Mittelgesichtsdistraktion bei einem Patienten mit Crouzon-Syndrom

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S52 Wachstumsstörungen der vorderen Schädelbasis führen zu den sog. Kra- niofaziostenosen (z.B. Crouzon-Syn- drom, Apert-Syndrom), bei denen in variabler Ausprägung Entwicklungs- hemmungen von Neuro- und Viszero- kranium auftreten [26]. Operative Kor- rekturen betreffen sowohl die präma- turen Kraniosynostosen als auch die Restriktionen des Mittelgesichts- wachstums. Wegbereiter der kraniofa- zialen Chirurgie war der Franzose Tes- sier, der in den 60er Jahren die operati- ven Standards etablierte. Operations- indikation sind funktioneller (Augen, Oberkiefer, Nasenatmung, Ausspra- che), morphologischer und psycholo- gischer Natur [27]. Im Säuglingsalter werden bei Verkürzung der vorderen Schädelgrube, die Folge einer Wachs- tumshemmung wegen der prämaturen Koronarnahtsynostose ist, über ein frontoorbitales Advancement Frontal- schuppe und Supraorbitalspange nach ventral verlagert [18]. Zum Mittelge- sichtsadvancement kommt als prinzi- pielle Technik eine Le-Fort-III-Osteo- tomie, in leichteren Fällen auch eine Le-Fort-II- oder -I-Osteotomie, in An- lehnung an die von Le Fort aufgestell- ten typischen Frakturlinien des Ge- sichtsschädels, zur Anwendung [17]. Nach einem bitemporalen Zugang wird auf beiden Seiten eine Osteoto- mie durch die Sutura frontozygomati- ca, den vorderen Jochbogen, das vor- dere Drittel der Orbita, die Sutura fron- tonasalis unter Einschluß des oberen Nasenseptums sowie über einen intra- oralen Zugang durch die Fissura pterygopalatina gelegt, dann kann der Gesichtsschädel von der Schädelbasis mobilisiert werden. Bei der von Ortiz- Monasterio et al. [21] angegebenen Le-Fort-IV-Osteotomie wird die Su- praorbitalspange mit erfaßt, so daß gleichzeitig vordere Schädelgrube und Mittelgesicht verlängert werden [21]. Die Vergrößerung der Orbitae führt zu einer Rückbildung der in manchen Fäl- len extremen Protrusio bulbi, die Ent- wicklung des epi- und oropharyngea- len Raums hilft entscheidend bei der Beherrschung von Atmungsproble- men, insbesondere der gefürchteten Schlafapnoe [6]. Die Korrektur der ok- klusalen Verhältnisse verbessert Ab- beiß-, Kau- und Lautbildungsfunktion. Der Grad der Mittelgesichtshypoplasie und damit der Entstellung bestimmt i. allg. den Operationszeitpunkt, wobei zur Vermeidung psychosozialer Stö- rungen in schweren Fällen eine Opera- tion vor der Einschulung angeraten wird [19]. Der Behandler viszeroskelettaler Hypoplasien steckt in der Zwickmüh- le. Eine Behandlung am Ende des Kör- perwachstums minimiert das Risiko ei- nes Rezidivs, verursacht aber eine u. U. erhebliche Aggravation der Gesund- heitsstörung mit vielfältigen sekun- dären Erkrankungen. Der mit Recht beschworene frühzeitige Therapieein- satz, insbesondere bei ausgeprägten Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S52–S57 © Springer-Verlag 1998 Mittelgesichtsdistraktion bei einem Patienten mit Crouzon-Syndrom C. Klein Klinik und Poliklinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. K. Bitter), Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt PD Dr. Dr. C. Klein, Klinik und Poliklinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Theodor Stern Kai 7, D-60590 Frankfurt am Main Zusammenfassung Syndromgebundene Mittelgesichts- hypoplasien, wie sie bei den Kra- niofaziostenosen (z.B. Crouzon- Syndrom) auftreten können, sollten möglichst frühzeitig korrigiert wer- den, um dem betroffenen Patienten funktionelle sowie ästhetische Be- einträchtigungen zu ersparen. Ein Mittelgesichtsadvancement mit Hil- fe traditioneller Methoden unter Verwendung von freien Knochen- transplantaten ist problematisch, da eine intraoperativ eingestellte Normokklusion sich mit den Jahren häufig in eine Angle-Klasse III ver- schlechtert. Denn der Unterkiefer entwickelt sich regelrecht, das Mit- telgesicht bleibt jedoch oft im Wachstum zurück. Vielleicht kann dieses Problem gelöst werden, wenn das Mittelgesichtsadvancement mit Hilfe der schrittweisen Kallusdi- straktion erfolgt. Die lokale Osteo- neogenese läßt hoffen, daß das Mit- telgesicht sich auch dann normal entwickelt, wenn dieser Eingriff bei kleinen Kindern durchgeführt wird. Nach den positiven Erfahrungen in der Unterkieferverlängerung wurde diese neue Methode erstmals bei ei- nem 10jährigen Crouzon-Patienten angewendet. Mit Hilfe eines neu entwickelten Mittelgesichtsdistrak- tors, der die statischen Vorteile des Haloframe nutzt, konnte das Viszero- kranium nach einer subkranialen Le-Fort-III-Osteotomie schrittwei- se um 22 mm nach ventral verlagert werden. Durch die regelrechte Kor- rektur der Mittelgesichtsposition wurde eine Normokklusion erreicht. In der vorliegenden Falldokumen- tation wird die operationstechni- sche Neuerung erläutert und disku- tiert. Wenn auch der erste Einsatz dieser Methode im Mittelgesicht ein gutes Frühergebnis erbracht hat, so können jedoch noch keine Langzeit- ergebnisse dargelegt werden. Schlüsselwörter Crouzon-Syndrom · Subkraniale Le-Fort-III-Osteotomie · Mittelge- sichtsdistraktion · Extraorale Ap- paratur · Modifizierter Haloframe ORIGINALIEN
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Page 1: Mittelgesichtsdistraktion bei einem Patienten mit Crouzon-Syndrom

