MITROPA
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Yvonne Chaddé Masterstudiengang Angewandte Kultur- und Medienwissenschaften Modul 1/3 B: Essen als Schnittpunkt von Anthropologie, Kultur- und Technikgeschichte Alfred Georg Frei MITROPA Berlin, 18. März 2008
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ESSEN IN DER DDR - IM SCHNITTPUNKT VON ANTHROPOLOGIE, KULTURGESCHICHTE UND
TECHNIKGESCHICHTE - RATIONALISIERUNG UND MODERNISIERUNG BEI DER MIT ROPA
IN DEN 50ER UND 60ER JAHREN
VON YVONNE CHADDÉ
„Mit dem weiteren sozialistischen Aufbau bildet sich schrittweise ein neuer
Wirtschaftzweig – die gesellschaftliche Speisung heraus, dem die sozialistischen
Gaststättenbetriebe, die Werkküchen und andere Großverbraucher zuzuordnen sind.
Während der Handel in der erweiterten sozialistischen Reproduktion im wesentlichen
die Funktion der Warenzirkulation auszuüben hat, haben die Betriebe der
gesellschaftlichen Speisung Produktions-, Zirkulationsfunktion und die Organisation
der Konsumption durchzuführen. Die Einheit dieser drei Funktionen trifft auch für die
MIT ROPA AG zu. Die Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen AG ist
das spezialisierte Unternehmen zur Betreuung der Reisenden im Verkehrswesen der
Deutschen Demokratischen Republik. Ihr fallen dabei zwei große Aufgaben zu:
Die Versorgung der Reisenden
die Betreuung durch Dienstleistungen
Entsprechend der ökonomischen Gesetze des Sozialismus macht es sich
erforderlich, daß auch bei der Versorgung der Reisenden eine ständige Entwicklung
zur Verbesserung der Befriedigung der Bedürfnisse erreicht wird. (…)“
(Stellungnahme des MIT ROPA-Direktoriums 1964, in: Bechtloff 2000: 265)
Yvonne Chaddé Masterstudiengang Angewandte Kultur- und Medienwissenschaften Modul 1/3 B: Essen als Schnittpunkt von Anthropologie, Kultur- und Technikgeschichte Alfred Georg Frei MITROPA Berlin, 18. März 2008
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Im Folgenden wird die Entwicklung der MIT ROPA unter planwirtschaftlichen
Gesichtspunkten, die Strukturierung und spezifische Profilierung des Unternehmens
näher beleuchtet, das sich in der DDR der Reisendenverpflegung und -umsorgung
angenommen hatte und zu einem bedeutenden Arbeitgeber in der DDR avancierte.
Die Arbeit gliedert sich in
Status (Seite 3)
Betriebe (Seite 3)
Planwirtschaft (Seite 5)
Der MIT ROPA Fahrbetrieb (Seite 7)
Die stationären Betriebe (Seite 8)
Entwicklung (Seite 9)
Rationalisierungsmaßnahmen (Seite 17)
zentrale Warenproduktion (Seite 18)
und schließt mit einem kurzen Fazit.
Die maßgeblichen Informationen entnahm ich betriebsinternen Publikationen
anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der DDR und Neugründung der
MIT ROPA und Büchern über die Geschichte und den Status des Unternehmens,
die nach 1990 veröffentlicht wurden.
Interviews führte ich mit meiner Familie, die in der MIT ROPA beschäftigt war oder
sie auf Reisen nutzte, Ausschnitte dazu im Anhang.
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Status:
Am 23. 5. 1945 findet die Neuanmeldung der MIT ROPA mit Stammsitz in Berlin
statt.
Die MIT ROPA untersteht seit 1945 der Deutschen Reichsbahn, ist aber ein
eigener Wirtschaftsbetrieb in der Rechtsform der Aktiengesellschaft. Seit jeher ist die
MIT ROPA angewiesen auf das Recht, die Schienenstränge zu befahren sowie auf
die Bereitstellung von Wagen und Immobilien. Die MITROPA gilt als „Regiebetrieb“
(Bechtloff 2000: 220) der DR.
1964 reformiert ein Generalvertrag zwischen dem Ministerium für Verkehrswesen
und MIT ROPA auf Grundlage der Beschlüsse des 6. Parteitages das Verhältnis
der deutschen Reichsbahn, der staatlichen Flughafenverwaltung und des zentralen
Straßenwesens zur MIT ROPA.
Bestimmt werden dadurch die Eigentumsverhältnisse von Immobilien (DR), Schlaf-
und Speisewagen (DR) und beweglichen Grundmitteln (MIT ROPA)
Es erhöht sich die Einflussnahme der MIT ROPA auf die Ausstattung der Bahnhofs-
und Autobahngaststätten.
1984 löst ein Koordinierungsvertrag das alte Regelwerk ab. Nutzungsgebühren und
Verantwortlichkeiten werden erneut festgelegt.
1952 wird durch den Beschluss des Aufbaus des Sozialismus durch die SED die
zentrale Planung der MIT ROPA beschlossen. Seitdem werden Warenumsatz- und
Warenfondsplanung durch das Ministerium für Handel und Versorgung sowie Löhne
und Prämien (Lohnfonds) durch das Ministerium für Verkehrswesen ab 1953
geregelt. Die Funktion der Organe (Vorstand, Vollversammlung, Aufsichtsrat) sind
praktisch schwächer ausgeprägt.
Betriebe:
Die Generaldirektion unterteilt sich seit 1960 in Verkehr, Handel, Organisation und
Technik sowie Ökonomie. Der Vorstand besteht aus dem Generaldirektor und vier
Direktoren, der Aufsichtsrat aus Generaldirektoren und „leitenden Angestellten des
Verkehrswesens“ (Mühl 1992:106)
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Die MIT ROPA-Direktion verwaltet die vier Hauptbereiche der MIT ROPA.
