthematik des Stücks: die Umbruch-situation, in der sich das Rechtssystem befindet. Das eher informelle dörfliche Recht wird vom formellen, niedergeschriebenen Recht abgelöst. Um dies darzu-stellen, wird die Richterstube auf der Freiberger Bühne gera-de renoviert: überall liegt noch Abdeckfolie auf dem Boden, die Wände werden neu gestri-chen und die Regale müssten auch mal wieder aufgeräumt werden. Nicht ganz stimmig will die zeitliche Einsortierung in jedem Detail erscheinen, die zu übermalenden Wandbilder muten spätrealsozialistisch an, der Richtertisch wird mit Euro-pafahnen dekoriert, während die auftretenden Bauern zum Teil in Arbeitskleidung ste-cken, die eher an sowjetische Kolchose des mittleren 20. Jahrhunderts erinnert. Doch so wirken sie zumindest aus-reichend different zur Eleganz, mit dem der städtische Gerichtsrat Walter auftritt. Er, dargestellt von Michael Berger, bildet mit dem von Andreas Pannach gespielten Dorfrichter Adam ein Ge-gensatzpaar, wie man es sich schöner kaum vorstellen kann: hager und rothaarig, pedantisch und streng der Gerichtsrat, dick und glatzköpfig, spitzbübisch lavie-rend der Richter. Mit komödiantischem Geschick fül-len sie ihre Rollen in dem Gerichtsspiel aus, bei dem es um mehr geht als um einen zerbrochenen Krug und die Jungfernschaft des Mädchens Eve. Die im Stück angelegten ernsteren Töne verblassen, einer Auffüh-rungstradition folgend, die den „zerbrochnen Krug“ immerhin zur meistgespielten Komödie auf deutschen Bühnen gemacht hat.

Foto: Theater Chemnitz/Wuschanski

Foto: Theater Freiberg/Detlev Müller

Hin und her gerissen

Nächste Aufführungen des „Zerbrochnen Krugs“ in Freiberg: 29.9. und 7.10.Nächste Aufführung des „Amphitryon“ in Chemnitz: 30.6.

Am 21. November 1811 tötete Heinrich von Kleist erst die krebskranke Henriette Vogel und dann sich selbst. Der Tötungsakt war der Abschluss eines Lebens voller verfehlter Träume, Irrungen und Wirrungen. Den deutschen Theatern ist der 200. Todestag Anlass, Kleists Stücke verstärkt auf die Bühnen zurückzuholen – auch in der Region.

19Literatur

Wenn das Innen am Außen scheitertSiri Hustvedt wandelt eheliches

Scheitern zum „Sommer ohne Männer“

Was tun, wenn die Welt plötzlich auseinanderbricht? Wenn sich der Ehemann nach 30 Ehejahren eine Pau-se nimmt, sich eine jüngere Geliebte zulegt? Nach einem Nervenzusammenbruch, inklusive Klini-kaufenthalt, kehrt die Dichterin und Poesie-Dozenti n Mia in ihre Heimatstadt zurück, um die Scherben ihresIchs wieder zu kitt en.Dort versucht sie sich an einem Lyrikkurs für heran-wachsende Mädchen, die sich jedoch bald als intri-ganter Hexenzirkel mit internen Machtkämpfen und Mobbereien entpuppen.Und sie führt viele Gespräche über die Welt, die Ge-sellschaft und, wie Frauen darin Rollen zugewiesen werden, mit denen sie ferti g werden müssen. Vor allem mit ihrer Mutt er und deren Freundinnen. Sie setzt sich mit sich und ihrem Leben auseinander und lernt viel über Ruhe und Gelassenheit. Sie kommt ge-stärkt aus der Krise hervor. Siri Hustvedt beschäft igt sich in ihrem neuen Buch „Sommer ohne Männer“ mit diesem bitt eren, und doch allzu realen Thema auf eine sehr subjekti ve und sanft e Art und Weise. Sie bleibt mit ihrem Roman beim Einzelbeispiel und sie verfasst kein rachsüchti ges, polemisches Frauen-manifest, wie es bei diesem Thema denkbar wäre. Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen, es geht um die Verarbeitung von Verlust und das langsame Wie-dereinfi nden ins Leben. Und nebenbei ist das Buch auch noch poeti sch, leicht und unterhaltsam. Das per-fekte Sommerbuch – und das alles ohne Männer. |sh

Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer. Roman. Rowohlt Verlag 2011. 304 Seiten. Preis: 19,95 Euro.

Was geht?Bernd Leistner testet tradierte Formen auf ihre neuzeitliche Verwendbarkeit

Darf man das noch? Ein Sonett schreiben, klassisch mit 14 Versen, zwei Quartett e, zwei Terzett e? Oder Disty-chen, also Hexameter und Pentameter, vereint in ei-nem Spruch? Balladen gar oder die Volksliedstrophe? Es muss wohl ein Literaturprofessor sein, der eine sol-che Frage mit ausdrücklichem „Ja“ beantwortet. Einer mit großer Leidenschaft , einer, der durch ausdauernde Erkundung weiß, dass eine Strophenform, ein Versfuß, ein Reimschema immer auch eine Aussage ist – und die Durchbrechung vorgegebener Regeln dann erst recht. So muss man Bernd Leistners „In aller Form“ zusammengefassten lyrischen Versuche als eine sol-che Aussage verstehen: „Man kann mit den tradierten Formen arbeiten.“ Er füllt sie mit aktuellen Inhalten: wett ert gegen belanglose „Nichtraucher-Literatur“. Tröstet seine östlichen Landsleute. Wünscht sich eine Grammati k-Reform herbei. Schimpft auf Leipziger Kulturpoliti k und lobt das zwar nicht hübsche, aber unverstellte Chemnitz. Das nahende Lebensende be-singt der 72-Jährige, würdigt versöhnend seine Frau. Und auch seinem Kernthema kann sich der ehemali-ge Chemnitzer Professor für deutsche Literatur nicht verschließen: Er zeigt den großen Goethe als Spar-fuchs und fragt, was aus der Schweiz ohne Schillers identi tätssti ft endes Tell-Drama geworden wäre. Nicht jedes der Gedichte überzeugt, erkennbar wird zuwei-len das Bemühen, einer strengen Form durch eine Pointe noch irgendetwas abzugewinnen. Und doch ist das Buch anspielungsreich, amüsant, lehrreich. |vtz

Bernd Leistner: In aller Form. Altväterische Gedichte und Sprüche. Verlag Andre Thiele. Mainz 2011. 100 SeitenPreis: 14,90 Euro.

