Mitteilungen des Albrecht-Bengel-Hauses · weiten Teilen durch Organisation, Struktur und Planung...

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April – Juni 2005 No. 138 Der Geist und die Geister Der Geist und die Schrift Der Geist im Menschen Der Geist und die Gaben Der Geist und seine Leitung Mitteilungen des Albrecht-Bengel-Hauses Ausgabe

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April –Juni2005

No. 138

Der Geist und die Geister

Der Geist und die Schrift

Der Geist im Menschen

Der Geist und die Gaben

Der Geist und seine Leitung

Mitteilungen des Albrecht-Bengel-Hauses

Ausgabe

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Liebe Leserinnen und Leser,

IMPRESSUM

INHALT

2 Editorial Rol f Hi l le

4 Der Geist und die Geister Eberhard Hahn

8 Der Geist und die Schrift Joachim Kummer

12 Der Geist im Menschen Rol f Hi l le

15 Der Geist und die Gaben Volker Gäckle

18 Der Geist und seine Leitung Rolf Sons

22 Infos aus dem Haus / Schnuppertage im ABH

23 Theologischer Tag

Die Mitteilungen des Albrecht-Bengel-Hauses erscheinen vierteljährlich. Nachdruck auch auszugsweise nur mit Einwilligung des Herausgebers.Der Bezug ist mit keinen Verpfl ichtungen verbunden.

Herausgeber: Dr. Rolf Hille im Auftrag des Vereins Albrecht-Bengel-Haus e.V. Ludwig-Krapf-Str. 5, 72072 Tübingen Tel 07071/7005-0 / Fax 7005-40E-Mai l : [email protected]: www.bengelhaus.de

Redakt ion: Volker Gäckle, Joachim KummerGraf ik: krausswerbeagentur.de, HerrenbergDruck/Repro: Druckerei Zaiser, NagoldFotos: abh/photos.com/epdKonten: ABH-Verein: EKK Stuttgart BLZ 600 606 06 Konto 41 90 01ABH-Stiftung: EKK Stuttgart BLZ 600 606 06 Konto 41 95 83

Dr. Rolf Hille – Rektor

GEIST

Der Begriff „Geist“, den wir zum Thema dieses Heftes gewählt haben, ist offen-sichtlich eine sehr schillernde Größe. Ganz Unterschiedliches haben Menschen im Kopf, wenn sie von Geist reden. Und selbst in der christlichen Kirche, die sich in ihrer Entstehung dem Geist von Pfi ngsten verdankt, und die ohne den Heiligen Geist nicht glauben, leben und bekennen kann, werden Menschen rasch unsicher, wenn vom Geist und seinen Gaben gesprochen wird. Wer ist der Heilige Geist? Was be-wirkt er? Wie unterscheidet er sich von anderen Geistern? Um solche grundle-genden Fragen des Glaubens geht es in diesem Heft.

Wenn Sie es in der Hand halten, hat bei uns in Tübingen gerade das Sommer-semester begonnen. Wir leben in unserer Studienbegleitung von dem Gebetsruf: „Komm, Schöpfer, Heiliger Geist!“ Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Fürbitte, durch die Sie uns immer neu Gottes Geist beim Studium der Bibel und der Theologie er-bitten.

In dieser Verbundenheit des Geistes grüße ich Sie ganz herzlich aus dem Ben-gelhaus

Ihr Rolf Hille

Dr. Rolf Hille

ein jüngeres Paar schlendert über die Königsstraße in Stuttgart. Die Frau ist fas-ziniert von den vielfältigen Auslagen der Bekleidungsgeschäfte. „Sieh mal, dieser bezaubernde Hosenanzug … und diese schicke Bluse … und das moderne Kostüm dort drüben!“ Dem Ehemann wird es auf die Dauer etwas zuviel. „Könntest du nicht mal an etwas Höheres denken?“ fragt er ungeduldig. „Du hast recht, Schatz, ich habe den Hut vergessen!“

Bei manchen Zeitgenossen reicht der Horizont nur bis zur Hutschnur. Und den-noch – heute hat inmitten eines genuss-orientierten Materialismus „Geist“ durchaus Konjunktur. Viele wollen mehr als nur einbequemes Leben. Man sucht nach anre-genden und aufregenden spirituellen Erfahrungen, nach neureligiöse Kulten und esoterische Geheimlehren.

Daneben steht ungebrochen die Univer-sität als klassische Welt des Geistes. Über dem Eingangsportal der Neuen Aula in Tübingen steht das inhaltsschwere Wort von Jesus aus dem Johannesevangelium: „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ Wer diese Hallen der Wissenschaft betritt, dem geht es allerdings um Geistesfreiheit, um die Freiheit von Forschung und Lehre.

editorial

Redaktioneller Hinweis:

Schon jetzt möchten wir Sie auf unser Jahresfest in diesem Herbst aufmerksam machen:

Wir würden uns freuen, Sie am 20. November 2005 in der Filderhalle in Leinfelden begrüßen zu dürfen.

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1. Wer ist der Heilige Geist?

Über das Wesen des Heiligen Geistes als Person der Trinität wird in Röm 8 in umfas-sender Weise Grundlegendes ausgesagt. So wird dort vom Heiligen Geist als Zustand, als Gegenstand und als Beistand gesprochen:

Der Geist bestimmt zum einen die Art und Weise des christlichen Lebenswandels. In Vers 4, 5 und 9 ist davon die Rede, dass wir nach dem Geist leben, geistlich leben. Dann ist der Heilige Geist – als der Geist Christi –die Gabe, die der Christ empfängt (V. 9 undV. 15). Schließlich ist der Heilige Geist der Beistand. Er ist selbst Subjekt. Er wohnt in uns(V. 11), er wirkt in uns (V. 15) und er gibt Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind (V. 16).Er vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen vor Gott (V. 26), er tritt für die Heiligen ein, wie es Gott gefällt (V. 27).

Es ist von großer Bedeutung, dass diese drei Aspekte des Heiligen Geistes als Zu-stand, als Gegenstand und als Beistand engzusammen gehalten werden. Wenn das derFall ist, wird zum einen die umfassende Be-deutung des Heiligen Geistes für das christli-che Leben des Einzelnen und der Gemeinde insgesamt deutlich. Ferner wird klar, dass der Geist tatsächlich Gabe an den Menschen ist, aber nicht zu einem Besitz des Menschen werden kann. Er bleibt von uns Menschen unterschieden als der Geist Gottes. Er ist der Schöpfer, wir sind die Geschöpfe. Dabei ermöglicht der Heilige Geist den Zugang zu Gott, der zuvor durch die Sünde verschlos-sen war: Er lehrt die Glaubenden, „Abba“ zu rufen.

Wird dieser Zusammenhang beachtet, so kann verschiedenen Fehlentwicklungen gewehrt werden: Wo der Heilige Geist vor-wiegend als Objekt, als Kraft verstanden wird, dort gerät er leicht in die Hand des Menschen. Dann können sogar noch so bizarre Erscheinungen wie die des „Toronto-segens“ als Wirkungen des Heiligen Geistes gedeutet werden. Insgesamt ist im Blick auf heutige Geist-Bewegungen zu fragen, wie

weit der Aspekt des Geistes als Objekt hier isoliert und letztlich in die Verfügbarkeit des Menschen gestellt wird.

Umgekehrt ist zugleich die kritische An-frage ernst zu nehmen, die aus der Charis-matischen Bewegung an Volkskirche, Pietis-mus oder evangelikale Bewegung gerichtet wird: Ob das Leben aus dem Geist nicht in weiten Teilen durch Organisation, Struktur und Planung ersetzt worden sei. Gewiss ist das pauschale Urteil von einer „geistlosen Kirche bzw. Gemeinde“ falsch, solange noch ein einziger Mensch Jesus als seinen Herrn bekennt. Gleichzeitig ist danach zu fragen, wie es mit dem Leben „nach dem Geist“ bzw. „im Geist“ aussieht, ob also die konkrete Gemeinschaft mit dem dreiei-nigen Gott durch den Heiligen Geist auch das Leben der Glaubenden bestimmt.

2. Was wirkt der Heilige Geist?

Das Eingeständnis menschlichen Unvermögens

In seiner Erklärung zum 3. Glaubensar-tikel setzt Luther mit einer Negativaussage ein: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, mei-nen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann.“ D.h.: von uns aus sind wir nicht in der Lage, Gott zu erkennen. Hier wird etwa an Eph 4,18 angeknüpft: „Ihr Verstand ist verfi nstert und sie sind fremd geworden dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, die in ihnen ist, durch die Verstockung ihres Herzens“.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich das Werk des Heiligen Geistes: „ ... son-dern der Heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen, mit seinen Gaben er-leuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten ...“

In 1Joh 4,1 ist zu lesen: „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeden Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt.“

Der Geist und die Geister

Zunächst wird nüchtern festgehalten: Es gibt verschiedene Geister, die nicht alle von Gott kommen; daher ist auch mit „falschen Propheten“ zu rechnen. Dies macht eine Prüfung erforderlich; denn es ist offensichtlich von großer Bedeutung, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Geistern und Propheten zu erkennen.Um prüfen zu können, ist ein Maßstab erfor-derlich. Daher lautet die erste Frage:

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haben diese ausnahmslos der gegenseitigen Auferbauung, dem gemeinsamen Nutzen zu dienen. Insgesamt stellen sie die Ausstattung zum Dienst des Zeugnisses an die Welt dar.