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Sie gliedern sich in 1. Fahrbetriebe, 2. die zentralen Versorgungsbetriebe,
3. stationäre Betriebe auf den Bahnhöfen (Gaststätten, Kioske und Friseursalons), an
Autobahnen, an Flughäfen (Flughafenrestaurants) auf Schiffen und als Hotels und
4. den Fährbetrieb. Die Bahnhofsgaststätten nehmen sich überproportional aus. Im
September 1991 betreibt die MIT ROPA 264 Bahnhofsgaststätten, sechs Hotels,
28 Autobahnraststätten, zehn Flughafenrestaurants, 82 Fährschiffrestaurants und
drei Fährschiffe, 13 Friseursalons, drei Wäschereien, 270 Kioske und
Verkaufsstellen. Circa 100 000 Mitarbeiter sind zu dieser zeit im Reisedienst tätig.
81 Schlafwagen, 109 Liegewagen, 82 Speisewagen und 42 Buffetwagen werden
durch sie bewirtschaftet. (Mühl 1992: 108)
Die MIT ROPA ist der drittgrößte Arbeitgeber neben der HO und dem Konsum.
Planwirtschaft:
Von 1945 bis 1952 befindet sich die MIT ROPA in einer Phase der
Bestandsaufnahme und Beseitigung der Zerstörung.
1952 mit der II. Parteikonferenz der SED erfolgt der Beschluss über Aufbau des
Sozialismus und für die MIT ROPA setzt eine Phase des Ausbaus und der
Umstrukturierung ein.
„Neue Aufgaben deuteten sich an, deren wichtigster Inhalt eine Betriebsführung nach
sozialistischen Gesichtspunkten und die Wahrnehmung der Reisendenbetreuung in
allen Verkehrsbereichen waren.“ (MITROPA 1969:8)
Um das Unternehmen in die sozialistische Planwirtschaft einzubinden, wird ein Statut
in Zusammenarbeit der Ministerien für Verkehr und für Inneres und Finanzen
erlassen, und die entsprechenden Fonds den Ministerien übertragen. Die
Verordnungen werden staatsideologisch begründet: aus der Position des kalten
Krieges sei „es erforderlich, Verkehrsknotenpunkte und hier insbesondere die
Bahnhofsgaststätten usw. in unmittelbare staatliche Lenkung zu nehmen und damit
den Agenten, Schiebern und Spekulanten wichtige Schlupfwinkel zu entziehen.“
(M200 A 62, ZA von 1953, aus: Bechtloff 2000: 241)
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Die Direktion der MIT ROPA ist dem „Ministerium für Verkehr“, der
„Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn“, dem „Ministerium für Handel und
Versorgung“, der „staatliche Plankommission“ sowie dem „Amt für staatliche
Kontrolle“ (Ebd.) falls Zielwerte untererfüllt werden, zur Rechenschaft verpflichtet.
Fortlaufende Berichte über Planablauf und analysierte Planerfüllung müssen
ausgewiesen sein.1 Als Privatunternehmen hatte die MIT ROPA bis dahin
Probleme, für geplante Investitionen Mittel zu beschaffen, so dass 1952 auf die
Bereitstellung von Mitteln für den Erwerb von Bahnhofsgaststätten von der DR
gehofft werden musste, auch Kontingente von „Papiere(n), Bestecke(n) und
Textilien“ der DR genutzt werden und es keine Möglichkeit gibt, Lohnanreize für die
Mitarbeiter zu schaffen. (Ebd.: 242)
Die Ziele und Wege des Unternehmens werden bestimmt, zentrale Verwaltung
eingeführt, die Leitung und Planung der MITROPA werden umstrukturiert.
Gebote der Sparsamkeit, der Rentabilitätssteigerung und Warenumsatz-,
Warenfonds-2, Arbeitskräfte-, Finanz- und Lohnfondsplanung3 werden gebräuchlich.
Als wirtschaftliche Instrumente dienen Kredit, Zins und Gewinn. Leistungslohn- und
Prämiensysteme, „Kinderferienaktionen, soziale Beihilfe und kulturelle Zwecke“
(Ebd.) sollen die Motivation der Mitarbeiter steigern.
Die Verteilung und Beschaffung der Waren wird den einzelnen Betrieben überlassen,
der Bezug der Waren erfolgt direkt und die Betriebe erhalten eigene Umsatzpläne –
Als weitere Modernisierung gilt die Einführung von Datenverarbeitungs- und
Netzwerktechniken. (MIT ROPA 1969)
Die grundlegenden Pläne ergeben sich ab 1953 durch das Ministerium für Handel
und Versorgung, das Ministerium für Verkehrswesen, jährlichen Arbeitstagungen und
den Konferenzen der Deutschen Reichsbahn.
1 Die Vorgaben zur Erhöhung des Gaststättenumsatzes durch stärkeren Verkauf von kalten und warmen Speisen und die Förderung der Kioske im Zuge der Strukturmaßnahmen ergeben sich beispielsweise aus dem „Bericht über den Planablauf und Analyse der tatsächlichen Planerfüllung für das Jahr 1956“, da der Plan für „Küchen-, Kuchen- und Getränkeumsatz“ untererfüllt, die Kioskumsätze jedoch übererfüllt wurden. (Bechtloff 2000: 264) 2 durch das Ministerium für Handel und Versorgung 1953 3 durch das Ministerium für Verkehrswesen 1953, die als Arbeitsanreize dienende Lohnfondsregelung unterscheidet sich von den Lohnvorraussetzungen bei der HO durch die Rechtsform der Mitropa als Aktiengesellschaft
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„Es bleibt kaum Raum für eigenständige Entscheidungen des Vorstandes, wie dies
das Aktiengesetz vorsieht. (…) Sämtliche Erzeugnisse oder Produkte werden in den
gesamtvolkswirtschaftlichen Produktionsprozess aufgenommen und eingegliedert.“
(Bechtloff 2000: 262)
Weiterführende Abstimmungen werden seit 1955 in der Vollversammlung der
europäischen Reisezugfahrplan- und Wagenbereitstellung Sektion 2 der ständigen
Kommission für Transport des OSZE und die Organisation für die Zusammenarbeit
der Eisenbahnen (OSShD) beschlossen betreffend der Grundsätze für Verkauf von
Speisen und Getränken, Zahlungsmittel, Facharbeiteraustausch, Dienstvorschriften
und Werbung.