20 Wirtschaft

Der Immobilienmarkt hat wohl nicht zu Unrecht einen eher zweifelhaften Ruf. Zwischen Spekulati-on und Rendite kommen Objekte und Mieter oft zu kurz. Zuletzt kam es etwa in Dresden zu Klagen, wo amerikanische Investoren die vor Jahren aufge-kauften kommunalen Wohnungen schröpfen und verfallen lassen. Auch in Chemnitz verfallen Häuser. Allerdings meist nicht aus Habgier, sondern, weil niemand Interesse am Objekt hat. So fällt man-cher Altbau schließlich nach Jahren des Leer-stands der Abrissbirne zum Opfer. Auch die hiesige GGG zeigt sich nicht unbedingt fle-xibel im Umgang mit ihren Immobilien und so blieb schon manch gut gemeinte Idee in den Mühlen kommuna-ler Bürokratie stecken.

Dass es auch anders geht, zeigt Lars Faßmann. Als privater Investor hat er still und heimlich den ein oder anderen Altbau in Chemnitz gekauft. Faßmann ist nicht be-sonders auf Öffentlich-keit bedacht. Er will mit seinen Immobilien auch nicht reich werden. Viel-mehr scheint es, will er Chemnitz ein wenig le-benswerter machen. Im vergangenen Jahr bewahrte er etwa das Gebäude an der Augustusburger Straße 102 vor dem Abriss. Der markante Eckbau an der Kreuzung gegenüber der Steinhauspassage war ein-mal Bauordnungsamt, dann stand er zehn Jahre leer und sollte abgerissen werden. Faßmann erwarb das Haus, ließ die Versorgungsanschlüsse wiederher-stellen und bot die Räume zu Nebenkostenpreis und Eigensanierung für Künstler und Kreative an. Binnen

weniger Wochen waren die drei Etagen gefüllt mit Vereinen, Künstlern, Freiberuflern. Nicht viel länger dauerte es bei seinem Haus an der Weststraße, wo er Wohnräume zu günstigen Konditionen schuf. Si-cher sind hier keine top sanierten Räumlichkeiten zu erwarten. Geheizt wird mit Kohle und wer weiße Raufaser will, muss eben tapezieren. Aber Faßmann bedient eine Klientel, die gar keine Raufasertapete will und die den Charme eines Altbaus schätzt, dem

man seine Geschichte an-sieht. Ansonsten heißt es leben und leben lassen. Die Mieter erhalten Frei-raum, müssen aber auch ein gewisses Maß an Ei-geninitiative mitbringen.

Initiative zeigt Lars Faßmann aber auch selbst. Zusammen mit Mandy Knospe schuf er im Erdgeschoss der Au-gustusburger 102 einen Veranstaltungsraum mit Galerie. Der Mitteldeut-sche Literaturwettbe-werb „poet|bewegt“ veranstaltete hier vor kurzem seinen Auftakt zur Ausschreibung 2011 und auch die Sommer-akademie (s. Seite 17) wird dort ihre Eröffnung begehen. Die Seminare der Sommerakademie

finden übrigens im ehemaligen Sparkassengebäude gegenüber statt – auch eine von Faßmanns Investi-tionen. Natürlich hofft Faßmann bei allem Idealis-mus, dass sich die Objekte früher oder später auch finanziell lohnen. Wenn sich Umfeld und Mieter nach dem Anschub weiter entwickeln, stehen die Chancen dafür gar nicht schlecht. Immobilienspeku-lation kann durchaus für alle Parteien gewinnbrin-gend sein. |mch

Der gute InvestorAn der Augustusburger Straße 102 steht ein Beispiel für allgemeinverträgliche Investition

Fotos (2): Zauberberg Medien

Auftaktveranstaltung zum „poet|bewegt� in der Augustusburger Str. 102

21Politik

Silvio Berlusconi agiert nicht immer geschickt: Der Mailänder Medienunternehmer und Fußball-präsident ließ sich mehrfach zum italienischen Mi-nisterpräsidenten wählen und außerhalb Italiens drängte sich zuweilen der Eindruck auf, seine politi-schen Ambitionen bestünden vor allem darin, dass er Gesetze nach eigenem Gusto und vor allem zu ei-genem Nutzen machen wollte: so ließen sich lästige Gerichtsverfahren abwehren und die Gewinne der eigenen Unternehmen mehren.

Dass man sich als Medienunternehmen auch dis-kreter, wohl aber nicht wesentlich wirkungsloser in die Politik einmischen kann, beweist seit Jahren die Bertelsmann-Stiftung. Die finanziert sich vor allem aus den Beteiligungsgewinnen ihres 77,6-prozenti-gen Anteils an der Bertelsmann-AG. Zu der gehö-ren längst nicht mehr nur die bekannten Buchclubs, sondern in Deutschland beispielsweise die Fern-sehsender der RTL-Gruppe, der Gruner + Jahr Zeit-schriftenverlag mit Medien wie „Stern“, „GEO“ oder „Financial Times Deutschland“ und die Buchverlage der Random House Gruppe (Heyne, Goldmann, DVA u.v.a.). Wer zwischen Stiftung und einem der größ-ten Medienkonzerne der Welt Koch und wer Kell-ner ist, lässt sich nur schwer sagen. Fakt ist, dass die Stiftung mit den Geldern des Medienkonzerns seit Jahren auch politische Arbeit betreibt. Nach eigener Auskunft versteht sie sich „als ‚Motor‘, der notwen-dige Reformen initiiert und voranbringt.“ Dies tut sie zum Beispiel mit dem Centrum für Hochschul-entwicklung, das seit Jahren recht erfolgreich mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen einfordert, kürzere Studienzeiten und gern auch ein wenig Öko-nomisierung der Universitäten.

Ein neuer Coup ist der Stiftung in diesem Jahr mit dem so genannten „Bürgerforum 2011“ gelungen: In 25 Städten und Landkreisen stellten anfangs angeb-lich zufällig ausgewählte 10.000 Bürger ihre politi-sche Wunschliste zusammen, was in Deutschland zu tun sei – unter anderem in Chemnitz, von der Stadt großzügig beworben und durch die Teilnahme der Oberbürgermeisterin geadelt. Die Schirmherrschaft

für die programmatische Arbeit hatte Bundespräsi-dent Christian Wulff übernommen: Man könne hier eine neue Form bürgerschaftlichen Engagements erproben, erklärte er in seiner Videobotschaft, mit der er die Teilnehmer begrüßte, und dies war wohl auch die Absicht der meisten Teilnehmer, die von Parteipolitik nichts mehr halten.