3. Warum ist eine Prüfung der Geister notwendig?

Zunächst könnte gefragt werden: Warum ist es eigentlich erforderlich, Unterschiede zu erkennen und zu benennen? Können die höchst verschiedenartigen Strömungen und Geister in der Welt nicht in friedlicher Ko-existenz nebeneinander bestehen?

Was in vielen Bereichen unseres mensch-lichen Zusammenlebens immer wieder not-wendig ist – den Kompromiss zu suchen, die Gemeinsamkeit trotz aller Unterschiede zu betonen – das ist im Blick auf den Heiligen Geist und andere Geister offenbar unmög-lich. Hier gibt es ein Entweder – Oder; hier tut sich die Kluft zwischen Wahr und Falsch auf.

Der Grund dafür ist mit dem ersten Ge-bot gegeben: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Jesus erläutert dieses Gebot mit dem einzigartigen Anspruch, den er vertritt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Le-ben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

Natürlich wird diese Ausschließlichkeit bestritten. Z.B. so, dass ein Hindu ohne wei-teres Jesus als Gott anerkennen kann – aber eben als einen unter ungezählten anderen. Konfl ikte gibt es erst dann, wenn Jesus allein als der Einzige bekannt und angebetet wer-den soll.

Dabei treffen zwei verschiedene Glau-bensbekenntnisse mit entgegengesetztem In-halt aufeinander: Der Christ bekennt: Allein in Jesus ist das Heil der Welt. Der Nichtchrist bekennt dagegen: In Jesus ist nicht das Heil der Welt, sondern alle Religionen verweisen auf eine göttliche Wirklichkeit. Aus diesem

Grund können sehr tolerante Menschen plötzlich höchst ungemütlich werden, wenn ihrem Glaubensbekenntnis widersprochen wird. Denn damit werden ihr „Glaube“ und ihre Lebensgrundlage in Frage gestellt.

Warum ist eine Prüfung notwendig? Weil verschiedene, einander widersprechende Glaubensbekenntnisse aufeinanderprallen; weil damit Verwirrung und Unsicherheit einzieht; weil die christliche Gemeinde dem-gegenüber auf Klarheit und Geradlinigkeit angewiesen ist.

4. Was ist zu prüfen?Letzten Endes geht es stets neu um die Fra-

ge, die bereits im 1. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hat: Wer ist Jesus? „Wer sagendie Leute, dass ich bin?“ „Wer sagt ihr, dass ich bin?“ Zu prüfen ist das jeweilige Urteil über Jesus. Daran aber schließen alle wei-teren Fragen an: Was ist das Heil? Was ist der Mensch? Wie werden wir von Sünde frei? Was ist der Auftrag der Kirche? Worin liegt unsere Hoffnung? Bei diesen und vielen anderen Fragen kommen wir stets auf die Zentralfrage zurück: Wer ist Jesus? Ist er der, als den er sich bezeichnet, der Sohn Gottes, der Retter der Welt? Oder ist er nur einer unter vielen anderen, der uns ein wenig Hil-fe bringen mag, aber keinesfalls allein der Sohn Gottes auf Erden sein kann.

Der Heilige Geist erleuchtet unser Herz, so dass wir Jesus Christus als den Einzigen erkennen, der uns mit Gott verbindet, dem wir uns anvertrauen und auf den wir unsere Hoffnung setzen können.

Eberhard Hahn

Studienle i ter

Die Erleuchtung und der GlaubeMitten in die Situation der totalen Umnach-

tung bricht Gott mit seinem Licht ein. Davon spricht ein biblischer Grundtext, 2Kor 4,6: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“

Paulus knüpft hier an das Schöpfungswort Gottes am Anfang der Welt an und bezieht den Vorgang der Schöpfung des Lichts auf das, was nun in Christus geschieht. Dabei ist die wörtliche Übersetzung bemerkenswert: „Der Gott, der sprach: ‚Aus der Finsternis strahle Licht‘, der ist aufgestrahlt in unseren Herzen“: D.h. der Schöpfer ist selbst in der Neuschöpfung am Werk. Das geschieht dadurch, dass er als das Licht in den ehe-mals verfi nsterten Herzen der Menschen aufl euchtet. Damit wird die Verheißung der Neuschöpfung der Herzen eingelöst (vgl. Hes 36,26f.), das Zentrum der Person wird verwandelt durch das göttliche Licht.

Die Erkenntnis Jesu ChristiZugleich wird das Ziel dieses Aufstrahlens

angegeben. Es besteht darin, dass nun auch die Erkenntnis erleuchtet wird. Die Verfi nste-rung der Gedanken und des Herzens (Römer 1,21) wird aufgebrochen durch das Auf-strahlen des Lichtes und so wird Erkenntnis der göttlichen Herrlichkeit möglich. Die zuvor unzugängliche Herrlichkeit Gottes begegnet uns in erträglicher Form in Jesus Christus („Wer mich sieht, der sieht den Vater“). Das Angesicht Jesu Christi ist aber zugleich das Angesicht des Gekreuzigten. Indem sich Gott in erkennbarer und erträglicher Weise in Jesus Christus offenbart, verhüllt er sich zugleich in der Gestalt des Gekreuzigten. Auf diese Weise tritt nochmals die Verfi nsterung des menschlichen Verstandes zutage: Der Mensch meint das Göttliche im Erhabenen,

Übernatürlichen zu entdecken und übersieht dabei, dass Gott ihm im Zeichen des Kreu-zes begegnet, dass sich gerade hier seine Herrlichkeit erweist.

Das Bekenntnis zu Jesus ChristusDieses Bekenntnis kann nach 1Kor 12,3

allein durch den Heiligen Geist ausgespro-chen werden. Paulus stellt hier zwei einander widersprechende Glaubensbekenntnisse gegenüber. Das erste lautet: „Verfl ucht ist Jesus“ und besagt: Der Nazarener wurde als Gotteslästerer verurteilt und gekreuzigt. Da-mit steht über ihm der Fluch Gottes gemäß 5Mose 21,23 („Verfl ucht ist, wer am Holz hängt“). Dem gegenüber steht das Be-kenntnis „Herr ist Jesus“, das mit Gal 3,13 bekennt: „Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns“. Diese Erkenntnis ist allein durch den Heiligen Geist möglich.

Im Zusammenhang mit 2Kor 4,6 ergibt sich daraus: Erleuchtung heißt, die Herrlich-keit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi zu erkennen, ihn als den Sohn Gottes zu bekennen, an ihn zu glauben. Glauben heißt: Jesus Christus ergreifen. Im Wort der Heiligen Schrift wirkt also Gott, der Heilige Geist, und bewirkt im Hörer den Glauben, d.h. er vermittelt ihm den lebendigen und gegenwärtigen Jesus Christus.

Das Zeugnis von Jesus Christus Der Heilige Geist befähigt die Glauben-

den zum Ruhm „der großen Taten Gottes“ gegenüber der Welt (Apg 2); er gibt Freimut, Freude, Eifer zum Zeugnis. Hier kommt der Ausbreitung des Evangeliums in aller Welt eine besondere Bedeutung zu.

Die Geistesgaben (Charismen) als Dienstgaben

Die Fülle der Charismen (vgl. Röm 12; 1Kor 12) reiht sich in diese missionarische Hauptaufgabe ein: Innerhalb der Gemeinde

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Eindeutigen zu erklären bzw. durch Vertief-ung philologischer Kenntnisse noch zu er-hellen.