Der MIT ROPA Fahrbetrieb:
Zum Kriegsende befinden sich nur noch 32 reparaturfähige Speise- und Schlafwagen
in Besitz und Eigentum der MIT ROPA. Nach der Überholung durch die Deutsche
Reichsbahn (DR) sind 1946 zwölf Speisewagen in der Sowjetischen Besatzungszone
(SBZ) noch einsatzfähig.
Diese werden erstmals für die Sowjetische Militäradministration (SMAD) zwischen
Berlin und Brest wieder eingesetzt. Auf Befehl der SMAD wird 1948 der
Speisewagenbetrieb in der SBZ für zivile Zwecke verfügt, so dass die DR,
vorhandene Wagen mit Mitteln im Ausbesserungswerk Gotha reparieren lässt. 1949
nimmt die MIT ROPA die reguläre Bewirtschaftung von Speisewagen im Inland
und 1951 im Ausland wieder auf. Bis dahin erinnerten die sogenannten Mitropisten
„sich der Vorkriegsjahre und bauten zunächst in Packwagen und später auch in
Reisezugwagen Küche und Anrichte ein.“ (Mühl 1992: 95)
Der Fahrbetrieb organisiert die Jahresdisposition, die Bestückung und Versorgung
der Wagen, der Personaleinsatz als auch die Reinigung.
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Die stationären Betriebe:
Nach der Neuanmeldung der MIT ROPA1945 konzentriert sich das Hauptgeschäft
der MIT ROPA wegen mangelnden Fuhrparks auf den stationären Betrieb. Der
Strukturwechsel gegenüber dem florierenden Fahrgeschäft bis 1945 bleibt
wesentlich.
Aus Mangel an Einnahmequellen, Reparaturforderungen und der Zerstörung des
Fuhrparks vermietet die MIT ROPA 1945 Teile ihres Direktionsgebäudes und
organisiert einen Hotelbetrieb im Hochbunker in Lankwitz. Ihr wird die Schulspeisung
für vier Berliner Bezirke aufgetragen.
Alsbald werden „Volksgaststätten“ als auch Bahnhofsgaststätten eröffnet und
Pensionen übernommen. Aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung müssen der
MIT ROPA alle Bahnhofsgaststätten mit einem höheren jährlichen Umsatz als
100000 Reichsmark als Pacht von der DR angeboten werden.
Der Warenumsatz ergibt sich aus niedrigen Preisen der Nahrungsmittel auf
Lebensmittelkarten und frei verkäuflichen HO-Waren.
„Die wenigen markenfreien Gerichte, überwiegend Kraut der unterschiedlichsten Art
mit Kartoffeln, waren nicht jedermanns Geschmack.“ (Mühl 1992:95)
1959 existiert die größte Dichte an Bahnhofsklausen mit 379. Aus mangelnder
Rentabilität und Konzentration auf Ballungsgebiete werden diese allerdings teilweise
wieder in örtliche Bewirtschaftung übergeben, um sich auf die Fahrgastbetreuung zu
konzentrieren.
Nachdem Anfang der sechziger Jahre die Selbstentnahme und Automatisierung als
gastronomisches Prinzip Einzug findet, kann sich neben angestammten Gaststätten
mit Kellnerbedienung und repräsentativen Einrichtungen in den großen Bahnhöfen
die Schnellgastronomie entwickeln. Der Anteil der MITROPA-Schnellgaststätten
beläuft sich 1988 auf 146 Einrichtungen und einem Gesamtanteil von 5,3 Prozent,
wobei das allgemeine Sortiment die Spezialformen grilletta-buffet, pizza-buffet und
broiler-buffet dominiert, was auf die Bedürfnisse der Reisenden zurückzuführen ist,
die preisgünstige „abgepackte Imbissartikel, Kaffee in Thermosflaschen sowie kalte
Getränke“ bevorzugen (RFZ Gaststätten 1989: 29; Gummich 1966: 217).
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Entwicklung:
Auf der Arbeitskonferenz 1954 wird das „Jahr der großen Initiative“ eingeleitet. Im
Rahmen des 2. Fünfjahresplans wird die Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch
1. Technisierung/ Automatisierung, 2. maschinelle Einrichtung der Küchen in
Bahnhofsgaststätten, 3. mehr Kellner- und Registrierkassen, 4. Buchhaltungs- und
Fakturiermaschinen und 5. ein spezifisches Sortiment für Fahrbetriebe beschlossen.
Es erfolgt die einheitliche Versorgung mit Porzellangeschirr, Bestecken, Textilien,
Glaswaren und neuerdings Thermosflaschen. Bis 1956 wird die Standardisierung
des Warensortiments, der Gestaltung und Belieferung der Bahnhofskioske
entschieden. „Moderne Warenverkaufsautomaten auf den Bahnhöfen lösten den
einstigen Bahnsteigverkäufer mit seinem Verkaufswagen ab.“ (Gummich 1966: 218)
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Ab dem Jahr 1962 gehen die ersten Typenkioske in die Produktion.
In den Jahren 1954 bis 1961 übernimmt die MITROPA die Bewirtschaftung der
Schiffe der Weißen Flotte in Berlin und Dresden. Besonderes Augenmerk erhält nicht
nur der Imbiss, auch die Organisation von Sonderveranstaltungen. Die Kombüse mit
einer Raumhöhe von zwei Metern und „oft nicht größer als eine normale
Hauhaltsküche“ (Gummich 1966: 224) kann rund 500 bis 1000 Passagiere
verpflegen.