Bevor der Präsident zu Wort kam, war zumindest in Chemnitz innerhalb von 20 Minuten insgesamt neun Mal der Name der „Bertelsmann-Stiftung“ ge-fallen und auch sonst nutzte sie das Projekt für reich-lich Publicity, zur Präsentation auf der Internetseite des Bürgerforums und zur Präsenz in lokalen und überregionalen Medien. Man darf gespannt sein, wie die Ergebnisse des Bürgerforums 2011 – unter anderem die Forderung nach einem Bürgergeld – in die Stiftungsarbeit eingehen werden. Oder bildet sich aus den Aktivisten gar eine neue Partei? „De-mokratie ist nie statisch, sie ist im Wandel“, hatte Wulff seinen Bürgern erklärt. Ob dazu gehört, dass unternehmensnahe Stiftungen verstärkt in den poli-tischen Raum eingreifen? Ein Traum, würde Berlus-coni wohl denken. |vtz

Viel geschickter als BerlusconiEin Kommentar zum „Bürgerforum 2011“

Bundespräsident Christian Wulff (Mi.) zusammen mit der Chem-nitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und dem Chemnitzer Bürger Ivo Haag bei der Eröffnungskonferenz des Bürgerforums 2011 im Januar in Schloss Bellevue.

Quelle: Stadt Chemnitz / Pressestelle

22 Jahr der Wissenschaft

Der Brühl: einsti ge Vorzeige-Einkaufstraße, beliebter Treff punkt für Jung und Alt. Das war einmal. Heute reihen sich dort Waff en-läden und Leerstand aneinander und der Brühl ist eines der Aus-hängeschilder für die Probleme,

die die Stadt Chemnitz eher unat-trakti v machen. Die Brühlwieder-belebung ist – seit langem schon –die Chemnitzer Utopie schlecht-hin. Und nun steht ein neuer Ritt er in strahlender Rüstung zur Rett ung bereit.

Ein vielversprechendes Pro-jekt steht im Rahmen des „Jahres der Wissenschaft “ in den Startlö-chern: „B51 – The House of Rock“. Damit ist die leerstehende Immo-bilie Brühl 51 gemeint, ein mehr-stöckiges Eckhaus, das schon bald

„Etwas installieren, was Chemnitz richti g rockt“Wenn Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Soziales an einemStrang ziehen – und das auch noch generationenübergreifend

Liebe Leserinnen und Leser,

die Stadt Chemnitz und die Technische Universität Chemnitz feiern 2011 das „Jahr der Wissenschaft“. Eines der zahlreichen Projekte finden Sie auf den folgenden Seiten: Die „Redaktion der Generationen“ begleitet dieses Jahr im „Journal der Generationen“. Die Teilnehmer – Senioren und junge Menschen, die Interes-se am journalistischen Schreiben haben – wurden in einem Workshop auf ihre Aufgaben als „Generationen-Redakteure“ vorbereitet, haben gemeinsam Themen aus dem vielfältigen Programm des „Jahrs der Wissen-schaft“ ausgewählt und stellen Ihnen nun Projekte und Akteure vor. Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre.

Volker Tzschucke

Fotos (2): Zauberberg Medien

23Jahr der Wissenschaft

Sarah Hofmann

Sarah Hofmann wurde 1990 in Karl-Marx-Stadt geboren. Sie wuchs im Erzgebirge auf, absolvierte ihr Abitur in Olbernhau und studiert seit 2008 im Bachelorstudiengang Germanistik, mit dem Schwerpunkt Literatur-wissenschaft an der TU Chemnitz. In ihrer Freizeit geht sie ins Theater, liest und sammelt Bücher, verfasst Kritiken zu Theater und Literatur und wirkt am freien Chemnitzer Radio T mit.

universitäre Forschungseinrich-tungen für die Bereiche Sportme-dizin, Sports Engineering, Sportso-ziologie und Medienpsychologie und vieles mehr beherbergen soll. Weiterhin sollen das Drum-Beat-Projekt, diverse Chemnitzer kul-turelle und soziale Einrichtungen, Initiativen und Projekte dort un-tergebracht werden. Zu ihnen ge-hören unter anderem das Bandbü-ro, das Chemnitzer Musikgruppen berät, die Mozartgesellschaft, die Jungen Freunde der Kunstsamm-lungen und der Kinderschutzbund e.V., der „B51“ mitträgt, aber auch neu gegründete Unternehmen wie Mobilitas Sedes, das Möbel aus Pappkarton herstellt. Die Projekte sind vielseitig und sprechen alle Bevölkerungsgruppen und Alters-stufen an. Die Projektideen wa-ren sogar so reichhaltig, dass der ursprünglich vorgesehene Raum nicht ausreichte und der Versuch gestartet wurde, das komplette Gebäude zu renovieren. „Wir wol-len etwas installieren, was Chem-nitz richtig rockt“, meint Peter Wright, Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft an der TU Chemnitz und engagierter Initiator des „B51“.

Trommeln für mehr Agilität

Kernidee fürs Haus ist ein von Wright geleitetes Projekt der Sport-wissenschaft, das Drum-Beat-Pro-jekt. Dabei wird erforscht, wie sich Trommeln gesundheitlich auswirkt: Lässt sich Trommeln als sportthe-

rapeutische Intervention in Kombi-nation mit musiktherapeutischen Elementen einsetzen, um für Se-nioren mehr Mobilität und Agilität zu erreichen? Die ersten Ergebnis-se sind positiv, wie der Versuch in zwei Chemnitzer Seniorenheimen zeigte: Die Senioren waren laut Wright von der neuen Betätigung so begeistert, dass sie die Übun-gen auch nach Ende des Experi-ments weiter durchführen wollen.

Das Forschungszentrum im „House of Rock“ wäre der erste Schritt zur Ausdehnung des Cam-pus gen Innenstadt. Die Alte Ak-tienspinnerei, in der sich bald die Universitätsbibliothek ansiedeln soll, ist nur wenige Schritte ent-fernt. Da die „B51“ auch Studenten anspricht, wird diesen neben der ebenfalls neu entstandenen Beta-Bar ein weiterer Grund geboten, sich in diesem Karree aufzuhalten und es zu beleben. Mit einem La-bor im Schaufenster, einer Lounge und regelmäßigen Veranstaltun-gen sollen Leute zum Verweilen angehalten werden.