Für Luther liegt alles daran, dass die Schrift klar ist. Denn die Kirche, die Gemeinde Jesu, ist Geschöpf des Wortes Gottes. Ist dieses Wort zweifelhaft oder unklar, dann kann auch die Kirche nicht bestehen. Denn wo keine Klarheit ist, da ist keine Gewissheit, wo keine Gewissheit ist, da ist kein Glaube. Gott hat uns sein Wort gegeben, damit wir ihn darauserkennen und an ihn glauben. Sichere Glau-bensaussagen sind möglich, weil die Schrift klar ist – darüber sollte ein Christ sich freuen. An diese Glaubensaussagen dürfen wir uns halten. „Denn auf den Worten stehet all unser Grund, Schutz und Wehr wider alle Irr-tümer und Verführung, so je gekommen sind oder noch kommen mögen.“ (BSLK 711,16-199)

2. Der Heilige Geist als Ausleger der SchriftDurch die äußere Klarheit des Wortes wird die innere Klarheit und Gewissheit des Her-zens erst ermöglicht. Die der Schrift entnom-menen festen Glaubensaussagen sind Gabe und Wirkung des Heiligen Geistes (18,603): „Der Heilige Geist aber ist nicht ein Skeptiker und hat in unsere Herzen nicht Zweifelhaftes oder bloße Meinungen geschrieben, sondern feste Behauptungen, die gewisser und fester sind als das Leben selbst und alle Erfahrung.“

Wie gehe ich nun in angemessener Weise mit der Schrift um, damit der Heilige Geist zu mir spricht? Luther gibt uns dafür drei Regeln an die Hand: „Oratio, Meditatio, Tentatio“: Gebet, Meditation, Anfechtung. Diese Re-geln sind nicht isoliert zu fassen, sie greifen vielmehr ineinander. Schauen wir uns diese Ratschläge zum Bibellesen genauer an:

Regel Nr.1: Die Bibel soll unter Gebet gelesen werden

Luther schreibt (50,695): „Erstlich sollst du wissen, dass die heilige Schrift ein solch Buch ist, das die Weisheit aller anderen Bücher zur Narrheit macht. Weil keines vom ewigen

Mancher hat schon den Brandgeruch des Scheiterhaufens in der Nase, den gut hundert Jahre zuvor Johann Huss für weit geringere Vergehen hatte besteigen müssen. Nun – wir schreiben das Jahr 1521 – soll das Witten-berger Mönchlein durch den Anblick kaiser-licher Machtentfaltung zur Vernunft gebracht werden.

Was gilt? Das ist die brennende Frage. Es ist die Frage nach letzter Autorität in der Kirche wie im Leben des einzelnen Christen. Die Machtverhältnisse, wie sie sich im Lauf der vorangegangenen Jahrhunderte heraus-gebildet haben, sind öffentlich in Frage ge-stellt. Nun steht Luther vor dem Kaiser und den Fürsten des Reiches und wird wiederholt zum Widerruf seiner Schriften und seiner Lehren aufgefordert. Luthers Antwort ist ein theologischer Markstein (7,838): „Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde –denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es am Tage ist, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich [in meinen Schriften] angeführt habe, überwunden in meinem Ge-wissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun we-der sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen.“

Damals, auf dem Reichstag zu Worms ge-schah Unerhörtes. Die Heilige Schrift wurde als Gottes Wort zum Maßstab erklärt, der über jeder anderen Autorität steht – selbst über Papst und Konzilien. Die Reaktion ließ an Schärfe nichts zu wünschen übrig: Luther und alle seine Anhänger waren bereits vom Papst gebannt, nun wurden sie vom Kaiser mit der Reichsacht belegt: Das irdische und

Der Geist und die SchriftZur Frage nach der Autorität in

der Reformation Martin Luthers

das zukünftige Leben wurde ihnen abgespro-chen.

„Finstere Zeiten“ möchte man sagen. Das haben wir lange hinter uns. Jeder Mensch ist bei uns frei, seinem Gewissen zu leben. Nicht verändert hat sich hingegen folgendes: Der Anspruch, den Luther für die Heilige Schrift als Wort des lebendigen Gottes gel-tend macht, ist nach wie vor heftig umstritten. Wie ist dieser Anspruch inhaltlich gefüllt?

Die Gleichsetzung von Schrift und Wort Got-tes schließt ein Doppeltes ein: 1. Die Schrift wurde bei ihrer Abfassung vom Heiligen Geist eingegeben (2Tim 3,16; 2Petr 1,19-21).2. Durch diese Schrift spricht auch heute noch der Heilige Geist zu mir (Röm 10,17).

1. Der Heilige Geist als Autor der Schrift

Wie die Geistesleitung der Apostel und Propheten genau funktioniert hat, das war für Luther kein vordringliches Problem. Luther will nicht das Rätsel des Miteinanders von Göttlichem und Menschlichem entschleiern und begreifl ich machen. Wichtig ist vielmehr das Ergebnis: Gott redet zu uns durch das Wort der Schrift. Daher ist sie „unfehlbares Wort Gottes“ (2,279). Das gilt durchaus auch für alles, was uns als menschliche Seite der Schrift erscheinen mag: Es gibt stilistisch

reineres Griechisch und vieles, was wir lesen, mag uns verwirren: etwa die ungleiche An-ordnung der Geschichte Jesu innerhalb der Evangelien. Angesichts solcher Fragen bleibt Luther durchaus kühl und unaufgeregt (46,726ff): „Es sind Fragen und bleiben Fra-gen, die ich nicht aufl ösen will. Es liegt auch nicht viel daran. Aber es gibt viele Leute, die so spitzig und scharfsinnig sind und allerlei Fragen aufbringen und davon genau Rede und Antwort haben wollen; aber wenn wir den rechten Verstand der Schrift und die rechten Artikel unsers Glaubens haben, dass Jesus Christus, Gottes Sohn, für uns gestor-ben und gelitten habe, so hat’s nicht großen Mangel, ob wir gleich auf alles, so sonst gefragt wird, nicht antworten können. Die Evangelisten halten nicht einerlei Ordnung, was einer vorne setzt, das setzt der andere bisweilen hinten.“ Wichtig ist, dass wir die Artikel des Glaubens recht fassen. Von his-torischen Abläufen gilt (23,642ff): „Wer aber müßig Gezänke liebt, der frage immer hin, er wird mehr fi nden, das er fragt, denn das er antwortet.“

Wir dürfen uns also am menschlichen Ant-litz der Bibel nicht stören. Genauso wenig, wie wir uns daran stören sollen, dass GottesSohn in einem ärmlichen Stall zur Welt kommt (DB 8,13): „Darum lass deinen Dün-kel und Fühlen fahren, und halte von dieser Schrift als von dem allerhöchsten, edelsten Heiligtum, als von der aller reichsten Fund-grube, die nimmermehr genug ausgegründet werden mag. Auf dass du die göttliche Weis-heit fi nden mögest, welche Gott hier so ein-fach und schlicht vorlegt, dass er allen Hoch-mut dämpfe. Hier wirst du die Windeln und die Krippe fi nden, da Christus innen liegt, da-hin auch der Engel die Hirten weiset. Schlich-te und geringe Windeln sind es, aber teuer ist der Schatz Christus, der drinnen liegt.“

Was die Schrift uns zu sagen hat, das liegt uns klar vor Augen. Das macht Luther an den Hauptlehren fest: Dass Christus Gottes Sohn ist, Mensch geworden, dass Gott drei-faltig und einer, dass Christus für uns gelitten hat und ewig herrschen wird (18,606). Was daneben noch dunkel bleibt, ist aus dem

Joachim Kummer

Studienass is tent

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Leben lehrt, außer diesem allein. Darum sollst du an deinem Sinn und Verstand stracks verzagen. Denn damit wirst Du es nicht er-langen. Sondern mit solcher Vermessenheit (wirst du) dich selbst und andere mit dir vom Himmel in den Abgrund der Hölle stürzen. Knie vielmehr nieder in deinem Kämmerlein und bitte mit rechter Demut und Ernst zu Gott, dass er dir durch seinen lieben Sohn seinen Heiligen Geist geben wolle, der dich erleuchte, leite und Verstand gebe...“

Die erste Regel heißt also: Ihr sollt betend lesen. Ihr sollt lesen mit der Bitte, dass Gottes Geist euch den Sinn dafür öffnet, was ihrlest, damit ihr nicht euch selbst betrügt, in-dem ihr euch mit eurem eigenen Verstand einen Reim auf das Bibelwort macht.

Wieso verstehen wir die Bibel nicht auch ohne den Heiligen Geist? Weil unsere Ver-nunft und Wahrnehmungsfähigkeit durch die Sünde getrübt ist. Auch diese Erkenntnis bezieht Luther aus der Bibel: Die Menschen sind „in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfi nstert. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Röm 1,21f). Immer wieder sollen wir um den Geist bitten, der uns aus unseren verblendeten Gedanken reißt und uns in die Wahrheit führt. Denn wir haben unseren Glauben nicht als verfügbaren Besitz. Der Glaube muss uns im Lesen vielmehr immer neu geschenkt werden.

Regel Nr.2: Die Bibel soll meditierendgelesen werden

Luther schreibt dazu (50,659): „Zum andern sollst du meditieren, das ist: Nicht allein im Herzen, sondern auch äußerlich die mündliche Rede und die buchstäblichen Worte im Buch immer treiben und reiben, lesen und wieder lesen, mit fl eißigem Auf-merken und Nachdenken, was der heilige Geist damit meinet. Und hüte dich, dass du nicht überdrüssig werdest oder denkest, du habest es einmal oder zwei genug gelesen, gehöret, gesagt, und verstehest es alles auf den Grund. Denn so wird kein ordentlicher Theologe daraus. Sie sind wie das unzeitige

Obst, das abfällt, ehe es halb reif wird...“

Was meint Luther mit Meditation? Nicht das, was wir heute darunter verstehen! Er will keine Selbstversenkung in die Tiefen der eigenen Innerlichkeit. Luther fordert auch keine mystische Gottsuche. Wer durch solche selbst erdachten Gottesdienste Gott begeg-nen will, der wird ihn niemals fi nden. Denn Gott hat uns an einen ganz bestimmten Ort gewiesen, an dem er sich fi nden lassen will: In seinem Wort.