Die Fährschiffe „Saßnitz“ und „Warnemünde“, die die MITROPA 1959 übernimmt,
werden speziell für die westdeutschen Urlaubsreisenden projektiert und bieten
Köstlichkeiten der skandinavischen und internationalen Küche wie „Beluga Malossol
Caviar, Ungarisches Gänseleberparfait in Weinaspik, Blätterteigpastete à la reine,
Artischockenböden oder Weinbergsschnecken“ (Gummich 1966: 222) neben Service
auf Deck auch in Restauranträumen an. Neben à la carte-Gerichten, gibt es ein
Selbstbedienungsbuffet mit Warmhalteanlagen und als Anreiz niedrige Kaffeepreise.
Die Versorgung auf den Flughäfen und an Board tritt die MITROPA 1958 an und im
Rahmen der Vereinheitlichung des „sozialistischen Verkehrswesens“ (MITROPA
1969: 8) überträgt das Ministerium für Verkehrswesen die Autobahnraststätten zur
„spezifische(n), niveauvolle(n) und einheitliche(n) Versorgung an den Autobahnen“
(MITROPA 1969:8), die vorher von HO und Konsum bewirtschaftet wurden.
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Von 1961 an wird gerade auf diesem Sektor großzügig rekonstruiert, erweitert und
mit dem Ausbau des Straßennetzes große Objekte wie das Schkeuditzer Kreuz oder
Rasthof Magdeburger Börde projektiert.
1957 wird in Meiningen die erste Selbstbedienungsgaststätte gegründet.
Weitere folgen in den Jahren darauf 4. Die Modernisierung wird durch 6. Parteitag
1960 offiziell: zwölf neue Selbstbedienungsgaststätten entstehen. Das erste
Selbstbedienungs- Durchlaufsystem mit Selbstentnahme entsteht in Karl-Marx Stadt.
Der Kaufanreiz wird neben Hunger durch ein ansprechendes Äußeres hergestellt. Es
gibt Prager Schnitten, Sandwiches, Gebäck und Salate, „Wurstsalat, die Bratheringe,
die rote Beete, die Bierschinken- und Eierbrote.“ (Köhler 2002:80) Der Kaffee wird
Automaten entnommen.
1962 wird ein Selbstbedienungssystem auch an Raststätten eingeführt, „und
daneben für Autofahrer, welche das gemütliche und ruhige Essen vorziehen, ein
Restaurant.“ (Mühl 1992: 98)
Bis zur Eröffnung des zentralen Produktionsbetriebes für Tiefkühlgerichte in Alt-
Glienicke zum 20. Jahrestag der DDR wird flächendeckend rekonstruiert, erweitert
und erneuert. Die Modernisierungsmaßnahmen umfassen Objekte
(Bahnhofsgaststätten und Raststätten), Projekte (Intershop, Tourex,
Kindergaststätte) als auch strukturelle Maßnahmen (Selbstbedienung und
Automatisierung, Biertankanlagen, Zentrallager, Vorküche) (MITROPA 1969: 59)
4 „21,3 % der geplanten Gaststättenversorgungsleistungen werden im Jahr 1969 in Selbstbedienungsgaststätten erbracht.“ (Mitropa 1969: 51)
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Maßnahmen zur Erhöhung der Qualität5 erstrecken sich auf die Kommunikation nach
außen in Form des Personals, klare Erkenntlichkeit der Objekte, Angebot und nach
innen durch ordentliches Wirtschaften.
Die Qualitätskonferenz von 1967 setzt folgende Ziele:
Vereinheitlichung des Services, Bekleidung, Sauberkeit, fachliche Qualifikation
repräsentative Räumlichkeiten, effiziente Raumgestaltung, sauberes und
einheitliches Porzellan, Wäsche, rationale Bedienungsmethoden
Angebotsvereinheitlichung (wertvolles Mindestsortiment mit Spezialgerichten),
einheitlich gestaltete Speisekarten und Preise, Speisenkalkulation
Effektivität des Wirtschaftens (Ehrlichkeit, minimale Verlust- und Preisverstoßrate)
Die Vereinheitlichung der MITROPA erstreckt sich auch auf Werbung und
Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist die MITROPA zur „Visitenkarte des Arbeiter- und
Bauernstaates“ zu machen. Die Werbemittel werden europäisch miteinander
verkettet und stärker profiliert. Das betrifft die verschiedenen Formate (Prospekte,
Publikationen, Plakate, Streichholzschachteln, Schaufenstergestaltung et cetera) und
die Normierung der Werbe- und Angebotskarten durch ein Piktogramm auf der
Titelseite, Unternehmensbereichsinfo, Muster und geschützte Wort-, Bildzeichen und
Farbwahl je nach Einrichtung (Bahnhofsgaststätte, Fahrbetrieb, Binnen- und
Küstenschifffahrt, Eisenbahnfährschiffe und Sonderveranstaltung).
5 Auf der 1. Konferenz der Deutschen Reichsbahn 1955 werden die Missstände in der Fahrgastbetreuung beklagt: „Verbessert werden muss die Arbeit der MITROPA und aller Bahnhofsgaststätten, was die Sauberkeit, Höflichkeit der Bedienung, Reichhaltigkeit und Auswahl der Speisen und Getränke anbelangt.“ (Kramer in Gummich 1966:163)
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„Die sichere Zukunft der DDR bietet auch der MIT ROPA weiterhin eine
kontinuierliche Entwicklung zum Nutzen aller Reisenden und unserer Republik.“
(M IT ROPA 1969: 11)
Die effektivere Wirtschafsführung und Umstrukturierung der MITROPA geht einher
mit einer hohen leistungsorientierten Wachstumsrate im Verkehrssektor der DDR in
den sechziger Jahren.