Projekt auf der Kippe

Das Zusammenspiel von Wis-senschaft, Wirtschaft, Sozialem und Kultur in dem Maße, wie es hier geplant ist, ist einzigartig in Deutschland, könnte sich aber bald zum guten Vorbild etablieren.Das „House of Rock“ als Ganzes ist nicht darauf angelegt, großen Ge-winn einzufahren: „Einrichtungen,

die Sponsoren haben und finanzi-ell abgesichert sind, zum Beispiel die Forschungsprojekte, werden die gemeinnützigen Vereine mit-tragen. Diese müssten dann nur noch die Nebenkosten zahlen“, er-zählt Peter Wright aus dem Finan-zierungsplan. Die Sache hat nur einen großen Haken: Das Gebäude auf dem Brühl muss weiter saniert werden, eine öffentliche Nutzung des bisher leerstehenden Wohn-hauses erfordert zum Beispiel verstärkte Brandschutzmaßnah-men. Die Ausbau-Arbeiten haben schon begonnen, doch die Eröff-nung musste bereits einige Male verschoben werden. Momentan wird der Juli als Eröffnungstermin gesetzt. Um dieses Ziel zu errei-chen, werden noch 150.000 Euro benötigt. Auch der Nutzungsver-trag für das Haus läuft im Herbst aus: „Eigentlich brauchen wir eine langfristige Zusage, dass wir hier bleiben können“, so Wright.

Wenn weder Geld noch Miet-vertrag bis zum Juli diesen Jahres in Aussicht stehen, werden zumin-dest die Forscher um Peter Wright die Stadt verlassen. „Entweder ihr nehmt es – oder wir machen es halt woanders“, bringt es Peter Wright auf den Punkt. Andere Städte emp-fangen Initiativen wie diese mit of-fenen Armen, sie sind bereit, sie zu unterstützen und erkennen deren Potential. Man kann nur hoffen, dass auch in Chemnitz noch die Einsicht kommt: Wird die Stadt noch zugreifen? |Sarah Hofmann

Fotos (2): Zauberberg Medien

24 Jahr der Wissenschaft

Etwa 55 Stunden Filmmaterial hat Ralf Glaser von der Chemnitzer Filmwerkstatt zurzeit im Regal. 55 Stunden, also über zwei Tage Film, die ein Projekt dokumentieren, das es so in Chemnitz noch nicht gab. „Grow up!“ („Werde erwachsen!“), ist der Titel eines Jugend-Tanz-theater-Projektes, bei dem sich mit Theater, Kunstsammlungen, Universität, Stadtverwaltung und Filmwerkstatt Institutionen fach-übergreifend zusammenfanden. Die ursprüngliche Idee zu „Grow up!“ kam von Thomas Bauer-Friedrich, dem Kurator des Mu-seum Gunzenhauser. Die Werke des Malers Helmut Kolles, fand er, seien sicher interessant für jun-ge Menschen. Nur, wie bekommt man sie dazu, sich mit ihnen aus-einanderzusetzen? Bauer-Fried-rich kam schließlich auf die Idee, bildende und darstellende Kunst zu verknüpfen, und stieß beim hiesigen Ballett auf offene Ohren. Dass Tanz und Malerei nicht zu-sammenfänden, befürchtete der Kurator nicht: „Die Motive von Kolle sind sehr gestisch und plas-tisch“, sagt er und wurde bestä-tigt. „Die jugendlichen Teilnehmer des Projektes wollten Kunst und Werk Kolles unbedingt treu blei-ben.“ So hatte auch Ballettdirek-tor Lode Devos eher die Aufgabe, die vielen Ideen und Elemente der etwa 70 Kinder und Jugendlichen

umzusetzen und zu einem Ganzen zusammenzufügen, als sich selbst etwas auszudenken. Zur Choreo-grafie kamen Musik und Lieder, die die jugendlichen Teilweise selbst komponierten. Weitere Gruppen übernahmen Kostüm und Bühnenbild. So entstand eine Vorstellung, die an Leben und Werk Kolles das Erwachsenwer-den mit seinen Erfahrungen und Problemen nachvollzieht. Das Er-gebnis füllte unter großem Beifall in zwei Vorstellungen die Chem-nitzer Oper. „Im Nachhinein ist da etwas Tolles entstanden“, blickt Alexandra Szczypski auf das Projekt zurück. Sie abreitet selbst mit Ju-gendlichen und bewarb sich als Tänzerin für „Grow up!“. „Die Grup-pendynamik war schön und die Mädels und Jungen haben viel Krea-tivität und Engagement bewiesen! Das Stück war für mich jugendli-che Tanztheaterkunst!“ Nun sind andere Künstler an der Reihe. In der Chemnitzer Film-werkstatt, die „Grow up!“ durch alle Stationen begleitete, entsteht jetzt eine bis zu 60 minütige Do-kumentation. Bis 55 Stunden Ma-terial gesichtet, geschnitten und bearbeitet sind, kann es allerdings noch ein bisschen dauern. Zumal auch hier die Bearbeitung durch Jugendliche und Studenten in ih-

rer Freizeit erfolgt. „Der Film wird frühestens im Dezember fertig sein“, so Ralf Glaser, der das Pro-jekt seitens der Filmwerkstatt be-treut. „Das klingt zwar nach sehr viel Zeit, allerdings wird das für ein Projekt dieser Größenordnung mit unseren Ressourcen zeitlich trotzdem knapp.“ Wer die Auffüh-rung von „Grow up!“ verpasst hat, kann sich dennoch bis zur Doku mit einem Live-Mitschnitt der Vor-stellung trösten. Die, so verspricht Glaser, wird wahrscheinlich be-reits im Juli oder August auf DVD verfügbar sein.

Auch für die jungen Teilneh-mer ist mit dem geschlossenen Vorhang längst nicht Schluss, weiß Thomas Bauer-Friedrich. Die hat-ten so viel Spaß an der Sache, dass sie sich anschließend einfach wei-ter zu Proben trafen und nun auf eine Fortsetzung des Tanztheater-projektes hoffen. Warum erwach-sen werden, wenn die Jugend so schöpferisch sein kann? |mch

Getanztes ErwachsenwerdenDas Tanztheaterprojekt „Grow up!“ bringt Kunstrichtungen und Jugendliche zusammen

Foto: Theater Chemnitz/Wuschanski

Helmut Kolle, Selbstbildnis im Jagdkostüm I, um 1930, Öl auf Leinwand 100 x 81 cm

Foto: Privatsammlung Hamburg

25Jahr der Wissenschaft

Es gibt sie bereits in vielen Städten Europas, sie stehen an exponierter Stelle, um möglichst vielen Menschen zugänglich zu sein – Bücherschränke unter frei-em Himmel.