Meditation heißt darum für Luther: Die Gedanken sollen ganz an das äußere Schriftwort gebunden sein, an den Wortlaut. Durch sein klares Wort gibt Gott seinen Geist. So lernt der Bibelleser ein gesundes Miss-trauen gegen die eigenen Gedanken, die in Konkurrenz zum Wort der Bibel treten, ihn verunsichern und verwirren.

Es geht also nicht darum, aus der Bibel einen Gedankenanstoß aufzunehmen und diesen dann nach eigenem Gutdünken weiterzuspinnen und umzuformen. Im Bibel-lesen geschieht etwas unvergleichlich viel Größeres: Gott selbst will dem Menschen durch seinen Heiligen Geist im Wort der

Schrift begegnen. Gott hat sich an sein Wort gebunden und

will sich allein darin fi nden lassen. Wer die-ses Wort verachtet und sich über die Schrift stellt, der führt sich und andere unfehlbar in die Irre. Ein Beispiel hierfür ist das dramati-sche Ende Thomas Münzers. Mit seinen Visionen und speziellen Offenbarungen führ-te er die aufständischen Bauern im Bauern-krieg geradewegs in die Katastrophe. Freilich werden Christen vom Heiligen Geist in ihrem Leben konkret geführt. Und rückblickend dürfen wir immer wieder feststellen: Hier hat mich Gottes Geist geleitet (vgl. den Artikel von Rolf Sons). Aber wir werden, nachdem wir Gottes Wort Alten und Neuen Testaments haben, nicht wie biblische Propheten auf-treten und neue, darüber hinausweisende Lehren verkünden mit dem Anspruch: „So spricht der Herr...“.

Das Entscheidende am Meditieren des gött-lichen Wortes ist nun, dass man sich die Wirkung des Heiligen Geistes gefallen lässt. Nicht die Genialität des Auslegers steht im Vordergrund, sondern das Evangelium selbst (10I,1,13) „durch welches Christus zu dir kommt oder du zu ihm gebracht wirst“.

Dieses Meditieren braucht freilich Zeit. Lu-ther ist skeptisch gegenüber denen, die ein-mal die Bibel überlesen und dann meinen, sie wüssten alles. Sein Urteil ist scharf: Sie sind unreifes Fallobst.

Die Schrift will meditiert sein, d.h.: getrie-ben, gerieben, gelesen und wieder gelesen, mit fl eißigem Nachdenken, was der Heilige Geist damit meint.

Regel Nr.3: Anfechtung führt in die Bibel

Anfechtung – ein altertümliches Bildwort, das besagt: Jemand geht mit dem Degen auf mich los. Nach Luther ist es der Teufel, der mich anfi cht. Die Waffe, die er führt, heißt: Gott meint es übel mit dir, er nimmt dich nicht in Gnaden an, dein Leiden für ihn ist sinnlos. Gegen solche Anfechtung ist –um im Bilde zu bleiben – die Schrift der rech-te Schild.

„Zum dritten ist da Tentatio, Anfechtung.

Die ist der Prüfstein, die lehret dich nicht allein wissen und verstehen, sondern auch erfahren, wie recht, wie wahrhaftig, wie süß, wie lieblich, wie mächtig, wie tröstlich Gottes Wort sei, Weisheit über alle Weisheit.

... sobald Gottes Wort aufgeht durch dich, so wird dich der Teufel heimsuchen und dich durch seine Anfechtungen lehren, Gottes Wort zu suchen und zu lieben. Denn ich sel-ber... habe sehr viel meinen Papisten zu dan-ken, dass sie mich durch des Teufels Toben so zurecht geschlagen, gedrängt und geäng-stet haben, das heißt, einen ziemlich guten Theologen aus mir gemacht haben, was ich sonst nicht geworden wäre“ (50,660).

Was heißt das? Die Anfechtung ist nötig, weil sie uns vor Selbstüberhebung bewahrt und in die Schrift führt, ja, in die Schrift hin-eintreibt, damit wir wieder sicheren Boden unter die Füße bekommen. In der Ungewiss-heit der Anfechtung fi nden wir nur in der Schrift zu der Gewissheit zurück, die GottesGeist uns schenken möchte. In einem Tisch-gespräch hat Luther das erläutert: „Ich hatte den Papst, die Universitäten und alle Gelehr-ten und durch sie den Teufel am Hals kleben gehabt. Die haben mich in die Bibel gejagt, dass ich sie fl eißig gelesen und endlich rich-tig verstanden habe.“ (TR 1,146,16)

Anfechtung ist für einen Christen also hilf-reich, ja notwendig. Sie hält ihn am Wort und ist, wie Luther sagt, ein Prüfstein. Wofür ist die Anfechtung ein Prüfstein? Für unseren Glauben? Für unsere Treue? Nein. Die An-fechtung ist der Prüfstein für das Wort Gottes. In der Anfechtung machen wir die Erfahrung, dass Gottes Wort wahr ist und uns trägt.

Gebet, Meditation, Anfechtung: So machen wir unter dem Bibellesen Erfahrung mit dem Geist Gottes.

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1. Von Mystik und Esoterik herausgefordert

Sie gehen durch eine große Buchhandlung irgendwo in Deutschland und suchen nach Angeboten unter den Stichworten „Theologie“und „Christentum“. Zu diesen Themen werden Sie unschwer einige Regale mit sehr breit gefächertem Lesestoff fi nden. Daneben dürfte reichlich Literatur zu den Religionen Buddhis-mus, Taoismus, Islam, Judentum etc. stehen. Nun, wir leben in einem Land, mit interreli-giösem Interesse. Erstaunlich und beunruhi-gend ist allerdings die Tatsache, dass alle klassischen Religionen einschließlich des Christentums von dem riesigen Sortiment an Büchern zur „Esoterik“, heidnischen Kulten und Ähnlichem noch überboten wird. Was steckt dahinter? Buchhändler sind schließ-lich Geschäftsleute, die scharf kalkulieren müssen. Wenn dem Kunden ein so großes Angebot an Esoterik unterbreitet wird, ist ganz offensichtlich die Nachfrage entsprech-end. Und das bedeutet wiederum, dass in unserer Nachbarschaft, unter den Arbeits-kollegen und Mitschülern Menschen leben, die solche Lektüre suchen und deren Welt-bild von esoterischen Ideen, Geistvorstel-lungen und mitunter auch ganz primitivem Geisterglauben bestimmt wird.

Wenn wir in diesem Heft aus biblischer Sicht über den Heiligen Geist, sein Wesen, seine Früchte und Gaben reden, dann müssen wir uns vor Augen halten, dass viele Zeitgenossen beim Stichwort „Geist“ völlig andere Vorstellungen und Konzepte im Kopfhaben als wir Christen. Um angesichts diesesPluralismus theologische Orientierung zugeben, müssen wir wissen, was hinter solchemesoterisch-spiritualistischen Geistglauben

steckt. Wir sollten auf derartige Herausforde-rungen von der Bibel her antworten können. Dazu möchte ich Ihnen im Folgenden einige grundlegende Argumente für das missionari-sche Gespräch an die Hand geben.

2. Der Geist - Gottes natürliche Gegenwart im Menschen?

Die Vorstellungen von Geist und Seele sind höchst vielfältig: in den asiatischen Hoch-religionen (Hinduismus und Buddhismus), inder Mystik, bei den Esoterikern, in der Anthro-posophie sowie in den Denkgebäuden des philosophischen Idealismus. Aber es gibt auch elementare Gemeinsamkeiten, die sich in all diesen Weltanschauungen fi nden. Die Wichtigste besteht aus zwei Aspekten, die gleichsam die beiden Seiten einer Münze ausmachen. Zum einen wird ein radikaler Gegensatz zwischen Geist und Seele einer-seits und Leib und Materie andererseits angenommen. Zum anderen wird der Geist bzw. die Seele als göttliches Prinzip ange-sehen. Der Mensch muss nur vordringen zu seinem Seelengrund, er muss sich nur auf dem Weg der Meditation in sein eigenes Inneres versenken, dann ist er bereits bei Gott. Gott selbst ist in diesen Weltanschau-

Auf den Geist kommt alles an! -wirklich?

ungen Teil des Menschen, weil die Seele des Einzelnen teil hat an der Weltseele oder dem göttlichen Urgrund des Seins. Damit wird gleichzeitig betont, dass das Gegen-stück zum Geist, nämlich der Leib und die natürliche Welt überhaupt, das schlechte, das nichtgöttliche und das böse Prinzip dar-stellen.

Nun mag mancher sich zunächst etwas verunsichert fühlen. Sagt nicht auch Paulus in Gal 5,17: „Denn das Fleisch begehrt auf gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; die sind gegeneinander, so dass ihr nicht tut, was ihr wollt. “ Und in Röm 7,22-23 bekennt der Apostel: „Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich ge-fangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“ Wird hier nicht klar, dass die leibliche Existenz die Versuchung zur Sünde und der Geist die göttliche Kraft im Menschen darstellt? Wo soll also der Unterschied zu den oben genannten Weltanschauungen sein?