Im Bereich der zivilen Luftfahrt sind mit dem Ausbau Schönefelds zum Großflughafen
ein höheres Aufkommen und der Anflug entfernter Ziele, eine Zentralküche für Bord-
und Flughafenrestaurants mit Auswahl internationaler Speisen, sowie
Spezialfahrzeuge geplant.
Das Personal sollte Fremdsprachen beherrschen und ein interkulturelles Feingefühl
aufweisen. Die Autobahnen erhalten 500 Kilometer neue Strecken bis 1970 und
darunter elf neue Raststätten als auch eine Motelkette in Nord-Süd-Relation6. Es wird
mehr nationaler und internationaler Verkehr erwartet. Mehr Bewegung in den
Tourismus- und Industriezentren wird prognostiziert. An den Knotenpunkten der
Bahn sollen, wie am Beispiel Leipzig repräsentative gastronomische Einrichtungen
entstehen.
„Die deutsche Reichsbahn errichtet in einigen Städten neue Bahnhöfe und ließ
vorhandene modernisieren. Damit verbunden war in jedem Fall die Errichtung eines
6 um das Nord-Süd-Gefälle auszugleichen, so Köhler (Köhler 2002: 73)
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gastronomischen Komplexes. Die MITROPA hatte hier die Möglichkeit, bereits in der
Projektierungsphase mitzuwirken und ihre Wünsche darzulegen.“ (Mühl 1992: 98)
Die Standardisierung der Einrichtungen und das Risiko, in neue Gaststätten zu
investieren, ermöglicht der 1964 abgeschlossene Generalvertrag, da „die DR
verpflichtet ist, der MITROPA die unbeweglichen Grundmittel, die in der
Rechtsträgerschaft der DR verbleiben, zu Verfügung zu stellen (…)“ und „zur
Nutzung zu überlassen“ (Bechtloff 2000: 225), was keine Kündigung wegen
Eigenbedarf mehr erlaubt. Ebenso kann sich die MITROPA verstärkt auf die
Innenausstattung der Buffet- und Speisewagen konzentrieren, da die Wagen selbst
in die Rechtsträgerschaft der DR übergehen und die MITROPA „lediglich für die
Unterhaltung und Ersatzbeschaffung der Wirtschaftseinrichtungen (wie Küchenherde
u.ä.) verantwortlich ist.“ (Ebd: 226)
Ziel der Deutschen Reichsbahn ist die Verkürzung von Wartezeiten, die bessere
Verkehrsanbindung an die Hauptstadt und Erhöhung der Zugfrequenz und der
Reisegeschwindigkeit, so dass sich Fahrten drastisch verkürzen. Die
Fährverbindungen nach Skandinavien sollen eine höhere Qualität aufweisen. Die
MITROPA orientiert sich an den prognostischen Zielen des Verkehrswesens der
DDR bis 1980, den sich für die MITROPA ableitenden Hauptaufgaben, der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und internationalen Trends.
Es „(…) erwächst der MITROPA die Pflicht, sich vorrangig auf ihre speziellen
Aufgaben, die auf dem Verkehrsgebiet liegen, zu konzentrieren“ (MITROPA 1969:
87)
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Für die Raststätten sind autofahrergerechte, leicht verdauliche Speisen mit hohem
Vitamin C- und D-Anteil vorgesehen und alkoholfreie Frucht- und Milchmixgetränke.
Daneben werden Frischobst, Salat, Gemüsebeilagen angeboten.
Durch die Verkürzung der Fahrtzeiten in den Fahrbetrieben wird das Servieren einer
warmen Mahlzeit innerhalb von eineinhalb Stunden notwendig.7 Das Angebot soll
sich zusätzlich auf Imbisswaren ausweiten.
Der Schlaf- und Speisewagenfuhrpark wird ab 1960 erneuert, 1961 entstehen die
ersten neuen Nachkriegsspeisewagen. Es werden „ völlig neue Wagentypen, in
denen rationelle Verkaufsformen verwirklicht werden können.“ (MITROPA 1969:10)
projektiert. Einige Speisewagen der 60er Jahre erhalten Ölheizungen und in der
Küche Propangas, andere Kohlefeuerung. (Mühl 1992: 129)
„In der Sitzplatzanordnung 2+1 konnten in den beiden Speiseräumen, welche durch
eine offene Zwischenwand getrennt wurden, insgesamt 42 Reisende Platz nehmen.
(…) am Handbremsende neben dem Einstiegsraum [befinden sich] ein Vorraum mit
Waschgelegenheit und ein Getränkeraum. (…) Diese Speisewagen wurden mit einer
Druckbelüftungsanlage, einer elektrischen Stromversorgungsanlage 54 V sowie
Fremdeinspeisung von Wechselstrom 220 V, einer Ölfeuerung für die
Warmwasserheizung und die Küche sowie elektrischen Kühlschränken in Küche und
Anrichte ausgestattet. Obwohl die Ölfeuerung bei Küchenherden (…) einer
Kohlefeuerung Vorteile insbesondere bei der einfacheren Bedienung und der 7 „Um von Pasewalk nach Löbau zu kommen, brauchte man etwa zwölf Stunden. Da war es egal, ob die Brühe mit Eistich halb warm und das Ei roh war.“ (Hans-Günter Chadde, Interview 16. März 2008, Berlin)
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höheren Bevorratung mit sich brachte, zeigten sich auch Nachteile. Diese bestanden
in einer starken Geruchsbelästigung (…), sowie einer hohen Wärmeabstrahlung.“
(Ebd.)
Mittels neuer Buffetwagen soll die Versorgung während der gesamten Fahrt
gesichert werden.