Als sich Chemnitz im Jahr 2009 um den Titel „Stadt der Wissen-schaft “ bewarb, wurden Insti tuti -onen und Bürger aufgerufen, sich mit eigenen Ideen und Projekten an der Bewerbung zu beteiligen. Wissenschaft – Wissen schaff en! Bücher können den Blick öff nen, neugierig machen, Verständnis füreinander wecken; sie sind Wis-sensspeicher und -vermitt ler. So

lag es nahe, auch in Chemnitz ei-nen Bücherschrank zu installieren, der jedem zugänglich ist, unab-hängig vom mehr oder weniger gefülltem Portemonnaie. Bücher lesen als Alternati ve zu Fernsehen und Spielkonsole? Für viele nicht vorstellbar, weil nicht vermitt elt durch Elternhaus und Schule, in der Literatur häufi g zerredet wird, bis sie eher Abneigung erzeugt und die eigene Phantasie tötet. Kann man das ändern?

Es kam auf einen Versuch an: Mit der Einreichung des Vorschla-ges, einen „Bücherschrank für alle Chemnitzer“ vor dem TIETZ-Kul-

turkaufh aus aufzustellen, begann das Projekt. Erst Monate später kam die positi ve Antwort des Wis-senschaft sbüros. Im Schauspiel-haus wurden ausgewählte Ideen sowohl von Insti tuti onen als auch von Einzelpersonen vorgestellt. Das Low-Budget-Projekt mutete gegen die anderen minimalisti sch an: Ein Schrank, möglichst wett er-fest, mit Büchern bestückt, über den die Chemnitzer stolpern, soll Alt und Jung anlocken. Nach ei-nem eingelegten Anfangsbestand können die Chemnitzer sich Bü-cher entnehmen, die sie interes-sieren. Im Gegenzug sollten sie ein Buch oder Bücher aus ihrem

Lesen und lesen lassenVor dem Tietz entstand ein Schrank als Anlaufstelle für Buchfreunde

Foto: Theater Chemnitz/Wuschanski

Foto: Zauberberg Medien

26 Jahr der Wissenschaft

heimischen Bücherschrank dort zurücklassen und anderen zur Verfügung stellen. Schön wäre es, wenn die Leute ins Gespräch kommen; so könnte der Alte zum Jungen sagen: „Das Buch habe ich früher verschlungen, es ist total spannend, das solltest du lesen“ –

und ihm dabei möglichst nicht die Pointe verraten. Die Sitzgelegen-heiten vor oder im TIETZ laden sofort zum Schmökern ein. Für weiterführende Literatur ist auch gesorgt, ist der Appetit erst ge-weckt, findet sich die Bibliothek oder eine Buchhandlung vor Ort, um ihn zu stillen.

„Bücher lesen heißt wan-dern gehen in ferne Wel-ten, aus den Stuben über die Sterne.� (Jean Paul)

Es wäre schön, wenn der ge-plante Literaturspaziergang nicht nur am Geburtshaus Stephan Heyms, sondern auch an diesem Bücherschrank halt machte. Viel-leicht können an lauen Sommer-abenden Chemnitzer aus ihrem Lieblingsbuch vorlesen und sicher auch interessierte Zuhörer fin-den. Ja, und gestandene Leserat-ten sollten ihre überquellenden Bücherregale durchforsten und schauen, was ihnen entbehrlich erscheint. Da ist das Buch von Tan-te Herta über die Grundlagen der

Quantenphysik. Sie meinte, dass ihre Nichte unbedingt das Zeug zur Physikerin habe. Weit gefehlt, sie unterrichtet inzwischen an der Musikschule Kinder am Klavier. Aber wegwerfen, nein, wegwer-fen kann sie Bücher nicht. Deshalb kommt auch ihr der offene Bücher-schrank gelegen.

Am 11.05.2011 wurde der Bü-cherschrank mit einer kleinen Le-sung und einem Alphorntrio auf-gestellt. Vorher mussten ein paar bürokratische Hürden genommen werden, dies gelang mit Hilfe der Mitarbeiter der Stadt. Das Mate-rial des Schrankes sollte möglichst wetterfest sein, denn in Chemnitz scheint nicht immer die Sonne. Eine Aufstellgenehmigung auf dem Platz musste bei der GGG, dem Be-sitzer der Fläche, eingeholt wer-den. Viele Freunde und Bekannte hatten der Initiatorin Bücher zur Verfügung gestellt, um einen An-fangsbestand offerieren zu können.

Seitdem wird der Schrank mehr und mehr zum Anziehungspunkt für Neugierige, die die Türen öff-nen und reinschauen, die Bücher mitbringen, um zu tauschen, die sich unterhalten, gleich vor Ort mit dem Lesen beginnen und die Idee loben. Längst ist der Anfangsbe-stand durch neue Bücher ersetzt, manchmal leeren sich die Reihen,

Gabriele Einmahl

Gabriele Einmahl wurde 1955 in Karl-Marx-Stadt geboren und studierte Wirtschaftswissenschaften an der hiesigen TH. Über zehn Jahre ar-beitete sie in der Leitung des Kombinates Baumwolle. Durch die Behinderung ihres Mannes angeregt, begann sie ehrenamtlich in einer Selbsthilfegruppe für MS-Kranke und der Regionalen Arbeitsgruppe für Behinderte und wechselte später hauptamtlich in dieses Tätigkeitsfeld. Sie studierte berufsbegleitend Sozialarbeit/Sozialpädagogik und arbei-tet heute im Sozialamt der Stadt im Sachgebiet Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Gabriele Einmahl ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sie liebt das Theater und ... natürlich Bücher.

aber anderntags ist er wieder prall gefüllt mit belletristischen Werken aller Couleur, mit Fachliteratur, Ratgebern und Reiseliteratur.