Nachstehend möchte ich in sechs Perspek-tiven deutlich machen, worin sich die bib-lische Botschaft in der Frage von Fleisch undGeist fundamental von allen mystischen Reli-gionen, esoterischen Kulten und idealistischen Philosophien unterscheidet.

3. Esoterik und Mystik - oder der Glaube an Gottes Geist

3.1 Gottes Geist oder Menschengeist -der grundlegende Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf

Bereits auf der ersten Seite der Bibel wird klargestellt: Es ist der ewige Gott, der in freiem Entschluss die Welt durch sein souve-ränes Wort schafft. Und so sehr die geschaf-fene Welt auf die Güte und Allmacht ihres Schöpfers zurückverweist, so sehr ist alles in dieser Welt als bloßes Geschöpf von Gott selbst, also dem Schöpfer, zu unterscheiden. Die Seele, der Atem und das Leben sowie

auch der Geist und die Kräfte der Vernunft sind und bleiben Kreatur. Sie sind endlich begrenzt und ganz und gar menschlich und damit eben nicht göttlich. Sucht der Mensch die Begegnung mit seinem Schöpfer, so fi ndet er diese nicht in der Versenkung ins eigene Ich, sondern im demütigen Gespräch mit Gott als seinem Gegenüber. Geist und Seele sind zwar wunderbare Gaben des Schöpfers, aber sie sind nicht der Schöpfer selbst.

3.2 Der Mensch, geschaffen nach Leib,Seele und Geist - die tiefe Einheit derSchöpfung Gottes

Aus dem unaufhebbaren Unterschied zwi-schen Schöpfer und Geschöpf ergibt sich als Kehrseite die Einheit der gesamten Schöp-fung. Leib und Seele, Geist und Materie,beides geht aus Gottes Schöpfungswort hervor. Über beidem steht das glanzvolle Urteil „sehr gut“ (1Mo 1,31). Der Leib mit seinen Gliedern und Bedürfnissen wie Nahrung, Fortpfl anzung, Schlaf etc. ist sehr gut, weil gottgewollt. Es gehört zur unver-äußerlichen Würde der Person, leibhaftig zu sein. Der Leib steht unter dem Adel seiner göttlichen Herkunft: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, …“ (1Mo 1,27). Entsprechend sind auch Seele und Lebensodem, Geistbegabung und Intelligenz gänzlich Kreatur. Der Mensch, wie er aus der Schöpferhand Gottes hervorging, ist gerade nicht dadurch zerrissen, dass sich die leibliche und die geistige Seite seiner Natur widersprächen. Im Gegenteil, Leib und Seele, Geist und Materie sind aufeinander bezogen und ergänzen sich; und in dieser wechselseitigen Abhängigkeit sind sie „sehr gut“.

3.3 Die Gottesfinsternis des Geistes -oder der Sündenfall des geistbegabtenMenschen

Adam und Eva sollten sich im Paradies anallen Früchten der Bäume laben – bis auf den einen. Sie sind nackt und sexuelle Wesen. Aber ihr Mann- bzw. Frau-Sein ist nicht das Problem, sondern Teil der Freude an Gottes

Rol f Hi l le – RektorRol f Hi l le – Rektor

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Schöpfung. Das Problem taucht an ganz anderer Stelle auf. Nämlich mit der zwei-felnden Stimme: „Sollte Gott gesagt haben …“ (1Mo 3,1). Im Intellekt des Menschen, in seiner Fähigkeit kritisch zu fragen und skeptisch zu denken, nehmen Versuchung und Sünde ihren Anfang. Der Geist wendet sich vom Schöpfer ab und reißt den Leib und alle Kreatur in den Fall hinein. Die vom Licht Gottes abgekehrte Vernunft wird verdunkelt und verwirrt. Eine Aufklärung fi ndet der in Gottesfi nsternis lebende Mensch deshalb nicht, wenn er sich auf die großartigen Fähigkeiten seines Intellekts beruft und sich in sein Inneres versenkt. Gerade dort stößt er nur auf die rebellische, gottfeindliche Natur seines Herzens.

3.4 >Gib mir einen neuen, beständigenGeist!< (Ps 51,12) - oder Selbsterlösungdurch Askese und Meditation

Auf dem geschilderten Hintergrund von Schöpfung und Sündenfall wird auch der biblische Erlösungsweg im Gegensatz zur Gesetzlichkeit mystischer Religionen sichtbar. Der Buddhismus, der vielen heutigen Zeitge-nossen so attraktiv erscheint, ist ein äußerst mühsamer Weg der Selbsterlösung. Durch strenge Askese soll der Durst nach Leben, und d.h. nicht zuletzt der Leib mit seinen Bedürfnissen, überwunden werden. Gleich-zeitig soll sich der geistige Mensch in medi-tativer Versenkung in sein Inneres zurück-ziehen und ganz in der Konzentration auf das eigene Selbst von allen Vorstellungen, Gedanken und Phantasien frei werden. Dagegen steht der biblische Heilsweg darin, dass Gott dem nach Leib und Seele sün-digen Menschen um Jesu willen vergibt und ihn durch den Heiligen Geist neu schafft. Erst durch solche Wiedergeburt kommt es zur Gotteskindschaft und nicht durch die Selbst-disziplin des natürlichen Menschen.

3.5 Erneuerung nach Gottes Geist -Weltflucht oder Weltverantwortung?

Die scharfe Trennung von Leib und Seele, von Geist und Materie führt im Mystizismus rasch zu einer Abwertung der irdischen, ge-

schaffenen Welt. Man kehrt sich von dieser Welt mit ihren Problemen und Nöten ab, umim eigenen „Seelenfünklein“ Trost und Frie-den zu fi nden. Ganz anders, wenn der Geist Gottes in einem Menschen wohnt. Dieser neue Geist motiviert zur Nächstenliebe und macht hellsichtig für das Elend der Welt. Der Geist Gottes macht dem Glauben Beine und gibt der Liebe Hände. Die Werke des Geistes und des Fleisches, von denen Paulus spricht sind deshalb so zu verstehen: Fleisch ist alles, was sich dem sündigen Menschen verdankt. Also auch die intellektuellen und spirituellen Werke des natürlichen Menschen. Geist ist demgegenüber das, was der Heilige Geist im Menschen schafft.

3.6 Was dürften wir hoffen? -Unsterblichkeit der Seele oder Aufer-stehung des Leibes?

Die alten Griechen dachten, der Leib sei der Kerker der Seele. Mit dem Tod werde die Seele aus ihrer Gefangenschaft erlöst. Denn die Seele als unteilbare Substanz müsse ja von Natur aus unsterblich sein. Manchen erschien diese Anschauung christlich. Sie ist es aber nicht. Es ist allein Gott, „der Un-sterblichkeit hat“ (1Tim 6,16) und nicht etwa der Mensch auf Grund seiner „unsterblichen Seele“. Unsterblich wird der, mit dem der liebende Gott in Ewigkeit Gemeinschaft haben will, d. h. mit allen, die zu seinem Sohn Jesus Christus gehören. Wen der Auf-erstandene aus dem Grabe ruft, und wervon ihm mit einem ewigen Leib neu geschaf-fen wird, ist wahrhaftig unsterblich.

Aus den oben kurz erläuterten Aspekten erkennen wir unschwer, wie tief und grund-legend sich alle esoterische Spiritualität und mystische Religiosität vom Evangelium unter-scheidet. Die Frohbotschaft gilt dem ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist. Gott sei Dank!

Der Geist, die Gaben und die Gemeinde

Der Heilige Geist ist ein schenkender Geist. Er beschenkt die Menschen, die an Jesus Christus glauben und ihn einladen, Woh-nung in ihrem Leben zu nehmen, mit vielfäl-tigen Gaben. Die grundlegenden Wir-kungen des Heiligen Geistes sind die Erken-ntnis von Gottes Wort und Willen, seiner Liebe und seines Zorns, der eigenen Beru-fung zum Dienst und nicht zuletzt der Gewiss-heit der eigenen Erwählung. Diese geistli-chen Erkenntnisvorgänge werden in der Bibel oft mit Metaphern des Lichtes umschrieben. Dort wo es bei einem Menschen zur „Er-leuchtung“, zum „Sehen“ oder – modern ausgedrückt – zum Durchblick kommt, weil ein heller Schein sein Denken durchfl utet (vgl. z.B. 2Kor 4,6), da ist der Heilige Geist am Wirken.