Hauptsächlich wird das Angebot aus Feinfrostgerichten und vakuumverpackten
kalten Speisen aus Assietten bestückt. Die Wahl fällt auf verlorene Verpackungen
aus Spezialkunststoff und kunststoffbeschichtete Spezialkartonagen, weil sie
ernährungsphysiologisch „unbedenklich sowie farb- und formschön sind, große Kälte
und Hitze vertragen, leicht zu öffnen und stabil sowie mikrowellendurchlässig und
billig“ seien (MITROPA 1969, S. 90). Zum Lagern, Zubereiten und Anrichten der
Speisen werden die Buffetwagen mit Tiefkühl-, Kühl-, Heißluft- und
Mikrowellengeräten ausgestattet. Die Kochküche nehme daher im Speisewagen
durch das Wegfallen des Geschirrspülens und Kochens nur noch 20 Prozent des
bisher benötigten Raumes ein. Durch das Umsteigen von Flaschen auf
Getränkekonzentrattanks wird ebenso Platz eingespart. Beheizte oder gekühlte
Servierwagen ermöglichen das Bedienen in den Reisezugwagen.
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Die Konzentration auf Feinfrostgerichte, die tischfertig serviert werden können, ergibt
sich aus dem erhöhten Bedarf an gesunden, schnell sättigenden und
wohlschmeckenden Speisen, welche laut der MIT ROPA die beste Lösung
darstellten. Das Prinzip der gesunden Ernährung ist richtungsweisend. (MIT ROPA
1969: 90)
Rationalisierungsmaßnahmen:
Die geplante Selbstbedienung, die Küchenproduktion, der mechanisierte
Abwaschprozess, Automatentrakte, Stationen für Getränke- und Speiseausgabe, die
Be- und Entladeprozesse, die Biertankanlagen, die Herstellung der Feinfrostgerichte
und allgemein die Wartung und Erneuerung von Anlagen und Objekten erfordern
deshalb technologische Verbesserungen und Erneuerungen. Es erfolgt eine
Spezialisierung auf bestimmte Gerätetypen wie Heißluft- und Mikrowellengeräte8,
automatische Geschirrspülindustriemaschinen, Tankzapfanlagen und Anlagen für
alkoholfreie kohlensäurehaltige Getränke, die im POSMIX-Verfahren entstehen,
Getränkeautomaten für warme Getränke, an denen sich selbst per Münzeinwurf
bedient wird. Automatenrestaurants werden rotierende Entnahmetresen haben sowie
Vorbestellungsanlagen, die automatisiert sind.
Die Kassensysteme basieren auf der Datenverarbeitung.
8 VEB Elektrowärme Särnewitz, Werk für Elektrotechnik Berlin-Schönefeld
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Perspektivisch orientiert sich die MIT ROPA gesamt auf eine spezifische
Profilierung des Unternehmens durch Festlegung der Funktion und Größe einzelner
Objekte, ein Standartsortiment, die Vereinheitlichung des Mobiliars, Geschirrs, der
Dienstbekleidung, des Warensortiments und durch regionale Spezialisierung.
Ebenso werden die Arbeitsabläufe ständig reflektiert und optimiert durch ein
betriebsinternes Programm, mit dem die Rationalisierung konzipiert wird. Mit Hilfe
von Qualitätskonferenzen, Arbeitsgemeinschaften und Kollektiven werden die
Vorstellungen zur Qualitätssteigerung fixiert und Maßnahmen zur Umsetzung
vorgeschlagen. Diese Instrumente unterstützen die Wettbewerbsfähigkeit und bilden
das „gesellschaftliche Denken“ (M I T R O P A 1969: 29) der Mitarbeiter aus. Die
Möglichkeit zur Weiterqualifizierung der Mitarbeiter besteht ständig.
„Im Zeitraum bis 1975 wird die derzeit arbeitsaufwendige Speisenproduktion durch
Zentralisation und rationellere Technologien im Produktionsbereich abgelöst, die
industrielle Großproduktion von Speisen auf Feinfrostbasis begonnen.“ (M IT ROPA
1969: 10)
zentrale Warenproduktion:
Ab 1969 entsteht ein zentraler Produktionsbetrieb für Feinfrostwaren in Berlin Alt-
Glienicke, in welchem Gerichte für Zugfahrten und Flüge erzeugt werden. Die
Modellversuche werden zunächst im Großraum Berlin durchgeführt.
In „Transferautomatenreihen“ (MITROPA 1969:90) werden schon vorbereitete
Kartoffel-, Gemüse-, und Fleischsorten automatisch in Garautomaten zubereitet, in
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Geschirrverpackungen angerichtet, verpackt, abgekühlt auf minus 22 bis minus 24
Grad Celsius, in Kartonagen abgepackt und mit automatischen Staplern in
Kühlräume transportiert. Der Plan sieht 25 Gerichte in fünf Millionen Assietten pro
Jahr vor. Das erfordert die Produktion von 50000 – 100000 Gerichten pro Tag.
Von der Produktionsstätte zur Gaststätte werden die Kartonagen auf Paletten und
Spezialklappcontainern in Tiefkühl- und Thermofahrzeugen transportiert. Und
innerhalb des Objektes erfolgt Kleinmechanisierung für kleine Transportwege.
„Wesentlich wird dabei sein, daß der Transport der Waren, des Geschirrs, des
Leerguts und des Abfalls in solchen speziellen Geräten erfolgt, die als Lager- und als
Transportgeräte dienen und gleichzeitig Teile von Bearbeitungsmaschinen sind.
Erreicht wird damit, daß die Güter beim Übergang vom Transport zur Lagerung und
umgekehrt beziehungsweise zur Bearbeitung nicht in die Hand genommen zu
werden brauchen.“ (MITROPA 1969, S. 91)
In den Küchen laufen auf Bändern die Speisen in den Einwegverpackungen durch
Mikrowellenkammern beziehungsweise werden genau geplante Gerichte in
Heißluftöfen binnen zwei bis drei Minuten genussfähig erwärmt. Entweder serviert
der Kellner oder inklusive Erhitzung bedient sich der Gast selbst. Auch die
repräsentativen Restaurants erhalten im „Interesse eines Spezialsortiments“, vor Ort
gekocht technische moderne Geräte wie „kleine hochleistungsfähige und
thermostatisch geregelte Grills, Brat- und Fettbackgeräte( …), die selbständig
Gerichtebestandteile ausstoßen.“ (MITROPA 1969:91)
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92 Prozent der Waren bezieht die MIT ROPA direkt.