„Der wahre Zweck eines Buches ist, den Geist hin-terrücks zum eigenen Den-ken zu verleiten.� Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)

Es gab viele zweifelnde Stim-men: Das kann man in Chem-nitz nicht machen, der Schrank steht keine Woche, dann wird der Schrank demoliert, mit Graffiti „verziert“, oder die Bücher werden herausgerissen. Um Vandalismus und politischen Missbrauch zu verhindern, suchen die Mitarbei-ter des Wissenschaftsbüros in ver-schiedenen Chemnitzer Zeitungen nach BücherschrankpatInnen. Es meldeten sich sechs interessierte Frauen, die gemeinsam mit der In-itiatorin täglich nach dem Rechten schauen.

Vielleicht finden sich auch bei Ihnen Bücher, die Ihnen entbehr-lich erscheinen. Bitte werfen Sie sie nicht weg, sondern bringen Sie sie zum Bücherschrank am TIETZ. Und übrigens: Es muss ja nicht bei einem Schrank bleiben; es gibt viele freie Plätze in Chemnitz. |Gabriele Einmahl

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Damit der Chemnitzer Bücher-schrank auch nach Wochen noch ungetrübten Lesegenuss bietet, fanden sich Patinnen, die dort abwechselnd täglich einmal nach dem Rechten sehen. So ist zum Beispiel sichergestellt, dass der Schrank frei von Werbung und Propaganda bleibt. Was die Hel-ferinnen zu ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit motiviert verraten sie uns nebenstehend.

Margitta Müller

„Als ich den Arti kel von der Aufstellung des öff entlichen Bücherschranks las, war für mich klar, dass es eine gute Sache für Chemnitz ist, und habe gleich beschlossen, mich als Pate zu melden. Ich glau-be, dass er viele Interessen-ten an Leserinnen und Lesern fi ndet, das wünsche ich mir.�

Ramona Seidel

„Hier kommt man oft mit ande-ren Lesern ins Gespräch, welche sich alle positi v über diese Ein-richtung äußern, fl eißig Bücher ausleihen, aber auch Bücher einstellen. Die Bandbreite der im Schrank befi ndlichen Bücher ist dem entsprechend sehr breit. Ich freue mich, dass der Bücher-schrank so gut von den Chem-nitzern angenommen wird.�

Sonja Sieber-Hoang

„Seit meiner Jugend war ich ein Bücherwurm, und die Leselust hält bis heute an. Ich bin der Meinung, Bücher sind ein wert-volles Gut , man sollte aber nicht alle bei sich zu Hause belassen, sondern sie auf den Weg schi-cken zu andern Menschen. Der Bücherschrank bietet sich dazu ganz toll an.�

Jahr der Wissenschaft

Ursula Stübing

„Seit ich in der Ruhephase der Altersteilzeit bin, habe ich viel Freizeit, und da ich auch gerne lese, habe ich mich für die Mit-arbeit als Pati n beworben und bis jetzt schon viele Begegnun-gen und interessante Gespräche gehabt. Ich freue mich immer wieder auf meinen Einsatz.�

Steffi Gutjahr

„Eine solche unkomplizierte Möglichkeit des Büchertausches einzurichten und dabei mit so viel positi ver Energie und Vertrauen auf Leseratt en und solche, die es vielleicht werden können, zu-zugehen, fand ich faszinierend. Jeden Sonnabend schaue ich nun beim Bücherschrank vorbei und treff e jedes Mal Interes-senten, die erfreut von diesem Angebot Gebrauch machen.�

Bücher sind ein wertvolles Gut

Fotos (6): Zauberberg Medien

28 Jahr der Wissenschaft

Die Frage, wann ein akustisches Ereignis Schall und wann Lärm ist, ist nicht leicht zu beantworten. Zur Beurteilung sind physikalische und medizinische Faktoren zu berücksichtigen. Neben rein physikali-schen Kräften wie der Höhe des Schallpegels, der Einwirkungszeit oder Impulshaltigkeit sind auch ein-fache medizinische Aspekte wie Gewöhnung, Erwar-tungshaltung und Gesundheitszustand des Hörenden ausschlaggebend, ob er Schall als Lärm empfindet.

Bei solchen Betrachtungen müssen wir an das menschliche Ohr denken und erkennen, wie schüt-zenswert und empfindlich es ist. Das Ohr ist wie kaum ein Messgerät in der Lage – natürlich ohne Bereichsumschaltung – eine Skala von sieben Grö-ßenordnungen zu erfassen. So reicht diese von der Hörschwelle bei null Dezibel bis zur Schmerzgrenze bei 140 Dezibel. Auch der Frequenzbereich des Ohrs ist ganz erstaunlich. Er reicht von 16Hz bis 16kHz.

Für die physikalischen Faktoren gibt es gesetz-liche Vorschriften und Richtlinien. Das wichtigste Gesetz dazu ist das BundesImmissionsschutzGesetz (BimschG). Die medizinischen Faktoren sind hinge-gen nicht gesetzlich fassbar, müssen aber ebenso berücksichtigt werden. Den Einfluss des Gesund-heitszustandes kennt wohl jeder, der schon einmal

Migräne hatte. Da empfindet man normale Geräu-sche schon als unerträglichen Lärm. Andererseits ge-wöhnen sich zum Beispiel Jugendliche an den hohen Pegel der Musik in der Disko und empfinden diesen nicht als unangenehm – trotzdem ist er gesundheits-schädlich und kann zur sogenannten Lärmschwerhö-rigkeit führen. Den Einfluss der Erwartungshaltung erleben auch Orchestermusiker, die im Beruf erheb-lichen Pegeln ausgesetzt sind. Diese empfinden sie aber nicht als Lärm, weil sie den gesamten Orches-terklang erwarten und auch für ihr Spiel brauchen.