Die >Premiumprodukte< des Heiligen Geistes

Heute wird das Wirken des Heiligen Geistes oft an bestimmten außerordentlichen Mani-festationen fest gemacht und dann liegt dieFolgerung nahe, dass der Geist nur da wirkt,wo man besondere Phänomene zu sehen bekommt. Fakt ist aber, dass die „Premium-produkte“ des Heiligen Geistes sich da voll-ziehen, wo Menschen Jesus kennen lernen, geistliche Einsichten reifen, Christen in bib-lischer Erkenntnis wachsen, Gewissheit ihres Heils erleben, zu Werken der Liebe motiviert werden und treu in ihrem Dienst werden. Ob sich diese Erkenntnisprozesse spektakulär vollziehen oder nicht, ist völlig nebensäch-lich!

Darüber hinaus schenkt der Heilige Geist aber auch noch andere Gaben und Bega-bungen, von denen der Apostel Paulus zuerst im 1. Korintherbrief (1Kor 12-14) und ein bis zwei Jahre später noch einmal im Römer-brief (Röm 12,3-9) berichtet. Um diese Verse richtig verstehen zu können, ist es wichtig, möglichst alle Zusammenhänge dieser Kapitelin den Blick zu bekommen.

Volker Gäckle

Studienle i ter

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Paulus, der CharismatikerZunächst gilt es der Tatsache ins Auge zu

sehen, dass Paulus selbst ein charismatisch begabter Mensch war. Er kann von seiner außerordentlich intensiven Gabe der Zun-genrede (1Kor 14,18) ebenso erzählen wie von besonderen Visionen und Entrückungen (2Kor 12,1-7) und die Apostelgeschichte schildert uns Paulus u.a. als charismatisch begabten Wundertäter (Apg 13,9-11; 20,9-12; 28,3-6). Interessant ist jedoch, dass Paulus diese außerordentlichen Begabungen des Heiligen Geistes nie als Argument zur Untermauerung seiner geistlichen Autorität anführt. Dies tun nur seine Gegner (vgl. 2Kor 10-13; v.a. 10,12f.). Wenn seine Autorität und geistliche Vollmacht bestritten wird, verweist Paulus nicht auf seine Begabungen, sondern auf seine Berufung zum Apostel. Nur in seiner apostolischen Berufung liegt seine Autorität begründet, nicht in seiner Begabung!

Paulus, der UnbegabteUmgekehrt mangelt es Paulus offensicht-

lich an bestimmten Begabungen. Seine Geg-ner in Korinth warfen ihm vor, dass sein Auftreten nur wenig imposant ist, und dass seine rhetorische Begabung die Hörer nicht gerade von den Sitzen reißt (2Kor 10,10). Paulus wehrt sich gegenüber diesen Vor-würfen nicht, weil sie wohl auch objektiv zu-treffen. Aber für ihn hängt das Gelingen oder Misslingen seiner Mission nicht vom Maß seiner Begabungen ab, sondern vom Wirken der Kraft Christi, die sich seiner Schwachheit und seiner Begrenzungen im Blick auf Gesundheit und Begabung be-dienen kann und gerade so als Kraft Gottes offenbar wird (vgl. 2Kor 12,7-12).

In Geistesgaben steckt für Paulus ein Auf-trag zum Dienst, nicht zur Demonstration, zurPraxis, nicht zum Protzen. Gottes Reich kann durch die Geistesgaben sowohl gefördert wiedurch ihren Missbrauch gehindert werden. Umgekehrt ist ein Mangel an Geistbega-bung für ihn ein Grund, um Gaben zu beten

(14,1), aber kein grundsätzliches Hindernis für das Reich Gottes.

Die Geister und die GabenFür seine Ausführungen über die Geistes-

gaben in 1Kor 12-14 wählt Paulus einen interessanten Einstieg: „Ihr wisst: Als ihr Heiden wart, zog es euch mit Macht zu den stummen Götzen“ (12,2). Damit deutet Paulus an, dass den Korinthern die Phäno-mene außerordentlicher Befähigungen schon vor ihrer Lebenswende zu Christus nicht fremd waren. Auch unter der Macht der „stummen Götzen“ wurden Energien in ihrem Leben frei, die sie zu beeindruckenden cha-rismatischen Äußerungen befähigten.

Damit deutet Paulus etwas an, wofür es in der Religionswissenschaft vielfältige Belege gibt. Das Phänomen der Geistesgaben ist nicht ein spezifi sch christliches. Ähnliche Phä-nomene kommen in fast allen Religionen vor. Das bedeutet aber, dass man vom Phäno-men nicht einfach auf den dabei wirkenden Geist zurückschließen kann. Nicht jede Krankenheilung muss notwendigerweise vom Heiligen Geist gewirkt sein; es können auch ganz andere Geister dahinter stehen. Spektakuläre Phänomene an sich sind noch lange kein Beweis für das Wirken des Heiligen Geistes. Wes Geistes Kind ein bestimmtes Phänomen ist, entscheidet sich am Bekenntnis des Be“geist“erten: „Darum tue ich euch kund, dass niemand Jesus ver-fl ucht, der durch den Geist Gottes redet; und niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den Heiligen Geist“ (12,3).

Dienstleistungsgesellschaft statt Ich-AG

Im antiken Griechenland herrschte eine Kultur der Selbstdarsteller. Der hellenistische Mensch war darauf programmiert, ein Publikum für seine Tugenden und Fähig-keiten zu fi nden. Die Stars jener Zeit waren die Philosophen und Rhetoren (Lehrer für Redegewandtheit), die ihre Fähigkeiten auf

den Markt- und Tempelplätzen darstellten, um Kunden, d.h. Schüler zu fi nden. In dieser Selbstdarstellungskultur war Angeberei und Egomanie Pfl icht und entsprechend verachtet wurde die christliche Tugend der Demut und Bescheidenheit. An diesem Punkt gingen antike und christliche Ethik deutlich getrennte Wege. Der antike Mensch war eine „Ich-AG“.

Auf diesem Hintergrund müssen auch die paulinischen Anweisungen für den Umgang mit den Charismen verstanden werden. Paulus wird nicht müde zu betonen, dass derHeilige Geist die Begabungen nicht zum Zweck der Selbstdarstellung gibt, sondern zur Auferbauung der Gemeinde. Die Grundlage für eine fruchtbare Ausübung der Geistes-gaben ist eine Haltung der Dienstbereitschaft und demütigen Unterordnung.

Wenn Charismen zur Katastrophe werden ...

Wenn Geistesgaben zum Hochmut, Lieb-losigkeit, Streit und Uneinigkeit (ver)führen, dann ist das ein sicheres Zeichen, dass sich der Geist verabschiedet hat und nur noch die Gabe übrig geblieben ist. Eine Gabe ohne Geist ist aber immer verheerend, oder um es mit dem pietistischen Charismatiker Peter Kusmic zu sagen: „Charisma ohne Charakter führt immer in die Katastrophe!“

Aus diesem Grund kann auch nicht irgend-ein „Gabentest“ am Anfang eines Mitarbei-terseminars oder einer Jüngerschaftsschu-lung stehen. Bevor er zu den Charismen kommt, redet Paulus im Römerbrief und in bestimmter Weise auch im 1.Korintherbrief über die Rechtfertigung (Röm 1-4) bzw. dasWort vom Kreuz (1Kor 1,18ff.) und an zweiter Stelle über die Heiligung (Röm 6; 1Kor 5-11). Nur wer im Kreuz Jesu die Befreiung von der Schuld zugesprochen bekommen hat und in der täglichen Heiligung eine Neu-ausrichtung seines Denkens, Handelns undRedens erfährt, ist in der Lage, mit den ge-schenkten Geistesgaben auferbauend und dienend in einer Gemeinde zu wirken.

Wer den Geist hat, kann auch schweigen!

Paulus will, dass möglichst viele Cha-rismen von möglichst vielen Gemein-degliedern zur Entfaltung kommen, weil die Gemeinde sie braucht und weil kein Glied unwichtig ist (1Kor 12,12-26). Aber die Vielfalt soll und darf nicht zum Chaos werden, das Hochmut, Streit und Spal-tungen zur Folge hat. Deshalb gibt Paulus dem korinthischen Gottesdienst ordnende Regeln (1Kor 14,26-33), die eine un-übersehbar „restriktive Tendenz“ haben. Es sollen nur zwei, „höchstens“ drei Personen in Zungen reden (V. 27) und das auch nur unter der Bedingung, dass diese Rede ausgelegt werden kann. Ansonsten sollen die mit Zungenrede begabten Gemeinde-glieder schweigen (V. 28). In gleicher Weise ist die Zahl der Propheten, die zu Wort kommen sollen, begrenzt (V. 29), wie über-haupt Paulus darauf wert legt, dass gleich-zeitig immer nur eine Person redet (V. 30f.). Paulus will die vielfältigen Begabungen in ihren Äußerungen nicht unterbinden, aber ihnen eine Ordnung geben, die unter den Prinzipien „Frieden“ und „Auferbauung der Gemeinde“ steht.

Wir entdecken hinter diesen „geistlichen“ Ordnungen eine der vornehmsten Eigen-schaften des Heiligen Geistes: Er kann sich und seinen Träger zurücknehmen. Wer meint, immer das letzte Wort, die größte Aufmerksamkeit, die höchste Bühne und die lautesten Mikrophone haben und zu allem auch noch etwas sagen zu müssen, dokumentiert damit gerade nicht seine Geistbegabung. Der Heilige Geist spricht manchmal gerade da am deutlichsten, wo sein Träger schweigt.