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Wachstumsstörungen der vorderenSchädelbasis führen zu den sog. Kra-niofaziostenosen (z.B. Crouzon-Syn-drom, Apert-Syndrom), bei denen invariabler Ausprägung Entwicklungs-hemmungen von Neuro- und Viszero-kranium auftreten [26]. Operative Kor-rekturen betreffen sowohl die präma-turen Kraniosynostosen als auch die Restriktionen des Mittelgesichts-wachstums. Wegbereiter der kraniofa-zialen Chirurgie war der Franzose Tes-sier, der in den 60er Jahren die operati-ven Standards etablierte. Operations-indikation sind funktioneller (Augen,Oberkiefer, Nasenatmung, Ausspra-che), morphologischer und psycholo-gischer Natur [27]. Im Säuglingsalterwerden bei Verkürzung der vorderenSchädelgrube, die Folge einer Wachs-tumshemmung wegen der prämaturenKoronarnahtsynostose ist, über einfrontoorbitales Advancement Frontal-schuppe und Supraorbitalspange nachventral verlagert [18]. Zum Mittelge-sichtsadvancement kommt als prinzi-pielle Technik eine Le-Fort-III-Osteo-tomie, in leichteren Fällen auch eineLe-Fort-II- oder -I-Osteotomie, in An-lehnung an die von Le Fort aufgestell-ten typischen Frakturlinien des Ge-sichtsschädels, zur Anwendung [17].

Nach einem bitemporalen Zugangwird auf beiden Seiten eine Osteoto-mie durch die Sutura frontozygomati-

ca, den vorderen Jochbogen, das vor-dere Drittel der Orbita, die Sutura fron-tonasalis unter Einschluß des oberenNasenseptums sowie über einen intra-oralen Zugang durch die Fissurapterygopalatina gelegt, dann kann derGesichtsschädel von der Schädelbasismobilisiert werden. Bei der von Ortiz-Monasterio et al. [21] angegebenen Le-Fort-IV-Osteotomie wird die Su-praorbitalspange mit erfaßt, so daßgleichzeitig vordere Schädelgrube undMittelgesicht verlängert werden [21].Die Vergrößerung der Orbitae führt zueiner Rückbildung der in manchen Fäl-len extremen Protrusio bulbi, die Ent-wicklung des epi- und oropharyngea-len Raums hilft entscheidend bei derBeherrschung von Atmungsproble-men, insbesondere der gefürchtetenSchlafapnoe [6]. Die Korrektur der ok-klusalen Verhältnisse verbessert Ab-beiß-, Kau- und Lautbildungsfunktion.Der Grad der Mittelgesichtshypoplasieund damit der Entstellung bestimmt i.allg. den Operationszeitpunkt, wobeizur Vermeidung psychosozialer Stö-rungen in schweren Fällen eine Opera-tion vor der Einschulung angeratenwird [19].