Die drei wichtigsten Lärmereignisse, die uns täg-lich begegnen, sind Verkehrslärm, Lärm aus öffent-lichen Veranstaltungen und – in Chemnitz weniger häufig – Gewerbelärm, etwa aus Fabriken und Ma-schinenhallen. Der Verkehrslärm ist das mit Abstand größte Problem, deshalb wird er auch in den Geset-zen bevorzugt behandelt. Verschiedene Maßnahmen können an Straßen und Autobahnen zur Lärmab-wehr dienen. Darunter etwa aktiver Lärmschutz mit Lärmbekämpfung am Fahrzeug („Flüster-LKW“) und Verbesserung am Straßenbelag („Flüsterasphalt“) oder passiver Lärmschutz durch Lärmschutzwände und -wälle. Welche Maßnahmen die Stadt Chemnitz ergreift, um Ihre Bürger zu schützen, zeigt nebenste-hendes Interview. |Frank Rothe

Es war gerade 11 Uhr, als das Generationenfest auf dem Brühl startete. An diesem Sonntag Ende Mai versam-melten sich Jung und Alt zu Musik und Mitmachaktio-nen (s. S. 28). Etwa eine halbe Stunde später ging laut Beteiligten die erste Beschwerde wegen Lärmbelästi-gung bei der Stadt ein. Chemnitz, meint man, ist eine

Aus Schall wird Lärm

Stadt der Hellhörigen. Ob Küchwaldbühne oder Kino auf dem Opernplatz, sobald Pläne zur Belebung aus-gesprochen werden, vermelden erste Anwohner Pro-test – sie fürchten Lärm. Aber ist jedes Geräusch auch gleich eine Belästigung? Generationenredakteur Frank Rothe beleuchtet die Frage, wann Schall zu Lärm wird.

Foto: Frank Rothe

Messung mit Lärmmessgerät (li.), Lärmschutz durch Wände und Flüsterasphalt an der A72 (m.), Computerberechnete Lärmkarte zur Ermittlung von Lärmerwartung (r.)

Foto: BMU / Rupert Oberhäuser

29Jahr der Wissenschaft

Frank Rothe

1941 in Chemnitz geboren, schloss Frank Rothe zunächst in Rostock ein Studium zum Diplomingenieur für Angewandte Mechanik ab. Von 1967 bis 1989 arbeitete er dann in der Grundlagenforschung der Karl-Marx-Städter Robotron, wo er als Hauptkonsulent für technische Lärmabwehr tätig war. Nach einem Jahr in der Kreishygieneinspektion als Inspektor für Bauhygiene (Lärmschutz) arbeitete der Ingenieur für ein Unter-nehmen, das Lärmschutzwände baute und plante, unter anderem auf der Neefestraße. Inzwischen befindet sich Frank Rothe im Ruhestand. Foto: Zauberberg Medien

4 Fragen an...

Welche Lärmbelastungen sind in Chemnitz besonders bedeutend?An erster Stelle steht der Verkehrslärm und dort vor

allem der Autobahnlärm. Beim Ausbau von Autobah-nen auf dem Gebiet der Stadt Chemnitz wurden die notwendigen Lärmschutzmaßnahmen durchgeführt. Trotzdem konnten wegen der topographischen Lage und den dadurch verbliebenen Lärmbelastungen nicht alle Anwohner zufrieden gestellt werden. Zwei-tens kann in der Sommerzeit die Lärmbelastung durch öffentliche Veranstaltungen genannt werden. Eine le-bendige Innenstadt muss vereinbar sein mit dem Ruhe-bedürfnis der Anwohner. Hier ist ein tragfähiger Kom-promiss notwendig. Eckpunkte dieses Kompromisses sind maximal 14 lärmintensive öffentliche Veranstal-tungen pro Jahr und Veranstaltungsort, Außengastro-nomie im Stadtzentrum nur bis 23 Uhr und die Einhal-tung der Beurteilungspegel der Freizeitlärm-Richtlinie. Den zuständigen Ämtern der Stadtverwaltung ist es in den letzten Jahren auch schon recht gut gelun-gen, ein verträgliches Miteinander zu organisieren.

Gibt es dennoch Beschwerden aus der Bevölkerung?Ja, es melden sich im Umweltamt einzelne Bürger mit unterschiedlichen Anliegen zu Wort. In Sachen Verkehrslärm gibt es auch Bürgerinitiativen, die um Verbesserung der Umweltsituation in ihrem Wohn-umfeld bemüht sind. Im Bereich Chemnitz-Glösa gibt es zum Beipiel eine Bürgerinitiative gegen den Auto-bahnlärm. Diese hat die Stadtverwaltung um Unter-stützung gebeten, um Verbesserungen im Anwohner-schutz zu erwirken.

Wie reagiert das Umweltamt auf solche Beschwerden?Das Umweltamt ist seit Jahren so ausgestattet, dass es selbständig Rechnungen und Messungen ausfüh-ren kann. Zur Beurteilung stehen alle entsprechen-den gesetzlichen Grundlagen zur Verfügung. Im Er-gebnis werden geeignete Maßnahmen veranlasst, um Lärmkonflikte zu lösen. Dabei gibt es zum Teil bauliche und technische Vorkehrungen, aber auch organisatorische Lösungen und Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren.

Nocheinmal zu Open-Air-Veranstaltungen: Wie ist die generelle Stellung des Umweltamtes zu solchen Veranstaltungen?Die Bemühungen der Stadt Chemnitz zielen auf Be-lebung und Stärkung der Innenstadt. Dazu wurde in den vergangenen Jahren schon viel erreicht, und die-se Zielstellung findet sich auch im Städtebaulichen Entwicklungskonzept bis zum Jahr 2020 sehr deutlich wieder. Die im Zentrum angesiedelten Bürgerinnen und Bürger sind Teil dieser lebendigen Stadt und pro-fitieren von den vielfältigen Angeboten in Bezug auf Handel, Gastronomie, Kultur und Freizeitgestaltung und von kurzen Wegen. Diese Angebote werden von vielen Menschen auch gern angenommen. Die An-wohner dürfen deshalb durch Umweltbelastungen nicht „vertrieben� werden, weshalb die schon ge-nannten Kompromisse gefunden worden sind. Wer aber ein besonderes Ruhebedürfnis hat, dem wird empfohlen, sich in einem der ruhigen, mit Grün- und Freiflächen gut ausgestatteten Wohngebiete unserer Stadt anzusiedeln, die gute Wohnqualitäten für ver-schiedene Ansprüche zu bieten haben.

Frau Carina Kuehnel, Abteilungsleiterin im Umweltamt

Foto: privat

30 Brauche ich das wirklich?

Ein bisschen peinlich war es schon: Da gehört man zu den 30 größten Städten in Deutschland, schafft es aber über Jahre nicht, eine Fußballmannschaft im deutschen Profifußball zu platzieren – und da ist in drei Bundesligen immerhin Platz für 56 Teams. Solch eine Peinlichkeit können sich eigentlich nur Städte in lang- andauernder Krise (Essen), in permanenter Selbst-überschätzung (Leipzig) oder bewusster Fußball- Ignoranz (Bonn) leisten. Aber nicht Chemnitz, Stadt der Moderne, eine der zehn wachstumsstärksten Städte in Deutschland, Stadt mit der größten Kauf-kraft in Ostdeutschland, die Stadt, in der traditionel-ler Erfindergeist auf die High-Tech-Entwicklungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts trifft. Und erst recht nicht, wenn da Städte im Profifußball mitmi-schen, die man nur mit allerbesten Geographie-Kenntnissen auf der Deutschlandkarte findet: Hei-denheim. Sandhausen. Paderborn. Oder Aue.