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Der Geist und seine Leitung

„Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen,

denn du bist mein Gott; dein guter Geist führe

mich auf ebener Bahn.“

Psalm 143,10

Als Christen geraten wir immer wieder in Entscheidungssituationen und fragen uns, welchen Weg wir nehmen sollen. Dabei suchen wir den Willen Gottes und bitten ihn um seinen Rat. Dem Beter des 143. Psalmes ist diese Situation vertraut. Der Psalmist be-fi ndet sich in äußerster Not und Anfechtung. Seine Seele liegt am Boden, sein Geist ist geängstigt und seine Lebenskräfte sind auf-gebraucht. In dieser Situation wendet er sich an Gott, damit er ihn aus der Anfechtung herausführt. Er weiß, dass seine eigenen Kräfte nicht ausreichen, um diese schwie-rigen Umstände zu meistern. So bittet er seinen Herrn: „Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ – Dieser Vers bildet den Hintergrund der folgenden Ausführungen. Dreifaches habe ich ihm entnommen:

Christen leben unter der Leitung des Heiligen Geistes

Ganz zu Beginn der Evangelien erfahren wir Entscheidendes über die Leitung durch den Heiligen Geist. Wir lesen zunächst den Bericht über die Taufe Jesu. Nachdem Jesus durch Johannes untergetaucht wurde, öffnet sich der Himmel und der Heilige Geist kommt in Gestalt einer Taube auf Jesus herab. Der Vater bekennt sich zu Jesus: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Mt 3,13–16). Mit der Taufe unter-stellt Jesus sich ganz der Herrschaft Gottes. Fortan besitzt er in allem, was er tut und lässt, was er entscheidet und wohin er geht, das Wohlgefallen des Vaters. Jesus steht mit seinem Leben ganz unter der Regie, d.h. unter der Leitung des Geistes Gottes. Dieser Regie weiß er sich verpfl ichtet. Sein innerstes Wollen richtet sich ganz darauf, im Einklang mit dem Vater zu stehen. Kaum ist seine Taufe vollzogen, wird diese Willenseinheit mit Gott auf die Probe gestellt. Der Heilige Geist (!) führt in die Wüste, damit der Teufel ihn ver-sucht. Jesus aber gibt dem Versucher nicht

nach, sondern macht, was er tun muss. Er bleibt dem Vater gehorsam. Er bleibt unter der Regie des Gotteswillens.

Was für das Leben Jesu urbildhaft und exemplarisch gilt, lässt sich auch auf das Leben der Glaubenden übertragen. Auch sie haben durch ihre Taufe und Bekehrung den Heiligen Geist empfangen. Damit stehen sie unter seiner Regie und werden von ihm geleitet. Beispielhaft lässt sich dieses in der Apostelgeschichte studieren. Nachdem die Jünger den verheißenen Geist (Apg 1,8) empfangen haben, wird der Geist durch sie das Werk der Mission vorantreiben. Entschei-dend ist, dass der Geist selber Regie führt und das Werk Gottes von Jerusalem über Judäa nach Samaria bis an das Ende der Welt führt.

Wir dürfen gewiss sein, dass Gottes Geist in den Seinen wohnt und sie entsprechend dem Willen Gottes führt. Auch dann, wenn sie selber überhaupt nichts davon spüren oder merken. „Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her“ (vgl. EG 326,5).

So gibt es im Leben von Christen die be-rühmten „Zufälle“, bei denen man im Nach-hinein feststellen kann, dass Gott durch seinen Geist so oder so geführt hat. Ich selber durfte an entscheidenden Weggabe-lungen meines Lebens und in meiner Familie dieses Führen Gottes immer wieder erfahren. Stets aber war es verbunden mit intensivem Hören auf die Schrift. Hinterher konnte ich dankbar bekennen, dass der Herr den Weg geebnet, Türen geöffnet und Schritte gezeigt hat. – Wie heißt es in unserem Psalmvers? „Du bist mein Gott.“ –Wer einen persönlichen Gott kennt, darf auch mit seiner Führung rechnen.

Um die Leitung des Geistes darf man vertrauensvoll bitten

„Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ – Freilich besitzen wir als Christen

Dr. Rol f Sons

Studienle i ter

2020 21

kein eingebautes Navigationssystem wie es bei modernen Autos der Fall ist, welches uns an jeder Abzweigung zeigt, ob wir links oder rechts abbiegen sollen. Der Heilige Geist funktioniert nicht wie ein Satellit, der vom Weltall aus durch Funkwellen die Seinen steuert. Beim Heiligen Geist handelt es sich vielmehr um eine Person der göttlichen Trini-tät. Mit einer Person aber kann man spre-chen. So darf sich jeder Christ im Gebet an Gott wenden, damit er ihn durch seinen Geist leitet. Wir werden ihm dabei unsere persönliche Not, unser Anliegen oder auch eine Entscheidung, die wir zu treffen haben, vorlegen. Doch niemals werden wir ihm vorschreiben, auf welche Weise er die Dinge lenken und leiten soll.

Ein eindrückliches Beispiel für diese Hal-tung der Offenheit, sich von Gott führen zu lassen, bietet die Geschichte der Brautwer-bung Isaaks um Rebekka (1Mo 24, 1-66). Isaaks Knecht Elieser erhält den schwierigen Auftrag, eine Verbindung mit einer Frau aus Abrahams Verwandtschaft herzustellen. Noch ist ihm allerdings verborgen, welche dieRichtige ist. Elieser lässt sich hier im Grunde auf ein Menschen unmögliches Unterfangen ein. Wie kann er für seinen Herrn die pas-sende Frau fi nden? Gerade diese Unmög-lichkeit seines Auftrages treibt ihn ins Gebet: „Und er sprach: Herr, du Gott Abrahams, meines Herrn, lass es mir heute gelingen und tu Barmherzigkeit an Abraham, meinem Herrn“ (1Mo 24,12). Elieser handelt nicht eigenmächtig. Vielmehr lässt er Vorsicht walten und bittet Gott um ein Zeichen derVergewisserung. Selbst als Elieser das ge-wünschte Zeichen erhält, verharrt er weiter-hin in seiner abwartenden Haltung: „Der Mann aber betrachtete sie und schwieg still, bis er erkannt hätte, ob der Herr zu seiner Reise Gnade gegeben hätte oder nicht“ (V. 21). Noch ist für Elieser die Situation völ-lig offen. Erst als er Rebekka persönlich anspricht, verdichten sich ihm alle Zeichen

zu der Gewissheit, dass sie die Gesuchte ist. Am Ende bleibt ihm nur die staunende Anbetung Gottes über seinem wunderbaren Führen (V. 27).

Wir sehen, dass unterschiedliche Faktoren den Ausschlag geben, dass am Ende Gottes Führen und Leiten so klar vor Augen steht. Das ist zum einen das Gebet, mit welchem man sich in eine Haltung der Abhängigkeit begibt. Dazu gehört auch die Haltung der Offenheit, welche es Gott überlässt, wie die Dinge ausgehen. Am Ende sehen wir Eliesers geduldiges Abwarten. Übersehen sollten wir auch nicht, dass Elieser seinen gesunden Menschenverstand während der gesamten Brautsuche gebraucht. So sucht er selbst-verständlich dort eine Frau für seinen Herrn, wo man in der damaligen Zeit auch Frauen antreffen konnte: nämlich am Brunnen vor der Stadt.

Die geistliche Haltung und die mensch-liche Überlegung verschmelzen hier. Ich bin überzeugt, dass dieses Modell der Partner-suche auch heute noch nicht überholt ist. Bei allen menschlichen Überlegungen, aller Liebe und allem Verliebtsein sollen Christen auch geistlich prüfen: „Herr, was meinst du denn dazu?“ Dies braucht Zeit und oft auch Geduld. Doch der Herr wird Klarheit schenken. Ist die Zeit des Prüfens abge-schlossen, gilt es sich zu entscheiden. Der Herr segnet auch den Entschluss.

Dem Leiten des Geistes gilt es willig zu folgen

„Lehre mich tun nach deinem Wohlge-fallen.“ Der Bitte um die Leitung durch den Geist hat nur ein Ziel, nämlich entsprechend dem Geist zu leben. Wir selber vermögen es offensichtlich aus eigenen Kräften nicht. Des-halb bedarf es der ständigen Bitte, dass Gott uns dabei hilft. Der Geist Gottes führt uns in den Gotteswillen hinein. Wir sind Abhän-gige. Er stärkt uns, das zu tun, was Gott will.

Die zweite Vershälfte unterstreicht dies: „Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ Der Psalmist möchte nicht dem Geist der Lüge folgen, den es im AT auch gibt (vgl. 1Kön 22,23f), sondern dem Geist der Wahrheit. „Ebene Bahn“ meint hier eigent-lich „gerades Land“. Also keine krummen Touren, sondern den geraden Weg will er gehen.