Der Behandler viszeroskelettalerHypoplasien steckt in der Zwickmüh-le. Eine Behandlung am Ende des Kör-perwachstums minimiert das Risiko ei-nes Rezidivs, verursacht aber eine u. U.erhebliche Aggravation der Gesund-heitsstörung mit vielfältigen sekun-dären Erkrankungen. Der mit Rechtbeschworene frühzeitige Therapieein-satz, insbesondere bei ausgeprägten

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] :S52–S57 © Springer-Verlag 1998

Mittelgesichtsdistraktion bei einem Patienten mit Crouzon-Syndrom

C. KleinKlinik und Poliklinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. K. Bitter), Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt

PD Dr. Dr. C. Klein, Klinik und Poliklinik fürKiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, TheodorStern Kai 7, D-60590 Frankfurt am Main

Zusammenfassung

Syndromgebundene Mittelgesichts-hypoplasien, wie sie bei den Kra-niofaziostenosen (z.B. Crouzon-Syndrom) auftreten können, solltenmöglichst frühzeitig korrigiert wer-den, um dem betroffenen Patientenfunktionelle sowie ästhetische Be-einträchtigungen zu ersparen. EinMittelgesichtsadvancement mit Hil-fe traditioneller Methoden unterVerwendung von freien Knochen-transplantaten ist problematisch,da eine intraoperativ eingestellteNormokklusion sich mit den Jahrenhäufig in eine Angle-Klasse III ver-schlechtert. Denn der Unterkieferentwickelt sich regelrecht, das Mit-telgesicht bleibt jedoch oft imWachstum zurück. Vielleicht kanndieses Problem gelöst werden, wenndas Mittelgesichtsadvancement mitHilfe der schrittweisen Kallusdi-straktion erfolgt. Die lokale Osteo-neogenese läßt hoffen, daß das Mit-telgesicht sich auch dann normalentwickelt, wenn dieser Eingriff beikleinen Kindern durchgeführt wird.Nach den positiven Erfahrungen inder Unterkieferverlängerung wurdediese neue Methode erstmals bei ei-nem 10jährigen Crouzon-Patientenangewendet. Mit Hilfe eines neuentwickelten Mittelgesichtsdistrak-tors, der die statischen Vorteile desHaloframe nutzt, konnte das Viszero-kranium nach einer subkranialenLe-Fort-III-Osteotomie schrittwei-se um 22 mm nach ventral verlagertwerden. Durch die regelrechte Kor-rektur der Mittelgesichtspositionwurde eine Normokklusion erreicht.In der vorliegenden Falldokumen-tation wird die operationstechni-sche Neuerung erläutert und disku-tiert. Wenn auch der erste Einsatzdieser Methode im Mittelgesicht eingutes Frühergebnis erbracht hat, sokönnen jedoch noch keine Langzeit-ergebnisse dargelegt werden.

Schlüsselwörter

Crouzon-Syndrom · SubkranialeLe-Fort-III-Osteotomie · Mittelge-sichtsdistraktion · Extraorale Ap-paratur · Modifizierter Haloframe

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Formen, ist mit einer deutlichen Rezi-divneigung belegt, da die skelettalenKorrekturen nicht mitwachsen. Es gibtvereinzelt Erfahrungsberichte über einphysiologisches Oberkieferwachstumnach ventral und kaudal nach Le-Fort-III-Osteotomien im Kindesalter, je-doch sieht man häufiger die Ausbil-dung einer Angle-Klasse-III-Verzah-nung nach Abschluß des Körper-wachstums, weil das stabile Mittelge-sicht zwar nicht in die alte Positionzurückgesunken, aber auch nicht imgleichen Maß weitergewachsen ist wieder normale Unterkiefer [16, 20].

Fallbericht

Zur Vermeidung der oben genannten Problemewurde daher der Einsatz der schrittweisen Kal-lusdistraktion zur Vorverlagerung des Mittelge-sichts bei einem 10jährigen Crouzon-Patientenvorgesehen. Zum einen waren in der hiesigenAbteilung zu jener Zeit schon bei mehr als 30 Patienten in der Behandlung mandibularerHypoplasien vielversprechende Erfahrungenmit dieser im Viszerokranium neuen Methodegesammelt worden [10–15], zum anderen inTierversuchen die prinzipielle Anwendung derKallusdistraktion im Mittelgesicht schon erfolg-reich durchgeführt worden [3, 8, 23–25].