So ist es allein aus Prestigegründen erstmal gut, dass Chemnitz wieder im Konzert der Größeren mit-spielen darf: Der Aufstieg in die dritte Liga ist ge-schafft, die letzten notwendigen Punkte gelangen ausgerechnet gegen die Rote-Brause-Spezis aus der Stadt permanenter Selbstüberschätzung. Die Mann-schaft von Trainer Gert Schädlich wurde recht sou-verän Meister ihrer Klasse, oft spielte sie dabei sogar nicht nur erfolgreich, sondern auch noch schön. Die Spieler machten Werbung für die Stadt, für den Verein und auch ein bisschen für sich selbst, wie zahlreiche Übernahmeangebote größerer Vereine zeigen. Und die Aufstiegsparty auf dem Markt war ein großes

Fest. Von nun an locken in der dritten Liga regel-mäßige Auftritte in der ARD-Sportschau, namhaf-tere Gegner wie Carl-Zeiss-Jena, 1. FC Saarbrücken, Rot-Weiß Erfurt oder Jahn Regensburg. Nur Dynamo Dresden gelang es durch den eigenen Aufstieg in Liga zwei, sich dem Lokalderby zu entziehen. Scha-de eigentlich!

Alles eitel Sonnenschein also? Womöglich gar eine Gelegenheit, von einem neuen sächsischen Manchester zu träumen, diesmal mit einem Ver-gleich aus dem Fußballbereich? Natürlich nicht. Denn Vieles lässt am Projekt dritte Liga zweifeln: Da sind die Abwanderungen aus der Meistermannschaft – können sie adäquat ersetzt werden? Da ist die un-geklärte Stadionfrage: der leicht erweiterte Sport-platz an der Gellertstraße ist einer Stadt der Moder-ne ebenso unwürdig wie das marode Sportforum, auf Dauer wird das der Deutsche Fußball Bund nicht durchgehen lassen. Und da sind neue Ziele für Aus-wärtsfahrten wie Sandhausen, Aalen, Ahlen, Babels-berg und Unterhaching. Wir haben’s ja so gewollt.

Wobei die Ziele noch gar nicht endgültig festste-hen: Vor allem in der dritten Liga kämpfen immer wieder Vereine gegen die Insolvenz, aus Geldman-gel droht vielen der Zwangsabstieg oder Schlimme-res. Das Konstrukt Dritte Bundesliga gilt als Zone, die man am besten so schnell wie möglich wieder verlässt: Denn einerseits sind die Wege lang, die Mannschaften einigermaßen teuer, die technischen Anforderungen ans Stadion (und oft auch dessen Be-triebskosten) hoch. Und andererseits lassen sich in Liga drei kaum höhere Zuschauereinnahmen erzie-len als eine Klasse tiefer, Sponsoren zahlen allenfalls ein bisschen mehr Geld und die Fernsehgelder sind bei weitem nicht so erklecklich wie es nötig wäre.

Deshalb gibt es eigentlich nur einen Grund, warum jemand den Aufstieg von der vierthöchs-ten in die dritthöchste Spielklasse brauchen könn-te: Weil man nur von dort in die Zweite Bundesli-ga vorrücken kann. Das sollte, das muss über kurz oder lang Ziel auch für Chemnitz sein. Zumindest, solang man nicht Bundesstadt ist wie Bonn, und sich gepflegte Fußball-Ignoranz leisten will. |vtz

Nie mehr, nie mehr, vierte Liga, nie mehr!Brauch ich das wirklich? Chemnitz im bezahlten Fußball

CFC Foto: Chempixx.de/Peggy Schellenberger

31Heftvorschau

Alles Theater

Umbauarbeiten im Schauspiel-haus bescheren dem Haus eine neue Bühne und dem Figurenthe-ater eine neue Heimat. Das Jour-nal der Generationen plant einen Blick hinter die Kulissen.

Alles im Blick

Unsere „Generati onen-Redakti on� wird auch in der Herbstausgabe wieder Wissens- und Berichtens-wertes rund um das Chemnitzer „Jahr der Wissenschaft� aufspüren.

Impressum Journal der Generationen

Herausgeber (V.i.S.d.P.):Gesellschaft der Freunde der Techni-schen Universität Chemnitz e.V.Dr. Peter Seifert (Vorstand) TU ChemnitzStraße der Nationen 6209107 Chemnitz

Verantwortlicher Redakteur:Volker Tzschucke (vtz)

Zauberberg Mediengesellschaft mbH Fürstenstraße 2809130 Chemnitz Tel.: 0371-2 83 80 70

Redaktion:Michael Chlebusch (mch)Volker Tzschucke (vtz)Sarah Hofmann (sh)[email protected]

Verantwortlich für Anzeigen:Michael Chlebusch, [email protected]

Layout und Satz:Sophie Schmidt (Zauberberg Mediengesellschaft mbH)

Titelfotos: Quellen: Steff en Nowak (2), TU Chemnitz

Weitere Fotos und Grafiken: Zauberberg Mediengesellschaft mbH (soweit nicht anders angegeben)

Druck:flyeralarm GmbH, 97080 Würzburg

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 20. Mai 2011

Die kommende Ausgabe erscheint am 13. September 2011

Redaktionsschluss 19. August 2011

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1. August 2010

Idee & Konzept: Zauberberg Mediengesellschaft mbH, Chemnitz, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Roland Schöne, Wissenschaftlicher Leiter des Seniorenkollegs Chemnitz

Einfach per E-Mail mit vollständigem Namen und Anschrift oder telefonisch bei uns bestellen.

4 Ausgaben Journal der Generati onen für nur 5 Euro Versandkosten

E-Mail: [email protected]: 0371-2 83 80 70

Alles Gute

Im Oktober feiert der Nischel sei-nen vierzigsten Geburtstag. Wir werfen einen Blick auf die Bezie-hung der „Karl-Marx-Städter� zu ihrem Wahrzeichen in Vergangen-heit und Gegenwart.

Foto: Zauberberg Medien

Foto: TU Chemnitz