Die geistliche Wahrheit, dass Bitte um denGeist und Leben gemäß dem Geist zusam-mengehören, fi nden wir im NT breit entfaltet. In aller Klarheit hat Paulus diesen Sach-verhalt auf den Nenner gebracht, wenn er schreibt: „Wenn wir nun im Geist leben, solasst uns auch im Geist wandeln“ (Gal 5,25). Unter Geist versteht Paulus die Wirklichkeit des neuen, in Christus geschenkten Lebens. Wer am neuen Leben durch die Taufe und den Glauben Anteil bekommen hat, soll auch entsprechend leben, d.h. nicht mehr unter der Herrschaft des „Fleisches“, dem alten Adam gemäß, sondern Christus ge-mäß. Das von Paulus hier verwendete grie-chische Worte „stoichein“ lässt sich über-setzen mit „Schritt für Schritt gehen“. „ImGeist wandeln“ heißt also soviel wie be-ständig unter seiner Leitung bleiben.

Unsere Ausgangsfrage nach der Leitung des Geistes bekommt damit eine ethische Dimension. Es geht um unsre Lebensführung.

Gratulation . . .

Der Heilige Geist führt immer dem Heiligen Gotteswillen gemäß. Dieser aber ist in der Schrift geoffenbart. Ein Weg, welcher ganz offen ein Weg der Sünde ist, kann kein Weg Gottes sein. So erklärt z. B. eine Frau ihrem Seelsorger, dass sie sich von Gott so geführt sehe, ihren Mann zu verlassen und zu einem anderen zu gehen. Das ist unmöglich! So führt der Geist nicht. Der Geist leitet immer dem Wort entsprechend.

Wunderschön ist dies in dem folgenden Liedvers zusammengefasst. Er ist geeignet, als tägliches Gebet gesprochen zu werden:

„Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort; sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein“ (EG 445,5).

. . . zum bestandenen theologischen Examen:

Johannes Lehnert (Nürnberg),

Sabine Milewski (Hamm),

Samuel Seouk (Süd-Korea) und

Sonja Reuter (Bad Laasphe).

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theologischer Tagfür die Gemeinde

9.30 Uhr Begrüßung und Einführung

9.45 Uhr 1. Hauptreferat: Vom Tempel in die Häuser - „Brotbrechen“ mit Petrus & Co. (Volker Gäckle) 10.45 Uhr Pause

11.15 Uhr Arbeitsgruppen: Halleluja & Amen – Gottesdienst im AT (Hartmut Schmid) Die gefegte Messe – Luthers Gottesdienstreform (Joachim Kummer) Die Gottesdienstreformen seit 1945 (Dr. Eberhard Hahn) Wozu dient es, Gott zu dienen? Zur Theologie des Gottesdienstes (Dr. Rolf Hille)

12.30 Uhr Mittagpause

13.30 Uhr 2. Hauptreferat: Gott loben in veränderter Zeit – Über die aktuellen Herausforderungen des Gottesdienstes (Dr. Rolf Sons) 14.15 Uhr Fragerunde mit der Lehrermannschaft

15.00 Uhr Wort auf den Weg

Ende gegen 15.15 Uhr

Aufbruch zum GottesdienstG OT T LO B E N I N V E R Ä N D E RT E R Z E I T

Ludwig-Krapf-Str.572072 Tübingen Tel 07071-70050Fax 07071-700540Mail [email protected]

A L B R E C H T- B E N G E L - H A U ST Ü B I N G E N

bengelhaus.de

23. April 2oo5

Könnte das Theologiestudium auch etwas für mich sein?

Was läuft an der Uni? Wozu ist das Albrecht-Bengel-Haus (ABH) gut? Wie sieht geistliche Gemeinschaft und theologische Studienbegleitung aus? Und wo bleibt beim Studieren die Praxis? Welche Aussichten bestehen auf Pfarramt, Schuldienst und Missons-dienst?Diese und viele andere Fragen wollen wir gern beantworten! Darum laden wir junge Leute in der Oberstufe oder in der Orientierungsphase nach dem Gymnasium zu einem Blitzbesuch ins ABH ein. „Bengel-Haus live“ heißt es am 17. und 18. Mai 2005. Die Chance zum Reinschnuppern und Kennenlernen - für ein späteres Enga-gement in der Gemeinde Jesu Christi!

SCHNUPPERTAGE im ABHF Ü R A L L E , D I E S I C H F Ü R E I N T H E O LO G I E S T U D I U M I N T E R E S S I E R E N

Ludwig-Krapf-Str.572072 Tübingen Tel 07071-70050Fax 07071-700540Mail [email protected]

Das haben wir vor:

Dienstag, 17. Mai 2005 bis 17.30 Uhr Anreise18.00 Uhr Abendessen19.00 Uhr „Theologiestudium – was ist das eigentlich“ Ein Gesprächs- und Informationsabend rund um Theologie, Berufung und ABH

Mittwoch, 18. Mai 2005 7.00 Uhr Frühstück 7.30 Uhr Andacht 8.00 Uhr Besuch von Vorlesungen11.00 Uhr Rundgang durch Tübingen12.30 Uhr Mittagessen13.30 Uhr Abschlussgespräch und Stehkaffee14.30 Uhr Abreise

Für Übernachtung ist gesorgt (Schlafsack und Iso-Matte bitte mitbringen). Die Kosten für Unterbringung und Verpfl egung übernimmt das ABH. Ihr seid unsere Gäste!Anmeldungen ab sofort und bis spätestens 6. Mai 2005 an das ABH.

Weitere Infos über das ABH im Internet unter:

A L B R E C H T- B E N G E L - H A U ST Ü B I N G E N

bengelhaus.de

Ulr ike Schnür le, Pfarrer in der ev. Landeski rche

in Würt t . und Miss ionar in der ÜMG in Thai land,

im ABH bis 1978

Postvertriebsstück

10403Albrecht-Bengel-HausLudwig-Krapf-Str. 572072 Tübingen

Entgelt bezahlt

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Wenn es um das Thema “Der Heilige Geist und die Geister” geht, werden die Unterschiede zwischen Europa bzw. der abendländischen Kultur und dem Rest der Welt im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen greifbar.

Während wir in unserer kritischen und auf-geklärten Gesellschaft die Dimension des Okkulten und Dämonischen häufi g nur noch als Mythos belächeln, erleben die allermeisten Menschen auf unserem Globus die Wirklichkeit von Geistern und Dämonen als eine sehr be-drängende Wirklichkeit ihres Lebens.

Auch bei uns in Thailand, wo ein animistischer Volksbuddhismus vorherrscht, ist der Alltag vom Geisterglauben geprägt. So wird ein Kaiser-schnitt nur an einem Glückstag vollzogen, den der Geisterdoktor bestimmt. Auf dem Markt beginnt ein Verkäufer seinen Tag grundsätzlich damit, an eine Buddhastatue zu klopfen. Der Glaube an Dämonen und der Vollzug okkulter

Praktiken ist im thailändischen Alltag allgegen-wärtig.

Wie tief die okkulten Verstrickungen in die Seele von Menschen reichen können, kann man z.B. an Frau Gutsch beschreiben, die bei uns zum Glau-ben kam und sich taufen ließ. Sie ist Mitte 40, die „legale“ Frau eines Taxifahrers, der nebenher allerdings noch ca. 20 weitere Frauen hat. Wäh-rend der Taufunterweisung kamen wir auch auf die Geisterwelt zu sprechen. Plötzlich fi ng sie an zu schreien, zu spucken und zu toben.

Wir halfen ihr, sich im Gebet an Jesus zu wenden und Schritt für Schritt kehrte Frieden bei ihr ein. Bei der Taufe dasselbe Drama: Weil sie Angst vor dem Prediger hatte, den sie nicht kannte, wendete sie sich unwillkürlich schnell zurück zu den Mäch-ten, die ihr früher in entsprechenden Angstsituati-onen halfen. Sie bat sie um Hilfe, schrie dann aber „Nein, nicht ihr...“ und nach einigen Momenten sagte sie ganz schwach „Jesus, hilf mir.“

Ihre Gefühlswelt ist durch ihr bisheriges Leben mit dieser Geisterwelt schwer geschädigt. Sie er-lebt die Erlösung auch nicht „einmal und dann für immer“. Langsam lernen auch die Gemeindeglie-der ihr zu helfen. Das heißt konkret, nicht das zu tun, wonach sie verlangt (z.B. sie mit einem Stock zu prügeln!), sondern was sie jeweils braucht, z.B. zusammen mit ihr zu beten, bis sie ihren Heiland hört.

Im Weihnachtsgottesdienst verkörperten in einem Anspiel schwarz gekleidete Gestalten die Macht Satans und der Sünde. Wieder kam es zum üb-lichen „Gutsch-Drama“ – wie wir es mittlerweile nennen – aber irgendwann ertönte der Schrei des Sieges: „Vater, komm in diese dunkle Welt!“ – Weihnachten – Er kam!