Der hier vorgestellte Patient (Abb. 1) zeigtedie typischen Zeichen einer Mittelgesichts-hypoplasie mit einer Angle-Klasse-III-Verzah-nung. Im Alter von 6 und 11 Monaten waren in

einem auswärtigen Krankenhaus jeweils eineKranioplastik vorgenommen worden. Präopera-tiv waren noch keine kieferorthopädische oderkieferchirurgische Vorbehandlung erfolgt.

Technischer Aspekt

Zunächst mußte ein geeignetes Distraktions-gerät entwickelt werden. Im Gegensatz zu an-deren Arbeitsgruppen haben wir uns für denEinsatz eines extraoralen Geräts entschieden,welches während der Verlängerungsphase einebessere Kontrolle und evtl. Korrektur ermög-licht. Entsprechend unserer Vorstellung von ei-nem Baukastensystem zur individuellen Kallus-distraktion wurde das von uns zusammen mit der Fa. NORMED/Tuttlingen entwickelte„Frankfurt Craniofacial Distraction System“ umeinen modifizierten Haloframe erweitert, der alsAbstützungsbasis für 3 Verlängerungselementedienen sollte.

Der zur Mittelgesichtdistraktion modifizier-te Haloframe besteht aus einem U-förmigen Bü-gel, welcher parallel zur Koronarnaht fixiertwird, sowie einem senkrecht dazu, d.h. parallelzur Sagittalnaht, verlaufenden Bügel, der in sei-nem Schwung der kranialen Schädelkonturfolgt. Die Fixierung erfolgte mit spitzwinkligenHaltedornen, mit denen die miteinander ver-schraubten Bügel an der Kalotte fixiert werdenkonnten. Die anfänglich ungenügende Biegefe-stigkeit des zentralen U-Bügels aus Flachmate-rial wurde durch Verwendung eines T-Profils er-heblich verbessert. Dem Prinzip des Baukasten-systems folgend werden dann über entspre-chende Verbindungsstücke an dem Grundgerüstseitlich je ein langer Arm eines multidirektiona-

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Midfacial callus-distrac-tion in a Crouzon patient

C. Klein

Summary

The treatment of syndromic hy-poplasias of the midfacial com-plex, for example in Crouzon pa-tients, is necessary at an early stagefor functional and aesthetic rea-sons. If midfacial advancement isdone by the traditional techniqueusing bone grafts, it has often beenseen that the normal occlusionoriginally achieved changes in anAngle class III, because themandible grows regularly but notthe midface. This problem couldprobably be solved if midfacial ad-vancement is done by the gradualcallus-distraction procedure. Thelocal osteogenesis involves thepossibility that there is normalgrowth of the midfacial complexeven if the operation is performedin young children. Based on expe-rience in mandibular bone length-ening, this new method was usedin a 10-year-old Crouzon patient.As successful lengthening of themidface needs a stable device anda reliable base, a new midfacialdistractor was designed using theprinciple of the halo-frame. Withan advancement of about 22 mmthe midfacial position was normal-ized and a regular overbite wasachieved. In a case report the newtechnique is shown and the resultsare demonstrated and discussed.Despite this encouraging early re-sult a long-term follow-up is notyet possible.

Key words

Crouzon patient · Le Fort III os-teotomy · Midfacial callus-distrac-tion · External device · Modificat-ed haloframe Abb. 1. Patient (B.L., m, 10 Jahre) mit dem für ein Crouzon-Syndrom typischen Erscheinungsbild:

Hypoplasie des Mittelgesichtskomplexes und einem Strabismus divergens

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len Distraktors (Kugelgelenk zur besseren Aus-richtung auf die Okklusionsebene) sowie ammittleren Bügel ein kurzer Arm eines bidirek-tionalen Distraktors fixiert, so daß nach Ein-bringung der Haltepins im Bereich der Joch-beinmassive sowie der Nasenwurzel ein sichselbst stabilisierendes Dreieck entsteht, das ei-ne kontrollierte Distraktion erlaubt (Abb. 2).Nach entsprechenden Tests im örtlichen ge-richtsmedizinischen sowie pathologischen In-stitut erfolgte dann der klinische Einsatz.