23 Brauerreien9 beliefern das Unternehmen und mehrere Süßwarenfirmen10
Das Unternehmen besitzt 60 LKWs mit Hänger.
Die Genussmittel werden in einem speziellen Sortiment hergestellt:
• Spirituosen - Kleinflaschenprogramm für Spirituosen 11, Pully- Programm (10
Sorten à 0,05 Liter), geschütztes Sortiment „Souvenir-Bar“ (5 Spirituosenarten
á 0,02 Liter)12
• Wein - 7000 Hektoliter/ anno13
3 Standartweine im Fahrbetrieb – MITROPA-Juwel (weiß), MITROPA-Rubin
(rot), MITROPA-Pußtagold (Dessertwein)
Exquisitweine im internationalen Betrieb
• Zigaretten14:
„Reisegruß“ (0,20 MDM)15
„Reisefreund“ (0,30 MDM)16
„Reisequintett“ (0,50 MDM)
In den darauf folgenden Jahren wird das Prinzip der Modernisierung beibehalten,
jedoch werden in keinem großen Maße mehr strukturelle Änderungen vorgenommen.
Neue Wagen werden etwa alle fünf Jahre gebaut und die Bahnhöfe nach Bedarf
restauriert. Expansion ist das herrschende Prinzip. Die MITROPA ist ausgezeichnet
organisiert.
Für weiterführende Studien wäre es interessant herauszufinden, welche
tatsächlichen Ergebnisse der Strukturwandel zeitigte. Waren die Technologien in den
80er Jahren veraltet? Änderten sich die Bedürfnisse der Reisenden mit dem Wunsch
jenseits des sozialistischen Schutzwalls zu ziehen?
9 VEB Radeberger Exportbierbrauerei, VEB Wernesgrüner Exportbierbrauerei, Wernesgrüner Brauerei KG, VEB Berliner Brauereien 10 Albert-Kunz (Wurzen), Süßwaren Freudenberg (Großgörsdorf), VEB Delitzscher Schokoladenwerke, VEB Henry (Eilenburg), Afro (Taucha) 11 Herstellung der Flaschen in drei Abstufungen (Schilkin KG aus Berlin-Kaulsdorf), Reiseflaschen mit Trinkbecher (0,2 Liter) in acht Sorten 12 VEB Bärensiegel Berlin, VEB Weinbrand Wilthen, VEB Nordbrand Nordhausen 13 Staatlicher Getränkekontor Berlin, 14 Adam und Söhne KG aus Worbis Eichsfeld 15 Buchheim und Richter aus Frankenberg 16 Pilz und Miersch KG aus Meißen
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Gab es eine soziale Ungerechtigkeit der Reisendenversorgung? Wann war das
Feinfrostgericht nur noch in der Theorie lecker und die Konserve nicht mehr gesund?
Fragen ergeben sich auch aus der Modernisierung und Automatisierung:
Ändert sich dadurch die Beschäftigungsstruktur der MITROPA?
Wie lange wird von Expansion und Konjunktur ausgegangen?
Begrüßt der Kunde die Entpersonalisierung?
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Quellen: Interview mit Hans-Günter Chaddé, Berlin 2008 Interview mit Regina Chaddé, Berlin und Jessen 2008 Interview mit Karola Bielig, Berlin 2008 Literatur: Gudrun Bechtloff (2000): Die Mitropa. Ein privatrechtliches Unternehmen des Schlafwagen- und Speisewagenverkehrs im Spannungsfeld wirtschaftlicher Interessen und staatlicher Einflüsse und Abhängigkeiten 1916 – 1990 (Diss.), Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien Karl-Heiz Gummich, Johannes Puschmann, Rolf Horstmann (1966): Mitropa zwischen gestern und morgen, Berlin Tilo Köhler (2002): Sie werden platziert! Die Geschichte der Mitropa, Berlin Mitropa, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.)(1969): Mitropa. 20 Jahre auf neuen Wegen, Berlin Albert Mühl (Hrsg.)(1992): 75 Jahre Mitropa. Die Geschichte der Mitteleuropäischen Schlafwagen- und Speisewagen-Aktiengesellschaft, Freiburg RFZ Gaststätten, BT Leipzig (1989): Die Schnellgastronomie der DDR, Leipzig Bildnachweise: Alle Bilder entstammen den Publikationen Karl-Heiz Gummich, Johannes Puschmann, Rolf Horstmann (1966): Mitropa zwischen gestern und morgen, Berlin Tilo Köhler (2002): Sie werden platziert! Die Geschichte der Mitropa, Berlin Mitropa, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.)(1969): Mitropa. 20 Jahre auf neuen Wegen, Berlin außer Seite 1: www.bahnstatistik.de/GIF/Mitropa.gif Seite 11: http://i2.ebayimg.com/04/i/000/e2/5b/48ee_1.JPG Anhang: Ausschnitt aus dem Interview mit Karola Bielig beschäftigt bei der M I T R O P A Bahnhofgaststätte in Falkenberg/ Elster 1983/ 84: „Es gab deutsche Küche, dann gabs eben auch belegte Brötchen, dann die ganzen Standards wie Bockwurstsalat (Bockwurst mit Kartoffelsalat) und andre Sachen, also ganz normal.“ „Gulasch mit Klöße und Rotkohl, das war der totale Renner, dann die Bockwurst, Salat, das war damals auch so Standard und Schnitzel mit Bratkartoffeln und ein Spiegelei obendruff, das war so der Renner.“ „Rinderroulade zum Beispiel mit Rotkohl und Klöße.“ „Ich glaub, das teuerste Gericht war sieben neunzig oder so.“ „51 Pfennig damals zu der Zeit“ das Bier. „Wir hatten Fassbier und dann gabs das gute Pilsener für 56 Pfennig und PILSATOR für 63 Pfennig.“ „Und Limonade. Die kam dann, glaube, 45 Pfennig oder so.“ „Wurde jeden Tag frisch gekocht.“ „Das wurde meistens geliefert.“ „Es kamen oftmals nur Zugreisende, es kamen vielleicht zehn zwölf Gäste, die Stammgäste waren, die irgendwie aus dem Schichtdienst kamen“ „Meistens gings entweder zehn Minuten, viertel Stunde, halbe Stunde, Stunde, je nachdem, wie die Züge fuhren oder ob es eben Verspätung hatten und ansonsten war eigentlich immer nur ne halbe Stunde Zeit und dann konnten die auch essen und trinken.“ „Die Tischdecken waren immer gleich. Und das Geschirr war eigentlich auch immer gleich also das war M I T R O P A Geschirr, Bestecke genauso, und die Bekleidung war entweder schwarz oder weiß …“