Klinischer Verlauf

Vor Beginn der eigentlichen Operation wurdeder Mittelgesichtsdistraktor bei dem bereits in-

tubierten Patienten zunächst adjustiert und diegeplanten Insertionsstellen für die 3 Haltepin-paare mit Blau subkutan markiert. Anschließenderfolgte eine subkraniale Le-Fort-III-Osteoto-mie, wobei auf eine vollständige Mobilisierungdes Mittelgesichts geachtet wurde (Abb. 3). Da-nach wurden der voreingestellte Haloframe auf-gesetzt und die 3 Bewegungselemente an denHaltepins im Bereich beider Jochbeinmassivesowie der Nasenwurzel fixiert.

Nach einer Latenzphase von 5 Tagen beganndie schrittweise Kallusdistraktion, die nach 22 Tagen (1 mm/Tag) abgeschlossen war (Abb. 4). Wie üblich, wurde die tägliche Ver-längerung von den Eltern zu Hause vorgenom-men, der Distraktionsfortschritt wurde 1mal pro

Woche ambulant kontrolliert. Nach ausreichen-dem Advancement des Mittelgesichts und Ein-stellung einer Angle-Klasse-I-Verzahnung wur-de eine 8wöchige Fixationsphase angeschlos-sen, in welcher die neuen Kallusareale ossifi-zieren konnten.

Die skelettalen Veränderungen werdendurch den Vergleich prä- und postoperativer 3D-rekonstruierter CT-Bilder (Abb. 5) belegt. DieVentralentwicklung des Mittelgesichts hat nichtnur zu einer Überstellung der Frontzähne ge-führt, sondern auch die okklusalen Verhältnisseinsgesamt verbessert. Mit einer kieferorthopä-dischen Weiterbehandlung über eine Delaire-Maske wurde zunächst eine weitere Stabilisie-rung des Mittelgesichtskomplexes erzielt, da-nach folgte die Kongruierung der Zahnbögen.Abb. 6 zeigt den Patienten 9 Monate nach Ab-schluß der Mittelgesichtsdistraktion. Schonwährend der Fixationsphase klangen die nächt-lichen Atmungsprobleme des Patienten (Schnar-chen) ab und sind bis heute nicht wieder aufge-treten.

Die klinisch sichtbare Ventralentwicklungdes Mittelgesichtskomplexes läßt sich auchbeim Vergleich der prä- und postoperativen ke-phalometrischen Analysen in Abb. 7 erkennen,welche sich auf eine direkte Kephalometriestützt [2]. Der Winkel α1 nahm dabei um 4,6°zu. (Der Winkel α1 wird aus 2 Strecken gebil-det, von denen die eine, T-N, vom Nasion als Lotauf die Intertrageallinie gefällt wird, die anderedurch die beiden Weichteilpunkte A und B ver-läuft.)

Diskussion und Schlußfolgerung

Die Kallusdistraktion im Bereich desMittelgesichts steht im Vergleich zurAnwendung am hypoplastischen Un-terkiefer noch in den Anfängen. Nachunseren ermutigenden Erfahrungenmit der Unterkieferverlängerung habenwir dann damit begonnen, diese Me-thoden auch für die Behandlung vonMittelgesichtshypoplasien nutzbar zumachen. Dabei bestand die Schwierig-keit, geeignete Abstützungsstellen fürdie Verlängerungsapparate zu finden.Wenn der gesamte Mittelgesichtskom-plex nach ventral entwickelt werdensoll, muß u.E. eine Abstützung entwe-der an der Kalotte erfolgen oder eineextrakorporale Extension verwendetwerden.

Bisher ist der Fall eines 4 Wochenalten Kindes mit Pfeiffer-Syndrom be-kannt geworden, bei dem nach einerMonoblockosteotomie über eine Ex-tension die Ventralverlagerung des Ge-sichtsschädels erreicht werden konnte.Der Säugling lag in einer individuellangefertigten Schaumstoffschale, die

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Abb. 2. Schematische Darstellung des modifizierten Haloframe und seiner Applikation. Auf derSeitansicht ist die Le-Fort-III-Osteotomie zur Vorverlagerung des Mittelgesichts in einer unterbro-chenen Linie dargestellt. Das in der Frontalansicht eingezeichnete Dreieck markiert die Statik derVerlängerungselemente

Abb. 3. Operationssitus währendder Le-Fort-III-Osteotomie; oben:Blick von frontal oben nach Mo-bilisierung des Skalps und der Pe-riorbitae über einen bikoronarenZugang; unten: Blick von obennach Mobilisierung des Mittelge-sichtskomplexes (Knochenlückenim Bereich des nasofrontalenÜbergangs sowie der Suturaefrontozygomaticae)

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den Kopf helmartig faßte. An dieserGrundkonstruktion war dann die Ex-tension befestigt [22].

Bei einem Säugling ist dies mögli-cherweise eine praktikable Methode,aber bei einem älteren Kind sollte dieallgemeine Mobilität erhalten bleiben,damit zugleich eine ambulante Be-handlung möglich ist. Dies gelingt nurmit einer Abstützung des Distraktorsan der Kalotte. Bikortikal eingebrach-te Haltepins sind im Bereich der Ka-lotte obsolet, Minischrauben zur Ver-ankerung einer plattenähnlichen Dis-traktorbasis erscheinen uns zu unsi-cher. So haben wir uns dazu ent-schlossen, einen Haloframe derart zumodifizieren, daß er bei noch vertret-barem Tragekomfort eine sichere Ab-stützung für die Verlängerungsele-mente bietet. Zugleich konnten wir da-mit auch auf vorhandene Verlänge-rungselemente aus der Unterkieferbe-handlung zurückgreifen, die lediglichüber neue Halterungen am Halo fixiertwurden. Über eine 3-Punkt-Fixierungder Bewegungselemente im Bereichbeider Jochbeinmassive sowie der Na-senwurzel war eine kontrollierte Vor-verlagerung des Mittelgesichts bei ei-ner guten Stabilität und Verwindungs-steifigkeit der Mechanik gegeben. Da-mit haben wir erfolgreich eine stabileMittelgesichtsvorverlagerung bei ei-nem 10jährigen Crouzon-Patienten er-reicht.

Wir sind bislang die einzige Ar-beitsgruppe, die diesen Weg gewählthat. Alle anderen uns bisher bekanntgewordenen Verfahren distrahieren ak-tiv nur im Bereich beider Jochbeineund bewegen die Nasenwurzel passivmit. Dabei werden die Distraktorenentweder über spezielle Osteosynthe-seplatten an den Schläfenbeinen undüber Haltepins [1] oder Miniplatten [7]an den Jochbeinen fixiert oder dieOsteotomie verläuft mitten durch dasJochbeinmassiv, so daß der Distraktorüber Osteosyntheseplatten nur im Be-reich des Jochbeins fixiert wird [5].

Bei einem Patienten mit einer er-heblichen kraniofazialen Mikrosomiewurde im Alter von 4 Monaten sogarein speziell angefertigter, multifunk-tionaler Distraktor eingesetzt, um imBereich von Orbita, Mittelgesicht undUnterkiefer eine Verbesserung der ske-lettalen Strukturen zu erreichen [4].

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Abb. 4. Mittelgesichtsdistraktor in situ am Ende der Verlängerungsphase, en face und von links seit-lich

Abb. 5. Seitliche Projektion der 3-D-CT vor und nach der Kallusdistraktion, die zu einer Stufen-bildung im Bereich des nasofrontalen sowie zygomatikofrontalen Übergangs geführt hat

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Eine andere Technik zur Mittelge-sichtsverlängerung auf Le-Fort-I- und-II-Ebene ist von Habal [9] angegebenworden. Er benutzte eine Art Delaire-Maske, die dem Gesicht aufsitzend anKinn und Stirn abgestützt ist. Ob dieseMethode jedoch auch nach Le-Fort-III-Osteotomien erfolgreich angewen-det werden kann, bleibt abzuwarten, da

hier doch deutlich höhere Kräfte über-wunden werden müssen.

Eine abschließende Bewertung deraufgezeigten Methoden einschließlichder eigenen erscheint bei der insgesamtkurzen Nachbeobachtungszeit und nochgeringen Fallzahl als nicht sinnvoll.Welche Methoden auf Dauer eine kli-nische Bedeutung behalten, wird sich

im Lauf der nächsten Jahre abzeich-nen. Auch sind die Erfahrungen mitMittelgesichtsdistraktionen noch zudürftig, als daß schon verläßliche Aus-sagen über die weitere Wachstumsent-wicklung gemacht werden könnten.Sicher ist jedoch, daß die Kallusdis-traktion zur frühzeitigen Korrektur von Mittelgesichtshypoplasien zukünf-tig eine wertvolle Alternative zu her-kömmlichen, transplantatgestütztenVerfahren darstellen wird.

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Abb. 6. Patient 9 Monate nach Entfernung des Mittelgesichtsdistraktors, en face und rechtsseit-lich

Abb. 7. Darstellung der kephalometrischen Veränderungen auf der Basis einer direkten Kephalo-metrie, welche an der hiesigen Klinik entwickelt wurde (s. Text)

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