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Bei der Frage nach Planerfüllung oder gesellschaftlichen Engagement: „wir hatte eigentlich immer zu tun, es war ja eigentlich immer voll, weil, wir haben am Wochenende grundsätzlich zu dritt gearbeitet und in der Woche haben wir zu zweit gearbeitet.“ Auschnitte aus dem Interview mit Regina Chaddé, beschäftigt in den 80er Jahren „in der Mitropa in Falkenberg, in der Gaststätte auf dem Bahnhof und in Berlin am Ostbahnhof, in der Gaststätte und in Lichtenberg in der Gaststätte und auf den Schiffen zwei Monate bei der Weißen Flotte.“ „Zur Überbrückung“ Ganz viereckig, also runde klobige Tassen und dann war ein rotes Zeichen M drauf und das ganze gabs auch in blau, meistens hat es außen nen Rand gehabt, einen blauen Rand oder roten Rand.“ „Servietten dazu.“ „Wir haben schwarze Röcke tragen müssen, schwarze Schuhe und meist weiße Blusen. Wir haben Servierschürzen getragen aber das war keine Dienstkleidung, die mussten wir uns selber nähen oder selber kaufen.“ „Das war alles eine gleiche Kleidung, immer hatten wir schwarze Röcke an, je nach Mode kurz oder lang, ist ja klar.“ „Die Küchen waren meist aufgeteilt in Kalte Küche, Warme Küche und Abwaschküchen und meist gabs dann auch ein Büro für den Küchenchef dazu, was mit innen drin war und die Küchen waren fast ähnlich groß wie der Gastraum, in den Restaurants jedenfalls und Büro und Umkleideräume gabs natürlich auch und das alles relativ gut ausgerüstet mit Gerätschaften und Maschinen.“ „Wir haben alles noch per Hand gewaschen.“ „Das war meistens Durchgangsverkehr und einige Leute hatten ja auch Zugverspätung und die waren dann besonders eilig.“ „Das war recht schick für damalige Verhältnisse eingerichtet, aber grundsätzlich hatten die alle einen bestimmten Stil. Die waren sehr klassisch und sehr übersichtlich eingerichtet, meist, ja, recht praktisch.“ „Das es grundsätzlich immer gleiche Tischdecken überall gab, gleiche Salzstreuer, Bierdeckel waren immer auf dem Tisch und das Geschirr sowieso gleich und von daher hat man gedacht, man ist eigentlich überall gleich und ein paar Bilder an der Wand. Heute würde man sagen, sehr klassisch eingerichtet.“ „Was mir persönlich gut gefallen hat, weil es übersichtlich war. Es gab Servicetische, da war alles drinnen aufgeräumt, jeder Kellner hatte seinen Servicetisch, den er immer anständig ordnen musste und das war einfach auch ne Organisation!“ „Entweder hats der verantwortliche Oberkellner bestimmt, in der Küche der Küchenchef oder der Chef vom Ganzen. Aber grundsätzlich wurde der Kellner, der hingestellt wurde, eingewiesen und dann musste man sowieso, oder hat man sich selber organisiert.“ „Entweder hat man sich organisiert oder man hat eine Hilfe gekriegt.“ Auf den Schiffen war „ganz normaler Fahrbetrieb. „Da gabs nur Kleinigkeiten: Bockwurst mit Kartoffelsalat, Kaffee und Kuchen, Bier, Schaps, Wein.“ „Da gabs Köche. Ich war Kellner dort an Board.“ „Es gab Kaffeemaschinen, aber das waren eher Behälter, wo man den Kaffee frisch gebrüht rein gegossen hat und dann als Wärmebehälter benutzt hat.“ In den Bahnhofrestaurants: „Das wurde alles geliefert.“ „Als Büchsen kamen einiges und als Tiefkühl kam, glaub ich, auch schon was. Also Büchsen, weiß ich noch, glaub ich mehr. Große Büchsen“ „Es gab ja auch Maschinen, wo einiges geschnitten wurde und dann, äh, ja, das Personal hat natürlich auch Salate vorbereitet und Kartoffeln geschält und geschnippelt.“
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„Es wurde eigentlich immer das Gleiche gekocht: Rotkohl, Grünkohl. Es gab alles viel aus Gläsern und das war noch nicht so der Trend, frische Sachen zu kochen, und wenn, dann wurden dir alles stundenlang gekocht. Was schön gemacht wurde, war die kalte Küche, die kalten Platten und Salate. Wenn was da war, dann wurde das schön dekoriert und gemacht.“ „Hat geschmeckt.“ „Rohkost gab immer, Weißkohl und Rotkohl und Möhrensalat.“ In Bahnhofsgaststätten gabs „richtig Mittagstisch, Gulasch meist auch mit Nudeln oder Kartoffeln und Schweinebraten und Kleinigkeiten, Imbiss, Brötchen belegte, ja alles.“
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